Читать книгу Bettina Fahrenbach Staffel 1 – Liebesroman - Michaela Dornberg - Страница 9

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Bettina warf einen letzten Blick in den Spiegel, zupfte eine vorwitzige Haarsträhne zurecht, dann wandte sie sich zufrieden ab.

Es hatte zwar keine Verwandlung vom häßlichen Entlein zum schönen, stolzen Schwan stattgefunden, aber sie konnte mit dem Resultat ihrer Bemühungen durchaus zufrieden sein. Im übrigen war sie auch kein häßliches Entlein. Sie hatte lediglich ein wenig mitgenommen und schmutzig ausgesehen, als sie Thomas plötzlich und unerwartet gegenüber gestanden hatte. Schließlich hatte er sie auch bei der Arbeit angetroffen.

Thomas…

Ein weiches, glückliches Lächeln umspielte ihren schöngeschwungenen Mund.

Noch schien es ihr unfaßbar, daß es Thomas wieder in ihrem Leben gab. Zehn Jahre des Haderns, des Unglücklichseins, waren wie weggewischt, als hätte es sie niemals gegeben.

Sie beeilte sich, hinunterzugehen. Sicherlich würde Thomas bald mit seinem Gepäck zurück sein und dann für zwei bis drei wundervolle Wochen bei ihr auf dem Fahrenbach-Hof bleiben. Und danach…

Es war zu früh, jetzt darüber nachzudenken. Es würde sich zeigen, aber sicher war schon jetzt, daß es ein ›Danach‹ geben würde.

Wenn ihr jemand noch vor einer Woche gesagt hätte, daß Thomas Sibelius, die große Liebe ihres Lebens, nach mehr als zehn Jahren wieder ihre Wege kreuzen würde – nicht nur das, daß ihre Liebe so groß sein würde wie damals, den hätte sie ausgelacht.

Und dann war er heute morgen einfach dagewesen.

Es fühlte sich sofort so an, als wären sie sich gestern zum letzten Mal begegnet. Es gab nichts Fremdes zwischen ihnen, nur ihre grenzenlose große Liebe, die durch eine böse Intrige ihrer Mutter fast für immer zerstört worden wäre.

Doch daran wollte Bettina jetzt nicht denken, nicht in diesem Augenblick.

Leise vor sich hin trällernd hüpfte sie die Treppe herunter. Schon in der Diele roch es köstlich, unverkennbar nach Lenis Apfelkuchen.

Bettina ging in die Küche, wo Leni emsig herumhantierte. Sie drehte sich um, und ein Strahlen ging über ihr rundliches Gesicht.

»Du siehst wunderschön aus. Gut, daß du das dunkelblaue Tupfenkleid angezogen hast.«

Bettina lachte.

»Das habe ich nur für dich gemacht, du wolltest es doch so haben.«

»Ich habe es mir gewünscht«, bestätigte Leni, »aber gemacht hast du es für Thomas.«

Bettina tanzte auf die rundliche Haushälterin zu, die seit ihrer Jugendzeit in ihrem Leben war und drückte ihr einen übermütigen Kuß auf die glänzende Stirn.

»Ach, Leni, ich bin ja so glücklich. Fast erscheint es mir noch immer wie ein Traum, daß Thomas plötzlich wieder da ist. Findest du nicht auch, daß er großartig aussieht? Noch viel besser als früher.«

Leni lachte.

»Er ist männlicher geworden. Aber gut ausgesehen hat er schon immer. Und er hat, was viel wichtiger ist, einen guten Charakter. Von einem schönen Teller kann man nicht essen.«

»Ach, Leni, du mit deinen Sprüchen… aber es ist schon wahr, Thomas ist ein wunderbarer Mensch, und ich liebe ihn so sehr.«

»Ich habe es gewußt, mein Kind. Aber warum hast du nie darüber gesprochen?«

»Weil es so weh getan hat. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, und ich habe doch deswegen auch nicht hierher kommen können, weil mich alles an Thomas erinnert hätte. Wenn mein Vater mir nicht den Hof vererbt hätte, wäre ich heute noch nicht hier, und dann wäre ich Thomas nicht begegnet.«

Sie seufzte.

»Ich hätte alles vielleicht auch schon früher haben können, nicht auszudenken… ich weiß nicht, ob ich es meiner Mutter jemals verzeihen kann, daß sie so verletzend und intrigant in mein Leben eingegriffen hat.«

»Sie hat es getan, und daran ist nichts mehr zu ändern. Aber es ist ihr nicht gelungen, eure Liebe zu zerstören. Wer weiß, vielleicht wäre es ja gar nicht gutgegangen, wenn ihr die ganzen Jahre über zusammen gewesen wärt.«

»Doch, das wäre es. Ich hoffe nur, daß wir die lange Zeit überbrücken können, in der wir uns nicht gesehen haben. Ich weiß über Thomas nur, daß er in Amerika gelebt hat und auch noch lebt. Was hat er gemacht? Gibt es eine Frau in seinem Leben? Kann er…«

Sie brach ab.

»Leni, ich möchte ihn nicht mehr verlieren.«

»Wirst du auch nicht. Und wenn es eine Frau gäbe, dann wäre er doch nicht sofort gekommen. Das muß dir dein gesunder Menschenverstand schon sagen.«

Wieder umarmte Bettina die rundliche Frau. Leni hatte es schon immer verstanden, sie auf wunderbare Weise zu trösten. Etwas, was bei ihrer Mutter niemals möglich gewesen war.

»Danke, Leni, und schön, daß du Apfelkuchen gebacken hast. Thomas mag ihn ja auch so gern.«

»Weiß ich doch. Willst du schon mal probieren?«

Bettina lachte.

»Besser nicht.« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »Thomas müßte doch schon längst hier sein.«

»Müßte er nicht. Vielleicht hat er sich etwas mit Markus verplaudert, oder er ist aus einem anderen Grund aufgehalten worden.«

»Hoffentlich ist ihm nichts passiert.«

»Bettina«, Lenis Stimme klang streng. »Jetzt hör auf damit. Deck den Tisch, dabei kommst du auf andere Gedanken. Nimm zur Feier des Tages das Meißner Porzellan.«

Bettina erinnerte sich dabei, daß Leni immer tausend Argumente gefunden hatte, die gegen das Eindecken mit dem teuren Porzellan sprachen, und wenn sie das jetzt so großzügig gestattete, sprach das durchaus für ihre große Sympathie für Thomas.

Mit liebevoller Sorgfalt deckte Bettina den Tisch, Leni platzierte den Kuchen in die Mitte.

»Die Sahne und den Kaffee stellen wir später dazu«, sagte sie.

Bettina schaute auf ihre Armbanduhr.

Thomas hätte längst wieder zurücksein müssen.

»Es ist ihm etwas passiert«, sagte sie. »Ich rufe jetzt bei Markus an.«

Sie ließ sich durch Leni, die noch warten wollte, nicht zurückhalten, sondern wählte die Telefonnummer von Markus.

»Sägewerk Herzog. Sie sprechen mit Reni Häbler. Was kann ich für Sie tun?«

Bettina mußte ein Lachen unterdrücken.

Sich so zu melden, hatte sich in vielen Firmen eingeschlichen. Bettina fand es zu pauschal, weil es überall so gemacht wurde, für ein Sägewerk in Fahrenbach war es für ihre Begriffe vollkommen deplaciert. Aber wahrscheinlich hatte Markus es irgendwo gehört und beeindruckend gefunden.

»Hallo, hier ist Bettina Fahrenbach. Kann ich bitte Herrn Herzog sprechen?«

»Tut mir leid«, sagte die junge Dame freundlich, »aber Herr Herzog ist im Moment nicht zu erreichen.«

»Auch nicht über sein Handy?« wollte Bettina wissen.

»Nein, auch nicht über sein Handy.«

»Und Herr Sibelius… sein Freund, der heute früh aus Amerika angekommen ist, ist der da?«

»Nein, der ist auch nicht hier.«

»Hat Herr Sibelius sein Gepäck abgeholt?«

Bettina war zutiefst beunruhigt.

»Genau kann ich es nicht sagen, aber ich glaube schon.«

Na bravo, das war eine Aussage!

»Können Sie das nicht feststellen?«

»Warten Sie bitte einen Moment. Ich werde drüben im Haus nachfragen.«

Es dauerte nicht lange, da kam sie zurück.

»Das Gepäck ist weg«, ihre Stimme klang vom schnellen Laufen ein wenig atemlos.

»Danke… danke für Ihre Mühe«, Bettinas Stimme klang tonlos. Sie beendete das Gespräch.

Angst machte sich in ihr breit, sie sah in ihren Gedanken Thomas in einen Autounfall verwickelt.

Sie zitterte am ganzen Körper, als sie zu Leni zurückkam

»Er ist nicht mehr bei Markus. Sein Gepäck hat er geholt. Ihm muß etwas passiert sein.«

»So ein Unsinn. Thomas ist von einem Ende des Dorfes zum anderen gefahren. Wie soll bei den paar Autos, die durch Fahrenbach fahren, etwas passiert sein?«

»Er ist übermüdet, vielleicht ist er am Steuer eingeschlafen. Schließlich hat er Jetlag… Ich schwinge mich jetzt auf mein Fahrzeug und werde ihn suchen.«

Sie wollte hinauslaufen, aber Leni hielt sie am Arm zurück.

»Du wirst überhaupt nichts tun, sondern hier ganz brav warten. Mach dich nicht lächerlich, Bettina.«

»Aber er ist Stunden weg, und ich halte…«

Sie brach ihren Satz ab, weil es draußen auf einmal einen ohrenbetäubenden Lärm gab.

Sie rannte raus, Leni hinterher.

Über ihnen kreiste ein Helicopter.

Bettina deutete hysterisch nach oben.

