Читать книгу Falk 8: Pippo di Fiumes Schatz - Melanie Brosowski - Страница 6

EINS

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Das Morgenland.

Jenes sagenumwobene ferne Gefilde voller Geheimnisse und Schätze jenseits des Horizontes.

Falks ursprünglicher Plan war es gewesen, dorthin zu reisen. Zusammen mit seinem guten Freund und treuen Gefährten Bingo della Rocca, der ihn nun schon eine ganze Weile begleitete. Doch im Laufe der letzten Monate hatte die Sehnsucht nach der Heimat immer mehr Platz im Herzen des Ritters eingenommen, gleich einer Schar Soldaten, die eine Festung stürmt.

Nach ihrem gefährlichen Abenteuer mit den Sklavenhändlern hatten Falk und Bingo einige Tage als Gäste auf Schloss Vallechiara verbracht.

Es waren ruhige Tage gewesen, in denen sie sich erholt und an Speise und Trank gelabt hatten. Doch bald schon hatte Bingo zum Aufbruch gedrängt. Er konnte es kaum erwarten, die Reise in den Orient fortzusetzen.

Als die Stunde des Aufbruchs kam, packten sie ihre Sachen, verabschiedeten sich herzlich von ihren neuen Freunden und Gastgebern, die sie in großzügiger Weise mit Reiseproviant versorgt hatten, und machten sich auf den Weg zum Hafen.

Doch kaum hatten die beiden Ritter die heruntergelassene Zugbrücke überquert, lenkte Falk sein Pferd Donner nach links.

Der dicke Gaukler sah ihn verständnislos an. »Das ist die falsche Richtung«, sagte er. »Zum Hafen geht es hier entlang!« Er deutete in die entsprechende Richtung.

Falk zügelte den Braunen. »Ich weiß.« Jetzt war er also gekommen. Der Zeitpunkt, an dem er Bingo die Wahrheit sagen musste. Schon lange hegte Falk den Wunsch, in die Heimat zurückzukehren. Oft schon hatte er es Bingo sagen wollen, doch nie war der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Jetzt kam er nicht mehr drumherum. Auch wenn es Bingo schmerzen würde, er musste es tun. »Ich werde dich nicht ins Morgenland begleiten.« Die Worte kamen nur schwer über seine Lippen. Er beobachtete seinen Gefährten, mit dem er schon so manches erlebt hatte. Sie hatten Gefahren überstanden und Leid und Freud geteilt. Es waren gute und schlechte Zeiten gewesen. Doch nun mussten sie getrennte Wege gehen.

Auch Bingo hatte sein Pferd angehalten, rückte sichtlich nervös seine Mütze zurecht. »Sei mir nicht böse, Falk, aber dein Entschluss kommt etwas überraschend für mich!«

Falk schüttelte den Kopf. »Nein, Bingo, ich bitte dich, mir nicht böse zu sein.« Er ließ seinen Blick über den Hafen schweifen. Sah die Schiffe, die be- und entladen wurden, die ein- und ausliefen. Geschäftiges Treiben herrschte am Ufer. Rufe hallten zu ihnen hinüber. Fluchen und Lachen. »Schon seit einigen Tagen lässt mir die Sehnsucht nach der Heimat keine Ruhe mehr. Ich wollte es dir längst sagen, aber …« Er seufzte. Es war schwer, es vor sich selbst zuzugeben und noch schwerer, es vor seinem Freund zu tun. »Mir fehlte der Mut dazu. Ich weiß ja, was dir die Reise in den Orient bedeutet.«

Seit Monaten sprach Bingo von nichts anderem mehr. Umso mehr hatte Falk gezögert, hatte gehofft, dass sich sein Verlangen legen würde. Doch je weiter sie geritten waren, desto sicherer war Falk in seinem Entschluss geworden.

»Hm.« Bingo rieb sich nachdenklich das Kinn.

Am strahlend blauen Himmel zogen ein paar weiße Wolken. Ein Vogel kreiste über ihnen, hielt nach Beute Ausschau.

»Wenn du die Reise in den Orient allein fortsetzen willst … Ich würde mich freuen, wenn du später nachkommst.«

Bingo zögerte. Rang mit sich. Immer wieder wanderte sein Blick zum Meer, zu den Schiffen mit ihren Masten und Segeln; auf ihnen Männer voller Abenteuerlust, mit Sehnsüchten und Träumen, Mut und Fernweh. Schließlich schluckte er schwer, nachdem er sich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte. »Unsinn! Der Süden läuft mir nicht weg. Aber du! Ich muss bei dir bleiben, ohne mich bist du ja hilflos wie ein Säugling. Ohne meinen Schutz erreichst du nicht einmal die nächste Grenze!«

Unwillkürlich musste Falk lächeln. Ja, Bingo war wirklich ein guter Freund.

»Ich komme mit dir, Falk!«

Sie gaben sich die Hände. »Danke, Bingo!«

Der Gaukler nickte.

Beide wendeten ihre Pferde, hatten den Hafen nunmehr im Rücken; ließen den Orient hinter sich.

Vielleicht ein anderes Mal, dachte Falk.

Und irgendwie war Falk froh, dass Bingo ihn begleitete. Die Heimreise war nicht ganz ungefährlich. Und außerdem … »Ehrlich gesagt, die Trennung von dir wäre mir sehr schwergefallen. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber irgendwie hänge ich an dir. Du … du komischer Vogel!«

Bingo, der neben ihm ritt, riss die Augen auf. Röte überzog sein volles Gesicht. »Komischer Vogel? Du nennst mich, den großen, einmaligen, herrlichen Bingo, einen komischen Vogel?« Seine Stimme überschlug sich fast. Er zügelte sein Pferd. »Steig von deiner Schindmähre, du trauriger Ritter, damit ich dir diese Beleidigung in dein freches Mundwerk zurückstoßen kann!«

Falk war sich für einen Moment nicht sicher, ob Bingo wirklich wütend war – oder ob er nur so tat.

