Читать книгу Die krankheiterregenden Bakterien - Max Löhlein - Страница 3
Einleitung.
ОглавлениеKurzer Abriß der Geschichte der Erforschung der krankheiterregenden Spaltpilze. – Athanasius Kircher. – Leeuwenhoek. – Der Streit um die »Urzeugung«. – Ferd. Cohn und Naegeli. – Pasteur und Robert Koch. – Die Konstanz der Bakterienarten; die »Spezifität« der Krankheiterreger.
Unter den Krankheiten, die das Menschengeschlecht bedrohen, sind eine ganze Anzahl durch die auffällige Eigenschaft ausgezeichnet, »ansteckend« zu sein, d. h. von einem kranken Individuum auf ein anderes bisher gesundes übertragen werden zu können, so wie eine Feuersbrunst durch den Funken verbreitet wird, der vom brennenden Hause auf das Dach des Nachbarhauses überspringt und es »ansteckt«. Die furchtbarsten Beispiele aus dieser Krankheitsgruppe stellen die eigentlichen Volksseuchen dar, die – wie Pest und Cholera – seit Jahrtausenden der Menschheit unübersehbaren Jammer gebracht haben, die auch heute noch nicht endgültig besiegt sind, wohl aber – dank den Fortschritten der Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten – für hochkultivierte Länder und Völker ihren Schrecken größtenteils eingebüßt haben. Die Menschheit hat Mittel kennen gelernt, diesen Gefahren mit Erfolg zu begegnen, seit als die Ursache der Seuchen kleinste Lebewesen erkannt wurden, Lebewesen, die größtenteils zu dem auf der Erde außerordentlich verbreiteten Reiche der Spaltpilze oder Bakterien gehören.
Schon lange vor der wissenschaftlichen Sicherstellung dieser wichtigen Tatsache hatten klar denkende Beobachter – Naturforscher und Ärzte sowohl wie auch Laien – die richtige Vorstellung gehabt, daß den Volksseuchen ein »belebter Ansteckungsstoff« (ein »contagium animatum«) zugrunde liege. Aber alle Versuche, dieses gefährliche Lebewesen zu finden und zu fassen, mußten an seiner Kleinheit scheitern: die Bakterien sind unsichtbar klein. Die größten unter ihnen haben Durchmesser von einigen Tausendsteln eines Millimeters (1/1000 mm wird als ein Mikron bezeichnet und 1 µ geschrieben), die kleineren einen solchen, der nur Bruchteile eines µ beträgt. Die ganze Welt der Spaltpilze von denen die krankheiterregenden nur einen ganz kleinen Teil bilden, blieb der Menschheit deshalb unbekannt, solange man leistungsfähige Vergrößerungsgläser – Mikroskope – noch nicht besaß. Die Erforschung dieser kleinen Wesen aber war in ihren Fortschritten auch nach der Herstellung des ersten Mikroskops abhängig von der Entwicklung und Verbesserung dieses Instruments, und sie ist auch heute noch längst nicht an ihrem Ende angelangt.1
Die ersten Beobachtungen von Bakterien sind gegen Mitte des 17. Jahrhunderts gemacht worden. Der gelehrte Jesuitenpater Athanasius Kircher, wohl der erste Mensch, der lebende Spaltpilze gesehen und beschrieben hat, besaß nur ein recht primitives Vergrößerungsglas, dem man den stolzen Namen Mikroskop heute kaum gönnen würde. Es soll eine 32fache (lineare) Vergrößerung ermöglicht haben, hat also gerade eben nur gestattet, größere Spaltpilze zu sehen. So ist es denn nicht verwunderlich, daß der gelehrte Pater, der ganz richtige Vermutungen über die Existenz kleinster krankheiterregender Lebewesen hegte, zu irrtümlichen Beobachtungen gelangte, da er außerstande war, Bakterien von anderen sehr kleinen Objekten zu unterscheiden. So fand Kircher bei einer im Jahre 1656 in Süditalien herrschenden »Pestseuche« mit Hilfe seines Vergrößerungsglases im Blute der Kranken kleine »Würmchen«, die er als die gesuchten krankheiterregenden Wesen ansprach – gewiß mit Unrecht, denn er hat wahrscheinlich nichts anderes gesehen als die sogenannten roten Blutkörperchen, kleine Scheibchen, die in unserem Blute immer vorhanden sind und einen seiner wichtigsten Bestandteile bilden. Athanasius Kircher war eben ganz auf dem richtigen Wege zum Ziele, aber mit seinen mangelhaften Hilfsmitteln konnte er es nicht erreichen.