»Ein Hubschrauber… bestimmt ein Rettungshubschrauber… mein Gott, Thomas ist etwas passiert… ich habe es doch gleich gesagt.«

»Sei still, es ist kein Rettungshubschrauber. Oder siehst du irgendwo das Kreuz darauf?«

Sie hielt Bettina fest, weil sie Angst hatte, daß diese etwas Unsinniges machte und schaute gebannt nach oben.

Es schien, als wolle der Helicopter sich eine Position genau über der Mitte des gepflasterten Hofes suchen.

Was hatte das zu bedeuten?

Doch noch während Bettina und Leni herumrätselten und wie gebannt nach oben starrten, schien der Helicopter seine Position erreicht zu haben. Er ging ein wenig nach unten. Der durch die Rotorblätter verursachte Wind wehte Bettina die Haare ins Gesicht. Der Rock ihres Kleides wehte nach oben. Sie hatte Mühe, ihn zu bändigen.

Was dann geschah, war geradezu filmreif!

Für manche Leute war es vielleicht kitschig – aber für Bettina unglaublich, unfaßbar und für Leni sogar wie etwas, was es eigentlich im Leben nicht geben konnte.

Die dem Hof zugewandte Tür des Helicopters öffnete sich und dann fielen im wahrsten Sinne des Wortes tiefrote Rosen auf die Erde…

Es war nicht zu beschreiben. Überall schon lagen rote Rosen, und es schien kein Ende zu nehmen.

Ehe die letzten Rosen zur Erde fielen und der Heli mit lautem Getöse wieder abdrehte, war Thomas auf einmal da. Niemand wußte, wo er hergekommen war.

Er strahlte, weil er sah, daß ihm die spontan inszenierte Überraschung durchaus gelungen war.

Er umfaßte zärtlich Bettinas Schulter, dann beugte er sich zu ihr herunter und sang nicht schön, aber laut

»Für dich soll’s rote Rosen regnen…«

in Abwandlung eines Songs von Hildegard Knef

»Dir sollen all diese Wunder begegnen…«

Den weiteren Liedtext kannte er nicht, aber das war auch nicht nötig. Nichts hätte diesem Augenblick eine Steigerung geben können. Bettina war sprachlos. Sie starrte auf das Rosenmeer, und irgendwie, wie durch einen Watteschleier, hörte sie Lenis aufgeregte Stimme.

»Arno, Toni«, die hatten sich, angelockt durch den Krach auch zu ihnen gesellt und voller Staunen diese Szenerie verfolgt, »seht euch das an. Habt ihr so etwas schon gesehen? Hunderte von roten Rosen.« Dann kam ihre praktische Art wieder zum Vorschein. »Du liebe Güte. So viele Vasen haben wir doch gar nicht… Männer, los, sucht Eimer und andere Behältnisse zusammen, damit wir die Rosen unterbringen können. Es wäre doch zu schade, sie verwelken zu lassen.« Dann wollte sie sich schon bücken, sie einzusammeln, aber als sie bemerkte, mit welcher Glückseligkeit Bettina auf die Blumen starrte, hielt sie inne. Sollte sie diesen Augenblick ruhig noch etwas genießen, so etwas bekam man wahrscheinlich, wenn überhaupt, nur einmal im Leben geboten.

Leni hatte statt dessen eine andere Idee. Vorsichtig schlich sie sich ins Haus, um ihren Fotoapparat zu holen. Sie fotografierte nicht oft und nur bei besonderen Gelegenheiten. Und das war eine besondere Gelegenheit, die es verdiente, im Bild festgehalten zu werden.

Es dauerte lange, bis Bettina in die Wirklichkeit zurückfand.

Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich Thomas zu, der sich diebisch über die geglückte Überraschung freute.

»Tom…«, ihre Stimme klang vor lauter Aufregung ganz heiser. »Tom… du bist verrückt…«

Seine Arme glitten von ihrer Schulter, umschlossen sie ganz. Sie spürte seine Nähe, seine Wärme…

»Ja, ich bin verrückt«, bestätigte er, »verrückt vor lauter Liebe zu dir.«

Dann fanden sich ihre Lippen zu einem langen, zärtlichen Kuß, der sie ihre Umwelt vergessen ließ.

Sie hörten nicht das Klingeln des Telefons, nicht das ihrer Handys, denn natürlich hatte der lärmende Helicopter auch Leute im Dorf aufgescheucht. Schließlich kam so etwas in dieser beschaulichen Idylle eigentlich nur vor, wenn es einen Notfall gab.

Jetzt war Leni in ihrem Element. Sie konnte all die neugierigen Anrufer beruhigen, denen sie nicht viel sagen mußte.

»Nein, nein, seien Sie unbesorgt. Bei uns ist alles in Ordnung. Es sind nur rote Rosen vom Himmel gefallen…«

Das sagte sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als sei das nichts Besonderes, sondern käme auf dem Fahrenbach-Hof ständig vor.

Sie machte vorsichtshalber noch ein Foto, nur so, für alle Fälle, dann begann sie die Rosen aufzusammeln. Die eine oder andere hatte den Absturz nicht heile überlebt, aber sie konnte die Rosenköpfe noch in eine Schale legen, das sah auch gut aus.

Und ansonsten…

Sie blickte zur Seite.

Nein, es hatte keinen Sinn, Bettina zu fragen. Sie und Thomas waren so ineinander versunken, die bemerkten nichts.

Sie sammelte die Rosen ein und war so stolz, als hätte ihr dieser Liebesbeweis aus luftiger Höhe gegolten und nicht Bettina.

Sie seufzte.

So viele wunderbare rote Rosen… wenn das keine Liebe war…

Als Bettina am nächsten Morgen wach wurde, fiel strahlender Sonnenschein ins Zimmer. Die Balkontür war weit geöffnet, ein leichter Morgenwind blähte sanft die duftigen Vorhänge.

Die Stimme von Thomas drang zu ihr herauf, der unten mit Hektor herumtollte.

Ja, Hektor. Ein Lächeln umspielte Bettinas Lippen. Der Hund hatte sich so offensichtlich und so bedingungslos Thomas zugewandt, daß man daraus eigentlich nur schließen konnte, daß er in ihm einen Ersatz für ihren verstorbenen Vater sah.

Aber das störte Bettina nicht. Sie sprang aus dem Bett und ging auf den Balkon.

Thomas warf gerade ein Stöckchen, und Hektor hastete ausgelassen hinterher.

Ihr Herz wurde weit beim Anblick des Mannes, der ihre große Liebe war.

Für ihre Begriffe sah er umwerfend aus. Er trug eine Jeans und ein weißes T-Shirt, seine nackten Füße steckten in bequemen Espadrilles.

Als er ihre Blicke spürte, blickte er lachend und fröhlich winkend nach oben.

»Guten Morgen, du Schlafmütze. Spute dich, komm herunter. Der Tag ist zu schön, um ihn einfach zu verschlafen und zu vertrödeln.«

»Wie kannst du nur schon so wach und voller Energie sein«, wunderte Bettina sich.

»Ich habe sogar schon mit Leni und den Männern gefrühstückt. Es war göttlich.«

»Hast du denn überhaupt keinen Jetlag?«

»Oh ja, und gerade deswegen ist mein Bio-Rhythmus ja so durcheinander. Ich bin schon seit Stunden wach. Es kann durchaus sein, daß ich in kürzester Zeit vor lauter mich überkommender Müdigkeit zusammenbreche. Deswegen spute dich, mein Herz, damit du mich noch im Wachzustand und voller Aktivität erlebst.«

»Ich beeile mich«, versprach sie, »hast du schon überlegt, was wir unternehmen werden?«

»See? Vielleicht eine kleine Bootsfahrt?« schlug er vor, »oder dort unten nur ein wenig abhängen? Wir können hinradeln, denn Toni will mir sein Fahrrad leihen für die Dauer meines Aufenthaltes.«

»Eine Super-Idee.«

Hektor war zurückgekommen, sprang kläffend und schweifwedelnd an Thomas hoch, um ihm dann das Stöckchen vor die Füße zu legen.

»Okay, ich beeile mich«, lachte Bettina.

Solange Hektor in der Nähe war und spielen wollte, hatte es keinen Sinn, mit Thomas weiter zu reden. Außerdem gab es auch Schöneres, als sich aus einer solchen Distanz zu unterhalten.

Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen eilte Bettina ins Badezimmer. Schon auf dem Weg dorthin schlüpfte sie aus ihrem luftigen Batist-Nachthemd.

Sie kam sich vor wie eine Prinzessin, die aus einem langen, tiefen Schlaf erweckt worden war, genauso wie Dornröschen. So viel Liebe, Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit konnte es eigentlich kaum geben, aber Thomas brachte ihr all das entgegen.

Obschon sie sich so viele Jahre nicht gesehen und gesprochen hatten, war ihre Liebe viel tiefer geworden, ja bedingungslos. Sie hatte es immer gewußt, und jetzt war die Bestätigung da, Thomas war nicht nur die große Liebe ihres Lebens, er war ihr Seelenpartner. Lieben konnte man finden – kleinere, größere, ganz große, aber ein Seelenpartner war etwas Kostbares, Seltenes…

Bettina hatte sich so sehr in ihre Träume verloren, daß sie überhaupt nicht merkte, daß sie schon Ewigkeiten unter der Dusche stand.

Das anhaltende schrille Klingeln ihres Handys, das sie wohl irgendwo im Bad abgelegt hatte, riß sie aus ihren Träumereien.

Sie stellte das Wasser ab, schob die Tür der Duschkabine beiseite und angelte sich ein Badetuch.

Dann entdeckte sie ihr Handy, es lag auf dem Regal mit den Handtüchern, und wie es dorthin gekommen war, vermochte sie nicht zu sagen.

Sie meldete sich. Es war Linde.

»Na endlich geht jemand ans Telefon«, beschwerte sie sich. »Auf dem Festnetz meldet sich keiner, es hat Ewigkeiten gedauert, bis du dich endlich gemeldet hast. Was ist los bei euch?«

»Was soll los sein? Thomas ist hier, und ich bin unendlich glücklich.«

»Das weiß ich doch. Nein, ich mein, was war gestern los mit dem Heli, im Dorf kreisen die wildesten Gerüchte. Es hört sich fast schon an wie ein Krimi.«

Bettina kicherte.

