Читать книгу Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 5 – Familienroman - Michaela Dornberg - Страница 7

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Dr. Roberta Steinfeld, die coole Ärztin, die jeder Situation gewachsen war, fühlte sich in diesem Augenblick komplett überfordert.

Sie hätte mit allem gerechnet, damit nicht.

Sie hatte es sich immer gewünscht, erhofft, aber nicht wirklich erwartet.

Und nun sollte ihr Traum wahr werden?

Sie konnte immer nur auf den Gegenstand blicken, den Lars in der Hand hielt, und das war eindeutig ein Ring, ein wunderschöner Ring, das erkannte sie auf den ersten Blick.

Und das bedeutete …

Sie war aufgeregt!

Und diese Aufgeregtheit erinnerte sie an ihre Kindheit, wenn sie an Weihnachten darauf gewartet hatte, vom Christkind beschenkt zu werden.

Ring …

Dafür gab es nur eine einzige Erklärung.

Lars würde ihr gleich einen Antrag machen, etwas, was sie nicht erwartet hatte, und sie … sie würde die glücklichste Frau auf der ganzen Welt sein.

In ihrem Kopf spielte sich ein Feuerwerk von Gedanken ab.

Sie blickte ihn erwartungsvoll an, natürlich würde sie direkt ›JA‹ sagen, hoffentlich nicht schon, ehe er seinen Antrag beendet hatte.

Sie würden heiraten …

Manchmal wurden Träume wahr, und sie, Roberta Steinfeld, befand sich in einem Traum, der niemals enden sollte!

Als Lars zu sprechen begann, hielt sie den Atem an.

»Als ich bei dem Juwelier vorbeikam und im Schaufenster diesen Ring entdeckte, da wusste ich, dass er keiner anderen Frau als nur dir gehören durfte. Es ist ein Unikat, das heißt, es gibt ihn kein zweites Mal auf der Welt. Und das ist gut so, denn keine andere Frau kommt nur annähernd an dich heran, du bist einmalig, und ich bin ein großer Glückspilz, weil du ausgerechnet mir deine Liebe schenkst. Roberta, ich liebe dich, du bist mein Zuhause …«

Er sprach noch viele wundervolle Worte aus, bei denen ihr Herz normalerweise vor Freude gehüpft wäre. Jetzt musste sie alles tun, um ihre Enttäuschung nicht zu zeigen. Es gab keinen Antrag, Lars hatte den Ring einfach so gekauft. Normalerweise müsste sie das freuen. Normalerweise … normalerweise … vermutlich war sie jetzt undankbar, weil sie nur geheuchelte Freude zeigen konnte.

Sie war sich so sicher, dass ein Antrag folgen würde …

Lars steckte ihr den Ring an den Finger. Er passte perfekt, und er war wirklich außergewöhnlich. Roberta hatte ein so schönes Schmuckstück noch nie zuvor gesehen. Lars musste ein Vermögen dafür ausgegeben haben. Roberta verstand nicht viel von Brillanten, doch diese hier mussten lupenrein sein, denn sie funkelten verheißungsvoll, hatten einen besonderen Glanz.

Sie riss sich zusammen.

»Danke, Lars, du beschämst mich. Ich habe doch keinen Geburtstag, und auch sonst steht nichts an, um …«

Er unterbrach sie einfach.

»Es braucht keinen Anlass, um dem Menschen, den man über alles liebt, eine Freude zu machen. Ich bin ohnehin jemand, der zwar gern Geschenkte macht, aber nicht zu Weihnachten.«

Er nahm sie zärtlich in seine Arme, hielt sie fest umfangen. Und sofort war sie wieder da, die Magie, die es zwischen ihnen gab, und die auch keine Worte brauchte, und wenn sie ehrlich war, auch keinen Antrag. Ob nun verheiratet oder nicht, ihre Liebe konnte nicht größer werden, das Vertrauen konnte sich nicht mehr verfestigen. Sie wäre von ihm halt gern gefragt worden, weil das einfach der Traum einer jeden Frau war, ob sie nun eine tüchtige, beliebte Ärztin war oder eine ganz einfache Frau. Da gab es keinen Unterschied.

Sie presste sich an ihn, fühlte sich unglaublich wohl in seiner Umarmung, und sie tat alles, um wieder herunterzukommen aus ihrer Anspannung. Sie musste nicht enttäuscht sein, es hatte überhaupt keine Anzeichen dafür gegeben, dass Lars ihr einen Heiratsantrag machen würde. Sie hatte es erwartet. Und in diesem vertrauten, intimen Augenblick war sie fest entschlossen, sich endlich von den Gedanken zu befreien, ihn zu heiraten und mit ihm Kinder zu haben. Es war schön, doch es war nicht alles. Sie liebten sich, sie liebten sich sehr. Und dafür musste sie dankbar sein.

Irgendwann küsste er sie sanft und zärtlich, flüsterte ihr ins Ohr: »Es ist so schön, dass es dich gibt. Ich kann es dir nicht oft genug sagen, und ich werde niemals begreifen, dass eine Frau wie du an meiner Seite bist. Du könntest doch alle Männer der Welt haben.«

Ihr Lars …

»Ich will aber nur dich«, sagte sie einfach, und das wurde prompt mit einem innigen Kuss belohnt.

Dann aber sagte Lars: »Ich denke, jetzt sollte ich nach dem Essen sehen. Ich habe für uns gekocht, etwas Besonderes, denn es gibt einen Grund zu feiern. Die Korrekturfahnen sind wieder in der Druckerei. Nun kann das Buch gedruckt werden. Die Arbeit ist getan, und es hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Dieses Buch über die Eisbären wird mir immer in ganz besonderer Erinnerung bleiben. Es war wirklich aufregend und spannend zugleich. Doch das alles ist nichts, es ist nichts, was mein Leben verändert hat, auch nicht der Erwerb den kuscheligen kleines Hauses. Nein, es war die Begegnung mit dir. Erinnerst du dich, wie du mit deinem Auto in meines hineingefahren bist? Das hatte so sein müssen, das war Magie. Das war der Beginn unserer großen, tiefen und unglaublich schönen Liebe. Dass man so lieben kann, das hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich kann dir immer wieder dafür danken, dass du die Größe besitzt, mich mein Ding machen zu lassen. Und dafür liebe ich dich noch viel mehr, wenn es überhaupt noch eine Steigerung gibt.«

Lars hätte gewiss noch eine ganze Menge mehr gesagt, wenn nicht vom Herd ein Signal gekommen wäre. Augenblicklich ließ er sie los.

»Wenn du gleich schön essen möchtest, dann muss ich mich jetzt kümmern, auch wenn ich viel lieber deine Nähe genießen würde.«

Er warf ihr einen liebevollen Blick zu, ehe er sich um das Essen kümmerte. Roberta blickte ihm hinterher. Wie sehr sie ihn doch liebte. Er war wirklich ihr Mr Right. Und ja, auch wenn sie eigentlich nicht daran glaubte, wenn das eher das Ding ihrer Freundin Nicki war, sie wusste, dass das Schicksal sie zusammengeführt hatte in diesem Augenblick ihrer Unachtsamkeit. Das Schicksal ging manchmal seltsame Wege. Vielleicht wären sie sich sonst niemals begegnet.

Roberta setzte sich aufs Sofa, und dann blickte sie auf den Ring an ihrer Hand. Er war wirklich unglaublich schön, ganz besonders.

War sie undankbar, dass sie sich nicht von Herzen freuen konnte? Sie musste erst einmal mit ihrer Enttäuschung fertig werden, weil ihre Erwartungshaltung sich nicht erfüllt hatte.

Roberta wurde sehr schnell klar, dass es nichts mit dem Ring, dem nicht erfolgten Heiratsantrag zu tun hatte. Nein, sie hatte Angst vor dem, was kommen würde. Das Thema Eisbären war vorbei, jemand, der so ruhelos war wie Lars, würde sich niemals beschaulich zurücklehnen und ein ruhiges Leben führen. Er hatte doch bereits ein neues Angebot von International Geographic, ein Buch über die Highlandtiger zu schreiben, jene seltene Art von Wildkatzen, die in den Highlands von Schottland lebte und kaum gesichtet wurde. Das war etwas für ihren Lars, und für sie war es tröstlich, sollte der Deal zustande kommen, dass seine Recherchen ihn diesmal nicht bis in die Arktis führen würden, sondern nur bis Schottland. Nein, wenn sie ehrlich war, dann war es nicht tröstlich, und sie zeigte auch keine Größe, weil sie ihn sein ungebundenes Leben führen ließ, sondern sie hatte keine andere Wahl. Ihn mit seiner Arbeit teilen, oder ihn verlieren. Eine andere Alternative gab es nicht. Und so blieb ihr überhaupt keine andere Wahl, als sich mit dem zufriedenzugeben, was sie von ihm bekam.

Sie zuckte zusammen, als er sich neben sie setzte, sie umarmte. »Wenn du magst, können wir jetzt essen. Doch vorher möchte ich dir gern etwas sagen, und danach möchte ich dich natürlich küssen. Roberta Steinfeld, du bist mein Leben, und ich war noch nie zuvor in meinem Leben so glücklich wie mit dir.«

Sie hätte ihm gern eine Antwort gegeben, doch dazu kam es nicht, denn er setzte seine Worte in die Tat um und küsste sie. Sanft, zärtlich und dann immer leidenschaftlicher.

Sie klammerte sich an ihn, erwiderte seine Küsse, und all ihre Gedanken lösten sich auf in einem Nebel.

Lars und sie, sie waren ein Dreamteam. Er war ein einsamer Wolf, und es würde immer wieder Abschiede geben, lange Zeiten der Einsamkeit. Aber das Wiedersehen, das war jedes Mal ein Fest.

Sie musste sich keine weiteren Gedanken machen.

»Ich liebe dich«, sagte sie, überwältigt von ihren Gefühlen, und diese Worte belohnte Lars Magnusson mit einem langen, langen Kuss.

*

Rosmarie Rückert hatte sich erstaunlich lange nicht mehr im Sonnenwinkel blicken lassen. Es war auch kein Wunder. Es gab ja in der Villa Rückert nicht nur einen zweiten Hund, die unglaubliche Missie, sondern Rosmarie genoss die Zweisamkeit mit ihrem Ehemann Heinz.

Ja, sie genoss die Zweisamkeit!

Es hatte sich zwischen ihnen etwas verändert, sie waren sich nähergekommen, verbrachten viel Zeit miteinander, und sie machten gemeinsame Spaziergänge. Sie hatte Beauty an der Leine, die wunderschöne Beagledame, und Heinz führte, stolz wie Oskar, den schwarzen Mischling Miss Marple, genannt Missie, an der Leine. Missie war eine unglaubliche kleine Hundedame, sie hatte das Herz von Heinz zum Schmelzen gebracht. Sie hatte sich einfach so in sein Herz geschlichen, und er hatte doch tatsächlich das ganze Dach des Tierheims bezahlt.

Heinz, ihr Ehemann, der eigentlich in erster Linie daran interessiert war, das Geld auf seinem Konto zu vermehren, nicht, um es auszugeben, und das schon gar nicht für ein Tierheim. Missie …

Es war tatsächlich Missie gewesen, die frischen Wind in ihre Beziehung gebracht hatte.

Heute war es auf jeden Fall an der Zeit, sich endlich mal wieder bei Inge Auerbach zu zeigen. Sie hatte viel zu erzählen, außerdem hatte sie eine Frage an Inge. Rosmarie kam mit der französischen Grammatik noch nicht ganz zurecht, und niemand konnte besser erklären als Inge.

