Читать книгу Cajetan Schaltermann - Max Herrmann-Neisse - Страница 6
II
ОглавлениеVon jetzt ab galt Cajetan, der acht Jahre lang ein Vorbild und Liebling gewesen war, als auf eine unerklärliche Manier verwandelt oder verwirrt. Der einstige Musterschüler trieb diese letzten Monate seiner Gymnasiumszeit haltlos in allen Strudeln umher, die früher seiner gradlinigen Bahn bis zur Bewußtlosigkeit fern geblieben waren; etwas befremdlich Unstetes war über ihn gekommen, er glich einem Pferde, das acht Jahre lang im Göpel ging, plötzlich aber vor seinem Lenker zu scheuen beginnt. Mit einem Mal war er mit den Rottner, Pawitzeck, Burg, Mannshof, Hitzelmann, Fritz von Riedler gut Freund und mehr als das, er rührte kein Schulbuch mehr an, das Schriftliche ward schnell vor Schulanfang oder in den Pausen oder sogar während des Unterrichts hinter dem Rücken des Vordermanns zusammengefetzt und jedem Lehrer, wo es nur anging, passive Resistenz entgegengestellt. Cajetan hatte zuerst bei seinen neuen Kameraden etwas in betreff der »Stirner, Lassalle und Kierkegaard« zu erfahren versucht, aber da hatten sie abwehrende Mienen bekommen und jene zugeknöpfte Impertinenz, an der man unschwer die absolute Unwissenheit erkennt, so daß er alsobald abließ. Die jedoch hatten sich erst allmählich davon erholt, und eine freiere Unbefangenheit herrschte nur, wenn sie im Hinterstübchen der »Roten Wage« über Lehrer und Stadtenge debattierten, mehr Bier, als ratsam, zu sich nahmen, Skat spielten, rauchten, lärmten, Kommerslieder brüllten und den drei Töchtern der Wirtin ihre Verliebtheit auf eine kälberhaft täppische Art demonstrierten. Das alles: Zechen, Herumludern, Poussieren, Kannegießern tat Cajetan oberflächlich und wie bewußtlos mit, wobei ihm selbst die Freude am Protest nicht eigentlich zu Gemüte ging, aber für sich allein war er bemüht, noch auf anderen Pfaden in aller Heimlichkeit dem Verhängnis, das über seiner ganzen Welt stand, hinter die Kulissen zu kommen. Was er an Gedrucktem erwischen konnte, schleppte er wahllos zusammen und verschlang es; er suchte sogar die Gesellschaft jenes Veterinärs mit dem Schakalgesicht, der im Rufe eines belesenen Mannes stand. Dort erfuhr er, daß ein gebrechlicher, verwitterter Kauz, hinter dem die Kinder auf der Straße »Gewittermänndl« herriefen, weil sein Spaziergang nach gutem oder schlechtem Wetter bis auf die Sekunde geregelt war, ein in ganz Deutschland und darüber hinaus berühmter Forscher sei. Der eitle und geschwätzige Viehdoktor labte sich schmatzend an diesem ihm wohlgefälligen Thema, erzählte, wie er des Einsamen einziger Freund sei, und auch über den Grund, aus dem die Stadtzeitung ihren berühmtesten Mitbürger einfach ignorierte, ließ sich der Tierarzt weitläufig aus, und jene Macht, die Cajetan das erstemal dunkel in den Aulastunden geahnt hatte, und mit der er sich auseinandersetzen wollte, trat wiederum einen Schritt deutlicher aus ihrer gefährlichen Tarnkappe heraus. Es verhielt sich also derart, daß in dieser Stadt ein einziger Wille herrschen mußte; wer dem gegenüber sein eigenes Gesetz zu behaupten sich erdreistete, wurde so oder so erledigt, zermalmt oder beiseite geschleudert und liegen gelassen. Für den Augenblick glaubte er, alle Niedertracht greifbar vor seinen Fäusten zu haben, und sein Zorn und der Ehrgeiz, Sieger zu werden, wuchs ihm übers Haupt wie eine Palme; unbeherrschter schlug er auf den Schenkentisch und prahlte mit den Bierfreunden von großen, erstaunlichen Dingen, die bald geschehen würden, und wurde zudringlicher zu den Mädchen. Aber wenn er ohne Zeugen sich selbst gegenüber saß, fühlte er, wie die alten Bedrängnisse und Beängstigungen aufs neue an ihn herankrochen, und seine Seele immer leerer wurde, und wie er sich bald ganz und gar würde verloren haben. Er fing an, sich zu verachten, und spottete seiner eigenen Scham. Er gönnte sich keine Sekunde der Entspannung mehr und war immer wach, dem Prinzip der Stadt seine Schliche abzulauschen. Von nun an belauerte er in der Klasse jede Gebärde der Lehrer, wie ein Jagdhund sprungfertig, und in der Konferenz hieß es: »Wenigstens die alte Aufmerksamkeit ist geblieben.«
