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Kapitel 1

Herausforderung Exzellenz

von Martin Haas


Inhalt

1.1 Bestandsaufnahme

Die Ausgangsfrage

Die Herausforderungen kennen

1.2 Was exzellente Unternehmen anders machen

Die Leitsätze

1.1 Bestandsaufnahme

Die Ausgangsfrage

Wertschöpfungsexzellenz: „Nice to have“ oder unabdingbare Voraussetzung für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit?

„In Deutschland gehen jeden Tag 1.000 Arbeitsplätze verloren.“ Was ursprünglich als Wahlkampfslogan diente, ist doch annähernd die Wirklichkeit. Kontinuierlich baut das produzierende Gewerbe Arbeitsplätze ab, häufen sich die Insolvenzen, ohne dass der Dienstleistungssektor diese Verluste kompensieren könnte. Tatsächlich verliert die Dienstleistungswirtschaft derzeit viel von ihrem Glanz als Hoffnungsträger unserer Volkswirtschaft, wird sogar zum Ziel spöttischer Bemerkungen: „Dienstleistungswirtschaft heißt, dass wir uns gegenseitig die Haare schneiden“. Diese Sentenz mag polemisch sein, trotzdem enthält sie einen wahren Kern. Jedenfalls sind exportfähige Dienstleistungen, die die Industrie als Konjunkturmotor ablösen könnten, hierzulande bisher Mangelware. Seit Jahren geistert der Begriff der „High Services“ durch die Wirtschaftspresse, bis auf weiteres wird allerdings „High Tech“ am Standort Deutschland die Basis bleiben – und dies auch nur, wenn wir international wettbewerbsfähig sind. Dass das geht, beweisen uns exzellente Unternehmen, die auch hier am Standort weiter wachsen und die nach mehrjähriger Entwicklung in Richtung Exzellenz ihr Verbesserungspotenzial nach wie vor für „unerschöpflich“ halten – Unternehmen, die gelernt haben, die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen und als Chance zu begreifen. Leider finden wir bei genauerer Analyse noch sehr viele Unternehmen, die anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchen.

Nicht nur Menschen neigen bei wachsendem Wohlstand dazu, Fett anzusetzen. Dieses Phänomen ist auch in Unternehmen bekannt. Lebensbedrohlich ist vor allem das unsichtbare und deshalb gefährliche Fett, das sich in den Lebensadern eines Unternehmens, den Wertschöpfungsprozessen, ablagert. Und in den Köpfen von Managern und Mitarbeitern. Typische Symptome:

 Entscheidungen werden vertagt, verschleppt oder erst gar nicht getroffen;

 die Entwicklung reagiert nur auf Neuprodukte des Wettbewerbs, anstatt selbst offensiv zu agieren;

 die Produktion kennt nur zwei Zustände: Vollgas oder Leerlauf, Schwankungen im „mittleren“ Bereich können nicht nachgefahren werden;

 organisatorische Änderungen und Umstellungen werden diskutiert, aber nicht realisiert;

 die Kapazitätsauslastung der kapitalintensiven Betriebsmittel ist wichtiger als die termingenaue Erfüllung des Kundenwunsches

 usw.

Fett macht zufrieden, aber auch unbeweglich und träge. Fett gewordene Unternehmen sind buchstäblich nicht in der Lage, den unberechenbaren Schwankungen der Märkte zu folgen. Ihnen fehlt die lebensnotwendige Agilität, die Anpassungsfähigkeit an ständig veränderte Bedingungen. Und das zeigt bereits die Evolution schonungslos: wer nicht anpassungsfähig ist, gerät auf den absteigenden Ast (vgl. Abb. 1).


Abb. 1: Stufen der Evolution – die Metapher

Wettbewerbsfähigkeit: die erweiterte Sicht

Wettbewerbsfähigkeit ist Grundvoraussetzung für das Überleben eines Unternehmens. Deshalb ist es zunächst richtig, Wettbewerbsfähigkeit anzustreben. Allerdings muss die Sichtweise, dass man Wettbewerbsfähigkeit einmal herstellen und ohne weiteres Zutun auf Dauer erhalten kann, im heutigen, turbulenten Umfeld als überholt gelten. Wer verharrt und sich auf den Lorbeeren einer guten Wettbewerbsposition ausruhen will, wird unweigerlich von der Konkurrenz überholt. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ist eine täglich neue Aufgabe.

Mittel- bis langfristig kann die Wettbewerbsfähigkeit nur durch ständiges Streben nach immer besserer Leistung, nach Exzellenz, gesichert werden. Diese dynamische Sichtweise setzt sich bei Vorreiterunternehmen immer mehr durch. Voraussetzung ist, dass das gesamte Unternehmen „in Bewegung“ gebracht und gehalten wird. Dabei reicht es nicht, einzelne Projekte aufzusetzen, Exzellenz muss gelebt werden.

Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist nicht nur von internen Faktoren, sondern in hohem Maße von den Umgebungsbedingungen, von den Standortfaktoren, abhängig. Und über die Bedingungen am Standort Deutschland wird seit Jahren heftig diskutiert. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zeigt im globalen Wettbewerb einen deutlichen Trend ins Mittelmaß (vgl. Abb. 2).


Abb. 2: Weltweite Wettbewerbsfähigkeit: Rangordnung von Deutschland (Quelle: World Competitiveness Yearbook (IMD))

Verantwortlich für diesen Abstieg ist vor allem, dass neue Standort-Wettbewerber aufgetaucht sind, die sich um die Ansiedlung von Produktionsunternehmen bemühen und mit den traditionellen Industrieländern konkurrieren. Wir werden hierüber unter dem Stichwort der Globalisierung noch eingehender reden (vgl. Abschnitt 1.2).

Der internationale Wettbewerb ist ein Wettbewerb der Unternehmen und der Standorte. Diesem Trend kann sich auch der Mittelstand nicht mehr entziehen. „Mittelstand spürt den Aufstieg Chinas“ überschreibt die Stuttgarter Zeitung den Bericht über eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (StZ Nr. 100, 2. Mai 2006). Laut dieser Studie „sehen sich 26 Prozent der deutschen Mittelstandsunternehmen“ vom Aufstieg Chinas zur Wirtschaftsmacht betroffen. „Direkt im Geschäft mit den Chinesen sind 17 Prozent und machen dabei überwiegend gute Erfahrungen“ (vgl. ebd.).

Um gute Erfahrungen mit der Internationalisierung machen zu können, müssen die Weichen im Unternehmen richtig gestellt sein. Exzellente Unternehmen, die sich erfolgreich im internationalen Wettbewerb behaupten, nutzen die Chancen der Globalisierung, anstatt die Risiken zu scheuen. Das bestätigt auch die zitierte Studie: „Vom Erstarken der chinesischen Wirtschaft verspricht sich jeder fünfte deutsche Mittelständler einen positiven Schub fürs Geschäft, nur jeder zehnte sieht den Boom im Reich der Mitte als Gefahr“ (vgl. ebd.). Von den positiven Wirkungen der Expansion kann also auch der Standort Deutschland profitieren, weil international erfolgreiche Unternehmen ihre Position auch am heimischen Standort stärken. Das belegen zahlreiche Beispiele.

Beantwortung der Ausgangsfrage

Bereits nach diesen kurzen einleitenden Worten dürfte es über die Beantwortung der Ausgangsfrage keinen Zweifel mehr geben: Wertschöpfungsexzellenz ist ein Muss und die unabdingbare Voraussetzung für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Was das heißt und wie dies geht, wollen wir Ihnen in diesem Buch zeigen.

