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4.1.1 Entscheidungsfindung

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Die Entscheidungstheorie befasst sich mit dem Entscheidungsverhalten von Individuen und Gruppen bzw. Organisationen. Ursprünglich aus der Nationalökonomie entwickelt, wandelt sich die Entscheidungstheorie immer mehr zu einem interdisziplinären Forschungsgebiet. Die psychologische Entscheidungstheorie verwirft die Annahme, dass Entscheidungen rein rational getroffen werden, wie es in der Ökonomie angenommen wird. In dieser Entwicklung zeichnet sich eine Zweiteilung der entscheidungswissenschaftlichen Forschung ab: einerseits die Forschungsrichtung, die sich mit Theorien mit normativer Absicht beschäftigt und auf der anderen Seite diejenige mit deskriptiver Zielsetzung. Im Folgenden beleuchten wir die deskriptive Richtung.

Die psychologische Entscheidungsforschung beschäftigt sich mit dem tatsächlichen Entscheidungsverhalten von Individuen. Hier ist die Vorstellung vom Menschen als informationsverarbeitendes System zentral geworden: Der Mensch nimmt aus der Umgebung Informationen über Optionen, Ereignisse oder Handlungsfolgen wahr bzw. ruft diese aus dem Gedächtnis ab und verarbeitet sie entsprechend der Struktur und der Funktion seiner kognitiven Grundausstattung. Der Entscheidungsprozess ist ein Prozess der vergleichenden Beurteilung und Wahl. Das reale Verhalten der Individuen in Situationen ist nur beschränkt rational.

Die Komponenten von Entscheidungssituationen sind:

§ Optionen (Alternativen): Objekte, Handlungen, Strategien

§ Ereignisse: Sachverhalte auf die der Entscheider keinen Einfluss hat

§ Konsequenzen: Folgen oder Ereignisse. Den subjektiven Wert einer Konsequenz bezeichnet man als Nutzen

§ Ziele: durch sie wird die prinzipiell unendliche Menge von Optionen eingeschränkt

§ Gründe: Beeinflussen die Entscheidung jenseits der reinen Konsequenzen

Merkmale von Entscheidungssituationen sind

§ die gegebene Optionsmenge,

§ ob Entscheidungen in einer oder in mehreren Schritten vollzogen werden und

§ ob es sich um einmalige oder wiederholte Entscheidungen handelt.

Bei der Rechtsanwaltsuche im Internet hat der Nutzer eine offene Optionsmenge.

Der Entscheidungsprozess kann ein- oder mehrstufig sein (einstufig: die Entscheidung vollzieht sich in einem einzigen Schritt; mehrstufig: die Entscheidung vollzieht sich in mehreren Schritten, bei dem jede weitere Entscheidung von der vorherigen abhängt). Bei der Rechtsanwaltsuche im Internet handelt es sich um eine mehrstufige Entscheidung.

Weiterhin kann die Entscheidung einmalig oder wiederholt getroffen werden. Theoretisch kann die Rechtsanwaltsuche ein einmaliger Vorgang sein. In der Regel muss für die Lösung juristischer Probleme jedoch wiederholt ein Rechtsanwalt gesucht und gegebenenfalls beauftragt werden.

Zusammengefasst besteht die Entscheidung der Rechtsanwaltsuche im Internet aus folgenden Komponenten:

§ offene Optionsmenge

§ mehrstufige Entscheidung

§ wiederholte Entscheidung

Weitere Entscheidungskomponenten beziehen sich auf die Art und Weise des kognitiven Aufwandes. Der kognitive Aufwand mit der ein Entscheidungsproblem bearbeitet wird, hängt vorwiegend davon ab, ob entscheidungsrelevante Informationen bereits vorhanden sind oder das notwendige Wissen erst angelegt werden muss. Der Bogen reicht hier von weitgehend automatisierten über mühelose Entscheidungsprozesse bis hin zu einer eine ausführliche Informationssuche und -verarbeitung erfordernde Entscheidung. Die Suche und Wahl eines Anwalts ist durch letztere charakterisiert.

Nach der Art und Weise des kognitiven Aufwandes unterscheidet man:

§ Routine-Entscheidungen: sie werden aus Erfahrung getroffen und erfordern den geringsten kognitiven Aufwand.

§ Stereotype Entscheidungen: wiederkehrende Entscheidungen. Sie erfordern etwas mehr kognitiven Aufwand. Die Optionen sind genau definiert und es läuft ein minimaler Bewertungsprozess ab.

