Читать книгу David - Die Grausamkeit des Unterlassens - Maxi Hill - Страница 4

Verflucht

Оглавление

»Kuchen will der Hundsfott! «, schreit Birthe Brock und schlägt mit der flachen Hand derb auf die kleinen Finger, die nach dem Tablett gieren, das auf der Kühltruhe steht. »Wer sein Mittag nicht isst, kriegt auch keinen Kuchen. «

Genaue Töne formen die Lippen des Kindes nicht, aber es beißt und kratzt und tritt nach der Mutter. Das ist zu viel für Birthe. Ihre ganze Verzweiflung des Tages schlägt um in jene Kraft, die sie bei ihren Schmerzen in Bein und Hüfte oft vergisst. Wie von Sinnen schlägt sie zu. Zuerst erwischt sie den Rücken, dann die Oberarme und schließlich treibt ihre Wut die an Kraft schwellenden Schläge gegen den Kopf des Kindes, das nicht aufhören will zu schreien und um sich zu schlagen. Sie packt das Balg, bändigt die Schreie mit harter Hand und schleift das Kind ins Zimmer, stößt es hinein und verschließt die Tür. Zu allem steht man alleine da …! Ihre Lippen formen diese Worte nicht, ihr Kopf schiebt sie hin und her, den ganzen Tag schon, an dem sie Leute spazieren gehen sah, fein gekleidet, oder die Nachbarsleute im Auto auf Tour fahren hörte. Wann gab es das für sie das letzte Mal? Nicht einmal zur Glucke konnte sie heute mit …

Derweil ringt das siebente Kind der Birthe Brock hinter der Tür nach Luft. Sein Kopf ist nicht mehr blass, er ist rot und die Lippen bläulich. Nach einer Minute beginnt es zu schreien, mit Händen und Füßen auf den Boden zu schlagen, die Kissen und Decken aus seinem Bett zu reißen und im Zimmer zu verteilen. Und dann ist es wieder so weit. Der warme Strahl rinnt an seinem Schenkel herunter. Einen Moment genießt es das Gefühl. Die Pfütze auf dem Boden wird größer und größer, und es weiß, was es für die Frau hinter der Tür bedeutet, zu der es Mutti sagen soll. Sie wird ihn packen und mit der Nase hinein stupsen. Das kann David verhindern, er ist ja nicht dumm. Er legt das Deckbett über die Pfütze und sich selbst darauf. Eine Weile noch zeigt seine Stimme, dass er wieder lebendig ist, aber bald findet er Gefallen an einem Stock, an dem sein Bruder einen Gummi befestigt hat. Noch beherrscht er es nicht, eine Murmel oder Erbse mit dem Gummi abzuschnippen, aber er hat Geduld. Wenn bloß der Bauch nicht so rumoren würde.

Birthe Brock horcht an der Tür. Alles ruhig. Es wäre ja noch schöner! Macht denn hier jeder was er will. Sie hat das Leben mal wieder so richtig dicke. Schon einmal hatte sie Schluss machen wollen. Einfach Schluss! Ob sie Gregor strafen wollte oder ihre Söhne, die nie wirklich mit anpacken, das war ihr damals selbst nicht klar. Aber eine Strafe wäre nur gerecht gewesen. Nun aber hat sie den Schaden ihres Fenstersprunges ganz allein und sie krankt noch immer daran. Ihr Hüftknochen war gebrochen. Und nun hinkt sie, weil sie nicht einmal zu einer Reha gehen konnte. Ein bisschen ambulant geübt, aber nicht einmal das hat sie durchgestanden. Freilich war Gregor erschrocken und sogar für kurze Zeit zugänglicher geworden, belohnte sie auch hier und da mit dem, was er Liebe nennt. Die Kinder kamen sofort in ein Kinderheim. David hatte ihr vom ersten Tag an Scherereien gemacht, wollte schon als Baby nicht ordentlich essen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wären die Kinder noch immer dort. Vielleicht hätte sie ja wieder eine kleine Arbeit gefunden. Besser als diese Ohnmacht, von all dem abhängig zu sein, was sie bei den Ämtern bekommt. Freilich, Gregor macht es sich einfach. Wenn kein Geld im Hause ist, muss sie zum Amt, irgendeine Zuwendung ergattern. Sie leben vom Kindergeld und von diversen Sozialzuwendungen. Und wenn das alles nicht reicht, schickt Gregor sie wieder los wegen irgendwelcher Berechtigungsscheine. Er macht sich um nichts Sorgen. Jeden Tag sitzt er nach der Arbeit in der Kneipe, und als sie sich einmal beschwerte, bot er ihr an, einfach mitzukommen und ihren Frust hier zu Hause zu lassen. Dass das alles noch mehr ins Kontor schlägt, will er nicht begreifen. Und dann – war sie wieder schwanger mit Chrissi und ein Jahr später mit Moni - als ob sie noch dieselbe wäre wie vor dem Sturz. Schlimmer noch, als ob sie nicht schon genug Gören um sich herum und auch durchzufüttern hätten.

