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Kapitel 1 Eine neue Welt
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Unter falscher Flagge
Military Science Fiction
von
Michael H. Schenk
© M. Schenk 2019
Kell´Nar, Kolonie der Norsun
Im Licht der Sonne schimmerten die Rümpfe in seidigem Grün. Die drei Hantelschiffe gehörten der kleinen 200-Meter-Klasse an, was bedeutete, dass jede der beiden Kugeln einen Durchmesser von 200 Metern aufwies und der zylindrische Mittelteil die gleiche Länge und einen Querschnitt von 120 Metern besaß. Als einfache Hanteln wurden sie als Zweikugeln bezeichnet, denn das Volk der Norsun verfügte auch über die Dreikugeln, meist sehr große Schiffe, die über zwei Verbindungsteile und eine dritte Kugel verfügten. Sie wurden meist als Schlachtschiffe oder Truppentransporter genutzt. Die drei Zweikugeln, die langsam durch die Atmosphäre sanken, erfüllten hingegen einen ganz anderen Zweck.
Vor sechs Jahren war Kell´Nar von einem Forschungsschiff entdeckt und dann auf Weisung der Großen Mutter in jahrelanger Arbeit kartiert und erforscht worden. Die Voraussetzungen für die Gründung einer neuen Kolonie schienen auf ideale Weise erfüllt.
Das Licht besaß das richtige Spektrum, die Temperaturen waren annehmbar und schwankten im tolerablen Bereich, der Luftdruck in Bodennähe war korrekt und die Zusammensetzung der Atmosphäre entsprach, bis auf die Anteile eines Edelgases, exakt der Lufthülle der ersten Stammwelt. Darüber hinaus bot Kell´Nar gute Voraussetzungen für das Überleben. Man hatte keine der Gesundheit abträglichen Krankheitserreger entdeckt, das Trinkwasser war einwandfrei und der Planet bot ausgezeichnete Ressourcen für das Wachstum einer Kolonie.
In der Zentrale des Kommandoschiffes stand Hoch-Meister Tenador-Sentos vor dem großen Bildschirm und beobachtete wie die Oberfläche langsam näher kam. Tenador-Sentos war ein stattliches Exemplar der Norsun. Er war humanoid und ähnelte entfernt in Körperbau und Größe einer menschlichen Gestalt. Zwischen Oberkörper und Unterleib befand sich allerdings eine deutliche Einschnürung und die Extremitäten waren länger als die eines Menschen. Der Kopf war elliptisch und wurde von zwei großen Facettenaugen beherrscht, in deren Mitte sich zwei senkrechte Schlitzpupillen befanden. An Stelle der Nase gab es einen kurzen Rüssel, welcher der Nahrungsaufnahme diente. Der darunter befindliche Mund war ein schmaler senkrechter Schlitz und diente der Atmung und akustischen Kommunikation. Auf dem Kopf ragten zwei kurze Fühler auf, die feinste Duftmoleküle wahrnahmen. Die schlanken Hände verfügten über zwei Daumen und vier Finger. Besonders auffällig war der Unterarmlange Stachel am hinteren Ende des Unterleibs. Seine Funktion als Waffe war im Verlauf der Generationen verkümmert, doch er diente noch immer dazu, körpereigene Duftstoffe zu produzieren, sie abzusondern und fremde Gerüche zu analysieren. Zwar benutzten die Norsun, welche von den Menschen auch als „Greens“ bezeichnet wurden, eine akustische Sprache, allerdings waren Pheromone noch immer ein wichtiges Verständigungsmittel untereinander. Die Schutzhülle der Raumanzüge konnte am Stachel geöffnet werden, um diesen in das Futteral eines Sitzes einzuführen. Pheromone waren für die Norsun auch ein Hilfsmittel, um mit den Instrumenten eines Schiffes zu kommunizieren.
Die Bedeutung der Duftstoffe und ihrer Deutung war für die Norsun so hoch, dass man die neue Welt erst zur Besiedlung freigegeben hatte, nachdem die Forscher die dort festgestellten Pheromone zugeordnet und klassifiziert hatten.
Der gesamte Leib eines Norsun wurde von einer smaragdgrünen Haut bedeckt, die einen samtenen Schimmer zeigte. Der einst schützende Chitin-Panzer war nahezu vollständig verschwunden. Die Haut war lederartig und die grüne Farbe des Blutes hatte Grün zur Warnfarbe dieses Volkes werden lassen.
