Читать книгу Der neue Sonnenwinkel Box 6 – Familienroman - Michaela Dornberg - Страница 9

Оглавление

Roberta konnte nicht glauben, was sie da sah, lässig und entspannt saß im Sessel ihr Exmann Dr. Max Steinfeld, der sie wie ein böser Schatten verfolgte, obschon sie lange schon geschieden waren.

Er grinste sie an.

»Ja, ich bin durchs Fenster gekommen«, erklärte er seelenruhig, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, »hätte ich an der Tür geklingelt, dann hättest du mir nicht geöffnet.«

Es war so unglaublich, dass es Roberta zunächst einmal die Sprache verschlug. Sie war aufgeregt, doch sie bemühte sich, sich ihre Aufgeregtheit nicht anmerken zu lassen. Sie war lange genug mit diesem Schwerenöter verheiratet gewesen, um zu wissen, dass man die Ruhe behalten musste, sonst gewann Max sehr schnell Oberwasser.

Sie wunderte sich, wie ruhig ihre Stimme klang, als sie ­bemerkte: »Max, du weißt schon, dass das Hausfriedensbruch war, was du da gemacht hast.«

»Mein Gott, Roberta, sei nicht so lehrerhaft. Und wenn es Hausfriedensbruch ist, willst du mich jetzt anzeigen? Ich würde dir davon abraten, denn damit schadest du deinem guten Ruf.«

Wie war ihr Ex denn drauf?

»Ich schade meinem guten Ruf? Max, ich bin das Opfer. Und es ist mir vollkommen gleichgültig, was die Leute sagen. Vermutlich werden sie mich bedauern, wenn sie erfahren, dass mein Exmann, der mich ausgenommen hat wie eine Weihnachtsgans, mich stalkt … schon vergessen, das hast du. Und der einfach bei mir einbricht. Max, was bist du nur für ein Mensch.«

Er grinste sie an.

»Du siehst unglaublich gut aus, wenn du wütend bist.«

Jetzt war es mit ihrer Ruhe vorbei. Glaubte er wirklich, dass sie noch einmal auf sein Gesülze hereinfallen würde?

»Max, geh jetzt, sonst rufe ich wirklich die Polizei, und das meine ich ernst.«

»Ich gehe, doch vorher brauche ich dringend zehntausend Euro, ehe ich Probleme bekomme.«

»Und da kommst du zu mir? Dafür sind normalerweise die Banken zuständig.«

»Äh, nun ja, da krieg ich augenblicklich nichts, mein Konto ist überzogen.«

Warum ließ sie sich eigentlich auf so etwas ein?

»Max, verschwinde, mit deinen Geldproblemen habe ich nichts zu tun. Wir sind geschieden, ich habe dir, um einen hässlichen Rosenkrieg zu vermeiden, fast alles überlassen, auch eine sehr gut gehende Praxis, die, als ich ging, sich vor Patienten kaum retten konnte. Du hast dich ins gemachte Nest gesetzt. Freilich hättest du anfangen müssen zu arbeiten und dich nicht als ein Halbgott in Weiß zu repräsentieren. Und du hättest dich um die Patienten kümmern müssen, anstatt hinter jeder Frau her zu sein, die nicht bei drei auf den Bäumen ist. Max, du hast alles an die Wand gefahren, und dafür bist du allein verantwortlich, ich kann dir nicht mehr helfen, und ich will es auch nicht. Und ich sage dir zum letzten Male, dass ich dich hier niemals mehr sehen will, sonst erwirke ich eine einstweilige Verfügung, in der steht, dass du dich mir nicht mehr nähern darfst. Dazu muss es nicht kommen. Wie du dich verhältst, das ist so entwürdigend. Du hast doch alles bekommen, was willst du noch?«

»Dass ich alles bekommen habe, das stimmt so nicht, den Schmuck, den ich dir geschenkt habe, den hast du behalten, und das Bild dort an der Wand, das habe ich ebenfalls gekauft.«

»Und das hast du mir zum Geburtstag geschenkt«, erinnerte sie ihn.

Wie peinlich es doch war, was er jetzt abzog. Roberta spürte Wellen der Übelkeit in sich, wenn sie daran dachte, dass sie mit diesem Mann verheiratet gewesen war, der wirklich in jeder Hinsicht schmerzfrei war.

»Warte«, sagte sie, dann rannte sie aus dem Zimmer, lief in ihr Schlafzimmer, in dem ein Safe eingebaut war, dort holte sie all den Schmuck heraus, den er ihr geschenkt hatte, sie nahm auch den heraus, denn sie sich während ihrer Ehezeit gekauft hatte und den sie doch nicht mehr trug.

Sie wickelte den Schmuck in ein graues Seidentuch, das gerade in der Nähe lag, dann rannte sie zurück ins Wohnzimmer, sie knallte den Schmuck auf den Tisch, dann riss sie das Bild von der Wand.

»Nimm alles«, sagte sie mit bebender Stimme, »mehr gibt es nicht, was an die Ehe mit dir erinnert, und nun verschwinde endlich und lass dich niemals mehr hier blicken. Ich schwöre dir, noch einmal kommst du nicht ungeschoren davon.«

Er klemmte sich das Bild ­unter den Arm, griff nach dem in das Tuch eingeschlagene Schmuck.

