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III

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Cajetan war das einzige Kind der Schaltermannschen Eheleute. Herr Schaltermann, ein kurzer, korpulenter, sehr jovialer Kegel, war zuerst Schullehrer gewesen, hatte es aber bei irgend einem Gewissenskonflikte vorgezogen, sein Amt zu quittieren, dann hatte er alles mögliche probiert: sich abwechselnd als Reisender, Zigarrenkaufmann, Brauereibuchhalter ohne sonderliches Glück versucht, bis ihn ein Zufall in dieses gutgehende Restaurationsgeschäft führte, das mit seinem anständig vornehmen Betrieb auch wirklich der korrekt lehrerhaft gebliebenen Grundgesinnung des Mannes entsprach. Immer noch malte beispielsweise Herr Schaltermann Zahlen und Buchstaben wie Gestochenes, und jede Menukarte glich einem Musterbeispiel deutscher Schönschreibekunst. Frau Schaltermann war die Tochter einer wohlhabenden, frühverwitweten Bäuerin, besaß, da die zwei Frauen jahrelang allein auf ihrem Gute sogar über rumänische und galizische Erntearbeiter strenges Regiment zu führen wußten, die ganze selbständige Resolutheit einer Zarin und das herzhafte Verständnis für jedes Seineneignen-Weg-Gehen und hatte auch tapfer einst die Hochzeit mit dem Stellungslosen durchgesetzt, der vor der Beschränktheit ihrer Dorfgenossen als der »weggejagte Lehrer« verschrieen war. Ja, es bedeutete recht eigentlich ihr Verdienst, wenn später ihr Mann ausgehalten, mit unverwüstlicher Hoffnungsfreudigkeit immer wieder etwas Neues ergriffen hatte und endlich doch noch glücklich in dieser behaglichen Sinekure gelandet war. In der Hauptsache stand ihre raschentschlossene und unbeirrbare Tatkraft auch hier dem Hauswesen vor, sorgte dafür, daß ihre Küche als die reellste der ganzen Stadt allenthalben gerühmt wurde, und verstand es überdies, die Kellner und Kellnerburschen am Zügel zu halten, indes der Herr Gemahl mit seinem schwerfällig weitausholenden, gründlichen Debattieren, das aber von Freundlichkeit knusprig war wie ein Sonntagsbraten, einen gediegenen Kreis zahlungskräftiger, wohlbewürdeter und trinkfester Stammtischler sich gleichsam in familiärer Vertraulichkeit verbunden hielt. Diesen beiden Leutchen also, nachdem ihnen erst drei, vier Kinder gleich nach der Geburt gestorben waren, wurde endlich in Cajetan eine Art Erfüllung ihrer tiefsten Wünsche geschenkt, und sie hatten nun diese letzte Verheißung zum Besseren mit der ganzen verwöhnenden Liebe der oft Enttäuschten gehätschelt und gehuschelt. Sie hatten sich auch beide fest versprochen, diesen Spätling so zu stellen, daß ihm unbegrenzte Unabhängigkeit und Geborgenheit für immer gesichert sei. Sie hatten ja beide ihre Erfahrungen. Und »Freund, ich bin zufrieden, ’s gehe, wie es will, unter meinem Dache leb’ ich froh und still«, sang die Mutter oft.