Hoch-Meister Tenador-Sentos war selbst im Volk der Norsun mit seinen zahlreichen Stämmen eine Legende. Er hatte die normale Lebensspanne schon weit überschritten, was sich an der schwarzen Färbung seines Schädeldaches zeigte. Tenador schrieb sein hohes Alter seiner Berufung zu, die ihn körperlich und geistig gleichermaßen beanspruchte. Seine Bestimmung war es neue Kolonien zu erster Blüte zu bringen. Bei fünf Welten war ihm dies, trotz mancher Schwierigkeiten, bereits gelungen. Kell´Nar war der sechste Planet und sollte ein weiterer Erfolg werden.
Tenador warf einen kurzen Blick auf den Kommandanten des Führungsschiffes. Das Hoch-Wort wirkte ein wenig unruhig. Der Hoch-Meister fand dies nicht verwunderlich, denn die gesamte Besatzung besaß kaum praktische Erfahrung, auch wenn sie in Simulatoren gut geschult worden war. Die drei Mannschaften und ihre Schiffe hatten nur eine einzige Mission zu erfüllen: Neukolonisten aufzunehmen, sie zum Zielplaneten zu transportieren, dort zu landen und nie wieder zu starten, denn die drei Hanteln würden zu den ersten festen „Gebäuden“ der neuen Siedlung werden.
Die Große Mutter verschwendete keine erfahrene Besatzung für eine solche Aktion. Der Bedarf der Flotte war einfach zu groß. Die Norsun befanden sich seit vielen Jahrhunderten in einem ewig währenden Krieg, in dem es keine Entscheidung zu geben schien. Sie waren als Insektenabkömmlinge äußerst fruchtbar. Ihr Glauben basierte auf dem Verbot jeglicher Vermehrungskontrolle und der Überzeugung ungehemmter Expansion. Als ihre Stämme zwischen den Sternen ausschwärmten kam es zwangsläufig zur Begegnung mit einer ersten intelligenten Fremdrasse, welche ebenfalls die Weltraumfahrt beherrschte. Wer auch immer die folgende Auseinandersetzung begann, die Norsun beendeten sie auf die ihnen eigene Art: Sie vereinten ihre Stämme, bündelten ihre Kräfte und rotteten den Feind gnadenlos aus.
Die Norsun waren entschlossen kein anderes Volk neben sich zu dulden, es sei denn, es ordnete sich ihnen bedingungslos unter. Zwei Rassen waren versklavt worden, eine dritte ausgelöscht.
Dann trafen die Norsun auf die Negaruyen.
Nach vielen Jahren begegneten sie nun einem Volk, welches ihnen technisch überlegen war. Trotz ihrer enormen Überzahl wurden die Norsun zurückgedrängt. Doch das Stammvolk und seine Nester herrschten über viele Welten. Wo ein Nest verloren ging, da vermehrten sich andere. Allmählich machte sich die große Anzahl der Norsun bemerkbar und die Negaruyen wurden ihrerseits zurückgedrängt. Der Krieg war jedoch noch nicht entschieden. Während die Flotte der Großen Mutter nach der verborgenen Welt der Negaruyen suchte, besiedelten ihre Untertanen immer mehr Welten, so dass es keinem Feind mehr möglich sein sollte, die Norsun jemals auszulöschen.
„Eine sehr schöne Welt“, meinte das Hoch-Wort des Führungsschiffes, als es bemerkte, dass der Hoch-Meister und Herr der künftigen Kolonie ihn beobachtete. „Trocken und heiß, wie wir es lieben. Genug Wasser zum überleben und Gebirge mit reichen Erzvorkommen. Dazu riesige Wälder, die Nahrung und Baumaterial bieten.“
Tenador-Sentos wusste, dass der Kommandant des Führungsschiffes nur seine Unsicherheit überspielen wollte. Immerhin trug der junge Norsun die Verantwortung für alle drei Hanteln und alles, was sich in ihnen befand. Seit dem Start waren die Schiffe eTronisch gekoppelt und alle Steuerimpulse wurden vom Führungsschiff initiiert. Die Landung auf der neuen Welt war fraglos der schwierigste Teil der Mission. Der geringste Fehler würde fatale Folgen haben. Es war kein Wunder, dass der Kommandant Pheromone absonderte, die an Furcht grenzten. Ein wenig Zuspruch mochte da hilfreich sein.
