Читать книгу Liebe ist (k)eine Herzensangelegenheit - Melinda Waleni - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеEs ist der letzte Arbeitstag vor meinem Urlaub. Die Aufgaben sind alle erledigt. Zum Glück hab ich Feierabend, weil ich nur bis Mittag Dienst schieben musste.
Ich packe das Smartphone in die blaue Tasche, hänge sie um meine Schulter und gehe heim.
Im Wohnzimmer setze ich mich an den Esstisch. Mit einem Krimi, den ich gestern Abend zu lesen begonnen habe, mache ich es mir gemütlich.
Nach einer Weile springt Minni auf meinen Schoß. Mit einem Maunzen schmiegt sie ihren Kopf an mich. Lächelnd lege ich das Buch zur Seite. Ich streichle sanft über ihr schwarzweißes, glänzendes Fell. Währenddessen fällt mir ein, dass die Hunde noch rausmüssen. Ich bin so froh, dass sich Paul in den letzten Tagen um alles gekümmert hat.
Ich setze die Katze auf den Boden ab. Danach nehme ich Sammy und Mekki an die Leine.
Mit den beiden Hunden spaziere ich den Kiesweg entlang, an meiner Firma vorbei, bis er in den Wald mündet, den ich von zuhause aus sehen kann.
Ich bekomme ein unbehagliches Gefühl. Was ist, wenn Herr Bayer mit dem Gedanken spielt, mich in absehbarer Zeit zu feuern? Er ist undurchschaubar. Wer weiß, was er alles mit der Firma vorhat?
Links neben mir sehe ich ein Haus, das mir hier zuvor noch nie aufgefallen ist. Drei Männer in blauen Latzhosen stehen davor. Sie überpinseln die beige Fassade mit grauer Farbe, die meinem Geschmack nach viel zu dunkel wirkt.
Mit wachem Blick betrachte ich das Gebäude. Es besitzt zwei Stockwerke, daneben ist ein hoher Zaun, der sich über eine ellenlange Strecke hinweg zieht. Im Garten dahinter höre ich Hundegebell. Augenblicklich heben meine beiden Vierbeiner interessiert den Kopf. Eine Männerstimme, die etwas Unverständliches ruft, vernehme ich ebenfalls. Moment, die Stimme kenne ich. Das ist doch die von Mario.
Langsam öffne ich das unverschlossene Zauntor. Die Leinen befestige ich vorher an einem Laternenmast, der am Wegrand steht. Ich spähe in den Garten. Vor mir taucht eine gigantische Grünfläche auf. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Unbemerkt von den Malern, die nach wie vor in ihre Arbeit vertieft sind, schleiche ich auf das Grundstück. Es ist kein Mensch zu sehen. Der auffallend gepflegte Rasen sticht mir ins Auge. Am Zaun entlang wachsen Fliederbüsche, die ordentlich zurechtgestutzt sind.
Ein Stück entfernt entdecke ich einen hohen Grashügel. Langsam gehe ich in diese Richtung, bis ich davor stehenbleibe. Was sich wohl dahinter verbirgt?
Stirnrunzelnd krame ich ein Bonbon aus der Hosentasche. Bevor ich es aus der Verpackung wickle, läuft mir wie aus dem nichts ein Golden Retriever vor die Füße.
Vor Schreck fällt mir die Süßigkeit aus der Hand. Der Hund wedelt aufgeregt mit dem Schwanz und schnüffelt an dem Bonbon. Erwartungsvoll wandert sein Blick zu mir hoch.
Ich beginne herzhaft zu lachen. In dem Moment höre ich das Gras hinter dem Hügel rascheln.
»Sasha, wo steckst du?«, vernehme ich die Stimme von Mario.
Der Hund horcht kurz auf, danach sieht er wieder zu mir hoch.
