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Der Musiker und der Hausmeister

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Montag

Die Rastalocken schwangen im Takt der Musik. Schweißperlen glänzten auf der dunklen Stirn. Ganz in der Melodie gefangen wippte sein Oberkörper vor und zurück, lauter und lauter erklangen die Schläge, schneller und schneller flogen seine Hände auf das Fell der Trommel, wuchs alles an bis zu einer gewaltigen Eruption an Kraft. Dann war Stille und sein Kopf sank nach vorne. Einatmen, ausatmen, die Augen öffnen und wieder hören. Ein Vogel zwitscherte vor dem Fenster im Gestrüpp des Baumes. Dem gefiel es, dachte der Musiker, der sich selbst Dark Resonanz nannte. Dark stand für seine Hautfarbe, die Ebenholz glich, und Resonanz für die Instrumente. Trommeln in jeder Größe, aus allen Herren Ländern, verziert mit Fransen, bemalt, hell und dunkel bespannt, bevölkerten das Wohnzimmer. Ein altes Sofa stellte die einzige Abwechslung dar. Auf ihm nahm er Platz, um eine Weile den Nachklang der Musik zu erfahren.

»Rrrrrrrr-rings. Rrrrrrrrr-rings«, durchbrach das metallene Schnarren der Wohnungsklingel die Ruhe, wechselte zu einem scheppernden Dauerton und verharrte bei: »Krgs krgs«. Wie oft musste er dem Hausmeister noch sagen, dass er die Klingel reparieren sollte? Dark Resonanz wollte ihn bei nächster Gelegenheit daran erinnern.

»Ich bin nicht schwerhörig«, riss Dark Resonanz die Tür auf. Das Klingeln erstarb.

»Würde mich nicht wundern, wenn Sie taub wären«, blaffte Siegfried Krötz, der Hausmeister. »Bei dem Krach, den Sie da veranstalten. Wir sind nicht im Busch bei den Hottentotten.«

Dark Resonanz atmete tief ein. »Das ist Kunst.«

»Krach!« Mit rotem Kopf wandte sich der Kittelträger um und ging die Treppen hinunter. Der Musiker sah ihm nach, hörte den Schlüsselbund klirren, mit dem Krötz herumspielte. Kerkermeister, dachte Dark.

Dienstag

Dark betrat pfeifend das Wohnhaus. In der einen Hand hielt er frische Brötchen, in der anderen den Briefkastenschlüssel. Sein Pfeifen erstarb. Da lag eine CD mit einer rosa Schleife und einem Notizzettel. Er las: »Damit Sie mal richtige Musik hören.«

Er schluckte, als er den Titel las. Orgelmusik. Er kannte das Cover. Die CD gab es für 1,50 beim Schnäppchenmarkt. Musik! Ja! Bestimmt nicht sein Geschmack. Verstimmt lief Dark Resonanz zu seiner Wohnung in den 3. Stock. Den Lift ignorierte er. Seine gute Laune war verflogen.

»Dumm, dada-dumm, dumm, dada-dumm.« In der Musik fand er seine Ruhe. Er trommelte sich in Ekstase, trommelte, bis ihm der Schweiß die Stirn herablief.

»Rrrrrrrr-rings. Rrrrrrrrr-rings«.

Durch das Guckloch erkannte er den Hausmeister. Der kam ihm gerade recht!

»Das ist kein Krach!«, schrie Dark Resonanz, als er die Tür aufriss.

»Stellen Sie Ihre Stereoanlage leiser«, brummte Krötz, dessen Perücke schief saß.

»Das ist Live-Musik. Die kann man nicht leiser stellen.«

»Sie müssen nur am Knopf drehen. Ganz einfach.«

Mittwoch

Lächelnd und mit sich selbst im Reinen, lag Dark auf seinem Sofa. Heute Abend würde er ein Konzert in der Bartholomäus Kirche geben. In sakralen Bauten kam seine Trommelei richtig zur Geltung, hallte jeder Schlag nach.

