Читать книгу Shoel - endlich frei! - Michael Geigenberger - Страница 7
3/4. Die Zigeunerin, ein Zigeunerleben
Оглавление„Sie ist eine Zigeunerin“, meint die zuständige Schwester am Empfang. „Sie können ruhig fahren, die Familie ist verständigt. Spätestens in einer Viertelstunde werden sie alle da sein, der gesamte Clan wird auftauchen. Machen sie sich also keine Sorgen, fahren sie ruhig!“
Zigeunerin? Shoel überlegt, so wie er, der wie ein Zigeuner leben will. Oder ist sie eine richtige Zigeunerin? So wie es hier in der Camarqué etliche gibt? Eine innere Stimme sagt ihm, dass er die Familie kennenlernen will.
Warum nicht, wenn sie ihn nicht mögen, dann kann er ja immer noch weiterfahren. Auf einen Versuch lässt es Shoel ankommen. Gleich am nächsten Morgen wird er sie erneut besuchen.
Shoel verzieht sich in sein Wohnmobil und parkt es ganz in der Nähe des Klinikums.
Noch einmal in ihre Augen sehen, noch einmal ihre Hand drücken. Dann wird er entscheiden. Aber was wohl?
Sein Fahrzeug steht so, dass er das Klinikum im Blick hat. Er glaubt sogar, dass er ihr Zimmer ausmachen kann. Im dritten Stock, das letzte Zimmer im langen Gang.
Shoel blickt auf seine Uhr, die ihm klar und deutlich sagt, dass es halb fünf früh ist. Also, um diese Zeit kann er auf keinen Fall in der Klinik auftauchen.
So beginnt er sich Gedanken darüber zu machen, wie er seine Reise fortsetzen wird. Eines ist inzwischen klar, gegen neun wird er sie besuchen, sich ihren Namen geben lassen und dann wird er sich verabschieden.
Sie hat eine Familie, vielleicht sogar einen festen Freund. Die Hierarchie bei den Zigeunerfamilien ist gefestigt, da kann man nicht einfach als Besucher eindringen, darüber ist sich Shoel sicher. Shoel beginnt damit ihr einen Namen zu geben. Überlegt, wie sie wohl heißen mag. Während er seinen Gedanken nachhängt, setzt er seinen Kaffee auf, richtet sich den Frühstückstisch.
Noch die Semmeln von gestern in den kleinen Backofen geschoben, dann lässt er seine Gedanken weiter um die Unbekannte kreisen. Als Shoel wieder auf die Uhr sieht, ist es kurz vor neun. Da hat er doch tatsächlich die ganze Zeit verträumt. In seinen Gedanken sieht er sich bereits an ihrem Krankenbett. Was für eine Augenfarbe hat sie eigentlich? Dunkel, ja dunkel waren sie, da ist er sich ganz sicher. Schwarz oder Braun, ja das glaubt er nun ganz sicher.
Dann aber, nachdem Shoel sein Fahrzeug geordnet hat, alle Frühstückssachen in die schmalen kleinen Schränke verräumt hat, zieht er noch seine leichten Wanderschuhe an und macht sich auf den Weg zum Hospital. Dreihundert Meter, mehr ist es nicht.
Sein Blick ist auf das vermeintliche Zimmer gerichtet. Er hofft, dass sie vielleicht am Fenster steht und ihn schon von weitem erkennen könnte.
Aber was hat er da für Gedanken, sie liegt ja bewegungslos in ihrem Bett. Zuerst müssen ja ihre Verletzungen heilen, bevor sie sich am Fenster zeigen könnte.
An der Rezeption des Krankenhauses, wird er nach seinem Namen gefragt und dann soll er einen Zettel ausfüllen, worin er erklären muss, wen er zu besuchen beabsichtigt.
Shoel überlegt kurz, versucht sich daran zu erinnern, welche Zimmernummer der Raum hatte. Es will ihm nicht einfallen, so fragt er das junge Fräulein nach einer Zigeunerin, die er hier gestern abgeliefert hat. „Ein Autounfall“, meint er noch erklären zu müssen.
„Dritter Stock, Zimmer dreihunderteinundzwanzig, aber die Eltern sind gerade gekommen.“
„Danke, dann werde ich etwas warten.“ Erklärt Shoel.
Shoel nimmt die Treppe, da er ja nicht stören will, wenn die Eltern zu Besuch sind.
Dann sieht er durch das Fenster in der Türe, dass nicht nur die Eltern im Raum sind, es sind mindestens fünf Personen, die um das Krankenbett herum stehen.
Die überwiegende Kleiderfarbe im Raum ist schwarz. Das liegt wohl daran, muss Shoel erkennen, dass es vier Frauen und nur ein Mann sind, die Frauen tragen bodenlange schwarze Röcke. Shoel überlegt, ob er wirklich eintreten soll. Was werden sie sagen, vielleicht vermuten sie, dass er, Shoel vielleicht mit im Fahrzeug gesessen hat. So könnten sie vielleicht einen falschen Eindruck von ihm bekommen.
Egal, denkt Shoel, drückt auf die Klinke der Zimmertüre und betritt den Raum.
Über die Reaktion der besuchenden Personen ist er doch sehr erstaunt. Als würden sie ihn kennen. Eine ältere Frau fällt Shoel um den Hals und küsst ihn auf die Wangen. Sie beginnen auf ihn einzureden, aber Shoel versteht kein Wort.
Dann sieht er, dass die junge Frau im Bett ihre Hand nach Shoel ausstreckt. Der Vater schiebt ihn dicht an das Bett und so gelingt es Shoel, die Hand von seiner noch immer unbekannten Frau zu drücken.
Shoel blickt ihr in die Augen um umgehend feststellen zu können, dass ihre Augenfarbe tatsächlich dunkel braun ist. Er bildet sich ein, dass sie eine Träne im Augenwinkel hat. Eine Freudenträne? Shoel ist gerührt und muss sich ernsthaft zusammen nehmen, damit ihm nicht Gleiches widerfährt.
Janine, ihr Name ist Janine, Gott sei Dank hat ihr Vater sie gerade so gerufen. Janine das Zigeunermädchen. Was nun folgt ist ein unmissverständliches Kauderwelsch von Worten. Bis der Vater von Janine einschreitet und nach Shoels Nationalität fragt.
So einigt man sich auf Deutsch. Schon nach wenigen Minuten erfährt Shoel, dass die ganze Familie mal für lange Zeit in Österreich gelebt hat.
Es wurde ihnen dort aber nahegelegt, das Land zu verlassen. Über zwanzig Jahre haben sie bei einem Weinbauer gelebt und ihm den Haushalt geführt. Als dieser verstarb, wurden sie vom Sohn des Verstorbenen vom Hof gejagt.
Er war ein Rassist, wie es schlimmer nicht sein könnte. So blieb ihnen nur die eine Möglichkeit, zu ihrer Familie in der Camarqué zurück zu kehren. Dort gibt es noch einen Schwager, der das kleine Anwesen etwas erweiterte und so seine Verwandschaft unterbringen konnte.
Janine hat während der gesamten Zeit, als ihr Vater von alten Zeiten erzählte, Shoel betrachtet. Der Mutter Janines ist dies natürlich nicht entgangen und so fragt sie ganz spontan, ob Shoel nicht mit zu ihnen kommen will. Für ein Wohnmobil haben sie immer einen geeigneten Platz, erklärt der Vater. Shoel soll doch wenigsten solange am Ort bleiben, bis sich Janine von ihrem Unfall erholt hat.
Shoel spürt, dass er nun nicht einfach weiterfahren kann. Die Familie von Janine hat ihn in seinen Bann gezogen.
Wollte er nicht ausziehen um das Leben der Zigeuner zu studieren? Nun ergibt sich eine Gelegenheit, die er so schnell nicht wieder kommen würde, das ist ihm inzwischen klar geworden. So willigt er ein, ohne von seinem Vorhaben, ein Buch über das Zigeunerleben schreiben zu wollen, zu berichten.
Er wird es zu einer passenden Gelegenheit erklären. Dann würden sie ihm vielleicht einen Einblick in ihre Lebensgewohnheiten geben. So zumindest ist seine Hoffnung.
