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Kapitel 4: Zimtgeruch und Butterduft
ОглавлениеKurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe, ordnete Max Heiliger seine Gedanken, in der Küche sitzend, dem Zimmer, in dem er sich am wohlsten fühlte. Es galt den neuen Auftrag zu planen, den vorigen Auftrag kleiner und kleiner zu reden, zu zerkleinern, in viele Stückchen, mit jedem Gedanken daran zu banalisieren, bis Max Heiliger sein – kurzzeitig – gewissenloses Ziel erreichte: ein Hehler tot? – Na, und? – Der neue Auftrag war etwas für Profis. Er war schwierig. Es war eine Frau. Weil Heiner nicht Heiner war, sondern Hilda. Und Hilda war eine Frau. Maria Deller musste sich verhört haben. Oder sie hatte in ihrer Erinnerung etwas durcheinander geschmissen, sinnierte Max voller Schadenfreude und wünschte ihr insgeheim die Demenz an den Hals, ins Hirn, die bösartige Zersetzung aus dem Hinterhalt, die seine Emilie bedrohte. Seine Frau! Max’ Gedanken rasten von Person zu Person. Eine Frau machte es schwierig. Obwohl? Hatten Frauen im Zeichen einer erweiterten Emanzipation nicht das gleiche Recht auf einen professionell besorgten Tod wie jeder Mann? Was Jordan Ganter ihm im Gespräch nicht hatte erzählen können, förderte der Brief nebst der versprochenen Anzahlung zutage. Die beigelegten 3000 Euro, die sein Schwager – Gott sei es gedankt – nicht per Zufall ertastet hatte, lösten ein Wonnegefühl in Max Heiliger aus, sie waren auch eine Verpflichtung den Menschen gegenüber, die seine Dienste in Anspruch nahmen, ihm vertrauten. E wie Ehrenkodex. Oberst a. D. Utz Entle trug seinen Rang nicht wie ein zufällig erworbenes Mitbringsel vor sich her. Der Offiziersrang untertitelte auch die Frage der Ehre, die mit der Ausbildung zum Kriegshandwerk einherging, und die Utz Entle unterschwellig in einigen Artikeln anklingen ließ. Ehre war ihm wichtig. Max, der Bilder des Obersten gesucht hatte, war nicht fündig geworden, machte sich stattdessen selbst eine Vorstellung, wie der Mann auszusehen hatte, und war bei einer Figur angelangt, die einen englisch, adretten Sportsmann umrahmte, mehr Gentleman als Krieger.
H wie Humanes Töten. Ein Gentleman tötete human, gar keine Frage. Utz Entle sprach diesen Aspekt zeitweilig in seinem Buch an und plädierte für die Senkung der Hemmschwelle des Tötens im Fall einer berechtigten Vorgehensweise. B wie Berechtigtes Töten. Human und Berechtigt. Beides waren große Worte. Humanität fand sich in der Realität nicht so oft, wie es jene gerne hätten, die diesen Begriff großflächig verwendeten. Und eine Berechtigung war immer eine Frage des Standpunktes. Dieser entzog sich Fragen der Ehre, erst recht der Humanität und ganz sicher auch einem Gewissen. In Berechtigung steckte Recht, aber nicht Gerechtigkeit, philosophierte Max Heiliger. Recht hatte grundsätzlich, wer stärker war, wer sich seinen Platz erkämpfte. Oder erkämpfen ließ. Wie jene Auftraggeber des Altenheims, die eine inhumane Behandlung seitens der Heimleitung, genauer der geriatrischen Seite bemängelten, zuerst, eine bessere Behandlung forderten, dann, um Hilfe schrien, zuletzt. Sie hatten es sogar geschafft, der »Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter« eine Botschaft zukommen zu lassen. Dort berichteten sie ausführlich über die Misshandlungen, die ihnen zuteil wurden, Vernachlässigungen durch Pfleger, die zu vernachlässigen gewesen wären, gäbe es nicht die diktatorische Führungsspitze dieser weiß gewandeten und in Filzpantoffeln herumschleichenden Aufpasser. Die ältesten unter den Heimbewohnern hatten den Zweiten Weltkrieg zwar noch physisch, aber kaum bewusst erlebt, wagten den in der Öffentlichkeit und bei den Verantwortlichen indiskutablen Vergleich zu Konzentrationslagern und flüchteten sich in eine eingekerkerte Verwirrung, als Hilfe von außen, der Folterstelle, ausblieb, weil es so schlimm nicht war, wie es verlautete, nicht annähernd, weshalb sie sich ängstlich noch mehr abschotteten. Ein paar Wenige wollten sich mit einem Schutzpanzer aus Konsternierung als letztes Mittel nicht abfinden und ersannen den Plan, den Todesengel, Hilda Fritzelshues mit Wahrnamen, aus dem Weg zu räumen, in der Hoffnung, es finde sich zu ihren Lebzeiten kein adäquater Ersatz mehr.