»Wir hätten uns nicht trennen dürfen«, sagte er. »Seit du weg bist, geht es bei mir bergab.«

»Wir hätten niemals heiraten dürfen«, erwiderte sie. »Dich zu heiraten war der größte Fehler meines Lebens.«

Sie ging zur Tür, öffnete sie, weil kaum anzunehmen war, dass er erneut den Weg durchs Fenster nehmen würde.

Er blieb sitzen.

»Wir hatten auch schöne Zeiten«, bemerkte er.

»Max, du hattest schöne Zeiten, ich habe die Arbeit gemacht, und du hast dich amüsiert. Aber ich will mich nicht mehr mit der Vergangenheit aufhalten, sie ist vorbei. Und du belästige mich nicht noch einmal, sonst mache ich das mit der einstweiligen Verfügung wirklich wahr. Du hast in meinem Leben nichts mehr zu suchen.«

Als er immer noch keine Anstalten machte zu gehen, griff Roberta entschlossen zum Telefon. Jetzt merkte er, dass sie es ernst meinte.

Er stand auf, als er in ihre Nähe kam, versuchte er tatsächlich seinen Charme spielen zu lassen. Sie machte einen Schritt zur Seite, und jetzt klang ihre Stimme schneidend: »Verschwinde und komme niemals wieder. Du bist nur noch peinlich, Max.«

Er ging, sie knallte die Tür hinter ihm zu, schloss ab, dann machte sie sich daran, die Scherben der zerschlagenen Fensterscheibe zusammenzufegen, und dann verklebte sie das Loch notdürftig. Dabei weinte sie.

Mit Dr. Max Steinfeld verheiratet gewesen zu sein, das bittere Ende der Ehe erlebt zu haben, das war schon Strafe genug.

Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe? Lag es an ihr, weil sie zu gutmütig war, oder stimmte bei ihr einfach etwas nicht, und sie hatte nicht die richtige Einstellung zu Männern.

Sie verstand bis heute nicht, warum sie Max eigentlich geheiratet hatte. All ihre Freunde hatten ihr von dieser Ehe abgeraten, auch ihr alter Kumpel Enno Riedel, von dem sie die Praxis übernommen hatte, nachdem der samt Familie seinen Lebensmittelpunkt nach Philadelphia verlegt hatte.

Roberta war eigentlich niemals wehleidig, heute ließ sie sich in diese Verfassung fallen.

Sie hob die Krankenakte vom Boden auf, die ihr beim Anblick von Max zu Boden gefallen war, legte sie auf den Tisch, denn heute würde sie darin gewiss nicht mehr lesen. Dazu war sie einfach zu aufgewühlt.

Sie schenkte sich ein Glas Wein ein, dabei merkte sie, wie ihre Hand zitterte. Sie setzte sich, dann ließ sie vor ihrem geistigen Auge noch einmal entstehen, was gerade geschehen war.

Wie abgebrüht Max doch war!

Und wie tief war er gesunken, einfach einzubrechen und dann ganz dreist Forderungen zu stellen. Max hatte es wirklich geschafft, ein Vermögen zu verjubeln oder was immer man auch dazu sagen sollte. Und dann herzukommen, einzubrechen und Forderungen zu stellen! Und wie abgebrüht war das denn, den Schmuck und das Bild mitzunehmen.

Es war nicht der Verlust des Bildes und der Schmuckstücke, was sie so sehr schmerzte. Im Grunde genommen konnte sie froh sein, dass nichts mehr im Haus war, was an die Zeit mit Max erinnerte. Nein, es war das Gefühl der Bitterkeit, sich an jemanden wie ihn sinnlos verschwendet zu haben.

Würde er wiederkommen?

Sollte sie vorsorglich wirklich etwas gegen ihn unternehmen? Sie hatte es mehrfach angekündigt, aber unternommen hatte sie nichts. Das machte sie nicht unbedingt glaubwürdig, besonders nicht für einen Mann wie Max, der sein Weltbild ohnehin so schaffte, wie es für ihn passend war. Wer oder was dabei auf der Strecke blieb, das war ihm herzlich gleichgültig.

Ob er sich wohl schon einmal um das Kind gekümmert hatte, das diese nette junge Frau von ihm erwartete und die sich Hilfe suchend an sie gewandt hatte?

Sie musste nicht darüber nachdenken, sonst kam sie aus dem Denken überhaupt nicht heraus.

Max Steinfeld hinterließ überall verbrannte Erde, und er hatte viele Baustellen.

Sie trank etwas von dem köstlichen Wein, den Lars noch gekauft hatte. Weil er ihnen so gut schmeckte, hatte er gleich eine ganze Lieferung davon bestellt.

Lars war so ganz anders. Er war großzügig, er schenkte sehr gern. Als sie das dachte, fiel ihr Blick auf den wunderschönen Ring, den er ihr geschenkt hatte und den sie immer trug, immer, seitdem er ihr die herrlichen Rosen und den herzlichen Brief gesandt hatte.