Cajetan, der schwächlich und anfällig geblieben war, wurde während der ersten Knabenjahre in der Obhut des Papas gehegt und gepflegt; früher als gewöhnlich ward ihm bereits das Lesen beigebracht, und da der Junge die Studier-Neigung zu des Alten großer Freude geerbt hatte, vermißte er nichts, wenn er nur über Karl-May-Schwarten oder Bilderschmökern kauern durfte, und so blieb ihm das Herumtollen mit Kindern gleichen Alters ganz und gar unbekannt. Dann kam er auf das Gymnasium, und die Reaktion trat ein. Cajetan wurde zwar von Anbeginn ein Musterschüler, aber was an Lesbarem nicht mit dem von der Schule Geforderten zusammenhing, lehnte er ab – er war vorderhand übersättigt. Statt dessen machte er mit dem Vater Spaziergänge, botanisierte, sammelte Steine, zuerst immer ganz hingegeben, aber desto gründlicher schlief nach einiger Zeit jedesmal der allzu stürmische Enthusiasmus für diese Dinge ein. Und das machte sich auch ziemlich unauffällig, und ohne daß eigentlich beide Teile etwas davon merkten: der Vater war im Geschäft, die Mutter in der Küche, und Cajetan kam oder ging, war da oder nicht da – er hätte selber keine Auskunft darüber geben können. Die Zeit der ersten Liebe überstand er besser als mancher Altersgenosse, sei es, daß er erblich so gut wie garnicht belastet war, sei es, daß Gott es besonders gut mit ihm meinte: es zwitscherten da bei seiner Mutter Kochfräuleins aus bester Familie herum, Förstertöchter haben heißes Blut, und der schüchterne Cajetan konnte als verlockender Gegensatz gelten – genug: Cajetans Erkenntnis lautete im tiefsten, weiter nicht nachhaltig berührten Herzen: So viel ist gar nicht einmal dran! Und mit diesem Punktum blieb er, nichtssagende, mehr aus Neugierde geborene Ablenkerchen ausgenommen, für immer gefeit. Im übrigen: er lernte, und er erlebte sich selbst. Dabei trug und beschützte ihn der geregelte Apparat dieses ihm so geläufigen Bezirkes und sorgte dafür, daß nichts störte; in Wahrheit freilich war er eigentlich für das sichere Glück solcher Umhürdung bis zu dem Zeitpunkt blind geblieben, an dem er, als vom Schulzwange frei, die Augen weiter zu öffnen sich anheischig machte, hatte es stets als etwas Gebührendes hingenommen.

Jetzt, da er von der Etikette einer fatalen Schein-Untergebenheit erlöst war, ward er auch mehr unter die Leute gemischt und die Leute mischten sich zu ihm. Der Vater reichte ihn unten am Stammtisch herum und verstaute ihn hinter einem Maßkrug, der Cajetans Initialen am Deckel trug. Da taten sich Gesichter, die lange für Cajetan nur wenn es hochkam die flüchtige Bedeutung konstanter Orientierungspunkte gehabt hatten, weiter auf, und aus wichtigen oder tolpatschigen Gebärden deuteten sich Entdeckungen an, die dicht bei dem Pole zu liegen schienen, an dem die dem Cajetan verheißene oder vielmehr angedrohte Urmacht verankert sein mußte. Natürlich ging es darum, was Cajetan studieren sollte. Der Vater behandelte mit Ausdauer und Gründlichkeit die Aussichten und Zweckmäßigkeiten aller vier Fakultäten, wobei er der ihm von seiner Lehrerzeit gebliebenen Unart, häufig schwungvolle Zitate als Ornamente anzubringen, wollüstig frönte: oft flocht er auch Statistiken ein oder rannte nach dem Konversationslexikon und las eigensinnig Tabellen vor. Der reich gewordene Wachszieher begann drocksend von seinem Sohne zu erzählen, der in Breslau Kaplan war; den Ausdruck »Dogmatik«, den er auf der ersten Silbe betonte, umknixte er mit besonderer Scheu, und die Worte blieben ihm wie die Biertropfen am Barte hängen, bis er sie mit einem schnurzlichen »Mein Herr filius« sauber ableckte. Da steckte der Landmesser mit dem Kropf ein spöttisches, wohlfeilnachsichtiges Zucken auf. Zu Haus war er nur geduldet: die Seinen – eine Frau, die Büfettdame gewesen war, und eine Tochter, die es lieber hätte werden sollen – warfen ihm plebejische Manieren vor und begleiteten noch seine Geste des Zahlens, die einzige, die ihm erlaubt war, mit Vorwürfen über mangelndes Handelstalent. So war der Stammtisch ein Zufluchtshafen für ihn, in welchem er sich gleich immer für alles schadlos hielt. Doch selbst hier noch war ihm volle Ellbogenfreiheit nicht vergönnt; er durfte seine Witze nur sehr versteckt loslassen, denn durch verschiedene Spekulationen in Schwierigkeiten geraten, war er dieses und jenes Schuldner geworden, und das »Hüte dich, feins Blümelein!