Ein Weg, denn eine richtige Straße ist es nicht, führt Shoel und sein Wohnmobil in eine abgelegene Gegend der Camarqué. Vom Hospital sind es gute zwanzig Kilometer, bis sie endlich vor einem Eisengitter zum Stehen kommen. Es ist die Einfahrt zu einem Anwesen, welches Shoel für die nächsten Tage noch einiges an Rätseln aufgeben wird. Aus dem weitläufigen Garten kommen Kinder mit viel Geschrei zum Tor gelaufen. Sie schieben die Gitter beiseite.
So fahren der Vater mit seinem alten Citroen und Shoel mit seinem Wohnmobil durch den mit einem Bogen verzierten Eingang. Shoel bekommt eine Anweisung, wo er sein Fahrzeug abstellen kann. Im vorderen Bereich des Grundstückes, gibt es ein mit einer Gartenlaube verziertes Anwesen. Hier soll sein vorübergehendes Quartier sein. Er könne selbst entscheiden, ob er lieber in der Gartenlaube oder seinem Wohnmobil wohnen will.
Shoel betrachtet sich das kleine Häuschen und stellt fest, dass es sogar eine Dusche gibt. Der Vater von Janine zeigt ihm auch gleich die Steckdose, die er für sein Wohnmobil so dringend benötigt.
Nach und nach lernt Shoel die große Familie kennen. Alle scheinen zu wissen, das Shoel, der kleinen Janine, wie sie hier genannt wird, bei ihrem schweren Unfall geholfen hat.
Ihm selbst war es zwar nicht so bewusst, aber widersprechen will er nun auch nicht. Dass es doch für ihn eine Selbstverständlichkeit war und so gibt es da doch eigentlich nichts mehr zu reden. Deshalb schweigt er auch und die jüngere Schwester von Janine führt ihn im Anwesen herum.
Zwei riesige Wohnmobile stehen im hinteren Teil des Anwesens. Drei Wohnwagen sind in einer Reihe aufgestellt und miteinander durch Zeltplanen verbunden. Verschieden große Steinhäuser gibt es ebenfalls. Eines der Steinhäuser, muss früher eine Scheune gewesen sein. Nun ist sie aber ausgebaut und im hinteren Teil scheint eine Werkstatt installiert zu sein aus der man lautes Hämmern wahrnehmen kann.
Ein Blick in den Raum verrät ihm, dass hier wohl eine kleine Autowerkstatt betrieben wird. Ein junger Mann ist damit beschäftigt, an einem Unfallwagen die Türe auszubauen. Dann aber steht auch schon Janines kleine Schwester hinter ihm und erklärt ihm, dass es wohl Essenszeit ist.
Getafelt und so muss man es nennen, wird hier an einem langen großen Naturholztisch. Shoel spürt die Nähe zu den Zigeunern und er spürt auch, dass es ihm nicht unangenehm ist. In dem Gesicht einer älteren Frau, glaubt er Gesichtszüge seiner Tante zu erkennen.
Er betrachtet sich die Tischplatte und überlegt, vielleicht war es zu früheren Zeiten mal eine Türe, zumindest deuten die noch vorhandenen Beschläge darauf hin. Nur das Schloss selbst hat man wohl entfernt, vielleicht wurde es an einer anderen Stelle des Hauses benötigt. Dafür klafft hier ein größeres Loch. Shoel schiebt verstohlen sein Tischset darüber. Eines der kleinen Mädchen beobachtet ihn dabei und meint: „Das Loch im Tisch gehört dahin, denn da sitzt normalerweise die Oma und wenn sie ihre Suppe verschüttet, läuft diese hier ganz einfach ab.“
„Wie praktisch!“, meint Shoel zu dieser simplen Erklärung.
Große Teller mit Salaten und Meeresfrüchten werden herausgetragen. Schnell ist der Tisch mit leckeren Speisen gedeckt.
Zwei große Brotlaibe liegen zum Zerteilen auf dem Tisch. Der Hausherr greift zum Messer und beginnt mit der Aufteilung der großen Laibe.
Die Frauen am Tisch verteilen die Salate mit den dazugehörigen Saucen. Ein Stimmengewirr, eine Lebendigkeit, wie Shoel sie bisher nicht erlebt hat. Shoel ist begeistert von diesem Treiben am abendlichen Tisch.
Wie die Familien zusammen gehören hat er natürlich noch nicht herausgefunden. Er erkennt, dass es mindest noch drei weitere Schwestern von Janine geben muss. Dann gibt es drei ältere Frauen, die wohl für die Ordnung auf dem Anwesen zuständig sind. Oder ist vielleicht die Bezeichnung Chaos besser?
Shoel kann nach einiger Zeit beobachten, dass es sich um zwei Familien am Tisch handelt. Sie sitzen zwar durcheinander, aber von den vier jüngeren Kindern gehören zwei zu Janines Familie, da sie zwischendurch Deutsch sprechen. Die Ähnlichkeit ist sofort zu erkennen. Nur eines haben alle gemeinsam, es sind die dunkelbraunen Augen. Zwei, für Shoel ältere Männer sind wohl die Familienoberhäupter. Sie sitzen über Eck am Tisch und haben wohl gerade einiges zu besprechen. Sie stecken ihre Köpfe zusammen und es scheint wichtig zu sein, das erkennt Shoel an der Mimik. Die jüngeren Kinder sprechen teilweise ein sehr deutliches österreichisch. Sie scheinen sogar dort zur Schule gegangen zu sein. So erklärt eine, wohl die ältere von vieren, wie eine Rechenaufgabe zu lösen ist.
Zwei junge Männer stecken ihre Köpfe ebenfalls zusammen. Einen von beiden erkennt Shoel als den Burschen aus der Autowerkstatt. Soweit Shoel es versteht, kommt wohl in den nächsten Tagen ein weiterer Wagen, der für den Verkauf hergerichtet werden muss. Interessant ist für Shoel, dass alle reichlich zu tun haben. Eigentlich hatte er vermutet, dass sie von Staatlicher Hilfe leben würden, aber weit gefehlt, hier verdient jeder sein eigenes Geld.
Die älteren Frauen betreiben mit zwei jüngeren Frauen zusammen eine Töpferei. Da fällt Shoel ein, dass er im Unfallwagen von Janine eine Kiste mit Töpferware gesehen hat. Leider ist sie nun nicht mehr für den Verkauf geeignet.
Der Vater von Janine spricht Shoel auf den Unfall an. Die Polizei, die den Unfall aufgenommen hat, behauptet, Janine sei von der Straße abgekommen. Dagegen spricht aber, dass der zweite Wagen, der ebenfalls am Unfall beteiligt war, einen Schaden aufweist, der auf seine Schuld schließen lässt. Aber der Besitzer des zweiten Wagens kennt wohl einen der Polizisten, die den Schaden aufgenommen haben. So wurde der Unfall zu Gunsten des zweiten Fahrzeuges gedreht.
Der zweite Beteiligte ist in der Gemeinde tätig und hat natürlich die erforderlichen Möglichkeiten den Fall zu beeinflussen. Janines Onkel meint, dass sie den Schaden wohl selbst bezahlen müssen. Nur gut, dass Janine eine ordentliche Krankenversicherung hat. Diese stammt noch aus der Zeit, als sie in Österreich wohnten.
Die Tafel wird aufgehoben und Janines Vater bitten Shoel an seine Seite. Shoel vermutet, dass Janines Vater nun ein bisschen über sein Leben erfahren möchte.
Auf die Frage nach Shoels Beruf, antwortet dieser, dass er Autor verschiedener Bücher sei.
Die Enttäuschung ist Janines Vater anzusehen, er erhoffte sich wohl eher einen wohlhabenden jungen Mann. Shoel begreift schnell. Der Vater, der sich übrigens den Namen „Kaiser“ gibt, ist wohl auf der Suche nach einem geeigneten Schwiegersohn.
Shoel fragt ganz direkt nach Janines Alter. „Dreiundzwanzig? Ist sie da nicht noch viel zu jung?“
Der Kaiser, also Janines Vater ist fast verärgert, über diese Reaktion. So meint er mit grimmiger Miene, „Wie alt soll sie den noch werden. Normalerweise würden sich die jungen Frau schon mit neunzehn einen Bräutigam suchen.“
Um das Thema zu drehen, versucht es Shoel mit der Frage, Wie kommst du denn zu dem Namen Kaiser?“
„Das ist ein Spitzname, den hat er von seinem ehemaligen Chef in Österreich erhalten. Dann wurde er von diesem Tag an, nur noch der Kaiser genannt.“
Die Mutter nennen sie alle nur die „Chefin“. Sie trägt die Verantwortung für die Kinder und für alles was im Haus zu geschehen hat. Sie unterrichtet auch die Kinder in allen Fragen des öffentlichen Lebens. Seit einigen Monaten gibt es endlich einen Schulbus. So ist ein regelmäßiger Besuch des Unterrichts gewährleistet.