Wenn man so wollte, da machte auch Lars sein Ding. Er führte das Leben, das ihm gefiel, und wenn er mal eine Pause hatte, da gab es ja noch sie.

Vielleicht war es gemein, jetzt so zu denken. Doch Roberta war in der Stimmung, das Leben mit ihm einmal kritisch zu sehen, nicht nur durch die rosarote Brille.

Lars stellte nicht wie ihr Exmann finanzielle Forderungen, Forderungen stellte er eigentlich überhaupt nicht. Und eigentlich konnte sie ihm auch nicht vorwerfen, dass er sein Leben führte, wie es ihm behagte. Er hatte ihr niemals etwas vorgemacht, Lars hatte immer mit offenen Karten gespielt.

Sie hatte den Traum von dem richtigen Ring am Finger gehabt, von einer Heirat, von gemeinsamen Kindern. Sie hatte ihn schmerzhaft begraben, weil es eine ständige Qual gewesen war, Hoffnungen zu haben, wenn sie sich besonders nahe gewesen waren, und das waren sie oft.

Nach der ersten richtigen Auseinandersetzung war er gegangen, und sie hatte Höllenqualen gelitten bei dem Gedanken, es könne aus sein mit ihnen.

Zum Glück war es nicht so gekommen. Dafür, dass jetzt alles wieder in Ordnung war, hatte sie einen sehr hohen Preis gezahlt. Sie hatte ihre Träume begraben.

Doch welche Wahl hätte sie gehabt?

Sie liebte ihn, er war ihr Mr Right, sie waren Seelenverwandte, sie konnten sich blendend unterhalten, gemeinsam lachen.

Wie schön wäre es gewesen, gemeinsame Pläne und Träume zu haben!

Wäre … hätte …

Wenn alles so einfach wäre. Ihre Freundin Nicki fiel ihr ein, die immer den Satz parat hatte: »Das Leben ist kein Ponyhof.«

Wenn sie an Nicki dachte, da wurde ihr ganz anders zumute.

Nicki fehlte ihr ja so sehr. Und ehrlich gesagt, machte sie sich auch Sorgen um sie. Der Jakobsweg, den sie gerade ging, war zwar kein vermintes Feindesland, aber ungefährlich war es auch nicht, und es war eine ganz schöne Herausforderung, all die Kilometer zu laufen, dabei sein Gepäck mit sich herumzuschleppen. Nicki war nicht unbedingt ein sportlicher Typ, sie war eher eine Couchpotatoe.

Es gab viele Menschen, die den Jakobsweg gingen, doch das war eher durchdacht, manche Leute gingen jedes Jahr nur eine Etappe, manche fuhren Teilstrecken. Entscheidend war, dass man die letzten hundert Kilometer vor Santiago de Compostela zu Fuß zurückgelegt haben musste, um den begehrten Pilgerpass zu bekommen. Was tat Nicki? Die handelte nach dem Motto, wenn schon, denn schon und wollte schlappe knapp tausend Kilometer laufen.

Ausgerechnet Nicki!

Erwartete sie wirklich, dass sie auf dem qualvollen Weg herausfinden würde, was sie wollte, wer sie war?

Roberta bezweifelte es. Für sie war es eher eine Flucht.

Peter Bredenbrock hatte sie mit seinem Heiratsantrag überrascht, und sie hatte Angst vor der Verantwortung, so etwas wie eine Ersatzmutter für zwei Pubertierende zu sein, die traumatisiert waren, weil ihre Mutter sie verlassen hatte, um Spaß zu haben.

Nicki stürzte sich immer wieder unbedacht in Abenteuer hinein, und wenn es dann jemanden gab, mit dem es hätte gut gehen können, ergriff sie ebenfalls die Flucht. Sie hatte es sich mit Roberto Andoni verdorben, der jetzt mit der Frau, die nach Nicki gekommen war und mit der er mittlerweile zwei Kinder hatte, in der wunderschönen Toscana lebte, in einem herrlichen Gutshaus zwischen Weinbergen und alten Olivenbäumen. Das alles hätte Nicki haben können.

Oder nahm man mal den Grafen von Hilgenberg. Dem war Nicki begegnet, zufällig, sie war von ihm fasziniert gewesen, allerdings hatte sie da noch nicht gewusst, dass der Mathias ein waschechter Graf war. Sie hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn wiederzusehen, sie hatte Handleser, Kartenleger und wer weiß nicht was noch bemüht. Und dann? Als sie ihn als den Besitzer des Anwesens unterhalb der Felsenburg getroffen hatte, war es für sie aus gewesen. Dabei hätte sie die Chance gehabt, den Grafen näher kennenzulernen. Und was war geschehen? Er hatte den Fehler gemacht, von einer langsamen Annäherung zu sprechen. Prompt hatte Nicki das in den falschen Hals bekommen und alles abgebrochen, weil sie sich nicht wie ein Schulmädchen vorkommen wollte, das sich alles durch gute Schulnoten verdienen sollte. Das war vollkommen aus der Luft gegriffen gewesen, aber Nicki bog sich die Welt so zurecht, wie sie ihr in den Kram passte. Da war sie ähnlich wie Max, ähnlich, wohlgemerkt, denn ansonsten lagen zwischen ihnen Welten.

