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EINLEITUNG
ОглавлениеUnsere Wahrnehmungen und Erwartungen zum Thema technologische Systeme, die eigenständig handlungsfähig sind, werden spätestens seit 1984 nachhaltig geprägt von dem berühmten Science-Fiction-Film „Terminator“ von James Cameron mit Arnold Schwarzenegger in der Rolle eines brutal agierenden Killerandroiden aus der Zukunft und insbesondere von der dahinter agierenden technischen Intelligenz „Skynet“1 – und von den Fortsetzungen, deren letzte erst 2019 präsentiert wurde.2 Eine Vielzahl von Spin-offs und Varianten des Themas tragen zu einer nachhaltigen Verankerung in der Vorstellungswelt der Menschheit bei. Eines haben alle diese Geschichten gemeinsam: Die beinahe unlimitierten Fähigkeiten dieser Maschinen werden nur noch übertroffen von ihrem Willen zur Macht, ihrer grenzenlosen Amoralität und ihrer tödlichen Feindschaft zur Menschheit. Wenn von „autonomen“ Systemen die Rede ist, werden die Bilder und die Geschichte des „Terminator“ beinahe automatisch mitgedacht.
Das Resultat dieser Prägung der Wahrnehmung ist eine Kakofonie von Warnungen vor gefährlichen Entwicklungen für die Sicherheit von Staaten und Bedrohungen für das Humanitäre Völkerrecht. In der Vorhersage der baldigen Verwendung einer neuen Waffengattung – „Killerroboter“ oder „autonome Killerdrohnen“ – kulminieren offensichtlich alle Befürchtungen zum Thema kriegerische Auseinandersetzungen.3 Es wird angenommen, dass diese neuen Waffen vollständige Autonomie haben werden: „Killer Roboter sind selbständig agierende Systeme, die ohne menschliche Kontrolle Ziele identifizieren, selektieren und angreifen können.“4 Diese Entwicklungen würden bedeuten, dass künftig Drohnen „außer Kontrolle“ geraten bzw. „ohne menschliche Kontrolle“ agieren würden.5 Selbst seriöse Medien nutzen den Begriff „Killerdrohne“ und berufen sich dabei auf offizielle Statements aus dem Militär.6 Aktivisten in diversen Staaten der westlichen Welt fordern Verbote autonomer Systeme und meinen damit meistens Drohnen, die nach ihrer Wahrnehmung ganz ohne Mitwirkung von Menschen tödliche Waffengewalt ausüben.7 Forderungen nach einem Verbot etwa von eigenständig operierenden Drohnen werden vehement vertreten,8 und zuweilen bedient man sich ungeachtet erkennbar enger technologischer Grenzen und logischer Brüche in den hypothetischen Science-Fiction-Plots einer manipulativen Überwältigungsästhetik.9
Vielfach wird über eine besonders ausgeprägte und anderen Waffensystemen nicht gegebene Gefährlichkeit von „autonomen Killerdrohnen“ gesprochen – verbunden mit der Warnung, solche Systeme könnten leicht außer Kontrolle geraten. Was ist tatsächlich dran an den Befürchtungen? Die wichtigsten Fragen:
•Welche Arten von Systemen mit welchen Eigenschaften und Leistungen existieren bereits, und welche sind künftig denkbar?
•Ist der Terminus „autonome Systeme“ überhaupt brauchbar für eine treffende Diskussion des Themas unter technischen, strategischen, taktischen, völkerrechtlichen und ethischen Aspekten?
•Sind Befürchtungen eines Kontrollverlustes durch existierende oder künftig mögliche Technologie gerechtfertigt?
•Wie verändert die technologische Revolution das Handwerk des Soldaten, wie verändert sie Streitkräfte und Gesellschaften? Wie sehen Konflikte im 21. Jahrhundert aus?
•Welche rechtlichen und ethischen Überlegungen folgen aus dem technischen Stand und den Aussichten auf künftige Entwicklungen?
Was ist heute technologische Realität? Drohnen, die ferngesteuert oder eigenständig navigierend um die halbe Welt fliegen, fliegende Minidrohnenschwärme, Panzer und Schiffe ohne Besatzung, automatisch auf Annäherung reagierende Maschinengewehre oder Granatwerfer zur Bewachung von Kasernen, Camps und Hafenanlagen. Diese Systeme werden ferngesteuert und/oder agieren eigenständig auf Basis von programmierten Algorithmen und sind dabei beschränkt auf eingegrenzte Aufgaben. Diese Systeme werden im Rahmen militärischer Operationen von Soldaten gezielt aktiviert und deaktiviert. Sie werden im Folgenden unter dem weitgefassten Sammelbegriff „unbemannte Systeme“ geführt.