Die Erscheinungen wechselten in reichster Mannigfaltigkeit, aber soviel ward dem Cajetan immer gewisser, daß ein Regisseur, der alles bestimmte, doch sich einmal würde erraten lassen. Er hielt sich also unbeweglich und sah. Sein Gesicht war so bereit zur Aufnahme eines Ergebnisses, daß jeder eigene Ausdruck daraus verschwunden war; nachher kniff er stets die Augen zusammen, um besser überlegen zu können, und ließ unwillkürlich die Unterlippe hängen – so hatte er bei der verschlagensten Spionage eine harmlos dämliche Physiognomie. Aber hinter dieser Eselsvisage arbeitete es unablässig. Er sah und sah. Der kleine schiefschultrige Geschichtsprofessor fuhr zur Klasse herein wie eine Napoleon-Karikatur, versuchte jede etwaige Rebellion von vornherein mit einem als niederschmetternd gedachten Blicke zu vernichten und machte sich endlich im Katheder, wie in einem Herrschersessel, der ihm allein zukam, breit, als ob dieser arme Mensch nichts von der mannshohen Kluft merkte, die zwischen dem, was er war, und dem, was er vorzustellen sich getraute, klaffte. Oder betäubte er etwas in sich selbst und war Dünkel hier Notwehr gegen die eigne Verzweiflung? Seit zwanzig Jahren machte er zur selben Zeit dieselben Witze, die keine waren, war entzückt, wenn alle pflichtschuldigst grinsten, brachte dieselben pedantischen Übungen und Arbeiten, deren Lösung jede Klasse von der vorhergehenden empfing, und vernachlässigte im übrigen sein Fach über alle Möglichkeit. »Lächerlich ist er, nichts als lächerlich!« sagte sich Cajetan – doch da war auch noch etwas Verstecktboshaftes, dem jeder, der ihm irgendwie widerstand, zum Opfer fiel, und war nicht eben auch der Potzpuch letzten Endes über die verletzte Überheblichkeit dieses Gernegroßes gestolpert? Wirklich, in dieser Schule und in dieser Stadt half Lachen überhaupt zu nichts: jener Muchoreck, dem seine eigene Klasse ins Gesicht prustete, und den sogar die Herren Kollegen nur mit einem verstohlenen Lachen im Mundwinkel ansprachen, saß heute als Direktor in einer der begehrtesten Großstädte. Humpelnd wand sich und leisetretend der Lateiner durch die nur halbgeöffnete Tür, salbte die Herzen wie mit warmer Butter zu jeglicher Gefügigkeit, setzte sanftmütig die zutraulich gemachten Seelchen auf seine geschickt kaschierten Leimruten und schlang ihnen hübsch gemütlich die Schlinge seiner arggedenklich vorgefaßten schlimmen Meinung um den bloßen Hals, daß sie, ein letztes, blödes Nichtbegreifen im Blick, vor seiner milden Schadenfreude kommode verröchelten. Aber der rächte sich vielleicht nur dafür, daß er grundsätzlich von dem jüngeren Schulrat gedemütigt wurde und jedesmal mit beschämender Gründlichkeit den kürzeren zog. Da hatte der Geograph besser für seine eigene Haut gesorgt; er tat von Glockenschlag zu Glockenschlag – weder darüber, noch darunter – nicht mehr, als seines Amtes war, verzeichnete phlegmatisch ohne jede verächtliche oder lobende Glosse schlechte und gute Noten in sein Merkbuch und schritt gefühllos über in Todesängsten Verzuckende und über frische Leichen aus der Zensurenberatung zum gewohnten Stammtisch. Nur wenn ihm einer seine urkundlich festgelegten Einschätzungen anzutasten wagte, wehrte er sich, als sollte ihm die einzige Waffe entwunden werden gegen eine Macht, die ihm selber gefährlich werden könnte. – Nachts hockte Cajetan wieder mit denen in der »Roten Wage«. Aber je toller sie über »Schulzwinger« und »Pauker« ihre Knüppel schwangen, desto offenbarer war ihm so, als wüßte er etwas besser. Gab es da nicht auch noch ein Zusammenstehen gegen Erwachsene, die anders wollten, ebensogut als die Bande gegen die Knaben hielt? Ja, den alten Sonderling, der den Homer auf seine Art burschikos vorgetragen hatte, in saftigen Späßen Junge war mit seinen Jungens und die Stupidität des Betriebes mit scharfkantiger Satire zerfetzte, hatten sie unter sich unmöglich gemacht. Und betrank sich der verhaßte »Sägebock« nicht heimlich? Und bei dem feindseligen »Spulwurm« lärmten lauter schmutzige Kinder durch die schlampig verwahrlosten Stuben, und dem widerlichen »Ajax« siechte die Gattin gelähmt dahin. Opfer schienen auch sie, alle, alle, von einem Gewaltigeren, und erst, wenn die Genossen auf die Stadt zu schimpfen begannen, schwante dem Cajetan, daß das Geheimnis ihm näher trete. Jedenfalls legte er sich auch an diesem Saum in Hinterhalt.