Ein halbes Jahrhundert später erst gelang es den geschickten Händen Antony van Leeuwenhoeks, kleine Linsen so sorgfältig und gleichmäßig zu schleifen, daß sie alle bis dahin angefertigten an Vergrößerungskraft übertrafen; er vervollkommnete hierdurch und durch kleine anderweitige Kunstgriffe seine optische Ausrüstung in bisher noch nicht dagewesenem Maße und untersuchte nun – von Haus aus ohne jede naturwissenschaftliche Ausbildung – mit ihrer Hilfe allerhand Flüssigkeiten: Regenwasser, Pflanzenaufgüsse, Darminhalt von Tieren und Menschen, den eigenen Speichel u. a. m. mikroskopisch. Überall fand er – bald reichlicher, bald spärlicher – kleinste, vollkommen farblose »Tierchen«, die verschieden gestaltet, zum Teil lebhaft beweglich waren. Dank einer vorzüglichen Beobachtungsgabe und ebenso großer Zuverlässigkeit beschrieb Leeuwenhoek diese »Tierchen« so genau, daß wir sie heute mit Sicherheit als Bakterien wiedererkennen können. Auch gab er durchaus naturgetreue Abbildungen von ihnen, die die drei Hauptformen der Spaltpilze vollkommen richtig darstellen: alle die unzähligen Bakterien, die seitdem beobachtet worden sind, lassen sich ihrer Gestalt nach in kugelförmige (Mikrokokken), stäbchenförmige (Bazillen) und schraubenförmige (Spirillen) scheiden (s. Abb. 1). Freilich wechseln sie nach Dimensionen und kleinen Einzelheiten ihres Baues, wie wir sehen werden, in mannigfaltigster Weise, aber alle lassen sich auf einen der drei schon von Leeuwenhoek unterschiedenen Grundtypen zurückführen.
Abb. 1.
Die Hauptformen der Bakterien, schematisch. a Kugelbakterien (Kokken), b Stäbchenbakterien (Bazillen), c Schraubenbakterien (Spirillen).
Auf die Frage nach der Bedeutung der entdeckten Kleinlebewesen ging Leeuwenhoek, der aller Spekulation abhold war, gar nicht ein; er begnügte sich mit der Feststellung der Tatsachen, die die Existenz einer ganzen Welt kleinster Lebewesen bewiesen, von der man bislang kaum etwas geahnt hatte. Nur zu einer Frage nahm Leeuwenhoek Stellung: die Möglichkeit, daß die neu entdeckten »Tierchen« in das Blut eindringen und Krankheiten verursachen könnten, glaubte er – auf Grund falscher Vorstellungen von dem feineren Bau des menschlichen Körpers – ausschließen zu müssen. Darin hatte nun wiederum Leeuwenhoek trotz aller Überlegenheit seiner Beobachtungen unrecht gegenüber Kirchers richtigeren, aber falsch begründeten Anschauungen. Es hat aber ungefähr zwei Jahrhunderte langer wissenschaftlicher Forscherarbeit bedurft, bis die Rolle der Bakterien in der Natur und insbesondere ihre Bedeutung als Krankheitserreger in einwandfreier Weise klargestellt wurde.
