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Jozef Israëls
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Verlag Bruno Cassirer, 1901
Wer zum ersten Male in seinem Leben auf die Jagd geht, hat immer Glück; wer aber auch nur einigermaßen gescheit ist, versucht es nicht zum zweiten Male.
Nach dem günstigen Erfolge, den die paar Seiten gefunden haben, die ich über Degas veröffentlicht hatte, – sind sie doch sogar ins Russische übersetzt! – hatte ich mir das Schreiben hoch und heilig verschworen. Siegreich hatte ich den Lockungen der Verleger widerstanden, und nur wer jemals Druckerschwärze geleckt hat, kann nachfühlen, wie schwer das ist.
Da traf sich‘s an einem schönen Septembernachmittag, eines Tages, als ich in Scheveningen mit Israëls nach dem Lunch Kaffee trinkend und Zigarren rauchend vor seinem Pavillon saß, dass die Unterhaltung – wie das nicht selten unter Kollegen – auf die Kritik fiel. Und plötzlich sagte der Meister: „Wie über Degas sollten Sie mal über mich schreiben.“ Und im Nu waren alle meine guten Vorsätze dahingeschwunden vor der freudigen Hoffnung, meiner Liebe und Verehrung für Israëls öffentlich Ausdruck geben zu dürfen. Schon am nächsten Tage fuhren wir nach den Haag und suchten im Atelier das nötige Material an Zeichnungen, Radierungen, Fotografien, das den Text begleiten sollte, zusammen.
Bis hierher ging alles ganz famos. Aber als ich mich nun an die Arbeit machte, sah ich ein, dass ich Israëls viel zu sehr liebe, um über ihn schreiben zu können. Denn man kann eigentlich nur über die Schwächen eines Künstlers schreiben: woher denn auch die meisten Kritiker ihren Helden zu „zerreißen“ pflegen (was, nebenbei bemerkt, viel amüsanter ist). Um aber einem großen Künstler wahrhaft gerecht zu werden, müsste man seine Kunst in Worte fassen können; man müsste mit Kunst schreiben. Nur ein lyrischer Dichter könnte Israëls ganz gerecht werden, denn Israëls Malerei ist ein Farbe gewordenes Gedicht; ein schlichtes Volkslied, kindlich, im biblischen Sinne einfältig; alles Gemüt, Empfindung und nochmals Gemüt.
Israëls sagte mir mal: „Außer Millet gibt es keinen Maler, der so wenig zeichnen und malen konnte wie ich, und dabei so gute Bilder gemacht hat.“
Mit anderen Worten: wie Millet, ist auch Israëls kein Talent, doch – ein Genie.
Beides fehlt, was mit Recht als das Kriterium des Talents angesehen wird: die behende Leichtigkeit, die Natur wiederzugeben. Statt den Gegenstand zu zeichnen, notiert ihn Israëls oft in sein Skizzenbuch er schreibt auf, wo sich ein Schrank, ein Stuhl oder eine Kuh befinden. Es ist sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Zeichen von Talent, wenn einer einen Akt herunterstreichen kann, wie die Preisgekrönten, welche dutzendweise an den Wänden der Malschulen Paris oder Antwerpen hängen. Aber aus ihren Verfertigern wird schließlich im besten Fall ein Cabanel oder Bouguerau; meistens bleiben sie ihr Leben lang der „Ancien prix de Rome“. Selbst das mit größtem Talent gemalte Bild bleibt ohne den göttlichen Funken – gemalte Leinwand. Erst das sogenannte Genie flößt dem Bilde das Leben, die Seele ein: Die gemalte Leinwand wird zum lebendigen Kunstwerk.
Israëls steht heute in seinem 88. Lebensjahre; er ist in Holland, was bei uns Menzel war, und wie beim Erscheinen Menzels im Restaurant Frederich einer dem anderen zuflüsterte: „da kommt Menzel“, so zeigt ihn ein Badegast dem anderen, wenn der kleine alte Herr – er ist beinahe ebenso klein wie Menzel – am Strande von Scheveningen spazieren geht.
