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Vorwort

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Revolutionen beschränken sich niemals auf das rein politische Gebiet; sie greifen von da über auf alle anderen Bezirke menschlichen Zusammenlebens. Wirtschaft und Kultur, Wissenschaft und Kunst bleiben davon nicht verschont.

Joseph Goebbels, November 1931

Dieses Buch handelt von der Geschichte der Kultur im sogenannten Dritten Reich. Ich gehe darin insbesondere der Frage nach, wie einzelne Kultursparten für die Kontrolle der Massen dienstbar gemacht und von 1938 an auf das Ziel des Regimes verpflichtet wurden, Europa, wenn nicht die Welt, zu unterwerfen. Doch geht es mir auch darum zu zeigen, wie sich die Arbeitsweise des Totalitarismus auf die Künste und die Künstler selbst auswirkte.

Die Beziehungen zwischen Kultur und Diktatur sind vielschichtig – und ob Kultur in einem diktatorischen System überhaupt möglich ist, bleibt eine offene Frage. Wenn die Kultur mit der Kraft ihrer Ästhetik, Formensprache und Ethik zum Widerspruch gegen vorherrschende gesellschaftliche und politische Normen drängt oder gar ungelöste Spannungen thematisiert, wird sie in einer Diktatur nicht bestehen können. Als Hitler Anfang 1933 an die Macht kam, erstickten er und seine Gefolgsleute jeglichen ästhetischen Pluralismus im Keim; weder Kunst noch Literatur gelangten während der NS-Herrschaft erneut zu Eigenständigkeit und Originalität. Allerdings gab es konzertierte Bemühungen, eine nationalsozialistische Ästhetik zu entwickeln – und zwar im Zusammenspiel mit der zunehmenden Kontrolle des Alltagslebens in Deutschland und den Kriegszielen der Nazis. Obwohl wir im Großen und Ganzen schon wissen, dass die Kultur von diversen NS-Institutionen unter Leitung des Propagandaministeriums den totalitären Zwecken nutzbar gemacht wurde, lohnt sich ein Blick auf die Details. Denn in der genaueren Auseinandersetzung damit, wie die NS-Kultur aufgebaut (und anderes beseitigt) wurde und wie diese Entwicklungen mit den umfassenden politischen Zielen – Vernichtung der Juden, Verfolgung politischer Gegner, Streben nach territorialer Hegemonie – in Einklang gebracht wurden, lernen wir viel über das Wesen und die innere Funktionsweise des nationalsozialistischen Staates. Darum geht es in diesem Buch.

Den Anfang macht das Argument, dass erst Bestehendes ausgelöscht werden musste, ehe eine neue Nazi-Kultur sich durchsetzen konnte. Das betraf hauptsächlich die künstlerischen und intellektuellen Errungenschaften, die den Nazis am verhasstesten waren, also jene der Weimarer Republik, die sich durch ästhetische und politische Moderne auszeichneten. Die polizeilichen Kontrollmaßnahmen, die Hitler zu politischen und gesellschaftlichen »Säuberungen« nutzte, wurden auch gegen die moderne Kunst und ihre Schöpfer in Anschlag gebracht. Wir werden sehen, mit welchen Maßnahmen die Nazis noch gegen die moderne Kunst vorgingen und was sie an deren Stelle setzten. Wir werden außerdem sehen, inwieweit die modernen Künstler diesem Angriff widerstehen konnten und wann sie, wenn überhaupt, ihre Niederlage einräumen mussten.

Im zweiten Kapitel geht es darum, wie die neue Nazi-Kultur vor dem Krieg in die Muster der totalitären Regierungsweise eingepasst wurde. Ob Musik, Film, Rundfunk, Presse, bildende Kunst und Architektur, Theater und Literatur – alle Kunstgattungen dienten den Inhalten, mit denen vor allem Hitlers Spießgeselle Propagandaminister Joseph Goebbels die Massen einzuschüchtern oder aufzupeitschen und schließlich für Hitlers und sein tyrannisches Regime zu kontrollieren suchte. Äußerst geschickt schuf er für diese Kunstgattungen bereits im Herbst 1933 ein geschmeidiges Organisationssystem von schließlich sechs Kulturkammern, die er persönlich beaufsichtigte und nach seinem Willen manipulieren konnte. In dem Kapitel wird untersucht, wie diese unterschiedlichen Elemente von Kultur politisch und gesellschaftlich eingesetzt wurden, wie wirksam die Kontrolle funktionierte und was in diesem Prozess mit den Kulturmedien und den schöpferisch Tätigen geschah.