Auch er hielt erneut an und stieg ab. Wissend, dass die Tiere so gut trainiert waren, dass sie nicht wegliefen, sondern an Ort und Stelle stehen bleiben würden.

Bingo stand ihm in seiner vollen Pracht gegenüber.

»Bist du bereit?«, fragte er herausfordernd, während die Feder an seiner Mütze wippte.

»Ja!« Falk lachte. »Wenn du mich auf den Rücken zwingst, nehme ich den komischen Vogel zurück!«

»Gut!« Und schon stürzte sich der Gaukler auf ihn.

Es wäre ein Leichtes für Falk gewesen, den Angriff abzuwehren. Doch er tat es nicht. »He! Ha! Kitzeln gilt … ha, ha … nicht!«

Augenblicke später wälzten sich Falk und Bingo im Staub der Landstraße. Für Außenstehende musste es den Eindruck machen, dass zwei Männer auf Leben und Tod miteinander kämpften.

Und so bemerkten sie nicht den Mann, der sich ihnen näherte.

»Ihr Herren! Um Himmelswillen, Ihr Herren!«

Erschrocken zuckte Falk zusammen.

Bingo hingegen hatte den Ruf anscheinend nicht gehört.

»Auseinander!« Der Fremde kannte keine Furcht. Mutig packte er Bingo an der Schulter und versuchte, ihn von Falk wegzuziehen. »Auseinander, habe ich gesagt!«

In seiner Ehre und Körperlichkeit angegriffen, fuhr Bingo ihn an: »He! Hände weg!«

»Nein, kommt zur Vernunft! Ich bitte Euch!«, flehte der Fremde.

Und ehe Falk es verhindern konnte, denn sicherlich hatte es der Bursche nur gut gemeint, hatte Bingo dem Mann die Faust ins Gesicht geschlagen.

»Ah!« Die Wucht des Schlages ließ ihn zu Boden fallen.

Sogleich stürzte Bingo sich auf ihn. »Was fällt dir ein, du ungehobelter Kerl, dich in unsere freundschaftliche Unterhaltung einzumischen?«

Falk saß da, wissend, dass Bingo niemals auf einen wehrlos am Boden Liegenden einprügeln würde.

Verwirrt starrte der Bärtige Bingo an. »F… F… Freundschaftliche Unterhaltung?«, fragte er verständnislos, nicht begreifend, was gerade vor sich ging. Ja, für ihn musste es nach einem ernsthaften Kampf ausgesehen haben. Vielleicht hatte er sogar gedacht, dass Bingo versuchte, ihn umzubringen.

»Ja!« Schnaubend wandte der Ritter sich ab, schüttelte den Kopf. »Komm, Falk, lass uns weiterreiten, die Leute hier sind mir zu grob!« Er zog ihn hoch und dann mit zu den Pferden.

Sie stiegen auf, während der Fremde noch immer dahockte und die Welt nicht verstand.

Großzügig und nicht nachtragend, wie Bingo war, warf er ihm noch ein Goldstück zu. »Hier hast du ein wenig Geld. Leg es dir auf das Auge, das kühlt!«

Damit wandte er sich endgültig ab.

Falk folgte ihm, hörte noch, wie der Mann immer wieder »Ich verstehe die Welt nicht mehr!« vor sich hinmurmelte, während Bingo gut gelaunt, aber unheimlich schief ein Lied anstimmte. »Tralala, mal sind wir hier, mal sind wir da, tralala!«

Falk lachte. Bingo war wirklich ein komischer Vogel. Aber er würde sich hüten, das noch einmal laut auszusprechen.

*

Es war ein sonniger Tag. Ein lauer Wind wehte vom Meer aufs Land. Links und rechts des Weges wuchsen Büsche zwischen den Felsen.

Falk folgte seinem Freund. Doch nach einigen Stunden schlug Bingo eine andere Richtung ein, als Falk erwartet hatte. »Ich dachte, wir müssten hier rechts abbiegen, Bingo!« Irrte er sich, oder war sein Orientierungssinn schlechter geworden?

»Aber, aber! Wir wollen doch nicht denselben Weg zurückreiten, den wir gekommen sind, Falk!«

Falk zog die Augenbrauen hoch. »Und warum nicht?« Sie wussten schließlich, was dort auf sie zukommen würde. Warum sich also unbekannten Gefahren aussetzen?

»Das wäre langweilig!«, antwortete Bingo auf seine Frage. »Ich habe einen anderen Reiseweg zusammengestellt. Er führt uns durch landschaftlich herrliche Gegenden.« Er machte eine ausladende Handbewegung mit der Rechten. »Und außerdem ist auf diesem Weg alles friedlich.«

Falk bezweifelte das. »Wie willst du das wissen? Du warst seit Jahren nicht hier!«, erinnerte er ihn.