Max …

Roberta war froh, dass die Gedanken an Nicki von diesem Erlebnis der besonderen Art mit ihm abgelenkt worden war. Und jetzt wollte sie ebenfalls nicht mehr an Max denken, auch nicht an Lars, der sich wieder einmal in Schweigen hüllte, weil vermutlich die Eisbären, die Highlandtiger, die Vulkane in Island ihn mehr interessierten als sie. Das war leider so.

Ihre Krankenakte nahm sie sich nicht vor, dafür griff sie zur Fernbedienung ihres Fernsehers.

Ihr war jetzt nach einem Herz-Schmerz-Film zumute oder einem spannenden Krimi. Sie wollte sich ablenken. Auch gestandene Ärztinnen konnten sich in etwas verlieren, was ihnen im Fernsehen vorgegaukelt wurde. Klar, mit Nicki wäre das schöner, sie gemeinsam auf dem Sofa, versorgt mit ein bis zwei Tüten Chips, und, je nachdem, welchen Film sie sahen, vorsorglich mit einer Packung Kleenex, um die Tränen zu trocknen.

Ohne Nicki machte es überhaupt keinen Spaß, also füllte Roberta nur ihr Weinglas, und sie stellte eine Flasche Mineralwasser dazu.

Nein, sie wollte jetzt nicht an Nicki denken!

Auch nicht an Lars!

Und Max? Du liebe Güte, nein, nicht an den Albtraum ihres Lebens.

Sie knipste von einem Sender zum nächsten. Im Fernsehen lief wieder mal nichts Gescheites, oder es waren Filme, in denen sie schon mitspielen konnte, weil sie so oft gezeigt wurden.

Sie machte den Fernseher aus, legte die Fernbedienung beiseite.

Welch ein Glück, dass sie sich in Hohenborn gerade wieder mit neuen Büchern eingedeckt hatte. Sie nahm sich den Stapel vor, und dann entschied sie sich für einen Krimi, der unglaublich spannend sein sollte und der sehr gute Kritiken bekommen hatte.

Es dauerte nicht lange, da war sie in den Inhalt des Buches vertieft, und es war so spannend, dass sie darüber vergaß, ihren Wein zu trinken.

*

Der ›Seeblick‹ war gut besucht, und munteres Stimmengewirr, hier und da Lachen schlugen Teresa von Roth entgegen, als sie das Restaurant betrat.

Ja, es hatte sich wirklich alles sehr verändert. Wenn sie daran dachte, dass kaum Gäste gekommen waren, als die sympathische Julia Herzog den ›Seeblick‹ übernommen hatte.

Sie blickte sich um, überlegte, an welchen der wenigen freien Tische sie sich setzen sollte, als Julia auf sie zugeeilt kam. Teresa, ihr Mann und die ganze Familie hatten einen Sonderstatus hier oben, denn sie waren von Anfang an treue Stammgäste, die voll hinter der Wirtin standen, auch wenn es ihnen nicht gelungen war, einen Umschwung herbeizuführen. Das war Rosmarie Rückert gelungen, und dafür gebührte ihr Respekt!

»Frau von Roth, wie schön, Sie zu sehen. Doch Sie allein habe ich hier noch nie gesehen!«

Teresa lachte.

»Mein Mann, meine Tochter, mein Schwiegersohn wollten unbedingt eine Kunstausstellung besuchen, die nur noch bis heute geöffnet ist. Und Pamela haben sie mitgenommen. Ich glaube, die wäre lieber bei mir geblieben. Aber ein bisschen Kultur kann nicht schaden. Ich habe es mir auf jeden Fall sehr gemütlich gemacht, und anstatt zu kochen, werde ich heute bei Ihnen ein herrliches Essen genießen.«

»Das freut mich, Frau von Roth, und ich verspreche Ihnen, dass wir Sie nicht enttäuschen werden. Wir haben heute wieder die fruchtige Kürbissuppe, die Sie so sehr mögen, und empfehlen kann ich Seelachs auf Spitzkohlgemüse, und …«

Teresa unterbrach die Wirtin.

»Hören Sie auf, Frau Herzog, Sie verwirren mich nur. Ich habe mich schon entschieden, ich nehme die Kürbissuppe und den Seelachs.«

Julia freute sich.

»Eine gute Wahl, Sie werden es nicht bereuen.«

Da Teresa mit dem Auto gekommen war, konnte sie den leckeren Wein, den sie so mochte, leider nicht bestellen. Aber das machte nichts. Es gab hier ein sehr gutes italienisches Mineralwasser, das man bereits bei dem vorherigen Wirt trinken konnte. Julia Herzog hatte gut daran getan, es ebenfalls aufzunehmen, obwohl es ein wenig teurer war und manche Gäste deswegen meckerten. Aber was sollte es, man konnte es eh nicht allen Leuten recht machen.

Teresa saß an einem hübschen kleinen Tisch am Fenster und hatte einen guten Blick auf viele der Tische. Sie liebte es, Leute zu beobachten. Und deswegen fiel ihr auch gleich eine Veränderung an Julia Herzog auf.

