Читать книгу Perry Rhodan 2179: Akreols Welt - Michael Nagula - Страница 4

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Sein Erinnerungsvermögen hatte gelitten. Er kannte den Grund nicht, vermutete jedoch, dass es mit seiner Arbeit zusammenhing. Mit seiner Funktion. Seiner Betreuung der Fabrik, nachdem der ursprüngliche Verantwortliche gegangen war. Er wusste nur, dass er in den Phasen, in denen sein Gedächtnis funktionierte, bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gearbeitet hatte. Nun waren alle Vorbereitungen getroffen.

Er hatte es geschafft. Trotz seiner Einsamkeit. Trotz der Verlassenheit.

Ich danke euch zutiefst, ihr Perlen der Weisheit.

Zärtlich strich er über die Kette an seinem Handgelenk. Es mussten gut drei Dutzend Perlen sein. Er hatte sie nie gezählt. Türkis waren sie. Türkis wie die Hoffnung. Ohne sie wäre es ihm vielleicht nicht möglich gewesen, seine Aufgabe zu erfüllen.

Die Perlen hatten zu ihm gesprochen. Ihm ihr Wissen vermittelt, wann immer er es brauchte. Er hatte ihnen viel zu verdanken. Aber im Augenblick achtete er darauf, sie nicht zu lange zu berühren. Nach wenigen Sekunden sprachen sie zu einem. Vom Leben und von der Wissenschaft. An beidem war ihm gerade nicht gelegen.

Er wollte sich versenken und so vielleicht sein Gedächtnis neu beleben. Er hatte es verdient, sich an den stärksten Erinnerungen zu erfreuen, die ihm geblieben waren und die nichts mit Geschäften zu tun hatten. Erinnerungen an ein unendlich weises Volk.

Er faltete die Hände und hob den Blick.

Versonnen betrachtete er die Statue, die vor ihm auf einer Empore stand. Knapp zwei Meter hoch, sogar noch einen halben Meter breiter. Lebensgroß. Ein vierbeiniger Körper mit vierzehigen Füßen. Zwei knochige Armpaare, die in Höhe der Brust und im Bereich der Hüften aus dem Leib ragten. Ein katzenähnlicher Kopf, die Ohren spitz und sehr lang, oben abgeknickt. Neben der Nase zwei seltsame Tentakelfortsätze.

Ich bedaure so sehr, dass es euch nicht mehr gibt.

Er verehrte diese Wesen. Sie hatten lange vor seiner Zeit gelebt. Sie waren so weise gewesen, weiser als irgendwer sonst. Seit zehntausend Jahren waren sie schon ausgestorben, diese Vorgänger seines Volkes, diese persönlichen Lieblinge des Gottes Thoregon, der in allen Sonnen wohnt.

Die Wirkung, die allein schon von ihrer Erscheinung ausging, war der Zeit nicht zum Opfer gefallen. Er spürte sie auf seiner Haut.

Vor allem dich verehre ich, Kiesantharaah, dachte er und hob die Hand, als wolle er sanft über den schwarzen Stein der Statue streichen. Du bist mein Schutzpatron. Du hilfst mir über die einsamen Stunden meines Lebens hinweg.

Die Erinnerung an diese Wesen verlieh ihm Kraft. Sie half ihm, der Einsamkeit standzuhalten, die ihn erfüllt hatte, solange er zurückdenken konnte. Von Geburt an schien sein Leben voll davon gewesen zu sein. Stets hatte er zu große Nähe zu seinen Freunden und Artgenossen gemieden. Er hatte darunter gelitten. Aber er hatte auch gewusst, dass diese Zurückgezogenheit ihm gute Dienste leistete. Auf diese Weise hatte er sich auf seine Ausbildung konzentrieren können, als Kind wie als Heranwachsender, und war eingetaucht in die Zusammenhänge, die inzwischen sein Dasein bestimmten.

Nur deshalb hatte er seine Ausbildung mit so großem Erfolg abschließen können. Nur deshalb war er zum Nachfolger des Fabrikleiters bestimmt worden.

Aber es hatte ihn nicht daran gehindert, sich Fragen zu stellen. Über die Einsamkeit. Über sich selbst. Er hatte gelitten und gleichzeitig mit niemandem tauschen wollen. Wenn seine Mitschüler mit allerlei Geschichten prahlten, hatte er kein Bedürfnis verspürt, ihren Lebenswandel zu führen. Er hatte ungestört und für sich bleiben wollen.

