Читать книгу Käpt'n Sansibo — Die Canneloni und die verbotene Insel - Micha Luka - Страница 3

1. Kapitel: Der rote Turban

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Ihr wollt wissen, wie es geschah, dass Toby an Bord der Canneloni kam? Dann lasst euch erzählen:

Käpt’n Sansibo stand im strömenden Regen am Bug seiner Canneloni. Er hatte ein Auge zugekniffen und hielt sein Messingfernrohr vor das andere. Kullerjan und Bullerjan saßen im Trockenen in ihrer Kombüse und streckten abwechselnd den Kopf nach draußen.

»Mächtig viel Wasser von oben«, murmelte Kullerjan und schüttelte ein paar Regentropfen aus den Ohren.

»Wird nicht gut sein, so viel Wasser auffen Kopp vom Käpt’n«, murmelte Bullerjan zur Antwort.

»Jo«, brummte Kullerjan, »wird er ziemlich eingeweicht, der Kopp vom Käpt’n.«

»Wird er bald ’ne weiche Birne haben, der Käpt’n«, brummte Bullerjan.

»’N weichen Hut hatter schon«, meinte Kullerjan. Bullerjan streckte seinen Kopf zur Kombüsentür raus, aber nur kurz.

»Nee, sieht gar nicht mehr aus wie ’n Hut. Eher wie ’ne faule Katze, die auf seinem Kopp rumhängt.«

»Steht mit ’ner faulen Katze aufem Kopp im Regen und guckt stundenlang durchs Fernrohr«, brummte Kullerjan. Bullerjan nickte.

»Kannich gesund sein.«

»Für die Katze?«, wollte Kullerjan wissen. Bullerjan stutzte und machte ein großes Auge, das andere schlief hinter einer schwarzen Augenklappe.

»Ähm.« Er überlegte und starrte dabei auf Kullerjans Augenklappe. »’Ne Katze mit Schnupfen bringt Unglück«, sagte er schließlich. Kullerjan nickte und starrte auf Bullerjans Augenklappe.

Sie waren die einzigen Matrosen an Bord und sie waren mit Käpt’n Sansibo seit 23 Tagen unterwegs. Es war ihre erste gemeinsame Seefahrt. Nach Indien wollten sie, so hatte es der Käpt’n befohlen. Kurkuma wollten sie dort holen. Das war das seltene, kostbare Gewürz, mit dem sie die Segel der Canneloni so wunderbar gelb gefärbt hatten. Der reiche Sassafras hatte dem Käpt’n in Sansibar einen Sack Kurkuma überlassen, ohne dass er was dafür bezahlen musste. Die Bedingung war, dass Sansibo ihm dafür acht Säcke zurückbrachte. Direkt aus Indien. Mit solchen Geschäften war der reiche Sassafras sehr reich geworden. Und auch sehr dick. Aber das kümmerte Sansibo nicht. Für ihn zählte nur, dass er mit seinem ersten eigenen Schiff und seiner ersten eigenen Mannschaft auf großer Fahrt war.

Kullerjan streckte wieder seinen Kopf aus der Kombüse, aber nur kurz.

»Rutscht dem Käpt’n langsam vom Kopp, die Katze«, sagte er und schaute Bullerjan ratlos an.

»Isse vielleicht müde, die Katze«, fragte Bullerjan und kratzte sich an der Nase. Kullerjan schnaufte ganz tief und verschränkte seine dicken Arme.

»Irgendwat stimmt doch hier nich.« Bullerjan verschränkte seine Arme genauso und guckte Kullerjan scharf an.

»Dat find ich auch. Wat erzählst du hier ständich vonner Katze?« Kullerjan guckte scharf zurück.

»Wat soll ich denn die Katze erfunden ham? Dat warst du doch!«

»Ich hab doch keine Ahnung nich, wo die Katze herkommt«, rief Bullerjan erbost und stellte sich ganz dicht vor Kullerjan.

»Katze bleibt Katze und du hast das Wort zuerst gesagt!« Kullerjan war laut geworden. Die beiden standen einander gegenüber. Ihr jeweils eines Auge funkelte so schwarz wie das Fell einer Katze. Ihre Nasen waren so dicht aneinander, dass nicht einmal ein Katzenhaar dazwischen gepasst hätte.

