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Kapitel 2Beschlüsse
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Mars Central, Sitz des Hohen Rats des Direktorats, Mars, Sol-System
Gemessen an anderen Gebäuden der Metropole Mars Central war der Sitz des Hohen Rates des Direktorats eher bescheiden. Dennoch verkörperte der hoch aufragende Bau die ganze Macht der Regierung. Die oberen Ebenen reichten bis in die dünne Wolkendecke hinauf, die sich gelegentlich bildete, wenn im Rahmen des fast abgeschlossenen Terraformingprozesses leichter Regen auf die einst staubtrockene Oberfläche fiel. Der Mars war zum großen Teil zu einer erdähnlichen Welt geworden, auf der es Wälder und Seen gab. Trotzdem waren fast dreißig Prozent der Oberfläche bis jetzt noch Wüstengebiete. Immer wieder gab es Stürme, bei denen der Luftdruck und der Sauerstoffgehalt so weit abfielen, dass die Marsbewohner Verdichtermasken tragen mussten. Dennoch hätten die Marsianer mit keinem anderen Planeten getauscht, denn der Mars war ein Planet des Sol-Systems und dieses würde immer Ursprung und Heimat der Menschheit bleiben. Die Erde hatte sich zwar inzwischen von der Plage Mensch erholt, doch ein Beschluss des Hohen Rates verbot die erneute Besiedelung. Nur Forschern und kleinen Besuchergruppen wurde es gestattet, sie zu betreten.
Der Hohe Rat des Direktorats setzte sich aus den Vertretern aller von Menschen besiedelten Welten zusammen. Die Beschlüsse wurden demokratisch und in einer Zweidrittelmehrheit getroffen und waren dann für alle bindend. Es gab nur wenige, die den Weisungen des Rates, den sogenannten Direktiven des Direktorats, nicht bereitwillig folgten, denn die Mitgliedschaft bot große Vorteile beim Handel und sie bot den Schutz der Streitkräfte. Seitdem die Menschheit, dank des Hiromata-Kristalls, über den Nullzeit-Antrieb verfügte und man sich immer weiter in den Weltraum ausdehnte, war man auf mehrere intelligente Fremdrassen gestoßen. Mit einer davon, den Hanari, war man in fester Freundschaft verbunden. Die Menschen hatten alle Anstrengungen unternommen, um diese Intelligenzen vor der Explosion ihrer Sonne zu retten und sie rechtzeitig umzusiedeln. Auch mit den Negaruyen der Sand-Welt pflegte man freundschaftliche Kontakte. Doch die geheimnisvollen Negaruyen der verborgenen Welt und die insektoiden Norsun waren Völker, mit denen ein Frieden nicht gesichert war. Die Gefahr des Krieges schwebte wie ein Damoklesschwert über dem Direktorat und so waren selbst nach Unabhängigkeit strebende Kolonien bereit, sich enger in den Weltenbund einzubringen.
Der Hohe Rat des Direktorats verwaltete die eher bescheidenen Vorkommen des Hiromata-Kristalls, verabschiedete die für alle gültigen Gesetze, zog Steuern ein und entschied über den Einsatz der Streitkräfte.
Hoch-Admiral John Redfeather war der militärische Oberbefehlshaber der Sky-Navy und der Sky-Cavalry. Ihm stand sein Freund, Hoch-General Omar ibn Fahed, zur Seite, der den Befehl über die Truppen innehatte. Beide trafen ihre Entscheidungen prinzipiell unabhängig vom Rat, waren jedoch darauf angewiesen, dass dieser den Einsatz des Militärs bewilligte. Beide Seiten waren dabei um gutes Einvernehmen bemüht, auch wenn es gelegentlich Diskrepanzen gab, da der Hohe Rat auch über die finanziellen Mittel des Militärs entschied.
In der Vergangenheit hatten die Streitkräfte keine Priorität genossen, denn der Ausbau der Wirtschaft, Handelsbeziehungen und die Unterstützung der besiedelten Welten hatten Vorrang gehabt. Doch mittlerweile mussten immer mehr Welten geschützt werden. Mit den Norsun gab es einen nur unsicheren Waffenstillstand und die Negaruyen der verborgenen Welt hatten schon mehrfach ihre kriegerische Absicht bewiesen.
