Читать книгу Falk 8: Pippo di Fiumes Schatz - Melanie Brosowski - Страница 7

ZWEI

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Am nächsten Morgen schlug Bingo die Augen auf, streckte und reckte sich. Dann erhob er sich, ging zur Tür, öffnete sie und sah hinaus. Über sein Gesicht glitt ein freudiges Lächeln.

»Gott sei Dank! Die Sonne scheint wieder, Falk! Wach auf, du Langschläfer!«, rief er seinem Freund über die Schulter zu.

Falk lag noch auf dem Boden, die Decke bis zum Kinn gegen die nächtliche Kälte hochgezogen. Er hatte nicht wirklich gut geschlafen. Gähnend richtete er sich auf. »Ich … guten Morgen, Bingo!« Mit den Händen fuhr er sich durch das lange, blonde Haar.

Bingo kam zu ihm. Grinste. »Soll ich dir diesen Eimer Wasser über den Kopf schütten, damit du munter wirst?«

Falk wusste, dass Bingo es durchaus ernst meinte. Aber er war nicht besonders erpicht darauf. »Ich ziehe mich erst zum Waschen aus, dann meinetwegen.«

Bingo lachte.

Doch ehe er etwas erwidern konnte, hob Falk die Hand.

»Was ist?«

Falk deutete nach draußen. »Sieh, da drüben auf der Wiese! Ein Pferd!«

Jetzt bemerkte Bingo es auch. Warum war es ihm vorhin noch nicht aufgefallen? Seltsam.

Das Tier graste friedlich im Morgengrauen.

»Oh! Und da auf dem Weg, das sieht ja aus, als ob …«

Falk nickte. Auch er sah die reglose Gestalt und ahnte Schlimmes.

»Junge, Junge«, murmelte Bingo. Solche Überraschungen am frühen Morgen mochte er gar nicht.

Falk rannte los. Vielleicht lebte der Mann noch.

Bingo folgte ihm auf dem Fuße.

Bei ihm angekommen, knieten sich beide nieder. Falk streckte die Hand aus. Der Körper war kalt, der Brustkorb hob und senkte sich nicht mehr. Er lauschte. Nein, da war kein Atemgeräusch zu hören.

»Bei allen …« Bingo war entsetzt. »Das ist der Bursche, der uns letzte Nacht in der Scheune eingesperrt hat. Sollte ich ihn zu hart angefasst haben?«

Falk hörte das Zittern in der Stimme seines Freundes. »Nein.« Er legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. »Der Mann ist tot, Bingo, aber du bist nicht schuld daran. Sieh!« Er deutete auf das Loch im Wams. »Jemand hat ihn mit einem Schwert niedergestochen.«

»Großer Himmel!« Bingo war erleichtert und entsetzt zugleich.

»Ist das das ruhige Land, von dem du geschwärmt hast, Bingo?« Ganz konnte Falk den Vorwurf aus seiner Stimme nicht verbannen. »Erst das heimliche nächtliche Treffen, das auf eine Verschwörung schließen lässt, dann Freiheitsberaubung und nun … Mord!« Falk war ganz und gar nicht wohl bei der Sache.

»Ich verstehe das nicht. Was sollen wir jetzt tun?«

Das war eine gute Frage.

Falk überlegte. Sie konnten den Toten allein aus Pietätsgründen schon nicht hier einfach liegen lassen. Schließlich waren sie Männer von Ehre.

»Wir bringen ihn in die Stadt oder auf Graf Colleverdes Burg«, schlug er schließlich vor.

»Besser zur Stadtwache«, erwiderte der Gaukler.

»Gut, wenn du meinst.« Er hob den Leichnam an. »Hilf mir, wir binden ihn auf sein Pferd und …«

Sie sahen die Ankommenden fast gleichzeitig. Ein Dutzend Männer. Mit Helmen und Piken auf Pferden, deren Hufschläge donnerten.

»Bewaffnete!«

»Hm.«

Das würde Ärger geben, vermutete Falk. Und er sollte recht behalten.

Ihr Anführer preschte auf sie zu, zügelte dann grob seinen Rappen. »Halt!«, befahl er lautstark. »Im Namen des Grafen Colleverde, was macht ihr da? Wer seid ihr?« Finster dreinblickend musterte er sie. Ehe Falk etwas antworten konnte, keuchte der Mann neben dem Anführer erschrocken auf und streckte die Hand anklagend aus. »Herr! Der Tote … Es ist tatsächlich ein Diener der Familie di Fiume!«

Falk traute seinen Ohren nicht. Was sollte der Mann sein?

Fragend sah er zu Bingo, der allerdings noch nicht seine Sprache wiedergefunden hatte.

Dafür ergriff der Anführer mit dem roten Umhang und dem Hut mit der Feder wieder das Wort. »Gut, dass ich den Hinweis ernst genommen habe. Nehmt die beiden fest!«

Das wollte sich Bingo natürlich nicht gefallen lassen, waren sie beide doch unschuldig. »Bei allen … wir haben nichts mit diesem Toten zu tun!«, erwiderte er.

Doch so einfach war die Sache für den Anführer der Gruppe nicht erledigt. »Das wird sich herausstellen. Durchsucht sie, Männer! Seht auch in der Scheune nach!«

Sie packten Falk und Bingo, hielten sie gröber als nötig fest, während sie sie durchsuchten.