Ich streichle über sein Fell. »Ist das dein Name? Weißt du was, du siehst genauso aus, wie meine beiden Lieblinge. Die sind auf der anderen Seite des Zaunes, damit sie nicht mit dir in einen Kampf geraten. Obwohl, wenn ich dich so ansehe, wirkst du viel zu zahm dafür.«
»Nicht nur das«, höre ich Mario neben mir sagen. »Extrem gutmütig ist er obendrein.«
Ich schaue ihn an und räuspere mich. »Tag, Herr Bayer. Ist das Ihr Hund?«
»Hallo, Frau Wind. Ja, das ist Sasha. Sagen Sie, was treiben Sie hier in meinem Garten?«
Verlegen senke ich den Blick. »Ich ... ich bin grad in der Gegend mit den Hunden spazieren gegangen.«
Er fährt sich mit den Fingern durchs Haar. »Ach, Sie haben auch Hunde?«
»Ich besitze obendrein zwei Katzen und ein Aquarium, in dem ein Schwarm Neonfische lebt.«
Mario beginnt lauthals zu lachen. »Wow, das hört sich nach einem echten Zoo an. Freut mich, zu hören, dass Sie ebenso ein Tierfreund sind.«
»Wegen der vielen Arbeit in den letzten Wochen, bin ich leider kaum dazugekommen, mir Zeit für meine Tiere zu nehmen.«
»Zum Glück haben Sie mich um Urlaub gebeten. Ich hatte ja keine Ahnung.«
Meine Hunde beginnen hinter dem Zaun zu bellen. Rasch renne ich los und werfe einen Blick über die Schulter. »Sorry, ich muss los.«
Endlich ist es soweit, der wohlverdiente Urlaub ist angebrochen. Ich spaziere mit den Hunden im Wald. Da sie wild bewachsene Wege mögen, sind sie davon hellauf begeistert.
Wir gelangen nach ein paar Metern zu einer Lichtung. Hier löse ich Sammy und Mekki von der Leine, damit sie sich austoben können.
Sofort laufen sie wild umher und versuchen, sich gegenseitig zu fangen. Man sieht ihnen direkt an, wie sehr sie sich freuen.
Auf einer Parkbank an der gegenüberliegenden Seite sehe ich Mario sitzen, der auf seinem Smartphone herumtippt. Was treibt er hier in der Gegend? Entschlossen gehe ich auf ihn zu. »Hallo, Herr Bayer.« Er legt grinsend das Handy zur Seite. »Was für ein Zufall, dass ich Sie ständig treffe.«
»Das ist nicht verwunderlich, ich wohne in der Nähe. In der Wohnhausanlage neben dem Wald.«
»Ehrlich? Sie Arme, ich kenne diese Bauten, sie sind in einem fürchterlichen Zustand.«
»Stimmt.« Ich berühre den Stern-Anhänger. »Meine Eltern haben damals einen hohen Kredit für ein eigenes Haus am Stadtrand aufgenommen. Für mich war es nach ihrem Unfall unmöglich, es mit dem Gehalt einer Auszubildenden zu behalten. Deshalb musste ich es der Bank überlassen. Anschließend bin ich dann in eine der schrecklichen Wohnungen gezogen.«
»Das schwere Schicksal hat Sie zu der Zeit komplett aus der Bahn geworfen, habe ich recht? Ich wünschte, ich könnte etwas für Sie tun. Wissen Sie was, ich zahle Ihnen die unzähligen Überstunden doppelt aus.«
»Das ist nicht nötig, ich helfe gern mit, damit die Firma Aufschwung bekommt.«
»Sie müssen mir keinen Honig ums Maul schmieren«, sagt Mario. »Ich weiß, dass Sie engagiert sind.«
Eine mitreißende Melodie ertönt neben ihm. Er sieht auf das Display seines Smartphones. »Sorry, ich erwarte einen wichtigen Anruf.« Mit einer Handbewegung deutet er zu Sasha, der eifrig in der Wiese herumläuft. »Geben Sie bitte kurz auf ihn Acht.«
Ich sehe zu dem Hund, der gerade im Gebüsch herumstöbert. »Kein Problem, das mache ich gern.«
Mario entfernt sich von mir. Gleichzeitig kommt Sasha mit einem Ast im Maul auf mich zu. Ich ergreife das Teil und werfe es ein Stück weit.
Alle drei Golden Retriever setzen sich zeitgleich in Bewegung. Jeder versucht, den Stock als Erster zu fassen.
Mario taucht wieder neben mir auf. »Die Hunde scheinen sich gut zu verstehen. Das finde ich toll.«
»Das ist wahr, die Beiden sind immer von Artgenossen begeistert.«
Sasha legt den Ast nochmal vor mir in die Wiese. »Mein Hund mag Sie«, sagt Mario. »Normalerweise ist er eher zurückhaltend, wenn er fremde Leute trifft.« Er grinst. »Witzig, jetzt fällt mir grade ein, dass Sie genauso sind wie er.«
»Echt?« Ich lächle ihn an. »Das hätte ich beinahe vergessen.«
Mario sieht mich versonnen an. »Sie haben ein charmantes Lächeln.« Er schaut auf seine Armbanduhr.