Wenn man so recht überlegte, hätte Inge viel mehr aus ihrem Leben machen können. Sie war klug, war eine geborene von Roth. Namen zählten beim Karriere machen auch. Aber nein, Inge hatte sich damit zufriedengegeben, den Professor Werner Auerbach zu heiraten, der am Anfang ihrer Ehe lange noch kein Professor gewesen war. Sie war die starke Frau an seiner Seite, sie hatte Werner den Rücken frei gehalten, und sie hatte dafür gesorgt, dass er ungestört Karriere machen konnte, während sie sich um die Kinder gekümmert hatte, um Henrike, die jeder immer nur Ricky nannte, um Jörg, um Hannes. Und dann hatten sie noch die kleine Pamela adoptiert. Eine Bilderbuchfamilie, die man beneiden konnte. Es hatte niemals einen Riss bei den Auerbachs gegeben, bis auf das eine Mal, als die arme Pamela zufällig von Fremden erfahren musste, dass sie keine richtige Auerbach war. Inge und Werner hatten versäumt, Pamela, damals noch Bambi genannt, beizeiten von der Adoption zu erzählen. Aber kein Mensch war perfekt. Hannes, der Jüngste, hatte Pamela einfach mit nach Australien genommen, und das war ihm hoch anzurechnen. Ein junger Mann, Mitinhaber einer Surf- und Tauchschule, Miterfinder des Surfbretts ›Sundance II‹, meistfotografiert in Fachzeitschriften, band sich normalerweise nicht einen solchen Klotz ans Bein. Er hatte es getan, freiwillig, und Pamela hatte die Zeit in Australien gut überstanden und war jetzt glücklich in den Sonnenwinkel zurückgekehrt. Etwas, was Hannes niemals mehr tun würde. Nach dem Abitur hatte er sich für ein knappes Jahr mit dem Rucksack auf dem Rücken die Welt angesehen, und dann war er für ein ›normales‹ Leben verloren gewesen, hatte die Erwartungshaltung seines Vaters nicht erfüllt. Trotz eines fantastischen Abiturs hatte er nicht angefangen zu studieren. Er machte erfolgreich sein eigenes Ding und ging seinen eigenen Weg. Ja, ja, die Auerbach-Kinder waren schon besonders, und Rosmarie konnte sich nur die Hände reiben, weil Fabian, ihr Sohn, klug genug gewesen war, die Ricky zu heiraten. Die hatte zwar keine besondere Karriere gemacht, aber sie war für die Kinderschar eine wundervolle Mutter, und Fabian und Ricky liebten sich wie am ersten Tage. Eine Bilderbuchehe, eine Bilderbuchfamilie. Und Fabian war zwar nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten, war nicht Notar geworden, aber er hatte seine eigene Karriere gemacht, und er war der Direktor eines großen, sehr bekannten Gymnasiums. Dass Fabian ein gestörtes Verhältnis zu seinen Eltern hatte, dafür konnte er nichts, darüber war Rosmarie sich längst klar. Heinz und sie waren keine guten Eltern gewesen, und nun bekamen sie dafür die Quittung. Ein wenig besser war ihr Verhältnis zueinander ja geworden, und Fabian hatte es voller Erstaunen begrüßt, dass sie einen zweiten Hund aus dem Heim geholt hatten und dass Heinz das Dach des Tierheims bezahlt hatte. Sie näherten einander mit behutsamen Schritten. Nein, Fabian war nicht das Problem. Das war Stella, die sich bei ihnen noch immer nicht gemeldet hatte, um sie endlich darüber zu informieren, dass sie sich von Jörg Auerbach getrennt hatte, um mit einem anderen, einem älteren Mann in Belo Horizonte glücklich zu werden. Musste es ausgerechnet Brasilien sein? Außerdem baute man sein Glück nicht auf dem Unglück eines anderen Menschen auf. Stella würde ihre Quittung noch bekommen. Wie töricht von ihr, einen Mann wie Jörg zu verlassen. Aber es war wohl wirklich so, dass der Esel aufs Eis ging, um zu tanzen, wenn es ihm zu wohl war. Jörg hatte alles für seine Frau und für seine Kinder getan. Wie bitter musste es für ihn gewesen sein, sie zu verlieren. Er hätte ja versuchen können, das Sorgerecht für die Kinder zu erhalten, und gewiss hätte er es auch bekommen. Aber die Kinder hingen auch an Stella, und für Kinder war nun mal die Mutter die wichtigste Bezugsperson, und dem hatte Jörg Rechnung getragen und verzichtet.

Rosmarie war vor dem Haus der Auerbachs angekommen, das wirklich das schönste im ganzen Sonnenwinkel war. Das lag teilweise daran, dass es schon gestanden hatte, ehe die Siedlung gebaut worden war. Es war größer, individueller. Es passte auf jeden Fall zu den Auerbachs. Sie hatten die richtige Entscheidung getroffen, auch wenn Werner zunächst seine Familie überrascht und das Haus allein in einer Nacht- und Nebel-Aktion erworben hatte. Es war richtig gewesen, auf jeden Fall. Rosmarie wollte, sie könnte das auch von sich behaupten. Sie, Heinz und die Kinder hatten wunderbar gewohnt, und nachdem Fabian und Stella weg waren, hatten sie sich diese große Villa bauen lassen. Den ›Palazzo Prozzo‹, wie Fabian die Villa verächtlich nannte.

Die Villa war viel zu groß, sie war viel zu pompös. Rosmarie wusste nicht, welcher Teufel sie damals geritten hatte. Vermutlich lag es daran, dass sie noch in diesem anderen Leben gewesen war, in dem sie auch alles gekauft hatte, was sie gesehen hatte, ob Outfits, Schuhe, Taschen, Schmuck. In dieses Bild hatte auch die Villa gepasst, in der sie sich nicht wohlfühlten, die für zwei Personen viel, viel zu groß war. Es war Wahnsinn gewesen, so etwas bauen zu lassen. Hinterher war man immer klüger. Die Bauphase war das Schönste gewesen, doch kaum waren sie eingezogen, war es mit der Freude vorbei. Was hatten sie mittlerweile nicht alles versucht, die Villa zu verkaufen, sie waren mit dem Preis erheblich heruntergegangen, sie hatten an einen Umbau, an eine Aufteilung gedacht. Das hätte alles nur noch mehr verteuert. Heinz und sie waren an die Villa gefesselt und konnten nur noch auf ein Wunder hoffen. Leider war kaum damit zu rechnen, dass irgendwann einmal ein Scheich vor­bei­kam, um sich dieses prunkvolle Anwesen zu kaufen. Scheichs kamen nicht nach Hohenborn. Und die Leute ringsum, die waren bodenständig und banden sich nicht so einen Klotz ans Bein. Es schreckte ja nicht nur der Kaufpreis ab, nein, es war auch der sehr teure Unterhalt.

Rosmarie wollte nicht mehr darüber nachdenken, was sie in ihrem Leben alles falsch gemacht hatte, es ließ sich nichts mehr ändern, überhaupt nichts.

*

Inge Auerbach hatte Rosmaries Ankunft bemerkt, sie öffnete die Haustür, lief Rosmarie entgegen, umarmte sie und rief: »Das ist aber eine schöne Überraschung, dass du mich wieder mal besuchen kommst. Wir haben uns seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

Sofort bekam Rosmarie ein schlechtes Gewissen. Wenn sie nicht gut drauf war, wenn sie Probleme hatte, fuhr sie immer zu Inge, auch, wenn sie etwas wollte, und sei es, um französische Vokabeln zu lernen.

»Es ist viel passiert«, versuchte Rosmarie sich zu entschuldigen.

Inge lachte.

»Ich weiß, meine Liebe, die Buschtrommel hat funktioniert. Ihr habt aus dem Tierheim einen zweiten Hund geholt, und Heinz hat dort das neue Dach bezahlt. Das finde ich großartig, und er hat Frau Dr. Fischer durch diese edelmütige Tat einen großen Stein vom Herzen genommen. Dort ist das Geld immer knapp, und gäbe es nicht die großzügigen Spenden, auch von dir, dann wäre alles längst im Chaos gelandet. Ich sag ja immer wieder, dass Leute, die sich ein Tier anschaffen, auf Herz und Nieren geprüft werden müssten. Für einen simplen Führerschein wirst du in Theorie und Praxis geprüft und darfst dir keine Fehler erlauben. Schon beim kleinsten Fehler fällst du durch. Für Tiere reicht es meistens, wenn du den geforderten Betrag auf den Tisch legt.«

»Frau Dr. Fischer hat mir erzählt, dass es aber durchaus Hundehalter gibt, die ihren Käufern sagen, dass sie das Tier zurücknehmen wollen.«

»Davon gibt es aber zu wenige, meine liebe Rosmarie. Doch wir werden die Welt nicht verändern, und lass uns über etwas anderes reden. Vor allem, komm erst mal rein. Darf ich dir einen Kaffee anbieten?«

Rosmarie zögerte.

»Eigentlich wäre mir ein Tee lieber … ein grüner Tee.«

Inge konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. Wahrscheinlich hatte Rosmarie da wieder etwas gelesen, und prompt sprang sie auf den Zug. Im Grunde genommen war sie doch auch eine richtige Kaffeetante.

»Du bekommst deinen grünen Tee, meine Liebe. Ich freue mich wirklich sehr, dass du hier bist. Es hat mir etwas gefehlt, die Plaudereien mit dir waren immer schön.«

Inge war immer so nett, so herzlich. Seit sie selbst sich verändert hatte, kam Rosmarie sehr gern zu Inge. Sie konnte überhaupt nicht mehr verstehen, warum sie früher immer ein wenig herablassend auf Inge geblickt hatte. Das wohl in erster Linie, weil Inge dem Konsumzwang nicht unterlegen war. Andererseits hatte sie vor den Auerbachs auch stets ein wenig Respekt gehabt.

Für die zählten andere Dinge im Leben, die kauften sich lieber ein neues Buch anstatt eines neuen Shirts, sie gingen lieber ins Theater anstatt zu einem Event, bei dem es darauf ankam, zu sehen und gesehen zu werden.

Rosmarie wischte all diese Gedanken beiseite. Sie war froh, dass sie in einem neuen Leben angekommen war, das viel mehr Substanz hatte.

Kaffee gab es bei den Auerbachs immer. Es war auch überhaupt kein Problem, Rosmarie den gewünschten grünen Tee zuzubereiten. Und während sie das tat, plauderte Inge ein wenig. Sie erzählte von Hannes, der jetzt mit seiner Freundin zusammengezogen war.

»Die beiden sind ja noch sehr jung, da zieht man rasch zusammen. Ich werde allerdings das Gefühl nicht los, dass es mit Joy ernst zu sein scheint. Meinen Segen haben sie, ich finde Joy sehr sympathisch, sie passt zu Hannes. Sie ist unkompliziert.

Vermutlich liegt das auch daran, dass sie mit fünf Brüdern aufgewachsen ist. Das ist schon eine Herausforderung, außerdem scheinen die Australier das Leben einfacher zu sehen als wir.«

»Ich habe diese Joy ja leider nicht gesehen. Du hast mir lediglich ein paar Fotos gezeigt. Sie sieht wirklich sehr sympathisch aus, so wie eine Frau, die weiß, was sie will. Aber sag mal, Inge, stört es Hannes eigentlich nicht, dass sie Medizin studiert, während er doch …«

Rosmarie brach ihren Satz ab, den Inge ruhig fortsetzte: »Während Hannes lediglich das Abi gemacht hat und nicht einmal eine ordentliche Berufsausbildung hat. Diese Tatsache bekümmert Werner sehr, und ich hatte anfangs ebenfalls meine Probleme damit. Meine Eltern haben mir den Kopf geradegerückt. Sie haben mir vor Augen geführt, wie clever und zielgerichtet Hannes seinen Weg geht. Und das stimmt ja auch. Er weiß genau, was er will. Er hat Erfolg und verdient eine ganze Menge Geld für sein Alter, das er gut anlegt und investiert. Aber ich glaube, dass Geld nicht so wichtig für Hannes ist. Er hat sich für eine einfache Lebensführung entschieden. Er braucht kein großes Auto, keine stylischen Klamotten, kein tolles Haus. Er braucht seine Freiheit. Außerdem kommt es doch überhaupt nicht darauf an, was Werner und ich wollen. Es ist das Leben von Hannes.«

Rosmarie nickte.