Erst vor Kurzem war zum ersten Mal eine der drei wichtigsten Militärbasen der Streitkräfte, die Sky-Base Rigel, angegriffen worden. Daher suchte Hoch-Admiral John Redfeather, gemeinsam mit seinem Freund und Adjutanten, Lieutenant Faso, einige Mitglieder des Hohen Rates auf. Hierbei handelte es sich um die „ausführenden Räte“, besonders Bevollmächtigte, die dann Entscheidungen fällten, wenn diese rasch getroffen werden mussten und keine Zeit blieb, die volle Ratsversammlung einzuberufen. Die Verantwortung der ausführenden Räte war hoch, da sie ihre Beschlüsse später vor der Vollversammlung rechtfertigen mussten, um deren nachträgliche Zustimmung einzuholen. Das war nicht immer leicht und oft scheuten ausführende Räte vor schwierigen Entscheidungen zurück, doch im Verteidigungsfall galten andere Regeln. Eine solche Situation war nach dem Angriff auf Rigel gegeben und die nächste Vollversammlung des Hohen Rates sollte erst in einem Jahr stattfinden.
John Redfeather setzte daher auf die Befugnisse der ausführenden Räte. Vor allem der Hohe Rat Mbuto Sangales, dessen Vorfahren aus Nigeria auf der Erde stammten, hatte Redfeather in der Vergangenheit immer wieder weitreichende Befugnisse erteilt.
Sangales hatte Redfeather und Faso zu einer sogenannten kleinen Exekutive eingeladen. Das Treffen mit drei ausführenden Ratsherren sollte einige Beschlüsse ermöglichen, die für die künftigen Möglichkeiten der Streitkräfte entscheidend sein würden.
Redfeather und Faso nutzten einen Expresslift, um in die Spitze des Ratsgebäudes zu gelangen. Die transparente Kabine glitt außen am Gebäude empor und so genossen die beiden Offiziere eine phänomenale Aussicht über die Metropole Mars Central und deren Umgebung. Diese war längst über die einstigen Überlebenskuppeln hinausgewachsen. Das Stadtbild wurde von Seen, Grünflächen und kleinen Wäldern geprägt, die der Erholung und zugleich als grüne Lunge dienten.
Obwohl die beiden Offiziere schon seit Jahren befreundet und eng vertraut miteinander waren, wahrten sie eine Art formeller Distanz. Der Lieutenant bemerkte die sorgenvolle Miene des Hoch-Admirals und räusperte sich. „Sir, Sie wirken bedrückt. Sorgen Sie sich wegen des Zusammentreffens?“
„Nicht wegen Sangales. Wenn Navy und Cav einen Freund im Hohen Rat haben, dann ihn. Aber er kündete an, dass die anderen beiden ausführenden Räte ausgerechnet Lambert und Kenduke sein werden.“
Faso bewies sein stets gegenwärtiges Hintergrundwissen. „Lambert. Sein Bruder besitzt Lambert Incorporated, einen der größten Waffenproduzenten, von Mars Military Industries einmal abgesehen. In seinen Beschlüssen stets der Industrie wohlgesonnen, beteuert aber, dabei keine persönlichen Interessen zu verfolgen. Weist gerne darauf hin, dass sein Bruder ihm nützliche Einblicke in wirtschaftliche Vorgänge gewährt.“ Der Adjutant lächelte. „Um den würde ich mir keine Gedanken machen, Sir. Ihre Pläne bedeuten Aufträge für die Industrie und dabei wird so einiges für Lambert Incorporated abfallen. Nein, Sir, den Mann haben Sie im Sack.“
„Schön, Faso, was halten Sie von Kenduke?“
„Wenig, Sir. Ein Zauderer, der sich lieber der Mehrheit anschließt und ungern eigene Verantwortung übernimmt. Manchmal frage ich mich, Sir, nach welchen Kriterien Politiker gewählt werden. Ich habe trotz ernsthafter Bemühungen noch nicht herausgefunden, ob eher die Qualifikation oder die Augenfarbe entscheidend sind. Da Hochherr Sangales sicher auf Ihrer Seite ist, Lambert seinen Vorteil sehen wird und sich Kenduke gerne der Mehrheit anschließt, dürfen Sie also wahrscheinlich damit rechnen, dass Ihre Vorschläge angenommen werden.“
Beide mussten lachen und die Stimmung des Hoch-Admirals besserte sich merklich.
Als sie wenig später das Büro des Hohen Rates Mbuto Sangales betraten, konnte Redfeather ganz unbefangen lächeln, während er den drei Politikern die Hand reichte.
