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Kapitel 4 Coopers Landing
ОглавлениеMajor Matt Dunhill hatte sein Battalion der fünften U.S.-Kavallerie nach Coopers Landing geführt. Coopers Landing war einer jener Versorgungspunkte, die dem Nachschub der kämpfenden Truppe dienten und die demzufolge rasch errichtet und auch wieder verlegt wurden. Ein riesiges Lager aus Bretterbuden und Zelten, welches von den Wagenzügen des Quartermaster Departments und privaten Händlern beliefert wurde.
Hier gab es Uniformen, Waffen, Munition, Mäntel, Decken, Lampen, Kerzen und Öl, Zelte, Lebensmittel und jede Art von Ausrüstung, bis hin zu schweren Geschützen, Protzen und einer großen Remonte, in der Reservepferde für die Kavallerie bereitgehalten wurden. Auf einer Weide graste eine große Rinderherde, die schon bald in den Mägen der Soldaten enden würde.
All diese Dinge, die der Soldat zum leben und kämpfen benötigte, wurden wiederum mit anderen Wagenkolonnen zur Truppe gebracht oder von diesen selbst in Empfang genommen.
Coopers Landing lag direkt am Mississippi und bot den zusätzlichen Vorteil, dass die Versorgung auch auf dem Wasserweg erfolgte.
Matt Dunhills Kavallerieabteilung war mit den neuen siebenschüssigen Spencer-Karabinern bewaffnet. Eine noch neue Waffe, die spezielle Munition und röhrenartige Magazine benötigte. Dies war gleichermaßen Fluch und Segen. Die Karabiner verhalfen der Truppe zu einer überraschend hohen Feuerkraft, allerdings besaßen die kurzen Patronen eine relativ geringe Treibladung, so dass Reichweite und Durchschlagsfähigkeit geringer waren, als bei den sonstigen Karabinermodellen. Die hohe Feuerkraft machte jedoch alle Nachteile wett und die Konföderierten wären sicherlich glücklich über jedes Beutestück gewesen, wenn da nicht der Umstand gewesen wäre, dass sie über keinen Nachschub an der erforderlichen Munition verfügten.
Matt und seine Truppe sollten sich hier mit dem Munitionsnachschub für ihr fünftes Regiment versorgen und weitere neue Ausstattung erhalten. Diese bestand aus einem achteckigen schwarzen Lederköcher, der umgehängt werden konnte und zehn der röhrenförmigen Magazine enthielt. Die neuen Magazine wiesen zudem eine Vorrichtung auf, mit der sie im Kolben des Spencer-Karabiners verriegelt werden konnten. Das unabsichtliche „Herausfallen“ eines Magazins konnte damit verhindert werden.
Die „A“-, „C“- und „D“-Kompanie eskortierten mehrere Wagen, auf welche die wertvolle Fracht verladen wurde. Am folgenden Tag sollte die Rückreise zum Regiment angetreten werden, welches als Verstärkung für die Truppen von Grant vor Vicksburg beordert worden war.
Matt Dunhill war als junger Offizier in das erste Regiment der U.S.-Dragoner eingetreten. Nun diente er schon fünfundzwanzig Jahre in der berittenen Truppe, hatte gegen Banditen, Mexikaner und Indianer gekämpft und war dabei sogar Robert E. Lee begegnet, der einst die zweite U.S.-Kavallerie gegen Comanches ins Feld geführt hatte. Nun war der einstige Kommandeur der Befehlshaber des Feindes und Matts einstiger Kamerad und bester Freund, Thomas Deggar, ritt für den Süden. Auch Matts Familie hatte der Krieg auseinander gerissen. Mit seiner Frau Mary-Anne heiratete er eine echte Soldatenfrau und Südstaaten-Lady. Sie blieb getreu an seiner Seite und litt unter der Trennung zu ihrem Vater John Jay Jones, der in Virginia lebte. Der gemeinsame Sohn Mark war heimlich als Hornist in ein Freiwilligen-Kavallerieregiment eingetreten und war dort, trotz seiner Jugend, aufgrund seiner Verdienste zum Lieutenant befördert worden. Sie alle waren stolz aufeinander und zugleich betrübt, dass die Erfordernisse des Krieges nur selten eine Begegnung zuließen. Matt wusste, dass sich Mary-Anne auf besondere Weise sorgte, da Ehemann und Sohn gegen den Feind ritten.
Es war Abend und Major Matt Dunhill saß in seinem Zelt, um Briefe an seine Liebsten zu schreiben, als er ein Hüsteln und Stampfen vernahm. Beides verriet Matt, dass Wilhelm Schmittmann ein Anliegen hatte. Der Hannoveraner und ehemalige Rittmeister war erst vor Kurzem als Sergeant-Major zum Regiment gestoßen.