Als ich einmal vor Jahren in Delden, einem Städtchen unweit der deutschen Grenze, mit Israëls auf der Studienreise war, kam ein braver Bürger des Orts auf ihn zu, „ob er der große Meister wäre, den er in der Zeitschrift abgebildet gesehen hätte, er möchte ihm die Hand drücken und seinen Kindern erzählen, dass er mit Israëls gesprochen“.
In Deutschland dagegen ist Israëls Name, außer bei den Künstlern, wenig bekannt, und jeder Landsmann, der nach Holland kommt, meint ihn „entdeckt“ zu haben. Wer in Berlin aus der alten Gemälde-Sammlung in die National-Galerie oder in München aus der alten in die neue Pinakothek tritt, glaubt sich, sozusagen, in eine andere Welt versetzt. In Holland kann man nach den alten Bildern noch die modernen ansehen: es ist Fleisch von ihrem Fleische.
Die modernen Holländer haben von ihren Vorfahren eine gewisse malerische Kultur geerbt, die selbst unsern bedeutendsten Meistern, wie Menzel oder Böcklin, fehlt. Ein Genie kann es sich schon gestatten, barbarisch zu sein; aber die große Mehrzahl, die bekanntlich nicht aus Genies besteht, muss den Mangel durch Kultur zu ersetzen suchen.
Vor etwa dreißig Jahren traten die Holländer zum ersten Male geschlossen im Münchner Glaspalast auf und erregten bei den Künstlern – die in München das einzige Publikum bilden – ungeheures Aufsehen. Was uns frappierte, war die malerische Kultur. Ein jeder strebsame junge Mann pilgerte nach Holland, er brachte den Holzschuh und die weiße Haube und die lange Tonpfeife von dort mit; das holländische Fenster mit den kleinen Scheiben im Lot wurde Mode. Der Aufschwung, den die deutsche Malerei in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte, beruhte nicht zum mindesten auf dem Einfluss der Holländer, und die Münchener Sezession quittierte nur dankend darüber, als sie Israëls zu ihrem Ehrenmitglied ernannte. Denn Israëls hat die moderne holländische Schule geschaffen: ob Bosboom Kirchen-Interieurs, Maris Stadtansichten, Mesdag Marinen, Mauve Kühe und Schafe malt, ein jeder verdankt ihm etwas, gerade wie jeder Maler heutzutage etwas von Manet hat.
Nicht einmal das Handwerk in der Kunst lässt sich beweisen; und nun gar, was darüber hinausgeht, das heißt wo die Kunst anfängt, gehört dem Gebiete der Ästhetik an. Und Anatole France hat ganz recht; „die Ästhetik hat keinen festen Untergrund; sie ist ein Luftschloss“. Selbst die sogenannten allseitig anerkannten Kunstwerke – der einzige Rettungsanker auf dem wogenden Meer der Ästhetik – erweisen sich bei näherer Betrachtung als höchst schwankend. Die Renaissance zog Virgil dem Homer vor, Friedrich der Große war einig mit seinem ganzen Zeitalter, wenn er Voltaire höher schätzte als Shakespeare; Frans Hals' Doelenstücke, Haarlems heutiger Ruhm und Stolz, lagen bis Mitte des 19. Jahrhunderts aufgerollt auf dem Bodenraum des Rathauses.
Frans Hals
Rembrandt, dessen Ruhm heut selbst den Raffaels überstrahlt, wurde im 18. Jahrhundert den damaligen Modemalern nachgesetzt. Und nun gar bei den Modernen und in heutiger Zeit, wo jeder wie am politischen Leben so am künstlerischen teilzunehmen sich für berechtigt hält; wo in den Kunstanschauungen nichts beständig ist als der Wechsel; wo eine Richtung, eben erst als die alleinseligmachende ausposaunt, morgen schon zum alten Eisen geworfen wird!