»Hannes war immer anders als eure anderen Kinder, ich finde, er ist ein richtiger Sonnenschein, und er sieht blendend aus. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Mädchen hinter ihm her sind, da muss Joy ganz schön aufpassen.«

Inge winkte ab.

»Rosmarie, es kommt, wie es kommt. Hättest du gedacht, dass Stella und Jörg sich einmal trennen werden?«

Es war Rosmarie immer noch peinlich, schließlich war Stella ihre Tochter.

»Es war Stella, die aus der Ehe ausgebrochen ist, Jörg hätte das nie getan«, sagte sie dennoch wahrheitsgemäß.

Inge hätte jetzt antworten können, dass man niemals nie sagen sollte, dass sie für Jörg auch nicht die Hand ins Feuer legen würde. Für niemanden. Aber es hatte Jörg schon sehr mitgenommen, er litt. Das würde wohl jeder tun, der vor den Trümmern seiner scheinbar heilen Welt stand.

Inge wollte das Thema jetzt nicht vertiefen. Sie hatte genug schlaflose Nächte deswegen gehabt, und ändern konnten sie nichts, weder Rosmarie noch sie. Außerdem würde Rosmarie sich wieder ganz furchtbar aufregen, weil Stella nichts von sich hören ließ.

Inge stellte Rosmarie den gewünschten grünen Tee auf den Tisch, die trank genüsslich einen Schluck.

»Grüner Tee ist das Beste, was man sich antun kann. Der ist ja so gesund, senkt den Blutdruck, die Cholesterinwerte, macht ausgeglichen, hält jung. In Okinawa gibt es die meisten Hundertjährigen, und das …«

Nein!

Da wollte Inge jetzt nicht einsteigen.

»Möchtest du einen Keks essen, vielleicht auch ein Stückchen Kuchen?«, unterbrach sie Rosmarie.

Die überlegte kurz.

»Was für einen Kuchen hast du denn?«, erkundigte sie sich schließlich. Inge konnte backen wie eine Weltmeisterin.

»Ach, nur einen einfachen Zitronenkuchen.«

Was redete Inge da? Ihr Zitronenkuchen war der beste von der ganzen Welt. »Ein Stückchen Kuchen nehme ich gern«, sagte Rosmarie sofort und vergaß all ihre guten Vorsätze. »Aber wenn es geht, dann bitte ein großes.«

Inge erfüllte den Wunsch ihrer Besucherin, und sie wunderte sich überhaupt nicht, als diese nach dem Genuss der ersten Kuchenbisse sagte: »Ich glaube, zu dem Zitronenkuchen schmeckt doch am besten ein Kaffee. Den Tee trinke ich dann später.«

Vergessen waren die Hundertjährigen von Okinawa!

Inge konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, ehe sie den Wunsch von Rosmarie erfüllte.

Rosmarie, die noch immer eisern die französische Sprachenschule besuchte, ließ sich von Inge erklären, was ihr Schwierigkeiten bereitete. Und dann führten die beiden Frauen eine leichte französische Konversation. Inge fand es ganz erstaunlich, was Rosmarie mittlerweile alles gelernt hatte und dass sie vor allem bei der Stange blieb. Die frühere Rosmarie hätte das nicht durchgehalten.

Rosmarie vergaß, dass sie eigentlich grünen Tee trinken wollte, sie trank eine weitere Tasse Kaffee, und sie aß noch ein Stück von diesem köstlichen Zitronenkuchen. Und sie freute sich, dass Inge ihr den restlichen Kuchen mitgeben wollte. Ja, so war sie, die Inge Auerbach, immer großzügig.

»Ich gebe dir auch eine Dose mit Keksen mit, die Ricky, Fabian und die Kinder besonders gern essen.«

Was redete Inge da?

»Und was habe ich davon?«, erkundigte Rosmarie sich deswegen auch ein wenig verwirrt.

»Ach, du weißt es ja noch nicht. Ich habe vorhin mit Ricky gesprochen, und die hat erwähnt, dass sie euch besuchen wollen. Sie oder Fabian werden bei euch anrufen.«

Ja, das war der Unterschied.

Zu den Auerbachs ging man einfach, bei den Rückerts musste man sich anmelden.

»Sie wollen zu uns kommen?«, erkundigte Rosmarie sich hoffnungsfroh.

Inge nickte.

»Die Kinder sind es wohl, die drängen. Sie möchten unbedingt den neuen Hund kennenlernen. Sie finden den Namen Miss Marple so cool, ohne zu wissen, dass sich dahinter der Name einer berühmten Romanfigur von Agatha Christie verbirgt.«

»Die immerhin Kultstatus hat«, bemerkte Rosmarie, »ich kann mir all die alten Filme mit Margaret Rutherford in der Hauptrolle immer wieder ansehen. Ich habe sie so oft gesehen, dass ich da beinahe schon mitspielen kann. Aber dennoch, Missie finde ich schöner. Doch genug davon, Inge, wenn sie wirklich kommen wollen, dann sind sie herzlich willkommen, dann freue ich mich. Und ich nehme natürlich deine Kekse gern. Hoffentlich hat Ricky das nicht nur so dahergesagt und sie kommen wirklich. Dann muss Heinz sich aber auch in seinem Notariat freischaufeln. Hoffentlich ist es nicht die Idee von Ricky, und Fabian macht einen Rückzieher.«

»Rosmarie, sei nicht so negativ. Euer Verhältnis zueinander hat sich positiv verändert. Du hast doch gesagt, dass Fabian hier und da mal ohne Grund vorbeikommt, und ihr telefoniert ebenfalls miteinander. Das ist ein guter Anfang. Und die Kinder lieben die Oma Rosmarie und den Opa Heinz.«

Rosmarie musste an sich halten, außerdem wäre es gemein, das jetzt auszusprechen. Inge hatte nichts provoziert. Es war einfach so, dass die Kinder die Oma Inge und den Opa Werner mehr mochten. Fabian ging auch lieber zu seinen Schwiegereltern als zu seinen Eltern.

Heinz und sie hatten alles verkehrt gemacht, sie waren mehr mit sich statt mit ihren Kindern beschäftigt gewesen, und nun hatten sie die Quittung.

»Ich glaube, ich fahre dann auch jetzt lieber nach Hause, falls Fabian oder Ricky anrufen.«

Rosmarie war so aufgeregt, dass sie nicht bedachte, dass der Anruf wohl eher auf dem Handy statt auf dem Festnetz erfolgen würde.

Und ihr Handy hatte Rosmarie immer dabei.

Inge packte den Zitronenkuchen und die Kekse ein, dann verabschiedete sie sich von Rosmarie, begleitete sie sogar bis zur Tür und winkte ihr zu, als sie mit ihrem rasanten Auto davonfuhr, wie es sich gehörte, im rasanten Tempo. In dieser Hinsicht unterschied Rosmarie sich kaum von Sandra Münster, die mit ihrem Auto die Gegend unsicher gemacht hatte, ehe sie nach Amerika ausgewandert hatte. Sie hatte für ihre Raserei einen sehr hohen Preis bezahlt!

Inge wollte jetzt nicht an die Münsters denken, denn das würde zwangsläufig dazu führen, dass sie an Marianne von Rieding dachte, an den umtriebigen Carlo Heimberg.

Es waren schöne Zeiten gewesen, die sich nicht zurückholen ließen. Mit dem neuen Eigentümer des Anwesens war alles anders geworden. Gegen den Grafen Hilgenberg war nichts einzuwenden. Er war freundlich, zuvorkommend, und er hatte sich mit seinem Willkommensfest bekannt gemacht. Aber Feste wie früher, ein geselliges Beisammensein, das würde es nicht mehr geben. Und der Zugang zur Felsenburg war auch nur noch über einen Umweg möglich. Und da konnte man froh sein, dass es den überhaupt gab. Es bestand keine Verpflichtung, die geschichtsträchtige Ruine der Allgemeinheit zugänglich zu machen, einer stolzen Ruine, die den ganzen Sonnenwinkel dominierte und die schon etwas ganz Besonderes war.

Alles hatte seine Zeit …

An diese Worte musste Inge immer wieder denken, denn es hatte sich vieles im Sonnenwinkel verändert.

Menschen waren gekommen, Menschen waren gegangen. Sie und Werner waren älter geworden, mal zwackte es hier, mal zwackte es dort, und die grauen Haare wurden immer mehr. Die Falten im Gesicht leider auch. Pamela entwickelte sich zu einer wunderschönen jungen Dame. Nicht mehr lange, und die Verehrer würden vor der Tür Schlange stehen. Merkwürdigerweise schien die Zeit an ihren Eltern spurlos vorüber zu gehen. An denen war keine Veränderung festzustellen, die beiden waren wie immer. Sie klagten nicht über Rückenschmerzen, nicht über Schmerzen in der Hüfte oder am Knie. Sie jammerten über nichts, was das Leben mit zunehmendem Alter beschwerlich machte. Vielleicht gab es ja bei ihnen auch das eine oder andere Zipperlein, anmerken ließen sie es sich nicht.

Ihre Eltern …

Die hatte Inge heute noch nicht gesehen. Denen konnte sie direkt mal Hallo sagen, ehe sie sich wieder ihrer Bügelwäsche zuwandte. Das war so etwas, was man gern beiseiteschob. Aber es war etwas, was leider doch gemacht werden musste. Es gab keine Heinzelmännchen, die das erledigten. Sie würde nicht lange bleiben, nahm Inge sich fest vor. Sie genoss es immer wieder, mal auf einen Sprung zu ihren Eltern zu gehen, und es freute sie auch sehr, wenn ihre Mutter und ihr Vater unverhofft zu ihr kamen. Es hatte wirklich etwas für sich, wenn man Tür an Tür wohnte.

*

Ihr Vater war bereits unterwegs, er wollte einen alten Freund treffen, ihre Mutter saß in ihrem Lieblingssessel und las. Das war ihre Lieblingsbeschäftigung. Doch als Teresa von Roth ihre Tochter bemerkte, legte sie das Buch beiseite.

»Du hattest Besuch, nicht wahr? Ich habe Rosmarie Rückert gesehen.«

Das bestätigte Inge.

»Ja, und ich habe mich über Rosmaries Besuch wirklich gefreut. Früher hätte es nicht für möglich gehalten, dass es einmal so sein würde.«

»Sie hat sich sehr zu ihrem Vorteil verändert, und was sie für das Tierheim tut, das ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Apropos Gold, Rosmarie verkauft tatsächlich Stück um Stück ihres teure Schmucks und spendet den Erlös dem Tierheim. Frau Dr. Fischer ist überglücklich, auch wenn sie teilweise ein schlechtes Gewissen hat, denn sie weiß natürlich, dass Rosmarie beim Verkauf nur einen Bruchteil dessen bekommt, was der erlesene Schmuck einmal gekostet hat.«

»Mama, Rosmarie hängt nicht mehr daran, und es ist doch besser, dass sie den Schmuck verkauft und damit Gutes tut, anstatt ihn im Tresor vergammeln zu lassen.«

»Ja, das stimmt schon. Und Heinz ist wirklich über sich hinausgewachsen. Hättest du es jemals für möglich gehalten, dass er, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Tierheim ein neues Dach spendiert?«

»Nein, das hätte ich wirklich nicht, Mama. Andererseits kann er alles von der Steuer absetzen, Heinz sorgt schon dafür, dass er keinen Schaden davonträgt. Es ist gemein, so über ihn zu reden«, korrigierte Inge sich sofort, »Heinz hat sich ebenfalls verändert. Und glaubst du wirklich, dass das einzig und allein diesem kleinen Hund zuzuschreiben ist, Mama?«

Teresa zuckte die Achseln, Inge warf ihrer Mutter einen bewundernden Blick zu. Wie schön sie heute wieder aussah in ihrem blassrosa Cashmerepullover, den sie zu einem schlichten grauen Rock trug. Eine graue Perlenkette vervollständigte das Bild. Die grauen Haare hatte sie schlicht hinter die Ohren gekämmt. Aus ihrem schmalen, aristokratischen Gesicht blickten wache Augen in die Welt. Inge wurde ganz warm ums Herz, wenn sie ihre Mutter sah, und sie wünschte sich von ganzem Herzen, ihre Eltern noch für viele Jahre an ihrer Seite zu haben.