Die Herausforderungen kennen

„Wir kennen keine Probleme, wir kennen nur Herausforderungen!“ So eingängig die Slogans von Management-Gurus und Motivationskünstlern sein mögen, so weit gehen sie an der Wirklichkeit vorbei. Natürlich steht ein Unternehmen vor Problemen, die es bewältigen muss – täglich und stündlich. Die Frage ist nur, wie Management und Mitarbeiter mit dieser Problemflut umgehen, ob sie lediglich die unwillkommene Störung sehen oder auch die Chance zur Verbesserung.

Die Psychologie kennt das Phänomen der „Schlaraffenland-Depressionen“. Menschen, die keine täglichen Sorgen kennen, verlieren buchstäblich die Lebensfreude, werden weinerlich und antriebsschwach. Auf Organisationen gemünzt hieße das, dass sich Unternehmen, die keine Probleme haben, drastisch verschlechtern. Und tatsächlich lassen sich Beispiele finden: so manches Staats- oder Monopolunternehmen hat sich durch Mangel oder Verdrängung von Problemen jeglicher Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Oder: es werden Probleme, meist im zwischenmenschlichen Bereich, konstruiert, deren Lösung zur Betriebshygiene, aber kaum zur Leistungssteigerung beiträgt.

So gesehen sind Probleme tatsächlich Chancen. Sie bieten Anlässe zur Verbesserung. Die japanische Verbesserungsphilosophie begreift Probleme als „Schätze“ von großem Wert. Kontinuierliche Verbesserung ist dann die Kunst, diese Schätze systematisch aufzuspüren und zu heben. Sprich: die Probleme zu lösen. Traditionell richtet sich der Blick hier auf Hemmnisse in Prozessen oder Abläufen, die auf der täglichen Agenda der Verbesserung stehen. Verbesserung beginnt beim Bewegungsablauf der Werker und endet beim Managen der Kunden- und Lieferantenbeziehung.

Immer häufiger allerdings liegen die wahren Herausforderungen außerhalb eines Unternehmens – deshalb ist es angebracht, den Blickwinkel entsprechend zu erweitern. Hier findet man eine praktisch unendliche Zahl von Herausforderungen, Problemen und Chancen, sich zu einem „Weltklasse-Unternehmen“ zu entwickeln, das diesen Namen auch verdient. Wir wollen uns auf drei fundamentale Herausforderungen konzentrieren, weil ihnen heute und in den kommenden Jahren entscheidende Bedeutung zukommt: der Globalisierung, der steigenden Komplexität und dem schnellen Wandel unternehmerischer Erfolgsfaktoren.

Herausforderung Globalisierung

Im Management-Slang unserer Tage steht das „Window of Opportunity“ als Sinnbild für die Kurzlebigkeit geschäftlicher Möglichkeiten. Steht das Fenster offen, eröffnen sich Chancen. Ist das Fenster wieder geschlossen, hat man eine Chance vertan. Nun haben es offene Fenster allerdings auch an sich, dass sie kalte Luft ins Zimmer lassen. Will sagen: das Risiko des Scheiterns existiert immer.

Dieses Bild lässt sich unschwer auf das in den letzten Jahren heiß diskutierte Thema der Globalisierung übertragen. Die weltweiten Veränderungen seit Beginn der 1990er Jahre bieten Unternehmen neue Chancen, setzen sie jedoch auch neuen Risiken aus. Egal wie, eine Herausforderung ist die Globalisierung in jedem Fall. Und: niemand kann sich den daraus resultierenden Zwängen entziehen. Das Fenster steht offen.

Fakt ist, dass 2,5 Milliarden Menschen mehr oder weniger überraschend Zugang zu den globalen Märkten bekommen haben – als Nachfrager, aber eben auch als Anbieter von Produkten und Leistungen. Dieses Phänomen steht im Zentrum der weltweiten Veränderungen und gewinnt zunehmend an Dynamik. So können heute Länder, die bis vor wenigen Jahren noch echte Entwicklungsländer waren, zu niedrigen Kosten Produkte und Dienstleistungen anbieten, die bis dato Monopole der klassischen Industrienationen waren. Atemberaubend ist vor allem das Tempo dieser Entwicklung: in Indien oder China entstanden quasi „über Nacht“ Cluster für Industrie und Dienstleistung, die im weltweiten Vergleich eine mehr als respektable Rolle spielen.

Dies hat zur Folge, dass die Möglichkeit zur „Delokalisierung“ neue Dimensionen bekommen hat. Produzierende Unternehmen aus Westeuropa, Nordamerika oder Japan, der klassischen „Triade“, haben den Vorteil, Standorte mit niedrigen Produktionskosten nutzen zu können, ohne die früher damit verknüpften Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Heute bekommt man die Nutzung von Hochtechnologie, hohe Produktivität und gute Qualität auch zu vergleichsweise niedrigen Löhnen. Konsequenz ist ein tatsächlicher „Mega-Wettbewerb“: Unternehmen und Volkswirtschaften müssen nun nicht mehr nur gegen bekannte Konkurrenten antreten, sondern gegen eine ständig wachsende Zahl völlig neuer Wettbewerber. Diese Tatsachen verursachen einen permanenten Druck, die Produktion zu rationalisieren, die internen Kosten zu reduzieren und die Leistungsfähigkeit (Qualität, Lieferservice) insgesamt zu erhöhen.

Kein Unternehmen, kein Land ist gegen diesen Druck gefeit. Im Gegenteil: die Herausforderungen ähneln sich für alle Unternehmen mehr oder weniger stark.

Leitgedanken zur Globalisierung

In nahezu allen Branchen gilt, dass Wachstum nur noch über Internationalisierung und globale Aufstellung zu erreichen ist. Die heimischen Märkte für Industriegüter sind weitestgehend gesättigt. Bereits der Mittelstand ist deshalb gezwungen, sich in dem Sinne international zu betätigen, dass er an ausländischen Standorten präsent ist, sei es mit Vertriebsaktivitäten, sei es mit Fertigung und Montage.

Vor allem in der Automobil-Zulieferindustrie gehören Werke im europäischen Ausland heute zur Normalität. Produziert wird in einem internationalen Werkeverbund mit komplexen logistischen Strukturen. Damit ein solches verteiltes Gebilde überhaupt funktionieren kann, müssen die Unternehmensprozesse stabil und robust sein. Instabile Prozesse können einen ganzen Werkeverbund in Schieflage bringen, die Lieferfähigkeit gerät in Gefahr. Um dies zu verhindern, müssen die Wertschöpfungsprozesse systematisiert und standardisiert werden. Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das an allen Standorten nach den gleichen Prinzipien, auf höchstem Niveau (nämlich exzellent), arbeitet. Die Einhaltung der Prinzipien (Standards) kann im globalen Netzwerk permanent überwacht, Abweichungen können schnell fest- und abgestellt werden. Ein solches Unternehmen verfügt über ein Wertschöpfungssystem, wie wir es Ihnen in diesem Buch vorstellen und näher bringen wollen.

Herausforderung Komplexität

Nicht nur die Welt wird immer komplexer, auch Produkte werden es. Noch vor zehn Jahren war ein Telefon in der Hauptsache eine Sprech- und Höreinrichtung an einem Kabel. Jeder Wehrpflichtige konnte nach wenigen Tagen Ausbildung ein funktionierendes Netz aufbauen, vorausgesetzt, er war stark genug, um die riesige Kabeltrommel zu schleppen. Ein Mobiltelefon der neuesten Generation ist nicht physisch schwer, aber schwer zu verstehen, komplex. Besonders fatal: die Diskussion, ob es sinnvoll oder notwendig ist, mit einem Telefon zu fotografieren, Texte zu verschicken oder im Internet zu surfen, wird nicht geführt. Funktionen, die technisch machbar sind, werden eingebaut. Mag es sich beim Mobiltelefon im Hinblick auf Entwicklung und Produktion noch um Trivialitäten handeln, wird die Angelegenheit beim Automobil wirklich komplex. So stellt der hohe Elektronikanteil die gesamte Wertschöpfungskette vor Komplexitätsprobleme. Wer früher ein mechanisches Türschloss nebst Schlüssel lieferte, ist heute verantwortlich für ein mechatronisches Schließsystem, das mehr Intelligenz besitzt als ein Personalcomputer in den 1980er Jahren.