„Schmittmann?“
„Das ist korrekt“, kam die prompte Erwiderung. „Sir, hier sind zwei Gentlemen, die Sie zu sprechen wünschen.“
In den vergangenen Wochen hatte sich Matt mit den gebräuchlichen Kerzen beholfen, da es keine ausreichenden Vorräte an Lampenpetroleum gab. Nun konnte er den Docht seiner Lampe höher drehen, damit es im Zelt heller wurde. „Immer herein mit den Gentlemen, Sergeant-Major. Warten Sie bitte, ob ich Sie noch benötige.“
„Ja, Sir“, kam die knappe Erwiderung.
Schmittmann zog eine Klappe des Zelteingangs zur Seite und zwinkerte Matt vertraut zu, während er den Zugang für die unerwarteten Gäste offen hielt. Zwischen Dunhill und dem Deutschen hatte sich in kürzester Zeit ein besonderes Vertrauensverhältnis gebildet und der Sergeant-Major würde geduldig vor dem Zelt warten, ob Matt seine weiteren Dienste benötigte. Mit angespitzten Ohren, denn Matt wusste um das militärische Wissen des ehemaligen Rittmeisters und beriet sich inzwischen gerne mit diesem.
Überrascht sah Matt den Colonel eines Infanterieregiments und einen Navy-Offizier vor sich. „Nehmen Sie Platz, Gentlemen“, meinte er freundlich. „Offensichtlich haben Sie ein ernstes Anliegen, wenn Sie mich nach dem „Licht-Aus“-Signal aufsuchen.“
Commodore Isaac Lumbers lächelte und übernahm die Vorstellung. In seiner Begleitung war Colonel Justus Schredder, ebenfalls ein Deutscher und Befehlshaber des „Eight Regiment of New York Volunteer Infantry“, einem rein deutschen Infanterieregiment aus New York, welches zur deutschen Division von General Blenker gehörte. Blenker, Schurz und von Schenck waren deutsche Generäle, deren Truppen aus Deutschen bestanden, die sich noch gut an die gescheiterte demokratische Revolution von 1848 erinnern konnten und die es als ihre Pflicht ansahen, nun auf Seiten der Union für den Erhalt der Demokratie zu kämpfen. Mit der gleichen Überzeugung kämpften Deutsche, wenn auch in weitaus geringerer Zahl, auch für die Sache des Südens.
Zunächst überreichte Lumbers eine versiegelte Order, welche, zu Matts Verblüffung, Grants Befehl enthielt, dass Matt und sein Kontingent der fünften U.S.-Kavallerie nun Commodore Isaac Lumbers von der U.S.-Navy unterstellt seien. Nach Vollendung der Mission, die in den Befehlen nicht näher beschrieben wurde, habe sich Matt wieder bei seinem Regiment einzufinden.
Matt Dunhill faltete das Schreiben sorgfältig und steckte es dann in die Innentasche seines Dienstrocks. Die beiden Offiziere hatten ihm geduldig beim lesen zugesehen. Jetzt ließ sich Matt gegen die Lehne seines Stuhls sinken und musterte Lumbers nachdenklich. „Wenn ich das richtig verstehe, dann bin ich mit meinen Reitern nun bei der Navy der Union gelandet?“
„Zumindest mit einem Teil Ihrer Reiter, Major“, bestätigte Lumbers lächelnd. „Und Sie sind sicherlich neugierig, was Ihre Kavallerie zu einer Operation der Marine beitragen kann.“
„Das kann man wohl so sagen. Wenn Sie gestatten, Commodore?“ Matt wartete die Erwiderung nicht ab, sondern rief Schmittmann herein. „Mein Sergeant-Major war früher Schwadronsführer in Hannover“, erklärte er dem Marineoffizier. „Seine Erfahrungen könnten bei jedweder Planung nützlich sein.“
Schredder grinste erfreut und tauschte hastig ein paar Sätze in Deutsch, was Lumbers sichtlich verärgerte, der kein einziges Wort verstand. Umgekehrt gab es in der Unionsarmee zahlreiche Deutsche, die der englischen Sprache nicht mächtig waren. Man legte inzwischen großen Wert darauf, sie in der Ausbildung an die englischsprachigen Kommandos zu gewöhnen, damit sie im Gefecht auch den Befehlen eines „eingeborenen“ Amerikaners folgen konnten.
