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Musik

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Die Nationalsozialisten hassten Jazz. Rosenberg sprach von »Niggerstep«, und Goebbels beharrte darauf, dass die »Melodie« die Quelle aller Musik sei.227 Um Jazz aus dem Kulturbetrieb in Deutschland zu entfernen, wollten sie ihn unmodern machen, obwohl sie ganz genau wussten, dass Jazz, der als elitär galt, ohnehin nur eine kleine Minderheit sozialer Aufsteiger und einige Jugendliche aus gehobenem Elternhaus (potenzielle künftige Führungspersönlichkeiten) ansprach. Im Oktober 1935 wurde Jazz im Rundfunk, wo er häufig in gewöhnliche Tanzmusik eingebettet war, verboten; schwieriger war es, dergleichen in der Öffentlichkeit durchzusetzen, obwohl Jazzmusiker im Umfeld vonBerliner Edelclubs bereits belästigt worden waren. Die Goldene Sieben war bereits von der Bildfläche verschwunden; nun sollten Bigbands (eigentlich Tanzorchester) wie jene von Barnabas von Géczy oder Oskar Joost ihre Musik von Jazzspezifika wie verminderten Blue Notes und stark synkopierten Rhythmen säubern und auf einfachere, altmodische melodische und rhythmische Strukturen zurückgreifen. Zudem wurde im März 1936 ein deutschlandweiter Senderwettbewerb zur Ermittlung der für das Reich idealen deutschen Jazzband organisiert. Damals galt selbst das von Fritz Weber geleitete Orchester, die erste Wahl von Radio Hamburg, den Sachbearbeitern im Propagandaministerium noch als zu jazzig, weshalb Radio Frankfurts Kandidat, eine vom völlig unbekannten Willi Burkart geleitete Tanzkapelle, zum Sieger erklärt wurde. Während der populäre Weber überall in Deutschland vor vollen Häusern spielte, wurden Burkart und seine Musiker von Jazzliebhabern durchweg abgelehnt, sodass das Propagandaministerium seine Schlappe eingestehen musste.228 Ein zweiter, 1937 gestarteter Versuch, Oskar Joosts entjazztes Orchester zur Musterkapelle zu erklären, schlug fehl, weil der den Nationalsozialisten ergebene Leiter zu selbstgefällig war und Goebbels’ Ministerialverwaltung die Sache verpfuschte.229

Schließlich entwickelte Wilhelm Hartseil vom Sender Leipzig, ein fanatischer SA-Mann, einen Plan, die Jazzmusik durch den Gesellschaftstanz zurückzudrängen. Es sollten, begleitet von geeigneten Orchestern und mit Unterstützung professioneller Tanzlehrer, neu komponierte Tanzstücke öffentlich aufgeführt und zugleich der aus den USA importierte Lindy Hop oder Swing durch deutsche Neuschöpfungen ersetzt werden. Die Sendereihe lief von Januar bis Herbst 1938, wurde aber nur in Sachsen wirklich bekannt. Verschiedene Orchester wurden vom Sender eingeladen und Hörer aufgefordert, ihre Kommentare zu der selbst nach bescheidenen Maßstäben äußerst banalen Musik abzugeben. Für Hartseil zählten vor allem die Briefe, die ihm bestätigten, dass »jüdischer« und »Nigger«-Jazz schrecklich seien und dass man nun auf echte deutsche Alternativen, auf neue Lieder und Tänze wie etwa den »Eisenbahntanz« zurückgreifen könnte. Hartseil präsentierte die Zuschriften nach eigenem Gutdünken seinen Vorgesetzten, die ihm jedoch eine Abfuhr erteilten.230 Danach gab es in den Monaten vor dem Krieg noch einige Wiederbelebungsversuche durch SA- und HJ-Musiker, jedoch ebenfalls ohne Erfolg.231 Den Nationalsozialisten war es trotz aller Bemühungen letztlich nicht gelungen, einen deutschen Ersatz für den Jazz zu finden, der nun in den Untergrund ging, wo er die Niederlage von 1945 überlebte.