In den Kapiteln drei und vier geht es um Juden im nationalsozialistischen Kulturbetrieb sowie um die Frage, wie sich die Funktion der Kultur im Krieg veränderte. Wir wissen heute, dass Hitler eines seiner Hauptziele bereits am Vorabend des Zweiten Weltkrieges erreicht hatte: den Ausschluss der Juden aus der deutschen »Volksgemeinschaft«. Weniger allerdings ist bekannt über die Bedeutung von Juden für die kulturellen Entwicklungen in der Weimarer Republik und darüber, wie man nach der Machtergreifung mit diesen Menschen umging. Ich zeige, in welchem Ausmaß die NS-Kultur dazu benutzt wurde, die totale Ausmerzung der Juden voranzutreiben, und nach der Lektüre sollte man besser einschätzen können, wie die Künste dem Antisemitismus im neuen Regime zum Ausdruck verhalfen. Dabei treten viele menschliche Tragödien zutage. Der Krieg selbst stellte die Künste, gleichviel ob neuerer oder älterer Provenienz, ganz offen in den Dienst der totalitären politischen Ordnung. Sie waren schon seit 1938 darauf ausgerichtet worden. Wir werden sehen, welche besonderen Eigenschaften der Künste dafür nutzbar gemacht wurden und wie die Künstler selbst davon betroffen waren. Wir werden auch sehen, wie sich der Kriegsdienst der Kultur für Volk und Führerschaft auf das Ergebnis des Konflikts auswirkte.

Bekanntlich fand die deutsche Kultur, ob traditionell oder modern, nach 1933 zum Teil im Ausland ihre Fortsetzung, wo Gegner des Nationalsozialismus Fuß zu fassen versuchten. Im fünften Kapitel geht es um diese Bemühungen sowie um Kontinuitäten zwischen der als »deutsch« bezeichneten Kunst und jener des Exils, wobei der Beginn des Zweiten Weltkrieges möglicherweise eine Zäsur darstellt. Viele Exilierte haben beschrieben, wie tiefgreifend sich das Leben und eigene Schaffen in der Emigration veränderten. In dieser Hinsicht ist der Fall des Nobelpreisträgers Thomas Mann, der seine Arbeit im Exil fast unverändert fortsetzen konnte, ungewöhnlich und bedarf deshalb besonderer Aufmerksamkeit. Warum war Mann, der das Trauma des Exils bewältigen und literarisch produktiv bleiben konnte, nach dem Krieg in Deutschland nicht willkommen? Und warum wollte auch er selbst nicht in jene Gesellschaft zurückkehren, deren Mitglied er einst gewesen war?

Im sechsten Kapitel befasse ich mich mit der Frage, auf welche Weise die Schicht der kreativ Tätigen nach 1945 in einem Deutschland, das sich von der NS-Vergangenheit lösen wollte, die wahre Kultur wiederzubeleben suchte. Ich werde zeigen, wie diese Versuche durch ehemalige NS-Funktionäre, die im Kulturbetrieb überwintert hatten, behindert und verzögert wurden, indem sie frische Initiativen für die neue Demokratie sabotierten. Wenig hilfreich, sondern eher hinderlich waren auch politische Wendehälse.

Dieses Buch handelt nicht nur, wie (notgedrungen) unvollständig auch immer, von der Geschichte der Kultur im nationalsozialistischen Deutschland, sondern es erzählt auch die Geschichte des Dritten Reiches aus einer neuen Perspektive: jener der Kultur, ihrer Protagonisten und Kritiker. Es baut auf bereits veröffentlichten Studien zur Kultur in Deutschland aus meiner Feder auf, darunter einige mit dem Schwerpunkt Musik, doch den entscheidenden Anstoß gab das bahnbrechende Miller-Symposion über die Künste im Dritten Reich. Die Veranstaltung, organisiert von Francis R. Nicosia und Jonathan Huener, fand im Frühjahr 2004 an der Universität Vermont statt.2 Den beiden gebührt noch heute das Lob dafür, neue Fragen gestellt und die Teilnehmer – darunter mich – dazu ermutigt zu haben, genauer hinzuschauen und mögliche Antworten zu formulieren.

