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Die Sprache lernen und anderen Flüchtlingen helfen Hassim und Abbas, zwei Jugendliche aus Syrien
ОглавлениеHassim kommt fröhlich und lachend ins Büro. Er sprudelt immer voll positiver Energie. Seit zwei Wochen ist er in eine Wohngemeinschaft gemeinsam mit anderen, deutschen Studierenden eingezogen. Er hat auch schon seinen blauen Flüchtlingspass. Hassim ist bei allen sehr beliebt.
Kaffee? – frage ich ihn. „Sehr gerne!“ antwortet er. Gemeinsam gehen wir in die Küche.
Na? Alles klar bei dir? Wie ist das Leben in der neuen Wohnung? – „Alles Super! Ich werde wie ein Bruder behandelt. Mir wurde ein PC geschenkt und viele Möbel. Wir gehen oft in Konzerte und machen Ausflüge. Die Deutschen sind so nett zu mir!“ – Das freut mich Hassim. Du bist echt von Gott geliebt, antworte ich ihm.
Bevor ich anfange, mit ihm das Gespräch zu führen, meint Hassim abwehrend: „Ich will nicht über Syrien sprechen. Ich habe so viel Schlimmes gesehen. Aber gerne teile ich mit dir meine Erfahrungen während der Reise. Ist das ok?“, fragt er. Natürlich, sagte ich ihm: Ich bin dankbar für alles, was immer du mir mitteilen möchtest.
Hassim sitzt leuchtenden Augen voller Aufregung auf seinem Stuhl und meint: „Yallah, ich bin bereit!“
EF
Hassim, wie war dein Leben vor dem Krieg?
Hassim (in der Folge H)
Mein Leben war sehr schön! Ich habe viel Zeit mit meiner Familie und mit meinen Freunden verbracht. Jeden Tag, wenn ich von der Schule zurückgekommen bin, hatte meine Mutter schon das Essen vorbereitet, und wir aßen in aller Ruhe zu Mittag. Am Nachmittag war ich dann unterwegs mit meinen Freunden.
EF
Du bist aus Homs, richtig?
H
Genau. Homs war eine wunderschöne Stadt, mit viel Natur in der Umgebung.
EF
Hast du Geschwister?
H
Ja. Ich habe einen jüngeren Bruder und drei ältere Schwestern. Das Schönste für mich war immer, mit meiner Familie zusammen zu sein, mich nicht fremd zu fühlen, in einem anderen Land.
Hassim seufzt …
Das ist das Schwierigste für mich in Deutschland: Ich bin hier ganz allein. Niemand von meiner Familie ist hier. Das macht mich sehr einsam.
EF
Hassim, du hast in Homs studiert und warst schon im zweiten Semester. Richtig?
H
Ja, richtig. Ich habe Maschinenbau studiert. –
Bevor ich mein zweites Semester abschließen konnte, fing der Krieg an. Damals war ich 18 Jahre alt. In diesem Alter war es Pflicht, Militärdienst zu leisten.
Eines Tages, auf dem Weg zur Universität, wurde ich am Checkpoint angehalten. Ich wurde herausgeholt, und mir wurde von den Soldaten gesagt: „Heute ist dein letzter Tag in der Universität. Morgen kommst du zur Militärbasis, bringst alle deine Papiere mit und meldest dich zum Militärdienst!“
Ich ging nach Hause und erzählte alles meinen Eltern. Sie besprachen sich in der Nacht lange und ausführlich. Am frühen Morgen sagten sie mir, dass es aus ihrer Sicht das Beste für mich sei, wenn ich in den Libanon gehe. Klar, meine Eltern wussten, was es heißen würde, wenn ich als Soldat mitten in diesen Konflikt geraten würde.
Ende 2012 floh ich dann in den Libanon.
EF
Warst du alleine im Libanon? Blieben deine Eltern in Syrien zurück?
H
Ja, meine Eltern blieben in Syrien. Mein Vater hatte seine eigene Firma. Eine Transportfirma, um Menschen von Homs nach Beirut zu bringen. Dadurch konnte ich mehrmals meinen Vater im Libanon treffen, ihn fragen, wie es der Familie geht. Das hat vieles erleichtert. Doch das blieb so nicht auf längere Dauer.
Ein paar Monate danach wurde mein Vater an einem Checkpoint festgenommen und ins Gefängnis geworfen. Eineinhalb Jahre blieb er im Gefängnis in Homs. Während dieser Zeit hatte meine Familie keinerlei finanzielle Unterstützung. Somit arbeitete ich im Libanon und habe Geld nach Hause geschickt. Mein Vater wurde erst entlassen, nachdem meine Familie 13.000 Dollar gezahlt hatte. Seitdem habe ich meinen Vater und meine Familie nicht mehr gesehen.