»Stimmt«, gab er ohne Umschweife zu. »Aber ich kenne alle Fürsten, Grafen und Ritter, denen die Ländereien gehören, durch die unser Reiseweg führt. Es sind alles ruhige und besonnene Leute!« In seiner Stimme klang seine volle Überzeugung mit. »Glaube mir, Abenteuer erleben wir auf unserem Rückweg nicht. Nur liebenswürdige Gastfreundschaft von allen Seiten!«

»Na, hoffen wir das Beste, du Prophet!«

»Morgen erreichen wir ein sauberes Städtchen, das unter dem Schutz des Grafen Colleverde steht.« In seinen Gedanken war er schon dort, denn ein glückliches Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Er sah sich schon bei einem fetten Braten und gutem Wein am Tisch sitzen.

Besorgt blickte Falk in den Himmel.

Schwarze Wolken waren in der Zwischenzeit aufgezogen. Eine dunkle, bedrohliche Front, die immer näher kam. Auch war es merklich kühler geworden.

»Und wo bleiben wir heute Nacht?« Er deutete in Richtung des aufkommenden Unwetters. »Es sieht nach Regen aus.«

Bingo folgte seinem Blick, kniff die Augen zusammen, nickte dann zustimmend und besorgt zugleich. »Du hast recht. Es braut sich ein Gewitter zusammen. Wir übernachten am besten auf einem Bauernhof. Er liegt hinter dem Hügel dort.«

Falk war froh, dass sein Freund sich hier so gut auskannte. Er hatte keine Lust, klitschnass zu werden.

Sie beeilten sich, um den Unterschlupf noch rechtzeitig zu erreichen. Die Unwetterfront kam rasch näher.

Auch das Meer wurde unruhiger. Hohe Wellen klatschten ans Ufer.

Doch als die Freunde den Hügelkamm erreichten, erwartete sie ein schrecklicher Anblick.

Mit einem harten Zug am Zügel brachte Bingo sein Tier zum Anhalten. »Was …« Sein Blick schweifte über den Hof. Entsetzen stand in seinem Gesicht. Er konnte nicht glauben, was er dort sah. »Bei allen … Ruinen!«

Falk war ebenso fassungslos wie er.

Nach Leben sah es dort unten jedenfalls nicht aus.

Das Nebengebäude war ziemlich heruntergekommen, fast schon verfallen. Weit und breit waren weder ein Tier noch ein Mensch zu sehen. An die einstigen hölzernen Zäune erinnerten nur noch ein paar verfaulte, windschiefe Pfosten.

Ein ungutes Gefühl beschlich Falk. Nervös sah er sich um. Wurden sie beobachtet? War das hier vielleicht eine Falle?

Doch er konnte niemanden entdecken.

»Ganz so friedlich, wie du es prophezeit hast, scheint es hier doch nicht zu sein.« Diesen kleinen Seitenhieb konnte er sich einfach nicht verkneifen.

Aber Bingo winkte ab. »Du denkst natürlich gleich wieder an das Schlimmste«, warf er ihm vor.

Ja, da hatte er recht. Bisher war er damit auch gut durchs Leben gekommen. Wenn man immer das Schlimmste erwartete, wurde man nicht überrascht oder enttäuscht.

»Komm, lass uns nachsehen! Vielleicht hat der Bauer den Hof verlassen und ist in die Stadt gezogen und hat das Gehöft einfach sich selbst überlassen.«

Falk folgte ihm den Hügel hinab – doch an diese Erklärung konnte er einfach nicht glauben. Warum hatte der Bauer dann seinen Besitz nicht verkauft?

Zu allem Unglück fing es nun auch noch an, heftig zu regnen.

»Hallo!« Bingo hingegen hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. »Hallo?«, rief er nochmals.

Nichts.

Nicht mal ein Hund, der bellte. Keine gackernden Hühner, keine muhenden Kühe.

Nur Stille.

»Keine Antwort. Es ist niemand hier, Bingo.«

Sein Freund seufzte bedauernd. »Du hast wohl recht.« Vor dem Stall glitt er aus dem Sattel und betrat vorsichtig das Gebäude, um sich darin umzusehen. Es dauerte nicht lange, bis er wieder herauskam. »Das Stalldach ist noch ganz.«

Das war doch was! »Na, dann verbringen wir die Nacht wenigstens im Trocknen.«

Falk führte beide Pferde hinein. Sie sattelten sie ab, rieben sie trocken und gaben ihnen was zu fressen und Wasser, das sie ja nun im Überfluss hatten. Sie fanden sogar einen alten Eimer, den sie dafür benutzen konnten.

Glück musste man haben!

Dann richteten sie sich so gut es ging ein und aßen etwas, ehe sie sich hinlegten.

»Wenigstens?«, nahm Bingo das Gespräch wieder auf, während er die dünne Decke über sich zog. »Ich möchte jetzt nicht draußen sein. Hör, wie der Regen rauscht!«

Das tat er wirklich. Klatschte gegen die Wände und fuhr zusammen mit dem Wind durch die Ritzen.

»Ja, Bingo.« Falk gähnte, blinzelte müde. »Gute Nacht!« Erschöpft schloss er die Augen. Lauschte. Das stetige Prasseln war irgendwie beruhigend.

Sein Pferd schnaubte.

Irgendwo im Gebälk raschelte es. Vermutlich eine Maus auf der Suche nach etwas Fressbarem.

Augenblicke später wurde das Rauschen des Regens auch schon von Bingos Schnarchen übertönt.

Gerade als Falk dabei war, ins Land der Träume zu driften, vernahm er ein Geräusch.

Er öffnete die Augen, starrte ins Dunkle.

Lauschte angestrengt.

Das klang nach … Hufschlag.

Ja, eindeutig.

Und er näherte sich.

Falk war beunruhigt. Er rüttelte Bingo an der Schulter. »Wach auf! Wir bekommen Besuch.«

Es dauerte, bis sein Begleiter die Augen aufschlug.