Der nächste Ort in dem sich eine Schule befindet ist Aigues-Mortes. Die Schule stammt noch aus den Fünfzigern und benötigt dringend eine Renovierung, meint der Vater.
Shoel ist mit dem Kaiser in ein Gespräch vertieft, als plötzlich die Chefin sich zu ihnen gesellt. Sie meint, dass sie nochmals ins Hospital fahren möchte und ob Shoel sie begleiten möchte. Schnell erkennt Shoel, dass er in das Familiengeschehen eingebunden wird. Vater wie auch die Mutter scheinen ihn für einen geeigneten Hochzeitskandidaten, für die beiden hübschen Töchter zu halten.
Noch hat ihnen Shoel nicht erzählt, dass er liiert ist. Aber er nimmt sich vor, es bei nächsten Gelegenheit zu klären.
Der tägliche Besuch im Krankhaus ist fast schon zur Gewohnheit geworden. Shoel muss nun nicht mehr Auskunft geben, nein die Schwester an der Rezeption winkt nur noch und fragt nicht weiter.
Die Mutter geht noch schnell beim Oberarzt vorbei, Shoel nutzt die Gelegenheit um allein mit Janine reden zu können. Als er die Türe zum Krankenzimmer öffnet, sieht er Janine am Fenster stehen. „Du darfst schon aufstehen? Bist du nicht noch zu schwach?“
Janine steht im Sonnenlicht und so kann Shoel ihre Körperkonturen genau erkennen, ist erstaunt, dass sie so zierlich, ja, man könnte sogar sagen fast zerbrechlich ist. Shoel ist in Gedanken versunken, als er ihre Konturen mit seinen Augen nachzieht.
Janine sieht in an und bittet ihn zu ihr ans Fenster zu kommen. „Ich wollte mich bei dir bedanken, dass du meine Hand gehalten und bei mir geblieben bist. Du musst wissen, ich hatte schreckliche Panik, als ich da so auf der Straße lag.“
Shoel spürt, dass es ihm näher geht, als er es eigentlich zulassen will. So antwortet er nur kurz. „Das war doch selbstverständlich, das hätte doch jeder gemacht!“
Janine meint, „Ich darf in drei Tagen nach hause, wirst du dann weiterziehen, oder noch ein paar Tage unser Gast sein?“
„Ich weiß noch nicht, du musst verstehen, dass ich nicht darauf eingerichtet war, als du so plötzlich in mein Leben getreten bist.“
Janine wendet sich etwas wackelig zu Shoel. „Lass mich nochmals deine Hand halten, ich möchte deinen Händedruck spüren.“
Shoel geht auf Janine zu und greift nach ihrer rechten Hand. Genau in diesem Moment geht die Türe auf und Janines Mutter steht im Eingang.
„Lasst euch durch mich nicht stören.“
Shoel ist es schrecklich peinlich und so meint er: „Nein, es ist nicht so wie es aussieht“, und geht er einen Schritt zurück.
So dass sich Janine und Shoel jetzt gegenüber stehen. Shoel spürt ihren Blick und würde diesen jetzt zu gerne erwidern, aber da die Mama, die Chefin im Raum steht, ist er lieber zurückhaltend.
Die Situation wird erst entspannt, als der Oberarzt an der Türe klopft und herein kommt. Die Mutter und Shoel werden gebeten den Raum zu verlassen, da jetzt Zeit für die Visite ist.
Sie gehen im Gang auf und ab, bis die Mutter das Wort ergreift. „Vielleicht war es eine Vorsehung, dass ausgerechnet du am Unfallort warst?“
Shoel meint, „vielleicht“ gibt aber ansonsten keine weitere Antwort. Er ist mit seinen Gedanken weit entfernt. Er überlegt, wie er sich verhalten soll. Zugegeben, die Familie ist wirklich „okay“, wie er immer zu sagen pflegt.
Natürlich will er die frische Freundschaft nicht einfach wegwerfen. Schließlich ist er auf der Suche nach einem richtigen Zigeunerleben.
Das kann er nun hautnah erleben und fühlen. Es tut ihm sogar gut, die jungen Burschen aus dem Clan sind zu ihm mehr als freundlich.
„Und wirst du noch etwas bleiben, wie hast du dich entschlossen?“ fragt ihn nun die Mutter ganz unvermittelt. „Wir könnten dir auch die Laube herrichten, dann kannst du direkt von deinem Fahrzeug hinübersteigen.“
Shoel erschrickt etwas, irgendwie geht ihm alles zu schnell, aber er weiß auch, eine Entscheidung wird spätestens auf der Rückfahrt zum Anwesen fallen.
Die Mutter wird nicht locker lassen. Sie sieht in ihm den richtigen Mann für ihre Tochter. Gut, dass er ausgerechnet einen brotlosen Beruf eines Schriftstellers hat. Das spräche eigentlich gegen ihn, aber einen richtigen Mann für Janine in der Camarqué zu finden wird nicht einfach sein, das weiß die Mutter ebenfalls. Auf der Rückfahrt zum Camp erzählt die Mutter, dass Janine ihre Jugend in Österreich verbrachte und es mangelte ihnen an nichts. Janine musste ihre Lehre bei einer Modedesignerin aufgeben, gerade zu einem Zeitpunkt, wo sie so richtig gefallen an ihrer Arbeit fand.
Kaum befahren sie das Grundstück, kommt ihnen schon einer der jüngeren Burschen entgegen und fragt Shoel ob er sich mit Technik auskennt. „Lass mal sehen, vielleicht kann ich ja helfen.“
Shoel geht an seiner Seite bis zur großen Halle. Das Problem, wo er vielleicht helfen könnte, ist eine marode Zündspule. Shoel betrachtet sich das gute Stück und holt sich einen kleinen Schraubenzieher und entfernt den Deckel. Ein kurzer Blick reicht um zu wissen, dass das alte Stück hinüber ist. „Wir brauchen Ersatz, mit diesem alten Stück ist kein Start zu machen.“
Janines Bruder führt ihn zu einem großen Regal, wo sich Ersatzteile zu Hauff befinden. Shoel beginnt zu kramen und wird tatsächlich fündig. Den fehlenden Deckel entnimmt er dem Altteil. „So jetzt versuch es mal, es könnte klappen.“
Beim Einsetzen des Teils ist Shoel noch behilflich und dann wird auch schon am Anlasser gedreht und der Wagen springt auf Anhieb an. „Super! Danke, du kennst dich anscheinend mit Technik aus. Du kannst bleiben, ein Techniker hat uns nämlich gefehlt.“
Shoel betrachtet sich das Anwesen nochmal auf dem Weg zu seinem Fahrzeug. Zwei Großfamilien sind hier untergebracht und man hat nicht das Gefühl, dass es eng wird.
Aber leben könnte Shoel in diesem Chaos nicht, da gibt es keinen Zweifel. Aber lustig findet er es trotzdem, dass er sich doch mit dem Gedanken beschäftigt, hier einzuziehen. Sein Lächeln fällt Janines Mutter auf.
Sie ist gerade damit beschäftigt das Gemüse für den Mittagstisch zu putzen und zu richten. „Und konntest du helfen“, fragt sie Shoel.
„Ja, ja die Maschine läuft wieder. War nur eine Kleinigkeit.“
Die Mutter sieht in lange an und meint dann plötzlich: „Du bist in einer festen Beziehung, hab ich Recht?“
„Ja, so ist es, wir haben uns auf eine Auszeit verständigt.“
„Na dann ist ja alles gesagt. Janine wird es hart treffen, wenn sie es erfährt.“
„Aber wieso denn, zu keiner Zeit hab ich ihr Hoffnungen gemacht“ meint Shoel.