Seit Leeuwenhoeks grundlegenden Beobachtungen hatte sich – mit zunehmender Verbreitung und allmählicher Verbesserung des Mikroskopes – eine immer größere Zahl von Naturforschern mit dem Studium der Bakterien abgegeben. Allmählich hatte sich die Anschauung durchgesetzt, daß die kleinen Lebewesen, die man zunächst, hauptsächlich weil man an manchen von ihnen lebhafte Fortbewegung beobachtete, als »Tierchen« angesehen hatte, dem Pflanzenreiche zugehörten. Wieder und wieder erörterte man auch die Rolle, die sie im Haushalt der Natur wohl spielen möchten; die richtige Anschauung, daß sie Fäulnis- und Gährungsvorgänge verursachten, tauchte immer von neuem auf, um immer wieder bekämpft zu werden, ebenso auch die Ansicht, daß Bakterien krankheiterregend wirken könnten. Es ist hier nicht möglich, ein auch nur annähernd vollständiges Bild von dem Chaos der Meinungen zu geben, die von Kircher bis Pasteur und Koch in dieser Frage zu Worte kamen.
Das allem Streite in letzter Linie zugrunde liegende naturwissenschaftliche Problem, das gelöst werden mußte, war dies: Sind die Bakterien ebenso wie höhere Pflanzen und Tiere streng nach Arten gesondert, so zwar, daß alle Bakterien, die wir finden, von Individuen der gleichen Art abstammen? Dürfen wir also annehmen, daß ein Kugelbakterium, dem wir begegnen, stets von Kugelbakterien der gleichen Art abstammt, ein Stäbchenbakterium von Stäbchenbakterien der gleichen Art – so wie wir es im höheren Tierreich und ebenso im Pflanzenreich gesetzmäßig finden? – Oder liegen bei diesen kleinsten Pilzen die Verhältnisse anders?
Sehr vieles sprach zugunsten der ersteren Anschauung; vor allem entsprach sie den Erfahrungen, die bei der Erforschung der lebenden Wesen unserer Erde bis dahin gesammelt waren. Der einwandfreie Nachweis ihrer Richtigkeit stieß aber auf eine sehr große Schwierigkeit: fast überall, wo wir in der Natur Bakterien in größeren Mengen begegnen, finden wir verschiedene, ja meist sogar sehr zahlreiche verschiedene Formen in buntem Durcheinander; z. B. treffen wir in einem Tröpfchen Zahnschleim regelmäßig kurze und lange, dünnere und dickere Stäbchen und Schrauben, daneben kleinere und größere Kugelbakterien miteinander vermengt (vgl. Abb. 2). Es war so gut wie unmöglich, an solchen Bakteriengemischen einwandfreie Beobachtungen über die Fortpflanzungsweise der Bakterien zu machen. So ist es verständlich, daß über diese Frage die Ansichten lange Zeit auseinandergingen.
Eine große Anzahl klar denkender Naturforscher nahm von vornherein den richtigen Standpunkt ein, auch diese Kleinlebewesen seien gewiß in Arten gesondert, und sie versuchten, sie den Prinzipien der beschreibenden Naturwissenschaften entsprechend nach ihren Gestaltmerkmalen in die natürlichen Arten zu ordnen. Der erste wesentliche Anlauf dazu wurde von dem berühmten dänischen Botaniker O. Fr. Müller genommen, ihm folgte der Deutsche Ehrenberg und später, in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts besonders Ferdinand Cohn.
Abb. 2.
Ausstrichpräparat von menschlichem Zahnschleim, gefärbt, etwa 1000fach vergrößert. Mannigfaltige Bakterien in buntem Gemisch.
Eine ganze Anzahl angesehener Forscher bekämpfte aber diese Versuche grundsätzlich; sie leugneten die Abstammung der Spaltpilze von Individuen der gleichen Art, weil sie glaubten, Beweise für eine ganz andere, sehr merkwürdige Entstehungsart der Bakterien zu besitzen, die man als »Urzeugung« oder »generatio spontanea« bezeichnete.2 Um diese Irrlehre entbrannte ein wissenschaftlicher Streit von größter Heftigkeit, an dem sich viele der angesehensten Naturforscher des 18. und 19. Jahrhunderts beteiligten.