Natürlich suchte Max Heiliger nach nur mehr als einem Motiv, dem aus Geldnöten. Er fahndete nach besagter Humanität und fand sie in der Sympathie zu diesen Leidensgenossen – das könnte ich sein – und verlangte sich das Beste ab, was er zu bieten hatte. Und das war – nicht viel, leider. Noch nicht, dachte Max. Auf dem Gebiet der Planung eines Verbrechens war er weiterhin ein Amateur, er verfügte lediglich über eine gewisse Berufserfahrung, was ihn amüsierte, weil ein Gefühl der Berufung in ihm gärte. »Der kleine Mordratgeber« lag in eindeutig gelesenem Zustand vor ihm aufgeschlagen auf dem Tisch. Zahllose selbstklebende Merkzettel ragten als Lesezeichen zwischen den Seiten heraus. Der Plan verdichtete sich. Recherche vor Ort würde unabdingbar sein. Max Heiliger wollte human, berechtigt und professionell töten. Emilie würde ihn – unwissentlich – begleiten.
Auf der Fensterbank leuchtete ein Plastikweihnachtsbaum, einen halben Meter hoch, mit kleinen gelben, grünen und roten Glühbirnen ausgestattet. Das Fenster selbst hatte Max mit grasgrün glänzendem Flitter umkränzt. Auf dem Tisch stand ein Adventskranz, aus Kunststoff, mit roten Seidenimitatbändern gegürtet, schief in Schleifen gezogen. Max Heiliger hatte sein Bestes gegeben. Oben auf dem Kranz glimmten vier noch kleinere Glühbirnen als am Weihnachtsbaum, flammengleich zuckend, ankündigend, das Christkind käme bald. Seine Frau saß ihm gegenüber. Sie hatte ihm zum Lottogewinn Fragen gestellt, freundliche und glückliche. »Dann wird das ein schönes Weihnachten?«, hatte sie gefragt.
»Ein sehr schönes«, hatte Max ihr geantwortet. Er bedauerte es, dass sie seine Dekoration nicht sehen konnte. Dafür duftete es aus dem Ofen, wo er gekaufte Plätzchen sachte aufheizte. Backen konnte er nicht, wollte jedoch die Illusion hingegen so realistisch wie irgend möglich gestalten. Dazu gehörten Weihnachtsplätzchen, die besten, die zu kaufen waren.
Emilie wusste um die Haushaltsfertigkeiten ihres Mannes genau. Jahrzehntelang hatte sie die Wohnung gehütet, eine andere noch, geräumigere als diese, ausgestattet mit einem Arbeitszimmer, wo sie die Schularbeiten in aller Ruhe korrigierte und von eigenen Kindern träumte. Der Haushalt war zügig von der Hand gegangen, da Max beruflich viel unterwegs war. Männer, die selten daheim waren, sorgten auch nicht für Dreck und Unordnung in der Wohnung. An den Wochenenden erholte sich ihr Max, rührte sich draußen auf Spaziergängen mehr als drinnen. Die Liebe fand im Bett statt, die Nahrungsaufnahme in gutbürgerlichen Lokalen, die Unterhaltung noch in Theatern und Kinos. Erzieherisch sicher, wie es ihrer Berufstätigkeit entsprang, hatte sie für eine genau dosierte Mischung aus Bildung und Unterhaltung gestimmt und bekommen. Es war eine schöne Zeit gewesen. Der Kinderwunsch kam und ging, zeitweilig eitrig brennend, abebbend in gemeinsamer Langeweile und der Ernüchterung, dass da sonst nicht mehr viel auf sie beide warte. Die Blindheit war ein Schlag ins Gesicht. Sie kam nach der Pensionierung, da man noch einmal alles hätte genießen können, was da draußen so für das Alter versprochen wurde. »Die Plätzchen«, sagte Emilie. »Sind sie schon gut?«
Max zog das Blech aus dem Ofen und drehte die Temperatur herunter. Er blies über die geöffnete Ofenklappe, damit kein Krümel das neue Küchengerät vorzeitig ruinierte. »Sind gut«, erwiderte er mit fachmännischem Unterton. All die Fernsehköche sprachen so. Das Plastikgeschirr – mit weihnachtlichen Abbildungen darauf, das hatte er ihr verschwiegen – enthielt im Set auch zwei Schüsseln, rot und grün gefärbt, mit Putten auf den Rändern. Hierauf verteilte er die Plätzchen und stellte eine Schüssel auf den Tisch, die nächste in Griffreichweite auf die Spüle.