»Auf jeden Fall hat dieses Tierchen etwas in Heinz berührt«, sagte Teresa. »Vielleicht hat er eine viel empfindsamere Seele, als wir glauben, und er versteht es vortrefflich, das hinter einer Maske zu verbergen. Er war gewiss nicht immer der Mann, der er jetzt ist. Denk doch daran, wie erstaunt wir alle waren, als plötzlich wie aus dem Nichts Cecile aufgetaucht ist, seine Tochter, von deren Existenz er keine Ahnung hatte. Das Kind, das er mit seiner großen Liebe Adrienne Raymond hat, von der durch widrige Umstände getrennt wurde. Es kann doch sein, dass damals sein Herz gebrochen ist und er es seither verschlossen hielt, um nicht noch einmal eine solche Enttäuschung zu erleben.«

»Mama, du liest zu viele Romane«, sagte Inge, »auch Adrienne hat gelitten, sie wusste nicht, dass Heinz sie nicht einfach verlassen hat, sondern dass er nach Deutschland plötzlich zurück musste. Sie hat nie geheiratet, sie hat ihr Kind allein aufgezogen.«

»Was keine Schwierigkeit war, weil die Raymonds unendlich reich sind, und Adrienne jede Hilfe hatte und sich keine Sorgen machen musste. Freilich, ein gebrochenes Herz kann man mit keinem Geld auf der Welt heilen. Heute käme so etwas nicht mehr vor, da ist man international vernetzt und bleibt permanent in Verbindung. Ja, ja, die Zeiten haben sich sehr verändert.

Manches ist gut, auf manches könnte man verzichten. Manchmal bin ich richtig froh, dass ich schon so alt bin und mich nicht mehr intensiv mit all den Neuerungen beschäftigen muss.«

Teresa blickte ihre Tochter an.

»Gibt es einen Grund dafür, dass du hier bist, Inge? Wie ich weiß, wolltest du doch heute einen Bügeltag einlegen.«

Ihrer Mutter entging nichts, sie vergaß nichts.

»Ich wollte einfach nur hereinschauen, Mama«, antwortete Inge. »Vielleicht ist das auch nur ein Vorwand, weil ich mich vor dem Wäscheberg drücken will.«

»Warum gibst du die Wäsche nicht heraus, oder warum lässt du das nicht deine vortreffliche Zugehfrau machen?«, wollte Teresa wissen.

»Ach, weißt du, Mama, wenn man sich erst einmal drangemacht hat, ist es nicht so schlimm. Beim Bügeln kommen einem die besten Gedanken, und man kann auch Aggressionen abbauen.«

Teresa blickte ihre Tochter skeptisch an.

»Na ja, ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass ich mich darum nicht kümmern muss. Apropos kümmern. Ist es nicht schön, dass Sophia wieder so vieles selbst machen kann, dass man sich um sie nicht mehr kümmern muss? Ich habe es ja gern getan, und ich würde es auch weiterhin gern tun, aber Sophia war so unglücklich, immer auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Sie hat eine erstaunliche Energie.«

»Wie du, Mama. Das sind wohl eure erstklassigen Gene, immer durchzuhalten, niemals aufzugeben, stets nach vorn zu blicken. Es freut mich für Sophia. Stell dir bloß vor, wenn Angela sich nicht durchgesetzt hätte, wäre ihre Mutter im Pflegeheim gelandet, und dort hätte sie sich aufgegeben.«

»Angela hat einen hohen Preis gezahlt. Weil sie sich für ihre Mutter und nicht für ihren Ehemann entschieden hat, stand sie plötzlich mittellos da, hatte nach der Scheidung nichts mehr.«

»Mama, warum hat sie auch einen solchen Ehevertrag unterschrieben, dieser Mann hat sie so übers Ohr gehauen. Aber, dass er mit allen Wassern gewaschen ist, das sieht man ihm auch an. Ich habe diesen Menschen ja nur ein einziges Mal gesehen, doch das hat mir gelangt. Er ist durch und durch unsympathisch, und ich frage mich noch heute – wie konnte die feine Angela auf so etwas wie diesen Mann hereinfallen?«

»Inge, etwas muss sie angezogen haben. Darüber zu urteilen, geht uns nichts an. Ich bin auf jeden Fall froh, dass Angela wieder ihren Mädchennamen angenommen hat, dass nichts mehr sie an diesen Herrn Halbach erinnert. Das hat ihn ganz schön getroffen, und das ist gut so. Ich habe übrigens gestern mit Jörg telefoniert.«

Und das sagte ihre Mutter so ganz nebenbei?

»Hat er angerufen? Was hat er gesagt? Wie geht es ihm? Ist er ein wenig über die Trennung von Stella hinweg? Vermisst er die Kinder?«

Es sprudelte nur so aus Inge heraus, und Teresa wartete, bis ihre Tochter sich wieder ein wenig beruhigt hatte.

»Ich habe ihn angerufen, denn Magnus hat in einer Wirtschaftszeitung einen großen Artikel über Jörg gelesen, und ich wollte von ihm wissen, ob wir den für ihn ausschneiden sollen.«

»Und sollt ihr?«, wollte Inge wissen.

Teresa schüttelte den Kopf.

»Nein, er hat den Artikel selbst. Aber er hat sich sehr über meinen Anruf gefreut. Und was all deine Fragen betrifft, wir haben über all das nicht gesprochen, und ich glaube, dass es Jörg sehr recht war, dass all diese schmerzhaften Themen nicht berührt wurden. Wir haben uns über seine Arbeit unterhalten, über Stockholm. Und er hat Magnus und mich nach Stockholm eingeladen. Wir sollen sehr schnell kommen, und er wird sich für uns Zeit nehmen.«

»Und …werdet ihr fahren?«

Als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, antwortete Teresa: »Klar werden wir das, Jörg kümmert sich um die Tickets, und Magnus und ich freuen uns.«

So waren sie, ihre Eltern. Die waren damals in der schlimmsten Krise auch bereit gewesen, nach Australien zu fliegen und dort zu versuchen, den Familienfrieden der Auerbachs wieder herzustellen.

»Wenn ihr da seid, könnt ihr euch ja mit Jörg über seine Situation unterhalten. Er hängt an euch, vertraut euch. Und wenn er …«

Teresa unterbrach ihre Tochter.

»Inge, Magnus und ich werden gewiss nicht mit diesem Thema beginnen, wenn Jörg reden will, dann gern. Warum kannst du es nicht einfach loslassen? Jörg ist erwachsen, er hat einen verantwortungsvollen Posten, man vertraut ihm. Freilich ist es schade, dass seine Ehe gegen die Wand gefahren ist, dass die Kinder nun in Brasilien leben. Er leidet darunter, davon bin ich überzeugt. Doch Jörg ist stark, er wird nicht daran zerbrechen. Und du hör bitte auf, dir immerzu Gedanken zu machen. Und bitte, Inge, stell Jörg keine Fragen. Wenn er etwas zu sagen hat, dann wird er es von sich aus tun.«

Es stimmte alles, was ihre Mutter sagte. Aber sie war ganz anders. Inge wollte wirklich, ein wenig mehr von der Stärke ihrer Mutter zu haben.

»Mama, sollen wir zusammen einen Kaffee trinken?«, lenkte Inge ab.

»Eigentlich sollte ich ja deine Kaffeesucht nicht unterstützen, mein Kind, aber meinetwegen. Ich kann dir dann auch die ganzen Fotos zeigen, die Ricky mir von der kleinen Teresa geschickt hat. Die Kleine wird immer süßer, und was für wache Äuglein sie hat. Mit der Kleinen werden sie noch ihren Spaß haben, die lässt sich nicht die Butter vom Brot holen.«

Teresa, das Nesthäkchen von Ricky und Fabian war der Liebling aller, auch ihre Geschwister waren vernarrt in ihre kleine Schwester.

Inge war froh, dass das Gespräch jetzt eine andere Wendung genommen hatte, weg von allem, was traurig war. Über die kleine Teresa zu sprechen war wie ein Spaziergang im Morgensonnenschein. Alles war licht, verheißungsvoll, strahlend …

Inge freute sich auf die Fotos, und sie war keine Sekunde lang ungehalten, weil sie die Fotos nicht hatte, sondern dass Ricky sie an die Großeltern geschickt hatte, zu denen sie ein ganz besonderes Verhältnis hatte. Außerdem war es üblich, dass man sich untereinander austauschte.

Wenn man so wollte, dann waren sie zu beneiden, die Auerbachs und die von Roths. Sie waren sehr eng miteinander, und sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel.

*

Dr. Peter Bredenbrock hatte es geschafft, er hatte seiner Noch-Ehefrau sehr viel Geld gegeben, und Ilka hatte alles bereitwillig unterschrieben. Sie war sogar mit einer schnellen Scheidung einverstanden, und dass sie die Kinder haben wollte, davon war längst schon keine Rede mehr. Das war bitter. Im Grunde genommen war alles bitter. Er hätte wirklich nicht für möglich gehalten, einmal vor den Trümmern seiner Ehe stehen zu müssen, und er konnte nicht verstehen, dass er diese Frau einmal geliebt hatte, dass es aus dieser Ehe gemeinsame Kinder gab. Ilka war ihm so fremd geworden, dennoch würde sie immer die Mutter seiner Kinder bleiben, und deswegen würde er eine Faust in der Tasche machen, um keinen Missklang aufkommen zu lassen. Einmal Kinder, immer Kinder. Es gab viele Gelegenheiten, bei denen man sich begegnen würde, und da sollte keine Feindschaft herrschen. Von seiner Seite auf jeden Fall nicht, egal, was Ilka ihm und den Kindern angetan hatte. Es würde sie einholen, davon war er überzeugt, und er wollte und würde nichts dazu tun. Er war reich beschenkt, die Kinder waren bei ihm, und sie wollten bei ihm bleiben.

Der Notar Dr. Rückert hatte alles festgehalten, sie waren sich einig, hatten unterschrieben, jetzt war die Scheidung nur noch eine Formsache.

Eigentlich hätten sie sich jetzt trennen können, und jeder wäre seine eigenen Wege gegangen. Jeder auf seine Weise glücklich. Ilka, weil ihr unvermutet ein großer Batzen Geld in den Schoß fallen würde, der ihr nicht zustand, und Peter, weil durch diese Regelung endlich Frieden einkehren würde. Und das war für Maren und Tim unbedingt nötig. Die beiden hatten genug durchgemacht und waren endlich dabei, sich ein wenig zu stabilisieren. Vor allem haderten sie nicht mehr mit ihrem Schicksal. Sie begannen, sich im Sonnenwinkel einzuleben, es gefiel ihnen sogar. Das war etwas, was er nach den anfänglichen Schwierigkeiten nicht für möglich gehalten hätte. Gut, die Kinder hatten Freundschaften geschlossen. Und Sophia und Angela von Bergen waren für Maren und Tim mittlerweile so etwas wie Familie. Ganz besonders Angela und Tim waren ein Herz und eine Seele, und das freute Peter ganz besonders. Tim hatte besonders unter dem Verlust seiner Mutter gelitten, und es hatte lange gedauert, bis er darüber hinweggekommen war, dass die Mutter einfach gegangen war, um sich zu verwirklichen und um Spaß zu haben.

»Trinken wir noch etwas zusammen, Ilka?«, erkundigte Peter sich aus seinen Gedanken heraus.

Damit war Ilka sofort einverstanden. Noch hatte sie das Geld ja nicht, noch musste sie ihn bei Laune halten. Sie hatten zwar unterschrieben, doch so ganz trauerte Ilka dem Braten noch immer nicht. Es ging ihr nicht in den Kopf hinein, wie jemand ohne Verpflichtung und ohne Not freiwillig dieses viele Geld zahlen wollte.