Aus einem Silvesterabend sogar, der in Punsch und Zigarettenrauch wie ein Herbstfeld im Nebel unterging, schien das Unbekannte zu lugen. Cajetan und Ferdinand waren die ersten in der »Roten Wage«: Ferdinand wohnte bei einer grauen, vergeizten Tante, die auch am letzten Abend des Jahres Licht sparte und mit den Hühnern schlafen ging, und Cajetans Eltern besaßen die schöne Honoratiorenschenke am Ring, feierten jetzt unten im Lokal mit den Stammgästen und überließen überhaupt den Sohn mehr sich selbst. Die beiden, der Lange und der Kleine, durch Körperhaftes in ihrer auffälligen Zusammenstellung unverkennbar, waren also die für sie allzu helle Mautstraße hinuntergegangen und ganz offenkundig in »ihr Lokal« eingeschwenkt, indes die andern noch zu Haus »familiensimpelten«. Denn wenn die Mitschüler sich in die Schatten der Häuser drückten, hoffend, wenn schon gesehen, doch vielleicht nicht erkannt zu werden, gaben Cajetan und Ferdinand ihrer prägnanteren Gestaltung gemäß diese klägliche Verklausulierung von Anfang an auf und schritten wie andere Erwachsene, die nicht unter der Fuchtel einer unzeitgemäßen Unmündigkeit gehalten werden, durch den erleuchteten Flur gradewegs ins Hinterzimmer. Augenblicklich befanden sich hier erst der Kolonialwarenhändler Klinke mit seiner Frau, die, das Nützliche mit dem Angenehmen verbindend, Silvester bei ihren besten Kunden zu feiern gedachten, und an einem anderen Tische fünf oder sechs junge Leute, Kommis aus einer Eisenhandlung, Buchhalter in Speditionsgeschäften, die sich von ihresgleichen wieder als etwas Besseres absonderten, einen sogenannten »Klub« bildeten, der bei Tanzkränzchen und Festtagskonzerten »korporativ« auftrat und sich bestrebte, die gravitätische Solidarität von Studentenverbindungen in Formeln und Allüren nachzuahmen. Cajetan und Ferdinand setzten sich an einen leeren dritten Tisch. Sie sprachen, wie nicht anders zu erwarten, von der Schule, insonderheit von den Aussichten für das Abiturium. Ferdinand, der sich nur kümmerlich in der Überflutung mit Latein, Griechisch, Mathematik über Wasser hielt, hatte große Bange vor den entscheidenden Arbeiten. Er rechnete immer wieder sein Soll und Haben zusammen, und versuchte auf alle Arten da einen Posten einzuschieben, dort einen auszumerzen, um doch noch eine einigermaßen erträgliche Bilanz für sich herauszuschlagen. »Wenn ich wenigstens noch die zwei letzten griechischen Arbeiten halbwegs genügend schreibe . . .« murmelte er, und »Hauptsache, ich schaff’ die lateinische Klausur . . .!« und »Im Französischen kann ich mich vielleicht noch mündlich rausreißen . . .!« Cajetan, der sich ja, trotz allem, durch die früheren günstigen Leistungen so stand, daß er schlechterdings nicht verlieren konnte, blieb ungerührt. »Das ist mir alles Wurscht,« erwiderte er, » ob ich das Examen besteh’ oder nicht, das nützt mir einen Dreck, bloß wissen möcht’ ich . . . bloß wissen . . . ich halt das einfach nicht mehr aus, wie der Ochse vorm Berg zu stehn! Wo liegt denn der Hund begraben, hä?« Ferdinand hörte kaum hin und buchte für sich kummervoll weiter Plus und Minus. Manchmal sagte er melancholisch »Na prost!