»Markus hat den Heli organisiert, Thomas hat ganze Gärtnereien geplündert und hunderte von roten Rosen gekauft, und die hat er bei uns auf dem Hof abwerfen lassen.«

»Dann stimmt es doch, ich glaube es nicht«, Linde seufzte. »Wie romantisch… es ist ja zum neidisch werden.«

»Linde, kannst du dich erinnern, wie wir zwei früher immer dieses Lied gesungen haben – für mich soll’s rote Rosen regnen? Das hat er etwas umgetextet und mir vorgesungen – für dich soll’s rote Rosen regnen… ich hab’ das erst alles gar nicht begriffen. Es war wie im Film.«

Wieder seufzte Linde.

»Auf so eine Idee käme mein Martin nicht.«

»Ach Linde, wirklich würde es dir doch überhaupt nicht gefallen. Es wäre dir peinlich, schon allein wegen der Leute, und dann würdest du wegen der Verschwendungen einen Anfall bekommen. Gib’s doch zu.«

»Na ja, es stimmt schon. Aber schön ist es doch… aber der Hauptgrund meines Anrufes – fast hätte ich es vergessen. Wir haben doch heute Ruhetag, das Wetter ist toll, und ich habe, auch wenn das vielleicht spießig ist, so richtig Lust zu grillen, wie in alten Zeiten. Was ist, wollt ihr vorbeikommen? Markus kommt auf jeden Fall auch. Er hat auch eine neue Flamme, die er vielleicht mitbringen wird. Auf jeden Fall würden wir uns freuen, euch zu sehen.«

»Hervorragend, danke für die Einladung. Wann sollen wir kommen?«

»So gegen achtzehn Uhr? Bei mir im Biergarten, dann kannst du den auch bewundern, vor allem meine Rosenhecke. Die Rosen sind zwar nicht rot, sondern rosa, aber auch wunderschön.«

Sie plauderten noch ein wenig, dann beeilte Bettina sich. Sie schlüpfte in eine beige, weitgeschnittene Leinenhose, ein hellbraunes Leinenhemd und hellbraune Sandalen. Ihre Haare band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dem Impuls, ihre Lippen zu schminken, gab sie nicht nach. Sie hoffte, Thomas würde sie gleich ausgiebig küssen, dabei war ein Lippenstift nur störend.

Sie nickte ihrem Spiegelbild zu. So gefiel sie sich, ihre Haut war durch die vielen Aufenthalte im Freien leicht gebräunt, ihre blauen Augen strahlten.

Wenn eine Frau glücklich und verliebt war, mußte sie nicht in den Schminktiegel greifen.

Fröhlich trällernd lief sie die Treppe hinunter, durchquerte die geräumige Diele und trat durch die geöffnete Haustür ins Freie.

Markus ließ das Stöckchen, das Hektor ihm erwartungsvoll gebracht hatte, fallen, schaute sie an.

»Guten Morgen, du Schöne«, sagte er, dann war er mit wenigen Schritten bei ihr und nahm sie in die Arme, um sie lange und hingebungsvoll zu küssen.

*

Keine halbe Stunde später radelten sie, ganz wie in alten Zeiten, nebeneinander her. Es schien wirklich so, als sei die Zeit stehengeblieben und hier waren nicht zwei respektierliche erwachsene Menschen, sondern übermütige junge Leute im Überschwang ihrer Gefühle.

Bettina breitete die Arme aus und versuchte, wie sie es früher immer getan hatte, ein Stück freihändig zu fahren.

Thomas versuchte mit fast akrobatischem Geschick Steine wegzukicken.

Bestens gelaunt kamen sie am See an.

»Hier hat sich wirklich nicht viel verändert«, sagte er ganz verwundert.

Bettina lehnte ihr Fahrrad an einen Baum.

»Doch, die Bäume, Sträucher sind höher geworden… aber ich glaube, das war’s auch schon. Mein Vater scheint nicht mehr oft hier gewesen zu sein. Aber offensichtlich hat er alles in Ordnung gehalten. Ich bin zwar noch nicht rausgefahren, aber das Segelboot hat zumindest eine funkelnagelneue Persenning. Ich nehme an, daß das Boot gewartet wurde.«

»Gibt es das alte Ruderboot noch?«

Bettina nickte.

Thomas stellte den Picknickkorb ab.

»Dann laß uns den Kahn nehmen, wie früher. Aber vorher möchte ich einfach den Anblick des Sees genießen. Mein Gott, ist es schön hier. So friedlich – wirklich ein Stückchen Paradies.«

Er ergriff ihre Hand und zog sie den Bootssteg entlang zu der Bank, auf der sie auch hunderte Male gesessen hatten.

Genau wie sie es beim ersten Mal getan hatte, fuhr er mit den Fingern die Konturen des verwitterten Herzens nach, in das sie T + B eingeritzt hatten.

»Sieh, es hat allen Stürmen getrotzt.«

Er zog sie neben sich auf die Bank, legte seinen Arm um ihre Schulter. Sie lehnte sich an ihn und schloß die Augen.

Auch Thomas sprach nicht.

Es war ganz still bis auf das leise Plätschern der Wellen, die im sanften Gleichklang gegen die Pfosten unter ihnen schlugen.

Ein Augenblick der Ewigkeit…

Das Gekreisch zweier Möwen brachte sie in die Wirklichkeit zurück, die mit kräftigen Flügelschlägen über sie hinwegflogen, um sich dann pfeilschnell aufs Wasser stürzten, um die gesichtete Beute zu erhaschen.

»Nehmen wir den Picknickkorb mit aufs Boot, oder soll ich ihn ins Haus bringen?«

»Bring ihn ins Haus, wir picknicken dann hier, das ist gemütlicher, auf dem engen Boot ist es nicht so prickelnd«, lachte Thomas. »Schließlich sind wir nicht mehr die Jüngsten. Ich hol das Boot raus.«

Bettina spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Als sie sich umdrehte, warf er ihr verliebt eine Kußhand zu, was sie, ebenso verliebt, erwiderte.

Sie beeilte sich, den Korb im Haus zu verstauen, dann lief sie, bewaffnet mit einer Flasche Wasser, den Steg entlang.

Thomas half ihr in das Boot. Sie machte es sich vorn an der Spitze gemütlich, wobei sie sich so hinsetzte, daß sie ihn im Auge hatte.

Mit gleichmäßigen Schlägen bewegte er das Boot in Richtung Seemitte. Sie sah, wie sich unter dem dünnen Stoff seines Shirts die Muskeln spannten.

Es war fast windstill, die Sonne brannte vom fast wolkenlos klarblauen Himmel. Nur hier und da schien eine weiße Wolke wie ein vergessenes Relikt am Himmel zu kleben.

Er tauchte die Ruder ins Wasser, zog sie kraftvoll durch, und wenn sie wieder aus dem Wasser kamen, zogen sie kleine Wasserfontänen nach sich, die in der Sonne blitzten wie Diamanten.

Ein sich wiederholendes Spiel, das sie voller Faszination beobachtete.

Während Bettina eine Hand unter ihrem Kopf gelagert hatte, glitt ihre zweite durch das Wasser, wie ein kleines Beiboot, das dem Widerstand der Wellen trotzte.

Ein schnittiges Segelboot glitt an ihnen vorüber. Bettina kannte den Eigner, der alle Mühe hatte, sein Boot bei dem kaum vorhandenen Wind auf Kurs zu halten.

Er war ein pensionierter Professor, der seit vielen Jahren schon nach Fahrenbach kam und noch bei ihrem Vater einen Liegeplatz in dem kleinen Yachthafen am Ostufer des Sees gemietet hatte.

Bettina winkte ihm zu, er winkte zurück, dann war sein Boot vorbeigeglitten.

»Mach keine fremden Männer an«, beschwerte Thomas sich lachend.

»Der Professor ist mir viel zu alt«, ging sie auf seinen launigen Ton ein, um dann ernst zu werden. »Wer könnte schon neben dir bestehen? Nur du bist es, der für mich zählt.«

Er hielt in seinen Ruderbewegungen inne und blickte sie an.

»Richtig geliebt habe ich immer nur dich.«

Dieser Satz ließ alle Alarmglocken in ihr angehen. Was hatte er damit sagen wollen? Richtig geliebt – bedeutete das, das er ›anders‹ geliebt eine andere hatte? Oder mehrere Andere? Außerdem – lieben ist lieben, ohne richtig oder falsch oder anders.

Bettina merkte, wie brennende Eifersucht sich in ihr ausbreitete. Es gab auf einmal eine Schlange in ihrem Paradies.

Sie richtete sich so heftig auf, das das Boot anfing gefährlich zu schwanken.

Geistesgegenwärtig brachte Thomas es wieder in die richtige Position.

»Tom… gab oder gibt es andere Frauen in deinem Leben?«

Ihre direkte Frage war ihm mehr als unangenehm, das spürte sie.

Er zögerte einen Moment.

»Tini, findest du, daß dies der richtige Augenblick ist für Lebensbeichten? Hier, mitten auf dem See, in dieser herrlichen Natur?«

Er wollte nicht darüber reden, sie hatte also ins Schwarze getroffen, und das schürte ihre Eifersucht nur noch mehr.

Er seufzte.

»Tini, ich bin hier, weil ich es wollte, weil es für mich, nachdem Markus mich angerufen und aufgeklärt hatte, was geschehen war, kein Halten mehr gab. Ich wollte nichts anderes als nur zu dir, weil ich dich liebe.«

Das klang so aufrichtig, daß sie begann, sich zu schämen.

»Aber ich weiß nichts über dich, ich meine, was du in all den Jahren so getrieben hast.«

»Das kannst du alles erfahren. Das Wichtigste für mich war eigentlich zunächst, dich zu sehen, dich zu spüren, dich, deine aufregende Nähe zu genießen.«

»Na ja, eigentlich ist es nicht so wichtig…«

Er unterbrach sie.