„Kommen wir zum Grund unserer Mission“, unterbrach Lumbers die beiden Deutschen schließlich. „Wir sollten den Major zunächst über die Lage informieren und darüber, welche Absicht wir verfolgen.“
Colonel Schredder errötete ein wenig. Während Matt Dunhill auf dem Stuhl an seinem „Company-Desk“, der für Kompanieoffiziere üblichen Kombination aus Tisch und Aufsatz, mit zahlreichen Fächern für Schreibmaterial und Formulare, sitzen blieb, nutzte der Commodore den einzigen zusätzlichen Stuhl, der verfügbar war. Schredder und Schmittmann mussten mit dem Feldbett des Majors Vorlieb nehmen.
Isaac Lumbers gab einen knappen, jedoch detaillierten Überblick über den bisherigen Verlauf des Vicksburg-Feldzuges und die geographischen Gegebenheiten. Er zog eine provisorische Karte aus der Jacke. Er hatte sie selbst gezeichnet und mit persönlichen Anmerkungen versehen. Die Anderen mussten anerkennen, dass der Seemann ein ausgezeichnetes Auge für Örtlichkeiten und Maße besaß. Mit Hilfe der Zeichnung berichtete Lumbers vom fehlgeschlagenen Versuch, das Depot bei Dillings zu zerstören. Während Schredder dies bereits kannte, hörten die beiden Kavalleristen aufmerksam zu. Schließlich beendete der Commodore seine Ausführungen. „General Grant will, dass wir einen zweiten Vorstoß gegen Dillings vornehmen und die dortigen Lagerbestände vernichten. Bei der Planung dieses Unternehmens kam mir eine Idee, für deren Umsetzung mir der General freie Hand ließ.“
Das war nur bedingt richtig, denn die Idee stammte von Grant, aber er hatte Lumbers tatsächlich weitgehende Vollmacht erteilt, was dem Commodore aber die zweifelhafte Ehre zuteil werden ließ, sowohl für Erfolg als auch Misserfolg verantwortlich gemacht werden zu können.
Lumbers war ein wenig überrascht, als Dunhill nun verständnisvoll nickte. „Dann kann ich mir vorstellen, warum Sie meine Kavallerie benötigen.“
Schredders räusperte sich, während sich Lumbers zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. „Nun, dann lassen Sie uns an Ihren Gedanken teilhaben, Major.“
„Sie gestatten, Sir?“
Lumbers legte die Karte auf die offene Schreibplatte des schmalen Tisches. Die Bereitwilligkeit, mit der Dunhill seine Befehlsgewalt akzeptierte, berührte ihn angenehm. Für das Verhältnis zwischen Landtruppen und Seestreitkräften war dies keineswegs selbstverständlich.
„Der Nachschub für Vicksburg über Land wird durch unsere Blockade verhindert“, überlegte Matt und strich nachdenklich über die Enden seines ausgeprägten Dragonerbartes. „Südlich von Vicksburg blockiert unsere Flottille den Fluss und die scheinbar einzige Möglichkeit für die Konföderierten besteht darin, das nördlich am Fluss gelegene Dillings zu nutzen. Über Land können wir Dillings nicht schnell genug erobern, da sich zu viele Feindtruppen zwischen unseren und der Stadt befinden und über den Fluss ist unser erster Versuch gescheitert. Inzwischen werden die Südstaatler Vorkehrungen getroffen haben. Wenigstens ein paar schwere Geschütze. Vielleicht sogar eine richtige Befestigung mit Erdaufschüttungen und dergleichen. Stark genug, den Vorstoß unserer Kanonenboote zu verhindern.“ Matt lächelte freudlos. „Wahrscheinlich werden sie eine solche Verteidigungsstellung hier anlegen, an der Landzunge, ein Stück oberhalb von Dillings. Von dort können sie die gesamte Flussbiegung bestreichen und auch den Hafen der Stadt.“
„Schön, schön, Major, so weit war ich mit meinen Überlegungen ebenfalls“, drängte Lumbers. „Wo sehen Sie Ihre Rolle?“
Matt schmunzelte. „Nun, eine Kavallerieattacke über den Fluss wird wohl schwerlich möglich sein, nicht wahr? Vermutlich planen Sie, Sir, uns an Bord der Schiffe zu nehmen und ein Stück oberhalb der vermuteten Batterie an Land zu setzen. Dann können wir den Gegner überraschend im Rücken angreifen, so dass er Ihre Schiffe und die Infanterie an Bord nicht unter Feuer nehmen kann.“
„Ausgezeichnet“, meinte Schredder. „Genau so haben wir uns das nämlich auch gedacht.“
