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Mai 2013
ОглавлениеMaritim Hotel, Bonn
Der Applaus brandete auf und kannte kein Ende. Die Besucher des Fachvortrages des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Bonn waren begeistert. Es handelte sich um ein fachkundiges Publikum. Wissenschaftler, Fachjournalisten, sogar einige Kollegen aus dem Ausland waren extra angereist.
Alles Menschen, zu deren Dasein eine gesunde Skepsis und eine große Portion Abgeklärtheit gehörte. Doch was sie eben hier zu Ohren bekommen hatten, war nicht nur ein brillanter Vortrag eines genialen Redners gewesen. Er hatte sich sein Publikum zurecht gelegt und dann hatte er die Bombe platzen lassen. Es ging um eine neue Methode zur Phosphorrückgewinnung. Was für die meisten Laien wie böhmische Dörfer klingen mochte, war in Wahrheit eines der drängendsten Probleme der Menschheit. Die Phosphorreserven der Erde waren endlich, ebenso wie die Ressourcen an Erdöl. Nur war sich dessen jeder bewusst, der den Benzinpreis verfolgte. Die Phosphorkrise aber brodelte im Geheimen.
Egal ob Pflanze, Tier oder Mensch – jeder lebende Organismus muss Phosphor zu sich nehmen, um zu wachsen. Ohne Phosphor ist kein Leben auf der Erde möglich. Außerdem ist Phosphor ein wichtiger Nährstoff für Pflanzen und deshalb ein Hauptbestandteil von Kunstdünger. Das chemische Element ist Trägersubstanz der Erbinformation und für den Energiestoffwechsel wichtig.
In der Agrarwirtschaft setzen Landwirte daher phosphathaltige Düngemittel ein, um die Ernteerträge zu erhöhen. Auch in der Industrie ist Phosphor ein wichtiger Grundstoff. Seit Erfindung des Kunstdüngers zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich der Ertrag aus der Landwirtschaft stark erhöht. Das Wohl und Wehe kommender Generationen hängt also von der Ressource Phosphor ab. Doch die unter der Erde lagernden Phosphorreserven gehen spätestens in 200 bis 300 Jahren zur Neige.
Einige Fachleute machten es sogar noch drängender, indem sie das Ende der Phosphorvorräte der Erde schon viel früher ansetzten. Einhundert Jahre sagten sie, dann sei alles abgebaut, was sich lohnen würde und was den technischen Aufwand rechtfertigte.
Daher rückte seit einigen Jahren, spätestens seit Anfang des neuen Jahrtausends die Rückgewinnung des begehrten Stoffes in den Focus der Wissenschaft. Das Hauptaugenmerk lag hier auf der Rückgewinnung von Phosphor aus dem Klärschlamm der kommunalen Klärwerke. 1,6 bis zwei Gramm Phosphor scheidet jeder Mensch am Tag aus. Eine wichtige Ressource.
Früher war der Nachschub von Phosphor kein Problem. Das Element bewegte sich in einem natürlichen Kreislauf. Pflanzen nahmen ihn aus dem Erdreich auf, Tiere und Menschen mit der Nahrung. Die Ausscheidungen landeten als Dünger wieder auf den Feldern, wo ihn die Pflanzen wieder nutzten. Heute ist dieser Zyklus gestört. Exkremente und Gülle sind stark mit Umweltgiften wie Schwermetallen und Antibiotika belastet. Sie kommen in die Kläranlage, und die Klärschlämme sind als Dünger nicht mehr geeignet. In der Regel werden sie getrocknet und verbrannt. Dabei wird auch der enthaltene Phosphor vernichtet. Eine fatale Entwicklung, denn die Ressource Phosphor ist auf der Erde begrenzt. Der enorme Hunger der Düngemittelindustrie wird größtenteils durch Phosphatabbau in Minen gedeckt.
