Читать книгу Homöopathie - Michael Kotsch - Страница 7

1.2. Historische Vordenker der Homöopathie

Оглавление

Spekulationen über die notwendige Ähnlichkeit zwischen Krankheit und anzuwendendem Heilmittel gehen weit in der Geschichte zurück. Im Alten Ägypten beispielsweise wurden Schädelwunden mit Öl eingerieben, in dem sich der Panzer einer Schildkröte und Falkenkrallen befanden. Die Härte des Schädels sollte durch die Härte des Schildkrötenpanzers wiederhergestellt werden. Gichtkranken wurde ein Amulett von Hirschhaut an den Fuß gebunden, in der Hoffnung, ihnen frühere Leichtfüßigkeit wiederzugeben. Im Schamanismus ist der Gedanke der Ähnlichkeitsmagie weit verbreitet: Das Essen oder Tragen eines Gegenstandes kann dessen Eigenschaften auf den betreffenden Menschen übertragen. Indianer tragen die Federn eines Adlers oder die Krallen eines Bären, um sich dessen Kraft zueigen zu machen. In der Traditionell Chinesischen Medizin (TCM) werden Extrakte aus Tigerhoden gegen Impotenz oder Schlangenfleisch gegen Kurzsichtigkeit angewendet. Suppe aus dem Fleisch der Kinder oder des Ehegatten (aus dem lebendigen Körper geschnitten) gilt als sicheres Stärkungsmittel für altersschwache Eltern. Die Chinesen kannten auch das Einblasen zerriebener Blatternkrusten in die Nasenschleimhaut zur Verhütung schwerer Pockeninfektionen. Gelegentlich soll in der TCM auch die rein äußerliche Ähnlichkeit medizinisch hilfreich sein. Demnach hilft gelber Safran gegen Gelbsucht, Leberblümchen gegen Leberleiden oder Leuchtkäfer gegen Augenerkrankungen. Ähnliche Formen eines “magischen Simile” (Ähnlichkeitsprinzip) findet sich bei Paracelsus. Auch in der Moderne sind vergleichbare Verhaltensweisen zu beobachten. So tragen Jugendliche die Kleidung ihres Idols und hoffen dadurch unterschwellig, dass etwas von deren Glanz auch auf das eigene Leben übergeht.2


Vorläufer der Homöopathie

Bezüge auf eine Ähnlichkeitsregel in der Erkenntnistheorie finden sich beispielsweise schon bei Empedokles (490-430 v.Chr.): “Denn mit der Erde in uns erkennen wir die Erde, mit dem Wasser das Wasser, mit der Luft die göttliche Luft, mit dem Feuer aber das verderbliche Feuer, die Liebe mit der Liebe, den Hass aber mit traurigem Hass.” Die hinter dieser Aussage stehende Lehre von den vier Elementen (Qualitäten) wirkte sich bis in die Neuzeit in der europäischen Medizin aus.

Hypokrates (460-370 v.Chr.) kommt der homöopathischen Ähnlichkeitsregel schon näher, wenn er beispielsweise Knoblauch gegen Rausch empfiehlt, weil der bei einem nüchternen Menschen Schwere im Kopf bewirken könne. In seiner Schrift “Von den Stellen im Menschen” argumentiert er ähnlich: “Die Schmerzen [Beschwerden] werden durch das ihnen entgegen gesetzte gehoben, jede Krankheit nach ihrer Eigenart … Eine Art ist folgende: durch das Ähnliche entsteht die Krankheit und durch Anwendung des Ähnlichen wird die Krankheit geheilt.” Wenig später führt Hypokrates aus, dass Harnzwang und Husten mit denselben Mitteln geheilt werden können, von denen sie auch verursacht werden. Auf diese und andere historische Beispiele der Ähnlichkeitsregel bezieht sich Hahnemann zur Unterstützung seiner Medizintheorie.3 An Hahnemanns Simile-Regel erinnern Aussagen der Arzneimittelforscher Petro und Dioskurides (1.Jhd.n.Chr.). Gegen Kurzsichtigkeit wird dort der Genuss junger Schwalben empfohlen, die im Ruf standen, besonders gut zu sehen. Gegen den Biss eines tollwütigen Hundes soll dessen Urin hilfreich sein. Der antike Arzt Galen (200 n.Chr.) hatte hodenähnliche Knollen von Orchis Morio zur Anregung des Geschlechtstriebes verordnet. Eine rein äußerliche Ähnlichkeitsregel soll der Heilige Cyrus angewandt haben, um eine Frau zu kurieren, die beim Wassertrinken einen Frosch verschluckt hatte. Er gab der Frau so viel zu trinken, bis sie sich erbrach und so auch den unliebsamen Frosch los wurde. Zum Schluss des geschichtlichen Berichts wird dann darauf hingewiesen, dass Heilige nicht wie sterbliche Ärzte durch Gegenmittel heilen, sondern durch das Ähnliche.4