»Oh doch, für dich scheint es wichtig zu sein… weißt du was, laß uns die Zeit hier genießen, heute abend das Treffen mit unseren Freunden. Für morgen machen wir keine Pläne, und dann können wir uns die gegenseitige… Beichte abnehmen. Wir können rückhaltlos – sofern der Andere es wissen möchte über das reden, was in den letzten zehn Jahren passiert ist.«

Sie begann sich wegen ihres Eifersuchtsanfalls zu schämen.

»Es tut mir leid, Tom. Vielleicht reagiere ich über, weil ich mir deiner noch nicht wieder sicher bin. Ich habe einfach Angst, dich zu verlieren.«

Thomas zog die Ruderblätter ein. Das Boot schaukelte sanft auf den Wellen.

Er beugte sich ein wenig vor.

»Tini, Angst ist ein schlechter Begleiter, und Sicherheit ist trügerisch. Man kann sich keiner Sache sicher sein, und eines Menschen schon gar nicht.«

Ihr Kopf ruckte hoch.

»Was willst du damit sagen?«

»Ein Haus kann abbrennen, die teure Porzellantasse herunterfallen und ein Mensch, nun, der kann sterben, mit dem Auto vor einen Baum fahren. Sicherheit – wenn wir überhaupt bei diesem Wort bleiben wollen – findet man nur in sich und für sich, nicht im außen, nicht bei einem Anderen, und man kann sich auch nicht durch einen Anderen definieren … wie heißt es so schön im Zen-Buddhismus – wahre Liebe und Verbundenheit zwischen zwei Menschen ist dann gegeben, wenn noch soviel Platz zwischen ihnen ist, daß ein sanfter Wind hindurchwehen kann.«

Bettina war beschämt.

»Und ich versuche zu klammern.«

Er wollte die Stimmung nicht überschwappen lassen.

»Ach, Liebes, von dir umklammert zu sein ist wunderschön.«

Sie antwortete nicht. Erst nach einer ganzen Weile erkundigte sie sich: »Sollen wir zurückrudern?«

»Bist du sauer?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, überhaupt nicht. Du hattest mit allem, was du gesagt hast, ja recht. Nein, ich bin hungrig. Ich habe nämlich heute morgen nur einen Kaffee getrunken.«

Insgeheim atmete Thomas auf.

»Also zurück ans rettende Ufer«, lachte er. Dann legte er die Ruder in die Halterungen ein, zog die Blätter mit einem kräftigen Schwung durchs Wasser.

Eine Ente, die sich dem Boot unbemerkt genähert hatte, flog aufgeregt schnatternd auf, um sich mit gehörigem Sicherheitsabstand aufs Wasser plumpsen zu lassen.

Thomas war auf das Rudern konzentriert, und Bettina schwieg, weil sie irgendwie das Gefühl hatte, es verdorben zu haben mit ihrer Eifersucht, ihren Besitzansprüchen.

Er hatte wirklich alles getan, um ihr seine Liebe zu beweisen. Er war sofort gekommen, hatte sie mit roten Rosen buchstäblich zugeschüttet, er war liebevoll und zärtlich, und sie… sie erwartete einen Lebenslauf: wie schrecklich!

War es wichtig für ihre Beziehung, alles auf seiner, aus ihrer Vergangenheit zu wissen? Nein! Entscheidend war doch die Gegenwart – und ihre Gegenwart war voller Glück und nahezu perfekt.

Bettina griff nach der Wasserflasche, trank einen kräftigen Schluck, um sie dann zu Thomas hinüberzureichen, doch der schüttelte den Kopf.

Sie würde von sich aus das Gespräch nicht mehr darauf bringen, alles zu erfahren. Aber wenn er von sich aus davon anfangen würde, was sie insgeheim hoffte, würde sie ihn nicht daran hindern. Neugierig war sie schon, auch wenn die Vergangenheit nicht wirklich wichtig war.

Ihr fiel etwas ein.

»Ach, Tom, Linde möchte heute abend die alten Zeiten wieder aufleben lassen, ganz so wie früher, mit viel Fleisch vom Grill, Bier aus Flaschen und heißer Musik.«

Er grinste.

»Wir müssen doch nicht etwa tanzen?«

»Aber ja, ich sagte doch, ganz so wie früher… wenn ich deinem Gedächtnis etwas nachhelfen darf. Wir haben getanzt bis in die Morgenstunden.«

»Und das sagst du mir erst jetzt? Wenn ich das vorher gewußt hätte, hätte ich mich beim Rudern doch nicht so verausgabt.«

Das klang so fröhlich, daß Bettina wußte, daß es keinen Mißklang zwischen ihnen gab. Sie atmete auf und begann sich auf den Abend zu freuen.

»Und unser erster gemeinsamer Tanz muß ein Tango sein.«

»Soll das eine Drohung sein?« lachte er.

Sie hatten den Bootssteg erreicht. Geschickt vertäute er das Boot und reichte ihr die Hand. Sein Händedruck war kraftvoll, zupackend und vertrauenerweckend.

Sie liebte ihn, sie konnte überhaupt nicht sagen, wie sehr sie diesen Mann liebte. Und daran würde sich niemals etwas ändern.

*

Für den Abend hatte Bettina einen weitschwingenden Stufenrock angezogen, bei dem jede Stufe nicht nur eine andere Farbe hatte, sondern auch ein anderes Design – mal waren es kleine Blümchen, mal Tupfen, dann Streifen, dazwischen gab es unifarbene Bahnen. Dazu trug sie eine passende, ziemlich ausgeschnittene Bluse.

Eigentlich war das überhaupt nicht ihr Stil.

Sie hatte diese beiden sündhaft teuren Teile aus einer übermütigen Laune heraus in Positano gekauft und noch niemals angehabt.

Jetzt war sie froh darum. Sie fühlte sich darin leicht, jung und beschwingt. Genauso sollte es sein für einen Abend der Erinnerung an glückliche Zeiten, die sie hoffentlich wieder heraufbeschwören konnten.

Bettina hatte ihre Haare mit einem Band zurückgehalten, ihre Füße steckten in flachen Ballerinas.

»Wow«, rief Thomas, als er sie erblickte. »Bist du dir sicher, daß wir weggehen sollen?«

Bettina errötete vor lauter Freude, aber er konnte sich auch sehen lassen in seiner beigen Leinenhose und dem weißen Leinenhemd. Um die Schultern hatte er lässig einen leichten Pullover geschlungen.

Nachdem auch Leni, Arno und Toni sie hinreichend bewundert hatten und es ihnen gelungen war, Hektor von sich fernzuhalten, konnten sie losgehen. Sie hatten sich entschlossen, zu Fuß ins Dorf zu gehen, allerdings die Abkürzung – durch die Felder, ein Stück entlang am Fluß und dann ins Dorf.

Sie gingen Hand in Hand. Zwischen ihnen herrschte eine unglaubliche Vertrautheit.

Die untergehende Sonne tauchte die Landschaft in ein sanftes goldenes Licht, das sich im Fluß widerspiegelte, an dessen Ufer mit der ihnen eigenen fast stoischen Gelassenheit in sich versunken einige Angler saßen.

Während Bettina anfangs noch munter geplaudert hatte, wurde sie immer stiller. Die Magie, die zwischen ihr und Thomas herrschte, durfte nicht durch Worte unterbrochen werden.

Eine Szene in einem rührseligen Hollywood-Film hätte schöner und herzergreifender nicht sein können. Aber das hier war kein Film, sondern eine so wunderbare Wirklichkeit, die Bettina fast den Atem nahm.

Erst als sie die ersten Häuser des Dorfes erreicht hatten, wich der Zauber.

Von dieser Seite waren sie noch nicht ins Dorf gekommen, und neugierig sah Thomas sich um und registrierte, was sich alles verändert hatte.

Lange konnten sie sich nicht über die Neuerungen unterhalten, denn sie hatten den GASTHOF ZUR LINDE erreicht, und ihre Ankunft war offensichtlich beobachtet worden. Noch ehe sie den Biergarten erreicht hatten, kam Linde vorgeschossen. Auch sie hatte einen bunten, weitschwingenden Rock an und eine verführerische Carmen-Bluse. Sie sah so ganz anders aus als die tüchtige Geschäftsfrau, und Bettina war sich fast sicher, daß sie das Outfit trug wie bei ihrem letzten unbeschwerten Grill-Abend, ehe Tom nach Amerika gegangen war. Aber das konnte doch nicht sein. In den Jahren hatte sie, auch wenn sie immer noch schlank war, doch einige Pfündchen zugelegt.

Linde begrüßte Thomas voller Überschwang, dann hängte sie sich bei ihm ein und führte ihn in den Biergarten, der mit dem vielen Grün, besonders der gigantischen Rosenhecke wirklich sehr anheimelnd war.

Markus war bereits da, allerdings ohne seine neue Freundin.

»Wo hast du die denn gelassen?« wollte Bettina wissen. »Wir waren schon so neugierig zu sehen, wer da dein Herz erobert hat.«

Markus winkte ab.

»Herz erobert ist wohl zuviel, und ich weiß nicht…«

Linde lachte.

»Sie hat abgesagt, als sie erfuhr, daß wir heute abend das Bier aus Flaschen trinken. Das war ihr nicht geheuer.«

In einem großen Behälter, vollgepackt mit Eiswürfeln lagerten die Flaschen.

Bettina glaubte ihren Augen nicht zu trauen, wie damals, mit den altmodischen Knips-Verschlüssen, die man sonst ja überhaupt nicht mehr sah.

»Wo hast du die denn her, doch nicht etwa zehn Jahre gelagert?«

Linde kicherte.

»Schließlich bin ich Gastwirtin und habe die besten Beziehungen… es gibt schon noch kleine Hausbrauereien, die es ganz traditionell machen, was ich übrigens sehr begrüße. Es geht doch nichts über ein anständiges Pflopp beim Öffnen einer Flasche, und genau diesem Genuß sollten wir uns jetzt hingeben.«

Sie nahm ein bereitliegendes Tuch, holte die Flaschen einzeln heraus, wischte sie ab und reichte sie ihren Gästen.