« klang immer warnend in seinen Ohren. Jetzt nahm er das Thema wie eine Waage in die Hand und belastete die andere Schale mit seinem Egon, der eben Fahnenjunker geworden war, daß die Schale mit dem Kaplan des Wachsziehers hoffnungslos sank und der Vater Schaltermann den Brockhaus mit der Rangliste vertauschen mußte, denn die meisten hatten gedient und legten nun die Nummern von Regimentern wie sorglich aufbewahrte Schmuckstücke hin, deren Goldgehalt jeder eingehenden Prüfung standhalten wollte. Bis der krummbeinige Jonschert sich an die Unterhaltung machte und sie sich wie einen Schemel unter das Gesäß schob, den er nun lange nicht mehr zu verlassen gedachte. Seine Glanzperiode, von der er bis an sein Lebensende zehren würde, war ihm als einem Ratsmanne von Winzig geblüht, und dort hatte er es sich angewöhnt, so pratschig laut zu reden, als ob immer alle schliefen. Er wischte erst die Zunge einmal durchs Maul und schob mit der gepolsterten Hand die Manschette zurück. »Der . . . der . . . der . . . also betreffende . . . Herr Professor Nimmschick, der hat . . . hat . . . neulich mit mir gesprochen über die . . . die . . . also betreffenden Abiturienten. Ich war . . . war . . . vor dem Essen noch mal über den Damm gegangen, nämlich, die Inf antristen, die kamen von Buxdorf, und da . . . da . . . da traf ich, also den Herrn . . . betreffenden Herrn Professor Nimmschick, und da kamen wir also so drauf zu sprechen, ich weiß nicht mehr, wovon’s alles ging, und da sagte der: Nein . . . nein . . . nein . . . nein, die . . . die . . . die betreffenden Philologen, die haben nämlich gar keine Aussicht jetzt auf Anstellung, für . . . für fünf, sechs Jahre ist alles überfüllt . . . aber . . . aber die . . . die Ingenieure, die Ingenieure also betreffend, die sind heut’ noch am besten dran! . . . prost, prost, prost, pröstchen . . . zum Wohle . . . zum Wohle . . .« Cajetan dachte nach, warum sich alle von dem alten Kracher so tyrannisieren ließen, und warum sich niemand dieses unhöfliche Schreien verbat; in Winzig, wo er sich durch Wucher und Güterschlächterei ein beträchtliches Vermögen zusammengegaunert hatte, durfte sich der »verpuchte Kravattenmacher« nicht mehr blicken lassen, und nun thronte er hier und führte das große Wort, und alle wußten doch, wie es um ihn bestellt war. »Das . . . das . . . das beste, also, ist heutzutage wirklich noch ein betreffender praktischer Beruf . . . die, die anderen Karrieren dauern . . . dauern immer länger . . .« Und plötzlich sprach er von seinem eignen Sohne, einem gutmütigen Dümmlinge, der unter des Erzeugers Schäbigkeit am schwersten zu leiden hatte, der sitzen geblieben war und jetzt auf einer sogenannten »Presse« zum Examen gedrechselt wurde, und fing ganz zügellos an, gegen irgendeinen Lehrer zu wettern, der an des Sohnes Mißgeschick Schuld sein sollte. »Der . . . der Lump, der also betreffende, der . . . der gemeine Schuft, der hat also meinen Moritz nicht leiden gekonnt . . . wir wohnten nämlich auf ein und demselben Flure, und da hab’ ich mir mal mittags, also, das Klavierspielen verbeten . . . also, so ein Geklimper, da muß man doch seine Ruhe haben, man . . . man hat doch also auch seine betreffenden Nerven nicht auf dem Miste gefunden! das . . . das . . . ist doch eine Gemeinheit! die . . . die reine Niedertracht ist das! und da . . . da hat er . . . hat er . . . meinem Moritz immer also betreffende Aufgaben gestellt, die nämlich gar nicht zu lösen gingen . . . der . . . der . . . Gott verzeih’ mir’s! . . . Hund, der verfluchte! Der . . .