Verwirrt sah er ihn an.

»Wie …? Was …?«

»Komm, steh auf!«, flüsterte er.

»Wieso?« Er rieb sich verschlafen mit der Rechten über das Gesicht. »Es ist doch noch mitten in der Nacht.«

»Ich weiß. Aber ich habe Hufschlag gehört.«

»Hufschlag?« Bingo setzte sich auf. »Bist du sicher? Nicht, dass dein übermüdeter Geist dir einen Streich gespielt hat.«

»Sicher nicht.«

»Nun denn.« Stöhnend erhob er sich, während Falk die Laterne anzündete.

Gerade als der Fremde mit seinem Pferd vor die Tür trat, öffneten sie ihm. »Willkommen in dieser bescheidenen Herberge, Fremder!«, begrüßte Falk ihn.

Erschrocken wich der Mann einen Schritt zurück. »Teufel!«, fluchte er. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, hier jemandem zu begegnen. Er und sein Tier waren klitschnass; sie waren offenbar länger unterwegs gewesen. Und er schien nicht erfreut darüber zu sein, diese Nacht nicht allein verbringen zu müssen.

»Was macht ihr hier?«, fuhr er die beiden Ritter an.

Falk musterte ihn. Der Ton gefiel ihm gar nicht. »Das seht Ihr doch! Wir übernachten in diesem Stall.« Damit schien sein Gegenüber ganz und gar nicht einverstanden zu sein. »Ich dulde keine Fremden auf meinem Besitz. Packt eure Sachen und verschwindet!«

»Wie?«, entfuhr es Bingo.

Falk war überrascht. Das sollte der Bauer sein, dem das hier gehörte?

Als sie nicht sofort reagierten, wurde er ungehalten. »Seid ihr taub? Los, los, beeilt euch!« Er deutete zur Tür. So einfach wollte Falk sich jedoch nicht geschlagen geben. Schließlich regnete es draußen immer noch. »Ist das die berühmte Gastfreundschaft, von der du gesprochen hast, Bingo?« Vielleicht gelang es ja dem Gaukler, den Mann zu überzeugen, dass sie zumindest die Nacht hier bleiben durften.

»Einen Augenblick! Ich kenne den Bauern, dem dieses Gehöft gehört. Ihr seid es nicht!«, wandte Bingo sich an den Mann.

Bingos Worte ließen Falk misstrauisch werden. Eine unerwartete Wendung des Blattes.

Der Fremde leugnete den Vorwurf nicht. »Ich bin sein Nachfolger.«

Falk sah Bingo an, dass er von dieser Antwort nicht ganz überzeugt war, auch wenn seine Worte anders klangen. »Dann habt Ihr gut gewirtschaftet. Gratuliere zu dem herrlichen Hof!«

Doch der Mann ließ sich keinen Honig um den Bart schmieren. »Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten! Verschwindet!«

Jetzt reichte es Bingo. Wütend packte er den Mann am Hemdaufschlag. »Nein! Wir lassen uns nicht in das Unwetter hinausjagen. Es ist noch genug Platz hier für Euch und Euer Pferd!«

Sichtlich eingeschüchtert, sowohl von Bingos hartem Ton als auch von seinem selbstbewussten Auftreten, nickte der Bauer. »Oh! Ich …« Er zitterte. »Wie kommt ihr überhaupt hierher?«, fragte er. »Ihr seid Fremde?«

»Ja.«

Falk beschloss, dass es jetzt genug war. Sie waren schließlich Ritter. Beruhigend redete er auf den Bauern ein. »Mein Freund ist etwas stürmisch!« Er lächelte und deutete mit dem Kopf auf Bingo. »Aber Ihr braucht keine Angst zu haben, wir sind keine Räuber.«

Endlich gab er nach, wenn auch sichtlich widerstrebend – weshalb auch immer. »Na schön. Ihr könnt bleiben.«

»Danke!«, sagte der Gaukler und ließ ihn nunmehr los.

Er und Falk legten sich wieder hin.

Ganz traute Falk dem Frieden jedoch nicht. Ihm schien, als hätte der Bauer etwas zu verbergen. Nur was?

War er wirklich der neue Besitzer, oder hatte er nur so getan?

Vielleicht war es besser, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Er wollte ungern mit einem Messer im Rücken aufwachen.

*

Teufel! Was mache ich jetzt? Der Fremde mit dem Kinnbart sah nachdenklich zu den beiden seltsamen Gestalten rüber, die es sich wieder auf dem Boden gemütlich gemacht hatten – soweit das möglich war.

Sie waren wirklich zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt aufgetaucht! Und jetzt wurde er sie nicht mehr los.

Er kann jeden Augenblick kommen. Die beiden sind zwar Fremde, aber man kann nie vorsichtig genug sein. Er stützte den rechten Ellenbogen auf das Knie und legte das Kinn auf die Hand. Grübelte. Wenn sie ihn später wiedererkennen … Schlimm genug, dass sie mich gesehen haben!

Eine Weile blieb er so sitzen. Schließlich erhob er sich und ging Richtung Tür. »Ich gehe ins Haus hinüber und hole etwas!«, warf er dem Großen über die Schulter zu.

Falk richtete sich auf. In seinem Blick lag Zweifel. »Gut.«

Erleichtert schloss er die Tür und legte den Riegel vor. Dann lief er, so schnell er konnte, ins Haus und kam mit einigen Balken zurück, die er gegen das Tor stemmte.