Das ist scheinbar typisch für ihn, dass er die Zeit im Auge behält. Er räuspert sich. »Sasha, komm, wir müssen los. Valentina wartet schon auf uns.«
Da flirtet er mit mir, dabei scheint er eine Freundin zu haben. Anscheinend merkt Mario, dass ich mir Gedanken darüber mache, weil er mich unentwegt ansieht.
»Ich habe Valentina vor einem Monat kennengelernt«, beginnt er. »Beim ersten Blick hat es zwischen uns beiden gefunkt.«
Wow, Mario vertraut mir wirklich, wenn er mir sowas erzählt.
Er streckt mir eine Hand entgegen. »Auf Wiedersehen, Frau Wind, ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub.«
Ich verabschiede mich ebenfalls und er verlässt mit Sasha den Wald.
Ich stehe zusammen mit Paul vor dem renovierten Haus, in dessen Garten ich vor kurzem Mario begegnet bin.
»Das Gebäude ist mir zuvor nie aufgefallen«, sage ich. »Vermutlich, weil hier ständig eine Baustelle war. Glaubst du, dass Mario beim Renovieren mitgeholfen hat? Ich bin mir sicher, dass er noch nicht darin wohnt, denn es steht kein Auto in der Einfahrt.«
»Das tut er garantiert nicht«, sagt Paul. »Grade ist mir eingefallen, dass ich in der Zeitung gelesen habe, dass in der Gegend ein Tierheim gebaut wurde. Das Haus, das abgebildet war, sah aus wie dieses hier.«
»Wenn das ein Heim ist, ist garantiert jemand da. Das sehe ich mir näher an.« Ich klopfe an die Tür und warte ab.
Eine dunkelhaarige Frau mit rabenschwarzen Augen öffnet uns. Ihr Blick verdüstert sich, als sie mich genauer ansieht. »Sie wünschen?«
Oje, sie wirkt nicht gerade kontaktfreudig. Ich schlucke beunruhigt, in mir zieht sich alles zusammen. »Ich suche Herrn Mario Bayer.«
»Aha«, sagt sie. »Wer sind Sie bitte, wenn ich fragen darf?«
Mein bester Freund räuspert sich. »Ich bin Paul Seger. Wir wollten nachfragen, wann denn das Tierheim eröffnet wird.«
Schlagartig erhellt sich ihre Miene. »Morgen Früh ist es soweit, da gilt es offiziell als eröffnet. Wenn Sie wollen, dürfen Sie reinkommen. Wir haben sogar schon einige Tiere, womöglich können Sie mir sogar weiterhelfen.«
Wir betreten das Haus und sehen die Frau erwartungsvoll an.
»Eine Katze weigert sich, zu fressen«, sagt sie. »Ich habe alles versucht, doch sie tut es einfach nicht.
Eigentlich müsste sie am Verhungern sein.« Sie öffnet links von uns eine Tür. »Kommen Sie mit, da drinnen ist sie.«
Wir folgen ihr in einen riesigen Raum, in dem sich etliche Katzen befinden.
Ich sehe mich um. An einer Wand entdecke ich verschiedene Kratzbäume. Gegenüber sind Schlafkörbchen und Katzentoiletten platziert. Sofort stürmen einige der Samtpfoten auf uns zu und betteln um Streicheleinheiten. Paul geht in die Knie und krault ein paar von ihnen. Währenddessen beobachte ich eine kleine Tigerkatze, die gerade dabei ist, eine Spielzeugmaus zu jagen.
Die Frau deutet auf ein Kätzchen mit rot-weißem Fell, das verängstigt in der Ecke sitzt. »Hätten Sie eine Idee, wie ich vorgehen soll?«, fragt sie. »Vorhin hab ich mit meinem Freund telefoniert. Er ist auf dem Weg hierher, aber es hilft mir nicht wirklich, wenn ich warte, bis er da ist. Die Katze wird trotzdem nicht fressen.«
»Haben Sie versucht, ruhig auf das Kätzchen einzureden?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf, dabei verdreht sie die Augen. »Das ist zwecklos.«
Vorsichtig gehe ich auf das Tier zu und neige mich zu ihm hinunter. »Hat es bereits einen Namen?«
»Nein, es ist uns gestern gebracht worden. Bis jetzt hatten wir keine Zeit, darüber nachzudenken.«
Ich streichele der Kleinen sanft über den Kopf. »Hallo Süße, na bist du gar nicht hungrig?«
»Soso, Sie sind also Katzenflüsterin, oder was?« Die Stimme der Frau klingt skeptisch.