Ihm kam Graukittel Krötz in den Sinn und Dark musste schmunzeln. Gestern Nachmittag hatte er den Draht der Klingel gelöst. Er war gespannt, wie der Hausmeister damit fertig wurde.

»Rumms!« Und noch einmal: »Rumms!« Die Wohnungstür zitterte in ihren Angeln, als versuchte eine Armee mit einem Rammbock durchzubrechen.

»Die neue Tür zahl ich nicht«, murmelte der Musiker vor sich hin und schritt in Richtung des Lärms, bereit für eine weitere Konfrontation.

»Sie könnten mir meine CD zurückgeben«, schnarrte Krötz zur Begrüßung.

»Welche CD?«

»Die Orgelmusik.«

»Die ist im Mülleimer gelandet. Ich wusste ja nicht, dass es Ihre CD war.« Dark hob die Schultern und wollte die Tür schließen, als der Hausmeister einen Fuß in den Spalt setzte. Angewidert betrachtete der Musiker die haarigen Beine des Mannes, die unter dem grauen Kittel hervorlugten.

»Sie müssen mir den Schaden ersetzen«, forderte Krötz.

Dark schloss den Mund, atmete geräuschvoll durch die Nase ein und machte einen Schritt auf den Hausmeister zu. Einen großen Schritt.

»Habet Se no alle Tassen im Schrank?«, fragte er im Dialekt seiner Jugend.

Der Hausmeister wich ein Stück zurück. »Sie sprechen ja Schwäbisch. Hätten Sie denn nicht bei den Schwaben um Asyl bitten können?«

»Wozu sollte ich Asyl beantragen?«

»Schwarze kommen doch aus Afrika. Und dazu Ihr Name. Dark Räässonanzz.«

Der Musiker verzog sein Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen. Die schnarrende Stimme des Hausmeisters war eine Zumutung für sein musikalisches Gehör. Wie der seinen Künstlernamen aussprach, war schlichtweg nicht zu ertragen.

Der Hausmeister wartete auf eine Antwort. In die aufkommende Stille fragte Krötz: »Sind Sie etwa ein Illegaler?«

Dark platzte der Kragen. »Meine Mutter ist Deutsche, eine geborene Pfefferle, mein Vater war bei der Army, und ich wurde in Stuttgart geboren. Schduddgard!«

»Ach!«

»In Berlin habe ich ein paar Jahre gelebt, bevor ich nach Nürnberg zog.«

»Die Berliner mögen die Schwaben ja nicht. Das liest man immer wieder.«

Dark beugte sich vor. »Und ich heiße Eugen, Eugen Bush mit richtigem Namen.«

Donnerstag

Im Treppenhaus begegnete er Krötz, der eine Prise Schnupftabak schniefte. Als Krötz ihn sah, lächelte er versonnen.

»Ihre Klingel habe ich repariert«, meldete er. Er trat näher heran und legte eine Hand auf den Arm des Musikers

»Wissen Sie, ich bin ja auch ein Flüchtling. Habe es bei meiner Frau nicht mehr ausgehalten.«

Täuschte sich Dark oder hatte die Stimme des Hausmeisters gebebt? Fast bekam er Mitleid mit dem Mann. Vor Darks Wohnungstür allerdings zerplatzten alle sentimentalen Anwandlungen wie Seifenblasen. Dort lag eine Packung Negerküsse.

Dark warf sie ungeöffnet in den Mülleimer und verstaute die Einkäufe.

Man sollte …

Man müsste …

Ihm fiel die Klingel ein, die Krötz repariert haben wollte. Er trat vor die Tür und drückte auf den Knopf.

»Rrrurgs-rings. Rrrurgs-rings. Krgs krgs.« Hatte er anderes erwartet? Nein! Es war an der Zeit, dem cholerischen Hausmeister eine Lektion zu erteilen.

Dark kam eine Idee, als er die Wohnungstür schloss.