Man sollte überhaupt nicht so viel von „Richtungen“ sprechen, als ob die Richtungen den Künstler machen und nicht umgekehrt. Der alte Schadow pflegte seinen Schülern, die ihre schlechte Arbeit mit dem schlechten Zeichenmaterial zu entschuldigen suchten, zu antworten; „Mein Sohn, der Bleistift ist nicht dumm“. Die Richtung ist nur das äußere Gewand eines Künstlers, steckt ein Kerl dahinter, so ist die Richtung gut; auch in der Kunst macht der Rock nicht den Mann.
Was Fromentin von Rembrandt sagt: „Il a bien peint parce qu'il a bien senti“ passt auf keinen lebenden Meister besser als auf Israëls: Er malt gut, weil er gut empfindet. Und wie Rembrandt, empfindet er mit den Figuren, die er malt; er betrachtet die Welt nicht mit Lächeln oder spöttisch, oder von oben herab, sondern mitleidsvoll. Daher das an Rembrandt gemahnende Pathos, das den Beschauer erbeben lässt, obgleich sich nur die alltäglichen Vorgänge im Bilde abspielen. Wie sein großer Landsmann weiß er sich des Alltäglichen zu bedienen, um das Erhabene auszudrücken. Jeder Schulmeister freilich könnte ihm sämtliche Fehler in jedem Bilde nachweisen, und ich glaube, dass jeder Schulmeister meint, es besser machen zu können. Und nach schulmeisterlichen Begriffen kann er es auch besser. In der bildenden Kunst aber legt der Kritiker immer noch im wahren Sinne des Wortes den Maßstab an das Werk, ob die Figur auch die vorgeschriebenen 7+½ Kopflängen hat, ob sämtliche Regeln der Anatomie, Perspektive usw. ordentlich befolgt sind, wie es einem „akademischen Maler“ zukommt.
Natürlich ist Korrektheit eine schöne Sache, aber sie ist nicht das Wesen der Kunst. Mit der größten Leichtigkeit könnte man jedem Rembrandt oder Frans Hals Verzeichnungen nachweisen; aber trotzdem ziehe ich die verzeichneten Rembrandts und Frans Hals den formvollendeten van Dycks oder von der Helsts vor.
Anthonis van Dyck
„Man kann zum Vorteil der Regeln viel sagen; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von der Natur und den wahren Ausdruck zerstören.“ Das sagt Goethe, der „zielbewusste Klassiker“, und zwar zu einer Zeit, wo die Exzellenz die umstürzlerischen Tendenzen der Jugend längst abgelegt hatte.
Israëls wurde er selbst erst in einem Alter, in dem die meisten Maler bereits ihr Bestes geleistet haben, und wenn er das Unglück gehabt hätte, in seinem 40. Jahre zu sterben, wäre Holland um einen seiner besten Söhne ärmer. Bis zu seinem 40. Lebensjahre malte er – wie die anderen: Bilder aus der holländischen Geschichte, ja sogar einen Luther, die Bibel übersetzend. Erst in den sechziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts hat er sich selbst gefunden; in Zandvoort, einem kleinen Stranddorf in der Nähe Haarlems, fing er an, das Leben der Fischer zu malen, zuerst mit etwas sentimentalem Beigeschmack: wie die Kinder ihren Vater vom Schiff heimbegleiten, die Frau sorgenvoll auf die stürmende See blickend; wie gesagt, noch etwas zu tränenreich. Aber von der Sentimentalität arbeitete er sich bald zum wahren Gefühl durch und schafft nun die Werke, die ihn zum großen Meister stempeln, Werke von einer Innigkeit der Empfindung, von einer monumentalen Größe, von einer Breitzügigkeit der Komposition, die man nur noch bei Millet findet; wie er denn der einzige ist von allen Malern des 19. Jahrhunderts, der dem großen Franzosen an die Seite