Während sie in einer gemütlichen Sitzgruppe Platz nahmen und Sangales sie aus einem Robotspender bewirtete, sah Faso sich in dem großen Raum um, der fast die gesamte Ebene der Turmspitze einnahm. Dieser war gegen das Sonnenlicht abgeschirmt und wurde von Skulpturen, Schilden, Waffen und Tierköpfen dominiert, die keinen Zweifel an den afrikanischen Ursprüngen der Familie Sangales ließen.
Faso ließ seine Hand möglichst unauffällig über einen stehenden Löwen gleiten, um das Fell zu prüfen, doch Sangales war ein aufmerksamer Beobachter. „Er ist echt, Lieutenant. Einer meiner Vorfahren erlegte ihn noch mit dem Speer in der Savanne.“ Er lachte vergnügt. „Natürlich ist das schon zwei oder drei Jahrhunderte her. Wer sich heutzutage an einem Tier oder einer Pflanze auf der Erde vergreift, der braucht eine Sondergenehmigung des Rates oder er riskiert die Gehirnlöschung.“ Sangales wurde wieder ernst und wandte sich Redfeather zu. „John, ich habe eben noch mit den Hochherren Lambert und Kenduke über den Angriff auf Sky-Base Rigel gesprochen. Ich muss sagen, dass uns dieser Vorfall sehr beunruhigt.“
„Nicht nur Sie, Hochherr“, versicherte John Redfeather. „Nachdem die Negaruyen unseren Kreuzer Nanjing in eine Falle lockten und dessen Besatzung ermordeten, haben sie zweimal Norsun-Welten überfallen, um einen Krieg zwischen uns und den Insektoiden zu provozieren. Rigel hingegen richtete sich erstmals direkt gegen uns. Wenn man von der Falle für unseren Kreuzer einmal absieht“, fügte er einschränkend hinzu.
„Ein direkter Angriff auf einen unserer stärksten Militärstützpunkte“, betonte Ratsherr Lambert. „Das beweist in meinen Augen, dass sich die Negaruyen nicht vor einer Auseinandersetzung mit uns scheuen.“
„Krieg“, verbesserte Kenduke nervös. „Wir reden hier nicht von einer simplen Auseinandersetzung, sondern von einem Krieg, der uns alle vernichten könnte.“
„John, wie sehen Sie das?“, hakte Sangales nach. „Haben wir lediglich ein paar, äh, Unstimmigkeiten mit den Burschen oder befinden wir uns mit ihnen im Krieg?“
„Ein unerklärter Krieg, Hochherr. Keine offizielle Kriegserklärung, falls es so etwas überhaupt bei einer interstellaren Auseinandersetzung zwischen zwei unterschiedlichen Völkern gibt. Doch die Fakten sprechen für sich. Die Negaruyen betrachten sich als im Krieg mit uns und genau so müssen wir das ebenfalls sehen.“ Redfeather zuckte mit den Schultern. „Unglücklicherweise wissen wir weitaus weniger von den Negaruyen als diese über uns. Sie müssen unsere öffentlichen Medien über Jahre verfolgt und sich sicherlich auch ein paar andere Quellen eröffnet haben. Wir wissen ja nicht, wer von den vielen vermissten Raumfahrern in den vergangenen Jahren in ihre Hände gefallen ist.“
„Diese Infiltratoren der Negaruyen sind eine immense Gefahr“, meinte Kenduke. „Sie gleichen uns so sehr, dass sie sogar in die Sicherheitsbereiche der Streitkräfte vordringen konnten. Wer weiß, wie viele von ihnen es noch gibt …“
„Dem muss ich zustimmen, Hochherr Kenduke. Die Streitkräfte arbeiten eng mit dem Sky-Marshal-Service des Direktorats zusammen, um neue Sicherheitsüberprüfungen zu erarbeiten. Doch ich möchte Ihr Augenmerk auf das derzeitige Hauptproblem richten: Mit den Negaruyen der verborgenen Welt liegen wir in einem unerklärten Krieg und mit dem großen Reich der insektoiden Norsun in einem unsicheren Frieden.“
„Der Hohe Rat des Direktorats ist bemüht, mit den Norsun in Friedensverhandlungen zu treten“, versicherte Sangales.
