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Abgelaufen

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Ich habe einen Bierbauch. Er war ein Geschenk der vereinigten Brauereien. Ich habe vor Wochen dort angerufen, damit sie ihn zurücknehmen, weil er mir den Blick auf mein männliches Identifizierungsorgan verdeckte. Aber die sagten »Nein, geht nicht, von wegen der Gärung, außerdem hätten sie im Moment keinen Tieflader frei.«

Also überlegte ich mir, ihn anderweitig loszuwerden. Ein Freund von mir brachte mich dann auf die Idee zu laufen. Normalerweise laufe ich ja nur vor meiner Exfrau, bzw. dem Jugend- und Finanzamt davon. Oder wenn ich dringend auf das WC muss. Nachdem ich aber in sehr viel jüngeren Jahren doch ein relativ sportlicher Typ gewesen bin, dachte ich mir: »Na ja, warum eigentlich nicht.« Also begab ich mich in das nächste Sportfachgeschäft um Laufschuhe zu kaufen.

Doch schon beim Betreten des riesigen Sportpalastes hatte ich das mulmige Gefühl, das mich meine neu gewonnene sportliche Ambition mein letztes Hemd kosten wird, denn auf der Suche nach der Laufschlapfenabteilung schlenderte ich an Fahrrädern mit Preisen von Personenkraftwagen und an Sportgeräten vorbei, für deren Kauf schon Leasingraten angeboten wurden. Ich werde nackt laufen müssen, konstatierte ich.

Als ich dann den Slogan »Mit Adidas macht laufen Spaß« an der Wand sah, wusste ich, hier bin ich richtig. Aber es war niemand zu sehen. Ich drehte mich ein paar mal im Kreise und erst als mir davon übel wurde, bemerkte ich auf der gegenüberliegenden Seite unter dem Transparent »Nur der Mike, der läuft mit Nike« eine Silhouette, die sich nicht bewegte. Und das deutet auf Verkaufspersonal hin.

Ich verschob meinen Bauch also rasch in die Richtung dieses Geisterwesens, bevor es wieder verschwinden konnte. Und tatsächlich, ich hatte es geschafft, vor mir stand eine atmende Verkäuferin. Ich ließ ihr 2 Minuten Zeit zum Hochfahren und ihren abschätzigen Blick an meiner Bauchrundung elegant abrollen.

»Ich suche billige Laufschuhe«, sprach ich sie an.

»Sie sind hier in einem Sportfachgeschäft. Hier geht es nicht um Preise, sondern um Federung, Abrolleigenschaften, Komfort…«, belehrte sie mich.

»Äh…, ich suche nur Schuhe«, versuchte ich sie zu bremsen.

»Dämpfung, Polsterung, Stützverhalten…«, sprudelte es weiter aus der Verkäuferin.

»Billig …«, wimmerte ich.

»Stabilität, Sitz, Beschleunigung….« Anscheinend war sie hängen geblieben.

Ich spielte kurz mit dem Gedanken, gegen sie zu treten, aber es gab Kameras in den Ecken. Also holte ich die Verkäuferin mit einem lauten »KAUFEN« aus der Endlosschleife, bevor sie überhitzte.

»Was wollen Sie kaufen?«

»Laufschuhe. Der Preis spielt keine Rolle.« Ich wusste, ich würde diesen Satz bereuen.

»Folgen Sie mir.«

Ich folgte und erstand Laufschuhe, die alles hatten, was in der Raumfahrt und im Geheimdienst so getestet wurde. Sogar mit eingebautem Chip für den IPOD. Ich glaube, in den Sohlen waren sogar ein Defibrillator und ein Notstromaggregat versteckt. Das Wunderschuhwerk war auch noch mit einem CE-Kennzeichen versehen. Und wenn sogar Clint Eastwood die Laufschuhe für gut befindet, dann musste ja etwas dran sein. Natürlich konnte man in solchen Wunderschuhen nicht mit einer Turnhose und einem gerippten Leibchen laufen, sagte zumindest die Verkäuferin. Also kam noch ein sündhaft teures, Wind- Wasser- Schweiß- und Herzinfarkt abweisendes Laufgewand dazu, welches die Kassiererin an der Kasse dazu angehalten hat, meine Kreditkarte gleich mit abzuweisen.

