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Kapitel: 1 „Die Festspiele“
ОглавлениеEs ist ein schwüler Tag, die Menschenmassen drängen durch die Getreidegasse im Herzen von Salzburg. Morgen findet die Premiere der Festspiele statt. Wie jedes Jahr steht „Jedermann“ auf dem Programm. Unumgänglich, als gäbe es Salzburg nicht ohne ihn. Immer in Starbesetzung und immer mit dem unausweichlichem Tamtam. Aber heute, einen Tag vor dem Ereignis, wird nochmals alles kontrolliert, der Sicherheitsdienst wird alle Geräte überprüfen. Wenn noch etwas zu korrigieren ist, dann jetzt. Wenn nicht jetzt, wann dann? Der diensthabende Kommandant ist durch seinen hochroten Kopf sofort aus der Menge zu erkennen. Eigentlich wollte er dieses Jahr in Pension gehen, aber man bat ihn den Nachfolger einzuarbeiten damit dieser im nächsten Jahr alle Tricks und Gepflogenheiten beherrscht. Schließlich sind zur Premiere fast ausschließlich Prominente anwesend. Schauspieler, Staatsdiener mit ihren Ehegatten und jene Möchtegern-Berühmtheiten, die kaum jemandem bekannt sind.
Werner Hinteregger ist seit sieben Jahren Kommandant und zuständig für den Bezirk Salzburg-Zentrum. „Sie übernehmen das!“, hieß es seiner Zeit vom Stadtrat Weinzierl und Werner Hinteregger übernahm. Zwischenzeitlich ist es kurz vor vier Uhr. Zeit sich eine kleine Pause zu gönnen. Werner setzt sich in eines der kleinen Lokale in der Getreidegasse und bestellt sich ein Viertel Veltliner. Schließlich hat er einen Adjutanten, der ihn zu vertreten hat.
Sein Name ist Micha Sperlinger und dieser wächst gerade über sich selbst hinaus. Als er dann seine schicke Uniform zum ersten Mal sieht, ist alles perfekt, er streicht sich durch sein schütteres Haar und empfindet zum ersten Mal an diesem Tag so etwas wie Stolz. Einzig die Überwachungsgeräte ließen sich nicht so anschließen, damit die Kameras aufzeichnen, aber das merkt ja sowieso keiner - so zumindest denkt Micha Sperlinger. Aber nicht nur bei der Festspiel Leitung geht alles drunter und drüber, auch im Hause der Herrschaften von Weißenhahn klappt diesmal gar nichts. Obwohl man bereits viel Erfahrung vorweisen kann. Morgen ist es bereits das neunte Mal, dass Herr und Frau von Weißenhahn bei der Premiere in Salzburg ihren Ehrenplatz einnehmen werden. Maximilian greift in den Kleiderschrank und entnimmt seinen Smoking der in einem extra dafür angefertigten Leinenschutzbeutel hängt. „Damit er nicht einstaubt“, meinte die Haushälterin seinerzeit. Er schlüpft in die dazugehörige Hose und muss feststellen, dass der Reißverschluss sich nicht schließen lässt. „Was ist das denn für eine Schei… Den letzten Teil des Wortes verschluckt er, da es sich nicht geziemt, als Graf zu solchen Wörtern zu greifen.
Ein lauter Aufschrei, der sich vergleichen lässt mit einem Hilfeschrei, „Ester!... Ich brauch dich hier!“ Ester ist seine zweite Frau. Sie steht ihm seit einundzwanzig Jahren zur Seite. Gleich nach dem tödlichen Verkehrsunfall seiner ersten Frau Irene, lernte er Ester in Zürich kennen. Sie verstand es damals Maximilian zu trösten. Da sie ebenfalls in einer Bank arbeitete, war man sich schnell symphatisch. Ester erkannte damals, dass Maximilian nicht nur ein gerissener Fachmann für Geldangelegenheiten war, sie hatte auch die Gelegenheit genutzt einen Blick auf sein Angespartes zu werfen. Maximilian kann sehr anstrengend sein. Für seine Ungeduld ist er im Kreis seiner Freunde und Kollegen bekannt. Wenn nicht alles wie am Schnürchen läuft, wird er schon mal ziemlich laut.
So hat Ester es sich zur Gewohnheit gemacht, nicht gleich beim ersten Aufschrei zu sprinten. Sie wartet gelassen auf den zweiten Hilferuf und begibt sich dann maßvollen Schrittes an die Seite ihres Gatten, ins Ankleidezimmer. „Die Hose wurde zu heiß gebügelt. Sie lässt sich nicht schließen“, beschwert sich Maximilian als Ester an seine Seite tritt. „Du hast zugenommen, mein Schatz.“ Der in diesem Satz versteckte Seitenhieb auf sein maßloses Schlemmen in den letzten Monaten bleibt ihm nicht verborgen. „Und was soll jetzt geschehen? Ich kann doch nicht als Ehrengast in Unterhosen zum Empfang erscheinen, schließlich vertrete ich die Bank.“
„Nein, mein Schatz, dass wäre wohl nicht ganz passend. Ich rufe die Schneiderin an, vielleicht kann sie ein wenig Stoff an deiner Hose herauslassen?“ „Mach dass“, poltert Maximilian. Seine Geduld ist bereits am Ende. Um es vorwegzunehmen, Vroni die Schneiderin kommt umgehend in die Villa, sieht sich das Dilemma an und schnappt sich die Hose. „Aber das wird nicht auf Dauer gehen, morgen Früh, bring ich sie zurück“, verspricht sie und verschwindet mit der Hose unter dem Arm. „Na, hoffentlich kommt sie wirklich morgen Früh, schließlich wollen wir spätestens um zwei Uhr losfahren.“ Weißenhahns wohnen in München, genauer gesagt im Stadtteil Bogenhausen. Sie besitzen am Normannenpatz eine kleine Villa mit zehn Zimmern. Maximilian hat noch zwei Jahre, bis er in Pension gehen wird. Er ist im Vorstand einer bekannten Investment Bank in München und er ist froh, wenn er es endlich hinter sich hat. Gemeint ist die Arbeit in seiner geliebten Bank. Gerade in letzter Zeit steht er in der Kritik mit seinem Führungsstil. Er betont aber immer wieder von neuem, es liege nicht an ihm, es sei alleine die Politik, die ihn zum Wahnsinn treibt. „Das ewige Hü und Hott, muss nun bald ein Ende haben.“
Aber nicht nur in München bereitet man sich auf die Feierlichkeiten in Salzburg vor. In der Schüttaustraße in Wien, wohnen Tomas und Susanne. Es ist ein einfaches Viertel, aber im Moment können sie sich keine bessere Wohnung leisten. Sie sind nicht verheiratet und leben sozusagen in wilder Ehe. Tomas findet Heiraten sowieso völlig überflüssig. Allein die Scheidungskosten, die ja unweigerlich auf einen zukommen, würden das gesamte Vermögen verschlingen, das sich die beiden, ergaunert haben. Susanne würde schon gerne in so einem Traum von Brautkleid für einen Tag Prinzessin spielen, doch immer, wenn sie vor dem Schaufenster eines Brautladens steht, sagt sie, „Wenn sie einen von uns beiden schnappen und wir sind verheiratet, kann der andere kaum behaupten er habe von nichts gewusst.“
Diese Aussage gefällt Tomas eigentlich nicht, da sie doch bedeutet, dass in diese Fall der verbleibende Teil mit dem Hab und Gut auf und davon ginge. Tomas und Susanne nutzen die jährlichen Festspiele um sich für den Rest des Jahres ein finanzielles Fettpölsterchen zuzulegen. Sie haben sich auf Taschendiebstahl spezialisiert. So legen sie großen Wert auf ihre täglichen Übungsstunden. Eine Ungeschicktheit kann sich keiner von ihnen beiden leisten. Außerdem ist es Ehrensache so perfekt wie möglich zu sein.