„Das ist sehr erfreulich, Hochherr“, versicherte der Hoch-Admiral. „Der derzeitige Waffenstillstand basierte auf der Bedrohung durch die vom Feind eroberte Nanjing, die ja nun nicht mehr existiert. Wir können leider noch nicht von einem Vertrauensverhältnis zwischen unseren Völkern ausgehen, so wünschenswert dies auch wäre. Das Misstrauen ist da. Ein kleiner Anlass kann ausreichen, um uns in einen verheerenden Konflikt mit den Ei-Geborenen zu stürzen. Das gilt es unbedingt zu vermeiden und wir alle hoffen sicherlich, das der geplante diplomatische Weg zum Frieden führt.“ Redfeather seufzte leise. „Unglücklicherweise gibt es bislang keine Möglichkeit für Verhandlungen zu einem Frieden mit den Negaruyen der verborgenen Welt.“
„Sie betonen stets diese verborgene Welt, Redfeather“, brummte Kenduke. „Warum?“
„Nun, Hochherr, weil wir mit dem Stammvolk der Negaruyen auf deren alter Heimatwelt in friedlichem Kontakt und Handel stehen. Das Volk des Sandes hat absolut nichts mit den Aktivitäten seiner aggressiven Artgenossen zu tun.“
„Nun, das mag so sein, aber warum helfen sie uns dann nicht gegen ihre, äh, Artgenossen?“
„Hochherr, die Negaruyen der alten Heimat befahren die Wüstengebiete mit ihren Sandschiffen. Sie nutzen die Raumfahrt nicht mehr, denn diese hat einmal fast zur Vernichtung ihres Volkes geführt.“
„Ich verstehe es richtig, John, dass die Norsun und die Negaruyen eine unversöhnliche Feindschaft verbindet, nicht wahr?“
„Ja, Hochherr, das kann man wohl so sagen.“
„Was hindert dann die Norsun daran, diese Sandwelt endgültig zu vernichten? Schließlich kennen sie doch deren Position.“
„Auch das ist zutreffend, Hochherr Sangales. Wir wissen nicht, warum die Norsun keinen neuen Angriff durchführen. Eigentlich sind für sie alle Flachschlitznasen – so nennen die Norsun die Negaruyen, Gentlemen – der Feind. Möglicherweise liegt es daran, dass das Direktorat nun ein wachsames Auge auf das Sandvolk hat.“
„Wobei diese Insektenabkömmlinge uns sicherlich nicht fürchten.“
„Wohl kaum, obwohl wir ihnen im Kampf um Regan III. ordentlich zugesetzt haben. Andererseits sehen die Norsun vielleicht auch die Gefahr, dass uns die Negaruyen der verborgenen Welt plötzlich als ihre unfreiwilligen Verbündeten betrachten könnten, sollten die Norsun gegen uns aktiv werden. Wenn die Norsun uns angreifen, dann nutzen die Negaruyen sicherlich die Gelegenheit, um sie in einen Zwei-Fronten-Krieg zu verwickeln. Das möchten die Norsun nicht riskieren. Immerhin haben die Negaruyen bisher einen Krieg überlebt, der nun schon etliche Jahrhunderte währt. Es ist halt ein wenig … kompliziert, Hochherren.“
Mbuto Sangales kannte die Verbundenheit von Redfeather und Faso. Er sah den Adjutanten fragend an. „Nun, was halten Sie davon, Lieutenant?“
„Das wir auf jeden Fall vorbereitet sein müssen, wenn wir im Spiel fremder Mächte bestehen wollen, Sir.“
Sangales lachte leise. „Gut geantwortet, Lieutenant, gut geantwortet.“
„Sicherlich ganz im Sinne des Admirals“, fügte Kenduke spöttisch hinzu.
Fasos Blick wirkte treuherzig. „Ganz im Sinne des Direktorats, Hochherr. Ich gehe davon aus, dass kein Mensch es begrüßen würde, am Morgen vor den Kanonen eines Alienschiffes aufzuwachen.“
Kenduke verzog das Gesicht, während Ratsmitglied Lambert schmunzelte. „Und wie stellen Sie sich eine entsprechende Vorbereitung vor, Lieutenant?“
„Die diplomatischen Fähigkeiten des Hohen Rates, Hochherr Lambert, und die Wehrhaftigkeit von Navy und Cav. Vor allem Schiffe und Besatzungen.“
„So, so, Schiffe und Besatzungen“, knurrte Kenduke verdrießlich. „Das Lieblingsthema von Redfeather.“
„Hochherr Kenduke, wir wollen den gegenseitigen Respekt wahren“, mahnte Mbuto Sangales. Er nippte an der Schale Tee, die er dem Robotautomaten entnommen hatte. „Wir sind hier zusammengetroffen, um einige wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen. Die Ausstattung von Navy und Cav gehört in diesen besonders schwierigen Zeiten fraglos dazu.“ Er wandte sich dem Befehlshaber der Streitkräfte zu. „John, ich dachte, Projekt Anni würde dieses Problem lösen. Gibt es Schwierigkeiten, von denen …“
Redfeather räusperte sich vernehmlich. „Keine Probleme, Hochherr.“
Sangales Hautfarbe wurde ein wenig dunkler, als er begriff, dass er einen Fehler begangen hatte. Lambert und Kenduke gehörten nicht zu jenen, die in das geheime Projekt Anni eingeweiht waren, doch nun hatte er sie durch eine Unachtsamkeit darauf hingewiesen.