Ich setzte dazu an, das ganze Laufgerippe sofort überzuziehen und davon zu stürmen, aber ich brachte die Schuhbänder nicht auf. Meinen roten Kopf nützte die Verkäuferin sofort dazu aus, mir auch noch ein Pulsmessarmband anzudrehen. Also wünschte ich meiner Kreditkarte noch ein schönes Leben und überzog mittels der EC-Karte mein Konto ins Unermessliche.

Gerüstet für meine sportlichen Hochleistungen stolzierte ich mit den Sachen aus dem Fachgeschäft, wobei mir auf der Straße einfiel, dass ich gar keinen IPOD besaß. Ich ertränkte diese Erkenntnis mit ein paar billigen Bieren. Den nächsten Tag ließ ich erst einmal in konzentrierter, gedanklicher Vorbereitung auf meinen morgigen Lauf verstreichen. Außerdem hatte ich einen Kater.

Doch dann war es soweit. Ich war ausgeschlafen, fast nüchtern und voller Energie. Ich zog mir die Wunderschuhe an und streifte den Wunderstoff über. Ich fühlte mich wie Carl Lewis. Also raus aus dem Haus und auf den Asphalt mit mir. Die ersten Meter flog ich nur so dahin. Weil die Schuhbänder noch offen waren. Doch dieser Fehler wurde schnell korrigiert. Die Schuhbänder wurden zugeschnürt, die Knie wurden eingesalbt und das Bier bestellt. Den nächsten Tag ließ ich in konzentrierter, gedanklicher Vorbereitung auf meinen morgigen Lauf verstreichen.

Doch dann war es soweit. Ich war ausgeschlafen und hatte noch irgendwo Energiereserven gefunden. Ich zog mir die Wunderschuhe an, streifte den Wunderstoff über und band mir die Schuhbänder zu. Die ersten Meter auf dem Asphalt flog ich nur so dahin. Ich spürte den Wind in meinen Haaren und den vielen Schweiß auf meiner Haut. So viel Schweiß. Aber es war ein herrliches Gefühl. Ich atmete die reine Luft und spürte intensiv meinen Körper. Zuerst die Oberschenkel, dann das linke Knie, die Bandscheiben, die Lunge, die Unterschenkel und dann das rechte Knie. Und wieso zwickten die Hoden so? »Nein, so geht das nicht«, dachte ich.

Also entfernte ich zuerst den knurrenden Chihuahua, der sich in meinen Schritt verbissen hatte und kontrollierte danach meinen Puls. Ergebnis: 0.

Entweder war ich tot oder ich hatte vergessen Batterien in das Armband einzulegen. Meinem Gefühl nach eher ersteres. Zudem verursachte das Superlaufgewand Seitenstechen und die Laufschuhe verzogen meine Beine. Also raus aus den Sachen und auf ein Bier. Ich musste nachdenken.

Bin ich zu weit gelaufen? Kann nicht sein, da ich erst am Ende des Häuserblocks war, in dem ich wohne. Bin ich zu schnell gelaufen? Kann auch nicht sein, da ich für die 200m ca. 5 Minuten brauchte. Also eher wie Jerry Lewis. Es kann also nur an dieser überzüchteten Laufausrüstung liegen. Bei dem Preis sollte die ja eigentlich von alleine laufen. Ich werde sie umtauschen. Morgen. »Herr Ober, noch ein Bier bitte.«

Am nächsten Tag suchte ich die Verkäuferin in dem Sportgeschäft auf.

»Die Ausrüstung taugt nichts«, erklärte ich ihr.

»Warum?«, fragte sie entsetzt.