gesetzt werden dürfte. Beiden gemeinsam ist ein gewisser sacerdotaler Zug, die Kunst ist ihnen Religion, daher der feierliche Ernst, der aus ihren Bildern spricht; weil sie aus Überzeugung gemalt sind, wirken sie überzeugend. Beiden gemeinsam die Schlichtheit und Einfachheit, das Höchste, aber auch das Schwerste in jeder Kunst; aber während Millet, der herbere, männlichere, mehr Gewicht auf die Zeichnung, wie der Bildhauer vor allem auf die Silhouette legt, ist Israëls, der zartere, weichere, mehr Maler. Sein Hauptgewicht legt er auf den malerischen Ton. Israëls' Palette ist nicht reich, aber er weiß die wenigen Farben aufs reichste zu nuancieren. Ohne Rembrandt auch nur im Mindesten etwa in den äußern Mitteln nachzuahmen, haben seine Bilder einen Gesamtton, der an seinen großen Landsmann erinnert. Wie Rembrandts sind auch Israëls' Bilder tief gestimmt, aber immer blond, weil jeder Ton in ihnen trotz seiner saftigen Tiefe von Reflex umgeben ist. Israëls bewahrt daher seine Bilder vor dem gräulichsten Fehler, den ein Bild in malerischer Beziehung haben kann, nämlich dass es schwarz erscheint.
Aber auch darin ähnelt er Rembrandt, dass er mehr Luminarist als Kolorist ist. Jede einzelne Lokalfarbe ordnet sich dem Gesamtton unter und ist in Licht und Schatten aufgelöst. Auch komponiert er nicht sowohl auf Farbe wie auf Licht; der Gang des Lichtes bestimmt die Komposition des Bildes, das Licht des Fensters, der helle Fleck der Haube muss gerade an der Stelle sitzen, wo er sitzt.
Die Bilder der Düsseldorfer oder Münchener Genremaler könnten, ohne Wesentliches einzubüßen, auch grau in grau gemalt sein; ja sogar reproduziert erscheinen sie koloristischer als im Original, weil die Reproduktion die Feinheit der Charakteristik wiedergibt, während die Mängel in der Farbe, die dem Original anhaften, verschwinden. Bei Israëls hingegen ist die Farbe ein integrierender Bestandteil der Bilder, er charakterisiert mit der Farbe; die Farbe ist ein ihm notwendiges Ausdrucksmittel, nicht eine mehr oder weniger überflüssige Zugabe; er geht von der malerischen Erscheinung aus.
Als gelegentlich der internationalen Ausstellung von 1896 Israëls als Juror nach Berlin kam, traf er Menzel vor seinem Bild „Der Kampf ums Dasein“, zwei Fischer, den Anker aus dem Meere ziehend. Nach den obligaten Komplimenten meinte Menzel, das Bild sei nicht gleichmäßig genug durchgeführt, Israëls hätte das den Hintergrund bildende Meer fleißiger durcharbeiten müssen, überhaupt sei das ganze Bild nicht „fertig“ genug.
Ich führe dies Geschichtchen, das mir Israëls selbst lachend erzählte, an, weil der Vorwurf, den Menzel darin unserem Meister macht, stets von der älteren Richtung der modernen gemacht wird: dass sie sich mit einer zu skizzenhaften Ausführung begnüge.
Schon Rembrandt schrieb, „dass Bilder nicht dazu gemalt wären, um berochen zu werden“. Auch dem Haarlemer Publikum schienen die Porträts von Frans Hals wohl zu skizzenhaft, sonst wäre der Meister nicht in bitterster Armut gestorben. Ich glaube, das Publikum sieht Kunstfertigkeit für Vollendung an, ohne zu ahnen, dass eleganter Vortrag und virtuose Mache nur untergeordnete Fingerfertigkeiten sind gegen die wahre künstlerische Durchbildung. Als ob der stupendeste Klaviervirtuose, der mit der glänzendsten Technik Tonleitern spielt, deshalb der größte Musiker wäre.