»Dat is deine Katze!«

»Ich kenn überhaupt keine Katze nich!«

»Du bist ein ganz übler Katzenerfinder!«

»Da geht mir doch der Hut hoch!«

»Wat für’n Hut denn jetzt auf einmal?«

»Zu viel Wasser im Kopp, dat isses. Du hast zu viel Wasser auffen Kopp gekricht und jetzt isses passiert.«

»Wat is passiert?«

»Deine Birne is weich wie …, wie …«

»Na, wie wat denn, sag schon. Los, heraus mit der Sprache!« So brüllten die beiden großen, starken Matrosen aufeinander ein, ohne was zu merken. Käpt’n Sansibo stand nämlich in der Kombüsentür. In der rechten Hand hielt er sein Messingfernrohr, die linke hatte er hoch erhoben.

»Jungs!«, schrie er, »es ist passiert!« Die beiden starrten auf ihren Käpt’n und dann auf das schwarze Etwas auf seinem Kopf.

»Ja wat denn??«, brüllten sie wie aus einem Hals so laut zurück, dass Sansibo erschrocken einen Schritt zurück machte. Dabei kam sein Kapitänshut ins Rutschen, bewegte sich ganz langsam abwärts, flutschte über sein linkes Ohr, krallte sich kurz an seiner linken Schulter fest und fiel mit einem satten Platsch aufs Deck. Sofort prasselte der Regen auf Käpt’n Sansibos ungeschützten Kopf und er sprang wieder in die Kombüse. Kullerjan und Bullerjan waren von ihrem eigenen Schrei erschrocken.

»Äh, wat wollten sie sagen, Käpt’n?«, stammelte der eine.

»Sie wollten doch wat sagen, Käpt’n«, stotterte der andere. Sansibo schüttelte sich wie ein nasser Hund, dass die Tropfen nur so durch die Gegend spritzten. Er guckte seine beiden Matrosen scharf an und dann sagte er so leise, dass sie sich ganz weit vorbeugen mussten, damit sie ihn verstanden:

»Wenn an Bord einer laut wird, dann bin ich das. Habt ihr mich verstanden?« Sie machten jeder ein großes Auge und dann nickten sie so heftig, dass die Augenklappen verrutschten. Sansibo nickte ebenfalls.

»Gut«, flüsterte er«, und jetzt wird’s langsam Zeit fürs Mittagessen. Wir brauchen ordentlich was zu futtern, bevor es an Land geht.« Den beiden klappte vor Staunen die Kinnlade runter.

»Wat für’n Land denn?«, fragte Bullerjan ganz leise.

»Und warum flüstern denn jetzt alle?«, wollte Kullerjan wissen. Der Käpt’n streckte sich und verschränkte die Arme.

»Erstens: Indien. Zweitens: Keine Ahnung!«, rief er. »Is mir auch egal. Indien wartet auf uns. Ist von euch schon mal einer dagewesen?« Die beiden schüttelten ihre Köpfe. »Macht nix«, rief Käptn Sansibo, »wir wissen ja wie Kurkuma aussieht und wie’s riecht.« Die beiden nickten. Und ob sie das wussten. Seitdem sie die Segel mit Kurkuma gefärbt hatten, war ihnen der Geruch nicht mehr aus der Nase gegangen. Kullerjan deutete auf das schwarze Ding, das hinter dem Käpt’n auf dem Boden lag und vor lauter Regenwasser aussah wie …, ja wie eigentlich?

»Wat is mit der Katze, Käpt’n, äh, ich meine …«, stammelte Kullerjan. Bullerjan kam ihm zu Hilfe.

»Also meinetwegen brauchen wir keine Katze gar nie nich, äh, also …«, stotterte er. Käpt’n Sansibo schaute sie verblüfft an und kraulte seinen roten Vollbart.

»Bei allen Klabautermännern, wovon faselt ihr beiden denn da?« Jetzt deutete Bullerjan auch auf das schwarze Dings. Käpt’n Sansibo drehte sich schwungvoll um, bückte sich und hob seinen Kapitänshut auf.

»Habt ihr zu viel Petersilie gefrühstückt? Oder was ist los? Geht’s euch nicht gut?«, fragte er und knetete und faltete an seinem Hut herum, der pitschnass zwischen seinen Fingern hing.

»Och nöööh, eigentlich, … also …«, stammelte der eine.

»Nee, also wirklich, genau genommen, gar nie nich …«, stotterte der andere. Käpt’n Sansibo schlug energisch mit seinem Hut auf den Kombüsentisch.