Willi Stech, der erste Pianist der Goldenen Sieben, war als einziges Bandmitglied offenkundig Nationalsozialist. Seine Spielweise beeinflusste das nicht: Nach allem, was man weiß, spielte er genauso jazzig wie andere Studiomusiker. Das bestätigt frühere Erkenntnisse, denen zufolge die politische Überzeugung eines Musikers im Dritten Reich keinen Einfluss auf seine Darbietungen hatte. Auch ein Anhänger des NS-Regimes machte nicht notwendigerweise »Nazimusik«, ein Begriff, der, wie wir bereits sahen, fast unmöglich definiert werden kann. Dennoch stellt sich die Frage, welchen anderweitigen Einfluss die Parteizugehörigkeit eines Musikers auf seine künstlerischen Darbietungen haben mochte. Ist es denkbar, dass nicht sein Können, sondern seine politische Überzeugung den Ausschlag für ein Engagement gab? Oder gab es Nationalsozialisten in der Musikszene, die hochqualifiziert waren und auch in jedem anderen politischen System Hervorragendes geleistet hätten?

In dieser Hinsicht gab es im Dritten Reich mehr als nur ein Szenario; eindeutige Profile lassen sich bei Musikerbiographien nicht zeichnen. Eine nach dem Zufallsprinzip zusammengestellte Gruppe von Musikern, die unter jedem Regime erfolgreich gewesen wären, umfasst Günther Ramin, Li Stadelmann, Tiana Lemnitz, Maria Ivogün, Michael Raucheisen und Elisabeth Schwarzkopf. Da sie bereits in der Weimarer Republik Karriere gemacht hatten, brauchten sie den Nationalsozialismus nicht für ihren Erfolg. Das gilt jedenfalls für den Kirchenorganisten Günther Ramin (geb. 1898), der bereits im Alter von 20 Jahren an der berühmten Leipziger Thomaskirche spielte und mit 23 Professor war. Vielleicht verleitete ihn sein Ehrgeiz dazu, sich NS-Politikern anzudienen; jedenfalls arbeitete er schon früh mit Rosenbergs NSKG zusammen und spielte im April 1935 auf Görings Hochzeit (mit der Schauspielerin Emmy Sonnemann), ebenso auf dem Reichsparteitag 1936. Auf einer Tour durch die USA 1933 machte er sich über die Klagen jüdischer Emigranten lustig.232