»Ich werde darin müde.«

»Sind sie denn im Laufen trainiert?«

»Ich kann schon seit dem zweiten Lebensjahr laufen!«, erwiderte ich trotzig.

»Aber nicht richtig«, meinte die Verkaufsschnepfe und drehte mir kalt lächelnd mehrere Bücher über Aufwärm- und Dehnübungen, Lauftipps und Erste Hilfe an. Da ich jetzt auch absolut kein Geld mehr für ein Bier hatte, ging ich nach Hause und machte leichte Aufwärm- und Dehnübungen. Dann legte ich mich hin, denn erstens war ich müde und zweitens hatte ich einen Krampf im Rücken.

Den nächsten Tag ließ ich zur Abwechslung mal in konzentrierter, gedanklicher Vorbereitung auf meinen morgigen Lauf verstreichen. Tags darauf dehnte ich mich ordentlich, machte einige Wärmeübungen und lief zu meiner Bank, wo ich wegen erhöhter Lebenserhaltungskosten noch schnell um Gnade winselte. Der neue Kontorahmen erlaubte mir dann auch wieder, in einem Gasthaus etwas Nahrung zu mir zu nehmen. Und etwas Flüssigkeit. Natürlich wollte ich nach dem Imbiss auch wieder nach Hause laufen, wozu hätte ich denn das Laufgerüst sonst angezogen. Es wäre mir auch gelungen, wenn mich nicht wegen zu viel Zufuhr von hopfenhaltiger Flüssigkeit eine extreme Desorientierung übermannt hätte. Und leider war der Bankangestellte ein furchtbar kleinlicher Mensch. Nachdem ich schon zum fünften mal an seinem Fenster vorbeilief, weil ich nicht mehr aus dem Einkaufszentrum fand, musste ich einen Boxenstopp einlegen und überschüssigen Treibstoff ablassen. Ich winkte ihm sogar freundlich dabei zu, als ich die Scheiben des Geldinstitutes besprühte. Er mir leider nicht. Er kürzte nur meinen Kontorahmen gleich wieder.

Enttäuscht setzte ich mich in den Autobus, fuhr nach Hause und ging schlafen. Laufen ist eben anstrengend. Aber mein Wille zur sportlichen Betätigung war ungebrochen. Nach erfolgreicher Ausnüchterung stürzte ich mich voller Elan in die Bücher mit den Lauftipps und versuchte soviel sportliches Know-how wie möglich in mich aufzusaugen.

Ich merkte mir vor allem:

Nicht an Hunden vorbeilaufen

Nicht alkoholisiert laufen

Regelmäßig atmen (kann ich schon)

Nicht im Laufen pinkeln

Nicht in der Mittagssonne laufen

Dehnen und aufwärmen (nicht mit Glühwein)

Ich ließ die Regeln der Laufeliten erst einmal einen Tag in konzentrierter Form auf mich einwirken. Dann startete ich von neuem durch. Ich wartete bis am späten Abend, erwärmte mich mit dem Gedanken, etwas Sportliches zu leisten und dehnte meine Erwartungen aus. Wie im Buch empfohlen setzte ich mich auf der Straße erst mal ganz langsam in Bewegung.

Und tatsächlich, das Seitenstechen setzte jetzt langsamer ein und die Beine fingen erst beim nächsten Häuserblock wieder zu ziehen an. Nur der Schmerz im Knie konnte nicht so lange warten. Er überholte geschickt das Seitenstechen und wollte unbedingt erster sein. Ein vorbei flitzender Laufkollege entzog mir dann auch noch durch den Sog den mir zustehenden Sauerstoff, sodass ich wieder innehalten musste. Ich hustete dem eingebildeten Flitzer noch schnell eine Packung Marlboro hinterher, drehte mich um und krampfte nach Hause. Und ließ den Tag dann in konzentrierter, gedanklicher Vorbereitung auf meinen morgigen Arztbesuch verstreichen.