»Unerhört! Ich bin Ritter Falk von Steinfeld und dies ist mein Freund Ritter Bingo della Rocca!«

Falks Protest blieb jedoch ohne Wirkung.

Im Gegenteil. Einer der Männer lachte höhnisch. »Ritter? Ihr? Eher lausiges Gesindel!«

Und so konnten die beiden es nur über sich ergehen lassen und hoffen, dass sich alles zu ihren Gunsten klärte. Denn wieso auch nicht? Sie waren schließlich unschuldig, hatten nichts verbrochen; ja waren sogar selbst Opfer dieser beiden Fremden gewesen.

Natürlich fand man das Buch.

Interessiert blätterte der Anführer mit dem langen schwarzen Schnauzbart es durch. »Interessant. Ein Gedichtbändchen, das Lucia di Fiume gehört. Wie kommt es unter Euer Wams, wenn Ihr nichts mit dem Toten zu tun habt?« In seinen Augen funkelte es. Seine Männer fingen an zu munkeln.

Falk spürte, wie die Stimmung kippte. Die Situation wurde für sie eindeutig gefährlich.

»Die beiden haben viel Geld in ihren Satteltaschen, Herr!«, warf derjenige in die Runde, der ihr Hab und Gut unter die Lupe genommen hatte.

»Ha!« Auflachend stemmte der Anführer die Fäuste an die Hüften. »Damit ist Eure Schuld erwiesen. Dieser Unglückliche sollte zwanzig Pferde einkaufen. Ihr habt ihn überfallen, ermordet und ausgeplündert. Mit solchen Strauchdieben machen wir hier kurzen Prozess! Als Vogt des Grafen verurteile ich Euch hiermit zum Tode. Habt Ihr Einwände, Hauptmann?« Damit wandte er sich an den Mann, der neben ihm stand.

Dieser schüttelte vehement den Kopf. Es schien ihm gar nicht schnell genug mit der Hinrichtung zu gehen. »Nein, Vogt, die beiden Fremden sind schuldig. Holt Stricke, Männer! Und dann an den Baum dort mit ihnen!« Er deutete zu einer großen Eiche mit starken Ästen. Nahezu perfekt für eine schnelle Hinrichtung.

Falk war fassungslos. Man hatte ihnen nicht einmal die Gelegenheit gegeben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Von einer fairen Verhandlung ganz zu schweigen.

»Wie? Ich habe wohl nicht richtig gehört!«, fuhr er den Kerl an.

»Seid Ihr wahnsinnig geworden, Vogt?« Auch Bingo hatte sich endlich aus seiner Schockstarre gelöst. »Wir sind Ritter!« So konnte man doch nicht mit ihnen umgehen!

Statt eine Antwort zu geben, wandte der Vogt Falk und Bingo voller Verachtung den Rücken zu. Mit so einem Pack wollte er anscheinend nichts weiter zu tun haben.

Entsetzt und hilflos zugleich beobachteten Falk und Bingo, wie die Männer die Stricke für ihre Exekution vorbereiteten.

So sollten sie also enden? Wie Verbrecher nebeneinander an einem Ast baumeln?

Das konnte und wollte keiner von ihnen glauben.

Es musste doch einen Ausweg geben!

»Ihr macht einen großen Fehler, Vogt!«, versuchte Bingo es erneut. »Wir sind wirklich Ritter!«

»Ritter?« Der Vogt wandte sich um und verzog spöttisch das Gesicht. »Da muss ich ja lachen! Ritter? Nein, wohl eher ein Fettwanst!« Er spuckte Bingo das Wort geradezu ins Gesicht.

Was Bingo sich natürlich nicht gefallen ließ. In seiner Ehre gekränkt, ging er auf den Vogt los, was für Falk verständlich war, aber ihre Situation nicht gerade verbesserte.

»Bei dem Wort Fettwanst sehe ich rot!« Wütend und außer sich packte er den Vogt an seinem Hemd.

Dieser war so überrascht von Bingos Attacke, dass er sich gegen diesen Angriff nicht wehrte. »Ah!«

»He!« Der Hauptmann sah die Gefahr, in der der Vogt schwebte und fürchtete um dessen Leben.

»Hilfe!« Reglos hing der Vogt in Bingos großen Händen.

»Beschützt den Vogt! Haltet die Mörder!«, schrie der Hauptmann.

Die Situation eskalierte. Die Männer zogen ihre Waffen, bereit, für ihren Vogt zu töten und zu sterben.

Natürlich blieb auch Falk nicht tatenlos. »Weg mit dem Dolch, Hauptmann!« Mit einem kräftigen Faustschlag in den Nacken brachte Falk den Kerl zu Fall. Stöhnend ging dieser zu Boden.

Ein wilder Kampf entbrannte.

Falk hatte lediglich seine bloßen Hände, um gegen die Bewaffneten anzugehen. »Zurück mit euch!«

Zum Glück besaß er genug Erfahrung und auch die entsprechende Körperkraft, um sie in Schach zu halten, indes Bingo sich eines Dolchs bemächtigt hatte, den er dem Vogt an den Hals hielt, während er ihn mit der anderen Hand festhielt.