»Meine Liebe, Sie strahlen richtig. Freuen Sie sich so sehr, weil Ihr Restaurant jetzt immer gut besucht ist. Glauben Sie mir, Frau Herzog, darüber sind nicht nur Sie glücklich. Anfangs lief es ja wirklich nicht.«

Julia nickte.

»Darüber möchte ich nicht mehr nachdenken, nicht mehr über die vielen schlaflosen Nächte, in denen ich mir Gedanken machen musste, ob und wie es am nächsten Tag weitergehen würde. Es ist vorbei. Und auf einmal scheine ich wirklich in jeder Hinsicht auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, Frau von Roth … da gibt es etwas, was ich Ihnen unbedingt gleich erzählen möchte. Es ist unglaublich, und ich hoffe nur, Sie haben genug Zeit mitgebracht, denn zwischendurch muss ich mich ebenfalls um die übrigen Gäste kümmern, obwohl ich, ehrlich gesagt, am liebsten bei Ihnen sitzen bleiben würde, um Ihnen alles zu erzählen, was sich ereignet hat. Es ist viel, es ist wunderschön, und ich ersticke daran, wenn ich es nicht endlich jemandem erzähle.«

Jetzt war Teresa neugierig. Sie behielt die Wirtin im Auge, und auf einmal war ihr klar, dass es für das Strahlen der jungen Frau nur eine einzige Erklärung gab.

Julia Herzog war bis über beide Ohren verliebt, und das sagte Teresa ihr auch auf den Kopf zu, als Julia das nächste Mal vorbeigehuscht kam.

Julia war so perplex, dass sie sich erst einmal hinsetzen musste.

»Frau von Roth, woher wissen Sie das?«

Teresa lächelte fein.

»Man sieht es Ihnen an, mein Kind. Und schließlich war ich ebenfalls einmal jung, auch wenn das schon lange zurückliegt. Ich kann mich aber dennoch sehr gut daran erinnern, wie es sich anfühlt, wenn man Schmetterlinge im Bauch hat.«

Für einen Augenblick lang war Julia Herzog nicht mehr die aufmerksame, um all ihre Gäste gleichermaßen bemühte Wirtin, sondern sie war eine junge Frau, die tatsächlich bis über beide Ohren verliebt war.

»Stellen Sie sich das bloß einmal vor, Frau von Roth«, platzte es aus ihr heraus, »er war einfach da.«

Dann erzählte sie die unglaubliche Geschichte von dem Gast, der mittags plötzlich aufgetaucht war, um zu essen, ja, doch in erster Linie hatte er nach ihr gesucht und war unendlich froh, sie gefunden zu haben.

»Und als er mir sagte, woher er mich kannte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er war der Journalist, der damals, als ich den Stern für meine Kochkünste bekam, ein Interview mit mir machen wollte. Das lehnte ich ab, weil er mich verwirrte und ich keine Komplikationen haben wollte. Ich hatte gerade eine sehr unangenehme Trennung hinter mir und wollte mit Männern nichts zu tun haben. Man konnte dran fühlen, dass es für mich nicht gut sein würde, mehr Zeit mit diesem Mann zu verbringen.«

»Doch manchmal kann man sich irren«, fügte Teresa hinzu, »und seinem Schicksal entgeht man nicht, auch wenn es manchmal sehr seltsame Wege geht. Er war auch von Ihnen fasziniert, nicht wahr? Und deswegen hat er sich auf den Weg gemacht. Ach, Frau Herzog, was für wundervolle Geschichten das Leben manchmal schreibt. So etwas kann man sich nicht ausdenken. Ich freue mich für Sie, ich freue mich sehr.«

Julia erzählte von ihrem Daniel, und dabei hatte sie ganz glänzende Augen. Und es war ihr anzusehen, wie sehr sie es bedauerte, sich wieder um die anderen Gäste kümmern zu müssen. Sie war zwar verliebt, doch sie war auch die Wirtin des ›Seeblicks‹, und das durfte sie nicht vergessen, wollte sie auch nicht.

Sie ließ sich nicht anmerken, wie es in ihr aussah, und es bekam auch niemand mit, außer Teresa von Roth vielleicht, dass sie in Gedanken bei ihrem Daniel war, der mit ihr die Straße des Lebens gemeinsam gehen wollte. Ohne Eile, mit viel Neugier und mit sehr, sehr viel Gefühl.

Sie war ein Glückspilz, und das, was sich augenblicklich bei ihr abspielte, das hätte sie nicht in ihren kühnsten Träumen voraussehen können, ein gut gehendes Restaurant mit sehr netten Gästen und einen Mann, in den sie sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Jetzt konnte sie es zugeben, schließlich war es Daniel nicht anders gegangen.

Und er war in ihr Leben hineingeschneit, wie der Prinz, den sich alle Frauen ersehnten. Einen kleinen Schönheitsfehler hatte das Bild … er war ohne Pferd gekommen!

Das Leben war schön …

*

Inge Auerbach machte einen Spaziergang, und sie war ganz stolz auf sich, dass sie sich immer öfter dazu aufraffte.