»Tja, ich versuche, Ihnen zu helfen, damit es klappt.« Sie beginnt zu lachen. »Viel Glück. Mein Freund hat gestern auch sein Bestes gegeben.«
Ich entdecke neben mir einen gefüllten Futternapf. Augenblicklich schnappe ich ihn mir, um ihn näher zum Kätzchen zu stellen.
Es sieht zu mir, wagt es aber nicht, sich zu bewegen. Paul beginnt in der Zwischenzeit mit der Dame ein Gespräch über verschiedene Tiere.
Ich starte einen weiteren Versuch, die Katze zum Fressen zu animieren. Beruhigend rede ich auf sie ein. Es vergehen einige Minuten, bis sie endlich den Kopf in die Schüssel neigt und ein paar Häppchen zu sich nimmt. Ich beginne zu lächeln.
Die dunkelhaarige Frau starrt mich fassungslos an. »Sie sind eine Zauberin. Wie haben Sie das nur geschafft?«
»Ich hab ruhig auf sie eingeredet, dann hab ich gewartet, bis sie all ihren Mut zusammennimmt. Sonst musste ich nichts weiter tun.«
Hinter uns öffnet sich mit einem Knarren die Tür. »Valentina?«, höre ich Mario sagen.
Ich wende mich um und sehe, dass er verwundert zum Kätzchen hinunter sieht.
»Unglaublich, sie frisst jetzt endlich«, sagt er und wendet sich Valentina zu. »Wie stellst du das an, dass die Tiere so schnell Vertrauen zu dir fassen?«
Sie geht auf ihn zu und gibt ihm einem Kuss. »Tja, weißt du, ich hab auf sie eingeredet, bis sie angefangen hat, zu fressen.«
Er sieht ihr tief in die Augen. »Gut gemacht. Ich wusste, dir gelingt es noch, das Kätzchen zu überreden.«
Paul räuspert sich. »Natalie hat mit der Mieze gesprochen. Das haben Sie ihr zu verdanken.«
Mario sieht verwirrt zu mir. »Das kann ich kaum glauben. Frau Wind würde doch nie auf fremde Tiere und Menschen von sich aus zugehen. Übrigens, was wollen Sie beide eigentlich hier?« Sein kalter Unterton jagt mir einen Schauer über den Rücken. Warum ist er auf einmal so unfreundlich zu mir?
»Valentina hat uns reingelassen«, sagt mein bester Freund und geht auf ihn zu. »Ich bin Paul Seger, ein Vertrauter von Natalie.«
Mario streckt ihm eine Hand entgegen. »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Er sieht zu mir rüber. »Frau Wind, wieso sind Sie eigentlich hergekommen, wenn Sie andere für sich reden lassen?«
Paul ballt die Hände zu Fäusten. »Was fällt Ihnen ein, so patzig mit Natalie zu sprechen?«
»Sie haben recht«, sagt Mario. »Es tut mir leid. Ich wollte Sie echt nicht demütigen, Frau Wind.«
»Ihr Verhalten in der Firma ist nicht anders, als im privaten Umfeld«, sage ich. »Um ehrlich zu sein, bin ich froh, dass ich Sie nicht besser kenne. Sie sind viel zu eitel, darum merken Sie nicht, dass Ihre Freundin Sie belügt.«
»Moment, jetzt gehen Sie aber zu weit. Wieso behaupten Sie das?«
Ich sehe Mario eindringlich in die Augen. »Weil es die Wahrheit ist.«
Ohne eine Miene zu verziehen, öffnet er die Tür. »Verlassen Sie jetzt bitte das Haus.«
Mein Blick wandert zu Valentina. »Sie sind echt bedauernswert. Warum haben Sie es nötig, Ihren Freund zu belügen?«
Paul legt mir eine Hand auf die Schulter. »Komm Natalie, gehen wir. Es ist sinnlos, dass du dich darüber aufregst.« Wir treten aus dem Haus und bleiben vor der Tür stehen.
»Vielleicht hätte ich ihn nicht dermaßen anblaffen sollen«, sage ich. »Immerhin ist er mein Chef.