»Lasst mich sofort los!«, verlangte der Vogt entrüstet. »Sonst gebe ich den Befehl, Euch niederzustoßen!«

Darauf ging Bingo natürlich nicht ein. Das hätte Falk auch sehr gewundert.

»Damit könnt Ihr uns nicht erschrecken, Vogt. Zwischen Stahl und Hanf ist kein großer Unterschied. Das Ergebnis ist das Gleiche!«

Da musste Falk seinem Freund recht geben. Wobei, wenn er die Wahl hatte, würde er vermutlich den Stahl vorziehen. Ein schnellerer und wahrscheinlich weniger qualvoller Tod, als elendig zu ersticken, wenn man sich nicht sofort das Genick brach.

»Nur für Euch nicht!«, fuhr Bingo fort. »Wenn Eure Männer ihre Waffen gegen uns erheben, seid Ihr des Todes!«

Der Vogt schüttelte leicht den Kopf. In seinen Augen blitzte es auf. »Ah! Ihr … Ihr wagt es … damit kommt Ihr niemals durch!«

Die Männer hatten sich mittlerweile zurückgezogen. Abwartend. Niemand von ihnen wollte für den Tod des Vogts verantwortlich sein, was Falk nur zu gut verstehen konnte. »Es geschieht nur zu Eurem Besten, Vogt!«, sagte er.

»Wie?« Verständnislos sah er ihn an. Nein, Furcht hatte dieser Mann nicht. Und dafür bewunderte Falk ihn insgeheim.

»Wir wollen Euch nur vor einer großen Dummheit bewahren.« Falk sah sich um, deutete dann auf einen der Männer. »He, du da!«

Der Angesprochene zuckte zusammen. »Ich?«

»Ja. In unseren Satteltaschen ist nicht nur Geld. Bring mir die Papiere, die da drin sind.«

Der Mann nickte, ging los und kam kurz darauf mit dem Verlangten wieder. Er reichte Falk die Papiere, die dieser dem Vogt zeigte. »Dies ist ein Begleitbrief des Grafen Vallechiara. Lest ihn! Wir sind nämlich wirklich Ritter!«

Nur widerstrebend kam der Vogt der Aufforderung nach. Mit den Augen überflog er die Zeilen. »Oh! Tatsächlich …«

Bingo grinste. »Seht Ihr? Wir haben die Wahrheit gesagt.«

Falk wandte sich nunmehr an den Hauptmann. »Kommt her, Hauptmann! Ihr sollt den Brief auch lesen!«

»Hm!« Der Bärtige nahm den Brief und las. Als er fertig war, hob er den Kopf. »Es stimmt. Aber … das braucht noch lange nicht zu bedeuten, dass Ihr unschuldig seid!«

Bingo schnaubte abfällig. »Nein? Es erklärt aber zumindest, warum wir so viel Geld bei uns haben. Das ist unsere Reisekasse, Verehrtester!«

Falk holte tief Luft. Zumindest ein wenig hatte sich die Situation mittlerweile entspannt. »Nun zu dem Büchlein!« Mit wenigen Worten schilderten er und Bingo, was sich während der vergangenen Nacht auf dem verfallenen Bauernhof abgespielt hatte.

Der Vogt und seine Männer hörten zu, blieben aber trotzdem skeptisch. »Eine sonderbare Geschichte, findet Ihr nicht auch, Hauptmann?«

Dieser nickte zustimmend. »In der Tat, Vogt!«

»Ob sonderbar oder nicht, sie ist wahr!«, beharrte Falk.

»Nun gut«, lenkte der Vogt endlich ein. »Wir bringen Euch zu Graf Colleverde. Er soll das Urteil über Euch sprechen.«

Falk lächelte erleichtert. »Das gefällt mir schon besser als Eure übereilte Strickmethode!«

»Verzeiht! Da wussten wir ja noch nicht, dass Ihr dem Ritterstand angehört!«, versuchte sich sein Gegenüber zu verteidigen.

»Ach nein!«, erwiderte Falk. »Für Euch scheint es zweierlei Recht zu geben, Vogt! Einen armen Teufel hängt Ihr in diesem Lande mir nichts dir nichts auf, ohne nachzuprüfen, ob er wirklich schuldig ist?« Es war mehr eine Feststellung, denn eine Frage.

Dennoch ließ es sich der Vogt nicht nehmen, darauf zu antworten. »Ich habe nicht die Absicht, mit Euch über Rechtsfragen zu debattieren, Ritter! Holt Eure Pferde, wir wollen zu Graf Colleverde reiten!«

»Gut!«

Die Überheblichkeit in der Stimme des Vogts war nicht zu überhören. Doch Falk ging nicht darauf ein. Es würde nichts bringen. Er hoffte nur, dass auch Bingo sich zurückhielt. Was dieser natürlich nicht tat.

»Einen Augenblick, Vogt!«, fuhr er dazwischen. »Zwischen uns beiden ist noch etwas zu regeln!«

»Wie?« Der Vogt, der im Kampf seinen Hut verloren hatte, sah Bingo erstaunt an.

»Ihr habt mich Fettwanst genannt! Mich, den großen, einmaligen, herrlichen Ritter Bingo della Rocca!«

»Oh! Nun ja …« So ganz wohl schien sich der Mann nicht in seiner Haut zu fühlen.