Eine Zeit lang hatte er sogar geglaubt, dass er anders als seine Artgenossen sei und deshalb niemand an sich heranlassen könne, bis ihm klar geworden war, dass die Zeit für ihn nur noch nicht reif war. Seitdem hatte er immer die Hoffnung gehegt, einmal die richtige Person zu treffen. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Stets erfüllt von einer gewissen Unruhe.

Umso überraschender war das jähe Gefühl nie gekannter Ruhe gewesen, als er diese Statue zum ersten Mal sah. Sie war die Person gewesen, auf die er gewartet hatte.

Diese Statue, die herrlicher als alle anderen ist!

Und die geheimnisvolle Anziehungskraft schien beiderseitig zu sein, denn die Statue hatte ihn persönlich zu sich geführt. In seiner Geburtsstadt, im Hinterzimmer eines Taran-Händlers, dort hatte sie auf ihn gewartet.

Taran interessierte ihn nicht. Keinen Schritt weit wäre er dafür gegangen. Der Verzehr des stimulierenden Harzes entführte einen in fremde, surreale Welten. Es war, als glitte man aus dieser Dimension in eine andere, voller Farben und Formen. Das verwirrte einen nur, ließ einen den Halt verlieren. Es war ihm immer wichtig gewesen, so klar wie möglich in reale Welten zu blicken und zu begreifen, was um ihn herum vorging.

Also hatte er den Laden betreten, ohne den Grund dafür zu kennen, war schnurstracks ins Hinterzimmer gegangen – und dort hatte sie gestanden. Ihr Name hatte in seinem Bewusstsein gestanden, als ob sie ihn ihm zugeflüstert hätte.

Ihr Anblick hatte ihn schier überwältigt. Sein ganzes Einkommen eines jungen Ingenieuranwärters hatte er auf Jahre hinaus verpfändet, um in ihren Besitz zu gelangen. Seitdem hatte sie beide nichts mehr trennen können. Dann war er zum Fabrikleiter ernannt worden, und es hätte ihn fast den Ruf gekostet, als er darauf bestand, Kiesantharaah aufzustellen. Nur für sich. In einem eigenen Raum. Sonst wollte er nicht Fabrikleiter werden.

Seine Vorgesetzten hatten nicht schlecht gestaunt, aber sie waren seinem Wunsch nachgekommen. Kiesantharaah war in die Fabrik gebracht worden.

Du hast es mir mit deinem Schutz gedankt. Er streichelte die schlanke Fessel des rechten Vorderlaufs. Ohne dich hätte ich die Einsamkeit nicht überstanden.

Es hatte ihm schwerer zugesetzt, als er ursprünglich dachte, dass die Fabriken seit einiger Zeit ganz ohne Leben waren. Er hatte andere Zeiten gekannt, als noch etliche Arbeiter hier tätig waren. Es war für ihn einer der Gründe gewesen, diese Ausbildung zu beginnen, die ihn zum leitenden Ingenieur machen sollte. Er hatte über andere befehlen wollen. Als ihm klar geworden war, dass es nicht so weit kommen würde, hatte er keine Möglichkeit mehr gehabt, die Ausbildung noch zu wechseln. Er war bereits geweiht gewesen.

Und während er die Schulungen durchlief, die ihn mit allen Abläufen vertraut machten, war die Belegschaft immer weiter geschrumpft, bis nur noch fünf Leute zur Aufsicht vorgesehen waren. Dann waren es vier gewesen, dann drei ... und schließlich hatten ein Fabrikleiter und sein Assistent als völlig ausreichend gegolten.

In diesem Fall Ghem Jhegar und er. Sie hatten sich gut verstanden, vom ersten Tag an. Ghem Jhegar war ein Vorgesetzter gewesen, der die Tatsache, dass er rangmäßig über dem anderen stand, nie auch nur mit einem Wort erwähnte. Sie waren Freunde geworden, so dass er eine größere Belegschaft nicht vermisst hatte. Er war das Alleinsein gewohnt gewesen, hatte notfalls einen Ansprechpartner gehabt ...

Außerdem waren da noch Kiesantharaah und die Kette der Weisheit gewesen, die das Leben in der Fabrik für ihn zum Haal auf Erden machten.

Wie anders war es jetzt! Die immer gleichen mechanischen Abläufe, die er per Monitor überwachte, hatten ihn abgestumpft, sein Gedächtnis zersetzt. Es gab keine Außenreize mehr, die verhinderten, dass er selbst ein Teil der mechanischen Abläufe wurde.

Nicht mehr, seit Ghem Jhegar gegangen war.

Er hatte verstanden, warum sein Freund ihn zurückgelassen hatte. Ihm war eine andere Aufgabe übertragen worden. Was für eine und an welchem Ort, das hatte er nicht sagen wollen, aber es war ein Aufstieg gewesen – die leuchtenden Augen hatten es ihm verraten.