Lumbers räusperte sich. „Meine Überlegung ist die Folgende: Die Rebellen haben Truppen in der Nähe von Dillings, die bei einem Angriff auf die Stadt natürlich sofort alarmiert werden. Es kommt also auf unsere Schnelligkeit an. Kavallerie ist nun einmal schneller und beweglicher, als Infanterie und damit unsere beste Möglichkeit, die Batterie zu überrumpeln. Sobald Sie die Geschütze ausgeschaltet haben, Major, dürfte es für meinen Verband kein Problem sein, den restlichen Widerstand zu brechen, mit der Infanterie an Land zu gehen und das verdammte Rebellendepot niederzubrennen.“
Matt nickte. „Hört sich nach einem vernünftigen Plan an, Sir.“
„Allerdings dürfen uns die Rebellen auf unserem Weg nicht vorzeitig entdecken“, kam es nun von Schmittmann. „Die haben garantiert Patrouillen entlang der Flussufer. Sobald sie unseren Verband entdecken, können sie sich denken, was wir vorhaben.“ Der Sergeant-Major sah den Commodore eindringlich an. „Es lässt sich kaum verbergen, dass die Schiffe Pferde an Bord haben. Selbst wenn Sie die Tiere in den Kabinen verstecken wollen… Der unruhige Boden eines Schiffes macht die Pferde unruhig. Sie werden stampfen und wiehern, Sir. Außerdem haben sie Verdauung.“
„Wie meinen?“ Lumbers sah den Unteroffizier irritiert an. „Verdauung?“
„Mist, Sir.“ Schmittmann grinste breit. „Es wird stinken, Sir. Lässt sich kaum vermeiden und ein guter Scout kann Pferde, wenn der Wind günstig steht, über Kilometer hinweg riechen. Außerdem unterscheidet sich die Ausrüstung der Kavallerie von jener der Infanterie. Sobald die Rebellen auch nur einen Kavalleristen an Bord sehen, können sie sich den Rest denken.“
„Zudem ist es nicht das erste Mal, dass eine berittene Truppe mit Schiffen transportiert wird“, wandte nun Schredder ein. „Das hat der alte Winfield Scott schon damals im Krieg gegen Mexiko praktiziert.“
„Dann fahren wir nachts“, knurrte Lumbers. Dann kann das Rebellenpack uns nicht sehen.“
Schredder schüttelte den Kopf. „Dagegen muss ich protestieren, Sir. Der Mississippi ist ein ausgesprochen gefährlicher Fluss. Jede Menge Untiefen und Unterwasserhindernisse sowie jede Menge Treibholz. Ganze Stämme, Sir, die einen hölzernen Rumpf oder ein Schaufelrad zu Kleinholz machen. Selbst mit dem erfahrensten Lotsen können wir keine Nachtfahrt riskieren.“
Der plötzlich erwachende Widerstand gegen den Plan gefiel dem Commodore ganz und gar nicht.
Matt Dunhill meldete sich erneut zu Wort. „Ich habe gehört, dass es Dampferrennen auf dem Mississippi gibt und eine ganze Reihe der Kapitäne auch durchaus nachts fährt. Wenn wir einen entsprechend erfahrenen Mann auftreiben…“
Lumbers warf Matt einen dankbar wirkenden Blick zu. „Ich glaube, damit kann ich dienen. Ich habe schon einige der Flusskapitäne kennengelernt und wenn uns einer von ihnen helfen kann, dann ist das Finnegan.“
„Finnegan?“
„Der Mann ist Ire und sein Schiff leicht zu finden.“ Lumbers lachte auf. „Hat es nahezu vollständig in hübschem irischen Grün gestrichen. Handläufe, Schornsteine und Rad sind dafür in Orange. Nicht gerade unauffällig und natürlich heißt sein Dampfer Irish Maiden. Man kann durchaus behaupten, dass der Mann ein irischer Patriot ist.“
„Und er kennt den Fluss?“
„Alle behaupten das“, versicherte der Commodore.
„Ist dieser Kapitän Finnegan denn in Coopers Landing?“, hakte Matt nach.
Schmittmann lächelte. „Mir ist beim Beladen der Wagen ein giftgrüner Dampfer aufgefallen. Liegt übrigens ganz in der Nähe von Ihrem Schlachtschiff, Commodore.“
„Kanonenboot“, korrigierte der Angesprochene automatisch. „Sehr gut. Wenn Finnegan hier ist, dann müssen wir uns unbedingt mit ihm unterhalten.“
„Es wird seine Zuneigung zu unserem Anliegen sicher kaum erhöhen, wenn wir mitten in der Nacht über ihn herfallen.“ Matt deutete auf seine Taschenuhr, die auf dem Tisch lag.
Commodore Isaac Lumbers erhob sich und langte nach seiner Mütze. „Gentlemen, wir sollten die letzten Nachtstunden für etwas Schlaf nutzen. Morgen früh suchen wir Kapitän Finnegan auf. Ich hoffe, sein Patriotismus erstreckt sich nicht nur auf Irland.“