Abb. 3: Modellvielfalt im Automobilbau (Quelle: McKinsey)

Es kann deshalb nicht verwundern, dass einige große Unternehmen wie DaimlerChrysler Stabs- und Forschungsabteilungen für Komplexitätsmanagement eingerichtet haben. Ob es diesen Stäben allerdings gelingen wird, die Komplexität wirksam einzudämmen, bleibt abzuwarten.

Die Kardinalfrage lautet: ist die explodierende Komplexität eine Kundenforderung oder ist sie hausgemacht? Beides trifft in Teilen zu. So verzeichnen wir im Automobilbau bekanntlich eine drastische Zunahme der Modell- und Produktvielfalt (vgl. Abb. 3).

Die Automobilhersteller sind bestrebt, Marktnischen so gut wie möglich zu besetzen und sich durch schnelle Modellwechsel und „Facelifts“ an die schnell wechselnden Moden anzupassen – oder die Trends eben selbst zu setzen. Der Kunde nimmt die Modellvielfalt gerne an. Hier die steigende Komplexität richtig zu managen, wird künftig eine wesentliche Herausforderung und ein Erfolgsfaktor sein.

Stichwort Varianz

Die Varianz ist ein wesentlicher Treiber von Komplexität. Nicht immer hat hohe Varianz ihre Ursachen in den differenzierten Wünschen der Kunden. Auch die hohe Innovationsrate ist ein Variantentreiber, weil neue „Features“ häufig Eingang in Produktkataloge finden, ohne dass die alten Varianten konsequent getilgt worden wären. Der Vertrieb argumentiert dann meist mit der Bindung von Stammkunden, die vor allem veraltete „Exoten“ nachfragen. Und selbst das angesprochene Tilgen im aktuellen Lieferverzeichnis wäre nur ein Teilerfolg, weil das After-Sales- und Ersatzteilgeschäft förmlich dazu zwingt, auch längst hinfällige Varianten herstellen zu können.

Leitgedanken zur Komplexität

Komplexität ist nicht gleichzusetzen mit Intelligenz. Für das Entstehen von Komplexität ist keine besondere Intelligenz notwendig – aber für das Beherrschen bzw. Reduzieren von Komplexität. Die Steigerung von intelligent ist … einfach (worauf wir noch eingehender zu sprechen kommen). Oder, wie die Amerikaner nicht ohne Berechtigung sagen: „KISS – Keep it stupid simple“. Das heißt aus Sicht des Managements nicht, die Augen vor der bisweilen unvermeidlichen Komplexität zu verschließen. Vielmehr sollte vermieden werden, die Komplexität vollständig in Systemen abzubilden, sondern zu segmentieren und in überschaubare Einheiten zu zerlegen und diese durch robuste und stabile Prozesse beherrschbar zu machen.

Der Wandel der unternehmerischen Erfolgsfaktoren

„Verfügbarkeit“ heißt eines der Zauberworte der modernen Gesellschaft. Wir gehen davon aus, dass Dinge, die wir kaufen wollen, in den Geschäften oder zumindest im Internet verfügbar sind. Und das gilt nicht nur für Konsumgüter: auch die Industrie setzt bei der Beschaffung kurze Lieferzeiten und besten Lieferservice voraus.

Stichwort Lieferzeiten

„They never stand in line – sie wollen sich nicht anstellen“. Was früher die Karikatur der Briten für kontinentale Drängler war, ist heute die zutreffende Beschreibung nahezu aller Kunden. Überspitzt ausgedrückt: Produkte mit langer Lieferzeit sind bei ihrer Auslieferung möglicherweise bereits von der nächsten Generation abgelöst (siehe oben). Was am „Point of Sale“ gilt, wo der Kunde, statt zu warten, eben das kurzfristig lieferbare Konkurrenzprodukt kauft, gilt in der Lieferkette in noch stärkerem Maße. Die in vielen Branchen mittlerweile zum Standard gewordene Just-in-Time-Philosophie beschleunigt die Lieferprozesse zwischen den Produktionsstufen ungemein. Derzeit läuft ein europäisches Forschungsprojekt zum sogenannten „Fünf-Tage-Auto“. Man kann sich vorstellen, was bei Verwirklichung dieser Vision bei den Zulieferern los sein wird – zumal Sicherheitsbestände nicht erlaubt sind. Es geht künftig nicht mehr um Material, sondern nur noch um Zeit. Ein völlig neues Paradigma des Produktionsmanagements.

Leitgedanken

Lieferfähigkeit, Lieferservice und kürzeste Lieferzeiten werden die wichtigsten Erfolgsfaktoren. Das heißt in der Konsequenz, dass sich die Durchlaufzeiten drastisch verkürzen – und zwar nicht nur bei Standardprodukten, sondern bei kundenindividuellen Produkten. Diese kurzen Durchlaufzeiten lassen sich nur erreichen durch … exzellente Prozesse.

Ein erstes Fazit

Bringt man die Konsequenzen des bisher Gesagten auf den Punkt, so stellt man fest, dass jede Maßnahme, die punktuell und kurzfristig durchgeführt wird, zu kurz greift. Gefordert ist vielmehr ein aktiver Prozess in Richtung Exzellenz. Diesen Prozess konsequent zu beschreiten, erfordert wiederum ein greifbares Bild des Ziels („Nur wer weiß, wohin er will, wird dort auch ankommen“), wirksame Konzepte und Methoden sowie umfassende, nachhaltige Maßnahmen.

1.2 Was exzellente Unternehmen anders machen

Die Leitsätze

„Tue Gutes und verdiene daran“. Mit dieser Schlagzeile kommentieren die „Stuttgarter Nachrichten“ vom 28. April 2006 die wirtschaftliche Leistung des Bosch-Konzerns. Anlass war die Veröffentlichung der Unternehmenszahlen, die einmal mehr für sich sprachen. Umsatzsteigerung, verbessertes Ergebnis und gestiegene Mitarbeiterzahl: So sieht profitables Wachstum aus.

Es gibt sie also tatsächlich, die exzellenten Unternehmen, die ungeachtet aller Herausforderungen und Risiken auf einem nachhaltigen Erfolgskurs sind. Und: diese Unternehmen sind nicht so selten, wie uns die Medien bisweilen glauben machen wollen. Der jährlich ausgeschriebene Wettbewerb zur „Fabrik des Jahres“ braucht sich jedenfalls über einen Mangel an Kandidaten nicht zu beklagen. Und die Gewinner liefern den Nachweis, dass die Abgesänge auf die deutsche Industrie zu früh angestimmt wurden. Mehr noch: diese Unternehmen stellen nachdrücklich unter Beweis, dass unser eingangs formulierter Anspruch, dass exzellente Unternehmen auch unter den in Deutschland herrschenden Bedingungen Arbeitsplätze schaffen, keine Träumerei ist, sondern Realität (vgl. Abb. 4).


Abb. 4: Beschäftigungsentwicklung der besten Teilnehmer „Fabrik des Jahres “ am Standort Deutschland (Quelle: A.T. Kearney)

Was aber machen diese Unternehmen anders als diejenigen, die unter der Last der Herausforderungen stagnieren oder scheitern? Da wir eine ganze Reihe hervorragender Firmen seit Jahren beratend begleiten, sind wir in der Lage, die wichtigsten Erfolgsfaktoren zu benennen bzw. als Leitsätze zu formulieren:

 Exzellente Unternehmen sind gekennzeichnet durch ein ständiges Streben nach Perfektion und Spitzenleistung nach dem Motto „Heute ist unser schlechtester Zustand“.