Peter kannte sich in der Gastronomie von Hohenborn überhaupt nicht aus. Die Schüler gingen meistens ins ›Calamini‹, doch das war keine gute Idee, er wollte nicht gewissermaßen auf dem Präsentierteller sitzen, irgendeine Freistunde hatte immer jemand, und dann hingen sie im ›Calamini‹ ab.

Ilka entdeckte ein Bistro, und dahin wollte sie unbedingt gehen. Peter hatte nichts dagegen.

Gemeinsam liefen sie über den Marktplatz wie zwei Fremde, dabei waren sie sich doch einmal so nahe gewesen. Es war alles weg. Bei ihm war der Bitterkeit die Gleichgültigkeit gefolgt. Und es war schon erschütternd, in Ilka eine Fremde zu sehen. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen.

Spätestens jetzt beglückwünschte er sich zu seiner Entscheidung, ihr viel Geld zu geben. Sie wäre ja nicht aus Liebe zu ihm und den Kindern zurückgekehrt, sondern nur um der finanziellen Vorteile willen. Das war traurig, aber wahr. Das zu erkennen, erschütterte Peter sehr.

Das Bistro war keine schlechte Wahl. Es war sehr hübsch eingerichtet. Sie fanden einen Tisch in einer kleinen Nische in Fensternähe, der ein wenig abseits stand, was Peter begrüßte. Sollte Ilka, aus welchem Grund auch immer, eine Szene machen, würde das nicht jeder mitbekommen. Das Bistro war doch recht gut besucht.

Peter bestellte sich einen doppelten Espresso. Den brauchte er jetzt, denn er hatte vor lauter innerer Anspannung leichte Kopfschmerzen bekommen. Das kam nur sehr selten vor, normalerweise war er ein gefestigter, ausgeglichener Mensch. Wenn Emotionen im Spiel waren, wenn es um unschöne und ungeklärte Situationen ging, blieb niemand unberührt. So etwas nahm jeden mit, auch den stärksten Mann.

Ilka schien allerdings von allem unberührt. Sie bestellte sich einen doppelten Wodka. Peter verkniff sich eine Bemerkung, auf jeden Fall stellte er fest, dass sie ihre Trinkgewohnheiten sehr geändert hatte, wahrscheinlich unter dem Einfluss dieses Rockers, zu dessen Image es gehörte, harte Drinks zu konsumieren. Während ihrer Ehe hatte Ilka nur mäßig Alkohol getrunken. Schnäpse überhaupt nicht. Als Peter sah, wie sie den Wodka in sich hineinkippte, konnte man annehmen, dass sie es gewohnt war, auch tagsüber harte Drinks zu trinken und nicht erst, wenn die Säufersonne aufging. Sie hatte sich verändert. Das war nicht mehr die Frau, die er geheiratet hatte. Sollte er jetzt dazu eine Bemerkung machen? Nein, es ging ihn nichts mehr an, und es ging ihn auch nichts an, dass sie sich jetzt einen zweiten doppelten Wodka bestellte. Er konnte es sich einfach nicht verkneifen, er bestellte für sie dazu ein Mineralwasser, das trug ihm einen bösen Blick ein. Doch damit konnte er leben. Er war nicht zu seinem Spaß hier, er wollte einiges sagen, und das funktionierte nur, wenn sie nicht betrunken war.

»Ilka, ich möchte, dass du weißt, dass ich dir Maren und Tim keinesfalls vorenthalten möchte. Du bist ihre Mutter, und ich wünsche mir nichts mehr, als dass wieder ein ­Vertrauensverhältnis zwischen euch herrscht. Das ist derzeit leider überhaupt nicht absehbar. Maren und Tim sind zutiefst verletzt, sie haben das Vertrauen zu dir verloren.«

»Das hast du bereits einmal gesagt«, wandte sie ein, »also, wiederhole dich nicht.«

Sie war unglaublich, dennoch sagte Peter nichts, sondern fuhr fort: »Derzeit kommt es einzig und allein darauf an, dass Maren und Tim sich wieder stabilisieren, dass der Schaden in deren Seelen, den du durch dein plötzliches Verschwinden angerichtet hast, verschwindet, und wenn sie dich dann sehen möchten, werde ich ihnen nicht im Wege stehen, denn ich weiß sehr genau …«

Ilka unterbrach ihn einfach.

»Peter, du langweilst mich, und erspar dir bitte alle weiteren Worte. Sobald alles klar ist, sobald wir geschieden sind und ich die Kohle auf meinem Konto habe, verschwinde ich von hier. Ich werde nach Ibiza gehen und mir dort ein neues Leben aufbauen, mir wohlgemerkt. Mir, wohlgemerkt. Maren und Tim sind bei dir bestens aufgehoben. Du bist ein guter Mensch, ein guter Vater. Du kannst ihnen alles geben, was sie brauchen. Ehrlich gesagt, wären mir die beiden in meinem neuen Leben nur ein Klotz am Bein.«

Er blickte sie entgeistert an.

»Ilka, es ist noch nicht lange her, da wolltest du zu mir zurück, da wolltest du die Kinder haben. Hast du das schon vergessen?«

Sie kippte den zweiten doppelten Wodka in sich hinein.

»Meine Güte, wie naiv bist du eigentlich? Es wäre für mich die einzig denkbare Lösung gewesen. Ohne Geld geht nichts, da hätte ich halt in den sauren Apfel gebissen. Wenn ich nun von dir die Kohle bekomme, ohne etwas dazu tun zu müssen, dann wäre ich doch hirnverbrannt, wenn ich dieses großzügige Angebot nicht annehmen würde. Ich kann es tun, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, Maren und Tim sind bei dir bestens aufgehoben. Du hast dir für die beiden immer schon ein Bein ausgerissen. Kinder sind wohl dein Ding, sonst wärst du ja auch nicht Lehrer geworden. Wie gesagt, mach dir keine Sorgen, ich verschwinde aus eurem Leben. Besser kann es für mich nicht sein.«

Sie winkte die Bedienung, um sich einen dritten Wodka zu bestellen. Das war für Peter das Zeichen, aufzustehen. Er hatte hier nichts mehr verloren. Er hatte sich den Kopf zerbrochen, er hatte eine Lösung finden wollen, die allen gerecht wurde. Dabei war Ilka wirklich nur an dem Geld interessiert.

Er legte einen Geldschein auf den Tisch, der noch für ein paar Wodka mehr reichen würde, dann nickte er ihr zu.

»Dann ist ja alles gesagt, Ilka. Wir machen es so, wie der Notar es vorgeschlagen hat. Ich hoffe, du weißt, was du tust. Kinder sind das Wertvollste, was man auf der Welt haben kann. Ich habe versucht, dir zu erklären, welchen Weg es für euch zueinander geben kann. Du hast mir nicht einmal zugehört. Aber bitte, es ist deine Entscheidung.«

»Peter, du redest wie ein Pastor. Ich habe genug davon. Für mich ist alles gut, und ich denke für Maren und Tim ebenfalls.

Mutter zu sein ist nichts, worum man sich reißen muss. Ich hätte ohne Kinder auskommen können, doch für dich gehörten sie ja zu einer Ehe. Ich bin noch jung genug, um so richtig auf den Putz hauen zu können. Und ich werde es krachen lassen, und danach …«, sie zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt, mache ich mir keine Sorgen um meine Zukunft. Männer sind so leicht um den Finger zu wickeln, ich werde wieder jemanden finden, ein Rockmusiker muss es allerdings nicht mehr sein, die sind zu anstrengend und zu unbeständig. Aber ein Normalo wie du … dem kann man einiges vormachen.«

Ihm wurde schlecht.

Es musste eine andere Frau sein, die er einmal geheiratet hatte, aus Liebe. Und sie hatten eine gute Ehe geführt, zumindest hatte er das geglaubt. Hatte sie ihm die ganzen Jahre über etwas vorgemacht? Diesen Gedanken wollte er nicht fortsetzen, denn das brachte nichts als Bitterkeit.

»Ilka, mach es gut«, stieß er hervor, ehe er ging, ohne ihr die Hand zu geben. Das erwartete sie offensichtlich auch überhaupt nicht.

Er stürmte aus dem Bistro, draußen blieb er stehen, atmete tief durch.

Wenn man so wollte, dann hatte er sein Ziel erreicht, doch ein Gefühl des Triumphes kam nicht in ihm auf. Er war traurig, zutiefst traurig, ein wenig auch seinetwegen, doch in erster Linie wegen Maren und Tim.

Ihre Mutter wollte sie überhaupt nicht!

Die beiden waren für Ilka nur so etwas wie eine Ware gewesen, für die man einen hohen Preis bekam.

Wie unglaublich war das!

Noch sprachen seine Kinder nicht über ihre Mutter, doch irgendwann würden sie Fragen stellen, vielleicht ihre Mutter treffen wollen. Peter hatte nicht die geringste Ahnung, was er den Kindern dann sagen sollte. Die Wahrheit würden sie nicht verkraften, die musste er für sich behalten. Ilkas hartherzige Worte waren in seinem Inneren wie eingemeißelt, und dort mussten sie auch bleiben. Es wäre einfach, Maren und Tim zu erzählen, wie deren Mutter drauf war. Damit würde er punkten können und die beiden noch mehr gegen Ilka aufbringen. Er würde aber auch einen noch größeren Schaden anrichten, die Wahrheit würde Maren und Tim den Boden unter den Füßen ganz wegziehen. Und das wollte er nicht, auf keinen Fall. Er wollte, dass sie glücklich und zufrieden waren, und bis dahin lag noch ein weiter Weg vor ihnen.

Ehe Peter Bredenbrock nach Hause fuhr, kaufte er für Tim das Computerspiel, das er unbedingt haben wollte und für das er eisern sparte.

Bislang war Peter dagegen gewesen, weil er das Spiel nicht lehrreich fand. Spaß würde Tim auf jeden Fall damit haben, und er würde sich sehr, sehr freuen. Also musste Peter nicht lange überlegen.

Für Maren kaufte er die Tasche, die eigentlich für überhaupt nichts gut war, für die sich Maren allerdings am Schaufenster sehnsuchtsvoll die Nase platt gedrückt hatte.

Mit Computerspielen und mit schrecklichen Taschen heilte man keine Seelen, aber man konnte Freude erzeugen, und die würden Maren und Tim haben. Und das war es, was augenblicklich zählte.

Ihre Mutter wollte sie nicht …

Das war starker Tobak, und damit musste man erst einmal fertig werden.

Peter wusste, dass es eine Weile dauern würde, ehe er das verarbeitet hatte.

Es ging ihm nicht gut, er hatte starke Kopfschmerzen, er hielt es im Kopf nicht aus. Diese Redewendung traf voll auf ihn zu.

*

Roberta hatte sich mittlerweile davon erholt, dass Lars ihr den wunderschönen Ring einfach so gekauft hatte, weil er an sie gedacht hatte und weil er sich sicher gewesen war, dass der Ring ihr gefallen würde.

Er gefiel ihr, das war keine Frage und sie hatte keine Ahnung, wie oft sie schon auf ihren Finger gestarrt hatte, an dem der Ring blitzte. Lars musste ein Vermögen dafür ausgegeben haben. Dass er sehr großzügig war, das hatte sie längst festgestellt.

Wie peinlich, wenn Lars dahintergekommen wäre, dass sie tatsächlich geglaubt hatte, er wolle ihr einen Heiratsantrag machen. Sie verdrängte es ja immer wieder, doch der Wunsch, geheiratet zu werden, Kinder mit ihm zu bekommen, war wohl sehr, sehr tief in ihr. Sonst hätte sie nicht so reagiert, sonst wäre sie nicht für einen Augenblick im siebten Himmel gewesen.

Wie schrecklich, wenn sie vor lauter Vorfreude ›Ja‹ gerufen hätte, ehe von ihm die entscheidende Frage gestellt worden wäre.

Das wäre peinlich gewesen, sehr peinlich.