»Schluss jetzt mit dem Geplapper. In einer halben Stunde will ich volle Teller sehen, klar? Und das Ding hier«, er deutete auf seinen Hut, »ist vollkommen hinüber. Steckt’s in den Herd. Ich kauf mir ’n neuen Hut in Indien.«

An diesem Nachmittag liefen im Hafen von Mangalore an der Westküste von Indien viele Leute zusammen. Ein Schiff mit sonnengelben Segeln! Und dann rauchte es auch noch schwarz aus dem Schornstein auf dem Kombüsendach. Es rauchte so stark, dass sogar der Regen aufgehört hatte zu regnen. Bullerjan hatte, wie befohlen, den aufgeweichten Hut des Käpt’ns in sein Herdfeuer gesteckt und gleich noch ein paar alte Lumpen mit dazu. Das feuchte Zeug im Feuer machte so viel Qualm, dass die Leute im Hafen von Mangalore dachten, das Schiff würde brennen. Sie wussten noch nicht, dass das Schiff die Canneloni war, dass der Käpt’n Sansibo hieß und dass die beiden einzigen Matrosen an Bord Bullerjan und Kullerjan waren.

Die Leute von Mangalore hätten diese Namen auch gar nicht aussprechen können, denn ihre Sprache war eine ganz andere. Das ahnte Käpt’n Sansibo und es bereitete ihm einiges Kopfzerbrechen. Während der Wochen, die sie von Sansibar nach Mangalore gesegelt waren, hatte er immer nur einen Gedanken daran verschwendet, und der lautete:

»Die werden mich schon irgendwie verstehen, die Inder.« Nun aber, so kurz vor der ersten echten Begegnung mit Indern, war ihm etwas mulmig zumute. Doch das durften Bullerjan und Kullerjan nicht merken. Immerhin war er der Käpt’n und ein Käpt’n weiß die Lösung für jedes Problem. Zumindest tut er so, dachte Sansibo. Er schaffte seinen Teller voller Bratkartoffeln nur mit Mühe. Die Aufregung schlug ihm auf den Magen. Das konnte man von Kullerjan und Bullerjan nicht behaupten. Ihnen schlug nie etwas auf den Magen. Auch wenn sie Indien nicht kannten und von den Indern keine Ahnung hatten, machte ihnen das keine Sorge. Sie hatten ja ihren Käpt’n.

Gerade als die Canneloni an der äußersten Hafenmole vorbeisegelte, versiegte der schwarze Qualm. Der Kombüsenschornstein streckte sich unschuldig der Sonne entgegen, die sich zwischen zwei gewaltigen, grauen Wolken hervorwagte. Das brachte die Segel der Canneloni zum Leuchten. Und das brachte die vielen Inder, die sie beobachteten, zum Staunen.

Käpt’n Sansibo stand am Steuer und segelte besonders aufmerksam die Mole entlang. Oma Zitrona, der kleine gelbe Papagei, saß auf seiner Schulter. Sie äugte neugierig auf die Stadt, deren Häuser, Türme und Paläste an ihnen vorbeizogen.

»Kenn ich«, krächzte sie dem Käpt’n ins Ohr, »das is Indien. Kenn ich.« Sie nickte ein paar Mal und breitete ihre Flügelchen aus. »Mangalore«, krächzte sie, »kenn ich auch, kenn ich schon lange.« Sie sträubte die Federn auf ihrem kleinen Kopf.

»Beruhig dich, Oma Zitrona«, brummte der Käpt’n. Kullerjan und Bullerjan standen nebeneinander an der Reling und starrten auf die Kaimauer, die mit Menschen übersät war. Vor der leichten Brise zog die Canneloni majestätisch langsam an ihnen vorbei.


Zwischen all den Indern huschte ein Junge die Kaimauer entlang und ließ keinen Blick von dem prächtigen Schiff, dessen goldbraunes Holz mit den goldgelben Segeln um die Wette leuchtete. Käpt’n Sansibo blickte angespannt in die Takelage. Auf keinen Fall wollte er zu schnell in den Hafen einlaufen, damit er nicht mit einem der vielen kleinen Boote, die nur so herumwimmelten, zusammenstieß.

»Jungs«, rief er schließlich, »ankern! Sofort!« Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. In Windeseile sprangen sie an den Bug und ließen den Anker über eine Winde herab. Es platschte ordentlich, als er ins klare Hafenwasser plumpste. Gleich darauf machte die Canneloni eine ganz leichte, elegante Drehung und kam mit dem Bug zum Kai zur Ruhe.