 Sie sind geprägt durch persönliches Vorleben und Engagement der Führung.

 Tägliche, dynamische Verbesserung ist Kernkompetenz.

 Sie nutzen internationale Standorte und globale Netzwerke für die Stärkung ihrer Position – auch der heimischen Standorte.

 Sie beziehen ihre Lieferanten, die gesamte Supply-Chain, in alle Überlegungen mit ein.

 Sie beherrschen und managen Komplexität getreu der Erkenntnis: „Die Steigerung von intelligent ist … einfach!“

 Sie treiben BestPractice über ein handlungsorientiertes Wertschöpfungssystem aktiv und kontinuierlich voran.

In den nachfolgenden Abschnitten stellen wir Ihnen diese Leitsätze exzellenter Unternehmen eingehender vor.

Leitsatz 1:

Ständiges Streben nach Perfektion und Spitzenleistung nach dem Motto „Heute ist unser schlechtester Zustand“.

Das Bessere ist Feind des Guten

Gute Leistung mag in einem statischen Umfeld genügen. In der dynamischen Umgebung des globalen Wettbewerbs ist nicht der Zustand wichtig, sondern die Bewegung.

Ein Beispiel: Vor geraumer Zeit war ein Berater-Kollege mit einer Gruppe deutscher Manager zu Besuch in einem japanischen Werk. Integriert in den Rundgang durch die Fabrik war die Präsentation eines Teams von Mitarbeitern. Die zeigten, sichtlich stolz, wie sie den Ablauf an einer Station so verbessert hatten, dass 4,8 Sekunden eingespart wurden. Später, außer Hörweite, meinte einer der deutschen Manager sichtlich verärgert, dass er es ziemlich lächerlich fände, einen Verbesserungsprozess präsentiert zu bekommen, dessen Ergebnis lediglich 4,8 Sekunden Zeitersparnis seien. Die anderen nickten zustimmend.

Dieses Beispiel zeigt, wie weit wir hierzulande von dieser Art Denken entfernt sind. Sicherlich war dies keine signifikante Verbesserung, kein qualitativer Sprung – aber es war die Verbesserung eines Zustandes, der am nächsten Tag bereits wieder der „schlechteste Zustand“ sein würde.

Streben nach Perfektion und „kreative Erneuerung“ des Bestehenden

Die Optimierung bestehender Strukturen stößt dann an ihre Grenzen, wenn der Aufwand den Nutzen übersteigt. „Streben nach Perfektion“ kann deshalb nicht heißen, ein existierendes System über den Grenznutzen hinaus zu optimieren, nur um der vermeintlichen Verbesserung willen. Das führt zu nahezu wirkungsfreien Endlosschleifen. Um auf das nächst höhere Level zu kommen, kann es sinnvoll sein, die Systemgrenzen zu sprengen und kreativ zu erneuern. Aus der Ökonomie kennen wir diesen Vorgang als die „kreative Zerstörung“, die nach Joseph A. Schumpeter jeder unternehmerischen Innovation vorausgeht. In der Welt der Geschäftsprozesse spricht man im Zusammenhang mit Prozessinnovationen von „Business Process Reengineering (BPR)“ und meint damit den tiefgreifenden Umbau der Abläufe im Unternehmen.

Richtig justierte Verbesserung besteht aus einem Mix aus vielen kleinen Verbesserungsschritten (KVP, Kaizen) und einzelnen Sprunginnovationen (BPR). In der Vergangenheit hat man sich meist für eine der beiden Vorgehensweisen entschieden – KVP als Mitarbeiterthema und BPR, wenn radikale Eingriffe durch das Management notwendig schienen.

Dabei gehören beide Mechanismen zum Streben nach Perfektion: KVP als tägliche Aufgabe von Mitarbeitern und Management, Innovation im Sinne von BPR als kreative Erneuerung.

Da gerne und oft von den Nachteilen der deutschen Denk- und Arbeitsweisen gegenüber fernöstlichen Kaizen-Großmeistern berichtet wird, sollte man auch nicht verschweigen, dass Innovation zu unseren klassischen Fähigkeiten gehört. Wenn es darum geht, Prozessinnovation und kontinuierliche Verbesserung synergetisch zu verknüpfen, stehen wir noch ganz am Anfang. Erste Beispiele zeigen allerdings: die Potenziale sind immens.


Abb. 5: Streben nach Perfektion

Leitsatz 2:

Persönliches Vorleben und Engagement der Führung

Vorleben statt Vorgeben

Spitzenleistung kann nur einfordern, wer selbst bereit ist, sich „vor Ort“ zu engagieren und den Mitarbeitern ein Beispiel an Einsatzwillen zu geben. Dies gilt vor allem für Verbesserungsinitiativen und -prozesse. Persönliches Engagement und Präsenz des Managements schaffen zusätzliche Identifikation und Leistungsbereitschaft. Das ist mehr als das „management by walking around“, das noch vor einigen Jahren propagiert wurde. „Management by working together“ würde den Sachverhalt besser treffen.

Freiräume, Qualifikation und organisatorische Rahmenbedingungen für Innovation und Verbesserung schaffen

Hier muss mit einem verbreiteten und oft praktizierten Missverständnis aufgeräumt werden. Effiziente Prozesse setzen Personal frei. Stimmt. Das frei gewordene Personal muss entlassen werden, um die Kosteneffekte zu nutzen. Stimmt nicht. Toyota, anerkannter Weltmeister effizienter Produktionsprozesse, macht durch seine permanenten Effizienzsteigerungen ständig Mitarbeiter in den Prozessen überflüssig. Aus einem dann zu groß gewordenen Team werden allerdings nicht die schwächsten Mitglieder „entfernt“, sondern die Besten herausgenommen – und zu Verbesserungsspezialisten qualifiziert. Das hat zwar keine positive Wirkung auf den nächsten Quartalsbericht (siehe oben), stärkt aber die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems und ermöglicht nachhaltiges Wachstum.

Erfolgreiche deutsche Vorreiterunternehmen agieren ähnlich. Anstatt eine Politik des „hire and fire“ zu verfolgen, nutzen sie die Produktivitätsfortschritte konstruktiv. Darin liegt auch ein Grund dafür, dass diese Unternehmen trotz kontinuierlicher Effizienzsteigerungen auf lange Sicht nicht schrumpfen, sondern mit einem mindestens gleichbleibenden oder sogar erhöhten Personalstand wesentlich bessere Leistungen bringen.

Nicht nur reden, sondern auch machen – unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und der Kultur

Die Deutschen sind das Volk der Dichter und Denker. Sind sie auch ein Volk der Macher? Tatsächlich bekommt man bisweilen den Eindruck, dass es hierzulande mehr Tagungen zu Lean Management gibt als erfolgreich umgesetzte Beispiele.

In Veränderungsprojekten ist es fundamental, schnell in eine pilothafte Umsetzung zu gehen, damit die betroffenen Mitarbeiter Vertrauen fassen können. Deshalb führt der Weg zur Exzellenz vor allem über erfolgreich umgesetzte Projekte. Nur so entstehen Aha-Effekte nach dem Motto „das funktioniert ja tatsächlich“. So genügt es beispielsweise nicht, im Sinne der digitalen Fabrik ein neues Arbeitssystem im Computer zu entwerfen und auszuplotten. Vielmehr werden die Arbeitssysteme in einem Workshop in realer Größe modelliert. Hier hat sich die Arbeit mit Pappmodellen aus Umzugskartons bewährt, die ein gutes Gefühl für Dimensionen und Anordnungen vermitteln. Der Schritt zur Umsetzung in „Stahl und Eisen“ ist dann nur noch ein kleiner: das Arbeitssystem wird in der Halle aufgebaut und geht nach einer kurzen Einarbeitungsphase „live“.