»Also dann, herzlich willkommen. Auf einen wunderschönen Abend wie in alten Zeiten.«

Die Flaschen stießen aneinander, nachdem es vorher ordentlich ›gepfloppt‹ hatte, dann tranken sie.

»Wo ist eigentlich Martin?« wollte Bettina wissen, nachdem sie ihre Flasche vom Mund genommen hatte.

Linde zuckte die Achseln.

»Er wurde vorhin ins PARKHOTEL nach Bad Helmbach gerufen. Irgendeine hysterische Touristin hat Probleme mit ihrem neurotischen Hund.«

»Du redest aber nicht gerade nett über die Patienten deines Verlobten.« Thomas sah die alte Jugendfreundin belustigt an.

»Ist doch wahr… hier auf dem Lande hat fast jeder Haustiere, aber die sind niemals krank, aber die werden ja auch nicht verhätschelt und überzüchtet wie die Touri-Tiere. Ach, normalerweise ist es mir auch egal. Aber ausgerechnet heute.«

»Er wird schon kommen«, tröstete Markus, »ich kümmere mich jetzt um den Grill, und ihr Mädchen um das Fleisch, und Martin wird schneller da sein als ihr glaubt… was ist übrigens mit der Musik? Ich habe meine Hüften schon bewegt, um sie gleich richtig schmeißen zu können.«

Diese launigen Worte besänftigten Linde. Sie ging zu der kleinen Compact-Anlage und drehte sie an.

Schmissige Tangomusik klang ihnen entgegen, sie machte ein paar schwungvolle Bewegungen, dann nahm sie Bettina bei der Hand.

»Komm, laß uns das Fleisch holen.«

Tanzend bewegten sich die beiden jungen Frauen auf das Haus zu.

Als sie drinnen waren, fragte Bettina: »Sag mal, Linde, das ist doch dein Outfit von damals?«

Linde nickte.

»Klar, ich heb alles auf.«

»Ja, aber…«

Bettina deutete ein paar Kurven an.

»Ach so, du erinnerst dich an meine grazile Figur von damals. Es ist keine Zauberei dabei, der Rock hat einen Gummizug, da kann ich noch ein paar Pfund zulegen, und er wird mir noch immer passen, und die Bluse. Tja, glücklicherweise ist eine meiner Serviererinnen ein Nähtalent. Sie hat alle Nähe aufgetrennt und ausgelassen, was auszulassen ging. Die Bluse paßt jetzt, aber ich hab’ das Gefühl, ich sitz darin wie die Wurst in der Pelle, und vermutlich wird sie nach dem ersten Grillwürstchen explodieren.«

Bettina lachte.

»Jetzt übertreibst du aber. Du siehst super aus, wirklich. Total sexy. Hat Martin dich eigentlich je so gesehen?«

Linde schüttelte den Kopf.

»Nein, er gehörte doch damals noch nicht zum harten Kern der Clique.«

»Dann wird er aber gleich Augen machen.«

»Oder er wird die Augen verdrehen. Martin ist ziemlich konservativ – ich im Grunde genommen ja auch.«

»Ich finde, im Grunde genommen bist du wie ein Vulkan. Und Martin? Ich halte ihn nicht für konservativ, vielleicht hat er sein Verhalten nur deinem angepaßt und ihr macht euch gegenseitig etwas vor.«

»Glaubst du das wirklich?«

»Ich weiß es nicht, aber ich denke, wir alle haben ganz schöne Erwartungshaltungen an unsere Partner, an unsere Umwelt.« Bettina wollte das Thema nicht weiter vertiefen, dazu war ein andermal Zeit, heute wollten sie ja alle unbeschwert und fröhlich sein – wie damals, obgleich das ja auch wieder so eine Erwartungshaltung war. Es konnte auch alles ganz schön schief laufen.

»Wie findest du Thomas?« lenkte sie ab.

»Umwerfend wie immer, der reinste Latin lover, nur in blond. Aber nein«, sie wurde ernst. »Ich habe das Gefühl, als hätten wir alle uns gestern zum letzten Mal getroffen, es ist alles so vertraut. Und ich bin so froh, daß ihr zwei euch wieder gefunden habt, Bettina. Ihr seid wirklich füreinander bestimmt.«

Bettina antwortete nicht, sondern griff nach der Salatschüssel, während Linde das Tablett vor sich her balancierte, auf dem soviel Fleisch lag, als gelte es, eine ganze Kompanie zu versorgen.

»Überschätzt du unseren Hunger nicht, liebe Linde? Oder hast du noch mehr Gäste eingeladen?«

»Die Nacht ist lang«, trällerte Linde, »außerdem haben wir früher noch mehr gegessen.«

Sie gingen hinaus.

Einer der beiden Männer hatte eine andere CD aufgelegt.

»He, wo ist meine Tangomusik?« beschwerte Linde sich. »Macht diese Musik aus.«

»Wieso das denn? Das ist Johnny Cash, der kam früher immer vor dem Tango.«

»Ich weiß, aber doch nicht dieses Lied – the story of a broken heart – findet ihr, daß es der Augenblick ist, etwas von einem gebrochenen Herzen zu hören?«

Markus lachte und betätigte die Vorlauftaste.

Das nächste Lied war ›Sugartime‹, und wie auf Kommando fingen Linde, Thomas und Markus lauthals an zu singen ›Sugar in the morning, sugar in the evening…‹

Bettina kannte auch all die Lieder, sie hatten sie doch früher oft genug gespielt und gesungen, wenngleich sie danach Jonny Cash niemals mehr gehört hatte. Sie sang nicht mit, ihre Gedanken waren noch bei dem vorausgegangenen Lied.

»He, sei kein Spielverderber, sing mit«, rief Linde.

Bettina ignorierte den Einwand.

Wenn Thomas sie – aus welchem Grund auch immer – verlassen würde, dann würde sie an gebrochenem Herzen sterben…

Woran dachte sie?

War sie verrückt geworden?

Sie war entsetzt über solche Gedanken, die doch nun wirklich nicht in diese gesellige Runde paßten. Außerdem kam Thomas in diesem Augenblick fröhlich und ausgelassen auf sie zugetanzt, umfaßte sie, drückte ihr einen zärtlichen Kuß auf die Stirn, dann zog er sie zu den den anderen.

Bettina hatte gar keine andere Wahl, als es ihren Freunden gleichzutun, auch sie sang lauthals mit: ›sugar in the morning…‹

*

Als Martin Gruber endlich kam, war die ›Grillschlacht‹ bereits in vollem Gange, und auch das gut gekühlte Bier schmeckte ganz hervorragend.

Von CD zu CD steigerte sich die Stimmung, und es gab viele, viele ›Weißt du noch?‹«

Inzwischen waren sie bei Willie Nelson angelangt, der gerade ›I’m waiting forever for you…‹ sang.

Als Linde ihren Verlobten erblickte, stand sie auf.

»Hörst du, mein Lieber? Der gute Willie singt mir total aus dem Herzen. Ich warte auch immer auf dich.«

Sie sang mit, während sie sich lachend auf ihn zubewegte.

Verblüfft starrte Martin sie an.

»Linde…«

Er war vollkommen überwältigt.

Sie hörte auf zu singen und zu tanzen.

»Ist wohl… na ja… ich meine… du denkst jetzt ganz bestimmt… aber weißt du«, stammelte sie. Irgendwie schämte sie sich. Was sollte Martin bloß von ihr denken?

Doch ihre Bedenken waren wohl überflüssig, denn ihr Verlobter war total begeistert.

»Linde, ich fasse es nicht. Du siehst ja umwerfend aus. Warum habe ich dich noch nie so flippig angezogen gesehen? Oder ist das nur deinen Freunden vorbehalten?«

Zweifelnd schaute sie ihn an.

»Das gefällt dir?«

»Ich finde es super, ehrlich.«

Sie konnte es noch immer nicht glauben.

»Also Martin, das hätte ich wirklich nicht gedacht, ich meine, daß dir eine so… legere Kleidung an mir gefällt.«

Martin lachte und umfaßte sie.

»Du hast mir bisher keine Chance gegeben, dich so zu sehen. Ich konnte wirklich nicht ahnen, daß du so sexy aussehen kannst.«

Sie waren bei den anderen angekommen. Martin begrüßte die Gäste, dann ließ er sich auf einen Stuhl fallen.

»Ein Königreich für ein Stück Fleisch und ein Bier«, sagte er. »Ich glaube, ihr habt mir einiges voraus, aber keine Sorge, ich werde sehr schnell aufschließen.«

Bettina nutzte das allgemeine Gewusel, um sich neben Markus zu setzen.

»Oh, welche Ehre«, grinste er.

Sie ging auf seinen launigen Ton nicht ein.

»Markus, ich möchte mich bei dir bedanken, von ganzem Herzen.«

»Wofür?«

»Das weißt du doch, daß du dich sofort mit Thomas in Verbindung gesetzt hast.«

Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Nicht der Rede wert, was tut man nicht alles für Freunde.«

»Es ist nicht selbstverständlich.«

Er blickte sie nachdenklich an.

»Na ja, im Grunde sogar töricht, denn wenn es Thomas nicht gäbe, würde ich nichts unversucht lassen, dich anzubaggern. Du bist eine verdammt attraktive Frau, Bettina.«

Der Alkohol hatte seine Zunge ein wenig gelockert. Bettina ging nicht darauf ein, weil sie nicht wollte, daß er etwas Kompromitierendes sagte, was er im nüchternen Zustand bereuen würde.

»Sollen wir tanzen?« lenkte sie ab. »Du weißt doch, daß wir zwei im Tangotanzen unschlagbar waren, und offensichtlich ist jetzt Tangotime angesagt, Linde hat den armen Willie Nelson verstummen lassen, jetzt kommt wohl der gesellige Teil.«

Sofort erhob Markus sich, und sie begannen zu tanzen.