Heute allerdings ging sie nicht zum See, obwohl das ein wunderschöner Weg war und manche Leute sogar aus der Ferne kamen, um den Sternsee zu umrunden.

Es hatte in den letzten Tagen geregnet, und die Wege waren noch immer aufgeweicht.

Wenn Inge ehrlich war, so hatte sie das als Grund angesehen, nicht laufen zu müssen. Doch dann hatte sie ihren inneren Schweinehund überwunden, und jetzt war sie froh, unterwegs zu sein. Und auch Luna, die wunderschöne weiße Labradorhündin freute sich, dass es mal etwas anderes zu schnüffeln gab. Sie war ganz aufgeregt, und Inge musste hier und da stehen bleiben, weil Luna einfach nicht weitergehen wollte, ehe sie nicht alles erkundet und erschnuppert hatte.

Sollte Luna, Inge war nicht in Eile, und sie hatte auch überhaupt kein Ziel vor Augen.

Als sie den Privatweg erreichte, der hinauf zu dem herrschaftlichen Anwesen führte, blieb sie stehen, und leichte Wehmut machte sich in ihr breit. Der Weg war abgesperrt, und das große Verkaufsschild einer bekannten Maklerfirma, die sogar international arbeitete, war nicht zu übersehen. Das Anwesen samt der alles überthronenden Felsenburg wurde zum Verkauf angeboten.

Nachdem die Vorbesitzer alles verkauft hatten, war nicht vorherzusehen gewesen, dass der Graf Hilgenberg sich so schnell wieder von allem trennen würde. Er hatte lange nach einem derart repräsentativen Besitz gesucht und war sehr glücklich gewesen, ihn endlich gefunden zu haben.

Wie lautete noch mal der Spruch, der so simpel und doch so zutreffend war?

»Du machst deine Pläne, und der liebe Gott lacht sich kaputt.«

Das Schicksal mischte immer wieder die Karten neu, und dann wurden auch jahrhundertalte Hausgesetze außer Kraft gesetzt.

Mathias von Hilgenberg hatte sehr darunter gelitten, der Zweitgeborene zu sein, und sein älterer Bruder wäre unter der Last beinahe zusammengebrochen, plötzlich der Chef der Hilgenbergs zu sein und die Verantwortung dafür zu haben, den Besitz, einschließlich des Schlosses, für die nächste Generation zu bewahren. Er war krank geworden, und das hatte alles verändert. Mathias war an seine Stelle getreten, und für ihn erfüllte sich ein Traum. Er hatte leichten Herzens alles hier aufgeben können.

Und es ging die Bewohner des Sonnenwinkels zwar nichts an, wie es weitergehen würde mit dem Besitz und dem Wahrzeichen, der Felsenburg. Aber es interessierte alle schon, was sich da oben tun würde. Da schloss Inge sich nicht aus.

Sie war noch in ihre Gedanken versunken, als neben ihr mit quietschenden Bremsen ein teurer roter Sportwagen hielt. Er war tiefergelegt, und Inge fragte sich unwillkürlich, ob er es bis oben schaffen würde. Autos dieser Art waren entweder für Rennen geschaffen oder für ›Gesehenwerdenfahrten‹ auf exklusiven ebenen Straßen.

Sie blickte zur Seite. Es wurde eine Fensterscheibe heruntergekurbelt, und eine arrogant klingende Frauenstimme erkundigte sich: »Sind Sie die Maklerin?«

Oh Gott, das war eine Interessentin für den Besitz.

»Tut mir leid.«

»Und warum stehen Sie dann hier herum?«

Das war unglaublich.

»Das ist ein öffentlicher Weg, und da kann ich herumstehen, solange ich will.«

Nach diesen Worten wollte sie weitergehen, zumal Luna da wieder etwas erschnüffelt hatte und an der Leine zerrte.

Die Frauenstimme hielt sie zurück, die Frau stieg sogar aus ihrem Auto aus.

»Warten Sie«, rief sie, und am liebsten hätte Inge jetzt laut ein ›bitte‹ hinzugefügt. Sie verkniff es sich. Wenn diese Frau, was Gott verhüten möge, die neue Besitzerin des herrschaftlichen Anwesens werden sollte, dann war es besser, eine Konfrontation zu vermeiden. Geld schien diese Frau ja zu haben, sie hatte also gute Karten. Die Ruine der Felsenburg war noch immer ein sehr großer Anziehungspunkt. Nicht nur für die Bewohner des Sonnenwinkels, sondern auch für Fremde, die kamen, um um den See zu laufen, dort ihre Freizeit zu verbringen oder hinauf zur Felsenburg zu laufen und sich dort von den Spuren einer großen Vergangenheit gefangen nehmen zu lassen. Beim Grafen Hilgenberg war es, im Gegensatz zu früher, sehr eingeschränkt gewesen. Doch immerhin hatte er einen Zugang zur Felsenburg erlaubt, wenn auch von einer ganz anderen Stelle aus.