Von Zimtgeruch und Butterduft umzingelt, knusperten sie an ihrem Gebäck, ohne zu bemerken, dass sie von unsichtbarer Seite her beobachtet wurden. Ein metallisches Klatschen auf Holz beendete die traute Zweisamkeit und die Observation aus der Tiefe des Küchenbodens. Eine Mausefalle hatte ihre Arbeit getan, das Stück Käse, als Köder dort platziert, war zerquetscht, das Genick der Maus unter dem Metallbügel ebenfalls. Das Schicksal sprang in diesem Augenblick hinzu. Das Bild, so bedeutungsschwanger, verwandelte sich, und Max bekam eine grauenhafte Idee, die so gar nicht zu der heiligen Stimmung jenes Spätnachmittags im ausgehenden Dezember passte. Eine Maus wollte Käse. Die Falle brauchte einen Köder. Max benötigte einen Köder. Er sah Emilie an, und in diesem Moment bemächtigte sich ein böser Gedanke seiner Seele – den er nicht als solchen empfand – überlagert von dem irrigen Selbstbewusstsein, alles schaffen zu können, von pervertiertem Ehrgeiz, den er tief in sich brodeln fühlte, ehedem zum letzten Mal, als er mit einer Lkw–Ladung zum Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in die Ukraine geschickt worden war.
Jordan Ganter würde der Köder sein.
»Probier mal die anderen. Hier.« Max reichte ihr ein Plätzchen von der anderen Seite der Schüssel in die offene Handfläche.
Sie tastete eine Handbreit zu einer Tasse Kakao und tunkte das Vanillekipferl in die Flüssigkeit, während er die Maus samt Falle – Max ekelte sich – zuerst in eine gebrauchte Einkaufsplastiktüte warf und das so gefüllte Behältnis anschließend in den Abfalleimer bugsierte. Feiner weißer Zucker schwemmte zu den Seiten von Emilies Tasse weg und vermengte sich mit dem dunklen Schaum der heißen Schokolade. Kurz saugte sie den Kakao aus dem Vanillekipferl, zerbröselte dann nach einem genau festgelegten Ritual die mürbe gewordene Keksmasse mit der Zunge am Gaumen und war erst zufrieden, sobald der gelutschte Brei seine gesamten Aromen im Mund entfaltete. Dann schluckte sie alles herunter.
Max sah das Ergebnis des aktuellen Auftrags noch diffus vor Augen. Der Weg indes war klarer. Da war der Rücken von Jordan Ganter. Der alte Mann ahnte nichts von der Annäherung hinter seinem Buckel. Sein Auftraggeber hatte eindrücklich auf die Gefährlichkeit von Hilda Fritzelshues hingewiesen, im Brief und per Telefon. »Der einzige Grund, der einzige, warum noch niemand von uns durch ihre Hand, warum noch niemand von ihr getötet – verstehen Sie? Der einzige Grund ist, sie fürchtet die Bestrafung! Was hat sie gekuscht bei dem Mann von dieser Folterstelle, wo nach den Misshandlungen gefragt wurde, nichts gefunden wurde, natürlich – man hat sie über den Besuch auch vorher in Kenntnis gesetzt, sagt man doch vor einer Razzia immer Bescheid in diesem, ach – auf jeden Fall, nehmen Sie sich in Acht. Ich kann es nur betonen. Nehmen Sie sich in Acht!«
Es würde nicht einfach werden, Ganter von der Notwendigkeit zu überzeugen, für Fritzelshues das Lockmittel zu spielen. Max wollte Jordan Ganter versichern, dass ihm nichts geschehen werde. Eine Maus kannte Käse. Hilda Fritzelshues benötigte einen Anziehungspunkt, den sie kannte und der es vermochte, sie von den anderen zu separieren, möglichst an gelungen gelegener Stelle. Max hatte mit Ganter über die verschiedenen Aktivitäten der nächsten Wochen und Monate konferiert – das Gesprächsvolumen seines neuen Telefons wurde pauschal abgerechnet, weshalb sie sprechen konnten, ohne auf die Uhr achten zu müssen, wie Max stolz festgestellt hatte – und so waren sehr unterschiedliche Tatorte ins Visier von Max' Überlegungen geraten.
U wie Unfall. N wie Natürlicher Tod. Utz Entle hatte diese beiden Stichworte in die Königsklasse des Mordens einsortiert. »Gelingt es Ihnen, interessierter Leser, einen Mord wie einen Unfall oder einen natürlichen Tod aussehen zu lassen, haben Sie, wenn Sie den Ausdruck gestatten, das Klassenziel erreicht.« So hatte es der Oberst geschrieben. Um dies zu gewährleisten, sei eine umfangreiche Vorarbeit nötig. Recherche und Planung, Beobachtung des Objekts und Abwägung der Mittel. Max war nach den bisherigen Erkenntnissen zu dem Schluss gelangt, den Auftrag nicht zur Gänze allein ausführen zu können. Er benötigte einen Partner, anders ausgedrückt, er musste seinem Opfer eine Falle mit einem realistischen Köder stellen. Der Tatort sollte mit dem Alltag des Ziels wenig zu tun haben, am besten gar nichts. War das Ziel an die Örtlichkeiten gewöhnt, konnte es Veränderungen frühzeitig bemerken und misstrauisch werden. Plätze im und um das Altenheim herum kamen somit überhaupt nicht in Frage. Ein Zeitfenster sollte unabhängig von der Wahl des Tatortes eng begrenzt sein. Je weniger Zeit für die Tat zur Verfügung stand, desto unwahrscheinlicher war ein geplanter oder ungeplanter Mord für den außen stehenden Betrachter.