Die zwei Jahre jüngere Cembalistin Li Stadelmann war bereits gegen Ende der Weimarer Republik eine erfolgreiche Kammermusikerin, allerdings besessen von Angst vor der Konkurrenz durch begabte Juden. Immerhin vertraute sie darauf, dass mit Hitler »nun unsere deutschen Meister deutsche Ausdeuter finden werden«. Sie hegte ganz sicher nationalsozialistische Überzeugungen, weil sie zur Vorhut jener gehörte, die – für die NS-Musikszene typisch – Bach zur Kultfigur erhoben und seine Musik wiederbeleben wollten.233 Ähnlich verlief die Karriere der Sopranistin Tiana Lemnitz (geb. 1897), die nach Engagements in Aachen, Hannover und Dresden 1934 zum Ensemble der Berliner Staatsoper gehörte und für ihre brillante Partie der Eva in Wagners Die Meistersinger von Nürnberg berühmt wurde. Hitler hörte sie häufig und war begeistert; 1937 ernannte er die Parteigenossin zur Kammersängerin.234 Lemnitz’ Kollegin Maria Ivogün war schon mit Anfang zwanzig, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, von Bruno Walter entdeckt worden. Richard Strauss schätzte sie sehr, und sie machte als Zerbinetta in seiner Oper Ariadne auf Naxos 1924 in Covent Garden Furore. Auch Hitler hatte sie noch vor der Machtergreifung hoch gelobt; damals war sie gerade aus dem Opern- ins Liederfach übergewechselt. Begleitet wurde sie von ihrem Ehemann, Michael Raucheisen, einem eingefleischten Nationalsozialisten. Das Multitalent Raucheisen – neben dem Klavier beherrschte er Flöte und Geige – war in den zwanziger Jahren mit dem (»halbjüdischen«) Geiger Fritz Kreisler international auf Tour gewesen – 1945 sollte nur der englische Pianist und Liedbegleiter Gerald Moore ihm ebenbürtig sein. Im Dritten Reich waren Ivogün und Raucheisen gern gesehene Partygäste bei Hitler und insbesondere Goebbels.235 Ivogüns Starschülerin wiederum war Elisabeth Schwarzkopf (geb. 1915), die 1992 zur Dame of the British Empire erhoben wurde und 2006 in Österreich starb. Ihre Karriere verlief steil nach oben. Bereits mit Anfang zwanzig trat sie am Deutschen Opernhaus in Berlin auf, war aber auch leitend in der NS-Studentenschaft tätig. Ihre Laufbahn führte sie nach Wien, wo sie unter Karl Böhm reüssierte und Zugang zu höchsten NS-Kreisen erhielt. Sie wurde schließlich die Geliebte des SS-Obergruppenführers Hugo Jury, seines Zeichens Gauleiter von Niederdonau und Kulturliebhaber, und stand bei Kriegsende an der Schwelle zu einer noch bedeutenderen Karriere als internationaler Opernstar.236 Aus dem Rückblick lässt sich sagen, dass Schwarzkopf diese Höhen auch ohne die Nazis erklommen hätte. Nazi oder nicht: Das musikalische Können jedes Einzelnen der hier Genannten sprach für sich.

Es gab allerdings Musiker, deren Kunst litt, weil sie sich mit der Ideologie oder Politik der Nationalsozialisten einließen. So ging es dem Geiger Gustav Havemann. Er hätte besser daran getan, sich völlig auf seine Karriere zu konzentrieren, wie er es in der Weimarer Republik als Professor und Primarius eines renommierten Streichquartetts getan hatte. Aber 1932 setzte er auf die Nationalsozialisten, wurde Funktionär des KfdK und übernahm dessen Sinfonieorchester, das aus arbeitslosen Musikern bestand. In Goebbels’ Reichsmusikkammer in leitender Position tätig, vernachlässigte er sein Geigenspiel, um stattdessen als mittelmäßiger, aber gut bezahlter Dirigent aufzutreten. Aber der Liebhaber von Frauen und Alkohol stolperte 1935 über die Hindemith-Affäre. Er stand auf der Seite des Komponisten – an sich ein Zeichen von Integrität – und verlor mit 53 Jahren seinen Posten in der RMK. Er nahm zwar seine Tätigkeit als Geiger wieder auf, war aber nur noch ein Schatten seiner selbst.237 Auch der vier Jahre jüngere Robert Heger verriet seine Muse, zwar nicht als Dirigent (da war er passabel), aber als Komponist mit seiner Oper Der verlorene Sohn, die 1936 in Dresden Premiere hatte. Alle seine Opern (fünf insgesamt) waren im Geist der spätromantischen Tradition komponiert, schreibt Erik Levi, »ohne künstlerische Originalität zu erreichen«. Was ihn jedoch als Musiker kompromittierte, war die erwähnte Oper, mit der er Flüchtlingen aus ehemals deutschen Gebieten ein Denkmal errichten wollte – seine eigene Familie war aus Straßburg von den Franzosen vertrieben worden, viele seiner Zeitgenossen mussten das nun zu Polen gehörende Westpreußen verlassen.238