Die Frau war sehr teuer gekleidet, das erkannte Inge auf den ersten Blick, auch wenn sie selbst sich aus Mode nicht viel machte und beim Kauf ihrer Kleidung niemals auf das eingenähte Label achtete. Für sie musste alles von guter Qualität sein, es musste ihr vor allem gefallen, und das Preis-Leistungsverhältnis musste stimmen. Darum machte sich diese Fremde gewiss keine Gedanken, wenn man sich allein den Sportwagen anschaute, für das Geld, das der gekostet haben mochte, bekam man gewiss eine kleine Eigentumswohnung.

Inge blickte die Frau an, sie war nicht mehr ganz jung, und ihrem Gesicht war anzusehen, dass daran ordentlich gearbeitet worden war.

»Was kann ich für Sie tun?«

Die Frau antwortete mit einer Gegenfrage.

»Wohnen Sie hier?«

Das konnte Inge bestätigen, und darauf war sie auch sehr stolz.

»Es wohnt sich hier sehr gut, und die Siedlung wurde von einem sehr bekannten Architekten erbaut und wurde auch mehrfach ausgezeichnet. Bedingt durch die Lage, den See hat man hier eine sehr hohe Lebensqualität. Doch Sie sind doch gewiss nicht an einem Haus in der Siedlung interessiert, sondern Ihr Interesse gilt dem Herrenhaus, dem gesamten Anwesen dort oben.«

Die Frau wollte ihr eine Antwort geben, doch da kam ein weiteres Auto angefahren, hielt neben ihnen. Es war ein dunkelgrauer Geländewagen, wie man sie immer häufiger auf den Straßen sah.

Ein junger Mann in feinstem grauen Zwirn sprang elastisch aus dem Wagen, kam auf sie zu und rief entschuldigend: »Es tut mir unendlich leid. Kurz vor Hohenborn gab es einen nicht vorhersehbaren Stau.«

Er gab zuerst Inge die Hand, dann der aufgetakelten Frau.

»Gernot Beckmann, ich bin von dem mit dem Verkauf des Anwesens beauftragten Maklerbüro.«

Dann begann er schon jetzt alles anzupreisen, Inge kannte das Anwesen sehr gut, doch all diese hochtrabenden Worte wären ihr niemals eingefallen. Es war höchste Zeit, dass sie ging, zumal Luna immer unruhiger wurde.

»Ich gehöre nicht dazu«, sagte sie rasch, dann nickte sie der Frau und dem Makler zu und ging. Er sah ihr ein wenig konsterniert nach, denn hätte er das gewusst, dann hätte er die Frau nicht begrüßt, schon gar nicht zuerst.

Auf jeden Fall schien dieser junge Mann schon mal hier gewesen zu sein, denn nach kurzem Reden mit der Frau stieg die zu ihm in den Geländewagen, nachdem er die Absperrung beseitigt hatte.

Zumindest war das eine vernünftige Entscheidung gewesen, denn die Frau wäre mit dem Sportwagen unweigerlich stecken geblieben. Und sollte sie das Anwesen tatsächlich erwerben, dann musste sie sich ein anderes Auto zulegen.

Inge war nicht neugierig, doch es interessierte sie schon, was diese Frau wohl mit dem Besitz vorhaben mochte. Sie passte so überhaupt nicht hierher.

Luna zerrte an der Leine, sie hatte wieder einmal etwas entdeckt, und das begann Inge zu nerven, so gern sie den Hund auch hatte.

»Luna, jetzt ist es genug, jetzt bleibst du gefälligst an meiner Seite. Wenn wir in das Wäldchen kommen, dann lasse ich dich meinetwegen von der Leine, aber bis dahin benimm dich gefälligst.«

Luna blieb stehen, blickte Inge an, bellte kurz.

Konnte man diesen wunderschönen braunen Augen widerstehen?

Inge auf jeden Fall konnte es nicht. Sie griff in ihre Jackentasche und holte daraus ein paar Leckerli hervor.

Luna winselte vor Freude, und Inge stellte wieder einmal fest, wie klug die Hündin doch war. Sie wusste, wie sie alle herumkriegen konnte, und nicht nur sie fiel immer wieder darauf herein.

Nachdem Luna ihr Leckerli gefressen hatte, blieb sie ganz brav an Inges Seite, und die hatte endlich Zeit, nachzudenken, nicht über diese Frau. So interessant war die nun auch nicht, und niemand von den Anwohnern hier hatte einen Einfluss darauf, wer den Zuschlag bekommen würde. Das war bei Marianne von Rieding und deren Familie schon anders gewesen. Sie hätten nicht an jedermann verkauft, obwohl sie keine enge Bindung an das Anwesen hatten. Marianne und ihre Tochter Sandra hatten es geerbt und es vorher niemals betreten, weil ein störrischer alter Mann nicht verkraften konnte, dass sein Sohn aus Liebe eine Bürgerliche geheiratet hatte, nämlich Marianne. Und nachdem der, verfeindet mit seinem Vater, früh verstorben war, hatte der alte Herr sich vor seinem Tod besonnen und seine Schwiegertochter und seine Enkelin als Erbinnen eingesetzt.