„Ja, es ist eine schöne Welt, Hoch-Wort. Du hast uns sicher hierher gebracht und wirst uns ebenso sicher zu Boden bringen. Ich stimme deiner Wahl des Landeplatzes zu. Ein guter Ort für unsere erste Siedlung auf Kell´Nar. Eine Ebene am Ufer eines kleinen Sees und in unmittelbarer Nähe ausgedehnter Kakteen-Wälder.“
Tatsächlich schien die Nervosität des Hoch-Worts ein wenig nachzulassen. Das Lob aus dem Mund des erfahrenen Meisters, der schon so viele andere Kolonien zum Erfolg geführt hatte, gab ihm Sicherheit.
„Hand der Sprecher“, wandte sich der Kommandant an den Funker, „wie ist der Stand der Kopplung?“
„Impulsdifferenz Null, Hoch-Wort. Alle drei Schiffe sind in absoluter Synchronität.“
„Hand der Seher, wie ist unsere Höhe?“
„Fünfundzwanzig Tausendlängen über dem Boden, Herr“, kam es vom Norsun, der für Ortung und Navigation verantwortlich war.
Das Hoch-Wort straffte seine Haltung. „Hand der Sprecher, Befehl an alle Schiffe: Kopplung lösen. Individuelle Steuerung durch die Hände der Schiffe.“
„Meine Hand folgt deinem Willen“, bestätigte der Funker den Befehl.
Einige Augenblicke später veränderten sich einige der Anzeigen.
„Die Hand des Schiffes hat Steuerung übernommen“, meldete der Pilot.
Hoch-Meister Tenador-Sentos unterdrückte einen erleichterten Laut. Er war nicht für die Schiffsführung verantwortlich und erst recht kein Pilot, doch drei Schiffe von den Steuerimpulsen eines Einzelnen abhängig zu machen, das war im Weltraum hilfreich, innerhalb einer Lufthülle mit ihren Turbulenzen hingegen riskant. Tenador selbst wäre früher auf individuelle Steuerung gegangen, doch er akzeptierte das Verhalten des Kommandanten. Die Hoch-Worte der beiden anderen Schiffe mochten über noch weniger Erfahrung verfügen. Doch jetzt, in der Endphase des Landeanfluges, mussten ihre Hanteln wieder individuell gesteuert werden. Beim Durchfliegen einer Lufthülle traten Turbulenzen und Gefahren auf, bei denen eine gemeinsame Kopplung zum Risiko wurde.
„Hand des Schiffes, den Bremsschub erhöhen. Bereitmachen für Ausfahren der Landestützen. Hand der Seher, gibt es Abweichungen?“
„Geplanter Landepunkt liegt genau im Zentrum, Herr. Keine Abweichungen.“
„Härte der Bodenbeschaffenheit?“
„Einen Moment, Herr.“ Die Hand der Seher ließ einen starken Radarimpuls gegen den Boden im Landegebiet abstrahlen. „Härtegrad 4,3, Herr.“
„Ideale Bedingung“, lobte Tenador.
Auf dem Bildschirm kam der Boden immer näher. Eine glitzernde Wasserfläche, die beschriebene Ebene und die ausgedehnten Wälder, die der Kolonie zu Beginn Nahrung und Baumaterial liefern würden. Der See würde Trinkwasser bieten und es gab Lebewesen in ihm, die man fangen, verflüssigen und als Nahrung nutzen konnte. Die Wälder bestanden aus riesigen Kakteen mit weit gefächerten Auslegern. Ihr Fleisch war nahrhaft, wie die Forscher festgestellt hatten und die Rinde extrem hart. Die aus ihr erbauten ersten Häuser würden robust und Witterungsbeständig sein. Die meterlangen Stacheln konnten hingegen dem Schutz der Siedlung dienen. Es schien nur wenige gefährliche Lebensformen zu geben, doch Tenador durfte in der Gründungsphase kein Risiko eingehen. Bis die erste Generation der Brütlinge schlüpfte war jedes einzelne Leben von Bedeutung. Es gab Waffen und Kampfwesen an Bord, doch ihre Anzahl war begrenzt. Aufbau und Produktion der neuen Siedlung und das hierfür erforderliche Material besaßen absoluten Vorrang beim Platzbedarf.