Sofort gab es ein Gedränge an der Kaimauer. Die Leute trugen Gewänder in allen Farben, riefen wild durcheinander und deuteten mit ausgestreckten Armen mal auf Kullerjan, mal auf Bullerjan, meistens aber auf die gelbe Segelpracht. So ein Schiff hatten sie noch nie gesehen und so riesige Matrosen ebenso wenig. Die beiden drehten sich um und hielten nach ihrem Käpt’n Ausschau.

Sansibo hatte das Steuerruder verlassen und war in seiner Kapitänskajüte verschwunden. Er setzte Oma Zitrona auf ihrer Stange ab, wo sie sofort einschlief. Sie war über hundert Jahre alt und das Schlafen war ihre liebste Beschäftigung. Auf diese Weise ging sie jeder Aufregung am besten aus dem Weg. Wahrscheinlich war sie deshalb so alt geworden.

»Zu blöd, dass mein Hut verbrannt ist«, dachte er und zauste seinen roten Vollbart. Dann stutzte er und dann dachte er: »Zu blöd, dass ich sowas denke. Fehlt bloß noch, dass ich denke: ›Was denken bloß die Inder?‹« Bei diesem Gedanken musste er grinsen. Er streckte sich, holte tief Luft und öffnete die Kajütentür.

»Äh Käpt’n!«, rief Bullerjan, »wie sollen wir an Land kommen bei all den Leuten?«

»Is gar kein Platz, gar nie nich«, bestätigte Kullerjan.

»Abwarten Jungs,« antwortete Käpt’n Sansibo und schritt an ihnen vorbei.

Ein paar Männer, die ganz vorne standen, entdeckten ihn zuerst und als sie seinen roten Vollbart sahen, fuchtelten sie mit den Armen und riefen ungeduldig nach hinten. Wie aus dem Nichts erschien ein langes schmales Brett, das über den Köpfen weitergereicht wurde, bis es ganz vorne angelangt war. Die Männer legten das eine Ende vorsichtig auf die Reling der Canneloni, das andere Ende auf die Kaimauer. Käpt’n Sansibo verstand sofort. Er kletterte auf die Reling und balancierte geschickt über das schmale Brett an Land.

Die Leute machten ihm staunend Platz. Für einen Moment war Stille. Sansibo wusste nicht, was er sagen sollte. Kullerjan und Bullerjan warteten gespannt, was er sagen würde und die vielen Inder starrten ihn aus ihren schwarzen Augen einfach nur an. Viele trugen einen Turban, manche einen schwarzen Bart, die Männer waren weiß gekleidet, die Frauen in allen Regenbogenfarben. Sansibo blickte in die goldbraunen Gesichter, eines nach dem anderen. Der Junge hatte sich mit den Ellbogen ganz nach vorn durchgekämpft und stand nun direkt vor ihm.

Sansibo war es nicht gewohnt, von so vielen Augen beobachtet zu werden. Das war ihm erst einmal passiert, einen Monat zuvor. Da hatte er mit einer tollkühnen Wette die Canneloni erobert. Aber damals war er ganz oben auf dem Großmast gestanden und die Zuschauer waren für ihn viel weiter weg gewesen, nicht so wie jetzt: Nase an Nase. Er fühlte, wie es eng wurde in seiner Kehle. Er musste sich räuspern.

»Aham«, sagte er und musste husten. Der Junge zupfte ihn am Hosenbein.

»Sind Sie Kapitän Ahab? Der mit Moby Dick gekämpft hat?«, rief er laut. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Name unter den vielen hundert Leuten.

»Ahab, Ahab, Ahab«, so wurde überall geflüstert und geraunt. Sansibo schaute den Jungen verblüfft an.

»Du kannst meine Sprache?« Der Junge nickte eifrig.

»Also — sind Sie’s? Sind Sie der berühmte Kapitän Ahab?«

»Ähem, da hast du was falsch verstanden. Ich bin Käpt’n Sansibo und das hier ist die Canneloni, mein Schiff. Soviel ich weiß, hat Kapitän Ahab seinen Kampf mit Moby Dick, dem weißen Wal, verloren und ist nie wieder aufgetaucht oder nicht?« Der Junge nickte verdrossen.

»Ich kenn ja die Geschichte, ich hab das ganze dicke Buch gelesen, aber ich hab gehofft, dass …, dass …, na ja, ich hab gedacht, dass so ’ne Geschichte vielleicht auch mal gut ausgeht.« Der Junge schaute Sansibo aus seinen dunklen Augen fragend an.