Bettina bemerkte, daß Thomas sie beobachtete, aber nicht voller Eifersucht, sondern sehr wohlgefällig.

War er sich ihrer so sicher?

Sofort verdrängte sie diesen Gedanken wieder. Sie erinnerte sich daran, was er noch an diesem Morgen draußen auf dem See zu ihr gesagt hatte – daß es keine Sicherheit gab. Irgendwie machte sie das traurig. Auch wenn es vielleicht nur ein Trugschluß war, sie wollte sich so gern sicher fühlen – sicher seiner Liebe, einer gemeinsamen Zukunft.

»Was ist los, Bettina?« beschwerte Markus sich, »wo bleibt deine Leidenschaft für den Tanz?«

Schuldbewußt zuckte sie zusammen.

»Entschuldige«, murmelte sie, dann verdrängte sie alles, was ihr gerade durch den Kopf gegangen war.

Irgendwie schien es Thomas doch etwas auszumachen, daß sie so gekonnt mit Markus tanzte. Als ein neues Lied erklang, stand er auf und kam auf sie zu.

»Das ist jetzt mein Tanz«, bestimmte er und zog sie einfach von Markus weg.

Während sie mit Markus fast professionell getanzt hatte, war das jetzt mit Thomas reine Hingabe. Seine Nähe empfand sie als so elementar, daß ihr Herz wild anfing, so heftig zu schlagen, daß sie fast glaubte, es drohe zu zerspringen.

Den Rosen entströmte ein süßer, betäubender Duft. Sie waren nicht mehr richtig zu erkennen, sondern hatten sich im immer mehr einsetzenden Dunkel in verschwommene rosafarbene Punkte verwandelt, die aus der jetzt fast schwarz wirkenden Hecke leuchteten.

Linde lachte über etwas, was Martin ihr ins Ohr geflüstert hatte, Markus drehte am Grill gerade Fleisch um. Wer sollte das noch essen?

Und sie und Thomas waren in einer anderen Welt, einer Zauberwelt.

Ihre Körper schienen zu verschmelzen bei diesem langsamen Tango-Argentino, in dem die ganze Skala der Gefühle ausgelebt wurde – Liebe, Leidenschaft, Begehren, Kampf, Schmerz…

Als der Tanz zu Ende war und Thomas sie aus seinen Armen ließ, war Bettina vollkommen benommen und hatte Mühe, sich in der Gegenwart zurechtzufinden.

Sie wollte sich wieder zu den Anderen gesellen, aber Thomas hielt sie zurück.

»Tini, ich liebe dich, und ich werde alles, was in meiner Macht steht, um dich glücklich zu machen. Aber Liebe kann man nicht kalkulieren. Wir alle wissen nicht, was das Schicksal für uns bereithält. Wenn etwas eintritt, in diesem Augenblick müssen wir es annehmen und versuchen, damit klarzukommen. Das Leben bereitet uns auf Schicksalsschläge nicht vor und wie wir damit umgehen, dafür gibt es auch keine Gebrauchsanweisung.«

»Warum sagst du das jetzt?«

»Weil ich im Moment mit dir allein bin, und weil ich dich beobachtet habe, als Willie Nelson das Lied vom gebrochenen Herzen gesungen hat. Du sahst aus, als sei dein Herz gebrochen. Und dazu besteht kein Anlaß, man kann nicht etwas vorausahnen und Angst vor dem haben, was vielleicht kommen könnte. Solche Denkart löst manchmal genau das aus, was man eigentlich nicht möchte. Psychologen nennen das ›die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen‹.«

Bettina lehnte sich an ihn. Sie war vollkommen fertig von dem, was er da gesagt hatte, weil es ja auch zutraf.

»Ach Tom«, wisperte sie, »ich kann mich manchmal nicht verstehen, aber seit du wieder da bist, komme ich mir manchmal vor wie…«, sie suchte nach den passenden Worten, »nun ja, wie ein Rohr im Wind.«

Er versuchte der Situation den Ernst zu nehmen.

»Das ist doch gar nicht schlecht, Rohre biegen sich, aber sie richten sich immer wieder auf… Tini, lerne zu vertrauen – vertraue dir, unserer Liebe.«

Er beugte sich zu ihr herunter und küßte sie sehr zärtlich und sehr anhaltend.

Als sie sich voneinander lösten, bemerkten sie ihre Freunde, die sich ganz in ihrer Nähe aufgestellt hatten und nun vergnügt brüllten: »Zugabe… Zugabe…«

Das ließ Thomas sich nicht zweimal sagen, unter dem Beifall ihrer Freunde küßte Thomas Bettina erneut, diesmal aber nur ganz kurz, schließlich war das hier keine Selbstvorstellung, sondern ein ausgesprochen gelungenes Beisammensein unter alten Freunden.

*

Die beiden nächsten Tage zeigten sich von ihrer besten Seite.

Losgelöst vom Alltag lebten Bettina und Thomas nur für sich, entdeckten einander.

Die meiste Zeit verbrachten sie am See oder auf dem Wasser.

Sie amüsierten sich über die Enten, die sich schnatternd um das mitgebrachte Brot balgten, versuchten, es sich gegenseitig abzujagen.

Sie bewunderten die Schwäne, die in majestätischer Eleganz über das Wasser glitten, hörten das Rauschen des Schilfs, das Quaken der Frösche.

Sie waren eingetaucht in eine Welt, in der es nur sie gab.

Bettina vergaß ihren Alltag, ihre Sorgen. Als wollten sie keinen Mißklang in ihre trügerische Welt bringen, sprachen sie auch nicht über ihre Vergangenheit, eigentlich sprachen sie überhaupt nicht viel, vielleicht aus Angst, daß Worte die Magie und den Zauber zerstören könnten.

Welch trügerisches Idyll!

Aber vielleicht hatten sie auch unbewußt eine Vorahnung, daß das Schicksal ihnen alle Facetten reinsten Glücks schenkte, um sie dann unerbittlich in die Gegenwart zurückzuholen.

Bettina und Thomas hatten wieder in träger Glückseligkeit den Tag verbracht, als Thomas, ehe sie auf ihre Fahrräder stiegen, um nach Hause zu fahren, unvermittelt sagte: »Heute abend möchte ich ganz groß mit dir ausgehen, mein Liebes. Und bei einem exquisiten Dinner werde ich, mich betreffend, all deine Fragen beantworten.«

»Ich habe doch überhaupt nichts mehr gesagt oder gefragt.«

Er nahm sie in die Arme, strich ihr das Haar aus dem Gesicht, ehe er einen sanften Kuß auf ihre Stirn drückte.

»Tini, ich kann in dir lesen wie in einem offenen Buch. Natürlich hast du nichts gesagt, aber ich habe es die ganze Zeit gespürt, daß du endlich wissen möchtest, wie es mir in den letzten zehn Jahren ergangen ist. Und das ist auch vollkommen legitim, es ist dein Recht.«

Sie schloß die Augen, atmete tief durch, weil sie auf einmal total aufgeregt war.

Etwas, was sie schon gar nicht mehr zu hoffen gewagt, was sie verdrängt hatte, sollte eintreten. Sie sollte alles über Thomas erfahren, alles über die Zeit, in der sie keine Verbindung gehabt hatten.

Wenn sie ehrlich war, interessierte sie geradezu brennend, welche Frauen oder welche spezielle Frau es in seinem Leben gegeben hatte oder vielleicht noch gab.

Sie konnte nichts dafür, aber der Stachel der Eifersucht saß immer noch in ihr, und solange es keine Gewißheit gab, würde es wohl auch so bleiben.

Aber von diesem inneren Zwiespalt in ihr sollte er nichts erfahren.

»Wohn gehen wir?«

Sie versuchte, ihrer Stimme einen unverbindlichen Klang zu verleihen.

»Nach Isning. Die ISNINGER STUBEN sollen das Beste sein, was die Gegend hier zu bieten hat.«

»Es ist sündhaft teuer«, gab Bettina zu bedenken, die ja über seine finanziellen Verhältnisse überhaupt nichts wußte, und der Rosenflug hatte gewiß auch schon eine beträchtliche Summe gekostet.

»Ich weiß, dafür haben sie aber auch einen Drei-Sterne-Koch, und das Ambiente soll sehr stimmig sein.«

Er schien sich genau informiert zu haben. »Sie sind immer ausgebucht.«

Thomas lachte.

»Das weiß ich auch – für alles ist gesorgt. Wir müssen uns nur noch auf einen unvergeßlichen Abend freuen, und daß er das wird, dazu möchte ich auf jeden Fall beitragen. Ich habe dir viel zu erzählen, und ich möchte dich auch etwas Wichtiges fragen.«

Sie wurde abwechselnd rot und blaß.

Wollte er ihr einen Heiratsantrag machen? So ganz offiziell?

»Ach, Thomas«, seufzte sie und lehnte sich an ihn.

Er ergriff die Gelegenheit, sie zu küssen, dann aber drängte er zur Eile.

Sie mußten sich noch duschen, umziehen, und Isning lag eine gute dreiviertel Stunde von Fahrenbach entfernt.

Bettina begann sich unbändig zu freuen – einfach über alles, über ihre Liebe, dafür, daß Thomas wieder bei ihr war, daß sie so wundervolle Tage und Nächte miteinander verbracht hatten, und sie freute sich auf diesen Abend, der ein ganz besonderer werden würde. Thomas verstand es immer wieder, sie zu überraschen. Und dieser unverhoffte Besuch in diesem Luxusrestaurant war eine dieser Überraschungen. Bettina war einmal mit ihrem Vater dort eingekehrt. Es war schon etwas Besonderes, mit einem sehr gediegenen Publikum, das kultiviert war und sicherlich auch viel Geld hatte, ohne es nach außen hin zeigen zu müssen, sondern eher unauffällig auftrat. Das machte es so angenehm, weil man sicher sein konnte, nicht angestarrt zu werden. Jeder war für sich, und so konnte man sich ungestört dem exquisieten Essen hingeben und absolut sicher sein, daß Gespräche nicht belauscht wurden.