Es soll nicht etwa geleugnet werden, dass die Beherrschung der technischen Ausdrucksmittel für den Künstler von großem Wert ist, aber es versteht sich von selbst, dass jeder sein Handwerk ordentlich gelernt hat. Ein Kunstwerk ist vollendet, wenn der Maler das, was er hat ausdrücken wollen, ausgedrückt hat. Eine Zeichnung in wenigen Strichen und in wenigen Minuten hingeworfen, kann in sich ebenso vollendet sein, als ein Bild, woran der Maler jahrelang gearbeitet hat. Israëls arbeitet in seiner Weise seine Bilder gerade so durch wie Menzel, aber er erstrebt etwas anderes als jener. Es ist klar, dass die Malerei, welche den großen Eindruck der Natur wiedergeben will, das Detail der allgemeinen Erscheinung unterordnen muss, aber vollendet sie deswegen weniger? Ist ein Kopf von Velasquez weniger vollendet als einer von van Eyck? Im Gegenteil, Velasquez vollendet mehr, wenn er auch die tausend Fältchen der Haut, die Eyck mit wunderbarem Fleiß und hingebender Liebe malt, unterdrückt, denn er kommt dem Eindruck der Natur – und das ist doch die Aufgabe der Malerei – näher. Die moderne Malerei sucht nicht den Gegenstand wiederzugeben, sondern die Reflexe der Luft und des Lichtes auf die Gegenstände. Genau dasselbe, was die eigentlichen Maler unter den Alten auch gemacht haben.
Überhaupt ist es fast komisch, zu sehen, dass gerade die ältere Richtung gegen die Modernen stets die Alten ins Feld führt, ohne zu bemerken, dass die Modernen den Alten viel näher stehen als sie. Unter dem Firnis und der Patina der Jahrhunderte sehen sie nicht mehr das Wesen. Es ist kein Zufall, dass gerade die Kunstgelehrten, die von der alten Kunst herkommen, die Bode, Bayersdorfer, Tschudi, Seidlitz, Lichtwark und wie sie alle heißen, zu einer Zeit, als man für die moderne Richtung nur Spott und Hohn hatte, sich ihrer angenommen haben. Sie erkannten aus dem Studium der alten Kunst deren Verwandtschaft mit der neuen, dass die moderne Kunst dasselbe Ziel erstrebte, was eine jede Kunst erstreben muss; die individuelle Naturauffassung. Hierin sollen uns die alten Meister Vorbilder sein – nicht in ihren Äußerlichkeiten.
Es ist ein Unsinn, einen Bismarck malen zu wollen, der wie von Rembrandt oder Velasques gemalt aussieht.
Neben der zu skizzenhaften Ausführung wirft man Israëls und der modernen Richtung überhaupt mangelhafte Zeichnung vor. Weil Israëls das Hauptgewicht auf die Malerei legt, zeichnet er deshalb noch nicht schlecht. Gerade so wie ein schlecht gemaltes Bild deshalb noch nicht gut gezeichnet ist. Der Kontur macht nicht etwa die Zeichnung aus, und Velasquez zeichnet nicht etwa schlechter als Dürer und Holbein, weil er statt des Konturs, die den malerischen Eindruck zerstören würde, die Töne flächenartig aneinandersetzt. Gerade im Gegenteil; je vollendeter ein Bild gemalt ist, das heißt je näher es dem Eindruck der Natur kommt, desto besser muss es gezeichnet sein; sonst würde dieser Eindruck nicht hervorgerufen werden. Je näher die Hieroglyphe der Natur kommt – und alle bildende Kunst ist Hieroglyphe – desto besser muss sie gezeichnet sein.
