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Prolog


BK583

14 Monate zuvor

Ich hörte Lärm auf dem Flur. Schreie. Eilige Schritte. Und – waren das Schüsse? Was ging da draußen vor? Nicht, dass mich das interessieren sollte. Ich war bereits so gut wie tot. Ich konnte nicht sagen warum ich mich auf meinen Armen abstützte und von meiner dünnen, schmutzigen Matratze in Richtung Tür kroch. Meine Unterarme rieben über den rauen Boden, doch das Brennen als sich die Haut abschürfte kümmerte mich nicht. Ich hatte schlimmere Schmerzen hinter mir. Jetzt, mit dem unteren Teil meines Körpers gefühl- und nutzlos, wünschte ich mir, ich könnte wieder Schmerzen in meinen Beinen spüren, wenn sie nur wieder funktionieren würden. Doch ich war gelähmt und man hatte mich hier in meiner Zelle zum Sterben abgelegt. Man hatte mir seit zwei Tagen weder Essen noch Trinken gebracht. Wozu auch? Um das Leben eines nutzlos gewordenen Experiments zu verlängern?

Kurz vor der Tür verließen mich meine Kräfte und ich sackte in mich zusammen. Schritte und Rufe kamen näher. Erneut Schüsse. Ja, diesmal war ich mir sicher, dass es Schüsse waren. Etwas krachte, dann flog die Tür auf und grelles Licht strömte in meine dunkle Zelle, blendete mich. Ich konnte die Gestalt in der Tür nur schemenhaft sehen.

„Hier ist noch eine!“, brüllte die Gestalt. „Ich brauche einen Sanitäter hier! Beeilt euch!“

Die Gestalt kam langsam auf mich zu, und ging sich neben mir in die Hocke. Eine Hand legte sich auf meine Schulter.

„Alles ist okay, Sweetheart. Du bist jetzt sicher. Wir sind gekommen, dich aus dieser Hölle zu befreien.“

Ted

Vier Jahre zuvor

Man sollte annehmen, dass das Herz versagt, wenn der Schmerz zu groß wird. Dass der Tod einen endlich von den Qualen erlöst. Doch das war Wunschdenken. Weder war ich von den Schmerzen gestorben, als ich in irakischer Gefangenschaft gefoltert worden war. Noch hatte mein Herz mich von meinen Qualen erlöst, die der Tod meiner Viola und der Zwillinge ausgelöst hatte. Nein, wenn der Tod endlich auch zu mir kommen würde, dann wenn ich ihn einlud. Ich musste die Dinge selbst in die Hand nehmen. Ein halbes Jahr Therapie hatten weder meine Schuld, noch meinen Schmerz lindern können. Wie lange konnte ein Mensch unter diesen Bedingungen leben? Ich konnte die Frage nur für mich selbst beantworten. Ich hatte den Punkt erreicht, wo ich nicht mehr so leben konnte oder wollte. Wofür lohnte es sich noch zu leben? Ich hatte alles verloren was mir wichtig gewesen war. Die Ironie war, dass ich in den letzten Jahren weder Viola noch den Kids gezeigt hatte was sie mir bedeuteten, dass ich sie vernachlässigt hatte um meinen Träumen nachzujagen. Erst als sie aus meinem Leben gerissen wurden, hatte ich erkannt, dass meine Träume ohne sie nichts wert waren. Die ganzen Jahre hatte ich meine Prioritäten falsch gesetzt. Und genau dies hatte die Kettenreaktion ausgelöst, die zum Tod meiner Familie geführt hatte. Oh Gott, die Schuld! Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich konnte der Schuld nicht entfliehen. Sie war immer an meiner Seite, in meinem Kopf, in jeder Zelle meines Körpers. Tag und Nacht.

Die Träume. Viola, blutüberströmt, die mir immer wieder den einen Satz zu rief: „Es ist alles deine Schuld!“

Oder die Zwillinge. Ihre Gesichter mit Maden bedeckt als sie mich fragten: „Wo bist du gewesen, Daddy? Wo bist du gewesen? Wir brauchten dich!“

Ich stieß einen gepeinigten Schrei aus, als die Stimmen in meinem Kopf von neuem anfingen.

Es ist alles deine Schuld! Wo bist du gewesen, Daddy? Es ist alles deine Schuld! Wir brauchten Dich! Wo bist du gewesen? Es ist alles deine Schuld! Wo bist du ....

Ich schlug mir mit den Fäusten wieder und wieder gegen den Schädel in dem Versuch, die Stimmen zum Schweigen zu bringen. Schluchzend sank ich auf dem Küchenstuhl zusammen, die Fäuste an meinen hämmernden Schädel gepresst, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Ich konnte nicht sagen wie lange ich so dagesessen hatte. Irgendwann hob ich den Kopf und mein Blick fiel auf die leere Whiskyflasche. Ich nahm sie in die Hand und zerschmetterte sie auf dem Tisch. Mit einer merkwürdigen Ruhe ließ ich meinen Blick über die Scherben gleiten. Ich nahm eine großes Stück Glas in die Hand, ließ meinen Finger über die Kanten gleiten und schüttelte den Kopf. Nicht scharf genug. Ich nahm eine andere, etwas kleinere Scherbe und prüfte die Kanten. Die scharfe Seite des Glassplitters schnitt in meinen Finger und Blut quoll aus der Wunde. Für einen Moment starrte ich auf das But, seltsam fasziniert, ehe ich schließlich meinen freien Arm auf die Tischplatte legte, mit der Unterseite nach oben, und die Scherbe an meinem Handgelenk ansetzte um einen tiefen Schnitt bis zur Ellenbeuge auszuführen. Der Schmerz war reinigend für meine gebrochene Seele. Alles erschien mit einem Mal so klar. Dies war was ich zu tun hatte. Ich würde meine Familie wiedersehen und meine traurige Existenz hier würde enden. Das Blut floss erstaunlich schnell. Ich konnte bereits spüren, dass mein Körper geschwächt wurde. Ich wechselte die Scherbe zur anderen Hand und schnitt in den anderen Unterarm. Ich lächelte, als mein Leben zusammen mit meinem Blut aus meinem Körper wich. Plötzlich sah ich Viola vor mir. Ihre Augen waren geweitet. Keine Anklage kam aus ihrem Mund, noch eine Zustimmung dass ich das Richtige getan hatte. Stattdessen sah sie mich mit Tränen in den Augen an als sie mit gebrochener Stimme fragte: „Oh Baby, warum hast du das getan?“

Ihre Worte waren das Letzte was ich vernahm ehe die Dunkelheit über mich kam.

Precious

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