»Hast du einen neuen Freund?« Emilie biss in ihr drittes Vanillekipferl.
»Einen neuen Freund? Wo soll ich einen neuen Freund herhaben? Ich lern doch keinen kennen.« Max schindete Sekunden.
»Du hast mit einem Jordan telefoniert. Ich hab dich gehört. Ihr ward vertraut miteinander, hatte ich den Eindruck.« Es war ein Winternachmittag, wie Emilie sie seit ihrer frühesten Kindheit mochte. Süßigkeiten, heiße Getränke, vielleicht einen Eierpunsch oder einen Glühwein in erwachsenen Jahren, und sie war versucht, Max danach zu fragen, sträubte sich aber noch, da ihr das Beisammensein im Augenblick perfekt erschien und sie, wie sie sich in warme Watte eingelullt fühlte, glücklich war.
»Jordan?! Ach, der ist kein Freund. Ach, nein, der nicht. Das ist, der ist nur alt, wie ich, wir. Sonst nichts. Wir haben uns beim Einkaufen getroffen und gequatscht. Ein paar Mal. Nachher haben wir Telefonnummern ausgetauscht. Wir sind beide nicht gut zu Fuß. Und der Kaffee im Café ist zu teuer. Jetzt vielleicht gerade nicht, aber, ja, er muss es ja nicht wissen. Auch sonst keiner.« Er machte eine Pause. »Du sagst es doch auch keinem?«
Emilie lehnte sich zurück, merkte, wie die Anspannung aus den Muskeln wich, alles weicher wurde, gegen die hohe Lehne gedrückt. »Wem sollte ich es sagen?«
»So ganz aus der Welt bist du nicht.« In der Tat gab es mehr Menschen, die mit Emilie sprachen als mit ihm. Max traf diese Feststellung neidlos. Sie hatte den Mitleidsbonus, der andere anzog. Sein Stock, so beschloss er, galt anderen als zu wichtigtuerisch und stieß ab. Offene Zeichen der Schwäche kamen nie gut an, fand er, sie vermittelten ein unbegründetes Gefühl der Ansteckungsgefahr. Im Sinne einer körperlichen Behinderung war das selbstverständlich ausgemachter Blödsinn. Emilies Blindheit hingegen, gepaart mit ihrem elegant alten Aussehen, der leichten aristokratischen Hilflosigkeit, lockte andere Menschen an, als schauten sie ein Orakel einer vergangenen Epoche.
»Ich sag nichts«, meinte Emilie. Ihre hellen Augen sahen an ihm vorbei, zum Fenster, wo die Lichter funkelten.
Er wünschte, sie könnte die bunten Farben sehen. Ein Wunsch, der niemals wahr werden konnte. Er wünschte, ihre Verwirrtheit kehrte nie mehr zurück und die Entrückungen aus der Gegenwart blieben vereinzelte Ausrutscher. Die Prognose der Ärzte widersprach diesem Wunsch. Es würde schlimmer werden. Wie sehr oder wann, das konnte oder wollte ihm niemand sagen. Max griff nach ihrer Hand, er bedeckte sanft ihre Finger, so runzelig, fleckig, so zart wie eh und je, wenn er die Augen selbst schloss und in die Vergangenheit reiste, an die verschiedenen wichtigen Punkte ihrer Zweisamkeit, die länger und länger geraten war. Ein Jahr, noch ein Jahr, bis zum zehnten, dem zwanzigsten, dreißigsten, vierzigsten Hochzeitstag, und wie die Zahl schier unglaublich war, betrachtete man sie von der Warte eines jungen Max Heiliger aus. Wie die Zahl am Ende zu einem gigantischen Geschenk anwuchs, dem Gefühl nach unverdient und derart mit Liebe angefüllt, dass die Brust bei dem Gedanken an sie zu platzen drohte und Tränen das Herz überfluteten, gejagt von dem Gedanken, diese Zeit, so ewig sie schien, werde einst enden.
»Ist doch nur Spaß«, sagte Max. »Mein ich. Aber wir müssen auch vorsichtig sein. Es hat sich so viel geändert. Und Leute werden für weniger überfallen.« Und getötet, fügte er in Gedanken hinzu. Der Tod war es auch, der dem Weihnachtsnachmittag den Zauber nahm, denn Tod war das hauptsächliche Thema von »Der kleine Mordratgeber« vor ihm auf dem Tisch.
»Willst du mir etwas aus dem Buch vorlesen?«
»Bitte?«, fragte Max, vollkommen aus den Gedanken gerissen.
»Das Buch? Hast du das auch neu? Ich höre dich täglich darin blättern. Und es ist dick. Hab ich gefühlt. 1000 Seiten?« Emilies Hand tastete nach den Butterplätzchen.