Auffälligere medizintheoretische Parallelen finden sich zwischen Hahnemann und Paracelsus (1493-1541). Paracelsus wendet sich gegen die bis dahin dominierende Auffassung Galens, der dazu aufforderte, Krankheitssymptome mit Mitteln zu bekämpfen, die einen gegensätzlichen Zustand auslösen (z.B. Kühlung gegen Fieber). Paracelsus hingegen will Krankheiten mit Therapien bekämpfen, die gewöhnlich gerade diese Krankheitssymptome hervorrufen: “Contraria a contrariis curantur, das heißt: Heiß vertreibt Kaltes, das ist falsch, in der Arznei nie wahr gewesen.”5 Er vertritt die Ansicht, dass die Substanz, die einen Krankheitszustand verursacht, auch in der Lage ist diesen zu beseitigen. “… So du nun das hast, so zeigt es dir die Kur an, denn Arsenik heilt den Arsenik, Anthrax den Anthrax, wie Gift Gift heilet … also heilt gleich Anatomie je eins das andere. So du nun weißt, was Arsenik ist, so heile nach Inhalt der Anatomie den Arsenik mit dem Arsenik …”6 Entsprechend der Signaturenlehre verstand Paracelsus unter Anatomie die Beziehung zwischen der äußeren Erscheinung einer Sache und deren mutmaßlichen Wirksamkeit. “Also die Diestel stechen ihre Blätter nicht wie Nadeln? Dieses Zeichens halber ist durch Magie gefunden worden, dass kein besseres Kraut ist gegen inwendiges Stechen.”7 Paracelsus leitete daraus eine allgemeine medizinische Regel ab, nach der die “Form” jeder Krankheit ihre Entsprechung findet in der ähnlichen Form des Heilmittels. “Anatomie ist eine Kunst, die euch lehrt erkennen die Form eines jeglichen Dinges; denn ihr seht, nichts ist ohne Form, auch die Krankheit nicht …, sondern sie sind formig, … Nun, wenn ihr das wißt, so ist weiter vonnöten, dass ihr in solcher Gestalt die Anatomie der Kräuter wisst …, auf dass ihr da zusammen die gleiche Anatomie der Kräuter und gleiche Anatomie der Krankheiten in eine Ordnung bringet.”8 Allerdings weist Paracelsus auch darauf hin, dass diese Ähnlichkeit der Form nicht immer äußerlich sichtbar sein muss. Manchmal ähnelt die Arznei der Krankheit durch die Zuordnung zu einem der vier Elemente, manchmal gebe es auch eine spiritualistische Ähnlichkeit, die nur für den Heilkundigen sichtbar sei. Um die “anatomische Ähnlichkeit” einer Substanz festzustellen, scheint Paracelsus über deren Wirkung auf den menschlichen Körper genau Buch geführt zu haben, ähnlich wie Hahnemann bei seiner Arzneimittelprüfung. “Das Einnehmen des Realgar [Arsen] macht eine ausgedörrte Lunge … Macht auch Spalten und Schrunden der Leber, damit läuft ein unnatürlicher Durst einher … Auf solches nachfolgend viel zufallende Hitze, Klopfen und Zittern im Herzgrüble, demnach ein Ausschlagen in allen Gliedern …”9 Ähnlich wie Hahnemann ging auch Paracelsus nicht so sehr von einer chemisch-physikalischen als vielmehr von einer geistig immateriellen Wirkung der Arznei aus. “Denn nicht mit dem Gewicht, sondern außerhalb des Gewichts soll die Arznei administriert werden. Denn wer kann den Schein der Sonne wägen, wer kann die Luft wägen, wer wiegt den spiritum arcanum? Niemand. In diesem liegt nun die Arznei.”10 Abgesehen von der geistigen und der äußerlichen Ähnlichkeit zwischen Krankheitssymptom und dem dazu passenden Medikament sah Paracelsus auch noch ein “astrologisches simile”. “Der astrologische Grundsatz lautet: Wie oben, so unten”, d.h. Was am Himmel vor sich geht, hat jeweils seine Entsprechungen auf der Erde und in der Menschenwelt; es leuchtet also klar die magische Anteilnahme hindurch. Magische Entsprechungen verbinden die einzelnen Planeten … Mit bestimmten Körperteilen, so z.B. Sonne und Herz, Jupiter und Leber …”11 Ähnlich wie Hahnemann ordnet auch Paracelsus alle Krankheiten drei Ur-Krankheiten zu, den Merkur-, Sulfur- und Sal-Krankheiten. Zahlreiche Ärztegenerationen stützen sich auf diese Überlegungen von Paracelsus.