„Anni?“ Lambert runzelte die Stirn. „Was für ein Projekt Anni? Von so einem Projekt ist mir nichts bekannt. Dir etwa, Ken?“
Kenduke schüttelte den Kopf und die Blicke, die er Sangales und den beiden Militärs zuwarf, waren ausgesprochen düster. „Nein. Ich habe das Gefühl, da wird hinter dem Rücken des ausführenden Rates eine ganz besondere Suppe gekocht. Ich denke, werter Kollege Sangales, es ist höchste Zeit, uns da einzuweihen.“
Vor Jahren hatte Mbuto Sangales seine außergewöhnlichen Vollmachten genutzt, um John Redfeather die Mittel für ein ebenso außergewöhnliches und absolut geheimes Projekt zu bewilligen. Fernab des Direktorats war eine Werftanlage errichtet worden, auf der ein vollkommen neuer Schiffstyp gebaut wurde. Offiziell handelte es sich um eine kleine Minenkolonie, die die reichlich vorhandenen Rohstoffe nutzte, um alle erforderlichen Materialien und Werkzeuge selbst herzustellen. Hunderte von ungebundenen Angehörigen der Navy und der Cavalry dienten dort und hatten sich verpflichtet, jedweden Kontakt zum Direktorat abzubrechen. Das Projekt war unter dem Eindruck der Terroraktionen von „Human Rights“ und der schwarzen Bruderschaft der Piraten entstanden und sollte dem Direktorat eine geheime Eingreifreserve zur Verfügung stellen.
„Es geht um die Konstruktion neuer Schiffe und die Verbesserung der bestehenden Typen“, sagte Redfeather rasch, bevor Sangales die Beantwortung übernehmen konnte. Als Hoch-Admiral war John Redfeather dem Hohen Rat unterstellt und durfte dementsprechend nicht lügen, doch jeder gute Politiker wusste, dass dies nicht bedeutete, unbedingt die Wahrheit sagen zu müssen. „Wir sind in der Planung schon weit fortgeschritten.“
„Neuer Schiffstyp und Umbauten der bestehenden Schiffe?“ Während Lambert durchaus interessiert blickte, lehnte sich Kenduke in den Polstern zurück und legte die Arme auf die Rückenlehne. „Haben Sie eine Vorstellung, Redfeather, was so etwas kostet?“
„Solche Planungen gehören zur Berufsbeschreibung jedes Ingenieurs und Konstrukteurs“, entgegnete Redfeather. „Und ich habe durchaus eine Vorstellung von den Kosten. Die Absicht dahinter ist es aber, Schiffe künftig so zu bauen, dass sie mit weniger Material und Personal auskommen. Letztlich mehr Schiffe, bei gleichbleibendem Personal und verhältnismäßig geringfügigem Mehraufwand an Material.“
Kendukes Blick verriet seine Skepsis, doch nun schaltete sich Lambert ein. „Können Sie das etwas präzisieren, Hoch-Admiral?“
„Zum Beispiel ein neuer APS-Typ, nämlich Modell B, Hochherr. Etwas kleiner als der A-Typ, etwas schneller und besser für Planetenoperationen geeignet. Nur eine Railgun und nur ein Drittel der bisherigen Besatzung.“
„Nur eine Rail?“, hakte Lambert nach, der sich, schon aufgrund der Waffenfirma seines Bruders, sehr für dieses Thema interessierte. „Also eine schwächere Bewaffnung?“
„Der Planungsstab hat mich davon überzeugt, dass mehr Schiffe und damit mehr mobile Waffenplattformen, bei der sich abzeichnenden weiteren Ausdehnung des von Menschen besiedelten Gebietes uns mehr Flexibilität verleihen als weniger Plattformen mit stärkerer Bewaffnung.“ Redfeather sah Lambert an. „Da wir in der derzeitigen Situation unsere Kapazitäten möglichst kurzfristig anheben sollten, müssten die Streitkräfte auch verstärkt private Firmen unter Vertrag nehmen.“