Abb. 6: Cardboard-Engineering (Quelle: SEWEurodrive)

Austausch und Weiterentwicklung mit den Besten

„Das stammt nicht von uns, kann also nichts taugen.“ Ein oft gehörter Beleg für das, was die Wissenschaft das „not-invented-here-Symptom“ nennt. Doch solche Sätze müssen der Vergangenheit angehören, begleiten sie doch den abwärts führenden Weg vom Einzelkämpfer zum Autisten.

Wie wir später noch sehen werden, beginnt bei uns jedes Projekt zu ganzheitlichen Wertschöpfungssystemen mit dem Besuch eines Vorreiterunternehmens. Diese Konfrontation mit umgesetzter Best Practice ist durch nichts zu ersetzen, so wenig wie der regelmäßige Austausch und Vergleich. Das hat mit blindem Kopieren nichts zu tun, denn in die eigene Weiterentwicklung fließt immer eigene Intelligenz ein. Hoffentlich.

Dem Unternehmen die Möglichkeit zum Atmen geben

Kurzfristige Marktschwankungen erfordern ein Höchstmaß an Flexibilität. Gerade im Personalbereich liegen Reserven, die noch nicht einmal annähernd ausgeschöpft sind. Toyota beispielsweise „atmet“ über einen Pool an freien Mitarbeitern, die bei Volumenschwankungen kurzfristig verfügbar sind. Auch das vermeintlich so restriktive deutsche Arbeitsrecht gibt den Unternehmen Gelegenheit, die nötige Flexibilität zu erreichen.

Über Vertrags- und Outsourcing-Partnerschaften können Kapazitätsschwankungen abgefangen werden, allerdings nur mit einem gewissen Vorlauf. Jederzeit abrufbar dagegen ist eine so genannte „Work-on-Call“-Reserve, in der Regel eingearbeitete Studenten oder Hausfrauen. Diese Reserve hat sich beispielsweise in Ferienzeiten sehr gut bewährt, so dass Qualitätseinbußen kaum zu befürchten sind. Bei Leiharbeit dagegen sollte die Eignung jeweils firmenspezifisch geprüft werden. Nicht immer sind die verfügbaren Qualifikationen dem Einsatzfall gewachsen. Auch die Stammbelegschaft kann und sollte flexibler einsetzbar sein. Nach dem Motto „Arbeitszeit ist, wenn Arbeit da ist“ könnte eine theoretische Bereitschaft von sieben Tagen in der Woche und 24 Stunden am Tag hergestellt werden, wenn über Arbeitszeitkonten ein Ausgleich möglich ist.

Die Summe der Maßnahmen kann in Einzelfällen eine kurzfristige Variationsbreite zwischen 50% und 180% des durchschnittlichen Ausstoßes bewirken. Ein Vorgang, der dem „Atmen“ schon sehr nahe kommt.

Leitsatz 3:

Tägliche, dynamische Verbesserung ist Kernkompetenz.

Von „Lean-Projekten“ zur „Lean-Kultur“

Weltweiter Maßstab für unternehmerische Exzellenz ist nach dem Verständnis vieler Fachleute Toyota. Für die Beschreibung der Methoden und Prinzipien des japanischen Autobauers hat sich der Begriff „lean“ (schlank) eingebürgert, womit vor allem effiziente, „verschwendungsarme“ Prozesse gemeint sind. Nun versuchen seit mehr als einem Jahrzehnt zahlreiche Unternehmen, dem Vorreiter nachzueifern und ihre Prozesse zu „verschlanken“. Vor allem in der Produktion konnten auf diese Weise erhebliche Potenziale erschlossen werden. Und trotzdem stellt man in den meisten Fällen fest, dass sich der Abstand zum „Klassenbesten“ nicht wirklich verringert hat. Neben zahlreichen Missverständnissen und Fehlinterpretationen ist dafür vor allem die Tatsache verantwortlich, dass man hierzulande zwar viele einschlägige Projekte und Initiativen auflegt, aber etwas halbherzig vor dem „großen Wurf“ zurückschreckt. Auf einen Nenner gebracht: viele Unternehmen haben exzellente Lean-Projekte, aber noch lange kein Lean-Kultur.

Die 14 Toyota-Prinzipien

1 Treffe Management-Entscheidungen unter langfristigen Gesichtspunkten (strategische Planung), auch wenn dabei kurzfristig finanzielle Nachteile entstehen.

2 Schaffe eine kontinuierliche Fließfertigung, um Probleme sichtbar zu machen

3 Pull statt Push – um Überproduktion zu vermeiden

4 Kontinuierliche Nivellierung der Produktion („Heijunka“) mit dem Ziel der gleichmäßigen Auslastung von Mitarbeitern und Anlagen: langsam, aber sicher, effizient und profitabel

5 „Andon“ – Behebe unverzüglich die Probleme, dort, wo sie entstehen

6 Standardisierung ist Grundlage für KVP-Aktivitäten und robuste Prozesse

7 Visuelle Kontrolle macht versteckte Probleme sichtbar

8 Verwende nur betriebssichere, robuste und verlässliche Technologien, die den Mitarbeiter und den Prozess unterstützen (Prozessstatt Technologiefokussierung)

9 Fördere Führungsnachwuchs aus der eigenen Organisation, der die Unternehmenskultur täglich lebt, gestaltet und die anderen Mitarbeiter begeistert

10 Erkenne und fördere außergewöhnlich talentierte Mitarbeiter und Teams, die die Unternehmensphilosophie unterstützen

11 Respektiere die Zulieferer und Partner. Durch ständiges Fördern und Herausfordern wird die Wettbewerbsfähigkeit aller Partner in der Wertschöpfungskette verbessert

12 „Genchi genbutsu“ – Mach Dir ein eigenes Bild der Situation, um Probleme besser zu verstehen

13 Die Konzeption eines Prozesses erfolgt langsam und unter Berücksichtigung aller möglichen Optionen. Die Umsetzung soll dagegen sehr schnell erfolgen („Nemawashi“)

14 Das Endziel ist es, eine lernende Organisation zu werden, die sich durch ständige Verbesserung ihre Wettbewerbsfähigkeit sichert. (Quelle: Jeffrey K. Liker: The Toyota Way)

Vielen dieser 14 Prinzipien werden Sie in diesem Buch wieder begegnen. Allerdings nicht in dem Sinne, dass wir das kritiklose Kopieren empfehlen würden. „Lauter kleine Toyotas“ sind mit Sicherheit der falsche Weg. Vielmehr geht es um die generelle Ausrichtung, die kontinuierliche Bewegung in Richtung Spitzenleistung. Mit Konsequenz zur Exzellenz.

„Lean Kultur“ heißt: alle Prozesse sind betroffen

Mit guten Produkten verdient man Geld, mit schlechten Prozessen verliert man es wieder. So einleuchtend dieser Satz sein mag, so problematisch ist die Trennung von Produkt und Prozess. Und doch ist sie in den Köpfen des Managements tief verwurzelt. Produkte entstehen in der Entwicklung, werden vom Vertrieb verkauft und dazwischen findet ein Produktionsprozess statt, der Geld kostet und Fehler macht…

Das Bewusstsein, dass sich Geschäftsprozesse nicht auf die eigentliche Herstellung begrenzen lassen, ist zwar nicht ganz neu, hat sich in der Praxis jedoch noch immer nicht durchgesetzt. Plakativ und schlicht lässt sich Wertschöpfung in folgendem Prozessbild darstellen.