Es war vor vier Jahren, als sie einen Ganoven vom vierten Bezirk kennen lernten, dem die schmalen und geschmeidigen Hände von Tomas auffielen. Er versicherte ihm, solche Hände seien wie gemacht für die Kunst des „Ziehens“. Noch am selben Abend begann für Tomas und Susanne der Unterricht. Anfangs begleitete sie ihr Lehrmeister noch, wenn sie auf Beutezug gingen, und erhielt dafür einen kleinen Anteil. Mittlerweile haben sie ihn finanziell abgefunden. Seit einiger Zeit arbeiten sie immer nach demselben Muster.
Susanne bleibt einige Schritte hinter Tomas. Beide haben sie den winzigen Knopf eines Kopfhörers im Ohr, das Mikro ist am Kragen befestigt. So stehen sie über Funk ständig in Verbindung. Tomas geht schnellen Schrittes durch die belebten Gassen. Er sieht sich seine Opfer im Vorbeigehen genau an. Wo tragen sie ihre Brieftasche? An welchem Arm die wertvolle Uhr? Sobald er sich ein Opfer ausgesucht hat, teilt er Susanne mit, für wen er sich entschieden hat. Dann macht er auf Kommando eine abrupte Kehrtwende, so dass er mit dem Opfer zusammenstößt. In diesem Sekundenbruchteil zieht Tomas die Brieftasche. Susanne, die folgt, öffnet nun wie rein zufällig ihren Umhängebeutel, so dass Tomas die Brieftasche darin entsorgen kann. Sollte der Bestohlene merken, dass seine Brieftasche verschwunden ist, ist es bereits zu spät. Selbst die herbei gerufene Polizei wird bei Tomas nichts mehr finden. Inzwischen sind die beiden so gut auf einander eingespielt, dass Tomas manchmal sogar zwei Personen gleichzeitig um ihre Brieftasche erleichtert.
Zur Vorbereitung auf die Festspiele haben sie sich für diesen Abend noch eine Übung im Zentrum Wiens vorgenommen. Ziel ist der Stephansdom. Hier treiben sich zu dieser Zeit hunderte von Touristen herum, eine perfekte Gelegenheit. Da sie alle mit dem Fotografieren beschäftigt sind, hat man hier besonders leichtes Spiel. „Eigentlich ist es ja nur eine Fingerübung“, meint Tomas. Susanne weiß aber, dass der Leichtsinn der größte Feind ihres Handwerks ist. Nach zwei Stunden des Übens, wie sie es nennt, kommen sie ziemlich erledigt nach Hause zurück. Ein in Zivil umherstreichender Beamter hätte sie beinahe erwischt. Er muss im Viertel neu sein, denn die anderen Polizisten kennen Tomas und Susanne natürlich längst. Aber es ging noch mal gut, im letzten Moment, konnte Susanne den Schandi stoppen. Sie stolperte genau vor seine Füße. „Entschuldigung, aber das liegt an meinen neuen Schuhen“, stammelte sie gekonnt zum Schandi.
„Ich bin der Ralph, es tut mir sehr leid“, diesen Satz haspelt er und sieht dabei Susanne in die Augen. Wie gut, dass sie eine Sonnenbrille trägt. Als Susanne die kleine Wohnung betritt, ist Tomas schon mit Geld zählen beschäftigt. „Hat es sich wenigstens gelohnt“, fragt sie aufgeregt. „Dafür, dass sie uns beinahe erwischt hätten, geht es. Es sind neunhundert Euro.“ Sie nehmen stets nur das Bargeld, mit den Kreditkarten wollen sie nichts zu tun haben. Aber was man sonst noch so in den Brieftaschen findet, ist manchmal sehr aufschlussreich. Zum Beispiel der Liebesbrief auf dem Firmenbriefpapier einer bekannten Modedesignerin. So gibt es immer wieder etwas zum Lachen. Samstag der Tag aller Tage. Es ist halb sieben Uhr morgens und es herrscht schon reges Treiben in den schmalen Gassen von Salzburg. Touristen sind zu diesem Zeitpunkt nur spärlich unterwegs, aber die Geschäfte bereiten sich für den Ansturm der Menschenmassen vor.