Ihre Anhänger stützten sich auf die zunächst gewiß verblüffende Beobachtung, daß man in einer Flüssigkeit, z. B. in Milch, einige Zeit, nachdem man sie in einem gut verschlossenen Gefäß aufgekocht hat, massenhafte Bakterien finden kann. Sie folgerten nun: Da durch das Aufkochen alles Lebendige getötet sein mußte, ein Eindringen von Keimen von außen aber sorgfältig verhütet war, müssen die vorgefundenen Bakterien sich »von selbst« aus dem toten Substrat entwickelt haben.
Erst Anfangs der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts gelang es Pasteur, dem berühmten französischen Naturforscher, diese Irrlehre für die ernsthafte wissenschaftliche Welt endgültig zu beseitigen, indem er den Nachweis erbrachte, daß man durch genügende Einwirkung von hohen Temperaturen jede Flüssigkeit völlig keimfrei machen (»sterilisieren«) könne. »Von selbst« bildeten sich z. B. in wirklich »sterilisierter« Milch niemals Bakterien; brachte man aber absichtlich welche hinein, so gediehen sie angezeichnet. Alle gegenteiligen Angaben beruhten auf Irrtümern, die meisten darauf, daß man die vielfach erstaunlich große Widerstandsfähigkeit der Bakterien gegen Erhitzung noch nicht gekannt und daher unterschätzt hatte.
Noch eine zweite Irrlehre machte den Anhängern der Lehre von der Konstanz der Bakterienarten viel zu schaffen. Ihr angesehenster Vertreter war der Botaniker Naegeli, der sicher festgestellt zu haben glaubte, daß aus Kugelbakterien Stäbchen, umgekehrt aus stäbchenförmigen Bakterien Kugelbakterien hervorgehen können, und der deshalb alle Versuche für verkehrt ansah, auf Grund der Größe und Gestalt verschiedene Bakterienarten zu unterscheiden. Wir wissen heute, daß derartige Übergänge, wie sie Naegeli beschrieb, in Wirklichkeit nie vorkommen, daß sie aber bei Anwendung unzureichender Beobachtungsmethoden leicht vorgetäuscht werden können. Die Fehlerquelle liegt in der vorhin schon erwähnten Tatsache, daß man in der Natur sehr häufig Bakteriengemischen begegnet. Beobachtet man ein solches Bakteriengemisch längere Zeit hintereinander, so kann es leicht vorkommen, daß man anfänglich fast nur Kugelbakterien darin sieht, später nur Stäbchenbakterien. Derartige Erscheinungen erklären sich dadurch, daß Spaltpilze sich je nach den Bedingungen, unter denen sie leben, mehr oder weniger rasch vermehren. Wenn nun z. B. in der gerade beobachteten Flüssigkeit eine Stäbchenbakterienart besonders günstige Bedingungen für ihr Gedeihen findet, so kann es vorkommen, daß sie alle andern neben ihr vorhandenen Keime überwuchert, ganz ähnlich, wie das bei höheren Pflanzen vorkommt. Man denke z. B. an das Unkraut im Weizen. Durch solches Überwuchern kann dann eine »Umwandlung« der einen Form in eine andere vorgetäuscht werden.
Solange aber das Irrtümliche dieser Beobachtungen nicht erwiesen war, konnte auch die Ansicht von der Konstanz der Bakterienarten nicht zum Siege gelangen, obwohl ihr seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer neue Stützen durch das Studium der Lebensäußerungen der Kleinlebewesen erwuchsen. So zeigte Pasteur, daß man bei jeder besonderen Art der Gärung ganz regelmäßig bestimmte, unter sich übereinstimmende, von den bei anderen Gärungen nachweisbaren aber verschiedene Mikroorganismen antreffe. Er schloß mit vollem Recht daraus, daß eine bestimmte Art von Gärungserregern notwendig sei, um gerade diesen oder jenen Gärungsvorgang zu bewirken.
