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Kapitel 3 Notlandung
ОглавлениеKandahaar, leichtes Zweischiff der Norsun
Die Kandahaar kam genau an der vorausberechneten Position aus der Schwingung. Sie befand sich direkt am Rand des Sonnensystems, in welchem die Quarantäne-Welt lag.
Doch auf die Bestätigung des Ortungs- und Navigationsoffiziers folgte sogleich eine erneute Schadensmeldung von der Systemkontrolle. „Ausführende Hand der Maschine an das Hoch-Wort: Ich sehe starke Fluktuationen in den Zuleitungen des Schwingungsmoduls. Wahrscheinlich wurde es doch durch die Auswirkung des Zersetzers geschädigt. Ich rate dringend davon ab, die Schwingung nochmals zu benutzen.“
Hen-Talars Kopffühler vibrierten für einen flüchtigen Moment. „Ausführende Hand der Seher, wie weit ist es zum Ziel?“
Der Norsun nannte die Werte und Hen-Talar überschlug, dass der Flug mit Überlicht immerhin zwei Tage betragen würde. Eine lange Zeitspanne, wenn ein Schiff durch den Zersetzer vom Verfall bedroht war. Er konnte jedoch nicht riskieren, mit einer Fluktuation des Schwingungsmoduls in die Schwingung zu wechseln.
„Ausführende Hand des Schiffes, mit maximaler Fahrt Kurs auf die Quarantäne-Welt nehmen. Ausführende Hand der Sprecher, wann können wir die Orbitalstation mit Kurzsprech erreichen?“
„Mit Höchstfahrt sind wir ebenso schnell, wie die Kurzsprechverbindung, Herr“, antwortete der Funkoffizier.
„Dann warten wir mit der Kontaktaufnahme, bis wir kurz vor dem Landeanflug sind“, entschied das Hoch-Wort enttäuscht. Er wandte sich erneut an den Systemkontrolloffizier. „Hand der Maschine, frage nach, ob man die Ursache der Fluktuation kennt.“
Kurz darauf meldete sich einer der Technik-Offiziere. „Hier ist Wosul, Wort der Maschine, Herr. Eine der Hauptverbindungen des Schwingungsantriebs ist beschädigt.“
„Eine Folge der Zersetzung?“
„Nur indirekt, Herr. Der Zersetzer hat einige der tragenden Elemente der Schiffskonstruktion geschädigt. Diese Schwächung der Stabilität und die fortwährende Belastung des Schiffes unter Höchstfahrt, führen unweigerlich zu weiterer Instabilität.“
„Berichte mir, wenn weitere Schwächen auftreten“, befahl Hen-Talar und unterbrach die Verbindung.
Er befand sich in dem, was man eine Zwickmühle nennen konnte. Ließ er die Kandahaar weiter mit Höchstleistung fliegen, belastete der Triebwerksschub die Stabilität des Rumpfes und er konnte, im extremsten Fall, während des Fluges auseinander brechen. Ließ er den Kreuzer jedoch langsamer fliegen, benötigte man mehr Zeit zum Erreichen des Zielplaneten und die Auswirkungen des Zersetzers konnten ebenfalls zu seiner Zerstörung führen.
Hen-Talar entschied sich, auf Geschwindigkeit und die Robustheit der Konstruktion zu vertrauen.
Knapp zwei Tage später erreichte der angeschlagene Kreuzer endlich das Ziel.
„Ausführende Hand der Sprecher, rufe die Orbitalstation und schildere unsere Lage. Sie sollen unseren Landekurs verfolgen und dann ein Rettungsschiff senden.“
„Herr, ich kann die Station nicht erreichen“, meldete der Funkoffizier nach kurzer Zeit. „Möglicherweise steht die Station jenseits des Planeten und wird von unseren Sprechwellen nicht erfasst.“
„Hoch-Wort, wir können nicht warten, bis die Station aus dem Planetenschatten tritt“, mahnte die ausführende Hand der Maschine. „Die Schäden in der Konstruktion haben sich durch die Belastung während der letzten Zyklen ausgebreitet. Jedes Flugmanöver kann nun zum Brechen des Rumpfes führen.“
Hen-Talar verschränkte die Hände auf dem Rücken und wanderte ein paar Schritte durch die Zentrale. Sie hatten keine Wahl. Der Eintritt in die Lufthülle würde eine hohe Belastung für das Schiff mit sich bringen, doch wenn sie im Orbit warteten, so würde dies den Zerfall höchstens verlangsamen. Ein Überleben für die Mannschaft war jedoch nur auf dem Boden des Planeten möglich. Dort gab es eine atembare Atmosphäre, ein erträgliches Umfeld und sie konnten mit der Notausrüstung aus dem Schiff ein provisorisches Lager errichten, bis man sie abholte.