Bettina griff nach ihrem Fahrrad.

»Kleine Wettfahrt gefällig?« rief sie voller Übermut. »Wer zuerst am Mariendenkmal ist, hat gewonnen.«

»Einverstanden, also aufgepaßt – auf die Plätze, fertig, los«, rief Thomas und dann radelten beide lachend los.

*

Glücklicherweise gab es im Haus zwei Badezimmer, und Thomas hatte sich bereit erklärt, mit seinen Utensilien in den unteren Bereich zu gehen, Männer waren da ja in der Regel unkomplizierter, und zu dieser Art Mann gehörte Thomas, mit sicherem Griff hatte er aus dem Schrank einen leichten, hellen Sommeranzug gegriffen, dazu ein passendes Hemd, Socken, Schuhe, auf eine Krawatte wollte er verzichten, dann lachte er sie an.

»Ich warte dann unten auf dich.«

Und mit diesen Worten war er entschwunden, ganz gelassen und entspannt.

Bettina bewunderte ihn für seine Ruhe, sie war vollkommen aus dem Häuschen. Nach dem Duschen, und nachdem sie sich die Haare nur einfach glattgeföhnt hatte, raste sie an ihren Kleiderschrank und begann in wilder Hektik alles mögliche herauszuzerren, aber als sich die Kleidungsstücke auf dem Bett zu türmen begannen, besann sie sich. Sie war nicht allein und konnte kein Chaos hinterlassen, Thomas würde einen Anfall bekommen.

Also räumte sie alles wieder ordentlich ein, und bei der Gelegenheit entdeckte sie ein cremefarbenes, knielanges, enggeschnittenes Seidenkleid. Auch das war ein Teil, was sie niemals getragen hatte. Für sie war es im Grunde genommen ein Fehlkauf gewesen, denn die Farbe war für eine normalerweise blasse Blondine nicht unbedingt vorteilhaft. Sie war von dem Kleid nur so begeistert gewesen, weil es eine wunderschöne schwerfallende Seide war, in die in Handarbeit Ton in Ton interessante Motive eingestickt worden waren. Es war schon verrückt gewesen, aus diesem Grund dieses teure Stück zu kaufen, aber heute freute sie sich darüber. Durch die vielen Aufenthalte im Freien war ihre Haut wunderbar gebräunt, nun also paßte es. Es betonte ihre Figur, die ihr glücklicherweise keine Probleme machte. Rasch schlüpfte sie in hochhackige Sandaletten, griff nach ihrer Tasche. Ehe sie endgültig hinunterging bestäubte sie sich nochmals mit ihrem Lieblingsparfüm, prüfte den Sitz ihrer Frisur, widerstand dem Impuls, etwas daran zu ändern, denn das kannte sie, wenn sie jetzt versuchen würde, daran herumzuarbeiten, würde das in einer Katastrophe münden. Also ließ sie es bleiben, warf sich einen Kußmund mit ihren perfekt geschminkten Lippen zu, dann ging sie nach unten.

Thomas wartete bereits auf sie. Bei ihrem Anblick ging ein Strahlen über sein Gesicht.

»Du siehst umwerfend aus, mein Liebes. Womit habe ich nur eine solche Traumfrau verdient. Ich weiß nicht…«

Er wurde durch das Klingeln eines auf dem Tisch liegenden Handys unterbrochen. Es war seines, dessen Klingeln schrill und fordernd durch den Raum klang. Er hatte es vorher aufgeladen, sonst läge es überhaupt nicht da.

»Laß es klingeln«, sagte er, blickte aber dennoch in Richtung Tisch.

»Geh dran«, ermunterte Bettina ihn, »sonst denkst du vielleicht den ganzen Abend darüber nach, wer angerufen haben könnte.«

Er lachte.

»Ganz gewiß nicht, in Gegenwart von dir werde ich an alles andere denken, nur nicht an mein Handy.«

Da der Anrufer Beharrlichkeit bewies, seufzte er.

»Also gut, bringe ich es hinter mich.«

Mit wenigen Schritten war er am Tisch, ergriff das Handy und meldete sich.

Er wurde mit einem Wortschwall empfangen, sein Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde ernst, er begann Englisch zu sprechen. Offensichtlich ein Anruf aus Amerika.

Bettina verließ den Raum und deutete an, daß sie bereits nach draußen gehen würde, war sich aber nicht sicher, ob er das überhaupt bemerkt hatte.

Mit zitternden Knien setzte sie sich draußen auf die Bank, ihr Herz klopfte wie verrückt, und auf einmal hatte sie die böse Vorahnung, daß dieser Anruf nichts Gutes bedeutete.

Als Thomas einige Zeit später nach draußen kam, bestätigte es sich.

»Meine Eltern hatten in Florida einen Autounfall. Sie sind verletzt und befinden sich im Krankenhaus. Ich muß sofort hin.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Es gibt heute noch eine Maschine nach London, von dort aus habe ich mehrere Möglichkeiten in die USA zu kommen.«

Bettina saß wie gelähmt da und starrte ihn an. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Das mit seinen Eltern tat ihr unendlich leid, sie mochte sie, sie waren sehr nett. Aber dieser Anruf bedeutete auch das Ende ihres Abends, ehe er angefangen hatte und es bedeutete das Ende seines Aufenthaltes.

»Tini, es tut mir ja so leid.«

Sie stand auf.

»Hoffentlich sind deine Eltern nicht zu sehr verletzt, weißt du Näheres?«

»Leider nicht, aber meinen Vater muß es wohl mehr erwischt haben.«

Sie hätte gern gewußt, wer ihn wohl angerufen hatte, wer wußte, daß er auf dem Fahrenbach-Hof war. Aber gleich schämte sie sich solcher Gedanken wieder.

»Ich helfe dir beim Packen, und dann bringe ich dich selbstverständlich zum Flughafen.«

»Danke, das ist lieb, aber das mache ich lieber allein, ich mein das Packen… und du kannst mir ein Taxi rufen.«

»Thomas, ich will dich doch zum Flughafen bringen«, wiederholte sie.

»Ich hasse Abschiede an Flughäfen.«

Das klang so autoritär, daß sie verstummte und ihn nur aus weitaufgerissenen Augen anstarrte.

Er machte ein paar Schritte auf sie zu.

»Tini, tut mir leid, ich wollte nicht so barsch sein, aber ich bin ziemlich nervös. Und wenn du mich bringen würdest, hätte ich keine Nerven, mich mit dir zu unterhalten. Im Taxi kann ich mich auf das konzentrieren, was als Nächstes zu tun ist.«

Das klang ja einleuchtend, aber war es nicht eigentlich so, daß man bis zum letzten Augenblick die Nähe eines geliebten Menschen spüren wollte, unabhängig von Worten?

»Wenn du meinst…«, sagte sie nur.

»Tini, spiel jetzt nicht das kleine, ungehaltene Mädchen. Das paßt nicht zu dir, ich werde auf jeden Fall meine Sachen zusammenpacken, und du kannst derweil unsere Reservierung absagen. Es tut mir wirklich sehr, sehr leid, ich hätte mir den Verlauf des Abends auch anders gewünscht. Aber es passieren nun mal nicht voraussehbare Dinge.«

Er strich ihr flüchtig übers Haar, aber sie merkte, daß er mit seinen Gedanken schon ganz woanders war. Am liebsten hätte sie angefangen zu weinen, nicht nur aus Enttäuschung, sondern weil sie spürte, ohne eine Erklärung dafür zu haben, daß bedrohliche, düstere Schatten in ihr Paradies gefallen waren. Besonders nach den so harmonisch und voller Liebe verbrachten Tagen tat ihr die Enttäuschung jetzt beinahe körperlich weh.

Ihre Finger zitterten, als sie die Restaurant-Nummer wählte, um abzusagen. Dann gab es für sie nichts mehr zu tun. Sie wäre gern zu Thomas hinaufgegangen, um ihm beim Packen zu helfen, um einfach zu seiner Nähe zu sein, aber das hatte er ja so entschieden abgelehnt, daß sie sich nicht traute, sich seinen Wünschen zu widersetzen.

So feingemacht, so aufgerüscht, kam sie sich in der augenblicklichen Situation so deplaciert vor, daß sie sich am liebsten diesen schicken Fummel vom Körper gerissen hätte, um ihn gegen eine Jeans und ein Shirt oder eine Bluse zu vertauschen. Irgendwie kam sie sich vor wie jemand, der dastand wie bestellt und nicht abgeholt.

Inmitten all ihres Elends fiel ihr ein, daß sie ja noch ein Taxi für Thomas bestellen mußte. Einen nochmaligen Versuch zu unternehmen, daß sie ihn zum Flughafen bringen konnte, brauchte sie überhaupt nicht zu unternehmen. Dafür war seine Ablehnung zu autoritär gewesen.

Sie hatte den Telefonhörer gerade wieder aufgelegt, als Thomas, beladen mit seinem Gepäck, herunterkam.

Er hatte sich umgezogen, trug Sneakers an den Füßen, eine Jeans, Polohemd und eine Sweatjacke über die Schulter geschlungen.

Das er gut aussah, registrierte Bettina überhaupt nicht. Sie wußte nur, daß es maximal eine Viertelstunde war, die sie noch zusammensein würden.

Er stellte sein Gepäck ab, ging auf sie zu, nahm sie zärtlich in die Arme.

»Tini, es tut mir ja so leid… aber das konnte wirklich niemand voraussehen.«

Sie antwortete nicht.

»Ich komme doch wieder, wir telefonieren, mailen.«

Wieder war sie nicht in der Lage zu antworten.

Er schob sie ein wenig von sich.

»Bist du jetzt sauer?«

Sie schüttelte den Kopf und versuchte krampfhaft, sich zusammenzureißen.

