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Ausgefallen

Jeden Tag brechen Horrornachrichten durch Funk und Fernsehen über mich herein. Damals, fünf Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, erblicke ich das Licht der Welt. Da erscheint die Welt fast wieder in Ordnung zu sein, erzählt man mir. Deutschland ist ein geteiltes Land, jedoch im Wiederaufbau und mir hat es an nichts gefehlt. So vergeht die Zeit. Viele Geburtstage habe ich an schönen Orten feiern dürfen. Geburtstage auf der Insel Sylt, in Schottland und vielen anderen wunderbaren Urlaubszielen waren mir gegönnt. In diesem Jahr allerdings habe ich den Wunsch geäußert einen ausgefallenen siebzigsten Geburts-tag an der Nordsee zu feiern. Schon Anfang März haben wir ein Zimmer und die Fahrkarte mit der Bahn gebucht.

China liegt ja in weiter Ferne, als die ersten Nachrichten über die Verbrei-tung der Corona-Virus-Krankheit mir zu Ohren kommen. In weiter Ferne? Es dauert nicht lange, da ist die weite Ferne vor unserer Haustür und die Pandemie fast überall in der Welt angelangt. Ausgehverbote, Schließen von Gaststätten und Geschäften, Absagen von öffentlichen Veranstal-tungen werden zum zum Alltag. Ein kleiner Spaziergang in freier Natur ist an vielen Orten gestattet, natürlich mit behörlich bestimmtem, gebühren-dem Abstand. Gassigehen mit seinem vierbeinigen Liebling, ja das ist schließlich erlaubt. Langeweile macht sich in häuslicher Gemeinschaft breit. Die „Glotze“, die mit furchterregen-den Informationen übersäät ist, heitert auch keineswegs das Gemüt auf. Mundschutz im öffentlichen Raum ist gefordert. Ein Besuch unserer Enkelkinder oder einen lieben Menschen im Seniorenheim wieder mal zu sehen ist ebenfalls ein Tabu. Meinen Herzenswunsch, eine Portion „Kibbeling“ in einem Restaurant an der Waterkant als Geburtstagmahl zu genießen, kann ich auch vergessen. Alles Angenehme fällt aus. Ich habe jetzt die Schnauze voll, ich will endlich raus, aus diesem Elend. Nun versuche ich noch meine Reise-rücktrittsversicherung in Anspruch zu nehmen. „Wegen Corona ist eine Rückvergütung ausgeschlossen“, ver-ärgert mich eine Tonbandansage, als ich bei der Versicherung anrufe, wohin, ist hier die Frage? „Frau Google“ weiß fast immer Rat! Also gebe ich in der Suchmaschine die Frage nach einem Land ein, das von dieser Epidemie noch nicht heim-gesucht ist. Ja, kaum zu glauben, dass es das noch geben würde. „Nauru“ nennt sich diese kleine, fast kreisrunde Insel im Pazifik in der Nähe des Äquators. Einundzwanzig Quadratkilometer ist sie groß. Mit etwa dreizehntausend Einwohnern gilt sie derzeit noch als „CORONAFREI“. Meinen Geburtstag am Strand bei sonnigem Wetter feiern, das wäre doch ein Erlebnis, das ich mir gönnen sollte. Im Netz stöbere ich nach weiteren Informationen. Vielleicht erhalte ich vom Auswärtigen Amt Angaben, die ich für diese Reise benötige. “Reisepass dringend erforderlich“! Na ja, das Verfalldatum meines Reisepasses ist schon lange abgelaufen und die zuständige Pass-stelle bei unserer Gemeinde ist wegen der Pandemie auch nicht in der Lage meinem Wunsch nach einem Pass kurzfristig nachzukommen. Außerdem müsste ich beim „Nauruischen Immigrations-Depart-ement“ ein Visum beantragen. Ob so etwas kurzfristig auch möglich wäre? Ich stöbere neugierig weiter an meinem PC nach Wissenswertem über diesen Kleinststaat. „Lebenser-wartung bei Männern: achtundfünfzig Jahre, infolge Fettleibigkeit der Insulaner“, erfahre ich dabei. Ich bin doch nicht dick und außerdem schon fast siebzig. Ein Reisebericht eines Weltenbummlers, namens Rudolf, gibt eine zerschmetternde Beurtei-lung über den Zustand der Insel ab, die einem jegliche Lust zu einem solchen Reiseziel vergehen lässt.

Die Lage ist haarsträubend: „Rette sich, wer kann“, aber wohin?

Einen ausgefallenen Geburtstag habe ich mir sehnlichst gewünscht. So wie ich es nun sehe, wird ein „ausge-fallener Geburtstag“ auch auf diese Art wohl ausfallen.

Heinz Ludwig Wüst

Corona, Klopapier & Co

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