Zu Beginn des sogenannten Dritten Reiches wurde Rosalind von Schirach (geb. 1898) noch als »Idealerscheinung des nordisch-arischen Sängerinnentyps« gepriesen. Und man mag ihr verzeihen, dass sie 1935 vom Berliner Opernhaus an die anspruchsvollere Staatsoper wechselte; schließlich war die Tochter eines Theaterintendanten auch die Schwester des Reichsjugendführers Baldur von Schirach. Unter Musikern hatte sie sich allerdings weniger als Sängerin denn als NS-Aktivistin einen Namen gemacht, eifrig damit beschäftigt, seit ihrem Debüt am Opernhaus 1930 dort eine NS-Betriebsorganisation aufzubauen. Unterstützung fand sie bei ihrem Liebhaber Gerhard Hüsch (geb. 1901), der, ein ausgezeichneter Bariton, bereits 1934 vom Opernhaus an die Staatsoper gewechselt war und sich danach als Interpret von NS-Liedern wie »Das Hakenkreuz« und »Deutschland erwache!« hervortat.239

Zum Inbegriff einer kompromittierten Künstlerin wurde die Pianistin Elly Ney. Das 1882 geborene Wunderkind hatte 1901 den Mendelssohn-Preis gewonnen und bis 1930, vor allem auf Konzerttouren in den USA, Karriere gemacht. Doch entwickelte sie, wie Stadelmann, eine Abneigung gegen jüdische Kollegen, die auf Erfahrungen mit ihrem Lehrer Isodor Seiss zurückging. An dessen Geruch schon habe sie »das Artfremde« erkannt. Als sie Anfang 1933 gebeten wurde, in Hamburg bei einem Konzert für den jungen Rudolf Serkin einzuspringen, der als Jude bereits Auftrittsverbot hatte, betrachtete sie das als Beleidigung. Sie wurde Mitglied diverser NS-Organisationen und trat besonders gern bei der HJ auf, wo sie erst gewundene ideologische Einführungsvorträge hielt und dann hauptsächlich Beethoven spielte. Den Zenit ihrer Laufbahn hatte die temperamentvolle Frau mit dem beethovenähnlichen Haarschopf allerdings längst überschritten; sie wurde hauptsächlich wegen ihrer Treue zum Regime unterstützt.240

Ob Musiker nun dem Regime nahestanden oder nicht, sie gaben nur die Musik wieder, die für sie geschrieben worden war, und die war nicht politisch gefärbt. Bei den Komponisten sieht das etwas anders aus. Unter den Jüngeren, den um die Jahrhundertwende Geborenen, neigten die einigermaßen Prominenten nach 1933 in ihrem musikalischen Schaffen zu Abenteuerlust wie auch zu Anpassungseifer an das neue Regime. Eine Gruppe umfasst Komponisten, deren Musik zwar innovativ, aber nicht so bedeutungsvoll war, dass sie nach 1945 in Erinnerung geblieben wäre. Eine zweite Gruppe war in dieser Hinsicht erfolgreicher, wenngleich nur drei Namen hier Erwähnung finden können, da auch sie mittlerweile fast vergessen sind. Die Ausnahme bildet Carl Orff, der durch eine einzige Komposition auf Opernbühnen und in Konzerthallen bis heute präsent ist.

Zu ersten Gruppe gehört Hugo Distler, der als 25-Jähriger im Mai 1933 in die NSDAP eintrat und 1937 Lehrer an der Hochschule für Musik in Stuttgart wurde. Er war, wie Hindemith Ende der zwanziger Jahre, begeistert von neobarocken Kompositionsformen, experimentierte mit Pentatonik und Ganzton-Leitern. Das brachte ihn an die Grenzen konventioneller Harmonik, auch wenn er die Zweite Wiener Schule (mit ihrem Hauptvertreter Arnold Schönberg) als »naturwidrig« bezeichnete. Er hoffte auf eine Erneuerung der protestantischen Kirchenmusik. Zu diesem Zweck arrangierte er sich – ausgerechnet – (wie andere Komponisten in dieser Gruppe) mit dem Nationalsozialismus. Er sprach von der »Größe der vaterländischen Ereignisse« seit 1933, unterrichtete begeistert HJ-Mitglieder und war als Gastdirigent für Robert Leys NS-Betriebsorganisation (NSBO) in der Deutschen Arbeitsfront tätig – dieselbe Truppe, für die sich auch Schirach und Hirsch ins Zeug gelegt hatten. Außerdem komponierte er feierliche Gesänge zum Gedenken an Hitlers Machtergreifung und schrieb Lieder für HJ-Liederbücher.241