Ganz analoge Beobachtungen, denen analoge Schlußfolgerungen entsprachen, hatte man inzwischen bei einzelnen infektiösen Krankheiten gemacht, vor allem bei der als »Milzbrand« bezeichneten Viehseuche.
Schon im Jahre 1849 hatte der deutsche Tierarzt Pollender im Blute von Rindern, die dieser Krankheit erlegen waren, mikroskopisch kleine, schlanke, völlig unbewegliche Stäbchen gesehen, die sich niemals im Blute gesunder Tiere fanden. Andere Forscher berichteten über ganz gleichartige Beobachtungen, so Rayer und Davaine, Brauell. Sie folgerten mit Recht daraus, daß diese Stäbchenbakterien, die sich nie im Blute gesunder, sondern nur im Blute an Milzbrand gefallener Tiere, darin aber regelmäßig fanden, die Ursache der Krankheit, deren »Erreger« seien.
Forscher, die an die Artverschiedenheit der Bakterien nicht glaubten, ließen sich aber auch hiervon noch nicht überzeugen. Sie sagten: Da die Bakterien konstante Formen an sich überhaupt nicht besitzen, so ist das Auftreten bestimmter Formen unter bestimmten Bedingungen nur so zu erklären, daß infolge dieser Bedingungen die Spaltpilze eben gerade in dieser Form erscheinen, während sie unter anderen Bedingungen eine ganz andere zeigen.
Das mochte unwahrscheinlich klingen, widerlegen ließ sich aber der Einwand nicht, und er wurde in der Folgezeit auch gegen zahlreiche analoge Befunde geltend gemacht, die hauptsächlich von wissenschaftlichen Medizinern erhoben wurden. Unter diesen brach sich trotz aller Einwände immer mehr die Überzeugung Bahn, daß bestimmten Infektionskrankheiten bestimmte, nach Gestalt und Größe und anderen Eigenschaften wohl unterscheidbare Bakterien zugrunde liegen. Besonders waren es eine Reihe deutscher Pathologen – Rindfleisch, v. Recklinghausen, Klebs u. a. – die in den Kriegsjahren 1870 und 1871 zahlreiche Beobachtungen über das Vorkommen kugelförmiger Bakterien (Mikrokokken) im Wundeiter sammelten und deren ursächliche Bedeutung für die Wundkrankheiten vertraten.
Ausschlaggebend wurden aber erst die Arbeiten des deutschen Gelehrten Robert Koch, vor allem seine entscheidenden Beobachtungen über die Milzbrandkrankheit.
Schon Rayer und Davaine und Brauell hatten sich bemüht, der Bedeutung der im Blute von milzbrandkranken Tieren gefundenen Stäbchen auf experimentellem Wege noch weiter auf den Grund zu kommen. Sie hatten festgestellt, daß die Übertragung solchen stäbchenhaltigen Blutes auf gesunde Tiere mit Sicherheit die charakteristischen Erscheinungen des Milzbrandes bei diesen zur Folge hatte. Auch diese Beobachtung hatte man aber in ihrer Beweiskraft angefochten, indem man einwandte, die Stäbchen seien ausschließlich die Begleiterscheinung der Erkrankung, deren eigentliche Ursache bilde ein Gift, das außer jenen noch im Blute vorhanden gewesen und mit ihm denn auch dem gesunden Versuchstier eingeimpft worden sei.