Bevor Käpt’n Sansibo etwas antworten konnte, schob sich ein kleiner dicker Mann mit einem dunkelroten Turban und einer goldenen Halskette vor den Jungen.

»Ist die Ehre groß, zu begrüßen Kapitän Ahab«, sagte er ganz langsam mit einer tiefen Stimme. Sofort hörten alle anderen mit dem Flüstern und Raunen auf. Der Mann legte die rechte Hand auf seine Brust und verbeugte sich. Käpt’n Sansibo riss die Augen auf. Da gab es noch jemanden, der in seiner Sprache redete. Erleichtert verbeugte er sich ebenfalls.

»Ähm«, sagte er, »trifft sich gut, dass Sie mich verstehen, äh, dass ich Sie verstehe, auch wenn Sie mich falsch verstanden haben, das heißt, er, der Junge da, der hat was falsch verstanden, verstehen Sie?« Sansibo kraulte vor Verlegenheit seinen roten Vollbart. Der dicke Mann zog die Augenbrauen hoch. Der Junge versuchte, sich an ihm vorbei zu zwängen, aber der Mann hinderte ihn mit ausgebreiteten Armen daran. Das gefiel Sansibo nicht.

»Ist unwichtiger Junge, Kapitän. Ist wichtig, dass verstehen wir uns«, sagte er mit noch tieferer Stimme.

»Das finde ich nicht und das finde ich auch«, sagte Käpt’n Sansibo und verschränkte seine Arme vor der Brust. Der dicke Mann blinzelte verwirrt und dann lächelte er.

»Was meint Kapitän Ahab damit?«

»Nun, ich finde nicht, dass der Junge unwichtig ist und ich finde auch, dass wir uns verstehen sollten. Und deshalb sage ich jetzt meinen Namen laut und deutlich: Käpt’n Sansibo. Das ist mein Schiff, die Canneloni und das sind meine beiden Matrosen Bullerjan und Kullerjan. Wir kommen direkt aus Sansibar und sind auf der Suche nach Kurkuma.«

Als die Leute dies hörten begannen sie wieder, zu raunen und zu flüstern und zu tuscheln. »Sansibo«, war überall zu hören, »Sansibo, Sansibo.« Die anderen Namen hatten sie nicht verstanden. Nur der kleine dicke Mann mit dem dunkelroten Turban und der Goldkette hatte alles verstanden. Er lächelte immer noch und verbeugte sich ein zweites Mal. Käpt’n Sansibo hielt dies für übertrieben. Er versuchte, den kleinen Jungen zu entdecken, doch der war spurlos verschwunden.

»Mein Name ist Adschid, Kapitän«, ließ sich die tiefe Stimme vernehmen. »Das bedeutet: Der Unbesiegbare.« Der kleine dicke Mann grinste so breit, dass seine großen weißen Zähne zu sehen waren. So viele Zähne hatte Sansibo noch nie in einem Gesicht gesehen.

»Dann seid Ihr so etwas wie der Kapitän dieser Stadt?«, wollte er wissen. Adschid neigte leicht den Kopf, ohne seinen Turban zu verlieren.

»Dies ist Mangalore, Kapitän Sansibo und der Gouverneur dieser Stadt bin ich.« Er hob eine Hand und sofort wurden alle ringsum wieder still. »Aber bin ich auch Kaufmann und habe kleines Geschäft. Dort bekommt Ihr alles, was Ihr wollt.«

»Aha«, sagte Sansibo. »und wo finde ich das Geschäft?« Adschid breitete seine Arme aus.

»Ihr werdet es leicht finden mein Haus. Es ist das größte«, sagte er und grinste zufrieden. Doch plötzlich riss er die Augen auf. Irgendetwas hinter Sansibos Rücken hatte sich bewegt. Adschid stieß wütend einen lauten Schrei aus und schüttelte drohend seine rechte Faust. Sansibo drehte sich um und konnte gerade noch erkennen, wie der kleine Junge über das schmale Brett an Bord der Canneloni huschte, wo ihn Kullerjan und Bullerjan in Empfang nahmen. Sansibo drehte sich wieder zu Adschid um.