Falk stand abwartend neben den beiden, bereit, jederzeit einzugreifen.

»Ich verlange Genugtuung!«, forderte Bingo.

Falk seufzte und versuchte ihn zu beschwichtigen. Es gab nun wirklich Wichtigeres zu tun. »Lass doch …«

»Oh nein!« Zu Falks Überraschung war es diesmal der Vogt, der Einwand erhob. »Euer Freund hat mir einen Weg gezeigt, wie Ihr doch noch an Ort und Stelle bestraft werden könnt!« Er grinste hinterhältig.

Falk fluchte im Stillen. Hätte Bingo doch nur besser den Mund gehalten! Doch nun war es zu spät.

»Wir brauchen Graf Colleverde nicht zu bemühen. Übernehmt Ihr Ritter Falk, Hauptmann?«

Der Bärtige nickte. »Mit Vergnügen, Vogt!«

Beiden, Bingo und Falk, war klar, was folgen würde. Ein Kampf Mann gegen Mann.

»Das ist also das friedliche Land mit den friedlichen Leuten, durch das du mich führen wolltest, Bingo?« Natürlich war es nicht Bingos Schuld. Dennoch …

»Hm!« Sein Freund und Begleiter senkte betroffen den Blick, und schon bereute Falk seine vorwurfsvollen Worte wieder. Ehe Bingo noch etwas sagen konnte, rief der Hauptmann: »Na, seid Ihr bereit, Fettwanst?« Er hatte sich seines Umhangs entledigt und stand kampfbereit da.

Bingo seufzte und betrachtete kurz gedankenverloren das Schwert, das man ihm gegeben hatte.

Besorgt sah Falk zu ihm.

»Der Kampf beginne!«, sagte der Vogt und drang umgehend siegessicher auf Bingo ein, während der Stadthauptmann Falk als seinen Gegner erst einmal musterte. Sofort wurde Falk klar, dass er diesen Mann ernst nehmen musste. Wenn er sein Alter richtig einschätzte, hatte er schon einige Jahre und Kämpfe hinter sich. Und so musste er auf der Hut sein und konnte nur gelegentlich einen Blick zu seinem Freund werfen.

»Da und da, Fettwanst!« Ungehalten schlug der Vogt auf Bingo ein. Ihre Schwerter prallten laut aufeinander. »Bevor ich dich niederstoße, wirst du ein paar Pfund abnehmen!«

Sein Spott und Hohn trafen Bingo tief. Und natürlich ließ er sich das nicht gefallen und ging zum Gegenangriff über. »Da Ihr vom Abnehmen sprecht … Euer Schnurrbart ist entschieden zu lang. Ich nehme ihm erst die rechte Seite ab … und dann die linke.«

Und mit gezielten Hieben tat er es.

Der Vogt stand wie erstarrt da, als erst die eine und kurz darauf die andere Seite seines Spitzbartes zu Boden fiel. Ungläubiges Erstaunen und Wut standen in seinem Blick.

»Na, wo ist Eure Forschheit geblieben?«, setzte Bingo nach. Tatsächlich war sie von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen.

»Bei allen …«

»Dämmert Euch, dass ich eben genauso gut statt des Schnurrbartes Euren Hals hätte treffen können?«

»Teufel, ja!« Doch trotz dieser Demonstration seines Könnens drang der Vogt weiter auf Bingo ein. Ungehaltener und wütender noch als vorher. Schließlich hatte er vor seinen Männern sein Gesicht verloren. Bingo hatte ihn zum Gespött gemacht, und das würde er ihm heimzahlen.

Doch Bingo lachte nur über seine ungelenken Attacken. »Ha, ha, seid Ihr stürmisch!«

»Ah!«

»Hi, hi, hi, Ihr kitzelt mich unter dem Arm, Vogt!« Bingo hielt den Arm des Vogts fest und griff nach der Nase seines Gegners. »Ja! So steht Euch der Schnurrbart viel besser. Nur die Nase müsste dazu etwas dicker sein. Aber dem ist ja abzuhelfen!« Mit voller Wucht schlug er dem Vogt die Faust auf das besagte Körperteil.

Der Kerl taumelte benommen zurück, verlor dabei seine Waffe und brach zusammen.

Ein überraschtes Raunen ging durch die Reihen der Umherstehenden.

Ein klarer Sieg für Bingo, der sich nunmehr seinem Freund zuwandte. Mit in die Hüften gestemmten Händen spottete er: »Na, Falk? Spielst du noch immer mit dem Hauptmann?«

»Verd…«, fluchte dieser, als Falk seinen Angriff gekonnt parierte.

»Du hast recht, Bingo! Jetzt ist es genug!« Falk holte aus, und mit einem kräftigen Schwerthieb entwaffnete er seinen Gegner.

Dem Hauptmann entwich ein schmerzhaftes »Oh!«, ehe er zu Boden ging, wo er wehrlos liegen blieb.

Falk lächelte milde. Sein Gegner hatte tapfer und gut gekämpft, das erkannte er an. »Wollt Ihr den Kampf fortsetzen, oder soll es genug sein?«

Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Es … Ihr seid unschlagbar … Wenn ich Euch beleidigt habe … verzeiht mir!«

Die beiden Ritter hatten die Sache eindeutig für sich entschieden.