Alles was sonst eine Stunde später geschieht, wurde heute eine Stunde vorverlegt. Sogar die Straßencafés sind schon geöffnet. Schließlich muss ja ein Uhrmacher und ein Dirndlverkäufer rechtzeitig seinen geliebten „Braunen“ schlürfen können. Zu diesem Zeitpunkt dreht sich der Graf nochmals in den weichen Daunen, mit der Satinbettwäsche um. Dies geschieht unter so lautem Grunzen, dass seine Frau meint: „Kannst du das nicht einmal etwas leiser tun?“ Für Ester ist es jedes Mal, als würde ein Wecker läuten. Nach dieser genüsslichen Wende ihres Gatten, die er täglich vollzieht, ist für sie an Schlafen nicht mehr zu denken. Sie döst noch ein paar Minuten vor sich hin, dann aber hält sie es nicht mehr aus und steht auf. Sie schlüpft in ihren weißen seidenen Hausmantel, geht auf die Terrasse und blinzelt in die Morgensonne. Was für ein Traumwetter für die Premiere! Lautes Bellen lenkt Esters Blick auf den kleinen Park, der vor ihrem Haus liegt. Ein Spaziergänger spricht mit seinem Schäferhund. Als dieser endlich zu bellen aufhört, kann sie seine Worte sogar hören. Er berichtet seinem Vierbeiner von seiner Frau, die anscheinend kürzlich verstorben ist. Er nennt seinen Hund „Bienchen“. Wie süß denkt Ester, einen ausgewachsenen Schäferhund „Bienchen“ zu nennen, das zeugt von inniger Liebe.
Als Herr und Hund ihren Spaziergang fortsetzen, geht sie zurück ins Haus und nimmt den Weg in ihr Badezimmer. Sie und Maximilian haben beide ein eigenes Badezimmer, darauf hat sie bestanden, als das Haus vor etlichen Jahren geplant und gebaut wurde. „Wenigsten hier will ich meine Ruhe haben“, sagte sie damals zum Architekten. Sie ordnet die Utensilien, die sie auf die Reise mitnehmen wird. Es sind zwar nur drei Tage, aber schließlich trifft man ja Freunde und Bekannte, da muss man schon Top aussehen. Gerade bei einer solchen Veranstaltung wird man besonders scharf beäugt. In den letzten Jahren wurde für diesen Anlass stets ein neues Kleid gekauft, aber das hat sich dieses Jahr der Graf gespart. „Schließlich muss man ja mit gutem Beispiel vorangehen, wo doch die Kanzlerin und ihr Finanzminister immer sagen: „gespart muss werden!“
Bei Tomas und Susanne herrscht noch absolute Stille. Sie liegen eng umschlungen im Bett. Susanne lutscht an seinem Unterarm und träumt wohl von einer großen Portion Eis, die sie gerade genießt. Tomas hingegen scheint im Traum Geld zu zählen, zumindest machen Daumen und Mittelfinger eine ähnliche Bewegung. Es müssen viele Scheine sein, denn er zählt und zählt. Als er endlich wach wird, verrät ihm der Wecker, der auf seiner Nachtischseite steht, dass es eigentlich Zeit ist aufzustehen. Susanne wird von ihrem Liebsten in besonders zärtlichen Stunden immer Susi genannt und so flüstert er ihr ins Ohr, „Susi meinst du wir könnten noch mal…?“ Susanne dreht sich auf den Rücken, „Wenn du meinst…Jetzt gleich, oder später? Ich würde gerne vorher duschen.“
„Wenn du vorher unbedingt ins Bad willst, dann vergess es!“, da Tomas die Chance auf ein Spielchen im Bett schwinden sieht, richtet er sich auf und sagt: „Ich setze schon mal den Kaffee auf.“ Schlaftrunken wandert er zuerst ins Badezimmer und anschließend in die Küche. Susanne murmelt: „Du könntest ja wenigsten die Badezimmertüre schließen wenn du…“
„Schon gut, ich fange mal an, den Tisch zu richten.“ Damit er das nicht alleine tun muss, macht er es mit viel Tamtam. Die Tür des Geschirrschrankes schlägt mehrmals laut zu. „Wo hast du denn gestern den Zucker hingestellt“, fragt Tomas. Susanne weiß nun, dass es mit dem Dösen vorbei ist. „Ich komm ja schon!“ Sie ist Langschläferin und es bedeutet nichts Gutes, wenn sie so plötzlich das Licht des Morgens erblickt. „Hast du irgendwo meine Sonnenbrille gesehen?“, fragt sie schlaftrunken und tastet sich ins Badezimmer vor. Als Kaffeeduft durch die kleine Wohnung zieht, ruft Susanne durch die geschlossene Badezimmertür, „Könntest du uns vielleicht beim Bäcker ein paar Kipferl holen?“
„In Unterhosen, oder wie hast du dir das vorgestellt?“ „Du könntest dir ja den Regenmantel überziehen“, kommt es von Susanne zurück. „Und dann stelle ich mich an die Ecke und provoziere älteren Damen?“ „Du musst den Mantel ja nicht unbedingt aufmachen…“
„Okay, ich gehe ja schon, du lässt mir ja keine andere Wahl.“ Tomas kramt im Geldbeutel von Susanne nach ein paar Münzen und zieht nun tatsächlich den Regenmantel über. Darunter trägt er nichts weiter als seine Unterwäsche. Susanne öffnet die Badezimmertüre und ruft ihm hinterher, „Honig brauchen wir auch!“ Nach zwanzig Minuten kommt Tomas zurück und hat statt Honig ein Glas Marmelade mitgebracht. Susanne runzelt die Stirn. „Ich sagte Honig!“ Sie sitzen sich schweigend gegenüber, das ist das abgesprochene Ritual. Jeder weiß vom anderen, dass es einfach noch zu früh für eine Unterhaltung ist. Tomas hat sich noch die Tageszeitung besorgt.