Distlers älterer Kollege Johann Nepomuk David bekannte sich offen zu Einflüssen der Zweiten Wiener Schule sowie von Ravel und Strawinsky. Er gab ebenfalls Unterricht für die HJ und schrieb ein Stück, das auf einem Ausspruch Hitlers beruhte. Es sollte »Hingabe« an das Volk ausdrücken und wurde von ihm auf dem Campus seines Konservatoriums uraufgeführt.242 Beeindruckt von der strengen Struktur eines älteren musikalischen Genres suchte Ernst Pepping, geboren 1901, nach neuen Formen zwischen postromantischer Tonalität und Moderne. »Beide, Kunst wie Politik der Gegenwart, sind vom gleichen Willen beseelt«, verkündete er: »Sammlung der zerstreuten Teile, Bildung einer neuen Gemeinschaft«.243

Am ehesten erinnert man sich aus dieser Gruppe vielleicht an Wolfgang Fortner, wenn auch nur als Lehrer des berühmten Avantgarde-Komponisten Hans Werner Henze. Fortner, geboren 1907, war ein Wunderkind. Anfangs von Bach beeindruckt, wandte er sich neugierig dem Studium von Strawinsky und dem Zwölftonkomponisten Anton Webern zu. Als Lehrer in Heidelberg leitete er regelmäßig das HJ-Orchester, während er sich mit Schönbergs Zwölftonreihe erst nach 1945 ernsthaft auseinandersetzte.244

Die zweite Gruppe umfasst bekanntere Namen; hier sind vor allem Rudolf Wagner-Régeny, Werner Egk und Carl Orff zu nennen. Wagner-Régeny, Jahrgang 1903, in seinem Musikschaffen im Wesentlichen traditionell, sah seine erste Oper, Der Günstling, 1935 dank kräftiger Unterstützung durch Rosenbergs NSKG uraufgeführt. Danach akzeptierte er ein offizielles Angebot, für Shakespeares Sommernachtstraum eine Partitur zu komponieren, welche Mendelssohn-Bartholdys »jüdische« Begleitmusik ersetzen sollte. 1941 ging er von Berlin nach Wien, wo er zum Schützling des mittlerweile zum dortigen Gauleiter avancierten Baldur von Schirach wurde. In gewisser Weise war Wagner-Régeny allerdings Modernist – weniger in seinem eigenen musikalischen Schaffen als in der Übernahme von Librettos und Bühnenarbeiten Caspar Nehers (eines Freundes von Bertolt Brecht und Kurt Weill). Seine Versuche, sich den Nazis anzudienen, fanden ihren Höhepunkt in der Oper Das Opfer von 1941, nach einem Text von Eberhard Wolfgang Möller. Die Handlung: Eine »arische« Frau namens Agnetha geht aufgrund von »Rassenschande« in den Tod, um so dem Schicksal zu entrinnen, Mutter eines »Bastards« zu werden.245