Und Falk war froh, dass der Hauptmann so einsichtig war. »Ist Euch klar, dass ich Euch hätte töten können?«

»Ja.« Seinem Gesichtsausdruck nach war es ihm tatsächlich bewusst. »Ihr habt es nicht getan.« Ein wenig schien er darüber verwundert zu sein. Er dachte kurz nach und fuhr dann fort: »Und genau deshalb glaube ich auch nicht mehr, dass Lucia di Fiumes Diener von Euch ermordet wurde.«

Nun, das war wenigstens etwas.

Falk lächelte und half dem Mann auf. Dieser ließ sich von einem der Männer seinen Umhang umlegen. Seine warnenden Worte dabei waren jedoch an Bingo gerichtet. »Ihr habt dem Vogt böse mitgespielt, Ritter Bingo. Er ist ein stolzer und nachtragender Mann. Ganz gleich, wie er sich in Zukunft Euch gegenüber verhält … Er ist von nun an Euer Todfeind.«

Das hat uns gerade noch gefehlt, dachte Falk.

»Danke für die Warnung, Hauptmann!«, erwiderte Bingo gelassen. Ihn schien ein weiterer Mann auf dieser imaginären Liste nicht zu stören.

Der Hauptmann sah auf den bewusstlosen Vogt nieder. »Es ist wohl besser, er sieht Euch nicht gleich, wenn er wieder zu sich kommt.«

Dem konnte Falk nur zustimmen.

Der Hauptmann wandte sich an seine Männer. »Bleibt beim Vogt und begleitet ihn zurück, wenn er erwacht! Ich reite mit den beiden Rittern voraus!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Falk war froh, als man ihnen ihre Pferde brachte.

Zusammen mit dem Hauptmann ritten sie los. Endlich hatte Falk Zeit, in Ruhe und ausführlich von den Geschehnissen zu berichten.

Der Hauptmann hörte interessiert zu.

»Leider konnte ich letzte Nacht nicht mehr hören, Hauptmann«, beendete Falk irgendwann seinen Bericht.

»Hm. Merkwürdig. Sehr merkwürdig.« Er schien nachzudenken.

»Ja! Noch merkwürdiger finde ich es, dass der Diener Lucia di Fiumes mit einem Gedichtbändchen durch die Gegend reitet.« Falk hatte stundenlang darüber nachgegrübelt, doch er war noch immer nicht zu des Rätsels Lösung gekommen.

»Ob das der Gegenstand war, den der Diener dem Unbekannten geben wollte?«, mischte sich nunmehr auch Bingo ein und tat seine Gedanken zu dieser Sache kund.

»Hm!« Falk krauste die Stirn und schloss kurz nachdenklich die Augen. »Das könnte sein, Bingo! Und da er ihm das Büchlein nicht geben konnte, weil er es während des Handgemenges mit uns verloren hatte, gerieten sie in Streit!« Das musste es sein! Warum war er selbst nicht darauf gekommen? »Und dabei wurde der Diener getötet«, murmelte Falk.

Der Hauptmann sah ihn an. »Möglich.«

Falk nickte. Aber irgendetwas stimmte an seiner Theorie noch nicht so ganz. »Andererseits, wenn das Büchlein so wichtig für den Unbekannten ist, dann wäre er zurückgekommen, um es zu suchen.«

»Aber das ist er nicht.«

»Nein. Bingo und ich haben abwechselnd gewacht. Es hat sich niemand dem Hof genähert.«

»Weshalb zerbrecht Ihr Euch den Kopf darüber, Ihr Herren? Euch geht das Ganze doch nichts an.«

Falk lachte auf. »Das sagt Ihr!« Für Falk war die Sache noch lange nicht beendet. »Noch ist der Verdacht, dass wir den Diener erschlagen haben, nicht von uns genommen. Wenn wir herausbekommen könnten, was sich abgespielt hat, nachdem die beiden Männer geflüchtet sind …«

Der Hauptmann nickte. »Ich verstehe Euch.«

»Schade, dass der Vogt uns das Büchlein abgenommen hat.«

Bingo hatte anscheinend genug von dem Thema. »Übrigens … warum ist der Bauernhof verfallen?«, fragte er. »Als ich vor fünf Jahren …«

»Der Bauer stand mit dem Teufel im Bunde!«, unterbrach der Hauptmann ihn harsch. Seine Miene verfinsterte sich. »Er versuchte, den Vogt mit Hexerei umzubringen, da wurde er zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Seine Frau und seine Söhne haben nach der Hinrichtung das Land verlassen.«

Bingo wurde eine Spur blasser. Er hatte anscheinend mit vielem gerechnet, aber nicht mit solch einer schrecklichen Geschichte. »Das … das ist ja …« Ihm fehlten die Worte.

»Ruhig, Bingo!«, sagte Falk und wandte sich wieder an den Hauptmann, begierig darauf, auch den Rest zu hören. »Warum wollte der Bauer den Vogt verhexen?«

»Es ging um die Abgaben.«

»Die Abgaben?« Falk verstand nicht ganz.

»Bei einer Überprüfung wurde festgestellt, dass der Bauer zu wenig Abgaben leistete. Der Bauer beschuldigte den Vogt, einen Teil der Abgaben einbehalten zu haben. Der Vogt drohte ihm, da fiel er auch schon bewusstlos zu Boden.«

Das war mehr als seltsam, in der Tat.