Er hatte zwar nicht das erforderliche Kleingeld, aber versicherte dem Zeitungsautomaten: „Das Geld bekommst du später!“ Er beginnt im Express zu blättern. Für ihn ist heute nur der Salzburger Teil wichtig. Den findet er auf der Seite Sieben. „Ach sieh mal die Krautwinkels sind auch wieder da! Hat ihnen wohl jemand Karten geschenkt.“ Bemerkt er mit einem zynischen Unterton. Susanne antwortet auf so eine unwichtige Feststellung nur mit einem dunklen Murren. „Ach, die…“ Doch dann sieht sie Tomas an und fragt: „Wann fahren wir eigentlich los? Was für ein Zimmer hast du für uns reserviert?“
„Wir fahren in zwei Stunden, aber ich dachte, das mit den Zimmern hast du erledigt.“ „Warum denn ich? Du weißt doch, dass das deine Angelegenheit ist“, meint sie etwas gelangweilt. „Dann nehmen wir das Wohnmobil von Markus und Fanny. Ich rufe sie an. Hoffentlich sind sie überhaupt in Wien.“ Eigentlich heißt Fanny Bettina, aber auf einem Faschingsfest erhielt sie den Spitznamen „Fanny“, weil sie als Dirne verkleidet war. Wie Tomas feststellt, sind beide in Wien und haben nichts dagegen, wenn Susanne und er sich das fahrende Wohnzimmer ausleihen. „Dafür bringt ihr uns eine CD von der Veranstaltung mit“, meint Markus. Seit seinem Motorradunfall sitzt er im Rollstuhl. Tomas und Markus kennen sich schon aus dem Sandkasten und sind so gut wie unzertrennlich. So manchen Abend verbrachten sie schon mit gemeinsamem Hacken vor dem Computer. Immer wenn sich in den Brieftaschen eine Kontonummer findet, dann bedeutet das für Markus eine lange Nacht. „Machen wir, was wird denn überhaupt gegeben?“, fragt Tomas. „Na, ich dachte den Jedermann“, antwortet Fanny. „Den Jedermann mach ich euch, wenn wir zurück sind“, meint Tomas und grinst.
Beim Grafen Weißenhahn herrscht helle Aufregung, da bei der Schneiderin niemand ans Telefon geht. „Die hat uns vergessen!“, meint Maximilian. „Sie ist sicher schon auf dem Weg, und jetzt setzt dich wieder hin und mach mich nicht verrückt.“ Maximilian nimmt Platz, doch weil er so angespannt ist, kann er seine Hände nicht stillhalten. Er beginnt in den Reiseunterlagen, die ihm seine Sekretärin in einen Umschlag gesteckt hat, zu blättern. „Du… ich sehe gerade, wir sind diesmal gar nicht im Radisson Blue Hotel. Was hat sie sich denn dabei gedacht?“ Ester tritt an seine Seite und wirft einen Blick auf die Unterlagen. „Sieh mal, da liegt ein Zettel dabei.“ Sie beginnt laut vorzulesen, „Das gewünschte Hotel war leider schon ausgebucht, aber ich habe etwas ganz Besonderes für Sie bekommen. Es liegt gleich am Festspielhaus und hat ebenfalls fünf Sterne. Es ist das „Arthotel Blaue Gans“. Ich hoffe, Sie werden damit zufrieden sein und so wünsche ich Ihnen schöne Tage in Salzburg.“
„Sicher hat sie es dir erklärt, aber du hast wie immer nicht zugehört“, meint Ester. Ein Ausdruck aus dem Internet liegt im Kuvert und die Sekretärin hat sogar ein Foto des Hotels beigefügt. „Scheint ja ganz in Ordnung zu sein“, brummt Maximilian. Dann endlich läutet es. „Das wird Vroni sein, hoffentlich hat alles geklappt!“ Maximilian geht zur Türe, „Ja, Gott sei Dank, sie ist es.“ Die Schneiderin hält ihm die Hose entgegen. „Also für heute Abend wird es gehen, aber auf Dauer ist das nichts. Da war nicht viel Stoff drinnen. Aber ich habe gemacht was eben ging.“ „Jetzt geben Sie schon her, ich gehe mal kurz in das Schlafzimmer und probiere sie an.“ Nach einigen Minuten kommt der Graf zurück. „Na ja, ich hab jetzt die Wahl zwischen abnehmen oder neue Hose kaufen.“ „Für heute wird es schon noch gehen. Was bekommen Sie?“, fragt Ester an Vroni gewandt. „Ach, geben sie mir fünfzig Euro, dann ist das schon okay.“ Vroni wünscht noch einen schönen Ausflug nach Salzburg und verschwindet mit den Worten: „Und grüßen Sie mir den Jedermann…“
Auch in Salzburg herrscht helle Aufregung, etwas mit den Scheinwerfern ist nicht in Ordnung. Es fehlen Stromkabel und der Kommandant dreht am Rad. Eine Elektrofirma wird herbei gerufen und es stellt sich als größeres Problem heraus, da die neuen Sicherungen für eine solche Stromabnahme nicht ausgelegt sind. „Welcher Idiot hat denn das eingebaut? Als ob wir nicht jedes Jahr hier so viele Scheinwerfer anschließen würden!“, schimpft der Kommandant. Das Problem wird schlussendlich gelöst, indem eine neue Leitung verlegt wird. Die Stühle auf dem Freigelände werden nochmals durchgezählt und die Reserviert Schilder für die Ehrengäste werden darauf verteilt. „Wann kommt das Personal?“, will der Kommandant wissen. Einer seiner Helfer reicht ihm eine Liste. Aus der er entnehmen kann, dass ab vier Uhr die Platzanweiser und die notwendigen Sicherheitskräfte eintreffen werden.
In Wien werden gerade die letzten Vorbereitungen für die anstehende Reise getroffen. Tomas hat sich seinen Standplatz für das Wohnmobil bereits an Hand eines Stadtplanes von Salzburg ausgesucht. Susanne hat sich ein graues unauffälliges Kostüm für diesen Abend zugelegt. Sie hofft, dass sie den Posten einer Platzanweiserin bekommt. Beworben hat sie sich schon vor sechs Wochen. Aber eine Antwort blieb aus. Sicher liegt es daran, dass sie einen Wiener Absender angab. Die Gemeinde von Salzburg achtet darauf, dass möglichst immer Personal aus der Region eingestellt wird. Sorgen macht sich Susanne deshalb nicht, schon im vorigen Jahr ist sie im letzten Moment eingesprungen. Der Posten einer Platzanweiserin ist für das Paar wichtig, da man im Vorfeld bereits die späteren Opfer auswählen kann. Zu viele Blender sind unter den Gästen, Tomas meint, dass höchstens die Hälfte der geladenen Gäste einen Geldschein in der Tasche hat.Susanne hat ein gut trainiertes Personengedächtnis. Wenn sie eine Person an ihren Platz begleitet, checkt sie schon mal wo die Brieftasche sitzt, was trägt die gnädige Frau für einen Schmuck, wie sieht der Verschluss der Halskette aus. All dies kann sich Susanne einprägen und gibt so an Tomas wichtige Information weiter. Sie prüfen noch die schnurlose Verbindung dann tragen sie ihre Requisiten in das mobile Home. Bereits eine Stunde später befinden sie sich auf der Autobahn nach Salzburg.
