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Kapitel 1 Rendezvous

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Sky-Navy 6

Der letzte Pirat

Military Science Fiction

von

Michael H. Schenk

© M. Schenk 2017

Commercial Ship C.S. Glennrose

Die C.S. Glennrose gehörte zu jenen mittleren Frachtern welche unentwegt zwischen den besiedelten Welten pendelten. Die großen Frachter, die eine Länge von über zwei Kilometern erreichen konnten, wurden in Modulbauweise konstruiert. Bug und Heck waren relativ klein und beinhalteten alle erforderlichen Räume und Einrichtungen für die Besatzungen und Maschinen, während das Mittelteil aus einem kilometerlangen Trägersystem bestand, in dem die genormten Container verankert werden konnten. Solche Frachter waren nicht dafür gedacht, jemals auf einer Oberfläche zu landen und sie nutzten die Zubringerdienste planetarer Shuttles.

Die Glennrose gehörte hingegen zu jenen Schiffen, die für planetare Landungen geeignet waren. Aus diesem Grund zeigte ihr Rumpf eine schlanke und aerodynamische Form. Von der Seite ähnelte der Frachter einem flach gedrückten Zylinder mit scharfer Spitze. Von oben betrachtet erkannte man die ausladenden Tragflächen mit den mächtigen Atmosphäretriebwerken. Sie ermöglichten den Flug innerhalb einer Lufthülle und, bei Umlenkung der Triebwerke, den senkrechten Start und die senkrechte Landung. Auf den meist bescheidenen Raumhäfen der kleinen Kolonien war dies ein unschätzbarer Vorteil.

Der Rumpf der Glennrose schimmerte silbern. Entlang der Seiten zog sich ein breiter roter Längsstreifen, unterbrochen vom Logo von „Richter Tradings“. Dies war eine Gesellschaft, die sich auf den Handel mit den kleineren Kolonien spezialisieret hatte, für welche sich die großen Konzerne mit ihren gewaltigen Schiffen noch nicht interessierten. Der Hauptrumpf besaß fast zweihundertdreißig Meter Länge, eine Höhe von zwanzig und eine Breite von dreißig.

Raumfrachter transportierten Waren und Menschen, brachten den Kolonien, was diese benötigten und nahmen deren Produkte auf, um sie dem interstellaren Handel zuzuführen.

Die Glennrose hingegen transportierte den Tod.

Wenn man die ungefähre Position, Kurs und Geschwindigkeit eines Raumschiffes kannte und zudem über leistungsfähige Scanner und Sensoren verfügte, dann war es durchaus möglich, es in den Weiten des Weltalls zu entdecken. An ihm anzudocken gelang nur unter der Voraussetzung, dass beide Schiffe ihren Flug absolut anglichen. Ein Raumschiff gegen den Willen der Besatzung zu entern war praktisch unmöglich. Schon geringste Änderungen von Kurs oder Geschwindigkeit verhinderten ein Anlegen zuverlässig. Die Besatzung musste also einverstanden sein oder vor der Drohung durch Waffengewalt kapitulieren. Die zuverlässigste Methode, dass sie das Entern nicht verhinderte war allerdings immer noch, ihr die Fähigkeit dazu zu nehmen.

Captain Skeet Anderson, offiziell der Kommandant des harmlosen Frachters und inoffiziell Fightain der schwarzen Bruderschaft der Piraten, bevorzugte die Handlungsunfähigkeit einer Besatzung, besonders wenn diese durch ihr vorzeitiges Ableben bewirkt wurde.

Im Falle der Sailing Queen hatte diese Methode offensichtlich hervorragend funktioniert.

Ein Agent der schwarzen Bruderschaft hatte sich auf ihr eingeschifft und den Flugplan des interstellaren Kreuzfahrtschiffes an die Glennrose übermittelt. Das Piratenschiff konnte sich bequem auf die Lauer legen und auf sein Opfer warten, denn die C.S. Sailing Queen hatte Fracht und Passagiere an Bord. Immer mehr Touristen leisteten sich einen Ausflug zwischen die Sterne. Die Sehenswürdigkeiten des Weltraums und ferner Planeten lockten. Andere waren Siedler, auf dem Weg in die neue Heimat oder unterwegs zu Besuchen oder um Handel zu treiben.

Für Captain Skeet Anderson und die Bruderschaft war ein solches Schiff ein lohnendes Ziel. Die Fracht und die Besitztümer der Menschen lockten, zudem gab es wertvolle technische Geräte an Bord und, vor allen Dingen, einen Nullzeit-Sturzantrieb, der mit den kostbaren Hiromata-Kristallen betrieben wurde.

Lange Zeit hatte man sich mit dem Cherkov-Überlichtantrieb begnügen müssen, mit dem die Reise zwischen den Sternen immer noch Wochen, Monate oder sogar Jahre dauerte. Die meiste Zeit verbrachte man in den Kryo-Schlafkammern und es gab nur wenige Menschen, welche dies auf sich nahmen, um zu einer fernen Welt zu reisen. Die Entdeckung von Professor Hiromata, über die Eigenschaften des nach ihm benannten Kristalls, hatte die Raumfahrt revolutioniert. Jetzt erforderte die Reise zu den entferntesten Zielen nur noch sechzehn Stunden und diese Zeitspanne war erforderlich, um das Schiff auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, dabei den Hiromata-Sturzantrieb aufzuladen, das Ziel zu erreichen und an diesem wieder abzubremsen. Man benötigte keine Kälteschlafkammern mehr, nicht einmal umfangreiche Vorräte. Ein bequemer Aufenthaltsbereich und ein paar sanitäre Einrichtungen genügten für den komfortablen Transfer. Selbst kleine Raumschiffe konnten mit dem Hiromata ausgerüstet werden, sofern genug Kristalle zur Verfügung standen. Doch die Funde waren selten und das Direktorat, die Regierung der geeinten Menschheit, achtete sorgfältig auf eine möglichst gerechte Verteilung.

An Bord der Sailing Queen befanden sich Menschen, die sich ein wenig Zeit hatten nehmen wollen, um die Reise zwischen den Sternen zu genießen und die nicht ahnen konnten, dass es ihre letzte sein sollte.