Seinerzeit bekannter als Wagner-Régeny war Werner Egk, der vor 1933 deutlich hörbar von Schönberg, dem Avantgarde-Dirigenten Hermann Scherchen und besonders Strawinsky beeinflusst war. Aus diesem Grund war sein Verhältnis zu den NS-Kulturverwaltern während der ersten Jahre des Regimes, als er in München arbeitete, angespannt. Doch dann wurde 1935 seine Oper Die Zaubergeige uraufgeführt, ein pointiert anti-intellektuelles Werk, das dem Land den Vorzug vor der Stadt gab; der Wucherer Guldensack ist leicht als verabscheuungswürdiger Jude zu erkennen. Egk erntete nun viel Beifall und einen zweifelhaften Geldpreis für ein Orchesterballett, das 1936 anlässlich der Olympischen Spiele in Berlin aufgeführt wurde. 1939 erhielt er anlässlich der Reichsmusiktage in Düsseldorf einen weiteren Preis für die Oper Peer Gynt, die auch Hitler gefiel. Ob Egk nun überzeugter NS-Anhänger war oder nicht: Sein größtes Zugeständnis an das Regime machte er, als er 1941 die Leitung der Fachschaft Komponisten in der RMK übernahm. Nun verurteilte er ganz offiziell »die Zeit der Atonalität«, obwohl er selbst einen kantigen – wenn auch nicht zwölftonigen – Musikstil pflegte, über dessen Schwerfälligkeit Kollegen sich bisweilen mokierten.246

Carl Orff, wie Hindemith 1895 geboren, war eine Zeit lang Egks Lehrer. Auch Orff hatte sich von Scherchen und Strawinsky beeindrucken lassen und kurzfristig mit Brecht zusammengearbeitet. Der Beschäftigung mit Strawinsky verdankte Orff sein ausgeprägtes Empfinden für Rhythmus, das denn auch in seiner ersten substanziellen Komposition, den Carmina Burana (1937), zum Tragen kam. Sie sollte sein einziges Meisterwerk bleiben und ihm, vielleicht nicht zufällig, den Ruf eintragen, der einzige Komponist im Dritten Reich gewesen zu sein, dessen Musik, so der Musikologe Richard Taruskin von der Universität Berkeley, »im internationalen Repertoire überlebt hat«. 1997 fand im Guggenheim-Museum eine internationale Konferenz statt, an der ich teilnahm. Dort erklärte Taruskin, er habe »kein Problem damit, die Carmina Burana als Nazi-Musik zu bezeichnen«.247 Diese Äußerung verwies einmal mehr auf das bereits angesprochene komplexe Problem, das Wesen des Nationalsozialismus in der Musik zu bestimmen. Im strengen Sinne bestand Orffs »Modernismus«, was sein Hauptwerk wie auch einiges Folgende betrifft, nicht aus Elementen, die die Nationalsozialisten ablehnten – wie Zwölftonigkeit oder Jazz (verminderte Noten) –, sondern aus Charakteristika, die in nationalsozialistischen Seh- und Hörgewohnheiten ihren Widerhall fanden und zudem propagandistisch nutzbar waren. Orffs Musik war von sinnlicher, physischer Direktheit, geprägt von Ostinato-Rhythmen, melodischer Sparsamkeit, rudimentärer Diatonik, Wiederholung und Monophonie. Sie sollte als Quell neuer Volksmusik und einfach zu spielender Hausmusik dienen. All das glich einer im Wesentlichen nationalsozialistischen Ästhetik, die sich in der NS-Musik ebenso finden ließ wie in Literatur oder Malerei. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Orff – spät, aber nicht zu spät – vom Regime für seine Arbeit reich entlohnt wurde, zunächst mit einem Geldpreis für seine Musik zum Mittsommernachtstraum (1939), von 1942 an mit einer üppigen Pfründe des Gauleiters von Schirach.248

Praktisch alle bislang erwähnten Komponisten und ganz sicher alle Musiker waren zu dieser oder jener Zeit in offiziellen NS-Funktionen tätig: Sie schrieben oder spielten Stücke für NS-Formationen oder anlässlich von Feierlichkeiten des Regimes. Waren sie dadurch Nationalsozialisten und ihre Musik politisch gefärbt? Ersteres kann, wie im Fall von Egk, bezweifelt, aber nicht ausgeschlossen werden, doch gibt es eine dünne Trennlinie zwischen Opportunismus und Überzeugung. Die zweite Möglichkeit ist eindeutiger, vor allem dann, wenn Stücke, wie im Falle der Ersatzmusiken von Wagner-Régeny und Orff für den Sommernachtstraum, für spezifisch nationalsozialistische Zwecke komponiert wurden.