Der Graf und seine Gattin sind mit ihrem Outfit zufrieden. Das Zimmermädchen der beiden hat nun Feierabend, aber vorher muss sie noch die Koffer in den Wagen bringen. „Eine schöne Reise wünsche ich ihnen noch!“, sagt Kathi und schwingt sich auf ihr Rad. Sie wohnt nicht weit, und bei schönem Wetter kommt sie mit dem Rad, obwohl sie vor einem guten Jahr einen Dienstwagen bekommen hat. Es ist ein Polo, den ihr der Graf besorgt hat. „Damit können Sie auch mal meine Frau in die Stadt bringen, dann sparen wir uns das Taxi“, meinte er als er ihr den Fahrzeugschlüssel in die Hand drückte. Zügig überwindet Maximilian die kurzen Stauphasen auf dem Ring in Richtung Autobahn. Maximilian ist ein sportlicher Fahrer, das spürt man bei jeder Gelegenheit. Noch vor zwei Jahren trug er das Haupthaar etwas länger, aber nun hat er einen kurzen Bürstenschnitt.
„Das macht jünger“ betont er bei jeder Gelegenheit. Die Gräfin war vor etwa einem halben Jahr in einer Schönheitsklinik und ließ „an sich schnippeln“, wie sie es ausdrückt. Eine kleine Korrektur an der Nase, ein wenig den Hals gestrafft, den Bauch etwas geglättet. „Ich sagte dem Doktor ausdrücklich, es darf nicht auffallen. Man sieht es doch nicht etwa?“, war ihre erste Frage im Aufwachraum. Der Doktor hatte Humor und antwortete: „Wenn Sie lachen, wird sich Ihre Brust ein wenig anheben, aber das vergeht mit der Zeit.“ Zwischenzeitlich sind sie an der Ausfahrt Rosenheim schon vorüber. Je nach Verkehr ist es jetzt noch eine dreiviertel Stunde bis Salzburg. Maximilian wird dann das Parkhaus ansteuern, von dort nimmt er ein Taxi, das machen sie immer so. Er hasst Gedränge im Verkehr, auch wenn in den Unterlagen vermerkt ist: „Ein Parkplatz ist immer für Sie reserviert!“
Tomas hat sich etwas zu viel Zeit gelassen, es wird erforderlich sein etwas Gas zu geben, sonst ist der Job einer Platzanweiserin in Gefahr. Doch bald sind sie an der Ausfahrt Linz vorbei, Susanne checkt noch mal die Zeit. „Jetzt müsste es eigentlich noch reichen“, meint sie. Je näher sie Salzburg kommen, umso dichter wird der Verkehr. Nur gut, dass Tomas schon weiß, wo er das große Wohnmobil abstellt. Dann sind es noch zehn Minuten, Tomas parkt, Susanne greift sich ihre Tasche mit der Kostümjacke. Kaum hat Tomas das Wohnmobil eingeparkt, ist Susanne schon aus der Tür. Sie wirft ihm noch einen Handkuss zu und ruft: „Du weißt ja, wir treffen uns am Ausgang für das Personal.“ Graf und Gräfin sind bereits auf ihrem Zimmer eingetroffen. „Na gefällt dir das Zimmer?“, fragt Ester, die gerade vom Fenster aus das Umfeld begutachtet. „Das sind tatsächlich nur wenige Schritte bis zum Domplatz.“
Der Graf streckt seine Beine weit von sich um sich zu entspannen. „Schau doch mal in die Minibar, was es gibt! Vielleicht kannst du mir einen Gin Tonic richten.“ Doch Ester beachtet ihn nicht. Sie geht ins Badezimmer, um die angebotenen Parfums zu begutachten. Im Personalbüro der Organisation kann man die Liste mit den Platzanweiserinnen nicht finden.
Susanne steht am Ausgabeschalter. Hier soll sie ihren kleinen Anstecker erhalten, der sie als Platzanweiserin ausweist. Der diensthabende Beamte lächelt sie an. „Tragen Sie sich bitte hier in der Liste ein, ich kenne Sie ja noch vom letzten Jahr.“ Susanne kennt ihn zwar nicht, vielleicht verwechselt er sie ja auch. Aber es ist schlussendlich egal, Hauptsache, sie bekommt was sie will. Von ihrer Vorarbeit wird es abhängen, wie erfolgreich sie und Tomas sich hier erweisen werden. Ohne zu wissen wen sie gerade vor sich hat, begrüßt sie kurze Zeit später die Gräfin und den Grafen von Weißenhahn. Ein Blick auf ihre Namensliste verrät ihr die Namen der beiden bevorzugten Gäste. „Wenn mir die Gräfin und der Graf folgen würden, gleich hier drüben sind ihre beiden Plätze“, diesen Satz spricht sie mit starkem Wiener Dialekt.
Der Graf hat wohl Gefallen an ihr gefunden, er greift in seine Börse und entnimmt ein Trinkgeld. „Da musst du nichts geben, das gehört zum Service“, rüffelt ihn seine Frau. Susanne wiederum betrachtet genau seine Bewegungen und erkennt, dass er wohl eine ziemlich dicke Brieftasche bei sich führt. Die Smokingjacke ist sogar ausgebeult. Kaum haben die beiden Gäste Platz genommen, wendet sich Susanne anderen Herrschaften zu. Noch fünfundvierzig Minuten, dann wird die Veranstaltung beginnen. Susanne bemüht sich so viele Herrschaften wie möglich zu versorgen. Bei jedem Paar, beobachtet sie genau wo die Brieftasche zu finden ist. Sie prägt sich jedes Detail ein. So entdeckt sie bei einer älteren Dame, dass sie eine wertvolle Halskette trägt, bei der aber der Verschluss defekt ist.
„Was für schöne Steine“, flüstert ihre innere Stimme. Dann aber muss sie sehen, dass die Dame ihren angewiesenen Platz einnimmt. Sie kann aber ihren Blick nicht von der wunderschönen Halskette lassen. Dass die Steine echt sind, erkennt sie am Feuer der Diamanten. Dann will es der Zufall, dass die Dame nochmals Hilfe benötigt. Sie muss anscheinend auf die Toilette. Susanne springt herbei und begleitet die Dame an das bekannte Örtchen und auch wieder zurück. Inzwischen hat die Vorstellung bereits begonnen und „Jedermann“ ist auf der Bühne. Es herrscht angespannte Aufmerksamkeit. Da tritt Ben Becker als Tod auf. Die Kostümierung ist einzigartig. Ein Raunen geht durch die Zuschauer. Susanne ist begeistert von der Aufführung, beinahe hätte sie vergessen, den Traum von Halskette zu verstauen.