« Cajetan griff wie in etwas unleidlich Klebriges, es hing sich an, daß man die Hände kaum noch erheben konnte, und dabei mußte er immer in dies gelbe Ledergesicht des Jonschert sehen, aus dem uneindämmbar diese penetrante Flut von Worten quoll. Cajetan suchte nach einem Floß, er wollte es daraufhin wagen: Wer redet überhaupt in unserer Stadt am lautesten? Zuerst sah er nur ganze Heerscharen von Pensionierten, Abgetakelten, Rentnern, Ausrangierten, die das ihre im Schuppen hatten und unter dem Schlußstrich ihrer mehr oder minder reinlichen Summierung wohlgefällig hinfaulten. Mit einem Male war es ganz hell vor Cajetan: Dieser ganze Ort war vorzüglich eine Burg der Alten, auf dem Guanohügel ihres Vergangenen hockten sie und blinkten mit abfälligen Schnäbeln auf das verabscheute offene Meer! Um neun Uhr früh kamen sie aus der »Faulenzermesse« gekrochen wie malade Küchenschaben, knabberten mäkelnd an dem und jenem Gemüsestand, der und jener Schaufensterneuigkeit, und schlieferten grüppchenweis, eine zudringliche Demut recht demonstrativ zur Schau tragend, zum häuslichen Frühstück. Nachher humpelten sie knickebeinig durch alle Gänge des Stadtparks, immer zu zweien oder dreien, morchelten sich laut politisierend hin und her, blieben wieder stehen und zeichneten Pläne in den Sand oder gestikulierten sich irgendwelche Handhabungen vor, und jeder dieser ehemaligen Tütendreher oder Bäckermeister mimte vor sich einen Major a. D. auf der Homburger Kurpromenade. Überall krächzten und kramten diese verkalkten Rentenkrauter, das Stadtparlament wimmelte von ihnen, und der alte Herr Schaltermann sogar hatte sich einmal, als eine ihm nachteilige Steuer beschlossen worden war, zu dem Ausbruche hinreißen lassen: »Die Tapergreise nicken doch bloß mit ihren Glatzen und hampeln, wie man sie hampeln läßt!« Aha!, dachte Cajetan, es gibt also auch über diesen Jubilaren noch eine Instanz, und beschloß, die Lupe sobald nicht aus der Hand zu legen, Öfter als früher machte er jetzt dem Tierarzt seine Visite, aber die Frage, warum »sein berühmter Gelehrter« denn nicht einer Stadt, die ihn so mißachtete, für ewig den Rücken kehrte, fand fürs erste keine zufriedenstellende Antwort. Denn daß der Viehdoktor viel Rühmens machte von einer Einladung, die dem» gelehrten Freunde« von einer Zeitungsgröße Berlins zugegangen sein sollte, brachte die Karre Cajetans auf ihrem Dreckwall keinen Schritt weiter. Und er war doch scharf darauf, den Feind, den er überall witterte, um jeden Preis einmal richtig zu fassen. Er fing an, sich Aufzeichnungen zu machen; er war ja als Sohn seines Lehrervaters so organisiert, daß er sich schriftlich treffender Rechenschaft abzulegen verstand und ihm die Dinge schwarz auf weiß ihre Zusammenhänge klarer offenbarten. Wenn man erst mal den Federhalter ergriffen hatte, wurde man um soviel klüger und überblickte alle Richtungen um so eher, daß der Einseitigkeitsfanatismus des eignen Ärgers unter den kritischen Gesichtspunkt eines Hans-über-allen-Gassen gerückt war. Cajetan freilich brauchte anfangs noch System: er baute sich einen Rahmen und versuchte hübsch sauber jegliches dahinein zu praktizieren, und auch die andere Gefahr, ein abseitiger gelegenes Fort über Eselsbrücken zu beschleichen, blieb ihm nicht erspart, wie er schon etwas von der Zwickmühle zu ahnen kriegte, daß man den Feind sehen muß, um ihn ins Herz treffen zu können, aber daß eben dieses bis zu Ende Sehen den Schwachen unfähig macht für den entscheidenden Schlag. Er notierte sich zwei Lager dieser Stadt: ein priesterliches und ein militärisches, die er irgendwie voneinander abhängig oder gar bedingt fühlte. Er lächelte. »Wie die Stadt als alte Garnison in der Kriegsgeschichte einen Namen hat, so entwickelte sie sich auch im Laufe der Zeit zu einem befestigten Orte in kirchlicher Hinsicht und bewehrte sich mit kirchlichen Außenbastionen oder Klöstern« – und er spürte wie eine wollüstige Genugtuung, daß dieser Satz seinen stoßparaten Geist satt machte. Doppelpunkt: – jetzt galt es, sich erst recht tummeln! Er addierte und subtrahierte drauf los: Invaliden, Kirchenabonnenten, Livreen – Hurra! es ging ja doch alles in einen Topf, und das Formular war so gut wie vorgedruckt, man durfte sich etwas geschwülstiger ausdrücken: Autoritätsgläubige wurzelnd im Althergebrachten! Jetzt erst rannte er durch die Straßen wie einer, der sein Examen bestanden hat. Da er letzten Endes noch ganz und gar nicht frei war, wurde er frech und stierte jedem unter den Hut und pfiff, wo er einst kaum den Mund gespitzt hatte. Und kostete eigentlich nun auch erst den Vorzug dieses, im wahrsten Sinne des Wortes, Zeithabens aus.