„Sicher, das hat sie auch nicht behauptet. Sie ahnte nur, dass du sicher eine feste Bindung hast. Mehr hat sie nicht gemeint.“
„Dann lassen wir es doch ganz einfach bei einem Besuch, der mir sehr hilft einen kleinen Einblick in das Zigeunerleben zu bekommen.“
Shoel ist froh, dass es endlich ausgesprochen wurde. Aber er erkennt auch das schelmische Lächeln der Mutter, er ist sich sicher, dass es noch nicht zu Ende gedacht ist. Sie sind ja schließlich Zigeuner. In einem Buch über Zigeuner hat Shoel gelesen, dass es absolut üblich ist, dass der Boss eines Clans auch zwei Frauen besitzen kann. Das muss dann sicher ein Arabischer Clan gewesen sein, denkt Shoel.
Seine Gedanken hängen im Moment bei seinem spanischen Familienleben. Sein schlechtes Gewissen meldet sich und es ist gut dass es sich meldet.
Nichts wird geschehen, dafür wird er sorgen, das wird er sich selbst versprechen. Er wird an seinem Buch schreiben und alle Eindrücke festhalten und zu Papier bringen.
Tags darauf besichtigt Shoel die kleine Laube und überlegt nun doch wie er sie einrichten könnte, denn so lassen kann er sie auf keinen Fall. Dann steht plötzlich Janines Bruder hinter ihm.
„An deiner Stelle, würde ich die Sachen alle rausschmeißen. Dann stellen wir einen bequemen Sessel hinein und dann kannst du hier auch schon wohnen. Wenn du willst, helfe ich dir dabei.“
„Das ist lieb von dir, wenn du mal Hilfe bei einem deiner Autos brauchst, dann ruf mich einfach“, meint Shoel. Eigentlich sind seine Gedanken gerade dabei zu überlegen, ob sie nicht besser einen großen Tisch in die Laube stellen sollte. Deshalb fragt er: „Kann ich anstelle eines Sessels auch einen großen Tisch haben, das ist wegen des Schreibens besser?“
Der Bruder ist begeistert von der Idee. „Lass uns in den Schuppen gehen, da sind einige Tische, du kannst dir deinen aussuchen.“
Gemeinsam gehen sie in die große Scheune und stehen vor einem Berg von Altmöbeln. „Bitte such dir einen raus. Saubermachen musst du ihn dir dann schon selbst. Lumpen liegen genügend herum. Ich helfe dir dann beim Tragen.“
Als Shoel dann einen passenden Tisch gefunden hat, sucht er den Bruder um den Tisch hinüber in die Laube zu tragen. Er streift noch eine Weile durch die Räume, entdeckt dabei einen sehr alten Wagen. Den muss er sehen, da gibt es keinen Zweifel. Shoel deckt das Fahrzeug ab und stellt fest, dass es ein nicht ganz kompletter Bugatti aus dem Jahr 1938 ist. „Madre mia das kann doch kaum wahr sein.“ Ein Teil des Daches fehlt und die Räder sind ebenfalls nicht vorhanden. Es dauert eine Weile bis Shoel bemerkt, dass er bei seinem Tun beobachtet wird. „Was hältst du von dem alten Wagen“, wird er vom Schwager gefragt.
„Man müsste ihn herrichten, die fehlenden Teile anfertigen oder auf die Suche nach ihnen gehen.“
„Mach es, wenn du Lust hast. Wenn wir ihn anschließend verkaufen, soll dir die Hälfte vom Gewinn gehören.“
Da sich Shoel nicht festlegen kann und will antwortet er so diplomatisch wie möglich, „Ich werde es mir überlegen und mal einen Blick in eine Fachzeitschrift werfen, vielleicht findet sich ja ein Kontakt für die fehlenden Teile. Na, schauen wir mal, vielleicht haben wir Glück.“
Dann marschiert er wieder ab in Richtung seiner Laube. Es bleibt nicht aus, dass er immer mehr das Gefühl bekommt, die Familie will ihn gar nicht gehen lassen. Immer wieder findet sich ein Grund ihn hier zu behalten. Als Shoel vor seiner Laube steht, ist er begeistert, der Bruder von Janine hat bereits damit begonnen die Laube auszuräumen. „Ich wusste gar nicht, wie groß die Laube ist. Wir haben hier nur unser Gerümpel abgestellt“, meint er.
Die Mutter oder auch Chefin genannt, ruft zum Mittagessen. Aus allen Ecken strömen nun die Mädchen und Burschen von ihren Arbeitsplätzen. Jeder scheint seinen festen Tätigkeitsbereich zu haben. Shoel ist erstaunt, dass alle an den großen Wassertrog gehen und sich zu waschen beginnen. Er betrachtet seine Hände und muss feststellen, dass es auch ihm ganz gut täte.
Die Jugend beginnt gerade mit einer Wasserschlacht, Shoel gerät in die Schusslinie.
Natürlich macht er mit, im Nu ist sein Hemd durchnässt. Das ist nicht schlimm, denn es ist ziemlich warm, wird in wenigen Minuten wieder trocken sein.
Am Tisch findet sich dann wieder mal die ganze Familie ein. Das Hauptthema ist, dass Janine morgen aus dem Krankhaus entlassen wird. Sie wird ab morgen ein eigenes Zimmer bekommen. Bisher musste sie sich ein Zimmer mit ihren Schwestern teilen. Der Vater hat mit dem Oberarzt ein ernstes Gespräch gehabt und erfuhr, wie es Janine wirklich geht und wie lange es dauern wird, bis sie wieder einsatzfähig ist.
So erfährt Shoel, dass Janine und ihr älterer Bruder sich mit den Zuchtpferden beschäftigen. Sogar schon den ersten eigenen Nachwuchs gezüchtet haben. Über zwanzig Pferde haben sie auf der Weide, alle eingeritten, wie der Vater meint. Die meisten stammen direkt von Wildpferden aus der Camarqué ab. Shoel ist begeistert, nun hat er nur noch einen Gedanken, auch mal auf so einem Wildpferd reiten zu dürfen.
Am Esstisch reden alle durcheinander. Der Schwager erzählt vom alten Bugatti und scheint sich ziemlich sicher zu sein, dass Shoel die fehlenden Teile auftreiben werde. Der Vater wiederum meint, das Shoel sich auf eines der wilden Pferde setzen muss. „Das wird seine Prüfung sein, wenn er darauf sitzen bleibt, nehmen wir ihn in unseren Clan auf. Wenn nicht, versprechen wir, das wir ihn im Hospital besuchen werden.“
Die Runde beginnt gerade damit sich über Shoel lustig zu machen. So einen Fremden hat man ja nicht alle Tage, das muss man schon richtig ausnutzen. Aber Shoel nimmt es lustig und macht ebenfalls Witze über das Zigeunerleben. Bis der Vater zur Ruhe mahnt. Er berichtet, was er vom Oberarzt erfahren hat. Janine darf auf keinen Fall die nächsten drei Wochen arbeiten. Sie wird einen Gehgips erhalten und der rechte Arm wird noch eine Woche in einer Schiene bleiben. Ansonsten, fehlt ihr nichts. Gott sei Dank. „Sie ist eben stabiler wie sie aussieht“, meint ihre Schwester.
Am Abend richtet sich Shoel sein neues Lager etwas gemütlicher ein. Tatsächlich hat ihm der junge Mann einen Steg gebastelt. So kann Shoel vom Wagen direkt in den angrenzenden Laubenanbau hinüber gehen. Die Mutter bringt noch eine große Kerze vorbei und meint: „Dann wird es doch gleich viel gemütlicher, fast romantisch.“
Er will diesen Abend lieber für sich sein, es ist so viel passiert. Dafür hat die Familie Verständnis und er zieht sich zurück. In seinem Vorrat an Weinflaschen sucht Shoel nach einer Flasche leichten Rosé, findet ihn, öffnet die Flasche, zündet die Kerze an und beginnt von seiner Reise zu träumen. Aber wann wird er weiterreisen? In einer Woche, in zwei? Er will sich nicht festlegen. Selbstverständlich wird er mit Janine darüber reden, auch will er sofort klarstellen, dass er an einer festen Bindung kein Interesse hat, schließlich hat er bereits eine Familie. Shoel ist zufrieden mit sich und der Welt und genießt den Blick in den Himmel der Nacht.