»Mehr. Etwas mehr als 1000«, antwortete Max langsam. »Ist ein Fachbuch. Deshalb so dick. Das wird dich nicht interessieren. Ist übers Lkw–Fahren. Heutzutage.« Er seufzte theatralisch. »Ich vermisse das.«
Emilie schmunzelte. »Tust du nicht.« Dann lächelte sie breit. »Nein, tust du nicht. Du vermisst das nicht.« Nach drei Sekunden fragte sie mit ängstlichem Timbre: »Was steht in dem Buch? Wirklich?«
»Wie man den blöden Schwager loswird«, erwiderte Max lapidar. Seinem Ton war nicht anzumerken, ob er es ernst meinte oder nicht.
Sie erkannte, dass er ihre Frage nicht zu beantworten gedachte. »Ich weiß, du magst ihn nicht.« Ihre Stimmung schlug um. Weihnachten war nur ein Geruch. Eine Temperatur draußen. Weihnachten war kein Gefühl mehr. »Ich will mich hinlegen. Ich bin müde«, quengelte sie plötzlich. Sie stand vom Tisch auf, sicherer als in jener Nacht, in der er sich mit Maria Deller getroffen hatte. Jeder Handgriff saß. An der Tischkante entlang hinüber zur Küchenzeile waren die einzelnen Schritte genau bemessen, die Bewegungen präzise in den wachen Momenten memoriert. Emilie blieb an der Küchentür stehen. »Du sagst mir noch, was in dem Buch steht? Oder?«
Max seufzte. »Es ist über Haushaltsführung. Und Geldanlagen, Schatz. Nichts Weltbewegendes. Das bisschen Geld, das soll wenigstens nicht durch – irgendwie blöd verloren gehen.«
Emilie nickte, den Kopf in seine Richtung gewandt und beinahe glaubte Max, sie könne ihn doch sehen. Der bleiche Schimmer in ihren Augen machte das kurze Wunschbild zunichte.
In den folgenden Tagen telefonierte Max Heiliger ein ums andere Mal mit Jordan Ganter. Er fand, eine persönliche Aussprache, wenn auch fernmündlich, sei für sein Anliegen die Methode, die den anderen Mann am ehesten überzeugen helfen konnte. »Ich bürge für Ihre Sicherheit«, flüsterte Max sich selbst zu, wie ein Schlangenbeschwörer, der sein wiegendes Gegenüber zu hypnotisieren gedachte. »Ich bürge für Ihre Sicherheit.« Wie das anzustellen sei, in diesem konkreten Fall, vermochte er nicht zu sagen. Sein Plan war noch nicht so ausgereift, wie er es gerne zu diesem Zeitpunkt seiner kleinen Präsentation – fachmännisch ausgedrückt – gehabt hätte. Während ihrer langen Gespräche hatte Max seinen Auftraggeber Ganter um außergewöhnliche und wiederkehrende Veranstaltungen des Altenheims gebeten, solche, die nicht nur Abwechslung mit sich brachten, vielmehr auch eine Veränderung des Standortes.
Jordan Ganter konnte nur mit drei Gelegenheiten aufwarten. Max freute sich, hatte er nicht einmal mit einer gerechnet. Die Drangsalierungen im Heim, derer Ganter nicht müde wurde aufzuzählen und deren Einzelheiten stets dazu gewannen, hatten nicht den Anschein irgendwelcher Vergünstigungen erweckt. Dennoch gehörten drei Ausflüge im Jahr zum Standardrepertoire der Aktivitäten, und solange Ganter und seine Kumpanei in Sachen Auftragsmord Zwangsgäste im Heim waren, hatte es nie Ausnahmen dieser Regeln gegeben. Grundsätzlich in den Nebensaisons verschiedener Landstriche – es war billiger, außerdem waren Sonderpreise ausgehandelt worden – fuhr das gesamte Heim in eine wenig ausgelastete Unterkunft in der Nähe eines ganz normalen Urlaubsortes. In zwei Fällen war es ein mehrtägiger Ausflug, im letzteren Fall transportierte man die alten Herrschaften morgens an die See und abends wieder zurück. Handelte es sich um einen dringend gewünschten Tapetenwechsel, wurde er trotzdem von vielen Heimbewohnern verabscheut, da man sie auf der langen und für sie pausenlosen Fahrt gegen ihren Willen mit Windeln bewehrte, ob nun inkontinent oder nicht. Die erduldete Erniedrigung, getarnt als Zuwendung für mehr Lebensqualität, empfanden viele als grauenhafte Schmach. Manche versuchten sich sogar mit vorgetäuschter Bettlägerigkeit davor zu drücken und gerieten so in Verhaltensweisen lang vergangener, ängstlich gefürchteter Tage zurück, da dieses Verhalten geholfen hatte, eine drohende Klassenarbeit nicht schreiben zu müssen. Für Max Heiliger schied der Tag an der See für seine Zwecke aus. Die anderen beiden Aktivitäten, die sich über ein ganzes Wochenende im einen Fall, eine Kurzwoche im anderen Fall – weil finanziell noch günstiger im Aufenthalt – erstreckten, waren besser für die Umsetzung seiner Ideen geeignet. Das Wochenende entführte die Rentner auf ein umgebautes Kasernengelände in der Nähe von Münster. Die ehemaligen Gebäude der Bundeswehr boten Mehrbettzimmer und Tagesausflüge ins benachbarte Umland – ohne Windelzwang – mit Kaffee und Kuchen und – weil im Sommer gelegen, einer Jahreszeit, in der Rucksacktouristen einen Bogen um dieses Gebiet machten – einem Grillabend, der von einem örtlichen Werbeverband unterstützt wurde, weil man zeitgleich Artikel wie Heizdecken und Katzenfelle vorausschauend für die kalte Jahreszeit anpries.