Deutschland selbst besitzt keine eigenen Phosphatvorkommen. Es ist damit zu einhundert Prozent abhängig von den Exporteuren. Vier Länder besitzen rund 80 Prozent an den weltweiten Phosphatgestein-Reserven: Marokko, China, Jordanien und Südafrika. Politisch kontrollierte China inzwischen den Phosphatmarkt. Und was noch weit schlimmer war: immer mehr Experten glaubten, dass die Vorkommen bald erschöpft sein könnten. Vor allem mit dem Hintergrund immer größer werdender Nahrungsmittelproduktionen in Asien. Wo über lange Zeiträume nur Reis angebaut wurde, verlangten die Konsumenten nun auch nach exklusiveren Nahrungsmitteln. Die Wissenschaftler sprachen von einer drohenden "Phosphorkrise", die die Menschheit schlimmer treffen könnte, als der Zusammenbruch der Ölversorgung.
Der bekannte deutsche Wissenschaftler skizzierte ein weniger düsteres Bild. Doch machte er den Anwesenden klar, dass mit Hilfe seiner neuen Methode nicht nur das Problem der Rückgewinnung gelöst werden könnte, sondern dass sich damit ein neuer Absatzmarkt auftat, der die einzelnen Gemeinden autark machen konnte und ihnen zusätzliche Absatzmöglichkeiten darbot. Indem er mit bedachten, aber pointierten Worten seine spektakuläre, neue Theorie mit Leben gefüllt hatte, zauberte er langsam, aber stetig die Begeisterung in die Gesichter der Zuhörer. Immer wieder gab es ein Raunen im Publikum.
„Meine Damen und Herren, ich bedanke mich sehr herzlich für ihre Aufmerksamkeit“, war sein Schlusssatz.
Hinter dem schmalen Podium aus Holz stand Dr. Gernot Winkmüller und sortierte seine Blätter zusammen. Er war gerührt. Der Applaus hörte erst nach einer für ihn endlos erscheinenden Minute auf. Winkmüller nickte ins Publikum und wartete auf den Moment, die Bühne verlassen zu können. Er wollte auf keinen Fall unhöflich erscheinen.
„Herr Doktor, würden Sie einige Fragen der Presse erlauben“, kam es aus der Menge der Zuhörer.
Damit hatte er eigentlich nicht gerechnet, und es war auch nicht im Ablaufplan vorgesehen. Aber er konnte die Presse auf keinen Fall vor den Kopf stoßen.
Er nickte. „Selbstverständlich, stellen Sie doch bitte ihre Fragen.“
Einer der Journalisten stand auf und stellte sich vor. „Sie haben uns eben berichtet, dass diese Anlage, die sie entworfen haben, nicht viel größer ist als die Anlagen, die bereits in Offenburg getestet wurden. Doch soll diese Anlage einen viel höheren Effizienzgrad haben. Ist das nicht nur eine Theorie?“
Winkmüller schüttelte den Kopf. „Eine Frage, die mir schon oft gestellt wurde, ist die Frage nach der Effizienz. Unsere Anlage kann im Vergleich mit der Pilot-Anlage der Kollegen von der ISWA, die circa 5000 Einwohnerwerte verarbeitet, auf der gleichen Fläche das Doppelte verarbeiten und auch das Doppelte an Phosphor am Tag recyceln. Ja, unsere Anlage ist definitiv effizienter.“
Eine weitere Journalistin meldete sich zu Wort. „Wie sieht es mit den Exportchancen für ihre Anlage in die Dritte Welt aus?“
Seine Mundwinkel umspielte ein kleines Lächeln, als er auf die Frage kurz antwortete, „Aufgrund der einfachen Konzeption der Anlage ist die Möglichkeit, diese Anlagen auch in der Dritten Welt aufzustellen, sehr gut.“
In Wirklichkeit stand Winkmüller längst mit den Verantwortlichen einiger Länder in Verbindung. Er hatte längst im Stillen eine Firma gegründet, die die Vermarktung der Anlage vorantrieb. Doch war er nicht Kopf dieser Firma, sondern das erledigte ein Freund von ihm. Sein Name tauchte nur als wissenschaftlicher Berater auf.
Wissenschaftlern, die aus ihren Erfindungen oder Entdeckungen Profit schlugen, haftete noch immer ein Makel an. Für einen richtigen Wissenschaftler galt es als unethisch.
Winkelmüller gehört nicht mehr zu dieser Art Wissenschaftler. Für ihn war es durchaus ehrenhaft, Geld zu verdienen.