Anschließend betrachtete er zufrieden sein Werk. »So, jetzt kann er kommen!«

*

Falk hatte sich wieder hingelegt, doch Schlaf gefunden hatte er nicht. Das Verhalten des Mannes kam ihm immer seltsamer vor, je mehr er darüber nachdachte.

Plötzlich vernahm er etwas Ungewöhnliches. »Was war das für ein Geräusch?« Er stand auf. Es war weder von Bingo noch von den Pferden gekommen. Blieb nur noch … die Tür!

Er rüttelte daran, doch sie ließ sich nicht öffnen. »He! Das Tor ist zu!«

Bingo, der bis eben selig geschlafen hatte, rieb sich die Augen. Gähnte. »Wie?«

Falk drehte sich zu ihm herum. »Der Kerl hat uns eingesperrt.«

Stöhnend rappelte Bingo sich auf. »Aber … das verstehe ich nicht. Sein Pferd ist dann doch mit uns eingesperrt.«

Falk nickte. Das ließ nur den Schluss zu, dass er nicht vorhatte zu verschwinden. So fest er konnte, schlug Falk gegen die Tür. »Aufmachen! Macht sofort auf!«

Zu seiner Überraschung bekam er von draußen tatsächlich eine Antwort »Beruhigt Euch! Ich öffne die Tür bald wieder.«

Falk lachte bitter auf. Das sollte er glauben? Hielt der ihn wirklich für so dumm?

Auch Bingo rüttelte an der Tür, bekam sie aber genauso wenig auf wie er. »Seltsam!«, meinte er. »Wir …«

Unwirsch unterbrach Falk ihn, denn er hatte schon wieder etwas gehört. Erneutes Hufgetrappel. »Still! Es nähert sich ein Reiter.«

Jetzt hörte es auch Bingo.

Tatsächlich!

Aber wenn der Mann da draußen wirklich der Bauer war – wer kam da? In so einem Regen jagte man nicht einmal einen Hund vor die Tür.

Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht.

So, wie es aussah, würden sie früher oder später erfahren, was. Auf die eine oder andere Art.

*

Es regnete noch immer in Strömen, und es schien nicht so, als ob es bald aufhören würde. Große Pfützen hatten sich mittlerweile gebildet, in denen sich, wenn sich die Wolken verzogen, der Vollmond spiegelte.

Der Ankommende hatte sein Gesicht mit einer Kapuze verdeckt. Sein Umhang flatterte im Wind, machte das Pferd nervös. Es ließ den Kopf hängen, tänzelte und schnaubte.

Er war verwundert, den anderen bei diesem Wetter draußen vorzufinden – statt drinnen im Trocknen an einem wärmenden Feuer. »He! Warum stehst du im Regen? Warum …?«

Sein Gegenüber unterbrach ihn hastig. »Nennt keine Namen! Es sind zwei Fremde im Stall!«

Er fluchte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Fremde! Hier und jetzt! Der Zeitpunkt hätte nicht schlechter sein können.

Vielleicht wäre es besser, alles abzublasen. Aber dafür hatte er bereits zu viel aufs Spiel gesetzt. Dazu war ihr Plan bereits zu weit fortgeschritten. Nein, er würde es jetzt durchziehen, koste es, was es wolle.

»Kommt, wir gehen ins Haus, dort können sie uns nicht hören.«

Er nickte, stieg ab, stellte das Pferd unter und folgte ihm. Sie würden sich beratschlagen, wie es weiterging.

*

Falk presste sein linkes Ohr so fest er konnte gegen die Tür. Doch das Unwetter war immer noch so heftig, dass er außer dem Wind und dem Regen, der gegen die Wände klatschte, nichts hören konnte. Zu gerne hätte er gewusst, was die beiden dort draußen besprachen.

»Was hältst du davon, Bingo?«, wandte er sich an seinen Freund und Begleiter.

Dieser lauschte ebenfalls, schüttelte dann den Kopf. »Die beiden hecken irgendetwas aus. Bestimmt nichts Gutes.«

»Das glaube ich auch«, stimmte er ihm zu.

Sie brauchten einen Plan.

Falk dachte nach.

Raus. Er musste unbedingt hier raus.

Die Frage war nur wie. Die Tür bekamen sie auf keinen Fall auf, dafür war sie zu stabil.

Doch vielleicht gab es einen anderen Weg …

Er sah sich um.

Ihm kam eine Idee.

Er griff nach seinem Dolch und ging zu einem der großen Stützbalken.

»He! Was hast du vor?« Bingo sah ihn fragend an.

Falk war bereits dabei, den Balken hochzuklettern. Das Holz war rau unter seinen kräftigen Händen. Er hoffte, dass der Balken nicht morsch war und ihn hielt.

»Ich möchte zu gern wissen, was die miteinander besprechen«, antwortete er.

Mithilfe seines Dolches verschaffte er sich Zugang zum Dach. »So … gleich …« Dann war es geschafft.

Kalter Regen peitschte ihm unangenehm ins Gesicht. Wie gerne hätte er jetzt an einem warmen Feuer gesessen!

Lautlos huschte Falk über das Dach. Er musste vorsichtig sein, um nicht auszurutschen und runterzufallen. Ein falscher Schritt, und er würde stürzen und sich dabei wahrscheinlich das Genick brechen.

Am Ende kletterte er an einem Stützbalken wieder herunter und schlich rüber zum Haus.

Die Dunkelheit der Nacht und der Regen boten ihm Schutz.

Hinter einem Mauervorsprung versteckt, lauschte er dem Gespräch der beiden Männer.