Doch dann fällt ihm wieder der ihm bevorstehende Ritt auf einem Wildpferd ein. Insgeheim muss er über seinen Mut grinsen. Er wird darauf sitzen bleiben, die Frage ist nur, was er für einen Eindruck für die Familie hinterlassen wird. Er wird zum Gespött des Zigeunerclans, da ist er sich ganz sicher, aber das macht nichts. Nach dem dritten Glas Rosé, überfällt ihn die Müdigkeit. Shoel löscht das Kerzenlicht und kann jetzt die Sternbilder sehr gut zu erkennen. Er verzieht sich in sein Wohnmobil und öffnet die große Dachluke. Nun hat er einen freien Blick in den traumhaften Sternenhimmel.
Shoel wird durch lautes Stimmengewirr geweckt. Wenn er es richtig deutet, streiten die Geschwister von Janine darüber, wer sie abholen darf. Natürlich wollen alle dabei sein, wenn die Schwester das Hospital verlassen darf. Dann aber spricht die Chefin ein Machtwort. Die ältere Schwester von Janine und Shoel werden mitfahren.
Shoel sieht auf seine Uhr und muss feststellen, dass er reichlich verschlafen hat.
Er öffnet die große Schiebetüre und begrüßt den Tag, in dem er sich kräftig streckt und einige Dehnübungen macht. Dann sieht er, dass man extra für ihn die Dusche der Gartenlaube angeschlossen hat. Shoel greift sich ein Handtuch und stellt sich mit seiner Badehose unter die Dusche. Der Schwager beobachtet sein Treiben und beginnt laut zu lachen. „Die Badehose kannst du ruhig vergessen, jeder kennt hier einen nackten Mann“, ruft er Shoel zu.
Es ist ihm fast ein bisschen peinlich, dass er beobachtet wurde wie er gerade unter der Dusche steht.
Aber dann ist er auch schon fertig und genießt den frischen Wind auf seiner Haut. Es ist angenehm kühl und erfrischend. Noch mit dem Handtuch ein bisschen nachgetrocknet, die leichte Sommerhose übergezogen, ein T-Shirt, das war es. So ist er bestens angezogen, zumindest findet er das.
Shoel geht hinüber zum großen Tisch. Hier findet er noch Reste vom Baguette und ein reichhaltiges Angebot von Marmeladen, die alle selbstgemacht sind. Denn ein Etikett tragen sie nicht. Der Kaffee ist so stark, dass er selbst einen Todgeweihten erwecken würde. Shoel muss nach dem ersten Schluck erstmal tief Luft holen.
Die Mutter ruft ihm zu, dass sie in wenigen Minuten aufbrechen wird um Janine abzuholen. So sucht er nach seiner leichten Sommerjacke und geht hinüber zum Wagen. Die ältere Schwester Janines betrachtet Shoel und meint: „Gut schaust du aus, schade das du schon vergeben bist.“
Shoel überhört ganz bewusst diese Bemerkung. Schließlich will er die Sache nicht noch mehr komplizieren.
Es würde gerade noch fehlen, dass sich die Schwester auch noch Hoffnungen macht. Ganz nebenbei betrachtet denkt Shoel darüber nach, dass sie ja noch viel dringender einen Mann sucht. Schließlich ist sie schon fünfundzwanzig. Zwei Jahre älter als Janine und nach der Meinung der Mutter bereits längst überfällig. Aber die Schwester ist eine Aufsässige. So erfährt Shoel, das sie schon drei Heiratskandidaten verkrault hat in dem sie einfach der Meinung war, das sie und nicht ihr später angetrauter Ehemann das zukünftige Sagen hat.
Shoel nimmt im Wagen auf der Rückbank Platz. So kann er die beiden Damen gut beobachten. Mutter und Tochter sind sich sehr ähnlich. Es sind nicht nur die krausen Haare, der kantige Kopf, es ist auch die Art zu reden. Ein herrischer Ton, ruckartige Handbewegungen, die Damen lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie den Clan fest im Griff haben. Sie sind soeben damit beschäftigt, die Arbeit, die eigentlich von Janine erledigt wird, auf die restliche Familie zu verteilen. Vor allem scheint es um die Arbeit mit den Wildpferden zu gehen.
Sie müssen täglich im Training sein und benötigen auch viel Zuwendung. Da ist ein Tag schnell herum. Das Futter besorgen und verteilen, alleine eine Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist. Shoel stellt sich bildlich Janine bei der Arbeit vor. Wie kann diese zierliche Frau das alleine bewältigen.
Inzwischen sind wir vor dem Krankenhaus angekommen und es geht nur noch darum einen geeigneten Parkplatz zu finden. Es stehen zwar über fünfzig Parkplätze
zur Verfügung, aber die Chefin meint, dass sie schon einen ganz besonderen Platz für Janine braucht. So stellen wir dann in der dritten Reihe das Fahrzeug ab, also wenige Meter vom Haupteingang.
Shoel zwängt sich durch die schmalen Hintertüren des Fahrzeugs und steht nun direkt neben der Schwester Janines. Sie dreht ihren Kopf zu Shoel, dabei wirft sie ihm einen Blick zu, dass Shoel ganz seltsam wird. Ihre Augen sind umwerfend, ganz exakt, wie bei Janine, schwarz wie die Nacht. Sie sagt mit kurzen Worten: „Los gehen wir!“
Während die Mutter an die Rezeption geht und die Papiere ausfüllt, geht Shoel mit Janines Schwester zum Lift. Gesprochen wird nichts, anscheinend sind beide mit ihren Gedanken gerade an einem anderen Ort.
Die Zimmertüre zu Janines Krankenzimmer steht bereits offen. Eine braune Tasche steht auf dem Krankenbett und ein Rollstuhl wird gerade herbei gerollt. „Wo ist Janine, wo bist Du“, fragt Shoel.
„Hier bin ich, bin gleich fertig!“, kommt es aus dem Badezimmer.
Shoel ist erstaunt, als Janine vor ihm steht. Die Schürfwunden sind fast gänzlich abgeheilt.
An der rechten Hand hat sie nur noch einen leichten Verband, der linke Arm hingegen ist immer noch in einer Schiene ruhig gestellt. Das linke Bein ist nach wie vor in Gips. Aber wenigstens ist das Rechte bereits voll einsatzfähig.
Janine setzt sich in den Rollstuhl und macht auch gleich einen Witz, in dem sie nach den PS fragt. „Wo wird getankt und bekommt er Super?“
Ihre Schwester meint trocken, „Hier steht dein Antrieb, Shoel wird dich schieben.“
Dann aber betritt die Mutter den Raum. „Alles fertig? Dann gehen wir mal.“
Die Mutter schnappt sich die Reisetasche, Shoel greift zum Rollstuhl und die Schwester hält die Türe auf.
Das Prozedere des Einsteigens in den kleinen Wagen gestaltet sich fast Filmreif.
Nicht dass es Janine mit ihrem Gipsbein wäre, nein es ist die Schwester, der es nicht gelingen will sich auf die Rückbank zu platzieren.
Shoel nimmt den Platz hinter Janine. Die Mutter muss ihren Sitz fast bis zum Lenkrad schieben, damit Janines Schwester einsteigen kann. Anschließend rammt sie ihrer Mutter ihre Knie in den Rücken.
„Wir hätten halt doch Papas Auto nehmen sollen.“ Meint verärgert die Mutter.
Janine fragt auch gleich nach den Pferden und wer sich in den nächsten Wochen darum kümmern wird. „Überlass das uns! Du sollst nur bald gesund werden. Aber du kannst ja in der Töpferei arbeiten und die kaputten Haferl wieder herstellen, da das Geschäft auf die Ware wartet.“ Meint ihre Schwester etwas bissig.
„Klar, das mach ich doch, im Sitzen kann ich doch tatsächlich arbeiten.“
Shoel beobachtet die drei und enthält sich eines Kommentars. Eigentlich wollte er seine Arbeitskraft anbieten, aber dann kommt ihm die Idee, ob es wirklich klug ist, hier noch länger zu verweilen. Er wird die nächsten Stunden abwarten und dann endgültig eine Entscheidung fällen.
Am Tor steht schon der Vater und begrüßt seine Tochter. Shoel fällt auf, dass er dies besonders herzlich macht. Anscheinend ist es seine Lieblingstochter. Als der Wagen zum stehen kommt, reißt er den Wagenschlag auf und hebt seine Tochter aus dem Wagen. Ein bereitstehender Schaukelstuhl dient für sie als vorübergehende Ablage. Janine macht es sich bequem und meint: „Endlich wieder daheim!“
Shoel richtet den Rollstuhl und stellt ihn neben Janine. Ohne abzuwarten bittet Janine Shoel sie in den Rollstuhl zu setzen. „Und jetzt will ich dein Wohnmobil sehen, ich will doch wissen wie und wo du haust.“
Der Weg ist holprig und es geht nur langsam voran. Dann aber steht Janine mit Shoel vor dem Wohnmobil.