Es ist kurz nach sechs. Die Großen sind unterwegs und Gregor muss sie noch nicht befürchten. Ihre Hand greift hinter den Vorhang unter der Spüle. Nicht sofort, aber dann fischt sie die Flasche hervor. Das muss jetzt sein. Gregor weiß nichts davon. Es ist ihre eiserne Reserve für Momente wie diese, in denen sie nicht mehr ein noch aus weiß mit dem störrischen Jungen, oder wegen der Sorge ums liebe Geld, aber manchmal auch wegen ihrer großen Söhne. Nicht etwa, weil sie bei Nachbarn wie Lehrern nicht hoch im Kurs stehen. Nein. Ihre Herren Söhne beginnen zu motzen, weil sie nicht verstehen, was gerade angesagt ist. Jetzt ist Härte angesagt, gerade gegen David, das Horrorkind. Sie müsste noch aufräumen, den Fußboden wischen, die Wäsche türmt sich … Das alles kann warten. Sie nimmt den ersten Schluck und denkt sofort: Du trinkst auch wegen Gregor!

Sie hat sich das Leben mit ihrem zweiten Mann besser vorgestellt. Damals. Immerhin war sie froh, wieder einen gefunden zu haben. Sie hatte schon drei Kinder. Die Zwillinge Sven und Nicki, aber auch Holger, der einzige, der schon außer Haus ist und den es auch nicht nach Hause zieht.

Nach dem vierten Glas wird es leichter um ihr Gemüt. Das Kind im Zimmer nebenan ist vergessen, die anderen spielen hinterm Haus und die Großen kommen – wenn überhaupt – zur Abendbrotzeit. Wenigstens das haben sie beibehalten: Gemeinsam zu essen. Alles andere würde auch nicht klappen. Sie bringt auf den Tisch, was gegessen werden kann, schön eingeteilt für jeden. Sie muss die Übersicht behalten. Da war es die einzige Konsequenz zu sagen: Wer nicht da saß, der nicht mit aß. Basta.

Der zottelige Kopf fällt auf den Küchentisch. Es ist so friedlich und still jetzt, das liebt sie so … Klar weiß sie, dass die Großen oder auch Gregor ihr manchmal in den Rücken fallen. Heimlich bringen sie dem, der sich nicht an die Regeln gehalten hat, etwas zu essen ans Bett. Meistens aber mischt sich Gregor nicht in ihre Erziehung ein. Er will keinen Stress und er meint auch, es muss einer die Zügel führen. Bequem ist das Leben für ihn allemal. Und von den Bequemen einer ist Gregor Brock schon immer gewesen.

Gegen sieben kommen die Großen und bringen die Kleinen vom Spielplatz mit nach oben. Es ist Zeit, sich zu erheben … Die Welt schwankt, aber sie ist noch Herr ihrer Lage.

Nach David fragt noch niemand. Gerade, als der Tisch gedeckt ist, stolpert Vater Gregor herein. Er räuspert sich, setzt an, etwas zu erklären, um mit einer wegwerfenden Handbewegung sein Vorhaben wieder zu lassen. Birthe dreht sich um. Obwohl er es schafft, seinen Zustand einigermaßen vor ihr zu verbergen, hat sie den Dunst der Glucke sofort in der Nase. Kalter Rauch und Fuselgestank. Auch sie ist bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Eigentlich hat sie selbst genug. Und dann fällt ihr ein, sie wollte noch für alle eine Tütensuppe kochen. Nudeln mit Hühnchenfleisch. Gab es en gros bei der städtischen Tafel. Macht nichts. Sie hebt die Tüten auf für die kälter werdenden Abende. Wenigstens stellt sie noch den Schmalztopf dazu. Die rasche Drehung aus der kranken Hüfte lässt sie stolpern. Sie schlägt vor dem Küchentisch auf den Boden und flucht. Langsam, ganz langsam erhebt sich erst der Kopf, dann der Brustkorb. Schwieriger werden die Beine, für deren richtige Position sie einige Versuche braucht.