Allerdings standen einem dabei soviele Möglichkeiten zur Verfügung, daß man ganz unentschlossen werden konnte, in welchen Napf zuerst zu gucken am rätlichsten wäre. Früh saß Cajetan mit der Mutter allein am Kaffeetisch – der Vater, nach ausgedehnter nächtlicher Sitzung, schlief gewöhnlich noch – und machte Pläne. So gut schmeckte der Kaffee wie nirgends sonst, drei Tassen trank die Mutter und aß Fettschnitte und kuschelte vor ihrer großen geblümten Tasse wie ein Häschen, und noch warme Zwiebacks gab es immer, und man durfte sogar Butter darauf tun. Darüber herrschte Einigkeit, daß Cajetan Jurist werden sollte, dann zumindest sich den Doktortitel erwerben, nachher könne er immer noch tun und lassen, was ihm beliebe. Dabei kam die Mutter ins Erzählen. »Gestern Morgen, wie ich fürs Vatel aufs Landratsamt gehen mußte wegen seiner Vormundschaftssache, denk’ dir, da hält mich auf einmal die Mommerten an. Und da kam sie so hintenherum und tat, als könnt’ sie nicht bis auf drei zählen, und fragte, was du studieren würdest . . . und wo . . . Ihr Franz wisse noch gar nicht . . . Er hätte ja auch noch ein Jahr Zeit . . . Bei Jura gäbe es wenigstens Stipendien von der Stadt . . . und sie hätte auch noch keine Ahnung, wo sie das Geld hernehmen solle, denn es werde doch außerdem noch genug kosten und habe schon soviel gekostet. – Du! das scheinheilige Reff, das! dabei hat sie noch nicht einen Pfennig für ihn ausgegeben, denn er kriegte ja schon von Sexta an mehr Stipendien, als er brauchte . . . Er wußte doch auch drauf zu laufen, er ist doch ihr Sohn, na, und im Klinseln ist sie doch Meister, und dann hat er sich durch Stundengeben schönes Geld gemacht, und sie hat ja das Haus und die Pension! Und nachher fragte sie so ganz unbefangen, du würdest doch wahrscheinlich einer Verbindung beitreten, du könntest es dir ja leisten und . . . und das Biertrinken, das wärst du ja wohl schon von Haus aus gewöhnt – na, da hatte sie mich grade, wie sie mich haben wollte, ich meinte: O ja, ein Duckmäuser war mein Cajetan Gottseidank nie! Und dann sagte ich ganz kurz angebunden: es täte mir leid, aber ich müsse wieder ins Geschäft, ich hätte nicht soviel Zeit, und sie solle nur entschuldigen, und weg war ich – nu ja, ’s ist ja auch wahr, die falsche Schalaster steht immer noch um Elfe auf dem Markte ’mm und klabatschkert, ich möchte bloß wissen, wann die was kocht – und so ein heimtückisches Getue kann ich nun mal für den Tod nicht verknusen! . . .« Ordentlich jung sah die Mutter aus in ihrer aufrichtigen Entrüstung, und dann schmeckte der Kaffee noch einmal so gut und wie nirgends sonst, wirklich, wie nirgends sonst! Aber das Bewußtsein, daß in dieser Stadt etwas Hassenswertes immer und überall vorhanden war, wuchs. Und mit jeder Stunde im Tag ward es eklicher fühlbar und, ohne daß es sich haschen ließ, saß es einem doch zuletzt, nicht abzuschütteln, an der Kehle. Wie im Fieber flatterte Cajetan durch die Straßen und umfädelte den protzigen Förster Knöterich mit einem Geflecht von Argwohn – der stampfte so breitspurig, als hätte er Rom zu bewachen, der alte Narr, und im Kriegerverein schmauchte er an verqualmten Tiraden und blies seine gute Gesinnung wie Rauchringe beifallsheischend in jeden Kneipenlärm, denn wo es Freibier gab, da haftete er wie eine Klette fest und sackte sich voll und schwadronierte und dann immer hin und her auf Patrouille, wo die Bahnerfrau wohnte mit dem weiten Busen, da verdrehte der Ehekrüppel, der morsche, sich schier den Hals. Auf der andern Seite der Straße watschelte der alte Schuppe, der pensionierte Glöckner, den die Kirche reich gemacht hatte, seine Frau, die rutschte sich die Kniee wund, und der Sohn, der wurde natürlich Pfarrer, aber ging man nachts in die »achtzehn Stufen«, da sielte er sich mit der Magd im Sekt. Ja, das war auch bei Nacht, und nicht