»Das hast du gut gemacht, Pietro«, sagte der Kerl, der vor wenigen Augenblicken gekommen war.

Pietro! Jetzt wusste Falk zumindest den Namen des Burschen, der sie eingesperrt hatte und vorgab, ein Bauer zu sein. Falk hegte da immer noch große Zweifel.

»Ich binde den beiden nachher einen Bären auf. Ich erzähle ihnen, dass ich ein heimliches Stelldichein mit einer hochgestellten Dame hatte, die nicht erkannt werden wollte.«

So, so, dachte Falk.

»Dummkopf!«, fuhr der Fremde Pietro an. »Eine Dame mit einer männlichen Stimme? Sie haben mich gehört.«

»Da hast du verdammt recht«, flüsterte Falk tonlos.

»He, he, das war die Stimme eines der Dame treu ergebenen Begleiters«, versuchte Pietro ihn zu besänftigen.

Falk schüttelte den Kopf. Für wie dumm hielt der Kerl sie eigentlich?

*

Bingo ging ungeduldig auf und ab. Er hasste es zu warten.

Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Angestrengt keuchend kämpfte er sich den Balken nach oben, Falks Beispiel folgend, und quetschte sich durch die Öffnung. Schließlich hatte Falk nicht gesagt, er solle da bleiben und auf ihn warten.

»Teufel, ist das eng«, murmelte er.

Bingo zwängte sich unterdrückt stöhnend und fluchend durch. Dann huschte auch er über das Dach. Genau wie Falk kletterte er an dem Stützbalken hinunter, der jedoch unter seinem Gewicht nachgab. Knirschend löste er sich von dem Dachbalken, dann neigte er sich.

Verzweifelt klammerte sich Bingo daran fest. »Bei allen … oh!«

In seinem Geist sah er sich bereits unter den Trümmern begraben.

So würde er also sterben? Wie unrühmlich für einen Ritter!

Himmel, dachte Falk, der das Ganze aus nächster Nähe nur hilflos mit ansehen konnte. Das durfte doch nicht wahr sein! Wieso war Bingo ihm gefolgt und nicht geblieben, wo er war?

Mit Entsetzen sah Falk, dass der Balken brach.

Es knirschte, staubte, Splitter lösten sich, dann krachte es laut.

»Hilfe!« Bingo fiel auf den Rücken und keuchte schmerzerfüllt; sein Gesicht war verzerrt.

»Oh!«, stieß der Mann mit dem Kinnbart hervor, während er versuchte, der gewaltigen Masse, die Bingo darstellte, auszuweichen. Anscheinend hatte er Angst, von ihm zerquetscht zu werden.

Sein Kumpan sprang auf. »Ich bin in einen Hinterhalt geraten!«, stieß er überrascht und vorwurfsvoll zugleich aus.

Erst jetzt konnte Falk einen Blick auf ihn werfen. Er trug Handschuhe und eine Kapuze über dem Kopf. Offenbar war ihm sehr daran gelegen, dass niemand ihn wiedererkennen konnte.

»N… Nein, Herr! Das ist … einer der beiden Fremden, die ich eingesperrt hatte«, erwiderte Pietro.

Herr, dachte Falk. Die zwei schienen also nicht auf gleicher Augenhöhe zu sein.

Doch erst einmal galt seine Sorge seinem Freund und Gefährten. »Bingo! Bingo! Bist du verletzt?«

»Bei allen … das ist der andere«, murmelte Pietro.

»Wenn du schon jemanden einsperrst … du Trottel!«

Sie stellten sich Falk in den Weg. »Zieh blank, Pietro, wir erledigen den blonden Jüngling! Der Fettwanst hat sich beim Sturz das Genick gebrochen!«, sagte der Kapuzenträger.

Bingo – tot? Das konnte nicht sein. Das wollte Falk einfach nicht glauben.

Und dennoch – irgendwas schien sein Herz zu umklammern. Allein der Gedanke daran, seinen Freund so zu verlieren, war unerträglich.

Wie es Bingo ging, konnte er nicht sehen, denn die zwei versperrten ihm die Sicht.

*

Der Sturz hatte sämtliche Luft aus Bingos Lungen getrieben. Für einen Moment war ihm schwarz vor den Augen geworden. Er hatte kurz das Bewusstsein verloren. Als er wieder zu sich kam, bestand sein Körper aus einem einzigen Schmerz. Aber er erinnerte sich sofort wieder daran, was passiert war. Er sah die beiden Männer, wie sie vor Falk standen; hörte, was sie sagten.

Fettwanst? Hatte ihn da tatsächlich jemand Fettwanst genannt?

Was für eine Unverschämtheit!

Er rappelte sich auf und stürzte sich auf die beiden. »Jemand hat Fettwanst zu mir gesagt, und bei so was seh‘ ich rot!«, schrie er. Er rammte dem Kerl, der sie eingesperrt hatte, den Kopf in den Bauch.

Der Bursche stöhnte und ließ seine Waffe, die er schon gezogen hatte, fallen.

Falk war überrascht und erleichtert zugleich, Bingo wohlauf zu sehen. Dann musste er auch schon den Angriff des Kapuzenmannes abwehren. Ein heftiger Kampf entbrannte, in dessen Verlauf es Falk gelang, seinem Gegner die Waffe aus der Hand zu schlagen.

Bingo währenddessen war mit Pietro beschäftigt. Er hatte den Burschen am Bein gepackt und schleuderte ihn durch die Luft.

»Hilfe! Lasst mich los!«

Bingo lachte. »Zu Befehl!« Als er ihn losließ, flog der Mann über die Mauer und landete unsanft auf der anderen Seite auf der Erde.