„Eintausend Längen zum Boden, Herr“, meldete der Pilot.
„Endphase einleiten“, befahl das Hoch-Wort.
„Meine Hand folgt deinem Willen“, kam die Bestätigung. „Maximaler Bremsschub. Landebeine sind ausgefahren, Auflageteller auf Maximum.“
„Hand der Sprecher an das Hoch-Wort: Ich habe Alarm für die Besatzung ausgelöst.“
„Ich halte dies für überlegt und angemessen“, stimmte der Kommandant zu, der sich über sein Versäumnis ärgerte. Das Aufsetzen eines Schiffes war stets ein kritischer Zeitpunkt und alle Norsun an Bord mussten, ebenso wie alle losen Teile, festen Halt haben.
Die schweren Triebwerke im Äquatorbereich der beiden Kugeln peitschten mit ihren Strahlen bereits den Boden. Staub, Schmutz und Erdreich wirbelten auf und nahmen die Sicht. Die Scanner des Schiffes übermittelten jedoch ein plastisches Bild der Oberfläche, an dem sich der Pilot orientierte.
„Hand des Schiffes an das Hoch-Wort: Bodenkontakt erfolgt… Jetzt!“
Ein Ruck ging durch das Hantelschiff und presste die Norsun in der Zentrale in ihre Sitzschalen. Tenador-Sentos, der hinter dem Kommandantensitz stand, ging leicht in die Knie, blieb jedoch auf den Beinen, da er sich an der Rückenlehne festhielt.
Obwohl die Auflageteller der Landebeine maximal ausgefahren waren, sanken sie, aufgrund der Masse des Schiffes, mehrere Meter in den Untergrund.
„Schiff hat Kontakt“, meldete die Hand des Schiffes. „Triebwerke abgeschaltet.“
Das Hantelschiff kam zur Ruhe.
„Lagemeldung der Sektionen einfordern“, befahl der Kommandant, dessen Pheromone Erleichterung ausdrückten. „Ich spreche das Wort: Alle Besatzungsmitglieder bleiben gesichert, bis wir verankert sind.“
Meldungen der verschiedenen Abteilungen trafen bei der Hand des Sprechens ein und wurden an den Kommandanten weitergeleitet. Dieser hörte kaum zu. Er erwartete keine Schäden an Norsun oder Ausrüstung und eines der wichtigsten Manöver stand noch bevor: Aus dem Hantelschiff musste ein stationäres Gebäude werden.
„Hand der Seher an das Hochwort: Die beiden anderen Schiffe setzen auf.“
Tenador-Sentos sah angespannt auf den Bildschirm. Die Direktsicht war noch immer nicht möglich. Er musterte die Zahlen, die in das Bild eingeblendet wurden. Die beiden anderen kamen gut herunter und hielten die geplante Landeposition ein. Die drei Schiffe würden ein enges gleichschenkliges Dreieck und damit das Zentrum der neuen Kolonie bilden. Die kleinen Lücken zwischen den Rümpfen konnten mit wenig Aufwand gesichert werden, wenn die Hanteln erst verankert waren.
Die Verankerung war eine Besonderheit jener Schiffe, die den Grundstock jeder neuen Kolonie bildeten, sobald sie ihren Bestimmungsort erreicht hatten.
„Hand der Sprecher, schalte mich auf Rundruf.“ Der Kommandant wartete bis der Funker bestätigte. „Hier ist das Hoch-Wort. Ich spreche das Wort: Alle bleiben auf Station, da wir nun mit der Verankerung beginnen. Eventuelle Schäden sind sofort an mich zu melden.“ Er wandte sich an den Piloten, der nun seine letzte Handlung als Angehöriger einer Raumschiffbesatzung durchzuführen hatte.
„Ankermanöver ausführen.“
„Meine Hand folgt deinem Willen.“
Kraftvolle Hydrauliken und Motoren verringerten nun langsam den Querschnitt der Landeteller. Je geringer die Auflagefläche wurde, desto stärker machte sich das Gewicht des Schiffes auf dem Boden bemerkbar. Allmählich sank die Hantel tiefer. Der Untergrund wurde immer stärker zusammengepresst. Die unteren Polkuppeln berührten den Boden, gruben sich förmlich in ihn hinein. Schließlich erreichten die Landeteller ihren geringsten Umfang und der Boden war so verdichtet, dass er das Gewicht der Hantel trug. Die beiden Kugeln waren zu einem guten Viertel eingesunken und der Mittelteil befand sich nur noch wenige Meter über dem Boden.