Shoel schiebt die breite Türe zur Seite und so bekommt Janine einen Eindruck von diesem besonderen Fahrzeug. Jetzt erkennt sie auch den Steg in die angrenzende Laube. „Ach, sieh mal einer an, du hast dich ja schon ziemlich häuslich eingerichtet.“
„Das war dein Bruder!“ verteidigt sich Shoel. „Deine Mutter hat sogar eine Kerze hinzugegeben.“
Janine möchte nun gerne den Wagen von innen sehen, so hebt Shoel sie aus dem Rollstuhl und hievt sie über die Stufe in das Gefährt. Janine bekommt den bequemen Sessel, der neben dem Fahrersitz ist. Er lässt sich schwenken und drehen. „Ziemlich gemütlich bei dir“, meint sie aufgeregt.
„Darf ich dir etwas anbieten? Kaffee, Tee oder einen Saft“, fragt Shoel.
„Lass mal, ich muss dann zur Familie. Ich wollte nur sehen wie mein Lebensretter wohnt?“
„Übertreibst du da nicht ein bisschen“, kontert Shoel. Beide sehen sich lange in die Augen. Shoel stellt fest, dass Janine schmalere Augen hat als ihre Schwester.
Sie wirkt dadurch noch feiner in ihren Gesichtszügen, nicht ganz so kantig wie ihre Schwester.
Aber dann sind sie auf dem Weg zum Familientisch. Der Clan ist damit beschäftigt die Arbeit festzulegen. Shoel hat sich etwas abseits gesetzt, da er ja nicht wirklich etwas damit zu tun hat. Dann aber wird er von Janine gefragt, ob er nicht bei den Pferden helfen könnte. Der Einwand, dass er keine Ahnung von Pferden hat wird gar nicht gehört. Er wird die Anweisung von Janine erhalten und müsste dann nur noch die Anweisungen in die Tat umsetzen. Shoel muss nun doch erkennen, er wird nun zukünftig im Familien Clan ein fester Bestandteil sein.
Janine überlegt nicht lange, greift nach dem Rollstuhl und lässt sich erklären, was als nächste Arbeit ansteht. Janine schafft wohl gerne an, muss Shoel feststellen. Sie erteilt Anweisungen und pfeift auch ihre Brüder in der Gegend herum. So wie das auch die Mutter und die Schwester tun. Das Heu muss verteilt werden, die Ställe müssen ausgemistet werden.
Shoel spürt nach drei Stunden des ununterbrochenen Arbeitens seinen Rücken. Er stellt die Mistgabel auf die Seite und überlegt, wie er sich aus dieser Verantwortung verabschieden kann. Inzwischen weiß er, dass er die Arbeit nicht länger wie eine Woche machen wird. Aber eines muss er akzeptieren, um die Familienstrukturen zu erkennen, gibt es keine bessere Gelegenheit.
Gegen Abend zieht er sich zurück in seine Behausung und macht es sich gemütlich. Geduscht und ein frisches Glas Wein richten sein Gemüt wieder auf. Im Dämmerlicht erkennt er eine Gestalt im Rollstuhl auf ihn zurollen.
Langsam schiebt sie sich an sein Gefährt heran.
„Kann ich behilflich sein“, fragt Shoel vorsichtig. Eigentlich ist er ein bisschen sauer, dass er ohne gefragt zu werden voll in die tägliche Arbeit einbezogen wird. Er hätte sich ja auch verabschieden können und seine Reise fortsetzen. Aber das ist wohl so festgelegt, das hätte er sich vorher überlegen sollen. Wie war der Spruch „Mit gehangen, mit gefangen.“ Er war es doch, der das Experiment eingehen wollte. Er ist Janine behilflich und trägt sie zu einem bequemen Sessel, den der Bruder organisiert hat.
„Bist du verärgert, dass wir dich ohne zu fragen voll in die Arbeit integriert haben“, fragt Janine vorsichtig.
„Ach lass mal, ich hab es mir ja selber eingebrockt.“
„Jetzt lass uns erstmal anstoßen, schließlich bin ich heute aus dem Krankenhaus entlassen worden.“ Janine versucht die Stimmung zu heben, indem sie Shoel zuckersüß anlächelt. „Prost, du wirst sehen, morgen geht es dir schon leichter von der Hand.“
Shoel ist sich da nicht so sicher, er ahnt, dass er einen mächtigen Muskelkater haben wird. Janine beginnt Shoel vorsichtig auszufragen. Natürlich weißt sie längst von ihrer Mutter, dass Shoel verlobt ist. Aber Janine wäre nicht Janine, wenn sie da nicht ihre Überredungskünste einsetzen würde. Sie bittet Shoel ihr den Nacken etwas zu massieren. Das ewige Stillsitzen tut ihr nicht gut, meint sie. Shoel geht zum Sessel und beginnt vorsichtig ihren Nacken zu streicheln. „Ich meinte massieren und nicht streicheln“, kommt es von Janine auffordernd.
Shoel meint gelassen: „Ich glaube ich bringe dich besser zurück zu deinem Clan. Ich will nicht, dass deine Eltern meinen, da wäre etwas zwischen uns.“
„Okay, wenn du meinst, dann bring mich zurück!“
Shoel sitzt noch lange in seinem Lehnstuhl und betrachtet den Sternenhimmel. Er überlegt, wie er es anstellen könnte. Vielleicht einfach einen Vorwand finden? Ein Telefonat? Einen Termin vorgeben und dann nichts wie weg? Nein, er ist Shoel und er wird sich wenn, dann höflich verabschieden. Er entscheidet, noch einige Tage zu bleiben, aber dann wird er die Weiterreise antreten.
Am nächsten Morgen begrüßt ihn sein Muskelkater. Kaum ein Körperteil, was nicht schmerzt. Aber er wird es sich nichts anmerken lassen. Pünktlich um acht steht er am Frühstückstisch. Schnappt sich ein Haferl Kaffee und trinkt es zügig aus. Sofort geht er in den Stall und beginnt mit dem herausführen der Pferde. Die meisten Pferde sind sowieso über Nacht im Freien. Dann schnappt er sich die Mistgabel um auszumisten.
Plötzlich steht Janine mit ihrem Rollstuhl im Stall. „Möchtest du nicht mal eine Pause machen?“
„Keine Zeit, bis Mittag muss ich fertig werden“, antwortet Shoel kurz.
„Heute ist Freitag und da sitzen wir immer gemütlich nach dem Abendessen zusammen, wirst du an meiner Seite sitzen“, fragt Janine.
„Wenn es dir gut tut, warum nicht“, antwortet Shoel kurz aber ohne ihr einen Blick zu schenken. Hoffentlich ist sie nicht traurig, wenn er so kurz angebunden ist.
Aber sie wird ihn schon verstehen bei dieser Arbeit. Inzwischen ist es Abend geworden, er steht unter der Dusche. Lange lässt er das frische kühle Wasser über seinen Körper fließen, ein Traum. Greift dann in seinen Wäscheschrank und sucht und findet ein frisches Hemd. Mal sehen, was der Familienclan unter „Geselligem Beisammensein“ versteht.
Als Shoel zum Treffpunkt kommt, hört er schon von weitem leise Gitarrenmusik, es singt dazu entweder der Vater oder sein Schwager. Als er auf die Gruppe zukommt, begrüßt ihn ein runder Tisch, gefüllt mit vielen Leckereien. Weinflaschen, Gläser und Wasserkaraffen.
Shoel wird von der Runde herzlich begrüßt und wird gebeten sich irgendwo hinzusetzen. Eine feste Sitzordnung gibt es anscheinend nicht. Shoel wählt den Platz neben dem Bruder, dem er schon bei der Autoreparatur geholfen hat. Es wird sich zugeprostet und dann wird ein Schinken samt einem langen Messer in die Runde gereicht. Shoel schneidet sich einen schmalen Streifen herunter. Es ist eine besonders gute Qualität. Shoel lässt sich das gute Stück auf der Zunge zergehen.