Captain Skeet Anderson saß in seinem Kommandosessel in der Zentrale seines Schiffes. Sie befand sich im Bug, es gab jedoch keine Direktsicht durch Glaselemente und man beschränkte sich auf die Übertragungen der Außenkameras, die ein natürliches dreidimensionales Bild an die Holoschirme und Monitore übermittelten. Rechts des Schiffes lag ein Sternennebel, dessen sanftes Leuchten den Raum erhellte. Anderson genoss den Anblick und hatte auf jegliche Lichtdämpfung verzichtet. Er hielt sich für einen Ästheten und liebte schöne Dinge, auch wenn er bezüglich seinen Mitmenschen jegliche Skrupel vermissen ließ. Vor dem Leuchten des Nebels war ein winziger Punkt zu sehen. Man musste sehr scharfe Augen haben, um ihn zu erkennen. Dieser Punkt war die Sailing Queen, der die Glennrose nun schon seit etlichen Stunden folgte und der sie sich nun langsam annäherte.

Anderson war sich sicher, dass der Agent zu seiner vollsten Zufriedenheit gearbeitet hatte, aber die Bestätigung hierfür fehlte noch. Solange sie nicht eintraf, musste man alles verhindern, was die Besatzung des anderen Schiffes hätte misstrauisch machen können. Die Glennrose war offiziell als Frachter mit einer dreißigköpfigen Mannschaft registriert und flog tatsächlich immer wieder Handelsstützpunkte an, um dort Waren anzubieten. Es war nicht nur eine gute Tarnung, sondern auch der wichtigste Informationsquell. Auf diese Weise traf man sich mit den Agenten der Bruderschaft. Agenten, die zudem hochqualifizierte Mörder waren. Das galt auch für den Mann, der sich in der Freihandelszone von Kelly´s Rest auf die Sailing Queen eingeschifft hatte. Dennoch ließ seine Erfolgsmeldung auf sich warten.

Skeet Anderson trommelte mit den Fingern ungeduldig auf die Armlehne seines Sessels. „Noch immer nichts von Kresser?“

Der diensthabende Funker schüttelte den Kopf. „Nein, Captain. Möglicherweise ist sein Funkgerät gestört. In der Nähe der Sternenwolke gibt es eine Menge Hintergrundstrahlung.“

„Die keinen Einfluss auf den Funk hat“, wandte der Erste Offizier, Susan Horn, ein. „Aber natürlich kann sein Gerät einen Defekt haben. Die Geräte unserer Agenten sind ja sehr klein, kompakt und leider störanfällig.“

Sie alle trugen die roten Overalls von Richter Tradingss, mit dem großen Firmenlogo am Ärmel. Richter war für eine Disziplin berüchtigt, die es sonst an Bord ziviler Frachter nicht gab. Kaum jemand im Direktorat ahnte allerdings, dass die Besatzungen von Richter die Kaperschiffe der schwarzen Bruderschaft bemannten.

Captain Anderson ließ die Bemerkung über die Störanfälligkeit der kleinen Funkgeräte im Raum stehen. Eigentlich war die Ausstattung der Agenten sehr robust und zuverlässig, aber natürlich musste man Kompromisse eingehen, da sie nicht entdeckt werden durften. Man konnte also eine Beschädigung nicht ausschließen. „Navigator, seien Sie so freundlich und vergrößern Sie die Sailing Queen auf Stufe Zehn.“

Der winzige Punkt des anderen Raumschiffes wurde rasant vergrößert und schwebte nun im Zentrum eines der rechten Bildschirme. Das interstellare Kreuzfahrtschiff besaß viel Ähnlichkeit mit einem jener Schiffe, die einst die Meere der Erde befahren hatten, nur dass man den unteren Rumpf abgetrennt und zwei obere Rumpfteile spiegelverkehrt aufeinander gesetzt zu haben schien. Die Sailing Queen war ein Traum aus Tri-Stahl und jenem transparentem Material, welches man nicht umsonst als Klarstahl bezeichnete. Viele der Sichtluken und Panoramascheiben waren erleuchtet, Positionslichter blitzten und am Heck glühte bläulich das Cherkov-Überlichtgitter.

„Eine Schönheit, Captain“, meinte Susan Horn. „Mit allen Annehmlichkeiten, welche die moderne Raumfahrt bieten kann. In einigen Sportbereichen und einem der Schwimmbäder kann man die Schwerkraft abstellen. Auch auf zwei der Tanzflächen.“ Die hübsche Blondine lachte leise. „Ist bestimmt lustig, wenn ihr Captain einmal vergisst, ein Flugmanöver anzukündigen.“

Für einen Moment stellte sich Skeet Anderson vor, wie einige Passagiere in der Schwerelosigkeit vom Einsetzen der Schwerkraft eines Kursmanövers betroffen wurden. Ja, das war eine durchaus interessante Phantasie. „Eine amüsante Vorstellung“, sagte er leise, „und es spricht für gute Vorbereitung, wenn Sie die Werbeholos für die Sailing Queen studiert haben, aber…“ Seine Stimme wurde noch sanfter. „Aber ich würde es begrüßen, wenn Sie sich mehr auf die Arbeit konzentrieren würden, Eins-O.“

Die Frau errötete. „Es ist meine Pflicht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, Captain“, protestierte sie. „Immerhin gehen wir an Bord des Schiffes und müssen seine Räumlichkeiten kennen.“

Anderson lachte auf. „Gut gekontert, Erste. Ich hoffe, unser Enterkommando ist ebenfalls entsprechend vorbereitet.“

Offiziell verfügte das Schiff nur über eine Besatzung aus dreißig Männern und Frauen, doch in Wahrheit hielten sich zweihundertsiebenundachtzig Mannschaftsmitglieder an Bord auf. Die allermeisten waren gründlich ausgebildete Soldaten der schwarzen Garde. Ihre Aufgabe war allerdings weniger der Kampf, als vielmehr die gründliche Suche nach Beute und deren rasche Bergung.

„Captain!“ Der Pilot hob die Hand. „Blitzer am Ziel!“

Anderson und Horn konzentrierten sich auf die Sailing Queen. Dann sahen sie ebenfalls das rhythmische Blinken. Es musste von einem starken Laser stammen, da es die übrigen Lichter überstrahlte.