»Er wurde krank. Er stöhnte immerfort, dass der Bauer ihn in Gestalt eines Teufels peinigte.«

Oh, dieser verfluchte Aberglaube!, dachte Falk. »Auf die Idee, dass der Bauer die Wahrheit sagte, und der Vogt diese Komödie aufführte, um eine Untersuchung wegen Veruntreuung gegen sich abzuwenden, ist wohl niemand gekommen, oder?« Falk war sich durchaus bewusst, was er dem Vogt da vorwarf. Aber das erschien ihm wesentlich wahrscheinlicher, als dass der Bauer den Vogt verhext hatte.

»Herr!«, fuhr der Hauptmann ihn an.

»Ich nehme an, der Hof mit den Ländereien ist als kleine Wiedergutmachung in den Besitz des Vogtes übergegangen«, mutmaßte er weiter.

»In der Tat! Woher wisst Ihr …?«

Falk lachte auf. »Dazu braucht man kein Hellseher zu sein!« Er hatte nur eins und eins zusammengezählt.

»Ihr … Ihr glaubt nicht an Geister und übersinnliche Erscheinungen?«

»Nein.« Das tat Falk nun wirklich nicht. Seiner Meinung nach gab es für alles eine logische Erklärung. Man musste nur lange und genau genug danach suchen.

»Dann behaltet diese Meinung besser für Euch, wenn ich Euch einen guten Rat geben darf«, warnte der Hauptman ihn. »Graf Colleverde kann sehr ungnädig werden. Er ist ein fanatischer Anhänger der Geisterkunde.«

»Oh!«, entfuhr es Falk. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt! Ihnen blieb aber auch gar nichts erspart auf dieser Reise.

Bingo schwieg, hing offenbar seinen Gedanken nach.

Irgendwann deutete der Hauptmann auf ein gewaltiges Anwesen auf einem Hügel. »Das ist das Schlösschen der Familie di Fiume. Übrigens, man munkelt, dass Lucia di Fiume eine Hexe sei!«

Falk seufzte. Auch das noch. »Großer Himmel! Bingo, wohin hast du mich geführt?«

Doch ehe der Ritter etwas erwidern konnte, fuhr der Hauptmann fort. »Oh! Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ihr Diener hat das Büchlein gestohlen und ist von ihr aus der Entfernung durch schwarze Kunst getötet worden!«

»Wie?«, fragte Bingo.

»Ah!«, entfuhr es Falk.

Plötzlich zog der Hauptmann sein Pferd herum.

»He! Wo wollt Ihr hin?«, fragte Falk, dessen Pferd scheute.

»Himmel, ein teuflischer Bann liegt auf dem Büchlein! Jeder ist in höchster Gefahr, der es bei sich trägt! Ich muss sofort den Vogt warnen. Reitet schon voraus und berichtet Graf Colleverde, was geschehen ist!«

Bingo schnaubte abfällig. »Ja sind denn die Leute hier während der letzten fünf Jahre alle übergeschnappt?«

Falk zuckte ratlos mit den Schultern. Die Loyalität des Hauptmanns in allen Ehren, aber … »Komm, wir müssen Lucia di Fiume warnen. Ich möchte verhindern, dass noch ein unschuldiger Mensch auf dem Scheiterhaufen endet.«

»Hoffentlich komme ich nicht zu spät, und der Vogt ist dem Hexenbann nicht schon erlegen!« Große Sorge und Angst standen dem Mann ins Gesicht geschrieben.

»Das ist doch Unsinn!«, versuchte Falk ihn zu beruhigen. »Mein Freund Bingo hat das Büchlein die ganze Nacht bei sich getragen, ohne dass etwas geschehen ist!«

Doch der Hauptmann hörte nicht auf ihn und preschte eilig davon, eine Staubwolke aufwirbelnd. Sein Umhang flatterte im Wind.

»So hört doch!«, rief Falk ihm hinterher.

»Lass ihn, Falk! Der Hauptmann steckt so voller Aberglauben, dass er ihm schon aus den Ohren quillt«, meinte Bingo.

»Ja, und nach den Erzählungen des Hauptmanns unterscheidet sich Graf Colleverde leider in dieser Beziehung nicht sehr von ihm.«

Bingo nickte zustimmend.

»Großer Himmel! Wohin hast du mich geführt, Bingo?«

Der Gaukler griff an seine Mütze mit der Feder. »Es tut mir leid, Falk. Die Leute hier waren vor fünf Jahren nett und vernünftig. Sie müssen in der Zwischenzeit verrückt geworden sein.«

Offensichtlich. Anders konnte Falk es sich auch nicht erklären. »Komm! Bevor wir zu Graf Colleverde reiten, warnen wir Fräulein Lucia di Fiume.«

Zum Glück war Bingo derselben Ansicht. »Ja! Diesen Narren traue ich alles zu.« Er folgte seinem Freund. »Schade, dass wir das Gedichtbändchen nicht zurückgeben können.«

»Dieses Gedichtbändchen … Damit muss es eine besondere Bewandtnis haben«, überlegte er laut. »Ist dir nicht irgendetwas daran aufgefallen, Bingo?« Schließlich hatte sein Begleiter im Gegensatz zu ihm darin gelesen. »Ich meine Anmerkungen, Unterstreichungen oder Ähnliches.«

Angestrengt dachte Bingo nach und schüttelte schließlich nach einer Weile bedauernd den Kopf. »Nein, Falk! Während ich Wache hielt, habe ich das Büchlein nur überflogen. Es stehen nur Gedichte darin.« Er verdrehte die Augen. »Schmalzige Liebesgedichte, wenn du es genau wissen willst.«

Nun, das brachte sie nicht weiter.