Das wollte Falks Gegner ausnutzen und verschwinden. Aber Falk packte seinen Umhang. »Nicht so hastig, Freundchen!«


Doch diesmal hatte Falk Pech.

Die Schnalle des Umhangs löste sich, sodass Falk mit diesem zu Boden fiel, während der Kerl fliehen konnte. »Meinen Mantel könnt Ihr behalten!«, lachte er abschätzig und rannte zu seinem Pferd. Mit einem gekonnten Sprung war der Maskierte im Sattel und galoppierte davon.

»He!«, konnte Falk ihm nur noch hinterherrufen.

Für einen Moment überlegte Falk, sich Donner zu schnappen und ihm zu folgen. Doch der Abstand vergrößerte sich von Sekunde zu Sekunde – nein, dafür war es bereits zu spät, der Vorsprung, den der andere hatte, war zu groß. Er war entkommen.

»Schade«, meinte Falk zu Bingo, der inzwischen an seine Seite getreten war. »Ich hätte zu gern gewusst, was dieses geheimnisvolle Treffen zu bedeuten hat.«

»Fragen wir doch seinen Kumpanen«, schlug der Gaukler vor.

Falk nickte. »Gute Idee, mein Freund.«

Sie wandten sich um, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Doch der Platz, wo Pietro eben noch gewesen war, war leer.

»Oh!«, stieß Bingo hervor. »Er ist verschwunden!«

Ja, das sah Falk auch.

»Da!« Bingo streckte die Hand aus. »Das Scheunentor ist offen.«

Vielleicht war es doch noch nicht zu spät. »Der Kerl holt sein Pferd. Schnell!«

Doch auch diesmal war ihnen kein Glück beschieden. In einem halsbrecherischen Tempo jagte der Kerl an ihnen vorbei, hinaus in die Nacht.

»Wieder zu spät!«, fluchte Falk.

»Hm. Nun werden wir wohl nie erfahren, warum die beiden Männer sich hier heimlich getroffen haben.«

Das fürchtete Falk auch. Aber es war nicht mehr zu ändern.

Bingo seufzte theatralisch und setzte eine betroffene Miene auf. »Wenn dieser Balken nicht nachgegeben hätte …«

»Tja, sie wollten gerade etwas sagen, als du in Erscheinung tratest.«

»Es tut mir leid, Falk!« So, wie er dreinsah, tat es das wirklich. »Ich wollte bei dir bleiben …«

»Schon gut. Es ist ja auch gar nicht so wichtig.« Schließlich war ihnen nichts passiert. »Geht es dir wirklich gut?«

»Ja. Nur mein Stolz ist ein wenig verletzt.«

»Das wird wieder. Lass uns in die Scheune zurückgehen und weiterschlafen. Die Sonne wird bald aufgehen, und dann wird auch hoffentlich der Regen nachgelassen haben.«

»Ja. Du hast recht. Oh … da liegt etwas!« Er kniete sich hin und hob den Gegenstand auf. »Ein kleines Buch.«

Auf dem Deckel befand sich eine Blume mit einer roten Blüte. Wunderhübsch und filigran gearbeitet. Das Werk eines Meisters.

»Es muss dem Burschen aus der Tasche gefallen sein, dem ich das Fliegen beigebracht habe«, vermutete Bingo.

»Ja. Lass uns schauen, was drinsteht. Vielleicht bringt das ein wenig Licht ins Dunkle.«

In der Scheune setzten sie sich auf den Boden und lehnten sich an die Wand. Neugierig schlug Bingo das kleine Büchlein auf. Die Schrift war klein und im Schein der Lampe kaum zu entziffern.

Vielleicht war es ein Notizbuch, das die Rezepte eines Alchemisten enthielt. Oder das Tagebuch eines Minnesängers, der seine amourösen Abenteuer mit den hohen Damen der Höfe aufgeschrieben hatte.

»Und?« Auch Falk konnte kaum erwarten zu erfahren, wer da was geschrieben hatte.

Bingo schien ein wenig enttäuscht zu sein. »Es stehen Gedichte in dem Büchlein, Falk.«

Falk lachte. Das meinte er doch nicht etwa ernst, oder? »Sieh an. Ich hätte dem Kerl keine poetische Ader zugetraut.«

»Ich auch nicht. Das Büchlein scheint ihm nicht zu gehören, oder er hat es geschenkt bekommen.«

Falk krauste die Stirn. »Wie kommst du darauf?«

»Auf dem Vorsatzpapier steht ein Name. Ein weiblicher Name. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass keiner der beiden von heute eine Frau war.«

»Hm.«

»Lucia di Fiume. Hm … Fiume, Fiume … Der Name kommt mir bekannt vor«, sinnierte er. »Dir auch?«

Falk dachte nach. Schüttelte dann den Kopf. »Nein.«

»Ah, jetzt habe ich es. Pippo di Fiume ist ein berühmter Heerführer. Er hat sich große Verdienste an der Seite des Grafen Colleverde während des letzten Kreuzzuges erworben.«

»Dann ist die Besitzerin des Büchleins seine Frau?« Es wäre eine logische Schlussfolgerung gewesen. Falk hatte sich wieder hingelegt. Er wollte noch ein paar Stunden schlafen, ehe sie wieder aufbrachen.

Bingo schien es ihm nicht gleichtun zu wollen. Vielmehr wollte er offenbar hinter das Geheimnis des heute Erlebten kommen.