»Ich habe schon zwei Katzenfelle und drei Heizdecken«, empörte sich Jordan Ganter hinter vorgehaltener Hand über diesen Umgang mit ihnen. Diese Verquickung von Ausflug und Verkaufsveranstaltung war bei den Folterprüfern gleichfalls auf taube Ohren gestoßen, die Regierungsbeamten – Zitat: Wir nehmen das trotzdem sehr ernst. – hatten indes versprochen, die Beschwerden der Heimbewohner an die Verbraucherzentrale weiterzuleiten. Hier sah man eher eine Zuständigkeit gegeben. »Zwei Katzenfelle«, sprach Jordan Ganter weiter, »von Viechern, deren Felle so aussehen wie von räudigen Straßenkatern.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Niemand hört uns zu.«
»Ich schon«, erwiderte Max. Aber wer lässt sich heutzutage noch Katzenfelle andrehen, dachte er bei sich. Die können doch nicht echt sein? Max Heiliger meinte sich zu erinnern, von einem Verkaufsverbot von Katzenfellen gelesen zu haben.
Nun handelte es sich um ein früheres Kasernengelände, und die damalig Verantwortlichen hatten das Gelände nicht nur an einen Jugendherbergsbetreiber verkauft, der daraus ein Hostel machte, ein Minimalhotel für genügsamste Ansprüche, es war ihnen sogar gelungen, die benachbarte, ehemalige Schießbahn an einen Schützenverein zu verkaufen. Im Sinne guter geschäftlicher Nachbarschaft lotste der Betreiber des Hostels seine Gäste mittels Werbezetteln und Gutscheinen – fünf Schuss sind frei – zur Schießbahn. Weiße Jahrgänge, also solche, die nie zur Bundeswehr eingezogen worden waren, hatte das Altersheim nicht zu bieten, deshalb wurden die Männer, selbst solche, die gehbehindert waren oder an einem Tremor der Hände und Arme litten, zur Teilnahme am Schießwettbewerb des Altenheims vergattert und konnten so im hohen Alter noch einmal ihre Kunstfertigkeit mit einem Gewehr beweisen, in verschiedensten Kalibern – voller Stolz bis 7,62 mm – und lauter Wolkentreffern, weil jeder seine Schüsse verriss und in die Lüfte feuerte, voller Enthusiasmus allerdings.
»Hat sich doch jeder gedacht, ich treff die Fritzelshues«, sagte Jordan Ganter. »Das war's vermutlich, weswegen sich keiner wirklich, mit Nachdruck beschwerte. Ich hab auch gehofft, ich krieg sie vor die Flinte. Dreh mich nur kurz um, tu so, als wüsste ich nicht genau, was ich da mache und zack, hab ich sie!« Ganter redete sich in Rage.
Max bremste ihn mit einem leisen Lächeln aus.
»Nee, es wär nicht gegangen. Die Fritzelshues lässt sich auf der Schießanlage nicht blicken. Die ist vorsichtig. Nicht blöd.« Aus dem Hörer raschelte etwas. Ganter putzte sich die Nase.
Der dritte Ausflugsort, jener, der dem Altenheim pro Jahr einen Kurzausflug in der frühlingshaften Vorsaison wert war, befand sich im Sauerland, in Mittelastenberg, nahe des Kahlen Astens, dem beliebten Ausflugsziel für Skifahrer aus dem Flachland, also Holland. Holländer hielten sich in dieser für Wintersportler zu späten Jahreszeit nur noch bedingt im Sauerland auf. Die Schneedecken waren vielerorts auf den Pisten weitgehend geschmolzen, die echten Flocken, wie auch jene per Schneekanone hochgeschossenen. Vereinzelte weiße Haufen pappiger Eiskristalle im saftigen Grün des frühen Jahres, von Dreck und Streumitteln überzogen, wirkten wie Schmutzflecken in der ansonsten tadellosen Landschaft. Die Bewohner des Altenheims brachen in die vorübergehende Stille des Ferienortes kaum lebhaft, nur als Störfaktor ein, gehörten sie eben nicht zu den gewollten Besuchern dieser Urlaubsgegend, die eine betuchtere Klientel bevorzugte.