*

Während Bingo und Falk zum Anwesen von Lucia di Fiume ritten, war der Hauptmann unterwegs zurück zum Vogt.

Er machte sich große Sorgen um ihn. Hoffte, dass der Fluch noch nicht zugeschlagen hatte.

Fest drückte er dem Pferd die Hacken in die Flanken und trieb es zur Eile an. Er spürte die Muskeln des Tieres arbeiten. Schaum tropfte ihm vom Maul.

Weiße Schönwetterwolken standen am Himmel. Ein Schwarm Vögel zog über ihn hinweg.

Der Weg zurück erschien ihm nahezu unendlich.

Dann tauchten plötzlich Reiter in der Ferne auf. Und tatsächlich waren es seine Männer, angeführt vom Vogt.

Gott sei Dank! Unendliche Erleichterung durchfuhr ihn. Der Vogt lebt!

Kurz darauf zügelte er sein Pferd.

»Hölle, Tod und Teufel!«, stieß der Vogt aus. »Die beiden Fremden sind Euch entwischt!«, warf er ihm umgehend vor. »Es war bodenloser Leichtsinn von Euch, mit ihnen ohne einige Bewaffnete voranzureiten! Euch trifft die volle Verant…«

»Halt, halt, Vogt!«, unterbrach er ihn, wohl wissend, wie ungehalten der Vogt darauf reagieren würde. »Es ist alles ganz anders!«

»So?« Er musterte ihn skeptisch.

»Die beiden Fremden sind unschuldig!«, versicherte er. Ja, mittlerweile war er davon überzeugt. »Lucia di Fiume, die Hexe, hat den Diener umgebracht!«

»Wie?« Der Vogt schien ihm nicht zu glauben.

»Aus der Entfernung, durch schwarze Magie!«, führte er aus.

»Oh!«

»Das ist mir blitzartig aufgegangen, als wir an ihrem Anwesen vorüberritten. Deshalb bin ich umgekehrt. Ihr seid in Gefahr, in höchster Gefahr, solange Ihr das teuflische Büchlein bei Euch tragt!« Er stieg hastig aus dem Sattel. Jetzt galt es, das Schlimmste noch rechtzeitig zu verhindern. Und dafür gab es nur einen Weg! »Abgesessen und schnell ein Feuer angezündet!«, befahl er den Männern. »Wir müssen das Büchlein verbrennen.«

»Wie?« Der Vogt starrte ihn an, während die Männer ohne zu zögern dem Befehl des Hauptmanns folgten. Rasch suchten sie trockene Äste und entfachten ein Feuer.

»Jetzt, Vogt! Werft das Büchlein in die reinigenden Flammen!« Nur so würde der Fluch gebrochen werden können, dessen war er sich sicher.

»Ja!« Der Vogt stimmte ihm zu und zog das Büchlein hervor. »Du hast keine Gewalt über mich, Hexe! Da!« Er holte aus, um es ins Feuer zu werfen, doch es schien, als würde er es nicht loslassen können. Verwirrung glitt über sein Antlitz. »Was …?«

Der Hauptmann erschrak. Was ging hier vor? Warum warf der Vogt es nicht endlich ins Feuer? »Was ist mit Euch? Warum lasst Ihr das Büchlein nicht fallen?«

»Ich … ich kann nicht!« Er stöhnte gequält. »Und jetzt …« Sein rechter Arm war immer noch ausgestreckt. Er taumelte vorwärts. Ungelenk, als wäre es nicht sein Wille zu gehen. »Jetzt zieht mich das Büchlein mit unwiderstehlicher Gewalt fort!«

Voller Furcht traten die Männer zurück. Entsetzen stand in ihren Gesichtern.

Mit einem Sprung war der Vogt im Sattel, das Büchlein fest umklammernd. »Hilfe! Haltet mich! Haltet mein Pferd fest!«

Aber die Männer wichen vom Grauen gepackt noch weiter zurück; niemand wagte etwas zu unternehmen. Nur der treue Hauptmann versuchte in die Zügel zu greifen.

Vergebens!

Es war bereits zu spät.

Der Hauptmann fiel zu Boden. »Ah!«

Das Pferd preschte davon.

»Hilfe! – So helft mir doch!«

Hilflos mussten seine Gefolgsleute mit ansehen, wie der Vogt offenbar von Lucia di Fiume verhext worden war und nun unter ihrem Bann stand.

»Entsetzlich!«, raunte einer der Männer.

Der Hauptmann rappelte sich auf. »Aufgesessen!«, befahl er. »Ihm nach!«

Doch die Männer zögerten, indes er selbst sich schon auf sein Pferd geschwungen hatte. »Mit höllischen Mächten soll man sich nicht einlassen, Herr!«

Der Hauptmann war sprachlos. Noch nie hatten sie einen seiner Befehle in Frage gestellt oder sich gar geweigert, ihn auszuführen.