„Kresser… ZK7… QQD!“, las der Funker mühelos die Morsezeichen. „Blinkmeldung von Agent Kresser, Captain. Zoe-Krant-7 eingesetzt. Mission erfolgreich.“

„Bestätigt“, stimmte Anderson zu, der die Zeichen ebenso kannte. „Pilot, bringen Sie uns bitte längsseits.“

„Bestätigt, Captain. Gehe längsseits.“

Die Triebwerke der Glennrose flammten kurz auf und das Schiff schwebte seinem Ziel entgegen. Obwohl mit keiner Gegenwehr zu rechnen war und das unglückliche Touristenschiff auch keinen Notruf hatte absetzen können, ging Anderson keinerlei Risiko ein. Die verborgenen Waffenstationen waren besetzt. Scanner und Sensoren tasteten den umgebenden Weltraum aufmerksam ab.

Es dauerte knappe zwei Stunden, bis beide Schiffe längsseits lagen. Von der Glennrose flogen Ankerkabel zum weißen Rumpf der Sailing Queen. Da in diesem Fall die Magnete nicht genutzt werden konnte, wurden die Klebeköpfe der Kabel verwendet. Ihre Kleber verbanden sich mit dem Schiff und konnten später wieder gelöst werden. Metallene Teleskopstangen fuhren aus dem Rumpf des Piratenschiffes, deren Enden mit federnden Polstern versehen waren. Sie gaben sanft nach, als sie gegen die Sailing Queen stießen. Die Trossen spannten sich vorsichtig, bis die Rümpfe fast aneinander stießen.

„Anker sitzen, Captain“, meldete der Pilot.

„Schleusenverbindung herstellen und verriegeln“, ordnete Anderson an. „Eins-O, übernehmen Sie bitte die Brücke. Ich gehe selbst hinüber.“

Susan Horn salutierte enttäuscht, während der Pilot die Verbindung zur Sailing Queen herstellte. Der Schlauchförmige Verbindungsgang entfaltete sich langsam. Die Passagierschleuse des interstellaren Kreuzfahrtschiffes lag im äquatorialen Hauptdeck, wo sich einer der beleuchteten Panoramagänge entlang zog. Durch die Verglasung waren einige reglose Körper am Boden zu erkennen. Susan sah seufzend auf die Toten. Sie hätte gerne selber an der Plünderung teilgenommen, aber es war das Vorrecht des Captains, zu entscheiden, wer ging.

„Wie viele waren an Bord?“, fragte der Funker leise.

Die blonde Frau erinnerte sich an die Daten, die Agent Kresser genannt hatte. „Knapp 250 Mannschaften und 673 Passagiere.“

„Hoffentlich hat Kresser sie wirklich alle erwischt“, brummte der Pilot.

„Zoe-Krant-7 ist ein extrem effektives Nervengas“, antwortete sie. „Er hat es in die Luftversorgung gegeben. Die Sensoren der Zivilschiffe zeigen das Zeug nicht an. Es ist sehr schnell und mit menschlichen Sinnen nicht feststellbar. Die waren innerhalb einer Viertelstunde alle tot.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wer es einatmet, der hat noch dreißig Sekunden. Bei Kindern und Babys geht es natürlich schneller.“

Der Pilot presste unmerklich die Lippen aufeinander. Er schien der Einzige zu sein, der so etwas wie Skrupel empfand.

Skeet Anderson traf inzwischen im großen Frachtraum der Glennrose ein. Die 240 Männer und Frauen des Enterkommandos warteten bereits. Im Gegensatz zur offiziellen Besatzung trugen sie keine roten Firmenoveralls, sondern die schwarzen Uniformen der Garde. Da man keinen Widerstand zu erwarten hatte, beschränkte sich die Bewaffnung auf Messer und Pistolen. In einigen großen Taschen befand sich Spezialwerkzeug, um Safes und Panzertüren aufzubrechen.

Die Gardisten standen stramm, als Anderson vor sie trat. Ein lauter Hall war zu hören, als sich der Schlauchförmige Schleusengang der Glennrose gegen die Passagierschleuse der Sailing Queen presste und dort verriegelte. Atemluft wurde hinein gepumpt.

Anderson wandte sich an die Gardisten. „Jeder hat die Schiffspläne und die Passagierlisten mit den Identifikationsdaten auf seinem Armband-Computer. Sucht unter den Toten nach jenen, von denen wir Iris-Scans, Finger- oder Handabdrücke benötigen. Trupp Eins geht mit mir in den Frachtraum, die dortigen Frachtstücke durchsuchen. Die Liste des Frachtmeisters der Queen haben wir ja. Trupp Zwei geht mit Fightenant Clegg in den Maschinenraum und baut die Hiromata-Kristalle aus. Prime-Sergeant Ondret und seine Gruppe durchsuchen die Toten und die Räumlichkeiten. Nur die wirklich wertvollen Sachen. Verschwendet eure Zeit nicht mit Plunder.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich erwarte schnelles und reibungsloses Vorgehen. Zwar hat die Queen keinen Notruf absetzen können, aber dies ist eine reguläre Handelsroute und ich will nicht, dass uns ein anderes Schiff oder sogar ein Kreuzer der verfluchten Sky-Navy stört. Unterführer, übernehmen Sie Ihre Einheiten. Trupp Eins, folgen.“

Skeet Anderson trat an den Öffnungsmechanismus der Schleusenverbindung und vergewisserte sich, dass diese unter Druck stand. „Und noch eins: An Bord gibt es einen Überlebenden. Das ist Kresser, unser Mann. Ich wünsche nicht, dass man ihn versehentlich erschießt.“

Es gab Gelächter, dann glitt das Schott auseinander. Sie eilten durch den Verbindungsgang und als sich die gegenüberliegende Schleuse öffnete, erschien dort ein einzelner Mann.