Man sah förmlich das Credit-Symbol in den Augen von Lambert aufblitzen. „In Anbetracht der aktuellen Bedrohungslage, die für das Direktorat nun einmal existiert, halte ich diese Überlegungen durchaus für sinnvoll und zielführend.“
Kenduke ließ ein leises Schnauben hören. „Mit Verlaub, Lam, das wundert mich nun überhaupt nicht.“
„Was soll das heißen?“
Sangales hob beschwichtigend die Hände. „Hochherren, Gentlemen, sehen wir die Sache nüchtern. Wir haben drei drängende Probleme zu bewältigen. Die Norsun, die Negaruyen der, äh, verborgenen Welt und die fortschreitende Expansion der Menschheit in den Weltraum. Die Tatsache, dass wir inzwischen einigen Fremdintelligenzen begegnet sind, ändert nichts daran, dass immer mehr Menschen ihr persönliches Glück in den Weiten des Weltraums suchen. Gentlemen, nach den aktuellen Informationen der Astronomen und Planetologen existieren ungefähr achtzig Milliarden bewohnbare Welten in unserer Galaxie. Mit dem Nullzeit-Antrieb ist jede Entfernung ein Katzensprung. Man braucht nicht einmal mehr die riesigen Kolonieschiffe der ersten Expansionswelle, bei der sich Tausende von Kolonisten einfrieren lassen mussten und jahrelang zu einem Ziel unterwegs waren, von dem nicht einmal sicher war, ob sie dort eine Zukunft haben würden. Heute nimmt man einen beliebigen Frachter oder auch nur ein paar Langstrecken-FLVs und kann mit ihnen einen regelrechten Pendelverkehr zu einem besiedelbaren Planeten einrichten. Innerhalb von Tagen sind alle Menschen und Materialien vor Ort. Grundgütiger, Gentlemen, man muss nicht einmal mehr ein eigenes Raumschiff besitzen. Man kann sogar ein interstellares Taxi-Unternehmen beauftragen.“
Alle Gesichter waren nachdenklich, denn Sangales sprach ein zunehmendes Problem an.
„Viele der hoffnungsvollen Kolonisten wollen auch nicht unbedingt etwas mit dem Direktorat zu tun haben und siedeln weit außerhalb des von uns kontrollierten Gebietes“, fuhr Sangales fort. „Wobei sich diese Kontrolle auf spärliche Patrouillenflüge der Navy beschränkt. Auch ohne eine drohende Kriegsgefahr brauchen wir mehr Schiffe und Besatzungen, denn niemand kann uns die Verantwortung für den Schutz der Aussiedler nehmen.“
Kenduke seufzte langgezogen. „Dem muss ich zustimmen. Doch es wäre angebracht, wenn zumindest die ausführenden Hohen Räte künftig umfassend in die Planungen der Streitkräfte eingebunden würden.“
„Ich werde mir das zu Herzen nehmen“, versicherte Sangales mit ernstem Gesicht, „und bitte für das Versäumnis um Entschuldigung.“
„Sir, die Negaruyen“, erinnerte Faso mit leiser Stimme.
„Ja, die Negaruyen“, seufzte Sangales. „John, Sie deuteten an, dass Sie und die Navy da etwas planen?“
„Ja, Hochherren, das ist der Fall. Gestatten Sie uns einen Blick auf die Karte?“
Sangales deutete auf die Mitte des Tisches und als Redfeather seinem Adjutanten zunickte, zog dieser einen kleinen Projektionswürfel aus der Tasche, stellte ihn ab und aktivierte ihn. Mit leichtem Flirren baute sich eine holografische Sternenkarte, mit einem Teilausschnitt der Galaxie, vor ihnen auf. Während der Hoch-Admiral sprach, betätigte Faso immer wieder die Fernsteuerung, welche die Darstellung des Hologramms veränderte.