Anerkannte Musiker stellten ihre Kunst nach der Machtergreifung wiederholt in den Dienst des Nationalsozialismus. Berüchtigt waren etwa die Konzerte der Berliner Philharmoniker zu den jährlichen Reichsparteitagen sowie (seit 1936) zu Hitlers Geburtstagsfeiern, und zwar unter den Stardirigenten Karl Böhm, Hans Knappertsbusch und Wilhelm Furtwängler.249 Bei der Gründungsfeier der Reichskulturkammer im November 1933 sorgten Furtwängler und der Bariton Heinrich Schlusnus für den musikalischen Rahmen.250 Selbst bei weniger wichtigen Gelegenheiten, zum Beispiel als KdF-Chef Robert Ley im November 1936 eine Rede hielt, verlieh ein philharmonisches Orchester zusammen mit dem Wagnersänger Rudolf Bockelmann dem Ereignis durch eine Darbietung von Hugo Wolfs Vertonung des Goethe-Gedichts »Beherzigung« Glanz.251

Natürlich gab es auch musikalische Einrichtungen, die ausschließlich dem NS-Staat dienten, allen voran das 1932 gegründete NS-Reichs-Symphonie-Orchester, dessen Mitglieder in SA-braunen Smokings auftraten. Es litt nicht an Beschäftigungsmangel und trat nicht nur, wie ursprünglich vorgesehen, in der Provinz auf, sondern gab zwischen 1933 und 1939 nahezu täglich Konzerte – auf Reichsparteitagen und vielen anderen Festveranstaltungen der Nationalsozialisten.252 Komponisten wie Cesar Bresgen, der an einem HJ-Konservatorium in Salzburg beschäftigt war, und Bruno Stürmer, in ähnlicher Funktion in Kassel, schrieben fast ausschließlich für NS-Veranstaltungen, zu denen ihre Werke auch aufgeführt wurden. Georg Blumensaat wiederum hatte sich auf Kompositionen für Thingspiele spezialisiert.253

Ferner gab es Wettbewerbe für ehrgeizige junge Talente mit dem Ziel, NSinspirierte Musik zu komponieren. Dazu gehörte die Umwandlung politischer Lieder in volksliedähnliche Melodien, die so allgemein verbreitet sein sollten, dass Volksgenossen sie auf der Straße pfeifen konnten. So war es für das »Horst-Wessel-Lied« vorgesehen, das Wessel kurz vor seinem Tod komponiert hatte und das vor allem durch das einleitende »Die Fahne hoch!« bekannt ist. Durch häufige Wiedergabe und endlose Wiederholungen sollte es ins allgemeine Bewusstsein eindringen, ebenso wie das Liedchen »Es zog ein Hitlermann hinaus«.254 Offenbar war die Komposition neuer völkischer Lieder für die Volksgemeinschaft so wichtig, dass Hitler selbst, in einem seltenen Anfall von Mikro-Management, das Tempo bestimmte, in dem das »Horst-Wessel-Lied« zu singen sei, oder einen Preis für neue Kompositionen aussetzte.255 Tatsächlich kamen neue »Volkslieder« dabei heraus wie »Hohe Nacht der klaren Sterne«, das der HJ-Barde Hans Baumann 1936 als Ersatz für das beliebte Weihnachtslied »Stille Nacht« hervorbrachte.256 Offenbar war der Versuch keineswegs erfolglos; Baumanns Komposition wurde von vielen Deutschen noch lange nach Kriegsende intoniert.257

Kultur unterm Hakenkreuz

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