»Wolltet Ihr etwas sagen?«, fragte er ihn. Adschid hatte sich sofort wieder im Griff. Er schenkte Sansibo noch ein breites Lächeln und erwiderte:

»Ich freue mich auf Euren Besuch. Wartet nicht zu lange damit.« Dann verbeugte er sich ein letztes Mal, drehte Sansibo den fetten Rücken zu und ging zwischen den Einwohnern von Mangalore davon. Sie machten ihm ehrfürchtig Platz.

»Darauf kannst du dich verlassen«, brummte Käpt’n Sansibo in seinen Bart, winkte freundlich in die Runde und kehrte langsam über das schmale Brett auf die Canneloni zurück.

Kullerjan und Bullerjan saßen im Schneidersitz auf dem Deck der Kapitänskajüte. Zwischen den beiden stand der Junge, der ihnen gerade mal bis zur Schulter reichte.

»Der kennt sich hier aus, hatter gesagt, Käpt’n«, rief Kullerjan.

»Der kann Bengali, hatter gesagt, Käpt’n«, rief Bullerjan. Die beiden überschlugen sich vor Eifer darin, die Neuigkeiten loszuwerden.

»Der will uns helfen, hatter gesagt.«

»Ja, der weiß wos Kurkuma gibt, hatter gesagt.«

»Und er kennt den Dicken, hatter gesagt.«

»Muss man mächtig aufpassen, hatter gesagt.«

»Is aber kein Problem für ihn, gar nie nich, hatter gesagt.« Käpt’n Sansibo hob beide Hände, damit er auch einmal zu Wort kam.

»Nun mal langsam, Jungs, so viel kann er doch gar nicht gesagt haben in der kurzen Zeit.«

»Doch, hatter, Käpt’n.«

»Und wir ham alles verstanden, weil er nicht nur Bengali kann.«

»Was soll das denn sein, dieses Bengali?«, wollte Sansibo wissen. Der Junge schaute ihn nur an und sagte keinen Ton.

»Na, das is die Sprache hier«, sagte Bullerjan.

»Die kanner gut, hatter gesagt, weil er schon lange hier wohnt, hatter gesagt.« Käpt’n Sansibo verdrehte die Augen.

»Wenn du noch einmal sagst ›hatter gesagt‹, dann sag ich dir mal was.« Bullerjan machte ein großes Auge und lief ein bisschen rot an.

Der Käpt’n schaute nachdenklich auf den Jungen und kraulte seinen roten Vollbart.

»So so«, brummte er, »du enterst also ungefragt und ohne Erlaubnis mein Schiff und machst meine Mannschaft verrückt, wie?« Der Junge stand furchtlos vor Sansibo und sagte immer noch keinen Ton. »Aha«, brummte Sansibo, »du kannst also in Bengali schweigen und du kannst in unserer Sprache schweigen. Oder hast du bei meinen Jungs so viel geplappert, dass dir jetzt die Worte fehlen?«

»Der Käpt’n is schon in Ordnung«, mischte Bullerjan sich ein und zwinkerte dem Jungen zu.

»Is halt ’n Käpt’n«, gab Kullerjan seinen Senf dazu.

»Na vielen Dank, Kullerjan«, schnaubte Sansibo, »willst du vielleicht sonst noch irgendwas loswerden?« Jetzt lief Kullerjan ein bisschen rot an.

»Äh nein, Käpt’n, ich glaub, das wars fürs erste.« Sansibo nickte. Er beugte sich zu dem Jungen herab und blickte ihm in die Augen. Der Junge hielt den Mund geschlossen und erwiderte Sansibos Blick ohne zu zwinkern.

»Kannst du mir vielleicht sagen«, fragte der Käpt’n so leise, dass Bullerjan und Kullerjan ihn gerade noch verstehen konnten, »warum du so hartnäckig den Schnabel hältst, seit ich an Bord bin? Das möchte ich nämlich wirklich sehr gerne wissen.« Er war mit seinem Gesicht so nahe an den Jungen gerückt, dass dieser ihn hätte am Bart zupfen können.

»Ich wollte zuerst etwas herausfinden«, sagte der Junge und kratzte sich an der Nase. Sansibo zuckte zurück und stemmte beide Fäuste in die Hüften.

»Ha!«, rief er aus, »na, da haben wir ja was gemeinsam. Ich will nämlich auch was herausfinden.« Kullerjan und Bullerjan saßen nach wie vor im Schneidersitz da und nickten vor sich hin, als wüssten sie genau, worum es ging. Sie hatten allerdings keine Ahnung, worum es ging. Der Junge stand zwischen ihnen und ließ sich von Nichts und Niemandem einschüchtern. Sansibo merkte das und es gefiel ihm.