Sie war mit Lars zusammen, sie liebten sich, er war ihr Mr Right mit kleinen Schönheitsfehlern, man konnte nicht alles haben.

Und sie musste ihr Wunschdenken, was Heirat und Kinder betraf, endgültig aufgeben, um nicht erneut in peinliche Situationen zu geraten. Solche Gedanken konnten nur peinlich sein, wenn einer sie verfolgte und der andere nichts davon wissen wollte oder vielleicht ein vages ›nicht ausgeschlossen‹ im Raum stehen ließ.

Roberta bat Ursel Hellenbrink, ihr den nächsten Patienten hereinzuschicken, und Roberta war hocherfreut, Teresa von Roth zu erblicken. Sie war allerdings ein wenig verwundert, warum Teresa zu ihr ins Behandlungszimmer kam. Sie wollte doch nur ein Rezept für ihren Mann abholen.

»Frau von Roth, das Rezept liegt bei Frau Hellenbrink«, sagte sie nach der herzlichen Begrüßung.

Teresa lachte.

»Ich weiß, ich habe es auch bereits in meiner Tasche. Ich will Sie jetzt auch nicht lange aufhalten, Frau Doktor. Ich finde nur, dass es an der Zeit ist, Ihnen unsere Anerkennung zu zeigen.«

Nach diesen Worten zauberte Teresa von Roth hinter ihrem Rücken einen wunderschönen Strauß erlesener weißer Blumen hervor.

»Sie lieben doch weiße Blumen, nicht wahr, Frau Doktor?«

Roberta war gerührt. Dass Teresa sich das gemerkt hatte, mehr noch war sie allerdings davon gerührt, dass es mit einem Blumenstrauß hier im Sonnenwinkel angefangen hatte, mit Blumen, die Teresa und Magnus von Roth ihr gebracht hatten, und die ihren ersten Patienten gewesen waren, ohne etwas zu haben. Sie waren gekommen, um den Bann zu durchbrechen, der anfangs auf der Praxis gelegen hatte. Die Patienten hatten sie boykottiert, weil sie dem vortrefflichen Dr. Riedel nachtrauerten, der nach Philadelphia gezogen war und ihr die Praxis im Sonnenwinkel überlassen hatte. An diese Zeit wollte Roberta sich nicht mehr erinnern, den es war die schrecklichste Zeit ihres Lebens gewesen. Sie hatte noch unter den Folgen ihrer Scheidung von Max zu leiden, war sich überhaupt nicht sicher, ob es richtig gewesen war, auf dem Lande einen Neuanfang zu wagen. Und dann war wirklich niemand gekommen.

»Frau von Roth, vielen Dank. Die Blumen sind wunderschön, und sie erinnern mich an den Strauß, den Sie und Ihr Mann mir geschenkt haben, als ich hier angefangen habe.«

»Frau Doktor, das ist lange her. Und ich möchte Sie auch überhaupt nicht lange aufhalten, Sie haben genug zu tun. Ich finde, es ist einfach an der Zeit, Ihnen zu sagen, welcher Gewinn Sie für uns sind, wie dankbar wir sein können, dass Sie sich hier niedergelassen haben, welch großartige Arbeit Sie leisten.«

Roberta wurde rot.

»Frau von Roth, ich mache meinen Job. Ich bin Ärztin.«

Teresa nickte.

»Und was für eine. Es geht nicht darum, dass Sie als Medizinerin unschlagbar sind, Sie sind eine hervorragende Diagnostikerin, Sie kennen sich in jedem Bereich aus. Nein, Ihre große Stärke ist, den Patienten zuzuhören, sie nicht zu unterbrechen, sondern aussprechen zu lassen, Sie stellen nicht, wie allgemein üblich, nach zehn oder zwanzig Sekunden die erste Zwischenfrage. Und noch etwas, Sie sehen Ihre Patienten an und heften nicht den Blick auf den Bildschirm. Außerdem geht es nicht darum, was gesagt wird, sondern wie. Ach, Frau Doktor, ich könnte noch stundenlang darüber reden, wie großartig, wie wunderbar Sie sind. Doch Sie haben zu tun, und ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Das musste aber mal gesagt werden.«

Roberta konnte vor lauter Rührung erst einmal nicht sagen, und sie hatte Mühe, jetzt ihre Tränen zurückzuhalten.

Sie bedankte sich bei Teresa, und nachdem die gegangen war, blieb Roberta noch ein paar Minuten allein, ehe sie den nächsten Patienten hereinbat.

Die Vergangenheit tauchte vor ihrem geistigen Auge auf, der schreckliche Rosenkrieg mit Max, der sich alles unter den Nagel reißen wollte, der missglückte Neuanfang im Rosenwinkel, der sie so manches Mal zur Verzweiflung gebracht hatte, dann hatte sie Kay kennengelernt, Kay Holl, den etablierten Aussteiger, durch den sie wieder ihr Lachen gefunden hatte, in den sie verliebt gewesen war und sich doch nicht getraut hatte, sich wirklich auf ihn einzulassen, weil ihre Lebensauffassungen einfach zu unterschiedlich gewesen waren. Anfangs war sie traurig gewesen, weil sie sich das mit Kay selbst vermasselt hatte, doch mittlerweile wusste sie, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Kay war für sie sehr wichtig gewesen, er hatte sie aufgebaut, mit ihm war sie über den See gerudert, sie hatten sich geliebt, waren auf Wolke Sieben gewesen. Alles hatte seine Zeit. Das Leben spielte sich auf der Erde ab, und seit sie Lars kannte, wusste sie, worauf es wirklich ankam im Leben und dass man sich auf Augenhöhe begegnen musste. Dann war man frei von der Angst, den anderen zu verlieren, ihm nicht zu genügen.

Ihr Blick fiel auf die wunderschönen Blumen, die Teresa ihr gebracht hatte.

Sie war angekommen, sie war glücklich, weil sie alles hatte, worum sie zu beneiden war. Einen Partner, der sie liebte, eine tolle Praxis, ein Haus, das ihr gehörte, und sie hatte den allerschönsten Beruf von der ganzen Welt. Sie war Ärztin mit Leidenschaft. Sie hatte nette Patienten. Es ging ihr gut, es ging ihr sehr gut, und sie musste für das Leben, das sie führen durfte, dankbar sein.

Ihr Blick fiel auf den Ring, sie lächelte, dann bat sie Ursel Hellenbrink, ihr den nächsten Patienten zu schicken.

Ursel Hellenbrink, nicht zu vergessen ihre Alma, die gehörten auch zu ihrem Leben.

Als sie allerdings an Alma dachte, fiel ihr siedendheiß der Kunsthändler ein, der von dem Bild, das im Wartezimmer hing und das Alma gemalt hatte, total begeistert gewesen war. Sie hatte es verdrängt. Aus Angst, Alma könne sie verlassen, um den Kunstmarkt zu erobern? Sie würde mit Alma reden, noch heute.

Der Patient, der ins Behandlungszimmer kam, machte ihr Sorgen. Er hielt sich nicht an das, was sie ihm sagte. Er hörte nicht zu. Leider war er kein Einzelfall, sie hatte mehrere solcher Kandidaten.

»Herr Greiner, Ihre Blutwerte haben sich erneut verschlechtert, und ich lehne jetzt eine weitere Behandlung ab, weil ich es nicht länger verantworten kann. Sie sind ein erwachsener Mann, übernehmen Sie die Verantwortung für sich selbst, suchen Sie sich einen Arzt in Hohenborn, lassen Sie es bleiben. Es ist Ihre Verantwortung allein.«

Er blickte sie entsetzt an.

»Frau Doktor, das können Sie nicht tun«, rief er.

»Herr Greiner, ich muss es tun. Sie schlittern auf einen Schlaganfall zu, und da kann ich nicht länger zusehen.«

»Ja aber …«

Sie unterbrach ihn.

»Herr Greiner, es gibt kein Aber.«

»Ich bin Privatpatient, an mir verdienen Sie mehr Geld.«

So etwas machte Roberta wütend. Für sie zählten die Patienten, und sie behandelte alle gleich, ob nun Privat- oder Kassenpatient, und sie bevorzugte wirklich niemanden.

»Dann wird sich sicher einer meiner Kollegen freuen, wenn Sie zu dem gehen. Mich können Sie nicht beeindrucken. Und es ändert auch nichts an der Tatsache, dass Sie uneinsichtig sind. Ich wünsche Ihnen anderswo viel Glück.«

Sie wollte damit das Gespräch beenden, doch sie hatte nicht mit Herrn Greiner gerechnet. Der bekam jetzt wirklich Angst, er entschuldigte sich, und er versprach Roberta hoch und heilig, nicht mehr renitent zu sein, sich peinlichst an deren Anweisungen zu halten.

»Ich habe nicht geglaubt, dass es so ernst mit mir ist«, sagte er, »wenn jemand es in den Griff bekommt, dann doch Sie, Frau Doktor. Bitte, behandeln Sie mich weiter.«

Roberta überlegte einen Augenblick, dann sagte sie klipp und klar, unter welcher Voraussetzung sie ihn weiterhin behandeln würde, und Herr Greiner war unendlich dankbar.

Als er ging, war sich Roberta sicher, dass er es endlich kapiert hatte. Er gehörte zu den Männern, die sich nicht eingestehen wollten, dass sie wirklich krank waren, die glaubten, wenn sie nur fest daran glaubten, gesund zu sein, dass es dann auch so war. Sie hatte ihm schonungslos gesagt, wie es um ihn stand, und sie hatte ihm in tiefschwarzer Farbe ausgemalt, welche Folgen auf ihn zukommen würden, wenn er nicht endlich ihre Anweisungen befolgte. Normalerweise sagte es Roberta nicht in einem solchen Tonfall, doch manchmal half halt nur die Holzhammermethode.

Die nächste Patientin war einfach. Eigentlich müsste sie nicht so häufig in die Praxis kommen. Roberta wurde mittlerweile das Gefühl nicht los, dass die Frau einsam war und ein wenig Ansprache brauchte, die sie bei ihr zu finden hoffte. Roberta nahm sich fest vor, mehr über diese Patientin zu erfahren, mehr, als in der Krankenakte stand. Es gab leider viele Menschen, die sehr einsam waren, und es war schon erschütternd zu wissen, dass sie zum Arzt gingen, um reden zu können.

Um nicht zu vergessen, dass sie nachforschen wollte, machte Roberta sich direkt einen Vermerk. Schade, dass Teresa von Roth bereits die Praxis verlassen hatte, dass sie vor der Patientin da gewesen war, mit der hätte sie reden können. Teresa kannte nicht nur eine Menge Leute, nein, sie und ihre Tochter waren auch unglaublich engagiert und hilfsbereit. Von solchen Menschen müsste es mehr geben.

»Frau Lehmann, was kann ich denn heute für Sie tun?«, erkundigte Roberta sich freundlich.

Frau Lehmann war eine kleine, zarte Frau, und Roberta fragte sich unwillkürlich, ob sie auch genug aß. An ihren Werten war nichts erkennbar, doch das besagte nichts.

Frau Lehmann begann sofort über ihre derzeitigen Wehwehchen zu sprechen, und Roberta wurde sofort klar, dass sie sich nicht geirrt hatte. Der Frau fehlte nichts, sie war nur allein. Wobei das Wort ›nur‹ schlimm war. Allein sollte sich niemand fühlen.

Roberta ging auf Frau Lehmann ein, sie nahm sie ernst, doch sie hatte nicht alle Zeit der Welt.

»Frau Lehmann, nehmen Sie bitte von diesen Tabletten, die ich Ihnen jetzt gebe, jeweils morgens und abends eine. Das ist ein Aufbaupräparat, damit werden Sie zu Kräften kommen.«

Frau Lehmann war überglücklich.

Roberta bestellte die Patientin für die nächste Woche. Das machte Frau Lehmann erkennbar glücklich. Roberta war sich sicher, dass sie dann über die Frau eine Menge erfahren hatte und dass es für deren Probleme auch eine Lösung geben würde.