Abb. 7: Wertschöpfung, grob vereinfacht

Diese triviale Darstellung dient einem pädagogischen Zweck: sie zeigt auf, dass alle wertschöpfenden Prozesse zusammen gehören, dass der Output eines Prozesses zum Input des nächsten Prozessen wird. Und umgekehrt: es existiert ein enger Zusammenhang zwischen Marketing/Vertrieb (sell it) und Produktion (make it). Effizient kann nur werden, wer alle Prozesse entsprechend gestaltet und steuert. Genau das wird gerne übersehen. Wie sonst könnte eine Diskussion der folgenden Art in vielen Unternehmen noch immer an der Tagesordnung sein:

Vertriebsleiter: „Wir können nur erfolgreich sein, wenn die Produktion Produkte bauen würde, die sich auch verkaufen lassen.“

Produktionsleiter: „Falsch. Verkauft ihr doch einfach die Produkte, die wir auch wirtschaftlich bauen können.“

Entwicklungsleiter: Schweigt und genießt.

Wertschöpfungsorientierte Prozessgestaltung, die diesen Namen auch verdient, begreift die gesamte Prozesskette bzw. Prozesslandschaft als zusammengehörend und zusammenhängend (interdependent).

Erst wenn dieses Bild auch in den Köpfen verankert ist, kann die Effizienzdiskussion auf einer gemeinsamen Basis geführt werden. Prozessinnovationen und -verbesserungen sind dann eben nicht auf einzelne Bereiche eingegrenzt, mit dem traditionellen Schwerpunkt auf der Produktion. Künftig muss das Augenmerk allen Prozessen gleichermaßen gelten, mit besonderer Konzentration auf die Zusammenhänge und Schnittstellen. Die Vorfreude vieler Produktionsverantwortlicher, dass jetzt „endlich auch einmal der Vertrieb und die indirekten Bereiche dran“ seien, ist verständlich, aber wenig zielführend. Es geht um die Gesamteffizienz, nicht um Insellösungen. Und im Sinne eines permanenten Strebens nach Perfektion kann es keine Ausnahmen geben.

„Lean“ stellt Konzepte mit „Selbstregelung“ in den Vordergrund

Prozesse, die geplant, angestoßen, koordiniert und gesteuert werden müssen, erzeugen Aufwand. Sei es in Form von Overheads, sei es in Form häufiger Fehlerbeseitigung. In dieser Hinsicht hat das klassische Fließband seine Vorteile: wenn es läuft, läuft es. Tatsächlich ist der Gedanke, einen stetigen Fluss oder Wertstrom zum obersten Prinzip von Prozessen zu erheben, durchaus zeitgemäß.

In einer deutlich erkennbaren Vorgänger-Nachfolger-Beziehung, wie sie Fließkonzepten eigen ist, steckt ein wichtiges Hilfsmittel zur Prozessoptimierung.

Ein bekanntes Beispiel stammt aus der Fabrik des Maschinenbauers Trumpf in Ditzingen (vgl. Spath, Ganzheitlich produzieren). Als die Montage der Maschinen von der klassischen Baustellenmontage auf das Fließprinzip umgestellt wurde, traten die Schwachstellen klar zu Tage. Dabei war viel technische und organisatorische Intelligenz nötig, um die tonnenschweren Maschinen durch die Halle fließen zu lassen (gelöst wurde das Problem mit Luftkissenfahrzeugen). Man hat diese Mühen nicht gescheut und erntet heute die Früchte in Form hoch effizienter, verschwendungsarmer Prozesse.

In ganz ähnlicher Weise kann, sollte und muss auch in den Unternehmensbereichen vorgegangen werden, in denen nicht Material, sondern Information „fließt“. Auch Work-Flow-Systeme lassen sich so gestalten, dass ein kontinuierlicher Fluss entsteht. Die notwendige Intelligenz ist vorhanden, die Mühe darf nicht gescheut werden.

„Lean“ heißt: Überdenken von Outsourcing-Entscheidungen

Diese Überschrift mag manchen Leser erstaunen, galt doch die Auslagerung ganzer Betriebsbereiche im Zuge der ersten „Lean-Welle“ als Standardbaustein der Verschlankung. Besonders häufig war der Betriebsmittel- und Vorrichtungsbau vom Outsourcing betroffen. Ein folgenschwerer Irrtum. Gerade in der Montage setzen echte „Lean-Konzepte“ auf intelligent automatisierte oder teilautomatisierte Lösungen, die in den Unternehmen selbst geplant und direkt umgesetzt werden.

Wettbewerbsdifferenzierung durch individuelle Arbeitsplatz- und -prozessgestaltung auf Basis firmenspezifischer Standards und permanenter Weiterentwicklung ist das Rezept der Vorreiter-Unternehmen. Dies erfordert jedoch spezifisches Know-how, Kompetenz und schnelle Reaktionsfähigkeit bei der technischen Umsetzung.

„Lean“ heißt: Die Verbesserung integrieren, organisieren – und leben

Kontinuierliche Verbesserung stellt sich nicht von selbst ein, sie muss organisiert werden. Das heißt, sie ist so in den Betrieb zu integrieren, dass sie zum selbstverständlichen Bestandteil der täglichen Arbeit wird. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu den gut gemeinten, aber meist schlecht integrierten Verbesserungsinitiativen der Vergangenheit. Diese wurden meist parallel zur Tagesarbeit vorangetrieben und nicht als integrierter Teil dieser Arbeit gesehen. So blieben die Programme Fremdkörper. Wie eine wirklich lebendige Verbesserungsorganisation aussieht, beschreiben wir Ihnen in Kapitel 3.

Leitsatz 4:

Exzellente Unternehmen nutzen internationale Standorte und globale Netzwerke für die Stärkung ihrer Position – auch der heimischen Standorte

Niemand ist ein Insel: internationale Standortkonzepte

Die Welle der Globalisierung hat erst begonnen. Marktführerschaft erfordert künftig noch mehr eine offensive, effiziente und zielorientierte Internationalisierung. Dabei hat die Ausprägung des weltweiten Produktions- und Logistiknetzwerkes entscheidenden Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit.

Viele Unternehmen, darunter zahlreiche Mittelständler, haben damit begonnen, global vernetzte Wertschöpfungsketten, einen internationalen Standortverbund aufzubauen. Sie nutzen die Kostenvorteile in Niedriglohnländern durch Fabriken für die zentrale Vorfertigung an diesen Standorten. Marktnahe Fabriken für die Endfertigung sorgen dann dafür, die Kunden wunschgemäß, reaktionsschnell und flexibel zu beliefern. Durch diese Ausrichtung des Standortverbundes lassen sich die unterschiedlichen Vorteile und Stärken optimal nutzen: geringe Faktorkosten einerseits und große Marktnähe andererseits.

Führung durch weltweite Standards

Internationale Standortverbünde werfen ein erhebliches Komplexitätsproblem auf, insbesondere dann, wenn es um Führbarkeit oder Steuerung geht. Hier werden definierte – und gelebte – Prozess-Standards lebenswichtig. Denken Sie an eine bekannte, weltweit aktive Fastfood-Kette. Die Restaurants funktionieren überall nach dem exakt gleichen Muster.


Abb. 8: Standortstrategie

Dieser weltweit einheitliche Standard führt zu „strukturellen Mengeneffekten“ in dem Sinne, dass extrem schnelle Anläufe möglich sind, die Qualität gleich bleibt und Produktivität oder Wirtschaftlichkeit einfach zu überwachen sind.

Auf industrielle Prozesse übertragen heißt das, dass der weltweite Prozessstandard „Exzellenz“ sein muss. Dieser Exzellenzgrad kann definiert, gemessen, überwacht – und kontinuierlich verbessert werden. Weltweit. Das zentrale System, um die Exzellenz voranzutreiben, ist das Wertschöpfungssystem, wie wir es Ihnen in diesem Buch vorstellen. Und: das Wertschöpfungssystem bildet einen optimalen Rahmen, um weltweite Werksverbünde zu führen.

Hat der Standort Deutschland noch eine Chance?