»Was wollen Sie denn herausfinden?«, fragte der Junge.

»Na, zum Beispiel deinen Namen«, rief Sansibo.

»Toby«, sagte der Junge, »ich bin Toby.«

»Also gut, Toby, dann lass mal hören, was du so Wichtiges herausfinden musst.« Toby sah ihn ruhig an.

»Ich musste erst wissen, ob Sie auch die richtigen Augen haben.« Er deutete mit beiden Händen auf die beiden Matrosen, die rechts und links von ihm saßen.

»Die beiden haben sie nämlich, auch wenn jeder nur eines hat.« Sansibo schaute ihn verblüfft an.

»Und? Was hast du rausgefunden?« Toby nickte ernsthaft.

»Ihre Augen würden meiner Urgroßmutter Sania bestimmt gefallen. Sie sind genauso, wie sie sie beschrieben hat.«

»Deine Urgroßmutter?« Wieder nickte Toby.

»Aber die kannte mich doch gar nicht.«

»Aber sie wusste, wie Augen aussehen müssen, damit man ihnen vertrauen kann.«

»Und du glaubst, meinen kann man vertrauen?« Toby grinste ein wenig.

»Genau. Und deswegen kann ich auf der Canneloni bleiben.« Für einen Moment verschlug es Sansibo die Sprache.

»Jo«, sagte Bullerjan stattdessen.

»Jo«, sagte Kullerjan im gleichen Tonfall. Der Käpt’n kraulte indessen nachdenklich seinen roten Bart und schüttelte dann den Kopf.

»Moment mal Junge, nicht so schnell. So einfach geht das nicht. Da musst du erst mal mich fragen. Und davor musst du vor allem deine Eltern fragen.«

»Das geht nicht.«

»Wieso?«

»Die sind beide tot.«

»Oh, das tut mir leid. Na, dann fragen wir eben deine Großeltern.«

»Das geht nicht.«

»Sind die etwa auch tot?« Toby nickte.

»Alle vier. Aber schon lange.«

»Hm hm, wer hat denn auf dich aufgepasst?«

»Meine Urgroßmutter Sania. Aber die ist auf ihren Baum geklettert.« Sansibo kratzte sich verwundert am Kopf.

»Die ist auf ihren Baum geklettert? Deine Urgroßmutter? Und warum?«

»Um besser in die andere Welt zu kommen. Das machen die alten Leute in Mangalore so. Wenn sie merken, dass sie sterben werden, klettern sie auf ihren Baum, um besser in die andere Welt zu kommen. Das ist der schönste Weg dahin, hat meine Urgroßmutter gesagt.« Kullerjan und Bullerjan sagten kein Wort und schauten Toby nur an. Sansibo musste sich räuspern.

»Dann hast du also niemanden mehr?« Toby schüttelte den Kopf und lächelte.

»Warst du denn schon mal auf so einem Schiff? Hast du schon mal ein Meer überquert?« Toby nickte eifrig und zählte auf:

»Ich bin nach Australien und Neuseeland gefahren, zu den Fidschiinseln, ums Kap der guten Hoffnung, um Kap Hoorn und durch die Nordwestpassage.« Als er das hörte musste Käpt’n Sansibo sich auch hinsetzen.

»Aber dafür bist du doch noch gar nicht alt genug.«

»Wieso? Ich kann lesen, seit ich fünf Jahre war.«

»Lesen?«

»Sag ich doch. Käpt’n Cook, Käpt’n Ahab, die Schatzinsel …«

»Heißt das, du hast diese ganzen Reisen nicht selbst gemacht, sondern hast nur darüber gelesen?«

»Ja, aber das macht ja keinen Unterschied. Ich bin auf allen Weltmeeren gewesen in meinen Büchern.« Toby strahlte den Käpt’n an. Der legte eine Hand über die Augen und schüttelte den Kopf. Kullerjan und Bullerjan schüttelten auch die Köpfe.

»Is nich dasselbe, Toby.«

»Gar nie nich. So’n ordentlicher Sturm mit zwölf Meter hohen Wellen …«

»Da wirst du nich nass von, in deinen Büchern.«

»Und seekrank wirst du auch nich von.« Toby schaute sie ernst an.