Ja, so etwas gehörte für Roberta ebenfalls zu ihrem Beruf. Das machte zwar mehr Arbeit, brachte kein Geld, aber so dachte sie zum Glück nicht. Sonst hätte sie sich vermutlich auch nicht im Sonnenwinkel niedergelassen. Eine große Praxis in der Stadt war einfacher zu händeln, brachte viel mehr Geld. Aber hier war sie näher am Patienten dran. Für sie war es erfüllender, und sie wollte mit niemandem tauschen.

Zufriedenheit, Glück, Erfüllung, das alles konnte man mit Geld nicht kaufen.

Ihr Leben war schön …

*

Um es nicht wieder zu vergessen, stürmte Roberta sofort zu Alma in die Küche, die am Herd hantierte. Es roch köstlich.

»Schön, dass Sie da sind, Frau Doktor. Das Essen ist fertig, und ich hoffe, dass Sie es genießen können, ohne abgerufen zu werden und ich es wieder aufwärmen muss.«

»Alma, ehe wir essen, muss ich Ihnen etwas erzählen.« Und dann sprach Roberta über den Kunsthändler, der zufällig in ihre Praxis hereingeschneit war, der auf der Durchreise gewesen war und sich so sehr für das Bild begeistert hatte, das Alma gemalt hatte.

»Er hält Sie für ein sehr großes Talent, er möchte mit Ihnen in Kontakt treten, er möchte Ihnen abkaufen, was Sie gemalt haben, er möchte Sie vertreten.«

Alma hatte ungerührt zugehört, sie trug für die Frau Doktor und für sich das Essen auf. Das war ein schönes Ritual, dann setzte sie sich ebenfalls.

Nun verstand Roberta überhaupt nichts mehr.

Warum sagte Alma nichts?

»Alma, haben Sie mir eigentlich zugehört? Haben Sie verstanden, was ich Ihnen da gerade gesagt habe?«

Alma aß zunächst ein wenig von der köstlichen Fischpfanne, dann sagte sie: »Ich habe zugehört, und ich habe verstanden. Doch was soll ich dazu sagen? Ich bin keine Malerin, ich will keine werden, und ich bin mit einem Leben mehr als zufrieden. Ich möchte kein anderes haben. Mein Job macht mir Freude, ich habe eine wunderschöne Wohnung, ich reise mit unserem Gospelchor herum, ich habe Freunde. Bislang hat mir die Malerei ebenfalls Freude gemacht, doch wenn ich andauernd bedrängt werde, dann lasse ich es.«

»Alma, bei Ihrem damaligen Lehrer war ich mir nicht so sicher, ob er Ihr Talent meint oder ob es sein Interesse an Ihnen ist. Aber dieser Kunsthändler. Dass der dieses Bild im Wartezimmer gesehen hat, das war ein Zufall. Der Mann wirkte seriös. Es ist eine Chance, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten, Alma.«

Ungerührt trank Alma einen Schluck, dann blickte sie Roberta an.

»Frau Doktor, Sie sind nicht nur ein ganz besonderer Mensch, nein, Sie sind auch eine ganz besondere Ärztin. Sie hätten alle Möglichkeiten dieser Welt, und dennoch haben Sie sich für den Sonnenwinkel entschieden. Da könnte man auch sagen, dass Sie Ihre außergewöhnliche Begabung verschwenden.«

Das war ein Argument, auf das Roberta zunächst keine Antwort hatte. Etwas sagen konnte sie schon. »Aber ich arbeite in meinem Beruf, der mir Freude macht, der meine Erfüllung ist. Sie könnten mit Ihrer Malerei vieles bewegen, vor allem könnten Sie sehr viel Geld verdienen, und wenn Sie …«

Alma unterbrach ihre Chefin einfach, und das kam wirklich so gut wie überhaupt nicht vor.

»Frau Doktor, ich weiß ja, dass Sie es gut meinen, aber geben Sie sich bitte keine Mühe, ich bin nicht umzustimmen, weil das nicht mein Leben wäre, es sei denn, Sie wollen mich nicht mehr um sich haben.«

Roberta war so verblüfft, dass ihr die Gabel aus der Hand rutschte, auf dem Tellerrand landete.

»Alma, haben Sie den Verstand verloren? Sie sind das Beste, was mir passieren konnte. Ich bin so unendlich froh, dass es Sie gibt.«

Alma nickte zufrieden.

»Dann lassen Sie uns bitte mit diesem Thema aufzuhören. Es nervt, ehrlich gesagt.«

»Und der Kunsthändler, der erwartet Ihren Anruf, ich habe es versprochen.«

Alma seufzte.

»Also gut, geben Sie mir die Nummer, ich werde ihn anrufen und absagen. Am liebsten würde ich Sie bitten, das für mich zu erledigen, doch dann könnte er glauben, Sie hätten mir nichts erzählt. Und feige bin ich nicht … Möchten Sie einen kleinen Nachschlag haben?«

»Ja, bitte, Alma, Sie haben sich heute wieder einmal übertroffen. Diese Fischpfanne erinnert mich an etwas.«

Alma lachte.

»An den ›Seeblick‹, Roberto Andoni hat mir das Rezept vor seiner Abreise gegeben, weil er weiß, wie verrückt Sie nach der Fischpfanne sind.«

Ja sicher, dass sie nicht direkt darauf gekommen war.

»Das war wirklich nett von Roberto, er hat ja normalerweise seine Rezepte gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Aber Sie hatten ja auch einen sehr guten Draht zu ihm.«

Alma nickte.

»Nachdem ich begriffen hatte, dass er kein Konkurrent für mich ist. Es ist schade, dass die Andonis nach Italien gegangen sind. Auch sie war ja eine sehr nette Frau, und die Kleine, die war wirklich zum Anbeißen. Ob sie das zweite Kind mittlerweile schon haben?«

»Nein, das dauert noch ein bisschen. Sie werden es mich sofort wissen lassen. Sie fehlen mir ebenfalls, ganz besonders die kleine Valentina. Aber sie fühlen sich in ihrer neuen Heimat unendlich wohl, und das ist es doch, was zählt.«

»Wer fühlt sich in der Toscana nicht wohl, das ist ein besonderes Fleckchen Erde. Als junges Mädchen war ich mal dort, und eine Reise dorthin steht bei mir noch immer ganz oben. Da gibt es wundervolle Motive, und das Licht soll ganz besonders sein.«

»Also bedeutet Ihnen die Malerei doch etwas, Alma«, rief Roberta.

»Ja, aber nur als Hobby, da kann ich herrlich entspannen. Es ist schon verrückt, dass ich es früher niemals mit der Malerei versucht habe. Da wäre mir manches erspart geblieben, und ich hätte nicht so höllisch gelitten.«

Alma hatte wirklich Schreckliches hinter sich, Roberta vermied es, darauf jetzt einzugehen. Sie sagte vielmehr: »Sie wissen schon noch, dass Robertos Einladung auch für Sie gilt. Es gibt auf dem Anwesen ein wunderschönes Gästehaus.«

Alma blickte ihre Chefin zweifelnd an.

»Ich weiß, das hat Herr Andoni gesagt. Doch glauben Sie, dass es ihm ernst damit war?«

»Sehr, sehr ernst, Alma. Und wenn Sie Lust haben, dieser Einladung zu folgen, dann können Sie es jederzeit tun. Die Andonis würden sich sehr freuen. Das sind ganz herzliche Menschen.«

»Das stimmt, ich glaube, das kann man von der neuen Besitzerin des ›Seeblicks‹ nicht behaupten. Ich war nur einmal da, da machte sie einen ein wenig abwesenden Eindruck, und es waren kaum Gäste im Restaurant.«

Darauf ging Roberta ein.

»Und das ist das Problem, Julia Herzog hat große Sorgen, sie hat sich von der Eröffnung ihres ersten eigenen Restaurants mehr versprochen. Immerhin ist sie eine erfahrene Köchin, sie hat für ihren früheren Chef sogar einen Stern erkocht.«

»Aber nicht mit vegetarischer und veganer Küche«, wandte Alma ein. »So etwas kann man nebenbei mit anbieten oder in einer Großstadt. Es hier zu tun, ist ein Wagnis. Ich glaube, das wird nichts, und es tut mir leid für die arme Frau. Niemand gesteht sich gern eine Niederlage ein.«

»Ich glaube, so schnell wird Frau Herzog nicht aufgeben. Es ist schließlich ihr Lebenstraum, den sie sich da erfüllt hat, so etwas lässt man nicht so schnell sterben. Ich empfehle den neuen ›Seeblick‹ immer wieder, ins Restaurant zerren kann ich niemanden. Aber den Grafen Hilgenberg habe ich dort schon gesehen, und ich weiß, dass er im ›Seeblick‹ auch das Mittagessen für seine Mitarbeiter bestellt.«

»Das wundert mich aber. So wie der sich abschottet, hätte ich eher vermutet, dass er da oben eine eigene Köchin hat, für sich und für sein Personal.«

Alma gab das wieder, was viele dachten. Mit dem Grafen Hilgenberg hatte sich halt alles verändert.

»Alma, der Graf ist ein sehr netter Mensch, und man kann ihm doch nicht vorwerfen, dass er einen anderen Lebensstil hat als die Münsters oder Marianne von Rieding.«

»Niemand darf das Grundstück betreten, und die Felsenburg ist nur über Umwege erreichbar.«

»Aber sie ist erreichbar, er hätte es nicht erlauben müssen. Und mal ehrlich, die Leute regen sich furchtbar auf, dabei ist kaum jemand mal zur Felsenburg hinaufgewandert. Und ich würde es auch nicht haben wollen, dass jemand quer über mein Anwesen läuft. Es gibt so etwas wie eine Privatsphäre.«

Alma zuckte die Achseln.

»Ich glaube, die Blaublüter halten sich für etwas Besseres, und Graf Hilgenberg, das ist ein großer Name. In der Siedlung erzählen sie, dass er einen unendlich langen Stammbaum hat.«

»Das kann nicht jeder von sich behaupten, und dafür, dass er aus einer so traditionsreichen Familie stammt, halte ich den Grafen für sehr bodenständig. Und Sie, meine liebe Alma, halte ich für einen Snob.«

Alma lachte.

»Ich habe es nun mal nicht so mit den Blaublütern«, gab sie zu.

Roberta schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein.

»Und das haben Sie mit meiner Freundin Nicki gemeinsam«, sagte sie und erinnerte sich daran, dass Nicki noch immer nicht mit dem Grafen gesprochen hatte. Und das konnte Roberta überhaupt nicht verstehen. Der Graf war der Mathias, nach dem Nicki sich die Hacken abgelaufen hatte. Sie hatte alles versucht, ihn zu finden und dafür Wahrsager, Kaffeesatzleser, Kartenleger und was sonst noch bemüht und hatte dafür viel Geld ausgegeben.

Schon, es war ein wenig unglücklich gewesen, als sie sich plötzlich auf dem Kennenlernfest gesehen hatten. Nicki war aus allen Wolken gefallen, doch sie hätte nicht davonlaufen müssen. Und immerhin hatte Graf Hilgenberg alles versucht, sie zu treffen, um alles zu erklären. Nicki konnte manchmal wirklich stur sein wie ein Panzer. Und feige war sie dazu. Warum traf sie den Grafen nicht? Er war als Mensch kein anderer geworden, und hinter dem war sie schließlich her gewesen wie der Teufel hinter der Seele.

Nicki war wirklich ihre allerbeste Freundin, sie konnten sich aufeinander verlassen, zwischen sie passte kein Blatt Papier, so eng war ihre Freundschaft. Aber manchmal verstand sie Nicki nicht, da war und blieb sie ihr ein Rätsel.

Alma war über diese Antwort erfreut, sie mochte Nicki sehr, doch die Tatsache, dass sie ebenfalls etwas gegen die sogenannten Blaublüter hatte, ließ sie in Almas Achtung nur noch steigen.