Der von einer magischen Medizin geprägte englische Arzt Robert Fludd (1574-1637) richtete sich bei seiner Behandlung von Blasen- und Nierensteinen nach der Ähnlichkeitsregel (simile). Bei diesen Erkrankungen empfahl er Präparate aus eben diesen Steinen. Ferner schreibt er: “Der Auswurf eines Schwindsüchtigen heilt nach der nötigen Zubereitung die Lungenschwindsucht.” Hahnemann beruft sich unter anderem auch auf Johannes Hummelius, der von einem dänischen Regimentsarzt berichtet, der seine Patienten immer nach dem Ähnlichkeitsgrundsatz behandelt habe (“Contraria contrariis”): Verbrennungen durch Annähern an Feuer, Erfrierungen durch aufgelegten Schnee und kaltes Wasser. De Haen behauptete, dass viele Gifte, weil sie giftig sind, deshalb auch heilsam sein müssten: “Die Stängel des Nachtschattens erregen in größerer Gabe Krämpfe und Raserei, in mäßiger jedoch lösen sie die Krämpfe und Zuckungen.” Der Hamburger Arzt J.A. Unzer spricht in einem Aufsatz davon, dass der Tabak dieselben Krankheiten, die er verursacht, auch heilen könne.12

Nicht nur die Ähnlichkeitsregel (simile), sondern auch die Arzneimittelprüfung am Gesunden kann auf eine längere Tradition zurückblicken. Neben den mehr von medizinischem Interesse geleiteten Untersuchungen des Herakleides von Taras beschäftigten sich schon früh verschiedene orientalische Herrscher mit der Wirkung von Arzneien auf gesunde Menschen. Mit besonderer Vorliebe allerdings ließen sie ihren Sklaven oder Dienern Gifte verabreichen, um dann mögliche Gegenmittel zu testen, die ihnen dann zur Verfügung stünden, sollten sie selbst einmal einem Giftanschlag ausgesetzt werden (z.B. Attalus III von Pergamon, Mithridates von Pontus). Auch Papst Clemens VIII ließ solche Menschenversuche durchführen, um sein kostbares Leben vor Vergiftungen besser schützen zu können. Der Bologneser Chirurg G. Caravita ließ ein von ihm entwickeltes Gegengift gegen Vergiftungen und gegen Bisse und Stiche giftiger Tiere testen, indem er Verbrecher erst mit Aconit vergiftete, um nachher sein Heilmittel ausprobieren zu können.

Im 16. Jahrhundert begannen einzelne Ärzte mit medizinischen Selbstversuchen. So nahm der Zürcher Botaniker Conrad Gesner nacheinander Dosen von Eupatorium, Gratiola, Helleborus und Nicotina ein, um deren Wirkung auf den menschlichen Körper zu studieren. G. Young experimentierte 1753 mit Opium und Anton Störck nahm 1760 versuchsweise Schierling zu sich. Nachdem Störck allerdings unter starken Schmerzen litt und seine Zunge deutlich anschwoll, beendete er diesen Versuch. Nachdem er später noch mit anderen Substanzen experimentiert hatte, schrieb er: “Wenn Stramonium durch Verwirrung des Geistes Gesunde krank macht, warum darf man dann nicht den Versuch machen, ob es nicht, indem des Kranken und Verrückten … Geistesgesundheit geben und bei mit Krämpfen Behafteten die Krämpfe heben könne?”13 In einer weiteren Schrift über Pulsatilla (1771) beschreibt Störck deren positive Wirkung auf Augenerkrankungen. Zur gleichen Zeit erproben Johann Friedrich Grimm in Halle die Wirkung des Opiums und William Alexander in Edinburgh die Wirkung von Salpeter und Kampfer, um daraus Rückschlüsse für den Einsatz der entsprechenden Substanzen für die Krankenbehandlung ziehen zu können.14

1 Vgl. Jütte: Samuel Hahnemann, 2005, S.9-20

2 Vgl. Michael Kotsch: Chinesische Medizin 2. Alternative Heilmethoden auf dem Prüfstand, Lage 2000, S.19-25 / Bernt Karger-Decker: Die Geschichte der Medizin, Düsseldorf 2001, S.13-22

3 Vgl. Hahnemann: Organon, 6.Aufl. 1921, Einleitung, Teil B

4 Acta Sanctorum, Antwerpen 1643, Januar, Bd.2, S.1091ff.

5 Paracelsus, Paracelsus Werke, Sudhoff Hrsg., München 1922, Bd.8, S.88

6 Paracelsus: Paracelsus Werke, Sudhoff Hrsg., München 1922, Bd.8, S.120

7 Paracelsus: Huser, Quart. Bd. IX, S.383

8 Paracelsus, Paracelsus Werke, Sudhoff Hrsg., München 1922, I, S.375

9 Paracelsus, Von der Bergsucht, Werke, Sudhoff Hrsg., München 1922, Bd.9, S.478

10 Paracelsus: zitiert in: Tischner: Homöopathie, 1950, S.18

11 Tischner: Homöopathie, 1950, S.19

12 Vgl. Tischner: Homöopathie, 1950, S.9-23

13 Anton Störck: Libellus, quo demonstratur Stramonium, Wien 1762

14 Vgl. Tischner: Homöopathie, 1950, S.23-26

Homöopathie

Подняться наверх