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Abserviert

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Ich könnte von früh bis spät heulen.

Gestern Morgen habe ich ihn gefunden, Julias Zettel mit den knappen Worten »I´m sorry!«.

Ihr Versuch, mit ihrem wenigen Englisch die Tatsache ins Lächerliche zu ziehen, dass sie mir ihren Verlobungsring auf einem abgerissenen Stück Papier liegenlässt, gibt mir den Rest. Stillos, einfach so auf dem Küchentisch. Eiskalt serviert sie mich ab, verdrückt sich klammheimlich, hält nicht einmal eine Erklärung für nötig.

Wenn ich den Ring und den Zettel nur ansehe, schnürt sich mir die Brust zusammen, und ich drehe mich weg.

Der Abend vorgestern hatte sich in die Länge gezogen, er war sehr nett gewesen. Mit keiner Silbe hat sie auch nur angedeutet, dass sie mich verlassen wollte. Freilich musste sie gestern recht früh nach Koblenz zurück, als ich noch schlief. Sie arbeitet dort, und dort haben wir auch ihre Wohnung geteilt. Wir hatten uns spontan ineinander verliebt, und einen Monat später zog ich mit meinen wenigen Sachen bei ihr ein. Die Schmetterlinge im Bauch kamen nicht zur Ruhe. Von einer gemeinsamen Zukunft träumten wir, schmiedeten Hochzeitspläne. Hat sie das überfordert? Nie hat sie den Anschein erweckt, nicht vollkommen in der Vorfreude auf ein Leben zu zweit und später als Familie aufzugehen.

Der gestrige Tag kam mir vor wie das Fegefeuer: Ich bin benommen, kann mich nicht konzentrieren, will mich niemandem anvertrauen, obwohl alle merken, dass mit mir etwas nicht stimmt. Gefühlte fünf Minuten nur halte ich es aus ohne einen weiteren Versuch, Julia anzurufen. Ein paar Abschiedsworte wenigstens, eine Begründung! Das ist doch das Mindeste, das ich verlangen darf. Womit verdiene ich diese rüde Behandlung, diese Missachtung? Keine Antwort, ihr Handy ist ausgeschaltet, ihr Telefon nimmt sie weder im Büro noch abends zu Hause ab.

Die Nacht über bekomme ich kein Auge zu. Ich grüble, bin irgendwann überzeugt, die Erklärung für Julias schnödes Verhalten gefunden zu haben.

»Das machst du nur, damit du näher bei deiner Mutter bist.«

»Stimmt doch gar nicht, ich tu´s für uns.«

»Muttersöhnchen!«

Ich hielt ihre Bemerkung für einen Scherz, sie hatte schließlich dazu gelacht.

Freudestrahlend hatte ich ihr vor zwei Wochen die Zusage auf meine Bewerbung gezeigt, sie strahlte. Ich dachte, sie freut sich mit mir. Schließlich tue ich es für uns beide. Es fällt mir nicht leicht, aus dem beschaulichen Städtchen am Deutschen Eck, dem Zusammenfluss von Rhein und Mosel, wegzuziehen. Ich bin dort aufgewachsen, zur Schule und in die Lehre gegangen, habe mit meiner Mutter zusammen gewohnt, bis ich erwachsen war und sie in Bayern einen neuen Lebensgefährten fand. Sie hat meine Pläne stets unterstützt, sich nie in mein Leben eingemischt. Ich bin kein Muttersöhnchen, Julia weiß das! Und in München verdiene ich beinahe das Doppelte, wir hätten uns ein gemeinsames Leben aufbauen können.

Das Schmerzliche war nicht nur die Trennung, die ich auf mich nehmen musste, bis Julia mir nachkäme, sondern auch, dass ich Hals über Kopf umziehen musste. Meine neue Firma macht es mir leichter, indem sie mir ein möbliertes Appartement überlässt, bis ich eine Wohnung gefunden habe. Julia hatte versprochen, mir dabei helfen zu wollen.

Sie hat mich am Wochenende besucht, wir waren auch bei meiner Mutter. Aus Julias Verhalten konnte ich nur schließen, dass ihr die neue Umgebung gefiele, und mit meiner Mutter kam sie offensichtlich gut zurecht. Harmonie pur! Woher der grußlose Aufbruch, woher nur der unverständliche Sinneswandel?

Nun sitze ich seit einer Stunde am Küchentisch, vor mir die dritte Flasche dunkles Hefeweizen und Julias Zettel mit dem verschmähten schlichten Goldring. Alles hat sich gegen mich verschworen, sogar das Weißbier mag mich nicht und ist zu schnell alle. Eine letzte Flasche wartet noch im Kühlschrank. Mein Gang und meine Bewegungen sind unsicher, meiner Verfassung angemessen. Beim Einschenken stoße ich mit dem Flaschenboden Ring und Zettel vom Tisch. Ein Malheur mehr, aber nur ein kleines.

Den Ring hebe ich schnell auf, an den Zettel komme ich nicht so leicht heran. Er ist halb unter meinen Stuhl geflattert und liegt mit dem »I´m sorry!« nach unten.

Als ich mich danach recke, lacht mich ein Smiley an, und ich lese:

»Schatz, Du schläfst so fest, da will ich Dich nicht wecken. Aber ich muss los.

Den Ring gib bitte Deiner Mutter zurück. Als ich gestern bei ihr im Bad war, habe ich ganz in Gedanken ihren Ehering von der Konsole über dem Waschbecken genommen und angesteckt.

Ich liebe Dich.

Julia«.

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»Abserviert«, mein allererster Beitrag zum Schreibwettbewerb des Schreiblustverlags. Das folgende Foto sollte zur Geschichte inspirieren.


© Foto: Schreiblustverlag

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Quer Beet aufs Treppchen

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