am Tage! Und da fuhr der Brauer Hippel vorüber, in seiner Uniform versteht sich, der war also wieder mal eingezogen und protzte sich bei der Kundschaft herum. Cajetan hätte heulen mögen und wußte eigentlich selbst nicht mehr, weshalb. Vor ihm schlappte der Herr Fabrikbesitzer, der tat immer, als müsse ihm jeder die Schuhe putzen, und man raunte von einer halben Million, und plötzlich ging ganz drüben der Hauptmann Schinkel, der Fabrikbesitzer grüßte, der dankte, da kroch er fast in seinen Kragen hinein vor demütigem Entzücken, und dann traf er den Schuppe, und nun salbten die zwei: »Ein zu netter, freundlicher Herr, der Herr Hauptmann!« Dem Cajetan war just wie seekrank zumute; ja sollte der Säbelträger sie vielleicht angespuckt haben, die taten wahrhaftig, als wäre das ein Wunder, daß sich so einer auch wie ein Mensch benimmt! Cajetan überraschte sich selber dabei, daß er nicht übel Lust hatte, um sich zu schlagen. Die Tiergesichter da und da! es war die höchste Zeit, Schluß zu machen! Wurde er denn ein Sonderling mit der Gramfalte? Zum Dompteur fühlte er sich jedenfalls noch nicht standfest genug: wer war auch so einem Ansturm gewachsen? Die Kinder schon, die noch im Wagen muffelten, blähten so vollgefressene, meschante Backen auf, und die im Sande herumpopelten, warfen Steine nach seinem Hunde und kreischten hinter ihm her, und Frauen quirlten wie Haubenstöcke und hatten Stimmen wie zerbeulte Gießkannen oder als ob Spülicht in einen Gulli klackt, und eine war wie ein Mops um die Nase und bellte. Abends kratzten abgetrieben dürftige Mädel um den Ring, und hinter den Fenstern röhrten fadenscheinige Migucken in Visionen ihre Hälse aus, und Zoten flogen wie Harpunen von Lehrlingen, Soldaten, Chauffeuren und herumlungernden Caballeros und zerrten sich das Ihre in den Stadtpark, und mancher Einspänner leuchtete dann nicht erfolglos mit seiner Taschenlampe plötzlich in das Geheimnis einer verschollenen Bank. Dann gab es noch Vereine, in denen alle Niedertracht in Statuten gefaßt zu einer ständigen Einrichtung gemacht zu sein schien, wo jeder den räudigen Affen des Nächsten mit Zucker fütterte und Gruß und Erkennungszeichen nicht anders hieß, als: »Es war immer so!« Cajetan trat die Tage in den Rücken, daß sie sich beeilen sollten. Zuletzt lud ihn noch der Kartell derjenigen Verbindungen ein, die Fleisch vom Fleische dieser Stadt und ihren Herren ein Wohlgefallen waren, und da wurde seltsamerweise auch der Vater Schaltermann so energisch, daß Cajetan hingehen mußte. Er staunte: dies Band trugen ja alle, alle, vom Bürgermeister bis zum Schlachthofdirektor, und der Religionslehrer war vorhanden, und das Ekel von Mathematiker, und taten so sanft mit Cajetan wie mit einem weichen Ei, und, wenn man sich auf die Satzungen verpflichtete, durfte man sie duzen. Cajetans ehemalige Freunde waren auch eingeladen und konnten nach dem siebenten Glase weder diesem »Du«, noch dem Glanz von Mütze, Band und Volksachtung widerstehen – oder war es, daß die »Bundesdamen« so hold zu lächeln verstanden, und der Bombasmus der schwefelnden Prinzipienreden zu überzeugend brauste? – jedenfalls: Cajetan war nun eben einmal ein Gastwirtssohn und blieb nüchtern bis zum Abgang, und sooft er in den Hof hinaustrat, reckte er sich nach den kühlen Sternen und atmete tief auf, und als er nach Hause kam, wusch er sich sorgfältigst in frischem Wasser und pfiff noch im Bett die Strophe des Kommersliedes: »Wer die Wahrheit kennet und saget sie nicht, der ist fürwahr ein erbärmlicher Wicht!« Aber er pfiff es so ganz anders, als die dort an der Kneiptafel es gebollert hatten, und man wußte nicht recht, ob er dazu schluchzte oder auf eine aufwiegelnde Art sich zu lachen unterstand.

Und ein paar Tage drauf fuhr er nach München.

Cajetan Schaltermann

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