Wenn man so wollte, ruhte auf dem Anwesen kein Segen. Marianne, ihr Carlo, der berühmte Architekt Heimberg, der den Sonnenwinkel gebaut und dafür die Preise eingeheimst hatte, Sandra und ihre Familie lebten auf jeden Fall auf der riesigen geerbten Farm in Amerika freier und unbeschwerter. Inge gönnte ihnen auf jeden Fall ihr neues Glück, obwohl es schön gewesen war, als diese Bewohner noch da oben gelebt hatten. Man war sich nahe gewesen, und vor allem für Pamela gehörte das zu ihrer Kindheit.

Und sie weinte ihrem Freund aus der Kinder- und Jugendzeit noch immer nach. Es war schon bitter, dass Manuel sich nicht mehr meldete und alles, was gewesen war, vergessen zu haben schien.

So war das Leben. Nichts war für die Ewigkeit bestimmt.

Bei den Gedanken an früher wurde Inge ein wenig wehmütig.

Sie besaßen diese wunderschöne Villa, die schon vor dem Bau der Siedlung im Sonnenwinkel gestanden hatte. Was würde aus der werden, wenn sie und Werner mal nicht mehr waren?

Ricky, als Erstgeborene, hatte mit ihrem Fabian ihr eigenes Leben außerhalb des Sonnenwinkels, und es war nicht anzunehmen, dass die noch einmal zurückkehren würden. Außerdem hatten sie ja noch ihr Haus hier, das sie nach ihrer Heirat bezogen hatten.

Jörg hatte seinen neuen Lebensmittelpunkt in Stockholm, er hatte mehr als nur einmal zum Ausdruck gebracht, dass das Elternhaus für ihn niemals eine Option sein würde. Hannes? Nein, es war kaum denkbar. Nach dem Abitur hatte er eine Weltreise von fast einem Jahr gemacht, danach in Australien gelebt, wo er immer noch leben würde, hätte es nicht diese Verletzung gegeben, die es ihm unmöglich machte, so zu leben wie bisher, in einer Surf- und Tauchschule, als Werbeträger für ein besonders beliebtes Surfbrett.

Inge wurde ganz wehmutsvoll zumute, wenn sie daran dachte, dass er jetzt den Jakobsweg entlanglief, um sich zu finden, was die Freundin der Frau Doktor auch gerade machte. Seit es dieses Buch gab, zog es Gott und die Welt auf den Weg, es war eine richtige Modeerscheinung geworden, dann mal loszuziehen.

Wie auch immer, für sie wäre es nichts. Hier und dann in den Urlaub, das reichte ihr. Sie kam immer wieder sehr gern nach Hause, und hier wollte sie auch bleiben, bis man sie irgendwann einmal hinaustragen würde. Das war ihr Wunsch, doch wie sie aus eigener Erfahrung wusste, gingen Wünsche nicht immer in Erfüllung, das Leben war halt kein Wunschkonzert, man musste nur so richtig krank werden, und schon war alles vorbei.

Daran wollte sie jetzt nicht denken, das würde sie nur traurig machen.

Pamela …

Die liebte den Sonnenwinkel über alles, die wollte für immer dableiben. Doch sie war jung, deren Meinung konnte sich noch mehrmals ändern, und nach dem Abitur würde sie den Sonnenwinkel verlassen, um irgendwo zu studieren. Oder auch nicht, Hannes war ein Beispiel dafür, und auch Ricky hatte sich für eine Großfamilie entschieden statt zu studieren, und als sie es schließlich doch versucht hatte, hatte sie einsehen müssen, dass das mit einer Kinderschar einfach nicht ging, dass sie sich auf Kosten der Familie verwirklicht hätte. Und als ihr das bewusst geworden war, hatte Ricky die Reißleine gezogen und hatte das Studium abgebrochen. Sie hatte es nicht bereut, und jetzt ging es schon überhaupt nicht mehr, seit die kleine Teresa auf der Welt war. Inge wusste selbst nicht, was mit ihr los war, warum sie all die Gedanken hatte. Dabei musste sie sich um ihr Haus überhaupt keine Gedanken machen. Es befand sich nicht schon seit Generationen im Familienbesitz, und demzufolge musste es auch nicht in der Familie bleiben.

Werner hatte sie mit dem Kauf der Villa überrascht, und das war geschehen, als Ricky und Jörg beinahe schon flügge gewesen waren, und Inge konnte sich sehr gut daran erinnern, dass sie und die Kinder schon überhaupt nicht, glücklich gewesen waren mit Werners einsamer Entscheidung.

Wie lange lag das nun schon zurück. Entscheidend war, dass sie in der Villa alle glücklich gewesen waren, dass Werner, sie und Pamela sich noch immer wohlfühlten, und auch für Ricky und Jörg war es noch immer ein Ort der Geborgenheit, an den sie gern zurückkehrten, und wenn es nur besuchsweise war. Nichts war für die Ewigkeit bestimmt, und niemand konnte in die Zukunft schauen. Es stimmte so sehr, was ihre Mutter und ihr Vater immer sagten, nämlich, dass man den Augenblick, das Heute, das Hier und Jetzt genießen sollte.

Der neue Sonnenwinkel Box 6 – Familienroman

Подняться наверх