Читать книгу Oliver Hell - Todesklang - Michael Wagner J. - Страница 3
Mittwoch, 20.8.2014
ОглавлениеWeißenthurm
Er wusste ganz genau, was passieren würde, wenn er Oliver Hell das nächste Mal gegenüberstand. Hell hatte ihn gedemütigt, er hatte ihm die Frau genommen und zu guter letzt hatte er auf ihn geschossen.
„Du wirst dir wünschen, mir das alles nicht angetan zu haben“, presste Ron Baum hervor und starrte den Mann am Tisch gegenüber hasserfüllt an. Der Mann, der wie er selber Patient in der forensischen Klinik-Nette-Gut war, stand auf und wechselte den Tisch. Er kannte diese Selbstgespräche dieses Mannes, mit dem nicht zu spaßen war. Dort tuschelte er mit einem anderen Patienten und sie sahen gemeinsam zu Baum herüber.
„Glotzt nur, ihr Idioten“, rief er ihnen zu. Die Männer wandten sich ab, tuschelten aber weiter.
„Ihr werdet es schon sehen“, zischte Baum und spürte, wie seine Magensäfte zu brodeln begannen. Dieses schmerzhafte Ziehen, das immer schlimmer werden würde. Er schloss die Augen, senkte den Kopf und ballte seine Hände unter der Tischplatte zu Fäusten.
Er musste handeln. Sofort. Es musste heute noch passieren. Er entspannte seine Kiefermuskeln, hob den Kopf und öffnete die Augen. Niemand sah seinen kalten Blick.
Ron Baums Anwalt hatte versucht, seinen Mandanten als einen seelisch schwer angeschlagenen Mann hinzustellen. Er plädierte sogar auf Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen. Staatsanwalt Retzar hingegen forderte eine Verurteilung wegen des Doppelmordes an Donatus Monzel und Edeltraut Weyres und versuchten Mordes an Oliver Hell und Franziska Leck. Bei diesem Strafmaß wäre Ron Baum lebenslang hinter Gitter geschickt worden. Auch die von der Verteidigung ins Feld geführte Erkrankung – Ron Baum litt unter Narkolepsie – wollte Retzar nicht schuldmindernd ansehen. Schließlich habe sie den Mann nicht bei der Ausübung seiner Taten gestört. Der Ausgang des Prozesses schien klar, die Morde an den beiden alten Menschen wurden Baum ohne Zweifel zugeschrieben. Zum Eklat kam es, als Oliver Hell in den Zeugenstand trat, um den Angriff auf sich und seine Partnerin zu schildern. Ron Baum rastete total aus, wollte sich auf den Kommissar stürzen. Nur mit Mühe konnten ihn die Polizeibeamten überwältigen und zu Boden reißen. Noch während er aus dem Gerichtssaal geführt wurde, stieß er wüste Drohungen gegen Hell und Retzar aus. Dies war der Grund, weshalb ihn der Richter zu lebenslanger Haft verurteilte, darüber hinaus ordnete er die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
Das passierte im Mai 2014. Seitdem saß Ron Baum in der Klinik-Nette-Gut und seine Wut stieg von Tag zu Tag.
Er hatte sich verändert. Die Morde hatten ihn verändert. Der Aufenthalt in der Klinik hatte ihn zusätzlich verändert. Die Medikamente, die er gegen seine Krankheit nahm, verhalfen ihm zu vielen klaren Momenten. Er konnte klar denken, konnte planen. Es war wichtig, dass er gelassen blieb. Nur so konnte er seinen Plan ausklügeln. Damit er ihn ruhig und durchdacht in die Tat umsetzen konnte. Er war so allein wie nie zuvor in seinem Leben. Allein unter Psychopathen und Pflegern, Ärzten und anderen Scharlatanen. Er musste hier raus. Und er wusste auch schon, wie er vorzugehen hatte.
*
Bonn
„Es ist schon wieder einer unserer Läufer aufgeflogen“, sagte Sinan Shkodra mit gedämpfter Stimme. Amar Kadiu hob den Kopf und sah seinem Angestellten in die Augen. Dann erhob er sich langsam und trat ans Fenster. Er schob eine Lamelle der Sichtschutzjalousie beiseite und sah auf den fast bis auf den letzten Platz belegten Parkplatz hinunter.
„Wie kann das passieren? Was für Leute hast du in deinem Team, Sinan?“
„Boss, ich kann es mir auch nicht erklären. Der Kerl war immer ein zuverlässiger Läufer“, meldete sich jetzt Sinan Shkodra vom Schreibtisch aus, an dem er noch immer stand.
„Nicht zuverlässig genug, Sinan, nicht zuverlässig genug. Solche Dinge können wir uns nicht erlauben. Du darfst es dir nicht erlauben, um genau zu sein.“
Sinan Shkodra warf seinem Boss einen stechenden Blick zu. Er kam mit einem schnellen Schritt auf Kadiu zu, hob beschwörend die Hände.
