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Sonntag, 07.07.2013 Michael Wagner Oliver Hell Stirb, mein Kind

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Bonn Krimi: Oliver Hells zehnter Fall














Thriller



Ungekürzte Ausgabe

1.Auflage

Im Mai 2017

Copyright © 2016 Michael Wagner

Textur by Ruth West.

Frame by Freepik.

Coverfoto by Michael Wagner.

Covergestaltung by Michael Wagner.


Michael Wagner

http://walaechminger.blogspot.de

@michaelwagner.autor

All rights reserved.













Ein hartes Herz ist eine unendliche Wüste.

Michael Wagner




Irgendwo in der Hölle

Der Raum lag fast im Dunklen. Wie jeden Tag, seitdem sie hier eingezogen war. Wobei eingezogen der falsche Ausdruck für den Zustand ihrer Anwesenheit hier war. Man hatte sie hierher verschleppt. Eingesperrt, an eine Pritsche gekettet und ihr nur so viel zu Essen gegeben, dass sie nicht verhungerte. Bis zu jenem Tag vor zwei Wochen. Diesen Tag konnte sie so genau bestimmen, da sie bis heute vierzehn Kerben mit ihrem Daumennagel in ihr hölzernes Bettgestell geritzt hatte. Wie lange sie schon in diesem Keller lebte, wusste sie nicht. Vor vierzehn Tagen hatte sich alles plötzlich verändert. Man brachte sie in einen anderen Raum mit einem Bett und einem Lichtschalter, an der Decke eine nackte Fassung mit einer 25-Watt-Glühbirne, die den Raum nur spärlich ausleuchtete. An der Wand klebte eine Tapete mit einem altmodischen Blümchenmuster. Kein Fenster, kein Tageslicht. Doch sie durfte sich dort frei bewegen, man kettete sie nicht mehr an. Die blauen Striemen an den Hand- und Fußgelenken, die ihr die Fesseln zugefügt hatten, verschwanden langsam.

Sie wurde von da an täglich mit verbundenen Augen in einen ebenfalls dunklen Raum geführt. Dort setzte man sie auf einen Stuhl, blendete sie mit einem grellen Licht, träufelte ihr Tropfen in die Augen, die ihr die Sicht nahmen, alles um sie herum war verschwommen. In einer Dusche wurde sie gewaschen, vor allem im Intimbereich. Das süßliche Parfum, mit dem man sie einsprühte, nahm ihr fast den Atem. Man zog ihr Kleider an und auch wieder aus. Sie erinnerte sich an das Rascheln von Stoff, dass sie noch nie vorher gehört hatte. Ertastete Materialien, die sie nie zuvor an sich getragen hatte. Spürte Rüschen, Brokat und schwere Seide auf ihren nackten Schenkeln. Eilige und geschickte Hände schminkten sie, kämmten und frisierten ihr das lange blonde Haar.

Von dort wurde sie in einen anderen Raum gebracht. Ihr schlug dort ein Geruch entgegen, den sie erkannte, aber nicht mehr zuordnen konnte. Sie wurde auf ein Bett, einen Stuhl oder auf eine Art Couch gesetzt. Jemand setzte sie in Pose, wieder raschelte der Stoff, derjenige hob rüde ihr Kinn an, drängte ihr eine Blickrichtung auf. Dann drang ein Geräusch an ihr Ohr, das sie sofort wiedererkannte. Das Klicken eines Auslösers und das Klappen des Spiegels einer Spiegelreflexkamera. Es wurden Fotos gemacht. Das erkannte sie sofort. Das Blitzlicht durchdrang den Schleier, aber es blendete sie nicht. Das Auslösegeräusch der Kamera kam erst von weiter weg, dann näherte es sich. Bald meinte sie, den Atem des Fotografen auf ihrem Gesicht zu spüren. Er roch nach Pfefferminz und Zigaretten.