Bisher gibt es, von Ausnahmen abgesehen, keine in einem Band zusammengefasste Geschichte der Kultur im NS-Staat.3 Einen frühen Meilenstein stellt Joseph Wulfs fünfbändiges Werk dar. Jeder Band befasst sich mit einem anderen Aspekt der Kultur im Dritten Reich. Es handelt sich dabei um eine von Wulf bearbeitete Sammlung von Primärquellen, zumeist Zeitungs-und Zeitschriftenartikel, nicht um eine übergreifende Analyse. Des Weiteren gibt es einige wichtige, bisweilen sogar bahnbrechende Untersuchungen zu Teilgebieten. Herausragende Interpretationen zum Film im Dritten Reich findet man bei Eric Rentschler, David Hull und David Welch, jüngst auch eine von Bill Niven vorgelegte Arbeit. Untersuchungen zur Presse liefert Bernd Sösemann, die Literatur wurde kundig von Ralf Schnell und die Musik von Fred K. Prieberg, Erik Levi und Pamela M. Potter analysiert.4 Für die bildenden Künste sind die Schriften von Jonathan Petropoulos seit Langem maßgebend, und er wie auch Pamela Potter haben in jüngerer Zeit wichtige Monographien publiziert, die, jede auf ihre Art, einer umfassenderen Darstellung der Künste unter Hitler nahekommen.5

Die Arbeit an diesem Buch geht zum Teil auf eine Zeit zurück, als die Unterstützung durch den mit meiner Professur verbundenen Forschungsfonds der York University begann (eine Unterstützung, die ich auch heute noch genieße). Hinzu kam die Förderung durch vier große Stiftungen. Zuerst gab es, in den siebziger Jahren, ein Guggenheim-Stipendium. Dann gewährte mir die Canada Council Killam Foundation (Ottawa) zwei Mal ein Senior-Killam-Stipendium, sodass ich für insgesamt vier Jahre von meinen Lehrverpflichtungen befreit war. Drittens unterstützte mich der Social Sciences and Humanities Research Council of Canada (SSHRC) in Ottawa über Jahrzehnte hinweg viele Male durch Forschungsfinanzierung. Und schließlich verlieh mir die Bonner Alexander von Humboldt-Stiftung einen Konrad-Adenauer-Forschungspreis, der meine Arbeit über die neunziger Jahre hinaus unterstützte. Allen diesen Institutionen, ohne deren Hilfe dieses Buch nicht hätte geschrieben werden können, bin ich von Herzen dankbar. Die jüngste Forschungsarbeit in Kanada wurde durch das Fernleihesystem der York University ermöglicht, wo ich zu meinem Glück von vier versierten Bibliothekarinnen – Gladys Fung, Mary Lehane, Samantha McWilliams und Sandra Snell – unterstützt wurde. Wie schon zuvor haben sie mir nicht nur in ihrer Eigenschaft als fähige Bibliothekarinnen geholfen, sondern auch als Forschungsassistentinnen, die mir Zugang zu Quellen verschafften, die ich für nicht erreichbar gehalten hatte.

Mit Freunden wie William E. Seidelman, Herman Schornstein und Kevin Cook führten meine Frau Barbara und ich zahllose Diskussionen über Problemfelder und konfrontative Situationen, die vielleicht Parallelen zur heutigen Zeit aufweisen, da die Weltpolitik sich erneut in Richtung autoritärer Herrschaft zu bewegen scheint. Das schafft ein politisches Klima, in dem Übergriffe auf Kultur, die samt ihren Manifestationen immer als autonom und unangreifbar verstanden werden sollte, nur allzu leicht geschehen. Nicht zuletzt mit diesen Gedanken im Hinterkopf wurden Teile meines Manuskripts von klugen Kollegen – Peter Loewenberg, Hans R. Vaget und Claudio Duran – sorgfältig geprüft. Jeder las ein Kapitel und gab mir ein konstruktives Feedback, wofür ich äußerst dankbar bin. Alex Ross las das gesamte Manuskript, und seine hilfreichen Vorschläge schätze ich sehr. Ein großes Dankeschön geht schließlich an Heather McCallum, Marika Lysandrou, Rachael Lonsdale und Clarissa Sutherland von der Yale University Press. Heather stand mir immer zur Seite – mit großzügigen, aber strikten Vorgaben, während Marika, Rachael und Clarissa mit ihrer Erfahrung dazu beitrugen, aus dem Manuskript ein Buch zu machen. Etwaige Fehler gehen ganz allein auf mein Konto.

Kultur unterm Hakenkreuz

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