Doch da erscheint die Buhlschaft. Das rote Kleid wird ein ewiger Traum von Susanne bleiben, das wird sie sich niemals leisten können. Mal davon abgesehen, dass es ihr überhaupt nicht stehen würde. Sie ist ja eher klein und die Buhlschaft ist ja eine große Person. Susanne sieht auf die Uhr und entscheidet sich dafür hinaus zu gehen. Neben dem Eingang entdeckt sie Tomas. Er hat bereits seinen Platz eingenommen. Sie gibt ihm ein kurzes Zeichen und reicht ihm ein Taschentuch mit dem kostbaren Schmuck. Schon beim Zugriff erkennt er, dass es ein Schmuckstück von besonderer Güte ist.
Nach zwei Stunden, ist der Applaus bereits verstummt. Es war wieder ein besonderes Erlebnis. Die Gäste begeben sich gerade auf den Domplatz um von hier die reservierten Lokale aufzusuchen. Kaum jemand wird nun einfach in sein Hotel gehen. Die umliegenden Restaurants werden in wenigen Minuten überfüllt sein. Das mächtige Gedränge ist natürlich die Stunde, auf die Tomas und Susanne gewartet haben. Tomas ist vollauf damit beschäftigt, die gut gefüllten Brieftaschen an sich zu nehmen. Susanne ist dicht bei ihm, um diese in ihrer Umhängetasche verschwinden zu lassen. Dann macht sie ihn auf den Grafen und die Gräfin aufmerksam, deutet kurz auf die linke Brust.
Tomas versteht den Hinweis und hat auch schon einen heftigen Zusammenstoß mit dem Grafen. „Verzeihung“, sagt Tomas an den Grafen gewandt. Dabei bekommt er von der Gräfin einen Blick zu geworfen, der ihn nervös macht. Als Susanne an ihm vorbeigeht, flüstert er ihr zu: „Die Gräfin ist gefährlich, die sucht ein Abenteuer.“ Tomas beobachtet, wie der Graf und die Gräfin im „Hirschen“ verschwinden. Susanne hakt nach und verlangt Aufklärung: „Wie kommst du darauf, das die ein Abenteuer sucht?“ „So einen Blick kenne ich nur von dir, wenn du ausgehungert bist!“, antwortet Tomas mit breitem Grinsen. Susanne bittet ihn um eine Verschnaufpause. „Lass uns kurz zum Wohnmobil gehen, die Tasche mit den Wertsachen wird zu schwer.“
„Dann gehe bitte, hier sind die Schlüssel! Vergiss aber das Absperren nicht und sieh keinesfalls in die Umhängetasche, bevor du nicht die Vorhänge geschlossen hast. Es könnte sein, dass dich jemand beobachtet. Die Konkurrenz ist ebenfalls hier.“ „Ich bin doch keine Anfängerin!“ Kaum hat sich Susanne abgewandt, entscheidet Tomas beim „Hirschen“ vorbeizuschauen. Er will nochmals einen Blick auf die Gräfin werfen. Durch das Fenster entdeckt er die beiden an einem Ecktisch. Auf einen Wein an ihrer Seite hätte er jetzt große Lust. Aber seine Vernunft siegt. Auf dem Weg zum Wohnmobil spricht er mit sich selbst. „Wenn es sein soll, werde ich die Gräfin nochmals treffen…“ Sie haben ein Klopfzeichen vereinbart. Das Licht im Wohnmobil ist gelöscht. Susanne sieht dennoch erst durch die Gardinen. „Komm herein, ich glaube wir haben für die nächsten Monate ausgesorgt.“ „Du willst morgen nicht weiter arbeiten?“, fragt er.
„Sieh mal, bei dem Grafen war in der Brieftasche ein Kuvert.“ „Und?“ „Es sind zwanzigtausend darin! Er wollte sie wohl bei einer Bank einzahlen. Ein Zettel mit einer Kontonummer ist ebenfalls dabei.“ „Lass mich mal sehen!“ Tomas nimmt Susanne das Kuvert aus der Hand. „Das ist sicher ein Schwarzgeldkonto, oder siehst du das anders?“, fragt sie. Nun überlegt Tomas tatsächlich, ob es nicht besser ist, die Segel zu streichen, man soll das Glück nicht herausfordern, das war schon immer seine Meinung. So entscheiden sie sich aufzubrechen. „Wenn wir durchfahren, dann sind wir gegen fünf Uhr in Wien.“
Susanne schaudert es beim Anblick des Kuverts. „Lass uns fahren! Sofort! Ich habe ein komisches Gefühl. So üppige Beute hatten wir noch nie.“ Tomas aber spürt, dass ihm die Gräfin nicht aus dem Sinn geht. Zu aufregend war ihr Blick. „Die Festspiele dauern ja vier Wochen. Uns bleiben noch weitere Beutezüge, wenn wir wollen. Vielleicht nächsten Samstag?“ „Lass uns fahren!“, sagt Susanne. Tomas setzt sich hinter das Steuer, doch er beschließt dass er die Gräfin nochmals treffen wird. Er ist sich sicher, dass in der Brieftasche ein Hinweis auf eine Anschrift sein wird. Ohne dass Susanne es bemerkt, steckt er die Geldbörse des Grafen ein. Sie lassen sich beide viel Zeit auf der Rückfahrt. Sie legen sogar noch eine Rast an einer Autobahnraststelle ein. Natürlich parken sie so, dass sie von der Überwachungskamera nicht erfasst werden.