Kresser salutierte vor Anderson. „Ich habe mit dem Nervengas gewartet, bis es Zeit für das Dinner war“, berichtete er. „Die meisten Passagiere findet ihr daher in den Messen und dem Bordrestaurant. Ich dachte mir, das erspart euch eine Menge herumsuchen.“ Kresser langte in die Tasche seines modischen Anzugs. „Die Schlüsselkarte des Captains, Mister Anderson.“

Skeet Anderson klopfte dem Mörder anerkennend auf die Schulter. „Gut gemacht. Begleiten Sie mich, Kresser. Ihre Ortskenntnis ist mir von Nutzen.“

Die Piraten der schwarzen Bruderschaft fielen wie ein Schwarm Hornissen über das Schiff und seine Toten her. Die Männer und Frauen kannten ihre Aufgaben und hielten sich eisern an Andersons Anweisungen. Keiner störte sich an den Hunderten von Leichen beiderlei Geschlechts und jeden Alters. Sie waren abgestumpft, wenn sie denn je Gewissensbisse empfunden haben mochten, denn inzwischen hatten sie schon mehrere Schiffe auf diese Weise aufgebracht und geentert.

Sie raubten den Toten nur solche Wertsachen, die sich gut an jene Händler verkaufen ließen, die nicht sonderlich nach der Herkunft fragten. Die richtige Beute lagerte in den Transportbehältern des Frachtraums. Hochwertige technische Geräte und die leistungsstarken Tetroniken, welche die Bruderschaft nicht selbst herstellen konnte. Kompakt und extrem schnell, hatten diese Computer in fast allen Steuerungen und Datensystemen Einzug gehalten. Ihre Herstellung war aufwändig und kompliziert, so dass die Piraten sie nicht selbst produzieren konnten. So stahlen sie, was für sie verwendbar war.

Die größte Beute waren die Hiromata-Kristalle im Maschinenraum der Sailing Queen. Für Fightenant Clegg und seine Gruppe war es unkompliziert, sie auszubauen. Abgesehen von den mächtigen Speicher- und Steuerstangen des Antriebs, die man getrost zurücklassen konnte, bestand der Antrieb aus einem knapp zwei Kubikmeter großen Würfel, in dem sich die wertvollen Kristalle und die Justiervorrichtung befanden. Man trennte den Antrieb von der Energieversorgung, kappte dann die langen Stangen mit brachialer Gewalt vom Würfel und begann mit dem Abtransport.

„He, Captain, Sie werden nicht glauben, was ich hier habe“, kam unvermittelt eine Stimme über das Headset von Anderson. „Ich bin hier im Schwimmbereich. Da paddelt eine Frau in der schwerelosen Wasserkugel herum. Hat ein Atemgerät auf und wohl noch gar nicht mitbekommen, was passiert ist.“

„Wer meldet?“, fragte Anderson mit ruhiger Stimme.

„Gardist Wadun, Sir“, kam die verlegene Antwort. Der Mann spürte offensichtlich, dass er einen Fehler begangen hatte.

„Schön, seien Sie so freundlich, Gardist Wadun, und tun Sie Ihre Pflicht“, forderte Anderson und schaltete auf die Kommandofrequenz um, während irgendwo im Schiff eine ahnungslose Frau starb. „Prime-Sergeant Ondret, der Gardist Wadun gehört zu Ihrer Gruppe? Ja? Sergeant, der Mann ist zögerlich in der Ausübung seiner Pflicht. Ich erwarte, dass Sie ihn ermahnen. Sie sind autorisiert, ihm zehn Hiebe mit der Neuro-Peitsche zu geben.“

Der Unterführer neben Anderson verkniff sich einen Kommentar. Gardist Wadun war selber Schuld, dass er nun die Peitsche zu spüren bekam. Er hätte die Frau sofort und ohne Kommentar töten müssen. Der Mann musste sein Versäumnis auch noch brühwarm dem Captain auf die Nase binden.

Ein Schiff wie die Sailing Queen zu plündern war eine Mammutaufgabe. Selbst für ein so starkes Enterkommando nahm es viel Zeit in Anspruch, die Räume zu durchsuchen. Anderson blickte immer wieder auf seine Uhr. Als die Meldung von Clegg kam, dass sich der Hiromata an Bord der Glennrose befand, öffnete er die allgemeine Frequenz. „Achtung, wir beenden die Operation. Alle zurück an Bord. Sub-Sergeant Pfizer, Sie programmieren den Autostart auf dreißig Minuten.“

Überall kam Bewegung in die Gardisten. Dreißig Minuten war nicht viel Zeit, wenn man aus den entlegenen Räumen rechtzeitig zurück an Bord der Glennrose gelangen wollte.

Sub-Sergeant Pfizer war mit zwei Gardisten auf der Brücke der Sailing Queen. Er ignorierte das qualvoll verzerrte Gesicht des dortigen Rudergängers und stieß den Toten aus dem Pilotensitz, um selber darin Platz zu nehmen.

Einer seiner Begleiter öffnete die Abdeckung der Hauptkontrollkonsole und verband ein kleines Gerät mit einem der internen Anschlüsse. „Überbrückung steht, Sarge.“

Pfizer nickte und ließ die Hände über die Kontrollen gleiten. „Bestätige Sicherheitsüberbrückung. Okay, die Daten werden überspielt. Alles klar, verschwinden wir von hier, bevor es heiß wird.“

Die Drei waren die Letzten, welche die Glennrose wieder betraten. Anderson gab den Befehl abzulegen. Die Anker lösten sich, die Verbindung wurde eingefahren und die Glennrose entfernte sich unter dem Schub der seitlichen Düsen. Dann flammten die Triebwerke beider Schiffe auf, die sich mit hoher Geschwindigkeit voneinander entfernten.

Viele Piratenkapitäne ließen die Beute nach dem Plündern einfach treiben, aber Skeet Anderson wollte dem Direktorat so wenige Spuren wie möglich hinterlassen. Man konnte keinen Reaktorunfall simulieren, da die modernen Reaktoren auf Fusionsbasis arbeiteten. Brachen die Magnetfelder des Plasmas zusammen, dann gab es auch keine Fusion mehr. Eine Sprengung wiederum hinterließ Spuren, die durch Sensoren entdeckt werden konnten. Aus diesem Grund ließ Anderson die Steuerung der Sailing Queen derartig manipulieren, dass sie Kurs auf die nächste Sonne nahm. Vielleicht wurde sie vorher entdeckt, aber das Risiko war vertretbar.