Freitag

Bewaffnet mit einer Werkzeugkiste stand Krötz vor der Tür.

»Sie müssen am Gurt vorsichtig ziehen und nicht mit Gewalt«, predigte er.

Dark hatte ihn angerufen und einen defekten Rollladengurt gemeldet. Er bat ihn herein und wies ihm den Weg. »Im Wohnzimmer.«

Der Musiker blieb im Flur stehen und blickte dem Graukittel nach. Der wollte das Werkzeug auf dem Sims abstellen, als er mitten in der Bewegung innehielt.

»Herr im Himmel!«, rief Krötz und machte zwei Schritte zurück. »Wo haben Sie die Spinne her?«

»Die beißt nicht«, erklärte Dark gelassen.

»Haustiere sind anzumelden«, sagte der Hausmeister. »Und giftige Haustiere sind generell verboten.«

»Was ist nun mit dem Rollladen?«, fragte Dark.

»Das muss sich ein Handwerker anschauen«, blaffte Krötz, öffnete die Tür und wandte sich im Rahmen um. Er war rot angelaufen.

Dark dachte, die Spinne hätte Krötz ordentlich zugesetzt.

»Ist das Ihre?«, fragte der Hausmeister und wies auf eine Tüte, die neben der Aufzugstür stand. Mit der anderen Hand raufte er seine Haare.

Dark schüttelte den Kopf. »Ich war nicht einkaufen. Wahrscheinlich ist der Aufzug defekt und jemand hat die Tüte abgestellt.«

»Ich dulde keine Gegenstände im Treppenhaus«, sagte Krötz missmutig, schnappte sich die Tüte und ging die Treppen hinunter.

Mit Ekel sah Dark Haare des Hausmeisters auf seinem Fußabstreifer liegen. Er holte Kehrschaufel und Besen, um die Hinterlassenschaft wegzuräumen, dann verstaute er die Plastikspinne zurück in den Schrank und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er den Rollladen herabließ. Ohne Probleme.

Samstag

Dark pfiff fröhlich vor sich hin, obwohl er unter der Last, die er trug, mächtig ins Schwitzen geraten war. Mit beiden Händen hielt er seine neueste Trommel, in der linken zwei Klöppel. Die Trommel war so groß, dass er die Stufen vor sich nicht sah. Er kannte sich ja aus. Neben der Wohnungstür stellte er das teure Stück vorsichtig auf den Boden, kramte nach seinem Schlüssel und schloss die Tür auf. Im gleichen Augenblick läutete das Telefon und Dark hastete ins Wohnzimmer. Die Wohnungstür schnappte zu.

Der Anrufer hatte sich verwählt. Die Klöppel in der Hand öffnete er die Tür und trat in das Treppenhaus. Er erschrak, die Trommel war weg!

»Aber … aber …«, stotterte er. Einen Moment blieb er unschlüssig stehen, dann kam ihm ein Gedanke.

Krötz!

Dieser musste die Trommel mitgenommen haben. »Ich dulde keine Gegenstände im Treppenhaus«, hatte der gestern erst gesagt?

Dark Resonanz schwollen die Adern an. Nicht mit mir!, dachte er.

Das ging zu weit!

Er würde dem Hausmeister ein für alle Mal Bescheid geben. Zuvor wollte er essen. Seine Wahl fiel auf Maultaschen. Die waren schnell zubereitet und leicht verträglich. Es reichte, dass Kröll ihm auf den Magen schlug.

Dark betrachtete das letzte Stück der Maultaschen. Es lag da, fett und mit nach oben gewölbtem Körper. Wie der Bauch des verrückten Krötz, dachte Dark.

Wie war das gleich mit den Voodoo-Puppen, mit dem Voodoo-Zauber? Fertigte man da nicht eine Puppe eines Menschen an, dem man übel mitspielen wollte? Er hatte derlei in James Bond-Filmen gesehen. Da hatten bemalte Wilde Strohpuppen mit Nadeln traktiert, um der Person, die die Puppe darstellen sollte, Schmerzen zuzufügen.