Susanne zieht sich ein großes Kopftuch über und setzt ihre Sonnenbrille auf, obwohl es draußen schon stockdunkel ist. Sie will einkaufen, denn Tomas hat plötzlich Hunger. Der Mann an der Kasse deutet auf Susannes Sonnenbrille und fragt, „ist denn der Mond so hell, dass man die Sonnenbrille braucht?“ Susanne lächelt ihn an und entgegnet, „ich will einfach nicht erkannt werden, ich bin heute ganz privat unterwegs.“ Als die Türe der Zahlstelle ins Schloss fällt, brummt der Tankwart: „Immer diese verrückten Wiener!“
Der Graf muss inzwischen feststellen, dass seine Brieftasche abhanden gekommen ist. „Das war der junge Kerl, der dich so angelächelt hat.“ Ich muss die Kreditkarten sperren lassen“, sagt er bitter und greift nach seinem Handy. „Warum trägst du auch so eine dicke Brieftasche mit dir herum? Du hättest sie in den Safe legen müssen.“ „Das Kuvert für die Bank ist auch weg!“, meint der Graf erschrocken. „Du hattest Geld für die Bank dabei? Wie sollen wir das denn der Polizei erklären.“ „Wieso der Polizei?“
„Na, wir müssen die Diebe doch anzeigen, schon wegen der Versicherung!“ „Unsinn, die sind schon über alle Berge. Ich habe keine Lust, zu allem Übel jetzt noch stundenlang auf einer Polizeiwache rumzustehen.“ „Da bin ich aber froh, dass ich meine Geldbörse in der Handtasche habe! Ich nehme einfach meine Karte zum Zahlen.“ Der Graf und die Gräfin bestellen sich noch ein Zitronen-Sorbet zum Nachtisch und einen doppelten Grappa. Es vergeht noch eine gute halbe Stunde, bis sie sich auf den Weg in ihr Hotel machen. Inzwischen ist es wesentlich ruhiger in der Getreidegasse. Sie betrachtet die Schaufenster. Bei einem Uhrengeschäft, stellen sie fest, dass es viertel vor zwölf ist. „Zeit um ins Bett zu gehen“, meint Ester. Doch kaum haben sie die Hotelzimmertür hinter sich geschlossen, schüttelt der Graf mürrisch den Kopf, „Ich kann jetzt noch nicht schlafen. Ich geh noch einmal raus.“ „Was hast du denn?“, fragt ihn Ester sorgenvoll. „Es ärgert mich, dass dieser Kerl mich beklaut hat!“
„Aber es ist doch nur Geld…“, versucht Ester zu beruhigen. Doch als sie sieht, wie düster ihr Gatte dreinblickt, winkt sie ab. „Na dann geh nur, ich werde noch ein bisschen lesen. Falls ich schon schlafe, wenn du zurückkommst, sei bitte leise.“ „Ist schon recht, ich werde die Schuhe vor der Türe ausziehen.“ Maximilian nimmt sich einen Hunderter aus Esters Börse, wirft sein Cape über und steckt den Zimmerschlüssel in die Innentasche. Im nächsten Moment ist er auch schon aus der Türe. Er geht ärgerlich die Straße entlang ohne genau zu wissen, wohin er eigentlich will. So ein unverschämter Kerl! Beklaut ihn und macht Ester schöne Augen!
Da wird er angesprochen. „Maximilian, was machst du denn hier zu so später Stunde?“ Es ist Dieter, er ist Besitzer eines Dirndlgeschäftes in der Getreidegasse. Er ist ein unehelicher Sohn von Maximilian. Die Affäre ist bereits sechsundzwanzig Jahre her. Als Abfindung hat Maximilian damals Dieters Mutter einen Betrag von zweihunderttausend Mark gegeben. Es wurde ein Vertrag aufgesetzt, indem festgelegt wurde, dass es keine weiteren Ansprüche gäbe. Das Geld investierte die Mutter von Dieter in ein Dirndlgeschäft. Es zahlte sich aus, denn heute ist es eines der führenden Geschäfte Salzburgs. Dieter hat es vor einem Jahr von seiner Mutter übernommen, da sie in Pension gegangen ist. Anschließend hat er es renoviert und umgebaut. Dieter lächelt Maximilian an. „Gut das ich dich treffe, ich brauche dringend ein Darlehen. Da kannst du mir sicher helfen.“
„Wieso sollte ich dir helfen? Du kennst den Vertrag.“ Beide steuern auf ein kleines Café zu und genehmigen sich einen Cognac. Maximilian will nun seinen Sohn nicht vor den Kopf stoßen und meint noch: „Am besten du kommst in den nächsten Tagen nach München in die Bank, dann sehen wir weiter. Wir finden schon eine Lösung.“ Als die Lokale schließen, ist nun wieder Betrieb auf der Getreidegasse. Der Graf macht sich auf den Rückweg ins Hotel. Da beginnt er plötzlich zu schwanken, er verliert das Gleichgewicht, greift sich an das Herz und ruft um Hilfe. Die Sanitäter sind sofort zur Stelle, doch sie können nur noch den Tod feststellen. Es wird Herzinfarkt vermutet.
Durch Zufall kommt Hauptkommissar Walter Broder vorbei und meint: „Bringen Sie ihn in die Gerichtsmedizin, einen Blick sollten wir schon darauf werfen, schließlich haben wir zur Zeit eine Menge Prominente in der Stadt.“ Die Gräfin liest noch in ihrem Buch, als das Zimmertelefon klingelt. Der Empfangschef bittet sie, in die Hotellobby zu kommen, es wartet eine junge Dame auf sie!“ Ester ist entsetzt und meint, „was um diese Zeit?“ Ein Blick auf ihre goldene Armbanduhr verrät ihr, es ist kurz nach Mitternacht.
Als Ester wenig später an der Rezeption erscheint, deutet der Rezeptionist auf eine sehr gut gekleidete Frau, die es sich in einem Ledersessel bequem gemacht hat. „Was machst du denn hier Elvira? Woher weißt du überhaupt, dass wir in Salzburg sind? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“ „Eure Haushälterin… sie hat mir den Tipp gegeben, Sie meinte, dass ihr ab Mitternacht im Hotel seid, vorher vermutete sie Euch beide in einem Restaurant und da dachte ich, dass es jetzt am besten passt.“
Auch Elvira ist ein Produkt von Maximilian, sie ist dreiundzwanzig und lebt mit ihrem Mann in Ipswich, das ist in der Nähe von London. Sie leiten dort einen Golfclub. Ester hat es nicht von ihrem Mann erfahren, dass es da noch eine Tochter gibt. Es war der reine Zufall, dass sie sich beide plötzlich gegenüberstanden. Ester nahm an einem Golfturnier teil und so ergab sich ein Gespräch in dem Ester den Grafen erwähnte. Elvira sagte ganz frei heraus, dass er ihr Vater sei. Seit diesem Tag, der nun drei Jahre zurückliegt, hielten sie Kontakt. Ester besucht Elvira öfter in Ipswich und drehte mit ihr einige Runden auf dem Platz.
