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Menschliche Willenshandlungen sind möglich aufgrund der kortikalen Interaktion von Seele und Körper

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Wie sieht es nun aber mit den vom Willen bestimmten Handlungen aus, die allein der Mensch vollbringt? An diesem Punkt führt Willis die Vorstellung von der rationalen Seele, die unsterblich ist, ins Feld (ABN 39). Um eine Willenshandlung auszuführen, muss man sich des Objekts, auf das die Handlung ausgerichtet ist, bewusst sein (ABN 58). Willis identifiziert die rationale Seele im Gehirn als das Ausführungsorgan der Wahrnehmung, welche er detailliert schildert (ABN 59). Er vertritt die Ansicht, dass die rationale Seele im Corpus callosum das Bild betrachtet.53 Seine Konzeption der Konstruktion einer internen Repräsentation auf dem Corpus callosum erinnert an Descartes’ Vorstellung, dass ein Bild dessen, was man sieht, auf der Oberfläche der Zirbeldrüse entsteht, wo es ‚der Seele dargeboten wird‘. Willis’ Annahme, dass die rationale Seele ‚das Bild eines dorthin gemalten Dings betrachtet‘, kommt dem großen Irrtum, vor dem Descartes warnte (und dann teilweise selbst erlag), zumindest nahe: zu erklären nämlich, ein menschliches Wesen könne ein Objekt sehen, weil seine Seele eine Repräsentation des Objekts im Gehirn sehe oder erfasse.

Wollensakte werden demnach von der rationalen Seele, die im Corpus callosum angesiedelt ist, angestoßen, nachdem die Lebensgeister „die Bilder oder Repräsentationen aller wahrnehmbaren Dinge“ aus dem allgemeinen Sensorium übermittelt haben:

Nichts ist wahrscheinlicher, als dass diese Teile [Corpora striata] das allgemeine Sensorium darstellen, das all die Erscheinungen und Eindrücke aufnimmt und unterscheidet und sie in zweckmäßig geordneten Arrangements ins Corpus callosum überträgt, sie der dort waltenden Einbildungskraft darbietet und die Kraft und Triebhaftigkeit jener unwillkürlichen Bewegungen, die im Gehirn ihren Anfang genommen haben, in den Nerven-Appendix zur Ausführung durch die motorischen Körperteile überträgt.54

Im Anschluss brachte Willis die Funktionen der Wahrnehmung, des Gedächtnisses und des Wollens mit dem zerebralen Kortex in Zusammenhang und insbesondere mit den Windungen des Kortex, wobei die Lebensgeister sich angeblich zwischen den Windungen hin- und herbewegen. Er ging davon aus, dass der Mensch wegen seines überlegenen Denkvermögens viel mehr Windungen aufzuweisen hat als die anderen Lebewesen (ABN 65–68).

Willis bekennt sich explizit zur cartesianischen Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele bzw. des Geistes, die/der wahrnimmt und motorische Aktivitäten auslösende Willenshandlungen durchführt und mit dem Körper interagiert. Wie Descartes (und viele andere) war er der Ansicht, dass die rationale Seele, weil sie unsterblich ist, nicht in Teile zerfällt. Willis und Descartes unterscheiden sich insofern maßgeblich, als Willis die kausale Interaktion zwischen dem Geist bzw. der rationalen Seele und dem Körper in den Kortex verlegt – namentlich ins Corpus callosum – und nicht wie Descartes in die Zirbeldrüse, die dieser fälschlicherweise den Ventrikeln zuordnete. Und genau wie Descartes auf dem unlösbaren Problem ‚sitzenblieb‘, die Interaktion von Geist und Zirbeldrüse zu erklären, konnte auch Willis das Erklärungsproblem hinsichtlich der Interaktion von immaterieller rationaler Seele und materieller Körperseele im Corpus callosum nicht loswerden. So bietet er keine Erklärung dafür an, wie sich das Band zwischen der rationalen und der körperlichen Seele ausformt, das dafür sorgt, dass beide Seelen mit der Geburt durch Gott interagieren können: „So ist diese unsterbliche Seele (die rationale Seele), weil sie nicht geboren werden kann, bis bei der Menschwerdung des Kindes im Mutterleib alle Dinge zu ihrem Empfang auf die richtige Weise angeordnet sind, unmittelbar von Gott erschaffen und in den Leib eingeströmt“ (ABN 41f.).

Willis’ Arbeit sollte es ermöglichen, die Aufmerksamkeit zum ersten Mal seit mehr als tausend Jahren vollständig von den Ventrikeln abzuziehen und sie sowohl auf die Forschung als auch auf das spekulative Nachdenken über den Kortex als biologische Grundlage der psychischen Eigenschaften der Menschen zu richten.

Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften

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