„Ich spreche das Wort“, kündigte er schließlich an. „Ausführende Hand der Sprecher, versuche weiterhin, Kontakt aufzunehmen. Ausführende Hand des Schiffes, wir landen. Ich gebe unser Schicksal in deine erfahrenen Hände.“
„Meine Hand folgt deinem Willen, Herr.“
Hen-Talar wusste, dass der Pilot der Kandahaar erfahren war. Wenn es einen Norsun gab, dem es gelang, das Schiff sicher zu Boden zu bringen, dann saß er gerade an den Kontrollen. Trotzdem verspürte er zunehmende Unsicherheit, als der Kreuzer in der Umlaufbahn langsam schwenkte und in Schwerefeld und Lufthülle eintrat. Die Haupttriebwerke waren abgeschaltet und in den unteren Dritteln der beiden Kugeln öffneten sich die Blenden der Atmosphäreantriebe.
Der besorgte Blick galt den Anzeigen der Systemkontrolle. Etliche Lichter zeigte schon seit Langem das besorgniserregende Grün des Totalausfalls. Nur wenige zeigten ihre volle Funktion in beruhigendem Blau. Einige flimmerten Gelb und Hen-Talar konnte nur hoffen, dass die betreffenden Funktionen bis zum Aufsetzen durchhielten.
Die Kandahaar sank auf ebenem Kiel nach unten. Die große Panoramascheibe der Zentrale diente wieder als Bildschirm, der die näher kommende Oberfläche zeigte. Norsun bevorzugten Planeten mit viel Sonne und viel Pflanzenwuchs. Nicht zu viele Wasserflächen, damit die Luftfeuchtigkeit gering blieb. Diese Bedingung konnte die Welt unter Hen-Talars Füßen immerhin erfüllen, ebenso wie eine atembare Atmosphäre mit den richtigen Druckverhältnissen und eine akzeptable Schwerkraft.
Sker-Lotar trat in die Zentrale und eilte zu Hen-Talar. Das Hoch-Wort hatte die Hand des Wissens aufgefordert, ihm alle verfügbaren Informationen über jene Welt zu besorgen, welche, wenn auch hoffentlich nur für kurze Zeit, die Heimat der Überlebenden sein würde. Außer den Notfallkoordinaten dieses Planeten war den meisten Besatzungen nur sehr wenig über diesen Planeten bekannt.
„Herr, ich konnte deinem Wunsch entsprechen und habe einige Informationen entdeckt.“
Der Wissenschaftler hielt dem Kommandanten einen kleinen Kristallspeicher entgegen.
Hen-Talar kreuzte ablehnend die Kopffühler. „Ich habe jetzt keine Zeit, mir ein Sehgerät zu suchen. Schildere mir die Fakten in deinen Worten.“
„Meine Hand folgt deinem Willen, Herr.“ Sker-Lotar deutete eine respektvolle Verbeugung an. „Es ist eine Welt um zu Überleben, mehr nicht. Sie ist trostlos und wenig einladend. Keine Wälder und nicht die gewohnte Sonne. Es ist eine ausgedehnte Hügellandschaft mit unzähligen Senken und Ebenen. Braune Moose und niedriges Buschwerk sind der Hauptbestandteil der Vegetation. Es gibt eine Unzahl an Kriechtieren, jedoch keine Flugwesen.“
„Gefährliche Raubtiere?“, unterbrach Hen-Talar besorgt.