Sie kümmert sich auch um die beiden Enkel, von denen der Graf bis heute nichts weiß. Er hat sich auch bei Elviras Mutter freigekauft, indem er ihr vor Elviras Geburt einen Bauvertrag für ein Reihenhaus übergab. Auch zwischen Elvira und dem Grafen gibt es einen Vertrag, der alle Ansprüche regelt. Sie sitzen sich nun beide schweigend gegenüber, Elvira sprach vor gut einer Woche mit Ester, dass sie dringend ein Darlehen braucht. Ihr Mann hat an der Börse das halbe Familienvermögen verzockt. Sie sagte vor einer Woche am Telefon: „Ester stell dir vor, mein Schatz hat fast unser gesamtes Geld verspielt. Du musst mir helfen!“ Elvira ahnte natürlich, dass der Graf und seine Frau wie jedes Jahr um diese Zeit in Salzburg sind, hat vor die Gelegenheit zu nutzen um mit ihnen beiden persönlich zu sprechen. Elviras Mann ist in England geblieben und kümmert sich um die Golfanlage und die Kinder. Nach einer halben Stunde, inzwischen ist es fast ein Uhr, gibt Ester ihr das Versprechen, dass sie alles tun wird, um ihr zu helfen. Jetzt lass uns aber schlafen gehen. Ich kann kaum noch die Augen offen halten“, sagt Ester und gähnt deutlich und überzeugend. Ester umarmt Elvira und geht dann völlig übermüdet in ihr Zimmer hinauf. Endlich hinlegen und schlafen! Sie vermutet, dass Maximilian längst in seinen meist lauten Träumen liegt.
Aber es ist anders, sie findet sein Bett leer. Wo ist er denn hingegangen? Sicher hat er einen Nachtclub aufgesucht und flirtet nun mit einer schlanken Blonden. Es ist ihr in diesem Moment egal, er wird es ihr spätestens morgen Früh beim Frühstück beichten. Sie wird ihm verzeihen und sich dafür ein edles Schmuckstück leisten. Sie duscht noch kurz und gleitet schließlich unter die weiche Daunen-Decke. Noch die Schlafbrille, dann ist sie schon eingeschlafen. Lautes Pochen an ihrer Türe lässt sie aus einem wunderbaren Traum hochfahren. „Hab ich das geträumt, oder pocht da jemand?“ Noch trägt sie die Schlafmaske über den Augen und tastet nach dem Lichtschalter.
„Ich komme ja schon, so schlagen Sie doch nicht so an meine Türe!“, ruft sie in die Richtung, wo sie die Türe vermutet. Als Ester endlich die Zimmertür öffnet, steht ein Mann im dunklen Regenmantel vor ihr. „Hauptkommissar Broder. Verzeihen sie Störung, sind sie die Gräfin von Weißenhahn?“ „Natürlich bin ich das.“ Antwortet sie etwas verärgert über die nächtliche Störung. „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass ihrem Gatten etwas zugestoßen ist.“ „Was fehlt ihm denn? Es ist doch nichts Ernstes?“, meint Ester aufgeregt.
„Ich fürchte doch, gnädige Frau. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann tot ist.“ Ester starrt den Kommissar an. In ihren Ohren beginnt es zu rauschen. „Was ist passiert?“ Ihre Stimme ist nun ein leises Flüstern. „Wir wissen es noch nicht. Sie müssen mich begleiten. Er liegt in der Gerichtsmedizin, das ist hinter dem Hospital.“ „Ich…“ Ester blickt immer noch starr auf den Kommissar. „Sie möchten sich sicher noch anziehen. Ich warte an der Rezeption auf Sie. Sie müssen ihn identifizieren.“ In dieser Nacht erfährt Ester, dass ihr Mann wohl einen Schnaps zuviel getrunken hat. Sicher ist es aber nicht, doch sein Blutalkoholspiegel ist erheblich. „Wann wissen Sie, was mit ihm geschehen ist?“, fragt sie den Gerichtsmediziner, der ihr Maximilians bleiches Gesicht für die Identifikation zeigt. „Das kann einige Tage dauern.
Die Polizei wird Ihnen Bescheid geben, sobald Ergebnisse vorliegen.“ Ester wird von einem Beamten zurück in ihr Hotel gebracht. Dort angekommen, sinkt sie sofort auf das Bett. Sie hat noch gar nicht begriffen, dass sie zukünftig alleine in ihrem Bett liegen wird. Als ihr klar wird, dass sie morgens nie wieder Maximilians Grunzen hören wird, bricht sie in Tränen aus. Sie weint, bis der Schlaf sie übermannt.
Einige Stunden später ist es wiederum das Telefon, das sie aus dem Schlaf reißt. „Entschuldigung, hier ist die Rezeption. Bei mir wartet ein Herr Hans-Heinrich. Er sagt, er habe jetzt einen Termin mit ihrem Mann.“
„Sagen Sie ihm, mein Mann hat gerade keine Zeit“, murmelt Ester schlaftrunken. Kaum hat sie diesem Satz ausgesprochen wird ihr die Tragweite der Worte bewusst. Sie räuspert sich. „Sagen Sie dem Herrn, dass er in der Lobby auf mich warten soll! Ich komme in einer Viertelstunde zu ihm.“ Ester huscht in das Badezimmer und betrachtet beim Zähneputzen die Kosmetika ihres Mannes. Es wird wohl keinen Sinn machen, das mit nach München zu nehmen, denkt sie. Ich könnte es dem Hausmeister schenken. Er kann auch die Anzüge haben und… Erneut steigen Ester Tränen in die Augen. Als Ester dann in die Lobby kommt, blickt sie in das Gesicht eines sehr gutaussehenden jungen Mannes. „Sie wollten meinen Mann sprechen? Es tut mir leid, das ist unmöglich. Er liegt im Hospital.“ Es ist ihr unmöglich, über die Lippen zu bringen, dass Maximilian tot ist. Der junge Mann meint, „Ich hoffe, es ist nichts Ernstes. Er hatte einen Termin mit mir und glauben sie mir, es ist wichtig.“