Meine Hausärztin empfahl mir dann, einen seitenverstärkten Knieschutz zu besorgen und mit dem Saufen aufzuhören. Ich sollte überhaupt gesünder leben, predigte sie mir während der Ultraschallbehandlung für mein Kreuz eindringlich.

»Wieso?«, entgegnete ich entsetzt. »Ich laufe doch.«

»Ja, beim Schuhe zubinden rot an«, ätzte sie. »Gehen sie doch einmal mit Freunden laufen.«

»Sie kennen meine Freunde nicht!«, sagte ich. Doch leider befolgte ich ihren Rat.

Ich kaufte mir im orthopädischen Fachgeschäft einen Knieschutz und verabredete mich mit 3 meiner engsten Kumpels für das Wochenende zum Laufen im Schlosspark Schönbrunn. Und sie waren tatsächlich alle so motiviert wie ich. Ein neues Gesundheitsbewusstsein durchströmte uns. Wir zitterten vor Ehrfurcht ob unserer eigenen Courage, den Hügel mit dieser enormen Steigung zu bewältigen.

Plötzlich waren wir Männer. Richtige Männer. Im Gasthaus »Zum Tirolerhof« oben auf dem Hügel hörten dann das Ziehen in den Beinen und die Krämpfe in den Gesichtsmuskeln endlich auf und wir hissten zitternd unsere Bierfahnen.

Der Abstieg in den späten Abendstunden war dann etwas leichter und endete mit einem lustigen Spiel: »Wer findet den Ausgang?« Nachdem wir keinerlei Orientierung mehr besaßen, verstreuten wir uns und suchten in der unbeleuchteten Dunkelheit jeder für sich den Exitus. Wir sahen uns erst nach Monaten wieder.

Das brachte also auch nichts. »Vielleicht funktioniert ja das Laufgewand ohne IPOD nicht richtig?« überlegte ich. Also biss ich in den sauren Apfel und besorgte mir einen auf Leasing. Und tatsächlich, es lief sich wirklich leichter mit zugeknallten Ohren. Man lief wie auf Watte und konnte seine Schmerzen und die Umwelt dank »Run Run Away« von Slade gänzlich ignorieren.

Nur der hupende blaue Skoda konnte damit nicht umgehen, dieser Blödmann. AC/DC waren dann so nett, mich mit »Highway to Hell« in das Krankenhaus zu begleiten und Mark Knopfler’s »Going Home«« begleitete mich nach 12 Tagen wieder nach Hause. Gott sei Dank hatte ich ja bei dem Unfall einen alkoholfreien Tag, sonst würde mir noch eine Anzeige wegen »Alkohol am Schuh« an den Hacken hängen.

Doch ich musste wieder von vorne anfangen. Ich dehnte also die Dehnübungen ordentlich aus, kaufte mir noch einen Knieschutz, weil der erste jetzt am Unterboden des Skoda klebte und begab mich am nächsten Tag abends erneut auf den Laufparcours. Meine Laufgeschwindigkeit lag jetzt durchschnittlich knapp über dem Stehen. Gerade in dem Moment, als ich mir dachte, wenn ich jetzt noch ein bisschen langsamer werde laufe ich rückwärts, überholte mich rechts auf der Wiese ein Igel. Mein sportliches Ego war natürlich sofort auf das Tiefste gekränkt, also gab ich Vollgas.

Nach ca. 100m war es dann soweit. Es schnalzte im Oberschenkel, ich wankte und fiel auf die Schnauze. Ich dürfte mich eindeutig überdehnt haben. Eigentlich hätte ich ja jetzt erwartet, dass mein rechter Schuh per GPS ein Signal an den Rettungsdienst sendet, aber es waren auch dort keine Batterien drinnen. Dafür war mein neues Laufgewand zerrissen. Mit der Abweisung von Asphalt war auch dessen Grenze erreicht. Ich habe mich dann entschlossen, meinen Bierbauch anderweitig loszuwerden. Ich trinke jetzt Wein.

Abgelaufen

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