« Abwechselnd schwebten die drei Töchter durchs Zimmer, immer aus der Küche ans Büfett nach vorn und zurück, mit den abgefeimten Gebärden von Zehnpfennig-Prinzessinnen, die nach dem günstigsten Augenblick schielen, um sich zur Entgegennahme von Huldigungen herabzulassen. Ihre Mutter aber prätzelte bei der Krämerfamilie wie ein Huhn auf seinen Eiern und gackste ab und zu verschlagen-betulich. Die Mädchen hatten sich endlich geeinigt: die beiden Jüngeren gesellten sich zu dem »Klub« aus der Eisen- und Speditionsbranche, die Älteste trat zu Cajetan und Ferdinand. Man bat sie, Platz zu nehmen, und bot ihr ein Glas Bier, sie nahm gnädig an und ersuchte darum, statt Bier Punsch trinken zu dürfen. Sie erkundigte sich nach den andern »Herrn«, plauschte vom Theater, schimpfte auf die Stücke und Schauspieler, die Cajetan heimlich gern hatte, und lobte was ihm ein Greuel war und die Komödianten, die vorwiegend in der »Roten Wage« verkehrten. Dann wurde Karten gespielt, und die beiden ließen den Fratz gewinnen, indem sie absichtlich falsch zugaben oder sich beim Zählen zu ihrem Vorteil irrten. Sie akzeptierte das als etwas Selbstverständliches und begann plötzlich auf ein paar Mädchen zu schimpfen, die sich in bezug auf Kleidung und Gehabe vom Gros der Backfische separiert hatten und jetzt durch klatschsüchtige Zungen in üblen Verdacht gebracht worden waren. Cajetan merkte unwillkürlich Blut und Galle in sich aufsteigen, bremste aber noch, wenn schon auf seinem Gesicht seine innere Meinung unschwer abzulesen war, und da Ferdinand nicht weiter auf das Gerede einging, ließ die Wirtstochter vorderhand das brenzliche Thema fallen und gab sich, insgeheim erbost, aufmerksamer dem Kartenspiel hin. Es wurde ungemütlich häklig, jeder verbarrikadierte sich in seinem Bau, und die Gasflamme sang recht aufreizend – da erschienen gottlob Kurt und August und brachten von häuslicher Grogseligkeit eine Atmosphäre noch unterirdischer, humoristisch säuselnder Berauschtheit mit sich, so daß gleichsam die ganze Stimmung um zwei, drei Umdrehungen höher hinaufgekurbelt wurde, wo sie sich nun wackelnd hielt, in ständiger Gefahr, hinabzufallen, zu zerschellen und am Erdboden die tausend bunten Scherben in Staub und Kot zu verlieren. Kurt, durch die trüb gewordenen Brillengläser blinzelnd, verbarg seine heute noch vermehrte, im Grunde gütige Unsicherheit in gesteigerter Burschikosität und August spielte noch schmalziger die Rolle des pathetischen Komödianten, die er sich selbst allzugern agieren sah. So kam auch über Ferdinand und Cajetan fast etwas Unechtes, hinter dem aber bei Cajetan das Ungebändigte noch lockerer an der Leine lag und noch subtiler auf seiner Hut und gefährlicher bereit, loszubrechen. Man saß jetzt zu Fünfen am Tisch, die Wirtstocher ließ sich, beinahe versöhnt, von August hofieren, ohne daß sie merkte, wie er sich plumpzotig über sie mokierte, Kurt mußte am Klavier die neuesten Operettenschlager wiederholen, Cajetan und Ferdinand würfelten Schnäpse aus. Hernach läutete es »Zwölf«!, der »Klub« rannte mit den Gläsern auf die Straße hinaus, die Wirtin spendierte Grog, alles gratulierte sich durcheinander, Kurt bekam eine melancholische Anwandlung, und klimperte »Verlassen . . . verlassen . . .«, man riß ihn weg, warf ihm den Kasten vor der Nase zu, hin und wieder blitzte das Grölen und Getobe von draußen herein, Ferdinand schrie: »Wenn ich nur das Abiturium besteh! . . . aus dem Affenzirkus raus! Bloß raus!«, August beugte sein Knie vor der Wirtin und knödelte: »Ihr holden Fraun, ganz im Vertraun . . .«, dann flüsterte er unvermittelt: »Ich muß aber heut wieder aufschreiben lassen!« Kurt ließ grundlos ein Lachen erdröhnen, die Klubisten kamen im Gänsemarsch zurück, die geleerten Gläser in der Hand, und sangen »Freut Eu . . . euch . . . des Lä . . . bens . . .