„Hochherren, Sie sehen hier jenen Ausschnitt des Weltraums, der den von uns beanspruchten Raum und die uns bekannten Territorien der Norsun und Negaruyen umfasst. Wobei uns allen natürlich bewusst ist, dass es im Weltraum keine so klaren Grenzen gibt, die man befestigen und bewachen könnte. Nullzeit-Schiffe können jene beliebige Entfernung überwinden und jedes Ziel erreichen. Ohne jegliche Vorwarnung, denn man kann den Nullzeit-Sturz nicht anmessen. Wie Sie sehen, erstreckt sich das Hoheitsgebiet der Norsun über einen riesigen Bereich, wobei uns natürlich keine Informationen verfügbar sind, wie weit ihr Territorium tatsächlich reicht und wie dicht es besiedelt ist. Der rötlich markierte Bereich stellt das einstige Kolonisationsgebiet der Negaruyen dar und zeigt ihre damaligen Welten. Der blau blinkende Punkt ist die Sand-Welt des friedlichen Stammvolkes.“
„Mit dem wir Handel treiben“, warf Lambert nachdenklich ein. „Dieses einstige Hoheitsgebiet der Negaruyen ist kleiner als das Direktorat und befindet sich recht nahe dem Bereich, wo sich das Direktorat und das Norsun-Gebiet beinahe berühren.“
„Ja, Hochherr, und wir wissen, ebenso wie die Norsun, die schon seit Jahrhunderten danach suchen, nicht, wo sich die verborgene Welt der Negaruyen befindet. Genau um diese geht es jedoch. Wir müssen sie finden.“
„Ach, und warum müssen wir das?“, erkundigte sich Kenduke skeptisch. „Und wie soll uns gelingen, was den Norsun in Jahrhunderten nicht gelang?“
„Die Negaruyen sind uns gegenüber in einem gewaltigen Vorteil, Hochherr. Sie haben jede Menge Informationen über uns, während wir im Dunkeln tappen. Sie können an jeder beliebigen Stelle zuschlagen und haben dies im Rigel-Sektor bereits getan. Wir können nur auf ihre Angriffe reagieren und nicht selbst die Initiative ergreifen. Es wäre für uns von unschätzbarem Wert, wenn wir diese verborgene Welt entdecken würden.“
Lambert nickte. „Weil sie dann befürchten müssten, dass wir, im Falle eines erneuten Angriffs auf uns, zurückschlagen.“
„Andererseits könnte eine Suche nach dieser verborgenen Welt sowohl die Negaruyen als auch die Norsun zu einer weiteren Aktion gegen uns veranlassen.“
Sangales sah Kenduke an. „Ich schätze, die Norsun wären uns sogar dankbar, wenn wir diese Negaruyen für sie finden. Nein, die Norsun wären da wohl kaum ein Problem. Aber es könnte die Negaruyen aufschrecken, John.“
„Darum schlage ich auch eine Geheimaktion vor, Gentlemen. Keine auffällige und groß angelegte Suchaktion mit Dutzenden von Kreuzern, wie wir sie bei der Jagd auf die Nanjing eingesetzt haben.“
„Sondern?“
„Die Einrichtung eines geheimen Beobachtungspostens. Ein Lauschposten, der die Schiffsbewegungen in großem Umkreis beobachtet und daraus seine Schlüsse zieht.“
„Kann man denn entsprechende Schiffsbewegungen beobachten?“ Diesmal zeigte Lambert seine Zweifel.
„Nicht den Nullzeit-Sturz oder, wie es bei Norsun und Negaruyen genannt wird, die Schwingung, aber wir können Schiffe in der Beschleunigungs- und Abbremsphase orten und natürlich auch dann, wenn sie lediglich ihre Überlichtantriebe verwenden.“
„Schön, und was soll uns das nutzen? Ich denke nicht, dass die Negaruyen ihre verborgene Welt durch regen Schiffsverkehr verraten. Dann wären ihnen die Norsun längst auf die Schliche gekommen.“
„Nun, offen gesagt, wir hoffen darauf, dass sich die Norsun wie jedes räuberische Wesen verhalten, welches verborgen bleiben will. Keine Aktivitäten in der unmittelbaren Nähe des heimischen Baus, aber in vertrauter Umgebung bleiben.“ Redfeather lächelte ein wenig. „Das ist auch bei vielen Straftätern der Fall. Oft sind sie rings um ihren eigentlichen Wohnbereich herum tätig, möglichst in Gebieten, die sie recht gut kennen. Das verschafft ihnen einen gewissen Vorteil, weswegen man diese Gebiete auch Wohlfühlbereich nennt.“
„Dabei vergessen Sie die Vorzüge des Nullzeit-Antriebs, Admiral.“
„Nicht ganz, Hochherr. Unsere größte Hoffnung ist das Loch im Schiffsverkehr. Dort, wo wir die wenigsten Schiffsbewegungen der Negaruyen orten, dort können wir dann jene Welt vermuten, die sie am meisten schützen wollen.“
„Sie bewegen sich da auf dünnem Eis, John.“
„Aye, Sir, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir uns bewegen müssen. Ohne Kenntnis der Position der verborgenen Welt können wir ihnen nicht mit einem Gegenschlag drohen. Wir sind zur Reaktion verurteilt und sind ihren Aktionen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.“
„Na, na, Redfeather, Sie tun ja gerade so, als könne unsere Navy nichts bewirken“, meinte Kenduke und grinste breit.