Allein in der Welt . Jozef Israëls, 1881
Israëls liebt die Dämmerung, wenn die Konturen der Gegenstände ineinander verschwimmen; das Enveloppierte zieht er dem Bestimmten vor, das Träumerische der Abendstunde der grellen Sonne, das Geheimnisvolle, das uns mehr ahnen als sehen lässt, in einer nur ihm allein gehörenden Technik: kaum ein fetter Strich im Bilde, nichts Materielles, alles durchgeistigt, keine Farbe, alles Ton; das Ganze mehr auf die Leinwand hingehaucht als gemalt.
Jozef Israëls Jüdische Hochzeit
Was ich aber vor allem an ihm liebe, ist sein Temperament. Wenn ich es nicht wüsste, jedes seiner Werke würde es mir sagen, dass er nichts auf der Welt mehr liebt als die Malerei. Nicht mit der behaglichen Liebe des Ehemanns, mit der die Metsu, Mieris oder Dou malen, sondern mit der heißen, ungestümen Leidenschaft des Liebhabers schafft er seine Werke. Trotz seiner Jahre hat er sich die Seele des Jünglings bewahrt. In jedem seiner Bilder ein Ringen, jener Moment im Kampfe mit dem Engel, wo Jakob sagt; „ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Er arbeitet mit höchster Konzentration aller seiner Kraft, während er arbeitet, ganz dabei, alles andere vergessend. „Wie der Handelnde“, nach Nietzsches Ausspruch: „wissenlos. Er vergisst das, was hinter ihm liegt, und kennt nur ein Recht: das Recht dessen, was jetzt werden soll.“ Unzufrieden übermalt er oft in ein paar Stunden das ganze Bild, an dem er monatelang gearbeitet hat, mit größter Rücksichtslosigkeit ganze Stücke, die vollendet waren, opfernd; aber dadurch gibt er dem Bilde jene Frische wieder, die wir an der Skizze bewundern, jene Frische, die durch langes Überarbeiten dem Bilde abhandenkommt und nur durch flüssiges ineinander Malen erzielt werden kann.
Israëls ist aus den kleinsten Verhältnissen emporgewachsen. Mühevoll musste er sich in Amsterdam, wo er sich nach seinen Wanderjahren festsetzte, mit Porträtmalen seinen Unterhalt verdienen. Auch darin Rembrandt ähnlich, wohnte er im Judenviertel, und oft genug, wenn er an dem Hause vorüberging, in dem sein großer geistiger Vorfahre gewohnt und gearbeitet hatte, wird er sich aus seiner Misere an ihm emporgerichtet haben. Rembrandt wurde sein Erzieher. Wie Rembrandt, so entnimmt Israëls die Anregung zu jedem Bilde, zu jeder flüchtigsten Zeichnung, der Natur. Aber wieder wie Rembrandt kopiert er sie nicht, sondern er verarbeitet sie zum Kunstwerk.
Je naturalistischer eine Kunst sein will, desto weniger wird sie in ihren Mitteln naturalistisch sein dürfen. Der Darsteller des Wallenstein, der – wie bei den Meiningern – im echten Koller und Reiterstiefeln aus der Zeit auftritt, macht nicht etwa dadurch einen wahren Eindruck: Der Schauspieler muss seine Rolle so spielen, dass wir glauben, er stecke in echtem Koller und Reiterstiefeln. Israëls wirkt naturalistischer als unsre Genremaler, nicht obgleich, sondern weil er weniger naturalistisch malt als sie; was wir umso deutlicher sehen können, als er sich oft im Sujet mit ihnen begegnet. Nehmen wir zum Beispiel die „Salomonische Weisheit“ von Knaus – eins der meist bewunderten, und mit Recht bewunderten Bilder der deutschen Genremalerei – und daneben Israëls' „Ein Sohn des alten Volkes“.