Die Widerlegung dieses Einwandes, die die endgültige Wendung in den Anschauungen vom Wesen und Wirken der Bakterien überhaupt nach sich zog, gelang Robert Koch auf folgende Weise: Er brachte kleine Mengen stäbchenhaltigen Blutes an Milzbrand gefallener Tiere in Reagensgläschen, die mit Fleischbrühe gefüllt waren, die durch ausgiebiges Erhitzen völlig keimfrei gemacht worden war. Diese Röhrchen wurden dann bei Körpertemperatur im Dunklen gehalten; nach einiger Zeit zeigte sich, daß die Stäbchen sich darin sehr stark vermehrt hatten. In welcher Weise diese Vermehrung zustande kommt, mag hier unerörtert bleiben. Man nennt ein solches mit Nährsubstrat gefülltes Röhrchen, in dem man künstlich eine Entwicklung von Bakterien veranlaßt hat, eine »Kultur«. Trug Koch nun eine ganz kleine Menge dieser Fleischbrühe-»Kultur« in ein zweites steriles Fleischbrüheröhrchen ein, so wuchsen – wieder unter den oben angegebenen Bedingungen – abermals gleichartige Stäbchen in reichen Mengen aus; von dem zweiten ließ sich ein drittes Röhrchen besäen, von diesem ein viertes und so fort; immer wieder entwickelten sich ausschließlich Keime von der charakteristischen Gestalt der ursprünglich zur Aussaat benutzten Bazillen, die sich im Blute befunden hatten. Die Stäbchen eines jeden Röhrchens repräsentierten gewissermaßen eine »Generation« der Bazillen. Und nun zeigte sich, daß auch die Stäbchen der 10. Kulturgeneration oder einer beliebigen noch späteren die Eigenschaft besaßen, »Milzbrand« zu verursachen, wenn man sie einem gesunden Rinde einimpfte.
Damit war nun auch der letzte Einwand entkräftet: den Stäbchen der 10. Kulturgeneration haftete sicherlich auch nicht die kleinste Spur von Blut mehr an, somit auch sicherlich keine Spur des von den Gegnern supponierten besonderen Krankheitsgiftes. Da sie ganz allein bei gesunden Tieren Milzbrand hervorriefen, so mußten sie eben als die Ursache der Krankheit anerkannt werden. Die Beweise dafür waren unwiderleglich.
So war endlich – zunächst für einen Spezialfall – die für alle Zeiten unverlierbare Erkenntnis gewonnen, daß Bakterien von ganz bestimmten und konstanten Gestaltmerkmalen auch eine ganz bestimmte Wirksamkeit entfalten, und daß sowohl die Gestaltmerkmale als auch die Lebensäußerungen sich von Generation zu Generation bei ihnen vererben. Der letzte Einwand gegen die Lehre von der Konstanz der Bakterienarten war damit beseitigt und der Sieg dieser Lehre ein für allemal errungen.
Worin war die entscheidende Beweiskraft dieser Kochschen Beobachtungen begründet? Offenbar hierin, daß er einwandfrei hatte zeigen können, daß die Milzbrandbazillen ganz allein für sich die Krankheit auszulösen imstande waren. Vorbedingung für das Gelingen dieses Beweises war, daß in dem ersten zur Aussaat benutzten Blutströpfchen ausschließlich Milzbrandbazillen, aber keinerlei andere Bakterien vorhanden waren. Wäre das letztere der Fall gewesen, so hätten sich in Kochs Bouillonröhrchen auch diese andersartigen Keime vermehrt, er hätte weiterhin also wieder mit Bakteriengemischen zu tun gehabt, wie wir sie in der Natur auch sonst überall anzutreffen gewohnt sind. Damit wäre die Beweiskraft seiner Experimente verloren gewesen. Unter den hierfür besonders günstigen Bedingungen des speziellen Falles der Milzbrandkrankheit war es Koch also gelungen, sofort reine Kulturen (»Reinkulturen«) der krankheiterzeugenden Bakterienart zu erzielen.