»Was ist los? «, flucht Gregor. Als ob er das nicht wüsste. Hat selber Probleme, sich senkrecht zu halten, kommt sowieso bloß heim, weil er Hunger hat.

»Kannst mal eins und eins zusammenzählen«, mault Birthe und rappelt sich endgültig auf.

»Der war schon immer schlecht in Mathe«, kräht Sven dazwischen, »und er lebt noch immer. «

Sven Brückmann hat auch seine Probleme, um die sich keiner kümmert. Nur Lehrer Pittkuhn redet ihm dauernd ins Gewissen, er würde sich das Leben verbauen. Na und? Dann wird er eben Maurer.

»Euer Vater lebt besser als ich, wie man sieht. Ich arbeite sieben Tage die Woche, er viereinhalb. Freitag ab eins macht jeder seins …« Ihr Lallen ist weder Sven noch seinem Bruder Niklas entgangen. Sie sitzen bei Tisch und ordnen die Naturalien ein bisschen, weil das der Mutter heute nicht gelang. Das ist nichts Besonderes. An Dingen, die ihnen nützen, beteiligen sie sich gern. Daran, dass die Kleinen ihre von Schmutz verkrusteten Hände zu waschen hätten, denkt heute niemand. »Wo ist David? «, fragt Sven, der den Kleinen nicht oft neben sich ertragen muss. Etwas ist immer mit diesem Terrorkind. Je seltener er dabei ist, desto mehr Platz am Tisch hat Sven und nur das interessiert ihn jetzt.

»Im Straflager«, mutmaßt Niklas und er liegt mal wieder gar nicht so falsch. Auf einen Wink vom Vater geht er zum Zimmer der drei Kleinen. Es ist verschlossen. Der Schlüssel steckt – das weiß er zumindest - in Mutters Schürzentasche.

Niklas Brückmann mag seinen kleinen Halbbruder inzwischen, obwohl sich David noch immer nicht an seine richtige Familie gewöhnt hat. Das ist auch kein Wunder. Er war noch viel zu klein, als er weg musste. Und dann, als er wieder zurückgeholt wurde, kannte er niemanden mehr. Alles war nur bedrohlich für ihn. Noch immer wehrt er sich gegen alles und jeden mit der ganzen Kraft seiner kleinen Gestalt.

Mutter sagt zwar, er war schon als Säugling so, und sie wisse nicht, warum er so anders sei als die anderen. Aber Niklas findet das Bürschchen irgendwie witzig. Mit seinen dünnen Beinen und den knochigen Armen aber einem hübsche Kindergesicht ist er die perfekte Marionette. Vater meint zwar immer Schmidtchen Schleicher und er kichert dabei, aber Niklas weiß nicht was das zu bedeuten hat.

David liegt auf der Decke vor dem Bett. Er hat sich aller Kleidung entledigt und es riecht nach Pisse im Zimmer, wie Niklas stöhnend bemerkt.

»Komm, David, es gibt Abendbrot.« Niklas greift nach Hose und Pulli, die verstreut im Zimmer herumliegen. Das Malheur entgeht ihm nicht. In die Küche zurück ruft er: »Mensch Mama, warum lässt du ihn nicht wenigstens aufs Klo gehen?«

Es dauert, ehe Birthe Brock begreift, was der Junge sagt.

»Hat das Miststück wieder eingepinkelt?«

»Na ja …«

»Dann bleibt er, wo er ist. Ich will hier am Tisch keinen Gestank. «

David hört die Worte der Frau, die gar nicht seine Mutter sein kann. Mütter lieben ihre Kinder, das hat Tante Ursel gesagt, als diese Menschen vor ihm standen, mit versteinerten Gesichtern, mit unruhigen Händen und fahrigen Blicken, und die ihn wegholten von Tante Ursel.

Bockig setzt er sich in sein Bett, lehnt den Rücken an das Holz am Kopfende und schlägt die dünnen Arme um seine Knie.

Er hat Hunger, aber jetzt wird er nicht betteln. Er wird warten, bis alle schlafen, dann schleicht er sich zum Kühlschrank.