«, der Kaufmann aber und seine Frau schmorten wie befriedigte Zuschauer schmunzelnd im Sofa, als sei das alles nur ihnen zu Ehren und zur Belustigung angestellt, und die Wirtin gluckste applaudierend: »Das sein Ihnen zu tepsige Brieder!« Plötzlich entstand eine Pause, und für einen Moment wurde die jähe Lautlosigkeit so starr, daß sich Cajetan in vager Geniertheit bewußt war, wie er sich seiner eigentlich zu schämen hätte. Er wagte kaum aufzuschauen, und als er es tat, glaubte er in den Mienen von Kurt und Ferdinand Ähnliches zu erblicken. Indem er sich nach August umsah, der sich am Bierhahn zu schaffen machte, stocherte eine spitzige Stimme in die Stille: »Und das mein ich halt doch, so anständig wie wir hier, werden die Wirbels- und Schmaritzky-Töchter nich Silvester feiern!« Cajetan war es, als bohre man ihm im Zahnnerv, aber er hörte sich noch ruhig und sachlich etwas entgegnen, von »gerichtlich festgestellt« und »arme Mädels, die genug unter den Neidhämmeln zu leiden hätten«, da sah er, daß die Alte den Kopf schief legte wie ein Huhn und, wie an den einzelnen Worten würgend, sekundierte sie: »Und das sag ich, wenn das meine Töchter wären, die prügelte ich, daß sie nicht mehr loofen könnten . . . Sich so auftakeln und immer für wer-weeß-was halten . . . Jetzt hat man’s gesehn! . . . Eene Krähe hackt der andern die Augen nich aus! . . . Aber, wenn se schon so rumwetzen, da weess man schon!« Und nun fiel alles über ihn her: er sei verliebt in die, deshalb die Verteidigung, und neulich Abend hätte man sie noch allein nach den Wällen gehn sehn, und in der Kirche seien sie nie, aber im Theater . . . freilich, was die dem Cajetan bieten, könnte ihm in der »Roten Wage« nicht geboten werden . . . Einer fing schon an, sich wohlgefällig schmutzige Details auszumalen . . . Das Krämerehepaar seufzte eingeschnappt, mißbilligend . . . Cajetan war einfach wehrlos, der Überschwang der Gehässigkeit drohte ihn zu ersticken . . . alles wirbelte, neben dem Ofen tauchte die gemeine Fratze Augusts wie eine fleischgewordene Obszönität auf . . . Cajetan ergriff, mit Vehemenz das Bierseidel, das zerkrachte an den Kacheln . . . Tische kippten, Gaskronen sausten, wie geriet der Fetzen Seide zwischen die Zähne? Das Stuhlbein war also auch kein rechter Halt – nicht der Katze auf die Pfoten treten! – Kreischen, Fluchen, Türen zugehauen . . . draußen . . . im Hofe fallen Gegenstände hohl auf die Steine und etwas summt immerzu: »Fuchs du hast die Gans gestohlen – – –« Schließlich hockte Cajetan weinend wie ein Kind am Erdboden, vor den Herren vom »Klub« . . . Kommis aus einer Eisenhandlung, Buchhaltern in Speditionsgeschäften . . . und ließ sich von vier Klageweibern zünftig abkanzeln und heulte immer wieder auf, langgezogen, wie aus dem Keller heraus: »Wenn man doch eben nicht satisfaktionsfähig ist . . . man muß doch standesgemäß – –«
Im neuen Jahr kam er nicht mehr in die »Rote Wage«. Im März bestand er das Examen, es war ein schöner, lauer Abend, als er im schwarzen Rock sich nach Hause wiegte, dort wurde er wie ein Triumphator empfangen, eine Flasche Wein prangte auf dem Tisch, aber dem kleinen »Abschiedstrunk«, den die Mitprüflinge unten in der Restauration seines Vaters genehmigten, blieb Cajetan fern und war bemüht, in jener Zeit zwischen Examen und Universitätsanfang, sich ganz zurückzuziehen und eigen zu halten.