§ Reflektierte Entscheidungen: es bestehen Präferenzen für die verschiedenen Optionen. Höherer kognitiver Aufwand.

§ Konstruktive Entscheidungen: Optionen sind nicht vorgegeben. Persönliche Werte sind unklar und müssen erst generiert werden. Höchster kognitiver Aufwand.

Nach Jungermann kommt es bei konstruktiven und reflektierten Entscheidungen häufig vor, dass während des Generierungs- und Repräsentationsprozesses provisorische, vorläufige Wahlen stattfinden. Dabei werden die Entscheidungsprozesse nicht unterbrochen oder beendet, bis es zur endgültigen Entscheidung mit der Festlegung kommt.

Nach Art ihres kognitiven Aufwandes, spricht man bei der Rechtsanwaltssuche von einer „reflektierten Entscheidung“. Charakteristisch für solche Entscheidungen ist, dass der potentielle Mandant erst einmal genau über seine Präferenzen für eine Option (Anwalt ja oder nein bzw. Anwalt A oder Anwalt B) nachdenken muss. Dafür sucht der Entscheider in seinem Umfeld oder seinem Gedächtnis nach Informationen, die ihm dabei weiter helfen. Diese Art von Entscheidungen betreffen meist Bereiche bzw. Probleme, die für den Entscheider sehr wichtig sind, wie bspw. ein Haus- oder Autokauf. Demzufolge spielen in dem Entscheidungsprozess emotionale Faktoren eine genauso herausragende Rolle wie die eigentliche Motivation.

Nutzen und Präferenz

Bei der Wahl zwischen verschiedenen Optionen spielen die Konsequenzen als Folge eine wesentliche Rolle. Die Konsequenzen werden bewertet und diese Bewertung bestimmt die Wahl der Optionen. Eine Konsequenz kann sicher oder unsicher sein. Der subjektive Wert einer Konsequenz wird als Nutzen bezeichnet. Bei der Bewertung von zwei Konsequenzen trifft der Entscheider ein präferenzielles Urteil bezüglich der Konsequenzen. Ein Mandant zieht z.B. die Konsequenz A (weiter Anfahrtsweg, aber spezialisiert) der Konsequenz B (Anwalt nah, aber nicht spezialisiert, daher evtl. nicht geeignet) vor. Nutzen und Präferenz sind nicht beobachtbar, nur die Wahl selbst.

Ziele und Gründe

Ziele und Gründe sind interne Faktoren und rein hypothetische Konstrukte.

Ziele grenzen die unendliche Menge an Optionen, Konsequenzen und Eigenschaften ein, für die sich eine Person entscheiden kann. Man unterscheidet zwischen abstrakten und konkreten Zielen. Konkrete Ziele sind mit Handlung verbunden. Ziele, die nicht mit Handlungen verbunden sind, nennt die Entscheidungspsychologie „Absichten“. Abstrakte Ziele lassen sich in Teilziele aufgliedern. Ein abstraktes Ziel ist bspw. „einen guten Anwalt finden“. In Teilzielen muss der Entscheider nun für sich spezifizieren, was für ihn ein guter Rechtsanwalt ist.

Gründe haben für den Entscheider zwei verschiedene Einflussmöglichkeiten. Einerseits können z.B. moralische Gründe eine Entscheidung in eine Richtung lenken, die aus den Konsequenzen alleine nicht erklärt werden kann. So wäre es für eine Person in einer bestimmten Entscheidungssituation aufgrund der folgenden Konsequenzen evtl. besser, nicht die Wahrheit zu sagen. Da zu lügen aber mit den moralischen Werten der Person kollidiert, entscheidet sie sich dagegen. Andererseits werden Entscheidungen auch dahingehend getroffen, wie gut sie bspw. gegenüber einem Vorgesetzten begründet werden können. Für die Auswahl einer Kanzlei müssen in diesem Fall genug Informationen (Argumente) vorhanden sein, die es bspw. einer Angestellten ermöglichen, eine bestimmte Empfehlung zu begründen.

Aus den getroffenen Entscheidungen einer Person lässt sich indirekt ableiten, welche Gründe und Ziele sie hat. Hat man diese festgestellt, kann man auf Präferenzen dieser Person schließen und ihre Entscheidungen bis zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Dieses Wissen macht sich das Marketing z.B. bei Empfehlungssystemen im Internet zunutze.