Die Wurst – gleich aus dem Papier gegessen – ist rasch aufgebraucht, vom Brot liegt noch ein letztes Ende auf dem Brett. Eines der Kleinen verlangt noch eine Scheibe, aber die Mutter sagt: »Schluss jetzt. Ihr fresst mir noch die Haare vom Koppe.« Die Kleine beginnt zu heulen. »Das Geld ist alle …« . Birthes Blicke haben Mühe, Gregors Gesicht zu treffen. »Und morgen habt ihr auch wieder Hunger. Schluss! Aus! Sense!«

Niklas stößt unterm Tisch Svens Füße an. Die beiden blinzeln sich zu und Sven spricht mit vollem Mund: »Wir brauchen aber Montag das Geld für die Klassenfahrt. «

»Ja. Soll΄n wir euch das schnitzen?«, poltert der Stiefvater, dann steht er auf, um sich sofort nebenan auf die Couch zu legen und die Füße über die Armlehne auszustrecken.

»Du hast es gewusst«, krächzt Niklas in Richtung seiner Mutter. »Nie können wir mit. « Sven springt auf, und Niklas erhebt sich mit ihm. Birthe Brock bleibt trotzig am Tisch sitzen, zerknüllt das Wurstpapier und strengt sich an, nicht zu lallen:

»Was kostet das auch so viel. Wie soll man das hinkriegen. «

»Hättest den da nicht heiraten sollen!«, wagt sich Sven von der Tür aus noch zu sagen. In diesem Punkt sind sich die Brüder einig. Als sie noch mit ihrer Mutter und dem großen Bruder Holger allein lebten – ohne die neuen Geschwister – ging das Leben so leidlich seinen Gang. Jetzt ist nur noch Stress.

»Ohne den da hätten wir das ganze Kindergeld nicht. Hast du ′ne Ahnung, wie teuer das Leben ist.«

»Ne, bloß ′ne Ahnung, wie teuer Alkohol ist.«

»Halt dein vorlautes Maul. Säufst ja selber …«

Vom Wohnzimmer her mault Gregor Brock sehr laut und sehr brummig:

»Ihr sagt in der Schule, dass wir das Geld auftreiben. Eure Mutter geht morgen zum Amt. Für Schulausflüge gibt es Zuschüsse. Basta und kein Gemaule mehr. Ich will jetzt meine Ruhe. Verstanden! «

Das Gesicht der Mutter versteinert, das der Jungen frohlockt. Vielleicht hat der Stiefvater mitbekommen, wie sie über die Lage der Familie denken – vielleicht ist seine Fürsprache auch nur Zufall, wie so vieles im Leben der Großfamilie.

Die Kinder trollen sich eins nach dem anderen aus der Küche. Die Mutter stopft das Wurstpapier in den übervollen Mülleimer und ruft den Großen zu, einer soll ihn nach unten tragen. Einer? Heute kommt nicht mal der gewöhnliche Abzählreim zur Anwendung. Wofür sollten sie den stinkigen Eimer durchs Haus tragen. Wofür! Bekommen sie, was sie möchten?

Im Zimmer nebenan streift Niklas mit dem einen Fuß den Schuh vom Spann und schleudert ihn in eine Ecke, dann den nächsten. Sven macht sich diese Mühe erst gar nicht. Sie liegen quer auf den Betten. Zwei Burschen von 16 Jahren, mit flaumigen Oberlippen und kindlichem Lächeln. Für das, was sie heute noch vorhaben, ist es noch zu früh. Die Jahreszeit ist nicht günstig. Es wird erst sehr spät dunkel. Sven zappt mit der Fernbedienung derweil nach einem Programm, das ihnen die Zeit bis dahin vertreibt. Irgendwo läuft die Super-Nanny mit Katharina Saalfrank.

»Eh, mach den Telemüll weg!«, schreit Niklas.

»Is′ doch RTL. Ich denke, das ist dein Spaßfaktor?«

»Längst nicht mehr. Und von Erziehung hab ich für heute den Rüssel voll …«, sagt Niklas, wie er manchmal spricht, um vor seinem Bruder nicht als Weichei dazustehen. Dann dreht er sich auf den Bauch und schaut notgedrungen auf den Bildschirm. Die Szene nimmt gerade dramatische Züge an. »Lass ma. Lass ma! … Eh voll krass, der schlägt seine Mutter! «

Mit offenem Mund verfolgt er das Geschehen zwischen einer Mutter und ihrem missratenen Sohn, doch Sven weiß wieder mal alles besser. »Is’ doch alles gefaket …«

»Klar. Weiß ich. Is’ nich’ echt. «

»Du weißt das? Aber sonst niemand. «

Die turbulente Szene ist gnadenlos. Der 15-Jährige schlägt auf die Mutter ein und wirft sie brutal aus dem Zimmer. Der ältere Sohn steht tatenlos – vielleicht fassungslos - daneben. Draußen stürzt die Frau über den Läufer und liegt im Flur. Die Kamera zeigt, wie sich die Super-Nanny zur Mutter bückt. Keiner vom Fernseh-Team greift ein.