Die C.S. Glennrose schien nun wieder ein harmloser Frachter und schwenkte auf eine der Handelsrouten ein.

Skeet Anderson vergewisserte sich, dass alles in seinem Sinne ablief und übernahm wieder das Kommando auf der Brücke. Er ließ sich einen gekühlten Wein aus den ehemaligen Beständen der Sailing Queen reichen, schlug die Beine übereinander und entspannte. Eher unbewusst strich er über den eigentümlichen Bart, den er sich stehen ließ. Ein schmales Oberlippenbärtchen, kombiniert mit einem Kinnbart, der kaum zwei Zentimeter breit, jedoch fünf Zentimeter lang war und dem Kopf eines Pinsels ähnelte.

Agent Kresser stand neben ihm und betrachtete scheinbar nachdenklich die geschäftigen Männer und Frauen der Brückenbesatzung.

Anderson runzelte die Stirn. Er kannte Kresser von einigen früheren Kaperfahrten. Nach Abschluss einer Mission war der Agent normalerweise recht gesprächig, da die Anspannung von ihm abfiel. Diesmal war der Mann jedoch ungewöhnlich schweigsam. „Was ist los, Kresser? Sie machen einen unzufriedenen Eindruck, dabei ist der Job doch gut gelaufen.“

„Kelly´s Rest ist heiß geworden, Mister Anderson.“ Der Agent legte Wert darauf zu betonen, dass er außerhalb der militärischen Hierarchie stand und Anderson ihm keine direkten Befehle erteilen konnte.

Dessen Gesicht nahm einen leicht unwilligen Ausdruck an. „Raus mit der Sprache, Kresser. Was ist los?“

„Nun, Sie wissen ja, dass die Navy vor einiger Zeit in der Freihandelszone von Kelly´s Rest aufgeräumt hat. Dabei wurde auch unsere Basis auf dem Mond vernichtet. (Anmerkung des Autors: Siehe „Sky-Troopers 3 – Piraten!“) Danach kehrte wieder Ruhe ein, obwohl die Sicherheitsleute des alten Patriarchen Kelly natürlich sensibilisiert sind und die Augen jetzt weit offen halten.“ Kresser´s Lächeln wirkte ein wenig unglücklich. „Ich entkam den Nachforschungen, da meine Tarnung funktionierte und es keinerlei Hinweise auf mich gab. Aber es wird immer schwieriger, an Daten von Schiffen und Ladelisten zu gelangen. Kurz vor meinem Abflug mit der Sailing Queen tauchte auch noch ein Schiff des verdammten Sky-Marshal-Service auf. Wenn diese SMS-Cops auftauchen, dann wird es Zeit zu verschwinden. Irgendetwas geht vor sich, Anderson.“

Der Captain nippte an seinem Glas und überlegte. „Hm. Mag sein. Ich habe das Gefühl, dass der interstellare Verkehr im Augenblick etwas weniger intensiv ist.“ Anderson trommelte mit der freien Hand auf die Seitenlehne. „Pilot, seien Sie so freundlich und gehen Sie auf konstante Fahrt. Gleichen Sie die Flugdaten mit dem Funker ab. Funker, nehmen Sie bitte Verbindung mit unserer Basis auf Hiveen-5 auf.“

Neben dem normalen Funk gab es auch den Überlicht-Funk, mit dem Bild und Ton übertragen werden konnten. Doch ebenso wie beim Überlichtantrieb benötigte auch seine Übertragung eine deutliche Zeitspanne, die Monate betragen konnte. Auch hier ermöglichten die Hiromata-Kristalle eine Kommunikation ohne Zeitverlust. Allerdings war der Strahl des Nullzeitfunks sehr eng gebündelt und man konnte, ähnlich dem alten Morseverfahren, nur kurze und lange Impulse übermitteln. Ein Schiff während des Fluges zu erreichen, war nahezu unmöglich, es sei denn, es teilte seine exakte Position und die Flugdaten mit, so dass der Hiromata-Funkstrahl ihm folgen konnte. Daher nahm in der Regel das Schiff die Kommunikation mit einer stationären Stelle auf und übermittelte die erforderlichen Flugdaten, so dass eine Verständigung zustande kam.

Der Funker berechnete die Position der Basis auf Hiveen-5, sandte in Morsezeichen die Identifikation des Schiffes, seine Koordinaten, die Geschwindigkeit und den Kurs. Dann wartete er auf den Kontakt. Nach wenigen Minuten schüttelte er den Kopf. „Nichts, Captain. Hiveen antwortet nicht.“

Für einen Moment verengten sich Skeet Andersons Augen. „Versuchen Sie es nochmals.“

„Schon geschehen. Nichts.“

Die Finger trommelten auf die Seitenlehne. „Rufen Sie eine der anderen Basen. Einer unserer Kreise muss sich ja melden.“

Erneut verstrichen Minuten, denn der Funker musste erst die Positionsdaten der Zielstation aufrufen und mit den Flugdaten der Glennrose synchronisieren. „Negativ. Ich habe zwei Basen gerufen und keine von ihnen reagiert.“

„Das ist kein gutes Zeichen“, meldete sich Susan Horn zu Wort, die bislang geschwiegen hatte. „Captain, ich schlage vor, dass wir eine der Bojen anfunken.“

„Funker, Sie haben den Ersten Offizier gehört.“

„Sir.“ Die Bruderschaft der Piraten hatte in den Außensektoren des von Menschen besiedelten Gebiets eine Reihe von Bojen ausgebracht. Ihre Sensoren zeichneten Schiffsbewegungen auf und die Piraten hofften auf diese Weise, jene Schiffe aufzuspüren, die auf dem Weg waren, eine neue Kolonie zu gründen. Ein solches Kolonistenschiff aufzubringen versprach reiche Beute, da die Siedler alles mit sich führten, was zur Gründung einer neuen Kolonialwelt erforderlich war. Diese gut getarnten Bojen dienten zugleich als „Briefkasten“ für die Piratenschiffe, die sich auf diese Weise untereinander koordinieren konnten, wenn sie in den verschiedenen Sektoren auf Kaperfahrt waren.