Ein Sohn des alten Volkes
Knaus zeigt uns einen alten Juden, wie er sein Enkelkind in die Geheimnisse des Trödelhandwerks einweiht; köstliche Figuren, jeder kleinste Zug, jede Bewegung der Natur abgelauscht und bis in die feinsten Details wiedergegeben. Bei Israëls dagegen nur eine Figur: ein armer Jude, einfach, ohne jede Bewegung vor seinem Trödelladen sitzend. Das ganze Bild liegt in dem Ausdruck des Kopfes, alles andere durch ein paar Farbenflecken kaum angedeutet. Aber in dem Antlitz des Mannes, der die Hände ineinander gefaltet ruhig dasitzt, verspüren wir den tausendjährigen Schmerz, von dem Heine singt.
Die deutschen Genremaler illustrieren mehr ihren Gegenstand; sie suchen mehr das Anekdotische, die charakteristische Zufälligkeit. Israëls hingegen unterdrückt alles Detail; er sucht das Typische; statt der verstandesmäßigen Analyse die dichterische Synthese.
Weil Israëls' Bilder mehr wahr gedacht, als wahr gemacht sind, wirken sie wahrer. Den Beweis für die Wahrheit seiner Kunst kann der Maler nur dadurch erbringen, dass er uns überzeugt. Bis dahin lachen wir ihn aus. Die sprichwörtliche Dummheit des Publikums, einen großen Künstler bei seinem Auftreten verkannt zu haben, besteht in nichts weiter, als dass es eine Sprache nicht verstanden hat, die es noch nicht gelernt hatte. Oft leider ist der Künstler dem Publikum um Generationen voraus: Millet oder Manet haben ihren Ruhm nicht mehr erlebt. Israëls hatte das Glück, schon bei Lebzeiten verstanden zu werden. Freilich drückte er sich in der allgemein verständlichen Sprache des Herzens aus; er schlug die Töne des Gemüts an, die jedem vertraut sind. Seine Popularität verdankt er – wie jeder Künstler – seinen Sujets; seine Berühmtheit aber – und man kann sehr populär sein, ohne berühmt zu sein und umgekehrt – verdankt er seinem Genius.
Es ist das charakteristische Merkmal des Genies, dass seine Äußerung als notwendig empfunden wird. Israëls' Bilder erscheinen uns heut notwendig: es musste ein Künstler die Schönheiten Hollands, die seit den alten Meistern gleichsam brach lagen, wieder von neuem entdecken.
Mit Recht hat man Holland das Land der Malerei par excellence genannt, und es ist kein Zufall, dass Rembrandt ein Holländer war. Die Nebel, die aus dem Wasser emporsteigen und alles wie mit einem durchsichtigen Schleier umfluten, verleihen dem Lande das spezifisch Malerische; die wässerige Atmosphäre lässt die Härte der Konturen verschwinden und gibt der Luft den weichen, silbrig-grauen Ton; die grellen Lokalfarben werden gedämpft, die Schwere der Schatten wird aufgelöst durch farbige Reflexe: alles erscheint wie in Licht und Luft gebadet. Dazu die Ebene, die das Auge meilenweit ungehindert schweifen lässt, und die mit ihren Abstufungen vom kräftigsten Grün im Vordergrunde bis zu den zartesten Tönen am Horizont für die Malerei wie geschaffen erscheint. Vielleicht ist Italien an und für sich pittoresker als Holland; aber wir sehen Italien nur noch in mehr oder weniger schlechten – und meistenteils mehr schlechten – italienischen Veduten: Italien ist zu pittoresk. Holland dagegen erscheint auf den ersten Blick langweilig: wir müssen erst seine heimlichen Schönheiten entdecken. In der Intimität liegt seine Schönheit. Und wie das Land so seine Leute; nichts Lautes, keine Pose oder Phrase.
Mit der ganzen Innerlichkeit seiner Nation und seiner Rasse versenkt sich Israëls in die Natur, dorthin, wo sich die Äußerungen des Gefühlslebens am naivsten zeigen: in das Leben der Armen und Elenden. Wohl mit Voreingenommenheit für sie, aber nicht etwa in tendenziöser Weise wie der politische Parteigänger. Israëls schildert die Mühe und Arbeit wie der Psalmendichter, der das Leben köstlich nennt, wenn es Mühe und Arbeit gewesen. Aus Israëls spricht Versöhnung, etwas von der heiteren Ruhe des Philosophen, der alles verzeiht, weil er alles versteht.