»Dem gehört mal rechts, links eins aufs Maul und Ruhe ist. «

»Und der Super-Nanny gleich dazu. Hör dir das an. Hör dir das bloß an! « Niklas ist jetzt ganz Ohr. »Hat die ′se noch alle. Verwöhnt. Verzogen. Prügeln. Schwänzen. Randalieren. Nur noch verhaltensgestörte Kids, oder was …? Ich denk, mich kutscht ′n Elch. «

»Na ja«, Sven gibt sich weltmännisch. »Das verkauft sich eben gut. «

In der nächsten Szene sitzt die Super-Nanny mit den Brüdern im Zimmer und redet auf sie ein. Der Prügler steht auf und verlässt wortlos den Raum.

»Das woll’n die so. Die Nanny ist ′ne verlogene Schlampe, die will nur Quote. «

Ein unsichtbarer Sprecher sagt, der Junge brauche eine Grenzerfahrung, und die Nanny fragt ihn später, ob er schon Alkohol trinke. »Ja«, antwortet der Junge und grinst. Eine andere Szene zeigt, wie er mit seinem Freund Benjamin in fremde Häuser einsteigt, um sich Geld für Alkohol zu beschaffen.

Im realen Leben der Sozialwohnung 511 greift auch Sven Brückmann unter sein Bett und holt eine braune Flasche hervor. Er grinst seinem Bruder zu und Niklas greift dankend nach dem Bier. Noch eine Flasche steckt unterm Bett und auch Sven hebt sie an seinen Mund und trinkt sekundenlang, ohne abzusetzen. Die ersten Worte kommen als Rülpser über seine Lippen: »Eh, woll′n wir unsre Alten mal vorschlagen für die Sendung Elterntausch? «

»Ich wüsst’ was Besseres. «

In der laufenden Sendung sitzt die Mutter gerade am Tisch in ihrer Wohnung und erzählt Katarina Saalfrank, dass sie sich von ihrem schlagenden Ehemann getrennt habe. Damit sei der Junge nicht fertig geworden. Manchmal sei er schon mittags betrunken und von Schule wolle er gar nichts hören.

Irgendwie sind Svens Gedanken nicht bei der Sendung. Noch immer spukt ihm sein fixer Gedanke im Kopf herum.

»Für die Kleinen wäre ein Elterntausch vielleicht ganz gut. «

»Für David nicht. Der sieht in allen nur böse Monster. Vielleicht auch in uns. «

»Wir tun dem doch nüscht. «

»Hm, keine Ahnung, aber gut geht ′s dem nich. «

»Der nervt ja auch …! Kolossal. «

Niklas nickt. Kaum traut er sich die Worte über seine Bierlippen zu schicken, die ihm auf der Zunge brennen: »Wenn der könnte, der würde mit der Mutter genau so … na, wie der da eben. «

Die Geste von Niklas’ Kopf zum Fernseher hin ist klar, die von Sven ist es nicht.

»Die hätten die Gören nicht nach Hause holen sollen. Das wäre besser … auch für uns. «

»Hast doch gehört. Dann wäre noch weniger Geld im Haus. «

Gerade bringt die Fernseh-Mutter ihrem Sohn das Essen ins Kinderzimmer. Der reißt den Teller an sich und schreit sofort: Verpiss dich! Zu Katharina Saalfrank, die mit im Zimmer sitzt, sagt er: Ich kann meine Mutter nicht leiden. Die ist gegen meine Freunde

Zum Glück haben Sven und Niklas Brückmann sich gegenseitig und sie können sich aufeinander verlassen. Keiner von ihnen spricht es aus, aber ihr Problem, das bleibt nicht unausgesprochen.

»Wenn die so viel Knete für uns Kinder kriegen, können die doch auch mal die 25 Euro für die Klassenfahrt locker machen … Dann müssten wir nachher nicht …«

Was zu sagen wäre, verschluckt Niklas, weil Sven es ohnehin nicht hören will.

»Fuffzig«, wendet der ein. »Zum Glück hat der Alte wenigstens noch was gecheckt. «

»Zum Glück nicht das andere … Das vom Heiraten. Das hätte dem die Sprache verschlagen …«

David - Die Grausamkeit des Unterlassens

Подняться наверх