„Captain, ich habe Kontakt zu einer Boje. Da kommt eine Nachricht rein. Oh, die ist ziemlich lang. Wird eine Weile dauern.“

Anderson verbarg die Erleichterung, dass man überhaupt einen Kontakt erhalten hatte. „Geben Sie mir den Klartext, sobald die Nachricht beendet und entschlüsselt ist. Ah, übermitteln Sie mir die Nachricht in meine Kabine.“ Skeet Anderson spürte, dass etwas Bedeutsames vor sich ging. Er tippte an sein Headset. „Offiziersbesprechung in meiner Kabine in dreißig Minuten.“ Er sah Susan Horn an. „Alle Offiziere. Der Pilot übernimmt so lange die Brücke. Kresser, Sie kommen ebenfalls mit.“

Die Kabine des Captains lag im vorderen Drittel des Schiffes und war relativ großzügig bemessen, da sie auch für Besprechungen genutzt wurde. Anderson verfügte daher über eine Mischung aus Büro und Wohnraum, an den sich ein Schlafgemach und eine Dusche anschlossen. Unter den doch beengten Verhältnissen an Bord durchaus ein Luxus. Da Richter Tradingss ein offiziell registriertes Handelshaus war und zu Zwecken der Tarnung auch Handel betrieb, war das Quartier des Captains ursprünglich eher spartanisch eingerichtet. Anderson hatte es jedoch ganz nach seinem Geschmack ergänzen lassen. Die Wände und die Decke waren mit Holz verkleidet. Der metallene Boden war vollständig mit einem Teppich aus der Wolle von Marsrindern ausgelegt. Die Stühle und die einzelne Couch hatte er nachträglich mit Leder beziehen lassen. Der Schreibtisch und der kleine Tisch der Sitzgruppe bestanden ursprünglich ebenfalls aus Metall, doch Anderson ließ die ursprünglichen Tischplatten gegen polierte Teile der Panzerung eines Sandkrebses von Hiveen-5 ersetzen. An den Wänden standen ein schmaler Hochschrank und ein Standregal, in dem der Captain einige Kunstwerke aufbewahrte, deren Verkauf auf dem Schwarzmarkt zu riskant gewesen wäre.

Anderson hieß Horn und Kresser, in der Sitzgruppe Platz zu nehmen und setzte sich an die Workstation seines kleinen Schreibtisches. Während er auf die Datei des Funkers wartete, traten die übrigen Männer und Frauen ein, die auf dem Schiff als Offiziere eingesetzt wurden, selbst wenn sie diese militärische Funktion eigentlich nicht inne hatten.

Die blonde First-Fightenant Susan Horn war sein Erster Offizier und als Eins-O seine Stellvertreterin im Kommando. Anderson schätzte ihre Zuverlässigkeit und ihre Talente im Bett, wobei er wusste, dass er letztere Qualitäten mit diversen Männern und Frauen der Crew teilte. Es störte seine Eitelkeit nicht, denn auf diese Weise gelangte die hübsche Frau immer wieder an Informationen, von denen er als Captain auf offiziellem Wege nichts erfuhr.

Fightenant Clegg war ein dunkelhaariger Hüne. Er befehligte die Kampfabteilung der Glennrose. Ein guter Gardist, aber Anderson vermutete, dass der Mann ein wenig zu viel Ehrgeiz besaß. Er schien sich hervortun und bewähren zu wollen, um die Karriereleiter empor zu steigen. Er trat nach unten und zeigte sich nach oben hin dienstbeflissen. Anderson war ein Mann, der Härte und Disziplin zu schätzen wusste, aber Schikane konnte jeden guten Gardisten verderben. Es gab Offiziere, die sich derart unbeliebt machten, dass sie im Gefecht von hinten getroffen wurden. Clegg war immerhin brauchbar genug, so dass Anderson ihm dieses Schicksal möglichst ersparen wollte. Ondret war der Mann, der Clegg gelegentlich in Andersons Sinn ausbremste.

Prime-Sergeant Ondret fungierte in der offiziellen Besatzungsliste der Firma Richter als Lademeister, war aber zugleich ein sehr fähiger Regiments-Unteroffizier. Stämmig, wortkarg und immer bereit. Er war es, der für Disziplin sorgte und sie lieber mit seinen prankenartigen Fäusten, als mit der Neuro-Peitsche durchsetzte.

Sub-Sergeant Pfizer war fraglos der Spezialist an Bord, der über den Wert technischer Beute entschied. Ein hagerer Mann mit asketischen Gesichtszügen. Seine tief in den Höhlen liegenden Augen wirkten unheilvoll und düster. Ein kompetenter Mann mit wenig Humor.

Maschinen-Ingenieurin Tara hatte viele Liebhaber, jedoch nur eine Liebe: Die Maschinenanlage der Glennrose. Ihr unterstanden im Gefecht die Schadenkontrollteams.

Sloan war der Proviantmeister. Er jonglierte vorzüglich mit den verfügbaren Mitteln und schaffte es, die Verpflegung an Bord vielseitig und schmackhaft zu gestalten. Er leitete die Küche und schwang dort selbst gerne den Löffel. Sein Humor war gelegentlich ein wenig bissig, aber er hatte ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Mannschaft. Gab es Unstimmigkeiten, so wandte man sich in der Regel an ihn, damit „die Suppe nicht nach oben kochte“ oder Ondret einschreiten musste.

Es gab noch eine Reihe von Sergeants und Corporals an Bord, die jedoch nicht zum kleinen Führungsstab des Schiffes gehörten.

Anderson, Horn und Tara trugen, wie die offizielle Besatzung, die roten Firmenoveralls. Dass die anderen die schwarzen Uniformen der Bruderschaft trugen, hatte seinen Sinn. Jeder, der eine solche Uniform trug wusste, dass er beim Besuch eines Raumhafens oder einer Station von der Bildfläche zu verschwinden hatte. Sie konnten nicht, wie die offiziellen „Firmenangestellten“, den Vergnügungsangeboten nachgehen, was hin und wider Murren hervorrief, auch wenn die Männer und Frauen die Notwendigkeit anerkannten. Ihre Entschädigung erfolgte, wenn das Schiff in einer Basis der schwarzen Bruderschaft ankerte.