„Verankerung vollzogen“, meldete der Pilot.
Der Kommandant knickte zustimmend die Kopffühler nach vorne. „Hand der Seher, wie ist der Status der anderen Schiffe?“
„Das zweite Schiff ist verankert, Herr. Das dritte Schiff sinkt noch ein… Ist jetzt zum Stillstand gekommen. Alle Verankerungen vollzogen, Hoch-Wort.“
Der Kommandant spürte, dass ihn die Anrede als Hoch-Wort plötzlich schmerzte. Die drei Schiffe waren nun verankert, waren der Kern der Kolonie von Kell´Nar und damit ein Bestandteil dieser Welt. Sie waren jetzt keine Raumschiffe mehr, kein Bestandteil der Kolonisationsflotte und er selbst war nun kein Schiffsführer mehr, sondern ein Kolonist, auch wenn er als Wort der Siedler zu ihrem Anführer wurde. Die kommende Verantwortung bedrückte ihn und er war glücklich, dass Hoch-Meister Tenador-Sentos vorerst die letzten Entscheidungen treffen musste.
Voller innerer Zweifel schwangen seine beiden Fühler zur Seite, als er sich an Tenador-Sentos wandte. „Hoch-Meister, ich gebe unser aller Schicksal nun in deine bewährten Hände.“
Tenador knickte zustimmend die Fühler nach vorne und gab der Hand des Sprechens ein Zeichen. Diese schaltete erneut die Rundrufanlage ein. „Hier spricht der Hoch-Meister Tenador-Sentos. Wir alle sind nun Bewohner der neuen Welt Kell´Nar und unsere Aufgabe ist es, sie zur Blüte zu bringen. Die Große Mutter aller Stämme und die kleine Mutter unseres Stammes wünschen, dass uns das Schicksal gewogen ist. Gemeinsam werden wir, mit dem Fleiß unserer Hände, unsere erste Siedlung erschaffen und diese Welt in unseren Besitz nehmen. Die Dunkelperiode wird bald hereinbrechen. Wir werden diese in den einstigen Schiffen verbringen. Mit dem ersten Tageslicht gehen wir hinaus. Die Worte der einzelnen Sektionen werden euch eure Aufgaben zuteilen. Die Hoch-Worte der Siedler, der Wissenden, der Heiler und der Stecher werden sich nun sofort mit mir beraten. Nochmals willkommen, neue Siedler, und möge das Schicksal uns gewogen sein.“
Während Tenador auf das Eintreffen der Befehlshaber der verschiedenen Bereiche wartete, wandte er sich nochmals an den Norsun, der für die Ortung verantwortlich war. „Hand der Seher, steht die Verbindung zu den Fernaugen?“
Vor dem Landemanöver hatte man fünf Satelliten ausgesetzt, die sich mit Hilfe ihrer Triebwerke in geostationäre Positionen manövrierten. Von dort konnte die gesamte Oberfläche mit Optiken, Scannern und Sensoren beobachtet werden. Zudem tasteten die Scanner in den Weltraum hinaus und dienten der Kommunikationsübertragung.
„Alle fünf Augen stehen in Position. Kopplung der Systeme wird gerade abgeschlossen. Erste Daten werden übertragen. Keine verdächtigen Objekte im näheren Weltraum feststellbar. Keine verdächtigen Objekte am Boden feststellbar. Ein Sturm wird angemessen, der in großer Entfernung an uns vorüberzieht.“
Tenador blickte das einstige Hoch-Wort des Schiffes an. „Du bist nun das Wort der Siedler von Kell´Nar. Als Hoch-Meister spreche ich nun das Wort: Du wirst dafür sorgen, dass die einstige Zentrale immer besetzt ist. Von nun an ist sie das Kontrollzentrum unserer Siedlung.“
„Meine Hand folgt deinem Willen, Hoch-Meister.“
Die anderen Worte trafen ein. Tenador-Sentos hätte sie in einem der bequemeren Beratungsräume versammeln können, doch es war spät, es gab viel zu bereden und der Hoch-Meister fand es nicht angemessen, der Bequemlichkeit nachzugeben.