So fragen sich viele. Die führende Wirtschaftszeitung PRODUKTION hat daraus sogar eine Initiative gemacht. Die Diskussion um die Produktion und den „richtigen“ Standort ist, so konstatieren wir, in vollem Gange. Hohe Löhne, Lohnnebenkosten, Abgaben und Steuern werden dafür verantwortlich gemacht, dass Niedriglohnstandorte an Attraktivität gewinnen und Unternehmen über Standortverlagerungen nachdenken.

Wer bei einer der Suchmaschinen beispielsweise den (provozierenden) Begriff „Manufacturing is dead“ eingibt, wird auf mehr als 300 Treffer stoßen. Auf Einträge aus jüngster Zeit – allerdings meist von entschiedenen Gegnern dieser These.

In diese Grundsatzdebatte wollen wir uns nur insofern einschalten, als wir einmal mit der „Wertschöpfungsexzellenz-Brille“ darauf schauen wollen. Denn wer deutsche Unternehmen im Hinblick auf ihre Standortstrategie einmal systematisch analysiert, gelangt zu der folgenden, und wie wir meinen: logischen Erkenntnis: Gerade exzellente Unternehmen charakterisieren sich wie bereits erwähnt durch Stabilität, ja teilweise Wachstum am Standort Deutschland. Unternehmen, die ihre Innovationsprozesse stärken, die nach maximaler Wertschöpfung streben und eine dynamische Verbesserungskultur in Richtung BestPractice leben, gelangen zu einer deutlichen Wettbewerbsdifferenzierung. Und damit zu einem schwer einholbaren Vorsprung.

Im Stammmarkt Europa kann durch Liefertreue, Schnelligkeit und herausragender Qualität ein Lohnkostennachteil mehr als ausgeglichen werden. Voraussetzung ist hier allerdings das Streben nach Perfektion und Effizienz. Im Gegensatz hierzu suchen viele Unternehmen aus meiner Sicht viel zu früh das Heil im Niedriglohnland.

Die steigende Quote der „enttäuschten Rückverlagerer“ zeigt allerdings: wer Kosten auf der Basis nicht optimierter Prozesse und instabiler Abläufe vergleicht, wer Standortverlagerungen vorrangig unter Kostengesichtspunkten plant, hat keinen Erfolg. Kurzfristig möglicherweise schon – aber langfristig und nachhaltig eher selten…

Hohe Zusatzaufwände für Qualität und Logistik bringen die ursprünglichen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen schnell zum Kippen. Nichtsdestotrotz erfordert Stabilität am Standort Deutschland auch, neue Wachstumsmärkte zu erschließen. Wer beispielsweise in China Fuß fassen möchte, muss auch in China Produkte adaptieren und dort produzieren. Die Basis wird aber, davon sind wir zutiefst überzeugt, weiter die Exzellenz am Standort Deutschland sein (Quelle: PRODUKTION Nr. 32/2005).

Was spricht für den Industriestandort D?

Sicherlich sind die Menschen der größte Standortvorteil. Denn hinter vielen leistungsstarken Produkten stehen erfahrene, hochqualifizierte Mitarbeiter, die eng mit dem Unternehmen verbunden sind – Garant für den Unternehmenserfolg. Darüber hinaus verfügt Deutschland über eine hervorragende Infrastruktur und sehr große Innovationskraft. Allerdings dürfen sich Unternehmen nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und müssen mit Innovationen als Differenzierungsmerkmal neue Geschäftsfelder erschließen und ertragsbringende weiter kultivieren.

Leitsatz 5:

Exzellente Unternehmen beziehen ihre Lieferanten, die gesamte Supply-Chain, in alle Überlegungen mit ein.

Ganzheitliche Optimierung der Supply Chain

„Eine Kette ist genau so stark wie das schwächste Glied.“ Dieser Satz gilt auch für die industrielle Lieferkette von den Lieferanten des Lieferanten bis zu den Kunden des Kunden. Kurz: für die Supply Chain. Wer glaubt, das Thema Supply Chain Management sei weitgehend abgehandelt, befindet sich im Irrtum. Noch immer bleibt die Liefertreue, gemessen entlang der gesamten Kette, in den meisten Fällen weit hinter dem zurück, was man als „exzellent“ bezeichnen könnte. Eine Ursache dafür ist, dass der Anspruch, ganze Lieferketten auf einmal zu betrachten, an der Wirklichkeit vorbeigeht. Konsequent wäre, wenn sich jedes Unternehmen zunächst um seine Kunden und die Zusammenarbeit mit seinen Lieferanten kümmert. Und da gibt es genug zu tun.

Lieferanten – Partner im Exzellenz-Prozess

In den letzten Jahren sind Beschaffungsanteile an der Gesamtwertschöpfung kontinuierlich gestiegen. Gleichzeitig ändert sich die Qualität der Zusammenarbeit – hoffentlich. War eine Lieferbeziehung traditionell geprägt durch Verhandlungen zwischen Einkauf einerseits und Vertrieb andererseits, so wird sich künftig jeder wertschöpfende Bereich für ein konstruktives Miteinander öffnen müssen. Bisher standen hauptsächlich Kosten und Preise im Zentrum der Diskussion, künftig aber wird der Fokus stärker auf der Schaffung gemeinsamen „Mehrwerts“ liegen. Unternehmen, die die Kreativität ihrer Lieferanten in gemeinsamen Verbesserungsprojekten nutzen, erzielen damit zudem größere Kostensenkungen, als sie über harte Einkaufsverhandlungen je erreichen könnten.


Abb. 9: Entwicklung von Lieferanten zur Exzellenz

Allerdings lässt sich eine solche Partnerschaft nicht von heute auf morgen „per Dekret“ verordnen. Vielmehr führt eine stufenweise, gemeinsame Entwicklung zur langfristigen Partnerschaft. Und zur Exzellenz (vgl. Abb. 9).

Wir zitieren: „Denken in ganzheitlichen Prozessen macht nicht vor Werkstoren Halt. Will man seine Lieferanten integrieren, so erfordert dies übergreifende Management- und Gestaltungsansätze, neue Konzepte zur Prozessoptimierung sowie durchgängige Abläufe und Verfahren im gesamten Produktlebenszyklus. Auf diesen wichtigen Punkt kam auch Ernst Baumann, Vorstandsmitglied der BMW AG, (Baumann 2002) zu sprechen, als er 2002 bei einem Vortrag sagte: ‚Was wir für einen solchen Beschaffungsprozess vor allem brauchen, ist die eigene Kompetenz, Zulieferer in unsere Prozesse zu integrieren. Die Zulieferer müssen deshalb genauso wie die Hersteller entscheiden, in welchem Umfang sie sich spezialisieren und bestimmte Segmente bedienen. Auch ein dynamischer Markt bietet nicht immer exakt das, wonach wir suchen. Lösungen und Entscheidungs-Freiräume werden dann dadurch geschaffen, dass beide Partner, die Zulieferer wie wir als Hersteller, ihre Eigenleistung flexibel definieren. Dafür muss jedes Unternehmen wissen, wo seine Ressourcen liegen und seine Kernkompetenzen.’ Ergänzend wollen wir anmerken, dass es sicherlich elementar wichtig ist, auch die Kernprozesse zu beherrschen. Und weiterzuentwickeln.

Das Ziel der Integration lautet, die Zusammenarbeit im Netzwerk zu optimieren – und zwar durch eine integrative Gestaltung des kompletten Wertschöpfungsnetzwerkes. Daraus ergibt sich wiederum eine Reihe von Forderungen:

 Produktions- und Logistikstrategie müssen übereinstimmen.

 Prozesse müssen optimiert werden.

 Information und Kommunikation müssen verbessert werden – gerade unternehmensübergreifend.

 Aufgaben- und Kompetenzverteilung müssen optimiert werden. Hier gilt es, das spezifische Know-how der Lieferanten maximal zu entwickeln und zu nutzen.