Max Heiliger hörte sich die Zustände während des Aufenthaltes der alten Leute in Mittelastenberg genau an. Die Ausflugsziele interessierten ihn. Der Kahle Asten, keine tausend Meter hoch, aber immerhin ein Berg, bot mit seiner zentralen, dennoch entlegenen Stellung eine faszinierende Gelegenheit für einen Coup, wie Max ihn beabsichtigte. Im Winter war die abgeflachte Spitze ein beliebtes Ziel. Bei wärmeren Temperaturen war die Aussicht weit. Sie bot den meisten Besuchern darüber hinaus den einzigen Anreiz für eine Fahrt auf den Berg, erläuterte Jordan Ganter. Max hörte genau zu. Der Ablauf eines Tagesausflugs dorthin war jedes Mal der gleiche. Hilda Fritzelshues gefiel dieses Ziel anscheinend und gesellte sich auch zu den Ausflüglern, ohne Schlaginstrument, dafür mit einem gebleckten Gebiss, das ausreichte, um auch dem standhaftesten Zinnsoldaten Angst einzujagen. Sie verhielt sich wie ein Hütehund zu seiner Schafherde, schnappte nicht, dafür rempelte sie. Auf den unebenen Wanderwegen, auf denen gutes Schuhwerk Pflicht war – und keiner der Heimbewohner verfügte über dergleichen – spielte sie ihr eigenes Kegeln, brutaler als jenes, das abends, zivilisierter und regelgerechter auf einer Bahn in Mittelastenberg für die Heimbewohner organisiert wurde. Wer fiel, schabte sich die Handflächen auf, zerriss seine Hosenbeine, oftmals ohnehin dünn und zertragen, und quälte sich mühsam wieder auf die Beine, meist ohne Hilfe. Fritzelshues gefiel es so.
Rage und Hüten. Über die Rage gewann Max seinen Auftraggeber für seinen Plan. Wer daran gedacht hatte, die Fritzelshues über den Haufen zu schießen, so die Überlegung, werde auch als Köder dienen, ein Zustand, der von Jordan Ganter nichts anderes verlangte, als die Fritzelshues von der Herde zu trennen und sich lockend zu präsentieren, damit Max den ungeschützten Rücken des »Teufels in Weiß«, wie ihr Spitzname nun immer häufiger im Gespräch fiel, angehen und die Frau niederstrecken konnte. Den Schlag, gut dosiert, wollte er im Augenblick der Überraschung ausführen und sollte – musste unbedingt – von vorne erfolgen.
»Haben sie ein Problem, den Mord vielleicht zu sehen?« Wie viel Schock war Jordan Ganter zumutbar? Was konnte der Mann ertragen, bevor er sich anders entschied und Max möglicherweise verriet?
»Ich kann was ab«, entgegnete Ganter übermütig. Offensichtlich von der eigenen Antwort irritiert, runzelte er nachdenklich die Stirn. »Hätten Sie mich das vor einem Jahr gefragt ...« Er sah auf seine leicht zitternden, gefalteten Hände, die eine andere Antwort gaben. Nein, hieß das. Nein. Nein. Nein! Niemals! In diesem Leben nicht!
Max begriff die Geste und hielt Ganters zitternde Hände fest.
P wie Pause. P wie Perfektion. Utz Entle hatte zu beiden Begriffen eine eindeutige Empfehlung und Meinung. Die Pause gestattete es dem angehenden Mörder, die mörderischen Absichten zu überdenken und, gegebenenfalls, zu ändern oder zu verwerfen, falls die Angst Oberhand gewann oder sich die Überlegungen als hanebüchen herausstellten. Dies brachte den Oberst a. D. zur Perfektion. »Sie wird in vielerlei Disziplinen gesucht. Überall dort, wo alle Faktoren bekannt sind, im Vorfeld herausgefunden werden können, wo die Absolvierung von Testläufen den Plan überprüfbar macht, Simulationen vor der eigentlichen Prozedur Sicherheit für eine perfekte Umsetzung versprechen. Doch dann und besonders dann, wenn menschliche Faktoren ins Spiel kommen, natürliche Unwägbarkeiten eine Rolle spielen – und sei es nur das Wetter – können Sie nicht mehr auf Perfektion hoffen. Ein getürkter Unfall oder ein scheinbar natürlicher Tod sind Auswege aus der Perfektionsbredouille. Mit Tarnung können Sie über einen Mord hinweg täuschen. Einen Ansatzpunkt zur Aufklärung der Tat wird immer zurückbleiben. Über die Überraschung kann eine Tat verschleiert werden. Nicht jede Tat, die unwahrscheinlich scheint und als letzte Variante eines Ablaufs übrig bleibt, wird auch mit einer romantisch–bellestristischen Hartnäckigkeit verfolgt werden. T wie Tarnung geht mit P wie Präsentation einher. Präsentieren Sie eine Lösung – L wie Lösung, mehr auf Seite 468 – die naheliegend, nicht allzu offensichtlich scheint. Geben Sie den Ermittlern ein Erfolgserlebnis.«
Max versprach, sich rechtzeitig zu melden und weitere Einzelheiten mit Ganter zu besprechen. Von seiner Absicht, den Tatort in Augenschein zu nehmen, sich eine gute Stelle zu suchen, auch alternative Plätze, um für Eventualitäten gewappnet zu sein, erzählte er zu diesem Zeitpunkt nichts. Er betonte nur, er werde sich eingehender mit Hilda Fritzelshues beschäftigen. Diese war kein Kraftpaket wie ein Cornelius Deller, nichtsdestotrotz schien ihm die Suche nach Schwachstellen des Zielobjektes wichtiger denn je.
