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Kapitel 2 Goldener Käfig

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Sorgfältig gepflegter weißer Teppichboden, ein hellblauer, mit Wimperntusche verschmierter Kissenbezug. Die Vorgärten von Beverly Hills, von der unbarmherzigen Hitze goldbraun geröstet. Ohne den Lyrikkurs in Prag wäre das Haus meiner Mutter in diesem Sommer meine Welt gewesen.

»Du willst zwei Wochen mit einer vollkommen Fremden durch Europa gondeln?«, hatte Mutter gefragt und dabei die Wörter in die Länge gezogen, um die Idee möglichst abwegig klingen zu lassen.

»Wir fanden, dass wir am meisten von unserem Geld haben, wenn wir uns vor Prag so viel ansehen wie nur möglich.«

Ich hatte meine Mutter von meinem Zimmer aus angerufen, obwohl ich nur zu ihr hätte hinuntergehen müssen. Sie mochte das gar nicht und sagte mir jedes Mal, dass ich immer fauler würde – was ja auch stimmte. Aber was machte das schon?

Sie murrte. »Dein Geld ist es ja nicht.«

»Nein, Mutter«, sagte ich und stellte die Stereoanlage lauter. »Das weiß ich.«

»Ich verstehe einfach nicht, warum du so viel Theater um diesen Sommer machen musst. Genügt es denn nicht, dass du Fotografie studierst?«

Wenn mein Leben etwas mit Theater zu tun hatte, dann war eines klar: Die Hauptrolle spielte meine Mutter – ich war lediglich eine unbedeutende Statistin. Gut, ich hatte mich mit dem Fotografiestudium durchgesetzt, doch dafür betete sie mir nun jeden Tag die Nachteile dieser Entscheidung vor, welche Chancen ich vertat, und was ich alles für Möglichkeiten gehabt hätte, um es im Leben zu etwas zu bringen.

»Wer ist dieses Mädchen überhaupt? Du kennst sie doch gar nicht! Wie kannst du nur mit einer völlig Fremden im selben Zimmer schlafen? Was ist, wenn sie stiehlt?«

»Sie dichtet, Mutter. Dichter stehlen höchstens Seelen.«

Sie schnaubte vernehmlich in den Hörer, und ich sah förmlich, wie sie die Augen verdrehte – als Zeichen dafür, für wie gegenstandslos sie meine Meinung hielt.

Ich ließ mich aufs Bett zurückfallen und griff mir eine Zeitschrift: Modern Photographer. Eine französische Ausgabe. Ich verstand nur die Hälfte, aber das war egal, ich hatte sie ohnehin nur der Fotos wegen gekauft. Ich öffnete eine Doppelseite zum Thema Fetischismus. Das Foto zeigte zwei Brüste, von denen geschmolzene Schokolade troff.

»Hal-lo?«, trompetete meine Mutter. »Was ist, wenn sie dich vom Lernen abhält, ständig die Schule schwänzen will und trinkt und raucht wie alle Osteuropäer? Ist es etwa das, was du von dieser Reise erwartest?«

Mir fiel ein, wie sich Natasha, kaum dass wir aus der Cafeteria herausgegangen waren, eine Zigarette angesteckt und geraucht hatte, als gehöre dies genauso zu ihrem affektierten Gehabe wie ihr Kleid und ihre Schwäche für Metaphern. Sie hatte den Rauch genüsslich eingesogen, lange im Mund gehalten, jeden Winkel damit ausgefüllt, bis ihr Gesichtsausdruck fast schon einem Lächeln glich, und dann endlich ausgeatmet.

»Ich meine es ernst«, fuhr Mutter fort. »Der Eindruck, den du bei deinen Dozenten hinterlässt, ist sehr wichtig. Das willst du doch nicht aufs Spiel setzen.«

»Mutter, bitte. Du bist so altmodisch. Heute sind es die Dozenten, die darum betteln, dass wir sie ernst nehmen.«

»Stell die Musik leiser. Wie kannst du bei diesem Lärm überhaupt was verstehen?«

»Genau darum geht es ja«, schrie ich und knallte den Hörer auf die Gabel. Ich schlug die Zeitschrift zu und presste das Gesicht in die Kissen.

»Erlöse mich«, flüsterte ich.

Im Flugzeug war ich unruhig und versuchte, das Buch zu lesen, das Mutter mir für die Reise mitgegeben hatte. Ich las nur ungern Bücher, die ich nicht selbst ausgesucht hatte. Die Empfehlung anderer verdarb mir die Chance, selbst auf etwas Mysteriöses und Exklusives zu stoßen.

Ich merkte, dass mich die Frau auf der anderen Seite des Ganges beobachtete. Und wich ihrem Blick aus.

Die Stewardess brachte ein Tablett mit kleinen Plastikbechern voller Wasser. Ich nahm mir einen und trank ihn aus.

»Gefällt Ihnen das Buch?«, hörte ich eine Frauenstimme fragen.

Ich blickte auf und sah, dass mich die Frau von gegenüber höflich anlächelte. »Ich liebe Nora Collins«, setzte sie an. »Die Frau versteht wirklich etwas von diesen kleinen Spielchen zwischen Mann und Frau!«

Ich nickte.

»Das da habe ich allerdings auch noch nicht gelesen«, sagte sie und deutete auf mein Buch, das aufgeschlagen und mit dem Rücken nach oben neben mir lag. »Aber das hole ich so bald wie möglich nach. Im Buchladen am Flughafen hatten sie es nicht.«

»Wie schade«, sagte ich, meine Stimme triefend vor Desinteresse.

»Ja«, sagte sie und trat den Rückzug an.

Ich warf einen Blick auf das Buch. Das grell gezeichnete Cover zeigte eine wunderschöne schwarzhaarige Frau, die in den Armen eines hünenhaften Mannes Marke Holzfäller lag.

Auf der Rückseite war die Autorin abgebildet. Nora Collins trug eine lange dunkle Mähne, der Heldin auf dem Buchumschlag nicht unähnlich, nur dass Nora sichtlich Übergewicht hatte (wahrscheinlich lebte sie allein). Sie lächelte mit unerschütterlicher Zuversicht in die Kamera. Unter dem Foto stand: »Seit mehr als achtzehn Monaten auf der Bestsellerliste.«

Ich griff noch einmal nach dem Buch. Es war schwer. Ich hatte zwar erst zwanzig Seiten gelesen, doch die Aussicht, mich auch noch durch den Rest zu quälen, erschien mir unerträglich. Die Geschichte war mit den Tricks und Manövern einer Frau gespickt, die so tat, als wolle sie sich dem Mann, nach dem sie sich ihr ganzes Leben lang verzehrt hatte, nun doch nicht hingeben. Wie konnte meine Mutter nur glauben, ich hätte denselben Geschmack wie sie?

Ich schlug das Buch zu und reichte es über den Gang. »Nehmen Sie es. Sie werden nicht enttäuscht sein, da bin ich mir sicher.«

»Aber Sie haben es doch noch gar nicht durchgelesen!«, sagte die Frau mit zusammengezogenen Augenbrauen, stellte den Becher ab und griff nach dem Roman.

»Das macht nichts«, sagte ich. »Ich weiß schon jetzt, wie es ausgeht.«

Haut an Haut

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