 Das Innovationspotenzial im Netzwerk muss besser genutzt werden.

 Die Effizienz des Entwicklungsprozesses muss gesteigert werden.

 Das Änderungsmanagement muss dringend professionalisiert werden. Denn Änderungsmanagement ist unternehmensintern bereits eine gewaltige Herausforderung – und noch mehr, wenn es um einen unternehmensübergreifenden Ansatz geht“ (Haas, Romberg 2005).

Leitsatz 6:

Exzellente Unternehmen beherrschen und managen Komplexität gemäß der Erkenntnis „Die Steigerung von intelligent ist… einfach!“

Die Steigerung von intelligent ist… EINFACH

Wir sprachen bereits über Komplexität und die Gefahr, sie mit Kompliziertheit zu verwechseln. Dabei wussten die Philosophen schon immer, dass „das Einfache Zeichen der Wahrheit“ ist. Dieses Diktum gilt unverändert. Im Zusammenhang mit der betrieblichen Wertschöpfung heißt das, dass man bestrebt sein sollte, klare, transparente Strukturen zu schaffen. Unser Handlungsumfeld ist unübersichtlich genug, wir müssen diese Komplexität nicht noch dadurch steigern, dass wir intern Verwirrung stiften. Aber: Einfachheit braucht Mut. Wer sich nicht hinter pseudo-komplizierten Nebelschwaden verbirgt, macht sich sichtbar und angreifbar. Trotzdem oder gerade deshalb: organisatorisch und technisch ist die einfache Lösung fast immer die bessere. Das gilt für Prozessgestaltung oder Automatisierung in besonderem Maße. Nicht das Machbare sollte hier im Vordergrund stehen, sondern das Sinnvolle. Man kann nicht behaupten, dass diese Sicht in unserem Selbstverständnis eine lange Tradition hat: noch immer werden Verrichtungen durch Technikeinsatz eher verkompliziert, statt sie konsequent zu vereinfachen. Dadurch erschwert man nicht zuletzt die Möglichkeit zur Verbesserung. Man denke beispielsweise an das Thema Rüstzeiten, nach Ansicht vieler Experten eine Achillesferse der deutschen Industrie auf dem Weg zur wirtschaftlichen Fertigung kleiner Lose. Hohe technische Integration ist fast immer gleichzusetzen mit langen Rüstzeiten. Die gefeierten Maschinenstars der Massenfertigung, hoch komplexe, technisch ausgefeilte Automaten, stehen heute in den Fabrikhallen wie Dinosaurier: nicht intelligent genug, sich der veränderten Umwelt anzupassen und zu groß, um übersehen zu werden.

Vereinfachung durch prozessorientierte Fabrikstrukturen und Segmentierung

Die Bildung kleiner unternehmerischer Einheiten trägt wesentlich zur Vereinfachung bei – allerdings nur dann, wenn man die Prozesse durchgängig betrachtet und die Schnittstellen minimiert. Innerhalb dieser „small factory units“ gilt das Fließprinzip, steuerungsseitig zusätzlich vereinfacht durch Pull-Systeme wie Kanban. Das Layout ist am Wertstrom ausgerichtet, die Fabrikstruktur transparent – Bestände, Rückstände oder Unordnung sind auf den ersten Blick zu erkennen. In einer exzellenten Fabrik kann man den Wertstrom „flussaufwärts“ verfolgen, von der Auslieferung bis zum Wareneingang, ohne sich einmal zu „verlaufen“. Die Logik ist durchgängig – und einfach. Die einfache Fabrik beginnt beim Produkt. Nur Produkte, die in Baukastensystemen modularisiert sind, können in einer Baukastenmontage einfach produziert werden. Außerdem muss das Produktprogramm hinsichtlich der Volumenteile segmentiert sein. Das heißt, dass zumindest Rennerteile und Exoten organisatorisch zu trennen sind. Man kann erkennen: die intelligente Vereinfachung braucht sorgfältiges Nachdenken über Produkte, Prozesse und Organisation. Operatives Gewurstel führt ins Chaos, und Exzellenz gibt es eben nicht zum Nulltarif.

Leitsatz 7:

Exzellente Unternehmen treiben BestPractice über ein handlungsorientiertes Wertschöpfungssystem aktiv und kontinuierlich voran.

Was Produktionssysteme sind

Unter dem Label „Schlanke Produktion“ haben viele Unternehmen in den vergangenen Jahren Veränderungsprozesse in die Wege geleitet. Fakt ist allerdings: die eingesetzten Methoden und Instrumente wurden einzeln, unabgestimmt und isoliert umgesetzt und verfolgt. Implementierungsprozesse verliefen im Sande, Lösungen passten nicht zusammen oder wurden von den Mitarbeitern nicht angenommen. Entsprechend unbefriedigend fielen die Ergebnisse aus. Vor diesem Hintergrund ist die Konzeption und Ausgestaltung von Ganzheitlichen Produktionssystemen zu sehen. Denn sie räumen die oben genannten Schwächen aus. Ganzheitliche Produktionssysteme sind der Versuch, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Maßnahmen transparenter zu machen und eine Grundlage für ein koordiniertes Vorgehen zu schaffen. Ganzheitliche Produktionssysteme führen Einzelkonzepte zu einem stimmigen Gesamtsystem zusammen.

Bekannt wurde der Begriff durch das Toyota Produktionssystem, kurz: TPS – quasi der „Mutter aller Produktionssysteme“. Das TPS beschreibt Werkzeuge, Methoden und Prozesse, die das Fundament für die „Produktion ohne Verschwendung“ bei Toyota bilden.

„Produktionssystem“ ist im Deutschen ein etwas unglücklicher Begriff. Ursprünglich aus dem Japanischen kommend (wo es schlicht „das Produzieren“ meint), hat der Begriff über das Amerikanische („production system“) schlussendlich auch Eingang in unsere Sprache gefunden. Unternehmen, die Produktionssysteme in den vergangenen Jahren eingeführt haben, hatten sich zunächst einmal klar auf den Produktionsbereich beschränkt.

Die Entwicklung im weltweiten Wettbewerb zwingt uns förmlich, unsere Leistungsfähigkeit mit Wertschöpfungssystemen (vgl. Abb. 10) konsequent zu steigern. Allerdings können wir diese Systeme nicht von der Stange kaufen, sondern wir müssen sie entsprechend unserer Fähigkeiten und Stärken individuell entwickeln. Nur so erreichen wir Exzellenz.

Was Wertschöpfungssysteme sind

Wertschöpfungssysteme bilden den Handlungsrahmen für Exzellenz. In diesem lapidaren Satz verbergen sich ganz konkrete Wirkungen für das Management:

 Es entsteht ein greifbares, verbindliches Bild für alle Beteiligten. Durchblick und Einsicht nehmen zu, Begehrlichkeiten werden geweckt.

 Durchgängige, integrierte Prinzipien werden für das gesamte Unternehmen definiert und implementiert. Die Zeiten der „getrennten Welten mit eigenen Gesetzen“ sind endgültig vorbei.


Abb. 10: Wertschöpfungssystem

 Einfache Handlungsanleitungen auf Arbeitsebene vereinfachen die Umsetzung von Maßnahmen.

 Gute oder exzellente Lösungen können schnell nachgeahmt und im Unternehmen vervielfältigt werden.

 Die Führbarkeit komplexer, globaler Unternehmensnetzwerke wird erheblich erleichtert.

 Ein durchgängiges Auditsystem sorgt für Messbarkeit und Vergleichbarkeit.

Der Aufbau eines Wertschöpfungssystems folgt dem Grundmuster „BestPractice erarbeiten – Standards implementieren – Wissen multiplizieren“. Den Weg zu Ihrem Wertschöpfungssystem lernen Sie in den folgenden Kapiteln kennen.

Mit Konsequenz zur Exzellenz

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