»Die Frau Beck war schon lange nicht mehr hier. Das ist schade, sie bringt immer Leben ins Haus. Und es macht eine solche Freude, für sie zu kochen. Egal, was man ihr vorsetzt, sie ist immer begeistert.«

Roberta hätte jetzt anführen können, dass sie das ebenfalls war. Sie ließ es bleiben, weil sie zu ihrer Freundin nicht in Konkurrenz treten wollte. Nicki hatte halt ein sonniges Gemüt, sie konnte sehr schnell Menschen für sich begeistern, im Gegensatz zu ihr.

Sie war eher zurückhaltend, das allerdings nur in ihrem Privatleben, in ihrem Beruf ging sie auf die Menschen zu, da war sie einfach voll in ihrem Element.

In diesem Augenblick nahm Roberta sich fest vor, Nägel mit Köpfen zu machen und Nicki die Pistole auf die Brust zu setzen. Es war ihr schon peinlich, dem Grafen Hilgenberg zu begegnen. Der sprach sie zwar auf das Thema nicht mehr an, doch es stand ungeklärt im Raum.

Ihr Praxistelefon klingelte, und das bedeutete, dass sie als Ärztin außerhalb der Sprechstunden gefragt war.

Es war also nichts mit einer ruhigen Mittagspause, doch daran war Roberta längst gewohnt, und es machte ihr nichts aus. Zuerst zählten ihre Patienten.

»Frau Doktor, möchten Sie sich nicht wenigstens einen Kaffee für unterwegs mitnehmen?«, schlug Alma vor, nachdem klar war, dass Roberta zu einem Patienten fahren musste.

»Alma, das ist eine gute Idee«, freute Roberta sich, und während sie sich für den Krankenbesuch vorbereitete, kochte Alma rasch den Kaffee.

Roberta wäre, wenn auch schweren Herzens, mit Almas Künstlerkarriere einverstanden gewesen. So war es ihr auf jeden Fall lieber. Alma würde bleiben, und ihr Alltag war gerettet. Roberta nahm sich vor, das Gehalt von Alma zu erhöhen. Sie zahlte zwar schon über dem Durchschnitt, doch durch eine weitere Erhöhung konnte sie ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Alma war ein Juwel, und vor allem war sie ein ganz wunderbarer Mensch.

Sie waren perfekt aufeinander abgestimmt, denn der Kaffee kam, als Roberta abmarschbereit war. Sie waren halt ein perfektes Team, und Alma hatte eine gute Idee gehabt, diesen Becher für einen Coffee to go zu kaufen. Er hatte Roberta schon viele gute Dienste erwiesen, und er war umweltfreundlich, weil man ihn immer wieder verwenden konnte. Das fühlte sich gut an, denn Roberta fand es schon ziemlich gruselig, welche Müllberge sich durch die vielen Kaffeebecher anhäuften, die bereits nach einer einmaligen Benutzung ein Wegwerfartikel waren.

»Frau Doktor, Sie wissen, dass ich heute Abend Chorprobe für den Gospelchor habe?«, erinnerte sie Roberta. »Und Sie möchten ja nicht, dass ich ein Essen für Sie vorbereite.«

»Nein, liebe Alma, das möchte ich nicht, denn ich werde in den ›Seeblick‹ gehen.«

Ja, so war sie, die Frau Doktor, dachte Alma. Sie war immer für andere Leute da, und weil dieses vegetarische und vegane Restaurant nicht lief, ging sie öfters dahin, als sie es bei ihrem Freund Roberto Andoni gemacht hatte, und der war wirklich ein Freund.

Alma sah der Frau Doktor hinterher, wie sie leichtfüßig zu ihrem Auto lief und davonfuhr. Dabei vergaß sie nicht, ihrer getreuen Haushälterin zuzuwinken und ihr ein letztes Lächeln zu schenken.

Sie war ein Glückspilz!

Davon war Alma fest überzeugt, als sie ins Haus zurückkehrte. Und man sollte sie wegen dieser Pinselei in Ruhe lassen. Sie wollte Spaß haben, sich entspannen, aber sie wollte keine Künstlerin sein. Das war eine brotlose Kunst, und sie selbst hielt sich nicht für begabt, es sah hübsch aus, was sie da fabrizierte, mehr nicht. So, und nun würde sie sich wieder an ihre Arbeit machen. Es gab immer etwas zu tun. Und das war auch gut so, denn wie hieß es doch so schön? »Wer rastet, der rostet.«

Roberta hatte einen wirklich anstrengenden Tag hinter sich, sie hatte ohne Pause gearbeitet, Patientenbesuche gemacht, und sie hatte sich in einem Fall mit der Krankenkasse herumschlagen müssen, weil die die Kosten für eine Kur nicht übernehmen wollte. Es gab halt immer wieder Tage wie diesen. Am liebsten hätte Roberta jetzt die Beine hochgelegt, hätte sich entspannt, ausgeruht. Und verhungert wäre sie auf keinen Fall, denn dank Alma war der Kühlschrank immer gefüllt. Als sie noch ohne Alma hatte auskommen müssen, gab es in ihrem Kühlschrank immer eine gähnende Leere. An diese Zeiten wollte Roberta sich nicht erinnern. Da hatte sie wirklich nicht gut für sich gesorgt und nichts von dem getan, was sie ihren Patienten immer predigte.

Sie hatte keine andere Wahl, als in den ›Seeblick‹ zu gehen, denn das hatte sie Julia Herzog, die sie zufällig unterwegs getroffen hatte, versprochen. Und die hatte sich sichtlich gefreut. Klar, für die Ärmste zählte jeder Gast. Julia Herzog war wirklich zu bedauern. Es musste schrecklich sein, immer am Existenz­minimum vorbeizuschrappen. Aber vielleicht konnte sie die nette Wirtin ein wenig aufmuntern, denn sie hatte, so glaubte sie wenigstens, gute Nachrichten für sie. Schon allein deswegen musste sie in den ›Seeblick‹ gehen.

Roberta zog eine Jeans, T-Shirt, darüber eine Sweatjacke aus einem kuscheligen Material an, dann noch bequeme Sneaker. Ehe sie ging, betrachtete sie sich im Spiegel und war zufrieden. Alles war aufeinander abgestimmt, sie liebte es, ihre Kleidung Ton-in-Ton zu tragen, was Nicki allerdings langweilig fand. Die griff gern mal in den Farbtopf und trug schrill.

Nicki würde kommen, das hatte sie fest zugesagt, und Roberta freute sich deswegen sehr. Einmal, weil sie das Zusammensein mit Nicki immer genoss und weil dann endlich die Aussprache zwischen ihr und Mathias von Hilgenberg stattfinden konnte.

Als sie unterwegs war, freute Roberta sich, ihren inneren Schweinehund überwunden zu haben. Die Luft war klar und kühl, ein kalter zunehmender Mond warf gespenstische Schatten, auf dem nachtblauen See kräuselten sich die Wellen und klatschten monoton gegen das mit Sträuchern bewachsene Ufer. Roberta liebte diesen Weg, dennoch war es eine ein wenig unheimliche Szenerie, die vermutlich daherrührte, dass es auf dem See vollkommen still war. Es gab kein Geschnattere der Enten, man sah keine Schwäne majestätisch dahingleiten, kein Gezanke der Möwen. Die hatten sich zurückgezogen.

Als dicht über ihr mit lautlosem Flügelschlag eine Eule vorüberflog, zuckte Roberta zusammen. Sie hatte keine Angst, es war nur ein wenig unheimlich, doch so etwas hatte sie früher ebenfalls schon erlebt. Sie war nicht so gut drauf, sie war erschöpft, und Lars fehlte ihr, der für ein paar Tage verreist war. Sie wusste nicht immer, wohin er dann fuhr. Sie fragte auch nicht, sondern hatte gelernt, damit zu leben.

Sie beschleunigte ihre Schritte, und oben beim ›Seeblick‹ angekommen, musste sie feststellen, dass leider wieder nur ein paar verloren wirkende Autos auf dem großen Parkplatz standen, der zu Robertos Zeiten immer überfüllt gewesen war. Es war traurig. Julia Herzog war wirklich zu bedauern, die zusehen musste, wie sich ihr Traum allmählich im Nichts auflöste, wenn nicht etwas geschah. Hoffentlich hielt sie durch, und hoffentlich würde sich bald der Erfolg einstellen. Sie war eine so patente junge Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hatte.

Als sie das Restaurant betrat, wollten Magnus und Teresa von Roth es gerade verlassen. Sie blieben stehen, begrüßten einander. Roberta war sich sicher, dass sie gekommen waren, um die Wirtin ein wenig aufzumuntern. So waren sie halt, immer hilfsbereit, immer darauf bedacht, wie es den Menschen in der Umgebung ging.

»Frau Doktor«, bemerkte Magnus, nachdem sie einander herzlich begrüßt hatten. »Wie schade, dass wir uns nicht abgesprochen haben. Wir hätten gemeinsam essen können, ganz so wie in früheren Zeiten.«

Ja, das hatten sie in der Tat häufig getan. Und es war immer schön gewesen, denn Magnus und Teresa von Roth waren kluge, geistreiche, kurzum, sie waren fantastische Gesprächspartner.

»Sie können bleiben«, schlug Roberta vor, »und noch etwas trinken und mir ein wenig Gesellschaft leisten.«

»Das würden wir von Herzen gern tun«, bedauerte Teresa, »doch wir sind zum Skypen mit unserem Hannes verabredet, und das dürfen wir nicht verpassen. Ich bin ja nicht so für die moderne Technik, doch wenn man jemandem am anderen Ende der Welt hat wie wir unseren Hannes, dann ist das eine fabelhafte Errungenschaft.«

Das bestätigte Roberta, und sie konnte durchaus verstehen, dass die beiden es jetzt eilig hatten.

»Dann grüßen Sie den Hannes bitte von mir«, trug Roberta ihnen auf. »Und wenn er das nächste Mal in den Sonnenwinkel kommt, dann möchte ich ihn auch gern sehen. Er ist ein großartiger Mann, der genau weiß, was er will, und er ist so überaus sympathisch.«

Wer hörte solche Worte nicht gern, die Großeltern strahlten um die Wette, versprachen, es Hannes auszurichten, und dann hatten sie es eilig.

Julia Herzog hatte sich zurückgehalten, doch jetzt eilte sie auf Roberta zu.

»Danke, Frau Doktor, dass Sie gekommen sind«, sagte sie leise, etwas, was Roberta zutiefst berührte. Die Wirtin bedankte sich für ihr Kommen, dabei müsste es doch umgekehrt sein. Sie müsste froh sein, in diesem schönen Restaurant sein zu dürfen.

»Ich freue mich, hier zu sein«, bemerkte Roberta, und während Julia sie an ihren Lieblingstisch führte, schaute Roberta sich um. Sie kannte die Gäste, die an den wenigen Tischen saßen, nicht. Es war niemand aus dem Sonnenwinkel. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Sie wollte es als ein gutes Zeichen werten. Immerhin hatte es sich über den Sonnenwinkel hinaus herumgesprochen.

Roberta bestellte eine Gemüselasagne, die hier besonders lecker war, dazu einen Wein. Den konnte sie trinken, weil sie ohne Auto hier war.

Julia eilte davon, um die Bestellung auszuführen, und Roberta sah sich um. Die Wirtin gab sich so viel Mühe, auf jedem schön eingedeckten Tisch gab es frische Blumen. Sie hatte optisch einiges verändert, einige Tische herausgestellt, und das war gut so. Nichts war schlimmer als viele unbesetzte Tische.

Roberta kannte sich in der Gastronomie nicht aus, aber sie konnte rechnen. Mit den paar Gästen kam Julia niemals über die Runden, dabei schmeckte es hier wirklich ganz ausgezeichnet. Es musste wirklich nicht immer Fleisch sein.

Nach dem Essen bestellte Roberta noch einen Kaffee, und dann bat sie Julia, sich zu ihr zu setzen. Das war ohne Weiteres möglich, denn die jetzt noch verbliebenen Gäste schaffte die freundliche Bedienung auch allein.

Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 5 – Familienroman

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