»Ihr habt ja keine Ahnung. Ich war mit Käpt’n Flint auf der Schatzinsel, ich hab Moby Dick in die Augen gesehen, ich war mit James Cook bei den Maori auf Neuseeland …«

»Ja, ja, ja, und wahrscheinlich hast du auch Eisbären gejagt und mit Eskimos ein Iglu gebaut, als durch die Nordwestpassage gesegelt bist«, unterbrach ihn Käpt’n Sansibo. Toby verstummte und senkte den Blick. Sansibo schnaufte unwillig in seinen roten Vollbart.

»Es geht nicht, Toby. Meine Mannschaft ist komplett. Ich kann keinen Schiffsjungen gebrauchen. Das wäre viel zu gefährlich.«

»Aber ich will ja gar nicht Schiffsjunge sein«, sagte Toby trotzig. »Was Sie brauchen, ist einer, der die Rätsel löst.«

»Was für Rätsel denn?«. Toby begann hin- und herzugehen. So konnte er besser nachdenken. Er wusste, dass es jetzt darauf ankam. Wenn er es nicht schaffte, auf der Canneloni zu bleiben, würde er nie aus Mangalore fortkommen. Und das war sein sehnlichster Wunsch jetzt, wo er ganz allein war.

»Na, zum Beispiel, ob es besser ist, links oder rechts um einen Eisberg zu segeln …«

»Das heißt Backbord und Steuerbord«, brummte Sansibo und kniff die Augen zusammen. Er war gespannt, was dieses Bürschchen noch so alles erzählen würde. Toby legte einen Finger an die Nase.

»Ich will mir jetzt nicht irgendwas ausdenken. Ist es nicht vielleicht besser, wenn Sie mir ein Rätsel stellen?«, fragte er mit klopfendem Herzen. Sansibo musste nicht lange überlegen.

»Also gut, Toby, hör gut zu. Wir brauchen acht Säcke Kurkuma. Ich kann sie nicht bezahlen. Ich will sie nicht stehlen und ich muss sie so schnell wie möglich nach Sansibar bringen. Außerdem kann ich kein Bengali und ich kenne niemanden hier. Ist die Aufgabe schwer genug für dich?« Toby stand an der Reling und blinzelte in die Nachmittagssonne. Die Regenwolken waren verschwunden. Er drehte sich zu Käpt’n Sansibo um und grinste ihn an.

»Das ist ganz leicht, Käpt’n. Soll ich sagen, wie?«

»Du wirst es wohl kaum für dich behalten wollen. Aber wir gehen besser in meine Kajüte und machen die Tür zu. Und ihr beiden passt auf, dass sich niemand auf die Canneloni schleicht.«

»Aye, Käpt’n, keiner darf schleichen«, rief Kullerjan und sprang auf die Füße.

»Aye Käpt’n, wir verscheuchen die Schleicher«, rief Bullerjan und sprang auf die Beine. Sie marschierten an Deck hin- und her und ließen den Kai nicht aus den Augen.

»Also, nun lass mal hören, was dir im Kopf herumspukt«, sagte Sansibo, als Toby sich ihm gegenüber an den großen Kartentisch gesetzt hatte.

»Können Sie gut im Kopf rechnen?«, fragte der Junge.

»Und ob ich das kann. Als Käpt’n muss ich navigieren können und dazu gehört das Kopfrechnen.«

»Dann mache ich jetzt ein Experiment mit Ihnen.« Toby legte los und ein wenig später starrte Käpt’n Sansibo Toby an.

»Wie hast du das gemacht? Wie konntest du das wissen? Da steckt doch irgendein Trick dahinter.« Toby erklärte es ihm und auch den Rest seines Planes.

»Und du meinst tatsächlich, dass das funktioniert?« Toby nickte.

»Ich kenne Adschid. Er ist davon überzeugt, dass niemand besser im Kopf rechnen kann als er. Außerdem wettet er für sein Leben gern.«

»Aber ich hab ja nichts, was ich einsetzen könnte.« Toby schaute den Käpt’n abwartend an. Sansibo merkte, woran er dachte.

»Das kommt auf gar keinen Fall in Frage. Die Canneloni bleibt mein Schiff. Die setz ich nicht aufs Spiel.« Toby nickte.

»Das kann ich verstehen. Wir müssen abwarten, was Adschid sagt. Vielleicht will er das Schiff ja gar nicht.«

»Na, dann wollen wir mal los, um das herauszufinden.«

Käpt'n Sansibo — Die Canneloni und die verbotene Insel

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