Im Grunde kannten die Verantwortlichen der verschiedenen Bereiche ihre Aufgaben. Sie waren sorgfältig ausgebildet und hypnotisch geschult worden. Die Ergebnisse der ersten Forscher, Daten und holografische Aufnahmen lagen vor. Tenador war jedoch der Überzeugung, dass eine letzte Unterweisung die Sinne und das Verantwortungsbewusstsein seiner Untergebenen schärfen würde. Die Versammlung dauerte lange Stunden, während deren sich die übrigen Siedler ihren eigenen Gedanken hingaben. Nur wenige fanden in dieser Nacht den erforderlichen Schlaf. Die Aufregung, was sie in ihrer neuen Welt wohl erleben würden, war bei den meisten einfach zu groß.
Pünktlich mit dem ersten Licht des neuen Tages öffneten sich die großen Schleusen der drei Hanteln. Scharen von Norsun verließen sie, bepackt mit Werkzeugen und Instrumenten und dem festen Willen, sich und ihren Nachkommen ein Heim zu erschaffen. Begleitet wurden sie von einer Hundertschaft von Bions, die für ihren Schutz verantwortlich waren. Fast Zwanzigtausend neue Siedler verließen die metallenen Hüllen und es gab kaum zwei Dutzend schwerer Maschinen oder Fahrzeuge, die sie benutzen konnten.
Das den Neusiedlern so wenig Technik verfügbar war, hatte gleich mehrere Gründe. Was die Siedler mit ihrer Hände Kraft und Geschicklichkeit bewerkstelligen konnten benötigte keine Maschinen und sparte Laderaum für andere wichtige Ausrüstung. Alle Siedler waren auf irgendeine Weise in die Arbeiten eingebunden und wenn alle arbeiteten, so förderte dies, nach den Regeln der Großen Mutter, das Gemeinschaftsgefühl. Zudem würden die Norsun Stolz über das empfinden, was sie selbst erschufen.
Zwei große Gruppen widmeten sich dem eigentlichen Siedlungsplatz und einem der großen Kakteenwälder, eine kleinere wandte sich dem Ufer des Sees zu. Dort beabsichtigte man ein kleines, aber effektives Wasserkraftwerk an einem der Zuläufe zu errichten. Dieses sollte den Strombedarf decken bis der erste Sonnenreaktor durch eigene Mittel der Kolonie errichtet werden konnte. Man würde auch Fische fangen, deren Population untersuchen und darauf achten, das günstig gelegene Gewässer nicht zu überfischen. Es bildete immerhin die erste Nahrungsquelle der neuen Welt. Die Norsun am Ufer arbeiteten angestrengt und ihre Körper sonderten entsprechende Pheromone ab. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie von Schwärmen kleiner Insekten umschwirrt. Der für den Bau des Kraftwerkes verantwortliche Leiter nahm sich vor, von den Händen des Wissens eine Möglichkeit erforschen zu lassen, die Plagegeister auf Abstand zu halten.
Die Gruppe auf dem Siedlungsplatz, immerhin fast zwölftausend Norsun, begannen mit der „Grundsteinlegung“ der Siedlung. Der Boden zwischen den drei Hanteln sowie einem kreisrunden Areal um diese herum, welches fast fünf Kilometer maß, wurde sorgfältig geebnet. Gräben wurden ausgehoben, welche Leitungen für Versorgung und Entsorgung aufnehmen sollten. Alles geschah nach jenem Plan, in dem Tenador-Sentos jedes Bauwerk und dessen Bedeutung festgelegt hatte. Vier der Fahrzeuge würden die Gräben auskleiden, Rohre und Leitungen verlegen und alles mit einer dauerhaften Schicht von Beton versiegeln. Vier weitere gossen die ersten Fundamente.
Die Norsun dieser beiden Gruppen litten unter der körperlichen Anstrengung, doch dies war nichts im Vergleich zu jenen Siedlern, die dem Wald zu Leibe rückten.
Die Kakteenbäume besaßen Stämme die im Durchschnitt dreißig Meter aufragten und eine glatte Rinde hatten. Im oberen Drittel begannen die weit verzweigten Ausläufer, die dicht mit langen Stacheln besetzt waren. Einige von diesen maßen zwei bis drei Meter.
Die Norsun lernten auf die schmerzliche Art, wie gefährlich diese Pflanzen sein konnten.
