Читать книгу Das Weg ist das Ziel - Max Kohlhaas - Страница 7
Komm' zur Ruh'
ОглавлениеIch werde umgedreht und entdecke, dass die Ecke in der ich stehe gar keine ist, wie konnte ich so etwas nur übersehen? Es ist ein Flur, der entlang der Wand des Geschäftes führt, beziehungsweise wohl eher die hintere Wand des Geschäftes bildet. Wenn man von außen hineinschaute, konnte man es nicht erkennen, aber hier sehe ich zwei Türen und noch eine Abbiege die nicht einzusehen ist. Wir gehen wie selbstverständlich, aber doch bedrückt und ängstlich vor dem was kommt, zu der linken Seite der eigentlichen Bücherei weg, auf eine Tür zu.
Wie ein Arzt auf dem Weg zum Zimmer des Patienten mit der unbekannten Krankheit, die sich zwar in bekannten Symptomen äußert, aber nicht auf die üblichen Medikamente reagiert, komme ich mir vor.
Der jüngere der alten Männer öffnet die Tür und ich bin immer noch in der Arztrolle eingefroren. Da stehen tatsächlich zwei Betten wie sie im Krankenhaus üblich sind.
Der Raum ist dunkel, alles Licht was hinein fällt, stammt aus dem Geschäft und wird indirekt über die Wandreflexion nur noch geschwächt ins Zimmer getragen.
Das Zimmer selbst besitzt weder eine Lampe noch ein Fenster.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, ergeben sich Muster in einem der Betten, das andere steht leer. Ein dickwangiger, lebloser Bub von vielleicht 22 Jahren liegt auf dem Rücken, den Blick durch die geschlossenen Augen zur Decke gerichtet. Ich denke schon wieder an einen alten Schulkameraden, diesmal ist mir der Gedanke freundlicher erschienen, da ich mit dieser Erinnerung zumindest eine Zeit lang befreundet gewesen bin und sie mochte bis zu einem ungewissen Zeitpunkt.
Doch bevor ich weiter forschen kann, löst sich meine Erinnerung wieder auf. Der Junge steht aus seinem Bett auf und ist ein Mädchen, ein Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Eine kurze Frisur, viel zu ordentlich dafür, dass sie gerade erst aufgestanden ist. Sie trägt ein weißes Nachthemd. Es fällt an ihr herunter, als wäre es frisch gebügelt. Ich vermochte sogar einen Hauch des Bügelgeruches kurz zu erhaschen, vielleicht auch nicht.
Im Eingangsbereich des Raumes steht ein Tisch mit zwei Stühlen. Sie schwebt lautlos darauf zu. Als sie dann vor mir sitzt, setzte ich mich auch hin.
Sie beginnt zu reden. Ich höre ihr nicht genau zu. Eigentlich überhaupt nicht. Weil mich die Situation in der ich mich befinde, viel zu sehr beschäftigt und in eine Traumwelt reißt.
Jeden Moment dachte ich, ich sollte aufwachen und mich fragen, wieso ich an alte Schulfreunde dachte, jeden Moment dachte ich, sie reißen alle drei ihre Masken runter und entpuppen sich als meine drei besten Freunde, die mich, eben weil sie mich so gut kennen, exzellent hinters Licht geführt haben.
Doch nichts passierte, sie redet weiter.
Ihr Gesicht fällt plötzlich in sich zusammen, sie sackt in sich ein und bevor ich, aus meiner Träumerei gerissen, etwas fragen kann, werde ich schon wieder weitergeschoben, raus aus dem Raum, mit einem freundlichen: „Sie ist müde, sie muss etwas schlafen. Sie sind aber auch ein guter Zuhörer.“
Während ich hinaus geschoben werde, kann ich bei einem Blick zurück eine kurze, Macht ergreifende Handbewegung des alten Mannes gegenüber des Mädchens ausmachen.