Zum Verständnis der Verwendung unbemannter Systeme in Streitkräften muss der Horizont geweitet werden auf alle Arten von informationsverarbeitenden Systemen im militärischen Umfeld. Seestreitkräfte verfügen teils seit Jahrzehnten schon über IT-gestützte Führungs- und Waffeneinsatzsysteme mit der Fähigkeit, optional im automatisierten Modus unter Beobachtung durch Soldaten eigenständig eine Vielzahl von Zielen simultan zu bekämpfen. Auf der strategischen Führungsebene unterstützen Systeme aus Sensoren, Informationstechnologie und Kommunikation die Informationsgewinnung und Lagebilderstellung. Der Cyberraum ist Tummelplatz für Spionage- und Schadprogramme, die im Cyberraum und darüber hinaus Schaden anrichten können, dessen Dimension die Wirkung militärischer Waffensysteme erreichen und übertreffen kann – mit Auswirkungen auch auf den Einsatz unbemannter Systeme.
Nach Auffassung des Autors10 ist es an der Zeit für eine Betrachtung, die den aktuellen Stand systematisch einordnet und darauf basierend untersucht, welche Erwartungen an die Entwicklung von digitalen Systemen in den nächsten Jahrzehnten realistisch sein können. Zudem soll der Versuch unternommen werden, Auswirkungen von aktueller und möglicher Technologie auf Streitkräfte und Konflikte zu skizzieren. Wichtige rechtliche und ethische Aspekte des Einsatzes von digitalisierten Systemen bilden einen weiteren Schwerpunkt der Darstellung, die sich in vier wesentliche Kapitel gliedert.
Im ersten Kapitel wird der aktuelle Stand der Technologie dargelegt und der Versuch unternommen, Entwicklungslinien aufzuzeigen, die helfen sollen, gegenwärtige und denkbare künftige Systeme in ein definitorisches Raster einzuordnen und realistische Erwartungen an mögliche Entwicklungen zu beschreiben. Es geht bei der Betrachtung existierender Technologie nicht nur um Waffensysteme, nicht nur um Kombinationen von Hard- und Software, sondern auch um Systeme, die nur Software sind, aber dennoch aus der virtuellen Zone in die reale Welt hineinwirken. Auch rein zivil genutzte Systeme haben für das Verständnis der Problemstellungen im militärischen Bereich Relevanz, wie sich zeigen wird. Bezug genommen wird auch auf den Cyberraum als weitere Dimension für die Austragung von Konflikten nach Land, See, Luftraum und Weltraum.
Im zweiten Kapitel folgt ein Ausblick auf die tiefgreifenden Veränderungen, die neu aufkommende Technologien im 21. Jahrhundert für Streitkräfte und Soldaten, für Konflikte und Spannungssituationen bewirken werden. In der Betrachtung stehen zwar Waffensysteme im Vordergrund. Der Horizont wird in diesem Kapitel aber geweitet auf den Cyberraum und auf die in diesem mögliche Kriegführung mit zivilen Mitteln sowie auf zentrale steuernde Systeme im militärischen Netzwerk, die künftig nicht allein der Überwachung und Lagebilderstellung zur Führungsunterstützung, sondern der Erarbeitung von Entscheidungs- und Handlungsvorschlägen auf der taktischen sowie der strategischen Führungsebene dienen könnten.
Im dritten Kapitel werden ausgesuchte völkerrechtliche Aspekte diskutiert, die sich an der Frage orientieren, wo für unbemannte Systeme rechtlich differenzierende Regeln gebraucht werden oder wo Weiterentwicklungsbedarf besteht. An der Diskussion des nicht eindeutig geregelten seerechtlichen Status von maritimen unbemannten Systemen, die nicht einem Kriegsschiff zugeordnet sind, wird dargelegt, welches Potenzial für rechtliche Streitigkeiten insbesondere in Spannungssituationen erwachsen kann und dass Weiterentwicklungen diskutiert werden müssen. Sodann geht es um eine Betrachtung des Kampfeinsatzes von unbemannten Systemen in bewaffneten Konflikten unter den wichtigsten Regeln des Humanitären Völkerrechts. Für den Cyberraum existiert kein spezielles Völkerrecht – wesentliche Teile des Konfliktvölkerrechts sind allerdings auf Cyber-Operationen anwendbar. Die wichtigsten Aspekte werden an denkbaren Szenarien erläutert.
Das vierte Kapitel stellt entsprechende ethische Überlegungen an. Der Fokus wird gelegt auf Argumentationen darüber, ob der Einsatz unbemannter Systeme ethisch besser begründbar ist als der Verzicht darauf. Die Betrachtung von Cyber-Operationen unter konfliktethischen Aspekten fördert Ambivalenzen zutage und zeigt, was offensive Cyber-Operationen mit glaubhafter Abschreckung zu tun haben.
Abgeschlossen wird die Darstellung im fünften Kapitel mit Schlussfolgerungen und Ausblick.
Als Quellen wurden mit wenigen Ausnahmen frei im Internet verfügbare Materialien genutzt, alle zitierten Links wurden zuletzt im Juni 2020 geöffnet.
Michael Stehr