So waren die letzten vierzehn Tage abgelaufen. Niemals sprach auch nur einer der Menschen, die das alles mit ihr taten, auch nur ein Wort. Nach dem Fotoshooting wurde sie zurück in den Raum mit der Dusche gebracht. Dort schminkte man sie ab, zog ihr die Kleider aus, einen Jogginganzug an und führte sie mit verbundenen Augen zurück in den Raum, wo schon ein Tablett mit einem großen Napf aus Blech und einer Blechtasse mit Wasser auf sie wartete. Die schwere Eisentür fiel hinter ihr ins Schloss. Vivien nahm die Binde von den Augen, immer noch fast blind tastete sie sich bis zu ihrem Bett voran und fuhr vorsichtig mit der Hand über den derben Stoff der Bettdecke, bis sie das Tablett erreichte. Jemand hatte in ihrer Abwesenheit das Bett gemacht. Hungrig nahm sie den Löffel und den Teller in die Hand und setzte sich. Heute gab es Suppe. Morgen sicher wieder Brei. So wie jeden Tag. Die Suppe war heiß und köstlich. Sie führte den Löffel mehrmals hastig zum Mund und schluckte gierig. Und dachte darüber nach, ob ihr ihre Ohren eben einen Streich gespielt hatten oder ob sie tatsächlich eine weibliche Stimme vernommen hatte.

„Seid vorsichtig mit der Kleinen. Sie wird uns viel Geld einbringen“, hatte sie gehört. Konnte das sein? Das Denken fiel ihr schwer. Immer schwerer. Manchmal hatte sie Mühe, sich an Dinge aus ihrem alten Leben zu erinnern. An das Gesicht ihrer Mutter, das ihrer besten Freundin, an den Schulweg. An Tobias, ihre heimliche Liebe, der von ihrer Schwärmerei nichts mitbekommen durfte. Sie versuchte, sich das alles zu merken, doch mit jedem Tag fiel es ihr schwerer. Alles verblasste zusehends.

Als sie die Suppe gegessen hatte, stellte sie den Napf zurück auf das Tablett, trank einen Schluck Wasser und legte sich auf das Bett. Bald taten die Drogen in ihrem Essen ihre Wirkung und sie fiel in eine tiefe Bewusstlosigkeit.

*

Bonn, Präsidium

„Wir werden den Fall jetzt abschließen“, sagte Kriminalhauptkommissar René Ostermann bitter. Sein Blick glitt forschend über die versammelten Kollegen und blieb bei Oliver Hell hängen. Als dieser nichts sagte, fuhr er fort. „Wir haben jetzt sechs Wochen lang ermittelt und alles was wir zusammengetragen haben, hängt an dieser traurigen Wand hier!“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Fotos auf der gläsernen Stellwand. Nahm eines der Blätter ab und hielt es den Anwesenden hin.

„Der Fall Vivien Vandenbroucke, verschwunden seit Sonntag, dem 26. Mai 2013 wird heute zu den Akten gelegt. Wenn Sie mich fragen, ob mir das gefällt, dann muss ich Ihnen sagen: Nein, das gefällt mir überhaupt nicht. Aber wir haben nicht eine neue erfolgversprechende Spur aufzuweisen. Und meinem Team wächst die Arbeit über den Kopf. Wir haben noch drei weitere verschwundene Teenager in den letzten vier Tagen hier in Bonn und auf der anderen Rheinseite. Sobald sich ein neuer Sachverhalt ergibt, werden wir den Fall wieder aufnehmen. Vielen Dank, meine Damen und Herren!“

„Diese neuen Sachverhalte werden sich kaum auftun, wenn wir nicht weitersuchen“, gab Oliver Hell in diesem Moment als Antwort. Die Augen der Anwesenden Kollegen der Vermisstenabteilung und den Mitgliedern der soeben beendeten SoKo Vivien richteten sich sofort auf René Ostermann. Der drehte sich langsam um und musterte seinen Kollegen lange.

„Wenn du Zeit und Muße hast, dann kümmere dich weiter um den Fall. Setz einen deiner vielversprechenden Neulinge auf ihn an, vielleicht seid ihr ja schlauer als wir alle zusammen“, antwortete er pikiert. Weder sein Tonfall noch sein Gesichtsausdruck ließen einen Zweifel aufkommen, dass er Hell am liebsten in der Luft zerrissen hätte.

„Du weißt genau, dass wir nicht weiterermitteln können, wenn du den Fall offiziell schließt. Was ist mit den Befragungen, die noch anstanden?“

Ostermann sah Hell an, als wolle er auf ihn losgehen.