»Das, was du angesprochen hast, war die Wahrheit, meine Liebe. Du hättest aber lockerer reagieren können.«
»Wenn ich indirekt bin, glaubt mir kein Mensch.« Ich seufze. »Da ist es egal, was ich sage.«
»Schätzchen, es liegt daran, dass du unsicher bist. Vertraue dir, dann glauben dir die Leute eher.«
Ich senke den Kopf. »Es ist hoffnungslos. Herr Bayer mag mich jetzt garantiert nicht mehr.«
»Deiner Mutter ging es ähnlich«, sagt Paul. »Sie wollte auch immer, dass alle Menschen sie mögen. Das hast du sicher in Ihrem Tagebuch gelesen, stimmt’s? Besitzt du es noch?
»Ja klar, es liegt in der obersten Schublade meiner Kommode.«
Seine Miene verdüstert sich. »Gehen wir heim. Es ist Zeit, dass du die ganze Wahrheit über deine Eltern erfährst.«
Was genau meint er damit? Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Wir setzen uns in Bewegung. Mit jedem Schritt wird mir mulmiger zumute.
Vor der Wohnungstür krame ich den Schlüssel aus der Handtasche und schließe mit zittrigen Fingern das Schloss auf.
Wir setzen uns an den Esstisch. Was genau wird er mir jetzt sagen?
Paul lehnt sich zurück. Er räuspert sich. »Also, es ist so ... dein Vater hat dir bestimmt nie gesagt, dass er ein Spion war und ich sein Partner.«
Ich starre ihn an, sodass mir beinahe die Augen aus den Höhlen fallen. »Was, ein Geheimagent? Mir gegenüber hat er immer behauptet, er sei Polizist. »Genau. Etwa eine Woche, bevor der Unfall passiert ist, bat er mich, mich um dich zu kümmern. Als hätte er geahnt, dass er bald nicht mehr unter den Lebenden weilt.«
»Soll das heißen, es war kein Zufall, dass wir zwei uns kennengelernt haben?«, frage ich.
»Genau. Jennifer fiel aus allen Wolken, als sie erfuhr, dass Christoph ein Spion war. Jedes Jahr wurde sie unglücklicher, wegen der immer gefährlicher werdenden Fälle deines Vaters. Ich hoffe nur, du bist jetzt nicht zu schockiert darüber.«
»Nein, ich finde es wahnsinnig aufregend. Denkst du, dass der Unfall ein Anschlag auf ihn war?«
Paul zuckt mit den Schultern. »Das klingt brutal, ist aber nicht auszuschließen.«
Ich zücke mein Smartphone aus der Handtasche. »Mal schauen, ob im Internet, was darüber steht.«
»Tu das lieber nicht. Die Verbrecher verschaffen sich Zugriff zu allen sozialen Netzwerken. Es könnte gefährlich für dich werden, wenn sie den richtigen Namen deines Vaters erfahren.«
»Willst du damit sagen, dass er sich anders genannt hat?«
»Er hatte einen Decknamen. Der Chef hat darauf bestanden, dass wir zu jeder Zeit unerkannt bleiben.« »Das klingt spannend«, sage ich. »Wie dem auch sei, ich muss wissen, wie es damals zu dem Unfall gekommen ist. Es ist wichtig für mein Seelenheil.«
»Ich schlage vor, du liest nochmal im Tagebuch deiner Mutter nach, ob du darin einen Hinweis findest.«
Das schrille Klingeln meines Weckers lässt mich hochschrecken. Dummerweise hab ich vergessen, ihn abzustellen. Jetzt im Urlaub brauche ich ihn schließlich nicht.
Rasch drehe ich ihn ab. Mit verschlafenem Blick sehe ich zu meinen Tieren, die neben mir auf dem Teppich liegen. Die haben das Klingeln anscheinend nicht gehört, weil sie friedlich weiterschlafen.
Ich schwinge die Beine aus dem Bett und schleppe mich in die Küche. Dort bereite ich mir ein Marmeladebrot zu und brühe Kaffee auf.
Mit der dampfend heißen Tasse in der Hand, setze ich mich an den Tisch. Der Stuhl ist zwar nicht bequem, aber die einzige Möglichkeit in der Küche zu sitzen.
Nach dem Frühstück spüle ich das Geschirr ab und bügle die frisch gewaschene Wäsche. Währenddessen mache ich mir Gedanken über die Vergangenheit meiner Eltern. Vater hat mir immer gesagt, er arbeite auf der Polizeiwache. Ich wäre nie darauf gekommen, dass es sich dabei um eine Karriere als Geheimagent handelt.