„Nein, Herr. Wenigstens sind die bisherigen Geretteten nie auf welche gestoßen. Die große Mutter und die Mütter haben wohl dafür gesorgt, dass man auf dieser Welt ohne Lebensgefahr auf die Rettung warten kann.“
„Die Weisheit der großen Mutter und der Mütter ist unübertroffen“, erwiderte Hen-Talar automatisch, obwohl er keineswegs davon überzeugt war. Doch solche Zweifel äußerte man nicht laut, wollte man nicht auf einen sehr einsamen Posten versetzt werden oder sogar für immer verschwinden.
„Ausführende Hand der Bionik an das Hoch-Wort“, kam es über den Kommunikator. „Alle Bions sind in die Depots befohlen und dort deaktiviert worden.“
„Gut. Dort sind sie am Besten geschützt, sollte es zu einer harten Landung kommen.“
Die künstlichen Wesen waren für harte Arbeit und den Kampf erschaffen worden, dennoch waren sie gegen starke Erschütterungen empfindlich. Obwohl die bionischen Platinen in ihren Schädeln in einer Dämpfungsflüssgigkeit schwammen, konnten sie bei einem harten Aufprall beschädigt werden und zu Fehlverhalten der Konstruktionen führen. Es gab Berichte über Bions, die in solchen Fällen ihre eigenen Herren angegriffen hatten. Bedauerlicherweise verhinderte die Weisung der großen Mutter und der Mütter, die Wesen so zu programmieren, dass dies unter keinen Umständen geschehen konnte. Die Kommandanten eines Schiffes oder einer Stammwelt sollten die Möglichkeit behalten, die Kampfwesen im Notfall auch gegen dem Wahnsinn verfallene Norsun einzusetzen. Jeder, der sich gegen die große Mutter oder die Mütter wandte, konnte nur dem Wahn verfallen sein.
„Sind die anderen Vorbereitungen abgeschlossen?“ Hen-Talar wusste, dass er diese Frage eigentlich vor dem Befehl zur Landung hätte stellen sollen. Ein Fehler, der ihm nur unterlaufen sein konnte, da er sich so sehr um sein Schiff sorgte. Glücklicherweise steckte sein Stachel im Futteral des Luftanzuges, so dass niemand die Pheromone der Verlegenheit wahrnahm, die er im Augenblick verströmte.
„Alle Hände folgten deinem Willen“, versicherte der Systemkontrolloffizier.
„Dann möge die ausführende Hand des Schiffes uns mit Geschick zur Oberfläche bringen“, meinte der Kommandant erleichtert.
Alle Norsun, die nicht am Arbeitsplatz auf ihre Pheromonstachel angewiesen waren, trugen nun geschlossene Luftanzüge. Die Bions waren in den Depots gesichert und abgeschaltet. Die Notfallausrüstung und Vorräte lagen in den unteren Bodenschleusen bereit. Alle waren informiert, dass eine der Schleusen nicht benutzt werden durfte, da der Zersetzer sie beschädigt hatte. Nun kam es nur darauf an, dass die Kandahaar sanft genug aufsetzte, und die Vorbereitungen nicht dadurch zunichte gemacht wurden, dass die unteren Pole der Hantelkugeln zerquetscht wurden.
Hen-Talar und Sker-Lotar standen Seite an Seite vor der großen Panoramascheibe und beobachteten die Projektion der Landung. Vielleicht hätten sie sich eine sichere Position und einen festen Halt verschaffen sollen, doch sie waren zu gebannt und neugierig, ob die Landung gelingen werde.
Eigentlich war der Vorgang Routine, doch jede Routine wurde zum Abenteuer, wenn das Schiff solche Schäden aufwies, wie die Kandahaar.
Unterhalb der Äquatorlinien der beiden Kugeln peitschten die Flammen des Atmosphäreantriebs wie glühende Kränze hervor. Die aufgeheizten Luftmassen wurden verdrängt und um das Schiff schien ein Orkan zu herrschen. Selbst ein relativ kleines Schiff, wie ein Kreuzer der 200-Meter-Klasse, besaß eine enorme Masse. Sie musste entsprechend ausbalanciert und langsam zu Boden gebracht werden.