Zielkonflikte

Nur selten wird eine Entscheidungssituation durch eine einzige Option bestimmt, die alle anderen Optionen hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Ziele dominiert. Entscheidungssituationen sind häufig komplex und der Entscheider hat mehrere Ziele.

Ziele definieren die Richtung nach einem Attribut, mit dem das Gut bewertet wird. Ziele können multiattribut sein, das heißt, um bei unserem Beispiel zu bleiben, dass ein günstiger Anwalt zwar in Wohnortnähe ist, aber nicht über die Spezialkenntnisse verfügt, die der Mandant benötigt. Ein anderer Anwalt ist weiter weg, verfügt über die erforderlichen Kenntnisse, ist aber teurer. Bei der Abwägung dieser Eigenschaften kann es zu Zielkonflikten kommen, wenn die Auswahlkriterien des Mandanten sowohl die Wohnortnähe als auch die Spezialisierung des Anwalts sind. Jetzt muss er die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen gegeneinander abwiegen.

Untersuchungen haben gezeigt, dass auch die Stimmung, Stress und das Umfeld den Zugriff auf die Zielhierarchie des Entscheiders beeinflussen. Hat ein potentieller Klient bspw. enormen Zeitdruck für die Rechtsanwaltssuche, so können Attribute, wie Wohnortnähe und Erreichbarkeit, eine höhere Ebene in der Zielhierarchie einnehmen als es der Fall wäre, wenn kein Zeitdruck bestünde.

Effekte von Merkmalen

Entscheidungsaufgaben können in einer Reihe von Merkmalen voneinander abweichen. Entscheidungen, wie die zwischen mehreren Anwälten, differieren insbesondere hinsichtlich ihrer Komplexität und der Informationen, auf denen sie beruhen.

Bei komplexen Problemen sind folgende Merkmale wichtig:

§ die Anzahl der Optionen,

§ die Anzahl der Eigenschaften der einzelnen Optionen,

§ die Ähnlichkeit der Optionen sowie

§ der Zeitdruck, unter dem eine Entscheidung getroffen wird.

Die Art und Weise, wie der entscheidenden Person Informationen angeboten werden bzw. ihr zur Verfügung stehen, beeinflusst die daraufhin getroffene Entscheidung. Für das Informationsangebot sind folgende Merkmale wichtig:

§ Konkretheit: es werden nur diejenigen Informationen für die Entscheidung herangezogen, die auch tatsächlich angeboten werden.

§ Übersichtlichkeit: Informationen, die verstreut oder unübersichtlich dargeboten werden, werden weniger leicht berücksichtigt.

§ Vollständigkeit: Wenn eine Option bei vielen beschriebenen Merkmalen nicht gut aussieht, schließt der Entscheider daraus, dass es auch in einer nicht beschriebenen Eigenschaft nicht gut aussieht.

§ Darbietungsformat: eine Wahrscheinlichkeit wird anders bewertet, je nachdem, welches Format gewählt wird. Z.B. ob die Häufigkeit von Nebenwirkungen in numerischer Form (8 von 10) oder verbal (sehr wahrscheinlich) beschrieben wird.

Doch was führt letztlich dazu, sich für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung zu entscheiden? Und wie wichtig sind dafür die angebotenen Informationen? Welche Faktoren bei der Entscheidung, diesen oder jenen Anwalt zu kontaktieren, eine Rolle spielen, wird sehr vereinfacht in Abbildung 8 dargestellt. Hier hat der potentielle Mandant die Möglichkeit, zwischen mehreren Optionen (Webpräsenzen) zu wählen.


Abbildung 8: Entscheidungsmerkmale bei der Rechtsanwaltssuche online aus Mandantensicht

Nachfolgend werden kurz einige der für eine Webpräsenz relevanten psychologischen Handlungstheorien vorgestellt. Es sind dies die Risikotheorie, die Dissonanztheorie sowie der Halo-Effekt.

Ansätze der Risikotheorie

Menschen möchten ihr kaufspezifisches Risiko in der Regel möglichst gering halten und Fehlentscheidungen vermeiden. Doch nicht jeder Kauf bzw. jede Inanspruchnahme einer Dienstleistung löst die Wahrnehmung eines Risikos aus. Die Risikowahrnehmung steigt mit dem sog. Involvement des Kunden. Sind also die Konsequenzen einer Fehlentscheidung weitreichend, wie z.B. bei der Wahl eines Rechtsanwalts oder beim Kauf eines teuren Autos, so erfolgt in der Regel eine größere Risikoabwägung als bei der Wahl eines Restaurants:

„Je größer das wahrgenommene Kaufrisiko, umso stärker der Antrieb, zusätzliche Informationen zu suchen.“

Zur Reduktion des Risikos benutzt der Nachfrager Techniken, die Auswirkungen auf den Ablauf des Entscheidungsprozesses haben. So werden bspw. risikoerhöhende Informationen gemieden, risikomindernde Informationen gesucht und bereits aufgenommene Informationen gegebenenfalls uminterpretiert. Der Markentreue kommt eine besondere Bedeutung bei der Reduktion des Kaufrisikos zu, so dass bei einer wiederholten Entscheidung für den gleichen Anwalt von einer Risikominimierung durch Markentreue (Unternehmenstreue) gesprochen werden kann.

Ansätze der Dissonanztheorie

Bei der Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Nachfrager greifen auch Ansätze der Dissonanztheorie nach Festinger.

Im Zusammenhang mit Konsumentenentscheidungen beschreibt die kognitive Dissonanz ein Gefühl der Verunsicherung, welches bei komplexen Kaufentscheidungen auftritt. Kroeber-Riel/Weinberg bezeichnen Dissonanz gar als „ein mit dem Produktkauf verbundener Zustand der Beunruhigung und der Unzufriedenheit.“ So werden die schon im Rahmen der Risikotheorie angesprochenen Techniken der Informationsumbewertung oder -vermeidung dazu verwendet, eine Balance des kognitiven Systems zu erreichen und Dissonanzen zu vermindern oder ganz abzubauen. Meffert/Bruhn sprechen dem individuellen Erleben von Risiko und Unsicherheit gerade bei „Dienstleistungen, die eine körperliche Integration des Dienstleistungsnachfragers erforderlich machen“, eine erhöhte Bedeutung für die Entscheidungsfindung zu. Eine körperliche Integration wäre z.B. bei einer Zahnbehandlung gegeben.

Gerade bei Entscheidungen, die durch ein hohes Involvement gekennzeichnet sind, möchte eine Person kognitive Dissonanzen vermeiden. Trifft ein potentieller Mandant bei seiner Suche nach einem für ihn geeigneten Rechtsanwalt z.B. auf dessen Webseite auf Inkonsistenzen, können diese das wahrgenommene Entscheidungsrisiko erhöhen.


Der Halo-Effekt

Ein wichtiger psychologischer Wahrnehmungsfehler ist der Halo-Effekt (vom griechischen „Halos“ = Lichthof, z.B. Hof des Mondes). Dieser bewirkt, dass wir Dinge oder Menschen durch die Wahrnehmung einer einzigen positiven oder negativen Eigenschaft insgesamt positiv oder negativ bewerten.

Er ist stark subjektiv geprägt, je nachdem wie relevant die wahrgenommene positive oder negative Eigenschaft für den jeweiligen Menschen ist. In der Marktforschung ist der Halo-Effekt bspw. bei der Bewertung von Markenprodukten zu beobachten. Können Nutzer bei einem offenen Test – d.h. die Menschen können sehen, welches Produkt sie bewerten sollen – noch genau unterscheiden, ob sie z.B. Coca Cola oder Pepsi trinken, so ist es ihnen bei einem Blindtest kaum möglich. Ein Unterschied wird dann entweder gar nicht wahrgenommen oder das Produkt wird anders bewertet.

Der Halo-Effekt wird im Marketing genutzt, um z.B. ein positives Image aufzubauen oder einen Imagetransfer zu erreichen. Für ein Unternehmen und seine Webseite bedeutet dies, dass nur eine negative Kleinigkeit (objektiv betrachtet) ausreichen kann, dass ein (potentieller) Klient die Webseite und damit die gesamte Kanzlei als negativ beurteilt. Doch ebenso verhält es sich mit positiv wahrgenommenen Merkmalen. Der Grat zwischen der Beurteilung von „oh, gut“ bis „hm, mag ich nicht“ ist schmal. Aus psychologischer Sicht wird der Halo-Effekt mit dem menschlichen Streben nach kognitiver Konsistenz erklärt. Assoziiere ich z. B mit einer Automarke das Merkmal „qualitativ hochwertig“, werde ich möglicherweise die Personen, die in einer angeschlossenen Werkstatt arbeiten von vorn herein ebenso beurteilen und evtl. einem Werkstattbesuch weniger missmutig gegenüberstehen, obwohl die Freundlichkeit des Personals zunächst einmal nichts mit der Qualität der Fahrzeuge zu tun haben muss.


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