„Du bist anmaßend, Oliver. Aber so kennen wir dich ja“, sagte er und blickte in die Runde, als erwartete er Beifall. Doch keiner der Anwesenden tat ihm den Gefallen. Alle spürten, dass Oliver Hell mit seinem Zweifel recht hatte.“

Ich bin nicht anmaßend, ich möchte eine Antwort auf meine Frage haben, René.“

„Ich handele auf Anweisung von ganz oben. Verstehst du? Man hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich den Fall zu den Akten legen soll“, antwortete er und biss die Zähne aufeinander.

„Trotz der noch anstehenden Befragung des Ministers?“, hakte Hell nach.

Ostermann blieb sich und seiner Antipathie gegenüber Hell auch jetzt treu.

„Geh hin und frage nach, wenn du mir nicht glaubst“, zischte Ostermann, griff sich seine Aktentasche und verließ den Besprechungsraum. „Du darfst es ihren Eltern mitteilen!“, rief Hell dem Kollegen nach.

Oliver Hell atmete einmal tief durch. „Wem außer mir stinkt das hier ebenso gewaltig?“ Alle nickten, doch keiner sagte etwas. Die Gleichgültigkeit seiner Kollegen brachte Hell erst recht in Rage.

„Hier stinkt etwas ganz gewaltig. Kurz vor der Befragung von Dr. Walther Matheissen wird der Fall geschlossen. Hier nimmt die Politik Einfluss auf unsere Ermittlungen und ihr sitzt da und schweigt wie ein Haufen armseliger Würstchen!“ Ärgerlich stieß er die Luft aus. „Das müsst ihr mit euch ausmachen. Auf Wiedersehen, Kollegen!“ Er stand auf und ging. Er konnte es dort nicht mehr aushalten.

Schnaubend durchquerte er den langen Flur des Dezernats und machte sich auf in Richtung seiner eigenen Räumlichkeiten innerhalb des Dezernats 11, dem Fachkommissariat für Tötungsdelikte. Der Drang, in diesem Fall endlich Gewissheit zu erlangen, war größer als der Respekt, den er seinen Kollegen gegenüber verspürte. Vielleicht verhielt er sich ihnen gegenüber ungerecht. Sie hatten die letzten sechs Wochen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das vierzehnjährige Mädchen zu finden. Umsonst. Es gab keine Leiche. Vivien Vandenbroucke war von der Schule nicht nach Hause gekommen. Seitdem war sie wie vom Erdboden verschwunden. Die Befragungen der Freunde, der Lehrer und ihres gesamten Umfelds hatten keine Fahndungserfolge gebracht. Sie hatte Bonn auch nicht verlassen, jedenfalls nicht mit Bus oder Bahn, ebenfalls waren alle in frage kommenden Flüge vom Köln-Bonner Flughafen überprüft worden. Ihr Name tauchte auf keiner Passagierliste auf. Kollegen von der Autobahnpolizei hatten Tage damit verbracht, LKW-Fahrern ihr Foto zu zeigen. Ergebnislos. Es war zum Verzweifeln. Die letzte Spur, die noch hätte verfolgt werden können, war jetzt abgewürgt worden. Es gab die Aussage eines Schülers, der in eine Parallelklasse von Vivien ging. Dieser Schüler, sein Name war Tobias Ernst, hatte einen schwarzen Mercedes in der Nähe der Schule gesehen und sich das Nummernschild gemerkt. Er gab zu Protokoll, dass Vivien sich durch das geöffnete Fenster im Fond mit jemandem unterhalten habe. Die Halterabfrage dieses Wagens ergab, dass der Mercedes zum Fuhrpark des Innenministeriums gehörte. Und er wurde fast ausschließlich von Dr. Walther Matheissen genutzt. Natürlich fuhr er nicht selber, sondern bediente sich eines Fahrers. Das Ministerium hatte sich geweigert, den Namen des Fahrers zu nennen, der an diesem Tag den entsprechenden Wagen genutzt hatte. Genauso konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, ob der Minister an diesem Tag seinen Dienstwagen genutzt hatte. Die Staatsanwaltschaft Bonn wollte keine weiteren Ermittlungen erlauben. So kam es noch nicht einmal zu einer Befragung. Wer da auf wen Druck ausgeübt hatte und ob überhaupt, würde nie ans Tageslicht kommen.

*

Oliver Hell - Stirb, mein Kind

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