»Ich weiß nicht, Falk. Mehr, als ich dir gesagt habe, ist mir über Pippo di Fiume nicht bekannt. Wenn wir Graf Colleverde einen Besuch abstatten, geben wir ihm das Büchlein.«

Gähnend stimmte Falk ihm zu. »Gut. Er kann es ja dann Pippo di Fiume zukommen lassen.« Die Augen fielen ihm zu.

Bingo seufzte. »Ich glaube nicht, dass wir noch einmal gestört werden, aber es ist besser, wir wachen abwechselnd. Ich übernehme die erste Wache.«

»Hm.« Damit war Falk mehr als einverstanden. Der Schlaf übermannte ihn.

Bingo lächelte. Gönnte seinem Freund die Ruhe und las noch ein wenig weiter.

*

Der Mann mit der Kapuze hatte auf seinen Kumpanen gewartet. Ungeduldig winkte er ihn heran. Ohne seinen Mantel fror er erbärmlich in dem Regen.

»Da bist du ja, Pietro! Ich war schon in Sorge, die beiden Fremden hätten dich erwischt.«

»Viel hätte nicht gefehlt, Herr!«

Sein Gegenüber nickte. »Doch nun zum Grund unserer Verabredung. Bist du sicher, dass du das Richtige gefunden hast?« In seiner Stimme schwang eine Mischung aus Zweifel, Aufregung und Ungeduld.

»Ganz sicher. Auf Eurem Zahlenschlüssel steht inmitten von Rosen und Dornen wirst du es finden

»Hm.«

»Es handelt sich dabei um ein schmales Gedichtbändchen, das Rosen und Dornen heißt. Mithilfe des Zahlenschlüssels werden bestimmte Wörter zu finden sein, die aneinandergereiht einen neuen Sinn ergeben.«

Sein Herr war beeindruckt. »Donnerwetter! Als ich die Habseligkeiten des gefallenen Pippo durchsah, die auf Burg Colleverde gebracht worden waren, fiel mir der Zahlenschlüssel sofort auf. Nur konnte ich mir nicht erklären, worauf er passen würde.«

»Es war eine gute Idee von Euch, Herr, mich als Diener bei den Fiumes zu empfehlen!« Er lachte über die Dummheit und Naivität seiner Dienstherren. »Wenn ich denke, dass Fräulein Lucia und ihr vertrottelter Großvater in fast ärmlichen Verhältnissen leben, während sie reich sein könnten.«

Ja, sie ahnten tatsächlich nichts davon. Was für eine Ironie des Schicksals.

»Dabei werden wir jetzt reich. Hier habt Ihr das Büchlein!« Er lachte wieder. Seit Tagen schon träumte er von nichts anderem, als von den Mengen an Geld, in denen er bald schwimmen würde. Und was er sich dafür alles kaufen wollte! Edle Kleider …

»Du wirst einer der wenigen sein, die sich wirklich totgelacht haben! Da!«

Pietro sah die verräterische Bewegung seines Auftraggebers nicht. Zu sehr war er mit seinen Gedanken woanders. Stattdessen spürte er plötzlich einen scharfen Schmerz. Er war so heftig, dass er mit einem Aufschrei vom Pferd fiel und bewegungslos auf der nassen Erde liegen blieb. Nur noch verschwommen sah er den anderen, das blutige Schwert in seiner Hand.

»Dummkopf!«, stieß der abschätzig hervor. »Dachtest du wirklich, dass ich mit dir teilen wollte?« Seine Stimme troff nur vor Spott.

Es war das Letzte, was Pietro in seinem Leben hörte.

Einen Atemzug später war er tot.

Der Kapuzenmann stieg ab, nachdem er sein Schwert wieder zurück in die Scheide hatte gleiten lassen.

Außerdem kann ich bei diesem gefährlichen Geschäft keine Mitwisser brauchen, dachte er.

Er kniete sich neben den Toten, tunlichst darauf bedacht, nicht mit dessen Blut in Berührung zu kommen.

So. Nun das Büchlein, das mich reichen machen wird!

Der Vermummte tastete Pietro ab. Wieder und wieder, begierig darauf, besagtes Objekt endlich in den Händen zu halten. Aber …

Hölle, Tod und Teufel!, fluchte er stumm, aber umso heftiger. Er hat das Buch nicht! Ob er mir misstraut hat? Nein, er wollte es mir geben. Er fasste unter den Wams des Toten. Aber da ist es nicht!

Noch einmal suchte er ihn ab. Vergebens.

Verdammt! Es muss ihm aus dem Wams gerutscht sein, als der Fettwanst ihn über die Mauer gewirbelt hat!

Er dachte nach.

Hm, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder haben es die Fremden gefunden und an sich genommen, oder es liegt noch zwischen den Ruinen.

Sein Blick wanderte wieder zu Pietro. Kurzentschlossen packte er dessen Beine und zog ihn zu seinem Pferd.

Ich darf kein Risiko eingehen!

Er wuchtete den leblosen Körper hoch und legte ihn über den Sattel.

So und nun …

Auch er stieg wieder auf und griff nach den Zügeln des anderen Pferdes.

Ich kann gegen die beiden Fremden nichts ausrichten, aber … Wo Gewalt versagt, hilft List weiter. He, he, he!

Er machte sich auf. Vor dem Weg, der nach dem verfallenen Gehöft abzweigte, ließ er den Toten zu Boden gleiten, dann ritt er so schnell er konnte davon.

Nun wird es ein Wettrennen mit der Zeit, das ich gewinnen muss. Das ich gewinnen werde!

Falk 8: Pippo di Fiumes Schatz

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