Dann aber steht plötzlich Janine mit ihrer Mutter am Tisch. Janine blickt kurz die Runde und meint dann zu ihrem Bruder, dass er sie doch bitte mit dem Rollstuhl neben Shoel schieben soll.
Janine greift nach Shoels Hand und drückt sie kräftig. Shoel erkennt erst jetzt, dass der Verband um ihre Hand entfernt wurde. „Es scheint dir besser zu gehen“, fragt er kurz.
„Jetzt kannst du mich etwas streicheln. Natürlich nur, wenn du Lust dazu hast.“
Shoel schiebt seinen hölzernen Klappstuhl etwas näher an Janines Rollstuhl und greift nach ihrer Hand, beginnt ihren Arm zu streicheln. „Lieber hätte ich es am Hals“, meint Janine auffordernd.
„Du schaffst wohl gerne an“, meint Shoel lächelnd.
Dann aber geschieht etwas Seltsames, Janine sagt nichts mehr und genießt es gestreichelt zu werden. Das Stimmengewirr vom Tisch stört sie nicht. Sie beachten es einfach nicht. Janine dreht ihren Kopf zu Shoel und spitzt ihre Lippen.
Eine Aufforderung, denkt Shoel und küsst sie. „Lass uns zu deinem Auto gehen!“ flüstert Janine Shoel zu.
Janine ergreift zwei Gläser und schnappt sich noch eine Flasche vom guten Roten.
Dann ziehen sie ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben, in die Richtung des Fahrzeuges von Shoel. Hier sind sie ungestört und Janine entschuldigt sich dafür, dass sie ihn so eingespannt hat.
Aber sie wollte einfach sehen, ob Shoel zupacken kann. Denn mit einem Weichei, kann sie nichts anfangen. „Hast du noch starken Muskelkater“, fragt sie mit weicher Stimme.
„Geht schon, aber ich muss zugeben, ich war schon nah dran, einfach abzufahren.“
„Das wusste ich doch, aber ich wollte sehen, wie du dich entscheidest.“
Inzwischen ist es halb zwölf und es wird kühl, so fragt Janine ob er nicht eine Jacke zum Überziehen hätte. Shoel holt ein großes Schultertuch und hängt es ihr um.
„Danke, morgen ist frei. Meinst du nicht, dass wir einen kleinen Ausflug machen sollten. Ich könnte dir die Schönheiten der Camarqué zeigen.“
„Ja klar, warum nicht. Ich muss nur noch den Sitz für dich einstellen. Möchtest du
heute Nacht hier bleiben. In der Laube ist eine bequeme Liege.“
„Wenn du mir hilfst, dann bleibe ich gerne. Du musst aber dann auch hier schlafen.“
Shoel bettet Janine und richtet sich ein Nachtlager gleich neben der Liege am Boden.
Am Sonntag stehen Shoel und Janine sehr früh auf und richten alles für einen Tagesausflug. Das Frühstück werden sie an einem weitläufigen Sandstrand einnehmen. Nur das Baguette hierfür müssen sie noch einkaufen.
Zuerst zeigt Janine Shoel die weitläufigen Gehege für die Wildpferde. Sie erklärt, die verschiedenen Rassen, die sich hier zusammen gefunden haben. Jedes Pferd eine Schönheit für sich. Wenn sie so wild durch das Gelände toben. Mit einander raufen und um die Wette laufen. Shoel ist begeistert. Gesehen hat er sie schon vor etlichen Jahren, nur wusste er nicht, dass sie auf eingezäuntem Gelände sind.
Sie sind gemeinsam den ganzen Tag unterwegs. Janine hat Shoel gezeigt, wie man ein Mittagessen improvisiert und Shoel hat sie sogar bis an den Strand getragen, so dass Janine sogar ihre Füße ein wenig ins Wasser halten konnte. Er nimmt Janine auf den Rücken und trägt sie so ein Stück am Strand entlang.
Gegen Abend kehren dann beide zum Clan zurück. Kein Wort wird gesprochen, auch wenn es Janines Mutter gerne wissen würde, wo sie den ganzen Tag verbracht haben. Janine lässt sich an den Tisch bringen und beginnt zu essen. Ihr Hunger scheint unendlich zu sein.
Inzwischen hat sie das dritte dicke Brot mit Schinken verschlungen. Shoel flüstert ihr ins Ohr: „Die Meeresluft hat dich wohl sehr hungrig gemacht?“
Janines Brüder beginnen sie aufzuziehen. Shoel kann aber nicht verstehen, was sie reden. Wenn sie unter sich sind sprechen sie ihren Zigeunerkauderwelsch. Ein Gemisch aus Französisch, Rumänisch und Österreichisch.
Shoel beobachtet, wie Janine von Minute zu Minute ärgerlicher wird. „Was ist hier los, wenn ihr sie aufziehen wollt, dann lasst es mich hören und wenn ihr Streit sucht, dann legt euch mit mir an“, ruft Shoel mit lauter Stimme in Richtung der beiden Brüder.
Die Runde hält mit ihren Hänseleien sofort auf. Nur der Bruder Franco meint „Du bist hier Gast, wärest du einer von uns, würde ich dich jetzt herausfordern.“
„Angenommen!“
Franco steht auf, „Lass uns zum Sattelplatz gehen!“
Franco geht voraus, Shoel folgt ihm. Während sie auf den Platz zugehen, zieht Shoel seinen Pullover aus. Sein Hemd folgt, so steht er nun mit nackter Brust und nur noch mit einer Jeans bekleidet vor Franco. Sekunden der Stille, dann stürmt Franco auf Shoel zu. Shoel geht zur Seite und stürzt sich anschließend auf den noch am Boden liegenden Franco. Es dauert nicht lange und Shoel hat eine deutliche Blessur abbekommen. Sein Auge schwillt an, aus seiner Nase fließt Blut. Janine schreit: „Hört endlich auf, ihr Vollidioten!“
Franco ist einen Moment abgelenkt und diese Sekunde nutzt Shoel und versetzt ihm einen Hacken, der ihn zu Boden streckt.
Franco rappelt sich auf, hat anscheinend die Orientierung verloren, denn nun stürzt er sich auf seinen Bruder. Eine fatale Entscheidung, der Bruder Marco ist gut trainiert und versetzt ihm nun einen zweiten Schlag, der ihn außer Gefecht setzt.
„So das war es!“ meint der Vater aus dem Hintergrund.
Gemeinsam ziehen sie wieder zum Tisch zurück. Shoel torkelt etwas, da mit seinem geschwollenen Auge kaum etwas sehen kann. Die Nase blutet immer noch, so dass Janine nun nach einem feuchten Tuch ruft. „Da haben sie dich ja schön erwischt!“
Shoel antwortet mit leichtem Lächeln, „Na, dein Bruder sieht aber auch nicht schlecht aus.“
Shoel sitzt nun mit einem feuchten Handtuch neben Janine und betupft seine Wunden. Die Chefin betrachtet sich das Spiel mit einem Lächeln und meint: „Ich werde etwas Eis holen, dass hilft am besten.“
Kurz darauf steht Shoel auf und verabschiedet sich für diesen Abend. Noch einen kurzen Kuss zu Janine gehaucht und dann geht er in die dunkle Nacht zu seinem Fahrzeug.
Er hat sich gerade zurecht gelegt, da hört er Schritte. Es ist nicht Janine, dass würde er erkennen. Dann sagt eine leise Stimme: „Ich bringe zusätzlich noch etwas Eis für dein Auge.“
Shoel hat es sich auf der Liege in der Laube bequem gemacht. Nur das Kerzenlicht gibt einen Lichtschein. Dann erkennt er Beatrix. Sie hält ein einen Beutel in der Hand und geht direkt auf Shoel zu.
„Lass mal sehen, ich werde eine Creme auftragen und dann den Eisbeutel darauf legen. Keine Angst, ich mach es sehr vorsichtig.“
Beatrix beginnt die blauen Stellen dick mit einer Creme einzuschmieren, dann legt sie ein weiches Tuch darauf. „So, jetzt noch einen leichten Verband, dann sieht das morgen schon viel besser aus.“
Shoel schläft schnell ein und hat wilde Träume. Sie handeln immer wieder von einem Kampf. Aber wer kämpft? Shoel kann es nicht erklären.