Die ausführende Hand des Schiffes war ein Virtuose, denn sie verließ sich nicht auf die Anzeigen der Instrumente, sondern flog den Kreuzer mit Instinkt und sensiblen Händen. Langsam sank die Kandahaar durch die Atmosphäre tiefer, erreichte die unteren Schichten, in denen ein Überleben möglich wurde.
„Ausfall der Schubdüsen in Zwölf und Sieben“, warnte der Systemkontrolloffizier.
„Ausgeglichen“, kam der wortkarge Kommentar des Piloten.
Hen-Talar seufzte. Bei den Schäden der Kandahaar war mit dem Ausfall einzelner Düsen zu rechnen gewesen, dennoch war diese Nachricht höchst unerfreulich. Der Ausfall musste durch den verstärkten Schub anderer ausgeglichen werden. Das bedeutete eine erhöhte Belastung der ausgleichenden Triebwerksteile und deren umgebender Rumpfstrukturen.
Ein metallenes Dröhnen war über die Lautsprecher zu hören.
„Bruch zweier stützender Elemente am Übergang vom Heck zum Mittelteil“, kam die Meldung einer Hand der Maschine. „Rumpfstabilität gefährdet!“
Hen-Talar verzichtete auf einen Kommentar. Jeder an Bord wusste, dass die Stabilität gefährdet war. Hoffentlich brach die Kandahaar nicht vor dem Aufsetzen auseinander.
„Ich fahre die Landedorne aus“, berichtete der Pilot.
Im unteren Drittel jeder Kugel schoben sich nun die Dorne hervor. Schlanke, dünne und spitze Teleskopelemente, die das Schiff auf dem Boden stabilisieren sollten. Jedes Hantelschiff setzte mit den verstärkten unteren Polen seiner Kugeln auf, die sich dann, je nach Untergrund und Masse des Schiffes, in den Boden drückten. Die abgespreizten Dorne verhinderten, dass es zum Kippen oder gar Rollen kam. Auf den Raumhäfen gab es Landeschalen, welche die Kugeln aufnahmen und ein Einsinken verhinderten.
Hen-Talar hoffte, dass der Untergrund der Landestelle hart genug war, um ein zu weites Nachgeben zu verhindern. Es wäre unangenehm gewesen, sich von den Bodenschleusen den Weg ins Freie graben zu müssen. Doch das war vielleicht immer noch besser, als die oberen Schleusen in hundertachtzig Meter Höhe zu verwenden. Mit der Ausrüstung über die Rundung des Rumpfes nach unten zu gelangen, wäre höchst schwierig.
„Wir haben zwei Dorne verloren.“ Die Stimme des Systemkontrolloffiziers klang resigniert.
„Wir werden nicht rollen“, versicherte Hen-Talar. „Der Untergrund wird weich sein und uns ausreichend Halt geben.“
„Ausführende Hand der Seher, ich brauche die bionischen Augen in Blickrichtung nach unten“, mahnte der Pilot. „Sende die Wellen verstärkt in den Boden, damit ich den richtigen Landeort wählen kann.“
Hen-Talar beobachtete, dass die Fühler von Sker-Lotar merklich zitterten. Er konnte die Frucht des jungen Wissenschaftlers gut verstehen. Die Landung kam in die kritische Phase des endgültigen Bremsschubs. Brach das Schiff unter der Belastung auseinander? Versagte der Antrieb und das Schiff zerschellte am Boden? Gab der Boden unter dem Gewicht der Kandahaar nach und verschlang den Kreuzer?
Der Pilot erhöhte den Bremsschub. Das Schiff begann zu schütteln und zu vibrieren. Aus einigen der abgeschotteten Abteilungen gingen panische Meldungen ein. Streben brachen, beschädigte Decks und Wände verformten sich unter der Belastung. Mehrere Segmente lösten sich von der Außenhülle und stürzten in die Tiefe.
Ein harter Schlag erschütterte das Schiff.
Hen-Talar schloss mit seinem Leben ab. „Nun brechen wir auseinander und stürzen in den Tod“, dachte er benommen.
Die Stimme des Piloten riss ihn aus seiner Starre. „Hoch-Wort, ich melde die Erfüllung deiner Worte. Wir haben aufgesetzt.“