„Oh, wir können uns durchaus gegen die Negaruyen halten, das haben die bisherigen Gefechte bewiesen. Doch vergessen Sie eines nicht, Hochherren: Die Navy kann nur mit zeitlicher Verzögerung handeln, es sei denn, sie ist gerade zufällig vor Ort.“
Mbuto Sangales nickte. „Ich verstehe. Geht ein Notruf ein, dann brauchen unsere Schiffe sechs bis acht Stunden, bevor sie in die Nullzeit gehen können. Zeit für die Negaruyen, eine Menge Schaden anzurichten.“
„Und vielleicht sogar wieder zu verschwinden, bevor wir sie stellen können“, fügte Lambert nachdenklich hinzu. „Ja, ich stimme dem verehrten Hoch-Admiral zu, dass uns die Kenntnis über die Position der verborgenen Welt in eine entschieden bessere Ausgangslage bringen würde. Ich sehe dennoch ein Problem, Admiral. Nach meiner Kenntnis über die neuen Hiromata-Nullzeit-Scanner haben diese eine begrenzte Reichweite. Dreißig Lichtjahre, nicht wahr?“
„Maximal, Sir“, räumte Redfeather ein. „Für den Geheimposten und die Suche nach der verborgenen Welt sollten wir daher in eine zusätzliche Menge an Hiromata investieren und einen wesentlich leistungsstärkeren Scanner bauen.“
„Mit welcher Reichweite?“
„Wir hoffen auf fünfhundert Lichtjahre.“
„So viel?“
„Möglicherweise weniger. Es wird einen ziemlichen Brocken Hiromata erfordern, aber wenn es uns gelingt, dann haben wir eine reelle Chance, die Negaruyen aufzuspüren.“
Eine kurze Diskussion entspann sich, bei der sich allerdings rasch die Zustimmung der ausführenden hohen Räte abzeichnete.
Mbuto Sangales zog schließlich wieder das Wort an sich: „Im Prinzip sind wir uns einig, Gentlemen. Allerdings müssen wir die Gefahr der Entdeckung dieser Operation minimieren. Nichts darf an die Medien gelangen, denn wir wissen, wie aufmerksam die Negaruyen ihnen lauschen, und wir wissen nicht, an welchen Schaltstellen sie weitere Infiltratoren in Stellung gebracht haben. Ferner müssen wir diese Operation im Hoheitsgebiet der Norsun durchführen, weswegen es besser ist, wenn uns dabei weder die Negaruyen noch die Norsun erwischen.“ Sangales sah den Hoch-Admiral ernst an. „Also kein Flottenaufmarsch, John.“
„Natürlich nicht, Hochherr.“
Sangales sah die anderen beiden Exekutiv-Räte an, die nacheinander nickten. „Schön, John, Sie haben die Genehmigung für eine begrenzte Operation, mit dem Ziel, die verborgene Welt der Negaruyen aufzuspüren. Die Sache ist natürlich streng geheim. Nichts darf nach draußen dringen. Sie kennen unsere Medien, John. Die suchen immer nach interessanten Neuigkeiten. In Zeiten der Bedrohung durch Aliens sind das vor allem Neuigkeiten vom Militär. Denken Sie daran, John, diese verdammten Negaruyen haben nicht nur Zugang zu unseren Medien, sondern vielleicht auch ihre Leute in den Streitkräften.“
Lambert nickte zu Sangales Worten. „Sorgen Sie dafür, Hoch-Admiral, dass nur die Leute davon erfahren, die es unbedingt müssen. Hat die Sache übrigens schon einen Namen?“
„Aye. Da wir nicht nur nach einer kleinen Lücke, sondern nach einem regelrechten Loch in den Schiffsbewegungen suchen, nenne ich sie ‚Operation Black Hole‘, Sir.“