EF
Du hast aber jetzt Kontakt mit deiner Familie?
H
Gott sei Dank! Meinem Vater geht es gut. Meiner Familie auch. Sie leben unter dem Schutz der Barmherzigkeit Gottes.
EF
Lebt deine Familie noch in Homs?
H
Nein. Unser Haus wurde bombardiert. Meine Familie floh in ein Dorf in der Nähe, das Aldiea heißt. Gott sei Dank es geht ihnen gut. Erst gestern habe ich mit ihnen telefoniert.
Aber sie berichteten, dass jetzt schon ganz in der Nähe von Aldiea geschossen wird.
EF
Warum entschied sich deine Familie nicht, mit dir zusammen zu fliehen?
H
Das ist eine schwierige Geschichte. Mein Vater hat die Mentalität der älteren Generation. Er will nicht aus dem Land seiner Väter und Urväter weggehen. Ihm ist es lieber, in Syrien zu sterben, als auszuwandern. Ich habe mehrmals versucht, meine Mutter zu überzeugen, dass sie mit meinen Schwestern zu mir in den Libanon kommt. Doch mein Vater war auch dafür nicht. Damals sprach ich jeden Tag mit meinem Vater: „So Gott will kommst du zu mir in den Libanon!“ Doch mein Vater antwortete immer: „Wir sind in Syrien geboren, und was Gott für uns bestimmt hat, das ist für uns bestimmt!“
EF
Du hast dich dann Ende 2015 entschieden, nach Deutschland zu flüchten.
H
Genau. Die politische Situation im Libanon wurde von Tag zu Tag unstabiler. Es gab große Spannungen zwischen der libanesischen Bevölkerung und den syrischen Flüchtlingen. Ich will nicht in die Details gehen. Ich fühlte mich nicht mehr sicher.
Ich dachte mir auch, dass die Zukunftsmöglichkeiten für mich in Deutschland viel besser sein würden als im Libanon. Meine Eltern waren anfangs nicht dafür und meinten, dass ich im Libanon doch noch in relativer Nähe bei ihnen wäre.
Nach langem Dialog meinten meine Eltern dann doch: „Wir lassen dich frei. Entscheide, was für dich das Beste ist.“
So entschied ich mich Ende 2015, meine große Reise zu organisieren.
Ich bin erst in die Türkei gereist, dort verbrachte ich ein paar Tage bei meiner Tante.
Es klopft an der Tür! „Ja? Wer ist da?“, frage ich. „Ich bin es, Abbas.“ – „Dann komm rein!“
Abbas ist, wie Hassim, auch ein allein reisender, dreiundzwanzig Jahre junger Mann aus Syrien. Er kam heute extra zu Besuch zu mir, um seine Geschichte zu erzählen.
Strahlend kommt er herein! „Boh! Ist das heiß bei euch in den Büros!“
Wasser? Kaffee? Tee?
„Wasser bitte!“
Ich erkläre Abbas ganz kurz, dass wir gerade über Hassims Reise sprechen. „Ja, super, dann reise ich einfach spontan mit!“
„Sababa! Super!“, sage ich.
EF
Jetzt erzähl’ mal, Hassim! Wie hast du die Reise organisiert?
H
Ich hatte Kontakt mit einem Schleuser in der Türkei. Er war Syrer. Dieser wiederum hatte Kontakt mit einem Schleuser in Griechenland. Das waren hoch organisierte Banden in der Türkei.
In Iskandarun, einem Städtchen an der syrischen Grenze, haben wir uns zusammengefunden und sind von dort nach Izmir gefahren. Von Izmir weiter bis nach Cesame und von dort mit dem Boot übers Meer auf die griechische Insel Chios.
Du siehst, wie nah das ist! Nur fünf Stunden haben wir dafür gebraucht.
EF
Seid ihr eigentlich gemeinsam gereist?
Abbas
Nein. Aber auf der gleichen Route.
Hassim fährt fort
Wir hatten anfangs einen guten Kontakt mit dem griechischen GPS. Doch das türkische Radar hat uns die Verbindung unterbrochen. Dadurch haben wir uns auf dem Meer verirrt. Anstatt uns den Weg zur der griechischen Insel zu weisen, hat uns das GPS Richtung Istanbul geführt.
Doch mein Freund konnte sich wieder mit dem griechischen GPS in Verbindung setzen, und somit sind wir wieder in die richtige Richtung gefahren. Aber kurz danach haben wir die Verbindung ganz verloren. Wir waren mitten auf dem Meer.
Ich dachte mir: Khalas! Jetzt ist Schluss! Wir werden alle sterben!