„Boss, ich habe schon vor einigen Wochen gesagt, wir sollten auf moderne Technik setzen, nicht auf Drogenabhängige als Übermittler der Ware. Das kann uns gegenüber der Konkurrenz einen großen Vorteil bringen. Das, was ich im Kopf habe, ist ein Schritt in die Zukunft. Boss, lass mich den Beweis antreten. Dann wirst du sehen, dass ich Recht habe!“
Kadiu schob den Unterkiefer vor, drehte sich herum und musterte den Mann vor sich. „In Ordnung, ich gebe dir eine Chance, Sinan. Aber wenn du versagst, dann wird ein anderer deinen Job übernehmen. Ist das klar?“
Seine Stimme klang ruhig, doch war die Drohung aus dem Munde des Drogenbosses unmissverständlich. Shkodra verstand sie und es war ihm klar, dass es sich dabei nicht nur um den Verlust eines simplen Jobs handelte. Er hatte keinen Zweifel daran, dass er bei einem erneuten Versagen mit einem Betonklotz an den Füßen im Rhein enden würde.
Sinan Shkodra nickte, wirkte tatsächlich nicht einmal eingeschüchtert, sondern in seinem Blick sah man eine gewaltige Entschlossenheit.
„Ich werde dich nicht enttäuschen, Boss. Versprochen!“
*
Bonn, Bad Godesberg
Mit einem leisen Surren hob der Quadrocopter ab und stieg schnell bis auf eine Höhe von zehn Metern. Mit dem Steuergerät in der Hand richtete Sinan Shkodra das Fluggerät so aus, dass die Kamera ihn selbst erfasste. Langsam kam der Quadrocopter zurück, die Kamera zeigte sein zufriedenes Grinsen auf dem Display. Dann drehte das Fluggerät ab, entfernte sich auf einer geraden Bahn bis an den Waldrand und landete dort. Ein Auto bog vom Rheinhöhenweg ab und fuhr hinüber zum Annaberger Hof. Shkodra störte sich nicht daran, sondern ließ das Fluggerät wieder starten. Keiner konnte ahnen, dass er kein begeisterter Hobby-Pilot war, wie die vielen anderen auch, die mit ihren Fluggeräten auf abgelegenen Wiesen, Industriebrachen und entleerten Parkplätzen unterwegs waren. Keiner wusste, dass hier ein Drogenhändler eine neue Art des Transports testete. Unter dem Quadrocopter hatte er ein Päckchen angebracht. Wasserdicht verpackt, mit Klebeband umwickelt. Mit Leichtigkeit hob sich das Fluggerät dennoch vom Boden und auch die Flugeigenschaften hatten sich nicht verschlechtert. Wenn das mit einem normalen handelsüblichen Flieger schon funktionierte, wie gut würde es dann erst mit dem Profi-Gerät klappen. Auf diese Idee war er durch die Internetfirma Amazon gekommen, die in den USA plante, ihre Pakete mit Flugdrohnen auszuliefern. Was mit einem Kleidungsstück oder einem anderen im Internet gekauften Gegenstand klappte, würde auch mit Drogen funktionieren. Und genau so eine Drohne hatte er bestellt. Damit konnte man Waren mit einem Gewicht bis zu sieben Kilogramm transportieren. Und das bei einer Geschwindigkeit von 50km/h und einer maximalen Flugzeit von einer Viertelstunde. Damit war der Transport von Kokain, Speed und Crystal Meth überhaupt kein Problem mehr. Die Fluggeräte folgten einer vorgegebenen einprogrammierten Route und kehrten auch nach einer zeitlich einprogrammierten Landephase wieder an den Ausgangspunkt zurück. Kein menschliches Versagen mehr, keine zugekifften Junkies, die von den Bullen erwischt werden konnten. Alles clean. Alles High-Tech. Und alles in seinem Köpfchen entstanden. Sein Boss, Amar Kadiu, würde große Augen machen und nicht mehr an ihm zweifeln. Das war sicher. Er würde den großen Wurf machen.
Die Sonne war schon fast hinter den Baumwipfeln versunken und der beginnende Sonnenuntergang warf einen hellrosa Schimmer auf die wenigen Schleierwölkchen am Himmel. Sinan Shkodra lenkte die Drohne zu sich zurück und ließ das Fluggerät landen. Von Bonn aus näherte sich ein Fahrzeug. Sinan Shkodra drehte sich herum und sah, wie der Wagen an der Einmündung zur kleinen Stichstraße zum Annaberger Hof anhielt. Mit zornig zusammengekniffenen Augenbrauen erkannte er das Fahrzeug. Ein Ford Mustang. Diese protzige Kiste gehörte einem Mitglied einer kroatischen Gang, die sich mit der von Sinan Shkodra um die Drogengeschäfte in Bonn stritt. Sie hatten sich auf bestimmte Grenzen geeinigt. Der Gang von Amar Kadiu gehörte der Bad Godesberger Bezirk, der von dem Gebiet der anderen Gang umschlossen wurde. Mit einem Mal wurde Shkodra klar, dass er sich auf dem Gebiet der gegnerischen Bande befand. Der Rheinhöhenweg markierte die Grenze. Er befand sich auf dem Gebiet der anderen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde der Kerl mit dem Mustang sein Maul nicht halten können. Er würde einen Streit vom Zaun brechen. Als hätte Shkodra es geahnt, schlug der Fahrer die Tür des großen Sportwagens zu und marschierte wie ein Kerl in einem Western, der zu einem Duell bereit ist, über die Wiese auf ihn zu. Seine Gesichtsmuskeln spannten sich an und Sinan Shkodra machte sich bereit für die drohende Auseinandersetzung.
*