Anderson hörte das leise Summen, als die Datei endlich eintraf und rief sie auf seinem Holoschirm auf. Er hatte diesen so eingestellt, dass die anderen nicht mitlesen konnten, denn er wollte sich erst sein eigenes Bild vom Inhalt der Nachricht machen. Der Funker behielt recht. Es war eine lange Nachricht und ihr Inhalt schwerwiegend. Skeet Anderson musste sich anstrengen, um äußerlich seine Ruhe zu bewahren.

Nachdem er die Nachricht nochmals gelesen hatte, musterte er unter halb geschlossenen Lidern die Anwesenden. Er wog die Konsequenzen der Informationen ab und wie die Besatzung darauf reagieren mochte. Es würde Probleme geben. Die entstanden immer, wenn man auf eine Gemeinschaft eingeschworen war, die es plötzlich nicht mehr gab. Auf jeden Fall durfte sein eigener Status nicht in Zweifel gezogen werden. Anderson zog unauffällig eine Schublade seines Schreibtisches auf und entnahm ihr sein liebstes antikes Stück: Eine alte Derringer-Pistole, die Bleiprojektile verschoss. Es war nicht einfach gewesen, die Munition für die kleine Waffe zu beschaffen, doch dafür ließ sie sich hervorragend unter der Manschette seines Overalls oder notfalls in der Handfläche verbergen.

„Die Nachricht, die wir über die Boje erhalten haben, ist von immenser Bedeutung für uns alle“, eröffnete er. Anderson erhob sich hinter seinem Schreibtisch, trat aber nicht in die Gruppe, sondern lehnte sich an die Kante des Möbels, da er von dort alle gleichzeitig im Blick behalten konnte. „Die Sky-Navy des Direktorats hat unsere Hauptbasis auf Hiveen-5 angegriffen. Unsere Kampfflotte wurde vernichtet oder aufgebracht und Hiveen von den Sky-Troopern des Feindes besetzt.“ Er sah das Erschrecken in den Gesichtern und fuhr mit harter Stimme fort. „Die Kreise der schwarzen Bruderschaft haben den Befehl, sich sofort aufzulösen. Alle Stützpunkte werden aufgegeben und geräumt, die Einrichtungen zerstört. Alle Kaperschiffe haben die Anweisung, sämtliche Aktivitäten mit sofortiger Wirkung einzustellen.“ Er warf einen Blick auf Kresser, der mit ausdruckslosem Gesicht dasaß. „Das gilt ebenso für alle Verbindungsleute und Agenten der Bruderschaft. Hinweise, die auf unsere Spur führen könnten, sind zu beseitigen.“ Ein erneuter Blick zu Kresser. „Das gilt auch für unzuverlässige Kontakte.“

In der Kabine herrschte betroffenes Schweigen, bis Kresser mit ganz ruhiger Stimme sprach. „Ich habe so etwas geahnt und keine losen Enden hinterlassen.“

Der Agent hatte also alle Verbindungsleute, die gefährlich werden konnten, umgebracht. Noch bevor der offizielle Befehl erfolgt war. Anderson bewunderte die Vorsicht und das Gespür des Agenten, andererseits hätte dieser sonst wohl auch nicht so lange überlebt.

Tara und Sloan sahen Kresser schockiert an. „Sie haben die Kontakte abgebrochen?“

„Und mich in die Registratur von Kelly´s Rest gehackt und dort alle Daten über die Glennrose gelöscht“, erklärte der Agent. Er sah Anderson lächelnd an. „Natürlich verschafft uns das nur einen Zeitaufschub. Beim nächsten Abgleich, mit dem Zentralregister des Direktorats auf dem Mars, werden die Dateien natürlich wieder hergestellt und wahrscheinlich gibt es auch ein paar Leute, die sich an die Besuche der Glennrose in der Freihandelszone erinnern können, aber jeder Zeitgewinn ist kostbar.“

„Dem stimme ich zu.“ Anderson erwiderte das Lächeln.

„Moment, was hat das zu bedeuten?“, fragte Proviantmeister Sloan.

„Das wir verschwinden müssen“, antwortete Anderson mit harter Stimme. „Und zwar schnell und endgültig.“

„Ich protestiere.“ Clegg war normalerweise nicht der Mann, der sich so weit aus dem Fenster lehnte und sich gegen eine Entscheidung des Captains stellte. „Selbst wenn Hiveen von der Sky-Navy genommen wurde, so bedeutet das ja nicht, dass alle Kreise und Stationen unserer Bruderschaft…“

„Die Befehle in der Nachricht sind eindeutig“, unterbrach Susan Horn.

„Und von wem wurden sie autorisiert?“, erregte sich Clegg.

„Eine solche Nachricht kann nur mit der Bestätigung eines Ersten der Kreise in eine Boje eingespeist werden“, wandte Ingenieurin Tara ein. „Welcher der Ersten das war, spielt keine Rolle.“

„Ach, und was sollen wir nun tun?“ Clegg sah die Anwesenden herausfordernd an. „Heißt das jetzt etwa, dass die Bruderschaft nicht mehr existiert?“

„Genau das“, bestätigte Skeet Anderson. „Sie ist aufgelöst und wir sind jetzt de facto Heimatlos und auf uns selber gestellt.“

„Also arbeiten wir künftig auf eigene Rechnung“, brummte Prime-Sergeant Ondret.

„Kann man so sagen.“ Anderson seufzte. „Wobei wir uns natürlich erst über unser künftiges Vorgehen im Klaren sein müssen. Wir werden unsere Aktivitäten im Raum vorläufig einstellen.“ Er straffte seine Haltung. „Es wäre zu gefährlich, die Aufmerksamkeit der Sky-Navy oder der Sky-Marshals zu erregen, indem weiterhin Schiffe verschwinden. Wir haben nun keine starke Organisation mehr im Rücken und auch keine Basis, zu der wir uns zurückziehen könnten. Wie ich schon erwähnte, sind wir auf uns alleine gestellt.“

„Nun, Sir, Sie sind sicherlich der Captain dieses Schiffes“, begann Clegg zögernd, „allerdings hat mich die Bruderschaft als kommandierender Offizier der Gardisten autorisiert. Da die Garde den weitaus größten Anteil der Besatzung…“

Clegg kam nicht weiter. Zwei Weichbleikugeln zerschmetterten seine Stirn. Teile der Schädeldecke, Blut und Hirnmasse spritzten über einen Teil der Polster und des Bodens.