In der ersten Reihe saßen Mitarbeiter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Darunter war auch der direkte Vorgesetzte von Gernot Winkmüller. Professor Egidius Sachs gehört noch zur alten Garde der Wissenschaftler. Sich des Geldes wegen einer einzigen Firma anzuschließen hielt er beinahe für ehrenrührig.
Er hörte interessiert die nächste Frage, die von der Presse gestellt wurde. Eine junge Redakteurin eines Wissenschaftsmagazins stand auf.
„Im Internet ist von Anlagen die Rede, die schon die vierfache Effizienz haben sollen. Ist das real?“
Winkmüllers Blick verfinsterte sich. Er überlegte einen Moment lang.
„Wenn Sie irgendwo Geld her haben wollen, dann müssen Sie mit solchen Meldungen ins Internet gehen, dann kommt nämlich genauso jemand wie Sie und sagt, Donnerwetter! Das ist aber wirklich was Neues. Da sage ich, bitte, messt doch die Leute an ihren Ergebnissen und nicht an ihren Ankündigungen!“
Die junge Frau ließ nicht locker.
„Aber ist es nicht erstaunlich, dass da auch seriöse Publikationen mitmachen?“
Diesmal brauchte er nicht lange zu überlegen.
„Ja, die Wissenschaft lebt davon, dass sie Effekte aufzeigt, aber die Realisierung bis zum Engineering hin ist häufig viel schwieriger. Das ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Anwendung.“
Professor Sachs zog eine Augenbraue hoch. Für ihn ein Zeichen von Skepsis und Ablehnung. Anwendung. Das bedeutete wirtschaftlichen Profit in letzter Konsequenz.
Als er vor ein paar Jahren den jungen Doktoranden Gernot Winkmüller das erste Mal sah, war ihm klar, hier einen Wissenschaftler mit Zukunft vor sich stehen zu haben. Aber es hatte nicht so lange gedauert, bis er das erreicht hatte, was Sachs sich von ihm erhoffte. Innerhalb viel kürzerer Zeit war Winkmüller der neue Star am Forscherhimmel in Deutschland. Es gab sogar schon Menschen, die seinen Namen in Zusammenhang mit dem Nobel-Preis nannten.
Erfolg jedoch ruft auch immer Neider auf den Plan. Hier war es auch nicht anders. Einige wenige applaudierten nicht. Auch blieben sie demonstrativ sitzen, als Winkmüller seine Fragestunde beendet hatte und höflich und bescheiden ins Auditorium lächelte.
Zu ihnen gehörten zwei seiner Kollegen und ein Mann, dem man seine nordafrikanische Herkunft deutlich ansah. Mit schwarzem, streng zurückgekämmtem Haar saß er neben einem Gast, der heftig applaudierte. Der Mann nickte ihm freundlich zu, um ihm zu zeigen, dass er auch aufstehen solle, um zu applaudieren. Doch Badr al Din Kerkour, ein Delegierter der marokkanischen Firma OCP, blieb sitzen. Was ihm der Simultanübersetzer über den Knopf im Ohr berichtet hatte, machte ihm Kopfzerbrechen. Es gefährdete sogar die Pläne seiner Firma. Die Firma hatte ein Großprojekt angeleiert, um in internationalen Wettbewerb, vor allem gegen China bestehen zu können.
Das gesamte Investitionsvolumen für den Ausbau der Phosphatindustrie belief sich auf rund 8,7 Milliarden Euro. Ziel des marokkanischen Phosphatherstellers OCP war, bis 2020 den Phosphatabbau auf 50 Millionen Tonnen zu verdoppeln und rund 80 Prozent davon im Land zu verarbeiten.
Auf der Bebauungsfläche des Safi Phosphat Hubs in der Nähe des neuen Industriehafens der Küstenstadt Safi waren neben mehreren chemischen Produktionseinheiten auch der Bau eines 350 Megawatt-starken Wärmekraftwerks und eine Meerwasserentsalzungsanlage geplant. Hinzu kamen Zentren zur Forschung und Entwicklung im Bereich Phosphatabbau und - Verarbeitung. Eine Konkurrenz aus Deutschland wünschte sich hier niemand.
Kerkour zog sich langsam den Kopfhörer herunter und fuhr sich durch das Haar. Dann ging er gelassen in die Lobby des Maritim Hotels und telefonierte.
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