Dark lächelte. Ein Versuch war es allemal wert. Und warum nicht eine Puppe aus einer Maultasche basteln, wo sie dem Hausmeisterbauch so ähnelte? Mit ein paar Handgriffen legte er weitere Zutaten heraus. Eine Cherry Tomate gab den Kopf ab. Sorgfältig drapierte er hie und da. Er drückte Pfefferkörner, die die scharfen Augen des Hausmeisters bilden sollten, fest in die Tomate hinein. Ein kleines Maultaschenstückchen gab die Nase. Spiralnudeln bildeten die Arme und Füße. Aus einem Fetzen Salatblatt wurde die Perücke und unter die Nase träufelte er Kaffeepulver. Dark fielen die Haare ein, die er gestern zusammengefegt hatte und fand eines in der Mülltonne. Das gab der Krötz-Maultaschenpuppe den letzten Schliff. Versonnen betrachtete Dark sein Werk. Beinahe schien es ihm, als hörte er die Puppe sprechen, schnarrend und nervtötend, wie sein Vorbild aus Fleisch und Blut.

Er nahm einen Zahnstocher, wiegte ihn einen Moment in der Hand, stach zu und stellte sich vor, wie der Hausmeister zusammenzuckte. Ein weiterer Zahnstocher landete in der Puppe.

Auch ohne die Voodoo-Maultasche reichte ihm die Portion aus. Er saß auf seinem Sofa und brütete nach, was er gegen den Hausmeister unternehmen konnte.

»Rrrurgs-rings. Rrrurgs-rings. Krgs krgs.«

»Ja, ja, ich komme.« Der Musiker fluchte.

Krötz stand vor der Tür und hielt sich mit einer Hand am Rahmen fest, die andere presste er gegen seinen Bauch.

»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Dark und versuchte, ehrlich besorgt zu klingen.

Dem Hausmeister standen Schweißperlen auf der Stirn.

»Jeder hat sich an die Hausordnung zu halten«, krächzte er. »Ist das Ihre?«

Im Treppenhaus lehnte die Trommel an der Wand, exakt da, wo er sie hingelegt hatte.

»Ja, sie war verschwunden.«

»Ich habe …« Der Hausmeister stockte. »Ich habe …«

»Sie haben was? Ihnen geht es doch nicht gut.« Die Vodoo-Maultasche, dachte Dark triumphierend.

Krötz nahm die Hand vom Bauch. »Mir geht es prima!«

Er machte kehrt und ging schwankend die Treppen hinunter, eine Hand vor den Mund haltend.

»Gute Besserung«, rief Dark ihm nach.

In der Küche betrachtete er versonnen seine Voodoo-Puppe. Sollte er einen weiteren Zahnstocher hineinstoßen? Oder sie mit Öl übergießen? Am Ende wurde ihm das unheimlich. Was, wenn der Zauber wirklich funktionierte? Er nahm den Teller und warf die Maultasche mit den Zahnstochern in den Müll.

Ein markerschütternder Schrei im Treppenhaus lenkte ihn ab. Er öffnete die Wohnungstür. Ihm schien, als ob weiter unten jemand vor sich hin wimmerte. Bevor er selbst die Bescherung sah, kam ein Nachbar entgegen.

»Den Kröll hat es im Treppenhaus hingehauen«, berichtete er. »Er lebt noch. Hat nur ein Bein gebrochen. Der Rettungsdienst ist informiert.«

Dark Resonanz kehrte in seine Wohnung zurück, lehnte sich an die Tür und atmete tief durch. Fürs Erste war er den Hausmeister los. Und wenn er wiederkam, so war er nicht mehr hilflos. Er wollte gleich einmal Maultaschen auf den Einkaufszettel schreiben. Und Zahnstocher. Und das eine Haar des Hausmeisters, das wollte er wiederfinden.

Blicke in den Spiegel

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