Nichts liegt Israëls ferner als die Brutalität, und fast sind wir geneigt, in der Epoche von Bismarck und Nietzsche einen gewissen Zusatz von Brutalität für ein notwendiges Ingrediens des Genies zu halten.
Israëls ist kein Übermensch, und – was heutzutage seltener – er will keiner sein. – Mensch-sein genügt ihm.
Nichts Harmloseres als die Erlebnisse und Begebenheiten, die er in seinem Buch „Spanien“ erzählt. Der Reiz beruht allein in der Persönlichkeit des Verfassers. Auf die Frage, wie er zu seinem schönen, klaren Stil gekommen, antwortete Goethe: „Ganz einfach; ich ließ die Verhältnisse auf mich wirken und suchte den passendsten Ausdruck, sie darzustellen.“ Israëls' Werke sind – was die Werke eines jeden Künstlers sein sollten – der Reflex seiner Seele. Schlicht und ungeschminkt malt er – ganz unoffiziell, nicht wie „der berühmte Meister“. Die Einfachheit ist sein Stil; er gebraucht nicht zehn Worte, wo er mit einem auskommen kann; die charakteristische ist ihm die schöne Linie; seine Kunst ist dekorativ, aber keine Dekoration. Was er nicht klar auszudrücken vermag, scheint ihm, wie, ich weiß nicht welcher Franzose sagt, nicht klar gedacht zu sein.
An Möricke schrieb Schwind 1867; „spricht der ganz trocken aus, ein Bild soll gar nichts vorstellen, bloß Malerei – der soll sich wundern, was die in ein paar Jahren für ein Geschmier hervorbringen“.
Heut nach dreißig Jahren hat sich „das Geschmier“, welches Schwind schaudernd vorahnte, die Welt erobert: die Errungenschaften des Impressionismus sind zum Gemeingut der Malerei geworden. Es soll nicht etwa geleugnet werden, dass der Impressionismus über Israëls hinausging, aber nimmt ihm das auch nur ein Tüpfelchen von seiner Bedeutung? Wäre er – Israëls, wenn Manet ihn hätte beeinflussen können? Liegt nicht in seiner Einseitigkeit dem Impressionismus gegenüber der Beweis für die Kraft seiner Überzeugung?
Israëls malt noch – Bilder; Bilder mit literarischem Inhalt. Ihm ist die Malerei noch Mittel zum Zweck, sie ist ihm das Werkzeug zur Wiedergabe seiner Empfindungen. Er will nicht den Innenraum malen, sondern, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Psychologie des Raumes. Er malt den Kessel mit dem singenden Wasser oder das knisternde Feuer auf dem Herde, um die Heimlichkeit des Stübchens auszudrücken. Manet malt, was ihn malerisch reizt. Ihm ist die Malerei Endzweck.
Nur in den technischen Ausdrucksmitteln kann man von einem Fortschritt in der Kunst reden; die Kunst als solche schreitet nicht fort. So oft sich eine Persönlichkeit in ihr offenbart hat, ist sie am Ziele angelangt. So kann man von Raffael oder Rembrandt sagen, dass sie vollendet waren, und insofern können wir es nicht besser machen wollen. Aber wir können etwas anderes wollen, denn die Kunst ist unendlich wie die Welt; sie ist die Welt. Es führen viele Wege nach Rom, aber jeder Künstler muss seinen eigenen gehen.
„In meines Vaters Hause sind viel Wohnungen“ wie in der Religion, so in der Kunst. Und wie jeder wahrhaft Fromme, welchen Bekenntnisses er auch auf Erden gewesen, in den Himmel, so wird jede wahrhaft künstlerische Persönlichkeit, in welcher Richtung sie sich auch dokumentiert haben möge, zur Unsterblichkeit eingehen.
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