Als er am folgenden Morgen aufwacht hört er eine Stimme. Es ist Beatrix, was macht sie hier? Shoel greift nach dem Verband und dann meint Beatrix: „Lass mal, ich werde es machen, dann sehen wir uns mal deine Augen an. Vielleicht hat es sich ja über Nacht schon erheblich gebessert. Shoel ist verärgert, was hat er mit Beatrix zu tun? So meint er: „Lass das bitte, ich möchte nicht, dass Janine uns zusammen sieht.“
„Aber an was denkst du denn, sie hat mich doch zu dir geschickt.“
Beatrix denkt aber noch gar nicht daran, den Verband zu lösen, im Gegenteil, sie meint, dass es doch viel besser wäre, wenn es noch ein bisschen so bleiben würde. Die Genesung würde viel schneller voranschreiten.
Beatrix beginnt Shoel mit ihren Händen zu streicheln. „Lass das bitte!“ Shoel ist verärgert und will eigentlich nur seine Ruhe.
„Ich will doch nur nach deinen anderen Blessuren sehen. Da sind ja noch einige tief dunkelblaue Stellen. Franco hat dich ja ziemlich zugerichtet. Aber ich fand es toll, dass du dich ihm gestellt hast. Du wusstest doch, dass er viel kräftiger ist als du.“
„Vielleicht, aber es war mir in diesem Moment egal, ich wollte es ihm einfach nur zeigen, dass ich kein Weichei bin.“
„Das hast du uns schon längst gezeigt. Papa, meinte gestern. Endlich, mal ein Fremder der richtig mit anpacken kann.“
„So, und jetzt mach den Verband ab“, meint Shoel auffordernd.
Beatrix beginnt langsam mit dem abnehmen des Verbandes und sie ist erstaunt, wie gut sich alles entwickelt hat. „Es ist jetzt nur noch lila und leicht angeschwollen. Da wirst du einiges an Gelächter einstecken müssen.“
Shoel geht unter die Dusche und lässt das Wasser ewig laufen. Erst jetzt erkennt er das gesamte Ausmaß an blauen Flecken an seinem Körper.
Als er damit beginnt, sich abzutrocknen, erkennt er, dass er die gesamte Zeit von Beatrix beobachtet wurde.
„Du bist gar nicht schlecht gebaut. Nur auf deinen Bauch musst du aufpassen, dass er nicht noch größer wird.“
Shoel erspart sich eine Antwort und beginnt sich anzukleiden. Wie gut, dass er sein Hemd und den Pulli ausgezogen hat. So haben diese Dinge bei der Schlägerei nicht gelitten.
An diesem Morgen ist es schon angenehm warm, sodass Shoel nur das kurze Hemd anzieht. Gemeinsam geht er nun mit Beatrix zum Frühstückstisch. Janine winkt, als sie ihn erkennt. „Na, hat es geholfen“, will sie wissen.
„Was meinst du?“
„Naja, Beatrix hat dich doch gut versorgt, oder etwa nicht?“
Franco geht auf Shoel zu. „Sei mir nicht böse, dass ich dich so zugerichtet habe, aber ich wollte mal sehen, was du so einstecken kannst.“
„Ist schon gut, lass uns Freunde sein.“
Shoel sitzt nun an der Seite von Janine und erfährt, dass sie heute wieder zum Krankenhaus muss. Der Gips kommt ab und wird durch einen Verband ersetzt. So kann sie ab morgen schon wieder arbeiten. „Du wirst dir etwas anderes suchen müssen, die Pferde mach ich lieber selbst“, meint sie.
Der Vater kommt an den Tisch und hat eine Liste mit Orten aus der Umgebung der Camarqué in der Hand.
„Ab nächster Woche beginnen wieder die Sperrmüll Aktionen. Ich habe mal eine Liste mit den Terminen angefertigt. Ihr müsst dann bitte die Fahrzeuge herrichten. Wir fahren wie immer mit drei Transportern. Shoel hört nun, dass das mit dem Sperrmüll ein riesen Geschäft ist. Franco erklärt ihm, wie das zeitlich abläuft. „Du musst wissen, da sind wir nicht allein.
Da sind Antiquitätenhändler, private Profis und dann unsere Freunde, die Zigeuner aus der gesamten Umgebung. Stellt eine Person einen Schrank auf die Straße, ist er nach drei Minuten bereits verschwunden.
Shoel überlegt und will dann wissen, welche Stadt denn als erstes dran ist.
„Wir beginnen übermorgen in Arles“, meint der Vater.
„Ich würde gerne mitfahren, mich aber dann zu Fuß auf den Weg in die Stadt machen.“
„Was hast du vor? Willst du dann einen Schrank auf den Rücken nehmen?“
Gelächter macht sich breit, als sich die am Tisch sitzenden das bildlich vorstellen.
„Jetzt wollen wir erstmal sehen, wie dein Gesicht verheilt. Wir werden nochmals eine Creme darauf tun, dann ist es vielleicht bis morgen schon besser. So kannst du nicht in die Stadt gehen. Da würde dich ja jeder für einen Schläger halten. Am besten du fährst mit Janine ins Krankenhaus, da kannst du dich behandeln lassen“, meint Janines Mutter.
Tatsächlich fährt Shoel eine Stunde später mit Janine ins Krankenhaus. Janine wird ihren Gips loswerden und Shoel wird fachmännisch behandelt. Die behandelnde Schwester ist besorgt. „Wenn da mal nicht die Nase gebrochen ist? Aber das bekommen wir schon wieder hin. Hat Sie da ein Pferd getreten?“
„Nicht ganz, aber es war ein ähnliches Erlebnis.“
„Ich gebe ihnen einiges an Medikamenten mit, sie sollten, wenn sie daheim sind, nochmals einen leichten Verband darauf tun.“
Shoel geht noch zu Janine, die sich nun wieder ganz frei fühlt. Befreit vom Gips, ist sie fast schon wieder die Alte. „Als erstes werde ich auf meinem Schimmel reiten.“ Meint sie aufgeregt. Sie kann es kaum noch erwarten. Die Schwester versucht noch eine Warnung loszuwerden, aber diese verhallt in den Gängen des Hospitals. Shoel hat noch einen Beutel mit Crems und Verbandstoffen, damit seine Blessuren möglichst schnell verheilen.
Als sie zurück auf das Landgut kommen, erkennen sie schon das eifrige Treiben. Drei Transporter stehen in der Nähe der Einfahrt und warten auf das Kommando des Kaisers.
Beatrix kommt auf Shoel zu und meint lachend: „Dann komm mal her, ich werde dich verarzten. Dann ist es morgen nicht mehr zu sehen.“
Janine ist da anderer Meinung. „Das zieht sich noch Tage, da bin ich mir sicher. Aber mach mal, du bist hier die Ärztin.“
So erfährt Shoel, dass Beatrix mal mit einem Medizinstudium begonnen hat und seit dieser Zeit für die Gesundheit des Clans zuständig ist.
Shoel übergibt ihr den Beutel aus der Klinik und Beatrix beginnt umgehend mit der Behandlung. Beatrix genießt es, nochmals ihren Verband anlegen zu dürfen. Aller Protest von Shoel ist vergeblich.
Sogar Janine meinte: „Hab dich nicht so, in drei Tagen ist alles vergessen.“ Shoel ist aufgefallen, das Beatrix versucht extrem liebenswürdig zu ihm zu sein, nicht so kratzbürstig wie an den vorangegangenen Tagen.
Janine kommt Shoel in seinem Wohnmobil besuchen und beginnt ihn zu hänseln. „Pass auf, dass du nicht in ein Loch fällst wenn du herumirrst.“
Dann steht plötzlich auch Beatrix am Fahrzeug. „Ach, sie mal einer an. Janine bewacht ihren Liebhaber.“
Shoel entschließt sich einen kleinen Mittagsschlaf zu halten um der Hänselei aus dem Weg zu gehen.
Als er an den Tisch kommt meint Beatrix: „Siehst du, es hat sich ganz erheblich verbessert. Jetzt hat das Gesicht nur noch eine leichte Färbung, wenn wir die Creme nochmals auftragen, dann wird es morgen kaum noch zu sehen sein.“
Beatrix blickt Shoel lange in die Augen und will eigentlich etwas sagen, entschließt sich aber zu schweigen. An diesem Abend verabschiedet sich Shoel schon sehr früh, er gibt vor, noch einige Zeilen schreiben zu wollen.