Traurig hatte er Ghem ziehen sehen und sich ins Unvermeidliche gefügt.

Er war nun der alleinige Herr der Fabrik.

Nicht, dass er diese Verantwortung nicht hätte tragen können. Er war gut ausgebildet und kam seinen Pflichten mehr als getreu nach. Viele Male war er schon belobigt worden, aber das alles hätte er gern eingetauscht gegen die Rückkehr seines Freundes.

Ach Kiesantharaah!, dachte er. Aus der vertrauten Einsamkeit ist Isolation geworden. Warum wurde mir dieses Schicksal zugedacht?

Er betrachtete den Kopf seines Schutzpatrons, der ihm leicht zugewandt war, und meinte in den schräg zur knopfartigen Nase verlaufenden Augen ein leichtes Funkeln zu erkennen. Als amüsierte er sich. Als gönnte die Statue ihm diese Frage, aber nicht die Antwort darauf.

Willst du mich quälen oder schonen?

Er wusste noch, wie Ghem eines Morgens zu ihm gekommen war, überglücklich, und ihm mitgeteilt hatte, dass er die Fabrik verlassen werde. Mehr hatte er nicht sagen wollen, obwohl er gesehen hatte, welche Wirkung seine Botschaft hervorrief. Beim bloßen Gedanken daran, seinen Freund Ghem vielleicht nie mehr wiederzusehen und allein in der Fabrik zurückzubleiben, waren Tränen in seine Augen geschossen.

Wie lange war das jetzt her? Er erinnerte sich nicht mehr. Aber dafür erinnerte er sich noch genau an das seltsame Gefühl, das ihn neulich befallen hatte. Er hatte den Eindruck gehabt, verbrannt und zerfetzt zu werden. Sein Herz hatte geschmerzt, als werde ein Messer hineingetrieben.

Er war überzeugt, dass seinem Freund Ghem etwas Schlimmes zugestoßen war. Aber es gab keine Möglichkeit, Genaueres in Erfahrung zu bringen. Er hatte es versucht. Er hatte mit seinen Vorgesetzten Verbindung aufgenommen. Aber niemand hatte ihm sagen können, wo Ghem seinen Dienst verrichtete. Es war geheim, so geheim, dass er langsam den Eindruck bekam, dass Ghem schon lange nicht mehr auf dieser Welt war, sondern ganz woanders.

Und jetzt – jetzt war er vielleicht tot!

Er schlug die Hände vor das wächserne Gesicht und beugte sich auf den Knien vor. Seine Handgelenke berührten sich. Sekunden lang.

»Was dem Mochichi fehlt, ist nicht so sehr Vertrauen in das Morgen. Es ist das Vertrauen in den Augenblick, das ihm abgeht. Das Vertrauen ins Jetzt.«

Er schrak auf, als er die Stimme der Perle vernahm. Er hatte sie aus Versehen aktiviert, gegen seinen Willen. Wie auf Geheiß einer höheren Macht. Und sie hatte Recht. Wie immer.

Er blickte zu seinem Schutzpatron auf, der ihn weiter aus seinen schmalen Augen anzublinzeln schien. Sein Flehen war erhört worden, aus Versehen, wie es schien. Er hatte den Eindruck, dass er durch die Perle zu ihm gesprochen hatte.

Kiesantharaah, ich danke dir. Er staunte über dieses erhabene Volk, das über den Abgrund der Jahrtausende hinweg mit ihnen in Verbindung trat. Deine Weisheit ist wahrlich unsterblich. Du hast mir wieder Mut gegeben.

Er richtete sich auf, die Hände im Schoß, und blickte seinen Schutzpatron an. So verharrte er noch einige Zeit in ehrfürchtiger Versenkung. Dann machte er das Zeichen der Verbindlichkeit, stand auf und verließ mit langen Schritten den Raum.

Sein Weg hierher war nicht vergebens gewesen. Er hatte sich erinnert, warum er die Arbeiten so nachdrücklich vorangetrieben hatte. Seine geheimen Auftraggeber verfolgten ein Ziel, und der Augenblick nahte, an dem er mehr über die Hintergründe erfahren würde.

Sie brauchten ihn nämlich. Was auch immer geschah oder unterblieb, dies war seine Fabrik. Es war richtig gewesen, hier auszuharren. Es war richtig gewesen, seiner Pflicht nachzukommen und alle erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.

Und wie auch immer diese Pflicht aussah, er hatte wieder Vertrauen ins Jetzt.

Perry Rhodan 2179: Akreols Welt

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