»Betet lieber mit uns, Hauptmann!«

Er schnaubte. »Wir können auch im Sattel beten! Wir dürfen den Vogt nicht im Stich lassen! Na los!«

Endlich lösten sich die Männer aus ihrer Starre und saßen auf. An der Spitze des Trupps nahm der Hauptmann die Verfolgung auf.

Kurz darauf entdeckten sie ein herrenloses Pferd, das mit hängendem Kopf dastand. Vom Vogt jedoch war weit und breit nichts zu sehen.

»Da ist sein Pferd!«

»Ja. Vogt! Um Himmels willen, wo seid Ihr?«

Er sah sich um. Nichts.

Nur Stille.

Angst überkam den Hauptmann. Hatte die Hexe am Ende doch noch gesiegt?

»Hört Ihr mich nicht?«, rief er. »Antwortet! Hallo!«

Sein Blick glitt über Felsen und Büsche.

Dann, endlich …

»Hilfe!«

Das war eindeutig die Stimme des Vogts!

Mit Entsetzen sah er in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war.

»Großer Gott!« Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Der Vogt war offenbar den Abhang hinuntergestürzt und klammerte sich nunmehr mit letzter Kraft an einem Busch fest. Unter ihm scharfkantige Felsen und das tosende Meer. Würde er den Halt verlieren, würde er wohl unweigerlich in den Tod stürzen. »Wie kommt Ihr dort hin, Vogt? Seid Ihr noch in der Gewalt der Hexe?«

»Nein, dem Himmel sei Dank! Mit äußerster Willensanstrengung gelang es mir, das Büchlein von mir zu schleudern. Dabei wurde ich von der Hexenkraft aus dem Sattel gerissen. Ich konnte mich an diesem Busch festhalten. Das Teufelsbuch ist ins Meer gefallen.«

»Gott sei Dank!« Nun mussten sie nur noch einen Weg finden, um den Vogt aus seiner misslichen Lage zu befreien. Der Hauptmann verlangte nach einem Seil und bekam kurz darauf das Gewünschte in die Hand gedrückt. Dann ließ er das eine Ende in die Tiefe hinab. »Bindet Euch das Seil um die Brust, Vogt! Wir ziehen Euch hoch!«

»Danke!«

»Wenn wir noch einen Beweis brauchten, dass diese Hexe schuld am Tode ihres Dieners ist, dann haben wir ihn vorhin bekommen!«

»Ja!«, stimmte der Vogt ihm zu, der endlich wieder festen Boden unter seinen Füßen hatte.

»Die beiden Fremden sind unschuldig! Jetzt seid Ihr doch auch davon überzeugt, nicht wahr, Vogt?«

»Ja! Diese Hexe! In ihrer abgrundtiefen Bosheit hätte sie uns beinahe dazu gebracht, zwei Ritter wie gemeine Straßenräuber aufzuknüpfen.« Er wirkte betroffen, fast beschämt. »Stellt Euch das nur vor, Hauptmann! Das wäre ein Skandal geworden!«

Der Hauptmann schloss kurz die Augen und presste die rechte Hand an die Schläfe. »Ich mag gar nicht daran denken, Vogt!«

Der Vogt nickte.

»Kommt! Wir treffen Ritter Falk und Ritter Bingo bei Graf Colleverde. Sie werden uns verstehen, wenn sie erfahren …« Er wandte sich zum Gehen.

Doch der Vogt legte ihm seine Rechte auf die Schulter und hielt ihn zurück. »Später, später, Hauptmann! Müssen wir nicht im Interesse der allgemeinen Sicherheit erst die Hexengefahr bannen? Wer weiß, was diese Braut des Teufels ausheckt, wenn sie merkt, dass sie ihr Büchlein trotz ihrer Künste verloren hat?«

Das war zugegebenermaßen ein gutes Argument. Und die beiden Ritter würden ihnen schon nicht weglaufen. »Ihr habt recht, Vogt! Wir müssen sofort zuschlagen. Was meint ihr?«, wandte er sich nunmehr an die wartenden Männer.

»Auf den Scheiterhaufen mit der Hexe!«

»Sie muss brennen, bevor sie uns etwas tun kann!«

»Ja!«

Nun, das war eindeutig.

»Einen Augenblick! Graf Colleverde wird sehr ungehalten sein, wenn wir ihn übergehen!« Das Argument des Vogts war nicht von der Hand zu weisen.

»Er kennt die Gefahr nicht!«, erwiderte einer der Männer. »Diese Hexe ist zu mächtig für einen Prozess.«

»So ist es!«, stimmte ein anderer zu.

»Das Anwesen liegt einsam. Wenn wir von der Waldseite kommen, sieht uns kein Mensch. Später wird jeder annehmen, es wäre ein himmlisches Strafgericht gewesen.« Der Vorschlag des Altgedienten fand allgemeine Zustimmung.

»Mir scheint, das ist eine gute Lösung, die Hexe unschädlich zu machen«, stimmte der Hauptmann zu. »Was meint Ihr, Vogt?«

»Ich bin einverstanden. Nur … niemand darf später etwas verraten!«, raunte er verschwörerisch.

»Natürlich, Vogt!«

Falk 8: Pippo di Fiumes Schatz

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