Читать книгу Christine Bernard. Tödliche Intelligenz - Michael E. Vieten - Страница 9
ОглавлениеDer Roboter
Der Lärm der Produktionsanlagen, der unablässig die Halle füllte und die Hitze, die von den tonnenschweren Werkzeugen bei jedem Auseinanderfahren freigesetzt wurde, zerrten an Kommissarin Bernards Nerven. Das Rauschen der riesigen Propeller der Absaugeinrichtung an der Hallendecke versprach Linderung, die den Hallenboden aber offenbar nicht erreichte.
Gespräche waren nur mit angehobenen Stimmen möglich, seinem Gegenüber zuzuhören erforderte erhöhte Aufmerksamkeit. Das strengte an. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und seufzte. Ihr offizielles Dienstende lag bereits zwei Stunden zurück. Sie hörte jemanden ihren Namen rufen. Ihr Blick fiel auf den Flammroboter.
Jan Brede von der Kriminaltechnik wirkte angestrengt. Mit einem großen Schritt überstieg er die Blutlache und trat aus dem Käfig heraus. Ein junger Mann, den Christine nicht kannte, beschäftigte sich weiter mit dem Bildschirm der Steuerungsanlage.
»Torsten und Jörg sind auf dem Weg hierher. Sie bringen einen Kollegen von der KTU mit, der was von Verfahrenstechnik versteht. Ich habe außerdem einen Fertigungstechniker des Herstellers des Roboters angefordert. Der sollte heute Nachmittag eintreffen.«
»Hast du schon etwas für mich?«
Jan zögerte einen Moment.
»Jetzt überlegt er, wie er mir sein Programmierer-Kauderwelsch übersetzen soll«, dachte Christine und schmunzelte.
»Also«, setzte Jan an. »Der Roboter verfügt über eine intelligente Steuersoftware.«
»Ist das so ein Künstliche-Intelligenz-Ding?«, unterbrach sie ihn.
»Ja, so ungefähr«, wiegelte er ab, offenbar zufrieden, dass sie seinen Erklärungen halbwegs folgen konnte. »Die Maschine greift auf ein Grundprogramm zu, kann die Algorithmen aber selbständig verändern und erweitern. Sie speichert die gemeldeten Werte ihrer Sensoren und analysiert ein hochauflösendes dreidimensionales Videobild. So erkennt sie feinste Abweichungen an Bauteilen und Material. Außerdem orientiert sie sich damit im Raum. Die Auswertung dieser Daten nutzt sie für den nächsten Arbeitsschritt.«
»Das heißt, sie lernt.«
Jan nickte.
»Wie programmiert man so ein Ding?«
Er schnaufte angestrengt.
»Gib dir Mühe«, verlangte Christine.
»Teach-in, Playback oder mit einer proprietären Programmiersprache.«
»Jan!«, beschwerte sie sich.
»Du zeigst dem Roboter, was er tun soll, oder du schreibst es ihm auf.«
Christine nickte zufrieden.
»Geht doch. Kann das Ding den Arbeiter angegriffen haben?«
Jan überlegte.
»Dann müsste es ihm jemand beigebracht haben. Von sich aus nicht. Warum sollte er das tun?«
»Der Roboter hat also kein Motiv.«
Jan lachte.
»Christine, das ist kein Mensch. Die Maschine tut, wofür sie programmiert wurde. Sie handelt nicht aus eigenem Antrieb.«
»Das sieht hier aber ganz anders aus.«
»Weil sie den Arbeiter womöglich für ein Werkstück gehalten hat.«
»Wie lief das ab?«
»Du, ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster für dich.«
»Oh, ja. Bitte.«
»Der Werker betritt nach der Störung den Käfig und schließt die Tür. Die elektrische Verriegelung könnte einen Impuls ausgelöst haben. Die Anlage fährt an, erkennt ein ‚Werkstück‘ und bearbeitet es.«
»Wieso flüchtete der Arbeiter nicht?«
»Die Maschine ist schneller. Der Manipulator, also der Roboterarm, verfügt über sechs Freiheitsgrade. Kinematik. Schon mal gehört?«
Jan wartete Christines Antwort nicht ab.
»Egal. Damit erreicht er im Bruchteil einer Sekunde jede Position innerhalb seiner Reichweite. Die Flamme des Brenners schafft Temperaturen von bis zu zweitausend Grad. In der ersten Sekunde schmolz dem Mann das Gesicht weg. In der zweiten geriet er unter Schock, dann blieb sein Herz stehen. Inoffiziell und unter Vorbehalt weiterer Ermittlungsergebnisse.«
»Klar. Trotzdem danke.«
»Hätte die Werkerin nicht auf den Not-Aus-Knopf gedrückt, wäre jetzt nicht mehr viel übrig für die Gerichtsmedizin.«
Kommissarin Bernard lief ein Schauer über den Rücken. Jan sah sie an.
»Ich muss dann mal wieder …«
»Ja, klar. Ich ja auch.«
Sie schaute ihm nach. Dann fiel ihr Blick auf den schwarz und orange lackierten Roboter. Wie ein riesiges Insekt verharrte er in seiner Ruhestellung. Die Objektive der beiden Videokameras starrten sie an. Der quer darunter verbaute schmale Gasbrenner grinste hämisch. So kam es ihr vor.
»Reiß dich zusammen«, ermahnte sie sich. »Müdigkeitsdelirium geht jetzt gerade gar nicht.«
Das Tor zur Nachbarhalle schnellte nach oben. Drei Männer traten hindurch und durchquerten die Halle. Einer löste sich von der Gruppe und begrüßte Jan Brede. Christine ging den anderen beiden entgegen.
»Moin«, knurrte Jörg Rottmann. Er wirkte unausgeschlafen.
»Lange Nacht?«, provozierte sie ihn.
Er winkte ab und verzichtete auf eine Erklärung.
»Guten Morgen«, grüßte Torsten Kluge. Der Hauptkommissar lächelte seine müde Kollegin an.
»Kannst du uns schon erzählen, was hier vorgefallen ist?«
Christine nickte.
»Ich suche Tanja, dann kann es losgehen.«
»Die haben wir schon getroffen. Die ist kurz für ‚kleine Mädchen‘ und kommt gleich zu uns.«
Torsten Kluge schaute sich suchend um.
»Gibt es hier einen Raum, in dem es leiser ist?«
Kommissarin Bernard ließ ihren Blick durch die Halle schweifen. Martin Vigeland stand an einem der Tische und sprach mit einer Werkerin.
»Kommt mit.«