Während alle Stacheln eine einheitliche kräftige braune Farbe aufwiesen, zeigten die unterschiedlich hohen Stämme auch verschiedene Farben, die zwischen einem blassen Grün und einem kräftigen Gelb lagen. Erstere waren junge Kakteenbäume, die in mattem Gelb hingegen die älteren Exemplare.
Die Fällgruppen der Norsun benutzten Äxte, Spaltkeile und Sägen, die im Prinzip menschlichen Werkzeugen entsprachen. Man suchte sich keine speziellen Stämme aus, sondern beabsichtigte sich vom Waldrand allmählich ins Innere voranzuarbeiten. Weitere Gruppen standen bereit um die gefällten Stämme von ihren Auslegern und diese wiederum von ihren Stacheln zu befreien. Dann sollten die Rinden geschält und der Stamm zu soliden Brettern verarbeitet werden. Für letzteren Arbeitsgang standen zwei Maschinenfahrzeuge zur Verfügung.
Das Wort der Holzfäller war auf den Schutz seiner Arbeiter bedacht. „Ich spreche das Wort“, sagte er in das kleine Funkgerät, dessen allgemeine Frequenz ihn mit allen Angehörigen seiner Gruppe verband, „seid behutsam beim Schnitt. Wir wissen noch nicht unter welcher inneren Anspannung diese Pflanzen stehen. Gebt acht wenn sie fallen. Dass mir keiner unter einen Stamm oder diese Stacheln kommt. Diese Dinger sehen gefährlich aus.“
Wie gefährlich die Stacheln tatsächlich waren, erfuhren einige Arbeiter des Fällkommandos auf sehr direkte Weise.
Die erste Gruppe fällte problemlos einen der grünlichen Kakteenstämme. Von ihrem Beispiel angespornt trat eine zweite an einen der gelben Stämme heran. Mit dem ersten Schlag ging eine leichte Erschütterung durch die Pflanze. Prompt lösten sich viele der Stacheln von den Auslegern und regneten förmlich nach unten. Drei Norsun wurden aufgespießt und starben, drei weitere erlitten schwerste Verletzungen.
Später würde man herausfinden, dass bei den älteren Bäumen das Harz, welches die Stacheln hielt, ausgetrocknet und spröde war und somit leicht brach.
Die Kolonisation von Kell´Nar hatte die ersten Opfer gekostet.
Zwei Fahrzeuge gehörten zu den Händen der Heilung, welche die Verletzten versorgten. Die Toten wurden in den Kühlraum einer Hantel gebracht, um sie später in ehrenvoller Zeremonie dem Boden der neuen Heimat übergeben zu können. Doch jetzt ging die Arbeit vor. Die Siedler brauchten Nahrung, da die Vorräte in den Hanteln für absolute Notfälle gedacht waren, sie benötigten ein Dach über den Köpfen und sie benötigten Schutz vor gefährlichen Lebewesen.
„Beim Feuerfall von Istwagh“, fluchte das Wort der Holzfäller, „nehmt nur die grünen Stämme und achtet darauf, dass sie nicht zu nahe an den gelben stehen.“
Einer der Arbeiter trat zu ihm. „Verzeiht, Wort, wenn ich widerspreche, doch wir sollten die gelben Pflanzen fällen. Das Material der Grünen ist jung und voller Saft. Wenn wir sie schlagen, so werden sie im Verlauf der Zeit austrocknen und nicht mehr das Maß halten, in dem wir sie geschnitten haben. Unsere Häuser könnten undicht werden, sich verziehen oder sogar einstürzen.“
„Was du sagst ist überlegt und angemessen“, antwortete der Führer nach kurzem Überlegen. „Doch wie sollen wir die gelben Stämme fällen, ohne dass uns die Stacheln auf den Kopf stürzen?“
„Nehmen wir doch die Zuschneidefahrzeuge, Herr. Sie können einmal kräftig gegen den Stamm fahren. Die Erschütterung wird die Stacheln fallen lassen, so dass wir anschließend gefahrlos arbeiten können.“
„Auch dies halte ich für überlegt und angemessen.“ Das Wort der Arbeiter knickte die Fühler nach vorne. „Ich werde dich dem Hoch-Meister Tenador-Sentos melden. Er wird über dich erfreut sein.“
Von nun an gingen die Norsun sehr vorsichtig zu Werke. Zwei Tage später gab es im Wald nochmals einen Verletzten, da sich einer der Stacheln erst sehr spät löste, doch die Wunde war nur leicht, denn die Arbeiter beobachteten die Pflanzen sehr aufmerksam, bis sie gefällt am Boden lagen.