„Es wäre höchst unangemessen, Zweifel an meiner Autorität zu hegen“, sagte Anderson mit ruhiger Stimme.

„Natürlich“, stimmte Ondret zu.

„Aber mussten Sie ihn gleich erschießen, Captain?“, seufzte Susan Horn.

„Nein, das musste ich nicht“, gab Anderson zu. „Aber in diesem Fall war es nützlich. Es lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wer das Sagen an Bord hat.“

„Leder und Wolle“, brummte Sloan. „Haben Sie eine Ahnung, Captain, wie schwer sich daraus solche Flecken entfernen lassen?“

Der Angesprochene fragte sich einen Moment, ob Sloan diese Bemerkung wirklich ernst meinte. Der hob beschwichtigend die Hände. „Wie Ondret schon sagte, es ist Ihr Schiff, Captain, und wir sind Ihre Besatzung.“

Die anderen nickten und vermieden es, die sterblichen Überreste anzusehen.

„Da Clegg´s Position vakant geworden ist, übertrage ich dessen Aufgaben an Prime-Sergeant Ondret. Ansonsten bleibt alles unverändert. Ondret, Sie sorgen mit Nachdruck dafür, dass die Gardisten bei der Stange bleiben. Machen Sie ihnen klar, dass es keine Alternative gibt. Das Direktorat wird jeden Einzelnen von uns über die Klinge springen lassen, wenn man unserer habhaft wird.“ Anderson steckte die Waffe, in deren Kammern noch zwei Schuss bereit waren, in die Tasche seines Overalls. Er unterdrückte einen Fluch, denn er hatte nicht an die Hitze des Metalls gedacht, die durch die Schüsse entstanden war. „Sie müssen sich über ein paar Dinge im Klaren sein: Wir waren Teil einer riesigen Organisation, in deren Schutz wir uns notfalls zurückziehen konnten. Diese Organisation existiert nicht mehr. Wir alle waren durch den Schwur auf unsere Gemeinschaft verbunden. Dieser Schwur ist nun hinfällig, denn es gibt die Gemeinschaft nicht mehr. Wir sind allein und wir müssen eine Lösung für unsere Probleme finden. Mister Kresser, ich gehe davon aus, dass die Sky-Marshals sich wohl um Richter Tradings kümmern werden.“

„Darauf können Sie Gift nehmen.“ Kresser lächelte, als er die Anspielung auf sein tödliches Handwerk sah. „Ich weiß, worauf Sie hinauswollen… Wir haben keine Möglichkeit mehr, uns in einer der Niederlassungen von Richter neu zu versorgen.“

„Da die Glennrose zudem offiziell ein Schiff von Richter Tradings ist, entfällt für uns auch die Möglichkeit, an einer Freihandelsstation anzulegen. Wenn in den Medien erst berichtet wird, dass Richter die Tarnung einer Piratenorganisation war, dann werden sich die Händler förmlich überschlagen, uns bei Sichtung an die Navy zu verraten.“ Anderson trommelte mit den Fingern auf die Kante des Schreibtisches. „Ich habe keinen Zweifel, dass wir es mit einem Navy-Kreuzer aufnehmen können, doch die Navy hat viele Kreuzer. Ein altes Sprichwort besagt, dass viele Hunde des Hasen Tod bedeuten.“

Proviantmeister Sloan nickte. „Wir brauchen einen Stützpunkt, Captain.“

Skeet Anderson sah in die Runde. „Genau das ist der Kern der Sache. Wir brauchen einen Stützpunkt, wo wir uns versorgen und unser Schiff äußerlich ein wenig verändern können. Und wo wir Zeit haben, Gras über die Sache wachsen zu lassen. Vorschläge?“

„Auf einem Handelsstützpunkt fänden wir alles, was wir auf absehbare Zeit benötigen“, schlug Ingenieurin Tara vor.

Susan Horn schüttelte prompt den Kopf. „Ein Handelsstützpunkt wird immer wieder von Schiffen angeflogen. Man würde uns ziemlich schnell auf die Spur kommen und dann hätten wir die Sky-Navy am Hals.“

„Wir könnten irgendwo landen, unser Schiff mit anderen Farben und einem neuen Logo versehen, und dann als harmloser Händler auf einer Kolonialwelt erscheinen“, meinte Sloan.

„Zu unsicher“, wandte Kresser ein. „Es gibt nicht viele Frachter mit der typischen Form der Glennrose, die für eine Atmosphärelandung geeignet sind. Alle Daten der Glennrose, zumindest die offiziell bekannten, befinden sich im zentralen Schiffsregister des Direktorats auf dem Mars. Das bedeutet, dass jeder Raumhafen und jede Station diese Daten mit dem nächsten Update wieder empfängt. Das Risiko, dass wir erkannt werden, ist zu hoch.“

„Trotzdem hat Mister Sloan nicht ganz Unrecht.“ Anderson strich unbewusst über sein Oberlippenbärtchen. „Eine Kolonie wäre ein gutes Versteck. Aber es müsste eine sehr kleine Kolonie sein, die wir mit unseren paar Leuten hundertprozentig kontrollieren können. Am Besten eine, die erst neu gegründet wurde und noch nicht in den interstellaren Handel eingebunden ist, weil sie noch keine Waren zu bieten hat.“

Susan Horn lachte leise. „Bei der derzeitigen Kolonisationswelle dürfte es kein Problem sein, so eine Kolonie zu finden. Seit der Einführung des Nullzeit-Antriebs gibt es doch jede Menge Spinner und Abenteurer, die sich eine eigene kleine Welt suchen.“

„Ausgezeichnet, Erste“, lobte Anderson. „Seien Sie doch so freundlich, und suchen Sie in unserer Datenbank nach einem geeigneten Objekt.“

Sky-Navy 06 - Der letzte Pirat

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