Doch plötzlich sahen wir ein großes türkisches Schiff, das in unsere Richtung fuhr. Der Schleuser dachte nicht lange nach und gab dann einfach Vollgas! Und wie durch ein Wunder kamen wir, schweißgebadet vor Angst, an die griechische Küste. Dort konnten uns die Türken nichts mehr machen. Wir wussten: In Griechenland sind wir sicher. Von dort aus fuhren wir mit einer großen Fähre nach Athen.
EF
Gab es Hilfsorganisationen in Griechenland? Das Rote Kreuz?
H
Ja, das Rote Kreuz hat uns in vielen Ländern gut begleitet. Speziell, als wir in Athen angekommen sind, war ich sehr begeistert vom Rotem Kreuz. Nachdem die Menschen fürs Erste mit Essen und Trinken versorgt worden sind und eine Unterkunft zugewiesen bekamen, hat eine Gruppe vom Roten Kreuz ein paar Spiele mit den Kindern organisiert, um sie abzulenken von der ganzen Angst und von dem ganzen Druck! Das war sehr schön zu erleben. Das hat gut getan.
Einen Tag später ging die Reise weiter. In unserer Gruppe fuhren wir – meist mit Bussen – von Athen bis Makedonien. Zwischendurch mussten wir manchmal drei, vier Kilometer laufen. Mal Zug, mal Bus, mal laufen! Es war schrecklich kalt und regnerisch.
Abbas fügt hinzu
Manchmal mussten wir dreizehn, vierzehn Stunden mit dem Bus fahren! Dann wieder zu Fuß laufen … dann wieder zehn bis vierzehn Stunden mit dem Bus!
EF
Was habt ihr empfunden während der Reise?
Abwechselnd beide
Wir hatten Angst! Angst vor dem Ungewissen! Eine Woche lang ständige Ungewissheit! Angst vor der Gewalt, die von den Soldaten ausging!
Wir waren uns nicht sicher, ob wir in allen Ländern willkommen sein würden. – Es war Spannung hoch zehn!
Gott sei Dank sind wir nicht durch Ungarn gereist! Wir haben Horrorgeschichten über die Ungarn gehört! Dass sie die Menschen in Gefängnisse geschmissen haben und sehr grausam waren. Aus diesem Grund sind wir auch durch die Slowakei gereist!
Dann waren wir endlich in Österreich! Erst in Wien habe ich mich wieder richtig sicher gefühlt! In Wien haben die Menschen uns willkommen geheißen. Nicht das Militär wie in den anderen Ländern! Es war so ein wunderschönes Gefühl, wieder relativ sicher und geborgen zu sein!
EF
Und was habt ihr während der Reise gegessen?
Abbas lacht
Sardinen und Thunfisch! Ich kann diese beiden Fischsorten nicht mehr riechen!
Hassim fügt hinzu
Für uns Jungs war das ja noch ok. Aber es gab ja in unserer Gruppe auch kleine Kinder, die das nicht essen konnten.
Also noch einmal: Es war so richtig schön, in Wien angekommen zu sein. Ich habe mich wieder wie ein Mensch gefühlt! Ich empfand mich wie neu geboren!
Hassim sagt noch
Danke Deutschland, dass du uns aufgenommen hast! Danke!
Das Deutsche Volk ist sehr liebevoll!
Danke! Danke!
EF
Was sind eure Hoffnungen für die Zukunft?
H
Alhamdulillah! Dank sei Gott! Ich habe schon mein Zimmer in einer deutschen Wohngemeinschaft. Mein Traum ist es, meine Eltern stolz zu machen, indem ich mein Studium, das ich in Syrien anfangen habe, hier abschließen kann! Inshallah! Dadurch können wir auch Syrien beim Wiederaufbau helfen! Inshallah!
Ich habe ein ganz klares Ziel hier in Deutschland. Der erste Schritt dahin ist, die deutsche Sprache gut zu lernen. Das ist der Grundstein des Mosaiks, das ich mir für die nächste Zukunft vorgenommen habe.
Abbas fügt hinzu
Und das Wichtigste neben dem Studium ist: Auch danach Arbeit zu finden!
Ich spreche vier Sprachen: Kurdisch, Türkisch, Arabisch und jetzt auch ein wenig Deutsch. Wenn ich die deutsche Sprache gut beherrsche, dann möchte ich noch weitere Sprachen lernen.
Ich möchte gerne als Helfer für die kommenden Migrantinnen und Migranten arbeiten. Genau so wie andere Menschen mir geholfen haben als Flüchtling, will ich auch meinen Beitrag leisten für andere Menschen, die dasselbe oder noch Schlimmeres erlebt haben als ich.
EF
Danke Hassim und Abbas!