Die Anzahl der verfügbaren Stacheln und Bretter stieg rasant. Etliche Stämme wurden lediglich kantig zurecht geschnitten und bildeten die Rahmen der Häuser. Innerhalb einer Woche waren die ersten fünfzig errichtet. Ein flüssiger Kunststoff wurde über das Holz gesprüht, härtete aus und machte die Bauten stabil und, zumindest in einem gewissen Rahmen, auch feuerfest. Formdrucker, Pressen und Gießereien begannen in einer der Hanteln die ersten Zweckmöbel zu produzieren.
Rund um die fünf Kilometer messende Kreisfläche begann ein Wall aus Stacheln zu wachsen. Dicht an dicht und nach außen geneigt sollten nur wenige gesicherte Lücken bleiben und so die Siedlung vor unliebsamen Eindringlingen schützen.
Inzwischen hatte man die ersten Stachler gesichtet. Man war sich noch nicht sicher, ob es sich um friedliche Pflanzenfresser oder räuberische Fleischfresser handelte. Bislang blieben die Tiere, welche die doppelte Größe eines Norsun besaßen, auf Distanz.
Dreiundzwanzig Planetentage später griff einer dieser Stachler eine Gruppe Waldarbeiter an. Es gab Tote und Verletzte, bis man den Angreifer durch mehrere Axthiebe so verletzen konnte, dass er sich zurückzog.
„Es sind Räuber“, meinte Hoch-Meister Tenador-Sentos, nachdem er die Meldung erhalten hatte. „Ein Pflanzenfresser hätte niemals ohne Not angegriffen, zum Beispiel weil seine Brütlinge bedroht sind. Ein Räuber zieht sich schnell zurück, wenn er verletzt ist, denn eine schwere Wunde hindert ihn an der weiteren Jagd. Vielleicht heilt sich nicht richtig und dann wäre er dem Hundertode preisgegeben. Ja, es sind Räuber. Wir werden jede Arbeitsgruppe durch ein oder zwei Bions beschützen lassen und die Bionwachen an den Durchlässen des Schutzzauns verstärken.“
Die Bions waren biomechanische Lebewesen, die ihren Herren ähnelten. Ihr grünschwarzer Körper war ebenfalls in der Mitte stark eingeschnürt, ihr Kopf besaßen weder den kurzen Rüssel, noch die Fühler ihrer Schöpfer. Ihre beiden großen Facettenaugen verfügten auch nicht über die veränderlichen Schlitzpupillen. Die vier Extremitäten und der Stummelstachel am Hinterleib waren hingegen identisch. Letzterer sonderte allerdings keine Duftstoffe ab, sondern diente lediglich der Analyse von Substanzen oder der Umgebungsluft.
Im Schädel wurden achteckige halbtransparente Programmplatinen durch eine milchige und cremeartige Substanz geschützt. Diese austauschbaren Platinen befähigten die Bions zu einem gewissen individuellen Handeln und eigenständigem Lernen. Bions waren teurer als die sich selbst reproduzierenden Norsun und so hatte die Große Mutter verfügt, dass sie nicht für niedere Arbeiten eingesetzt werden sollten. Sie dienten den Stämmen vielmehr als Kämpfer und waren mit der Standardwaffe ihrer Herren, der Schusslanze, bewaffnet.
Hoch-Meister Tenador-Sentos ließ eintausend Bions aktivieren, die nun für den Schutz ihrer Herren verantwortlich wurden. Die zweite Hälfte verblieb in den Depots der Hanteln. Vielleicht würde Tenador sie aktivieren, wenn sich die Stachler als so gefährlich erwiesen, dass er ihre Ausrottung anordnen musste. Er würde dies nur ungern befehlen, denn er hatte die Erfahrung gesammelt, dass es in der Natur jedes Planeten ein natürliches Gleichgewicht gab, in das man tunlichst nicht eingreifen sollte.
Insgesamt war der Hoch-Meister jedoch mit den Fortschritten der Kolonie zufrieden. Es sah ganz danach aus, als werde er mit Kell´Nar auch die sechste Welt zur Blüte führen.