Nach dem Weihnachtsfest, besinnlich und gemütlich verbracht, mit einer Emilie, die er milde gestimmt hatte, packten sie zwei Koffer, ausgestattet mit Rollen, so dass Max sie über den Bürgersteig ziehen konnte. Am Bahnhof setzten sie sich in eine S–Bahn, zuerst nach Dortmund und dort in eine Regionalexpress–Verbindung ins Sauerland. In Winterberg angekommen, nahmen sie einen Bus nach Mittelastenberg.
»Riechst du das?« Max blieb am Rande der kleinen Ortschaft stehen. Ein schneebedeckter Hang, unter dem sich eine Weide befand, die eine Scheune und eine Kuhtränke in der Nähe vermuten ließen, gab den Blick auf eine zu beiden Seiten weitläufige Waldfläche frei, hinter der sich der Kahle Asten erhob. Die Luft war kühl und erfrischend, sie roch klar und rein. Die verminderten Sinne Emilies mussten, so hoffte es Max inständig, die Veränderung in der Umgebung wahrnehmen. Die Stille, dank der nur vereinzelten Automobile, die ihren Weg hin zur Pension fanden, gellte in den Ohren. Plötzlich fehlte die gewohnte Geräuschkulisse von Keysaburg. Das wüste, öde Grau der Straßen tauschte mit dem satten, dunklen Grün des Sauerlands. Max wollte gerne hier bleiben.
»Ist es schön?«, fragte Emilie auf einen befriedigt klingenden Seufzer von Max hin. »Es ist wunderschön.« Er schaute sich lange um. Die Kälte kribbelte auf der Haut des Gesichts, rötete sie auf angenehme Weise. Max sah Emilie an. »Wir haben Urlaub, Schatz.«
Sie nickte. Ihre suchenden Finger glitten seinen Ellenbogen zu seiner Hand hinab.
In den nächsten Stunden und Tagen versuchte sich Max weltmännisch zu geben und sich nicht anmerken zu lassen, wie ungewohnt er es fand, bedient zu werden und sich ein Gefühl der Peinlichkeit einstellte, sobald ein Teller abgeräumt, ein Getränk gebracht oder das Bett wie von Zauberhand bei ihrem Eintritt in das Zimmer gemacht vor ihnen lag. Kurz vor ihrer Abreise erst verging das Gefühl, und ein vergessenes Wohlbehagen wallte in Max auf. Sie standen beide auf dem Kahlen Asten, die letzten Minuten des alten Jahres vergingen in einem leichten Schneefall. Inmitten von mehreren hundert Menschen standen er und seine Emilie dicht aneinander gedrängt, die Gesichter auf den Südhimmel gerichtet, unter dem eine Feuerwerksanlage aufgebaut worden war und auf ihren Einsatz wartete. Max nippte am Glühwein, gab die Tasse an Emilie weiter, die das heiße Plastikgefäß mit beiden Handflächen umschloss. Ihre Füße steckten in schneefesten Stiefeln, neue Winterjacken schützen sie vor dem Wind, der ihnen die Schneeflocken nun entgegen trieb. In den letzten Tagen war er mehrmals mit seiner Frau über den Berg gestapft. Max hatte eine Skizze der Umgebung gezeichnet, die Besonderheiten festhielt, die auf keiner offiziellen Wanderkarte zu sehen waren.
In seinem Rucksack klapperten und schlugen einige faustgroße Steine, teils porös, teils aus leichter splitterbarem Material, gegeneinander, eine kleine Sammlung, die er für seine Zwecke zu bearbeiten gedachte, doch nicht so sehr, dass es jemandem auffallen konnte. Der Stein musste hinterher die richtige Form aufweisen und sollte dennoch natürlich wirken.
Seine Arbeit hier war getan. Aus den hinteren Reihen, vor der Front des Hotel–Restaurants und seines Aussichtsturms zählten Stimmen die letzten Sekunden des Jahres mit. Es war ein gutes Jahr gewesen, zog Max seine persönliche Bilanz. Neue Tatkraft, neuer Mut beseelte ihn.
»Liebst du mich noch?« Emilies Frage überraschte ihn.
Seine Antwort kam ohne nachzudenken. »Ja. Immer.«