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Die Pneumakonzeption

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Erstens glaubte Aristoteles genau wie Empedokles, dass es vier irdische Elemente gibt: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Diesen fügte er ein weiteres, supra-irdisches Element hinzu, ‚das erste Element‘ oder ‚der erste Körper‘, später Äther genannt, aus dem die himmlischen Körper bestehen. Die irdischen Elemente bewegen sich von Natur aus geradlinig (nach oben oder unten). Die Bewegung des ersten Elements bzw. Äthers unterscheidet sich davon: Sie ist (a) ewig und (b) kreisförmig. Mitunter findet sich die Andeutung, Aristoteles hätte dem ersten Element in seiner Biologie irgendeine irdische Funktion zuerkannt. In De Generatione Animalum heißt es:

Alles Seelenvermögen scheint nun an eine andere Materie gebunden zu sein, die von höherer [göttlicher] Natur ist als die sogenannten Elemente. […] Alle tragen das in ihrem Samen, was bewirkt, dass aus ihnen etwas entstehen kann; ich meine damit das, was man die Leben spendende Wärme nennt. Diese ist aber nicht Feuer oder irgendeine solche Kraft, sondern der in dem Samen und dem schaumartigen Wesen enthaltene Hauch (Pneuma) und das in diesem Hauch befindliche natürliche Prinzip, das dem Wesen der Gestirne entspricht. (736b29–737a1)

Man weiß nicht recht, was hiervon zu halten ist (davon, wie das auf die Pflanzenseele zutreffen soll, ganz zu schweigen). Cicero, der einige Jahrhunderte später schrieb, als bestimmte Werke von Aristoteles bereits verloren gegangen waren, behauptete, dass

[e]r denkt, es gebe eine bestimmte fünfte Natur, aus der der Geist [die Seele] gemacht ist; denn Nachdenken und Planen, Lernen und Lehren, die Entdeckung von Neuem und das Im-Gedächtnis-Behalten von so vielem – all das und mehr: Lieben und Hassen, Schmerz und Freude empfinden – solches und Ähnliches lässt sich, wie er annimmt, bei keinem der vier Elemente finden. Also führt er ein fünftes Element ein, das keinen Namen besitzt, und nennt die Seele selbst ‚endelecheia‘, mit einem neuen Namen, der auf eine Art von ununterbrochener und ewiger Bewegung hinweist.19

Es scheint daher, als habe Aristoteles die die Seele konstituierenden Vermögen mit einem ‚göttlichen‘, unzerstörbaren Element verbunden, bei dem es sich um eine Art Leben spendender oder vitaler, in den Samen vorhandener und für die Zeugung verantwortlicher Wärme handelt bzw. um einen ebensolchen Hauch (Pneuma). Dieses Pneuma werde im Herz in vitales Pneuma umgewandelt, das dann wiederum durch die Blutbahnen zu den Muskeln gelange, wo es eine Kontraktion hervorrufe. Dem Pneuma-Begriff sollte eine lange und verworrene Geschichte in der nach Klarheit strebenden Auseinandersetzung mit der Integrationstätigkeit des Nervensystems beschieden sein. Zweitens ist Aristoteles’ Beobachtung, dass „bestimmte Insekten weiterleben, wenn sie in [zwei] Teile geteilt werden“, bemerkenswert und spielte bei der Konzeption der spinalen Seele‘, die die Neurowissenschaftler im 18. Jahrhundert beschäftigte (siehe 1.4), eine wichtige Rolle. Die Beobachtung zeigt, behauptete er, dass „jeder der Teile dieselbe Seele der Art nach hat, wenn auch nicht der Zahl nach; denn jeder der Teile verfügt eine Zeit lang über die Fähigkeit zur Empfindung und Ortsbewegung. Es überrascht nicht, dass dies nicht von Dauer ist, denn sie haben nicht mehr die zur Bewahrung ihres Lebens notwendigen Körperteile“ (DA 411b17ff). Weil die zwei Insektenhälften weiterhin reizempfindlich bzw. sensitiv und bewegungsfähig sind, muss jede Hälfte, so die Überlegung, über eine eigene sensitive Seele (und eine motorische) verfügen. Aristoteles dachte nicht, und das ist wichtig (und spielt im Hinblick auf die im 18. Jahrhundert geführte Debatte über die spinale Seele eine wichtige Rolle), dass das unversehrte Insekt gleichsam aus einer einzigen ‚Hauptseele‘ und aus zwei weiteren, sich je in einer Körperhälfte befindenden Seelen besteht. Das unversehrte Insekt verfügt vielmehr über ein gewisses Vermögensspektrum, und wird es geteilt, so steht den Hälften dann jeweils ein gewisses begrenzt(er)es Vermögensspektrum zur Verfügung.

Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften

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