Es leuchtet ein, daß der weitere Ausbau der Lehre von den Spaltpilzen davon abhing, daß Methoden gefunden wurden, um die zahllosen Bakterien, denen man begegnete, nun ebenfalls an »Reinkulturen« zu studieren, oder, wie man zu sagen pflegt, sie zu »isolieren«. Dies Ziel hatten schon verschiedene Forscher auf mannigfaltige Weise und zum Teil auch mit einigem Erfolg angestrebt3; doch war z. B. ein von Lord Lister für diesen Zweck angegebenes Verfahren sehr umständlich und auch nicht immer von Erfolg gekrönt.
Abb. 3.
Doppelschälchen (Petrische Schale) zur Plattenkulturmethode.
Robert Koch verdankt die Bakteriologie auch in dieser Hinsicht den entscheidenden Fortschritt durch die Einführung einer einfachen, aber höchst sinnreichen und zuverlässigen Methode. Nehmen wir an, in ein steriles Fleischbrüheröhrchen gelangen durch Impfung mit bakterienhaltigem Material auch nur zwei Keime verschiedener Art, so werden sich beide vermehren, und ihre Abkömmlinge müssen in der Flüssigkeit durcheinander geraten, indem sie teils dem Gesetze der Schwere folgend nach dem Boden sinken, teils bei Erschütterungen des Röhrchens durcheinander geschüttelt werden, teils auch indem sie infolge eigener selbständiger Bewegungen hierhin und dorthin gelangen; denn manche Bakterien sind, wie wir noch erörtern werden, beweglich. – Diese Vermischung der verschiedenen Keime wird aber vermieden werden können, wenn man die zur Aussaat benutzten Bakterien irgendwie zwingt, sich ausschließlich an der Stelle zu vermehren, an der sie bei Beginn des Verfahrens lagen. Das erreichte Koch durch Zusatz von 10% Gelatine zu der Kulturbouillon; er erhielt dadurch einen Nährboden, der bei leichter Erwärmung – etwa auf Körpertemperatur – flüssig ist, bei etwa 22° aber erstarrt. Impft man den erwärmten und in diesem Zustand flüssigen Nährboden mit einer ganz kleinen Menge bakterienhaltigen Materials, und breitet man ihn nun durch Ausgießen auf einer Glasplatte oder in einer flachen Schale (vgl. Abb. 3) in dünner Schicht aus, so daß die Flüssigkeit (bei geeigneter Temperatur) bald erstarrt, so bleiben die einzelnen Keime an der Stelle liegen, wo sie sich im Moment des Erstarrens gerade befanden. Wenn die nötigen Bedingungen zu ihrer Vermehrung erfüllt sind, werden sich aus jedem Keim nun an der ihm angewiesenen Stelle zahllose Abkömmlinge der gleichen Art entwickeln; so entstehen auf und in der Gelatineplatte sogenannte »Kolonien«, die aus unzähligen Spaltpilzen der gleichen Art gebildet sind. Es ist leicht einzusehen, daß man bei geeigneter Übertragung einer kleinen Menge Materials von einer solchen »isolierten« Kolonie in ein Bouillonröhrchen nunmehr wieder nur Entwicklung der Bakterien einer einzigen Art, also eine Reinkultur erhalten wird, obwohl zur Aussaat in dieser ganz »kleinen Menge« schon Tausende von Spaltpilzen gelangten.
Während wir den einzelnen Spaltpilz nur mit Hilfe der besten Vergrößerungsinstrumente sehen können, sind »Kolonien«, die aus vielen Tausenden von Individuen bestehen, mit bloßem Auge wahrnehmbar, ja sie erreichen oft ganz beträchtlichen Umfang, etwa die Größe einer Linse, ja noch erheblichere Maße. Ebenso wie die Individuen einer Bakterienart sind nun auch deren Kolonien durch charakteristische Gestaltmerkmale abgezeichnet, die der geübte Beobachter mit bloßem Auge oder mit Hilfe schwacher Vergrößerungen erkennen kann (vgl. unten die Abb. 16 und 26).