Wie konnte sie ihm denn sagen, daß sie traurig war, unglücklich, daß sie Angst hatte, ihn zu verlieren, weil alles ungeklärt, nichts ausgesprochen war.

»Wie könnte ich sauer sein, nein, ich bin nur ein bißchen«, auch das war gelogen, »traurig. Aber es wird schon wieder.«

Sofort war er beruhigt, nahm sie fest in die Arme und küßte sie.

Aber so sehr Bettina seine Küsse sonst auch genossen und hingebungsvoll erwidert hatte – dieser Kuß fühlte sich schal an, vielleicht weil es ein Abschiedskuß war. Küsse zur Begrüßung waren verheißungsvoll… Begrüßungsküsse waren ihr lieber, weil sie der Auftakt waren, nicht das Ende.

Thomas versuchte noch etwas zu sagen, aber man merkte seinen Worten an, daß er nicht mehr bei der Sache war, und so waren wohl beide ganz erleichtert, als das Taxi auf den Hof gefahren kam.

Ein letzter Kuß, ein letztes Winken…

Bettina sah dem Auto nach. Leni kam aus ihrem Haus gelaufen, aber als sie die verlorene Gestalt in ihrem schönen Kleid auf dem Hof stehen sah, zog sie sich wieder zurück. Bettina brauchte jetzt keine tröstenden Worte, sie mußte allein sein.

Was immer auch geschehen war, sie, Leni, würde es schon erfahren.

Streit hatte es zwischen den Beiden nicht gegeben, deswegen war Thomas nicht weggefahren, denn Streitende küßten sich nicht zum Abschied.

Aber was war vorgefallen?

*

In den nächsten Tagen stürzte Bettina sich wie besessen auf ihre Arbeit. Aber sie verrichtete alles mehr oder weniger mechanisch, und weil ihre Grundstimmung so negativ war, sah sie in dem, was sie tat, auch keinen eigentlichen Sinn.

Sie rackerte sich ab, um Fremdenzimmer zu schaffen, mit denen sie Einnahmen erzielen würde, die bei weitem nicht ausreichten, die Kosten zu decken oder einen Gewinn zu erzielen.

Sollte das alles darauf hinauslaufen, daß sie doch, obwohl das vorher noch niemals geschehen war, Land verkaufen mußte?

Die Rezeptur für das Kräutergold, die würde sie weiterbringen, sie hatte schon einige Anfragen bekommen.

Aber wo war sie?

Bettina legte das Schmirgelpapier beiseite, mit dem sie ein Türblatt bearbeitet hatte, wischte sich achtlos die Hände an ihrer Schürze ab, dann holte sie sich den Schlüssel von der Destillerie, oder, wie Leni und die beiden Männer es immer stolz ausdrückten, von der Likörfabrik.

Sie mußte alles gründlich absuchen. Ihr Vater mußte die Unterlagen irgendwo haben, und da sie im Haus nicht waren, ihre Geschwister und der Notar sie nicht hatten, mußten sie irgendwo in der Firma sein.

Als sie das Gebäude betrat, war sie wieder fasziniert. Es war eine Schande, daß alles so brach lag. Es mußte etwas geschehen!

Jetzt, da Thomas weg war, hatte der Alltag sie wieder eingeholt, und die Sorgen und Ängste hatten von ihr Besitz genommen wie eine böse Krankheit.

Mit Thomas hatte sie telefoniert, seine Eltern hatten Glück gehabt und würden nach drei, vier Wochen Krankenhausaufenthalt wieder genesen sein.

Er war liebevoll am Telefon, zärtlich, beteuerte ihr seine Liebe. Aber irgendwie reichte das nicht, man konnte sich nicht immer seine Liebe beteuern. Die Gespräche waren flach, weil sie keinen Altag miteinander hatten und keiner von dem Anderen wußte, was er tat, was ihn bewegte. Dieses Gespräch hatte nicht stattgefunden, und das rächte sich. Beide hatten eine Scheu davor, jetzt am Telefon davon anzufangen was sie, als sie beisammen gewesen waren, versäumt hatten.

Während Bettina mit den Fingern über einen der blinkenden Kessel strich, fragte sie sich, ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gab, den Betrieb zu nutzen. Leider verstand sie nichts von diesem Metier und wußte nicht, was sie da zusammenmixen sollte. Außerdem war der Markt für neue Produkte, die nicht wirklich sensationell waren, eng.

Sie blickte sich suchend um, um dann weiterzugehen, denn in den Pruduktionsräumen war nichts zu finden.

Ihre letzte Hoffnung war schließlich, nachdem sie alle Räume sorgfältig durchsucht hatte, das Büro ihres Vaters.

Als sie sich an seinen Schreibtisch setzte, fragte sie sich, ob ihr Vater an diesem Platz wohl glücklich gewesen war oder vielleicht wehmutsvoll, weil keines seiner Kinder – insbesondere seine Söhne nicht – das geschätzt hatte, worin der Erfolg der Firma Fahrenbach begründet war.

Sie selbst konnte sich auch nicht damit herausreden, daß sie ja nur für die Werbung der Firma zuständig gewesen war.

Als – auf intensives Betreiben ihrer beiden Brüder – das Fahrenbach-Kräutergold aus dem Programm genommen worden war, hatte sie auch nicht widersprochen, sondern es einfach hingenommen. Sie alle hatten überhaupt nicht bedacht, wie verletzt ihr Vater gewesen sein mußte, wie traurig, daß sie sich wegen moderner, hipper Produkte so sang- und klanglos von etwas Traditionsreichem, Erfolgreichem, Solidem getrennt hatten. Aber ihr Vater hatte ja darüber auch niemals gesprochen, er hatte es hingenommen, um dann heimlich mit der kleinen feinen Produktion in Fahrenbach fortzufahren. Daran konnte man ja auch schon erkennen, wie wichtig es ihm gewesen war, wie sehr es ihm am Herzen gelegen hatte, Kräutergold nicht einfach sterben zu lassen.

Hatte er deswegen vielleicht die Rezeptur vernichtet, weil er davon überzeugt war, daß seine ignoranten Kinder sie nicht wollten und er nicht wollte, daß sie in fremde Hände geriet?

Irgendwie glaubte Bettina nicht daran. Also begann sie systematisch das Büro zu durchsuchen. Sie fand, wohlgeordnet, alle möglichen Unterlagen, aber nirgendwo die Rezeptur für das Kräutergold, das ihre Rettung hätte sein können.

Resigniert verließ sie die Destillerie. Den Traum, mit dem Kräutergold die Tradition wiederaufleben zu lassen, mußte sie endgültig begraben.

Statt sich jetzt weiter mit Sentimentalitäten aufzuhalten, sollte sie versuchen, die komplette Einrichtung der Fabrikation zu verkaufen, dann würde sie wenigstens noch etwas Geld bekommen, das sie dringend brauchte, und sie konnte die Räume nutzen, um sie als Ferienappartements herzurichten.

Das mit dem Verkauf ihrer Eigentumswohnung ging auch nicht voran. Vielleicht hätte sie doch nicht diesen jungen Makler damit beauftragen sollen, sondern ein etabliertes Büro.

Sie wußte, daß das ungerecht war, so zu denken, denn Olf Stein bemühte sich sehr, wahrscheinlich sogar mehr noch als ein großes Büro, für das der Verkauf einer Wohnung nur so nebenbei mitlief. Aber Bettina war schlecht gelaunt und brauchte einfach ein Ventil, um ihren Frust loszuwerden.

Sie knallte die Eingangstür zu und schloß ab, dann stapfte sie, noch immer zornig auf sich, auf die Welt, die zweihundert Meter zurück zum Hof.

Bekümmert blickte Leni ihr entgegen.

Bettina gefiel ihr überhaupt nicht mehr. Sie wirkte so verloren wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen. Es schien, als habe sie mit Thomas auch all ihre Energie verlassen.

»Hast du wieder nach der Rezeptur gesucht?«

Bettina nickte.

»Natürlich vergebens. Ich kann meinen Vater wirklich nicht verstehen, daß er eine hochmoderne Destillerie hinterläßt und nicht das, worauf es ankommt, sie auch zu bewirtschaften und zu betreiben.«

»Sie wird sich finden«, beharrte Leni, wie schon so oft zuvor, weil sie überzeugt davon war, daß ein so besonnener Mann wie Hermann Fahrenbach so etwas eminent Wichtiges nicht einfach vernichtete oder achtlos beiseite legte.

»Ach, und soll die Rezeptur vom Himmel fallen«, baffte Bettina ihre Vertraute an, um sich sofort wieder zu entschuldigen. »Bitte verzeih mir, Leni, du kannst doch nichts dafür, daß ich schlecht gelaunt bin.«

Leni war nicht nachtragend.

»Linde hat angerufen, ich soll dir ausrichten, daß sie dich um zwei abholt. Sie will den Nachmittag mit dir verbringen.«

»Da mußt du dich aber verhört haben. Linde hat doch nicht ihren freien Tag.«

»Sie will dich um zwei abholen«, beharrte Leni, »ich weiß doch, was sie gesagt hat.«

»Ja, ja, danke Leni.«

Bettina wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und schmirgelte wie besessen auf dem Türblatt herum, als gelte es, einen ersten Preis zu gewinnen.

Leni mußte sich verhört haben, und außerdem – sie würde nirgendwohin gehen, nicht mit Linde, mit niemandem, alle sollten sie gefälligst in Ruhe lassen.

Fast beneidete sie ihre Freundin Linde. Die hatte einen gutgehenden, traditionsreichen Gasthof übernommen und hatte tägliche Einnahmen durch zahlende Gäste. Und sie, Bettina, besaß Grundstücke, sogar einen kapitalen See, aber Geld hatte sie keines.

Sicherlich, der Verkauf eines Grundstücks würde ihre Probleme auf einen Schlag lösen, aber die Fahrenbachs hatten noch niemals verkauft, fünf Generationen nicht. Sie konnte und durfte jetzt damit nicht den Anfang machen. Vielleicht war ein solches Denken sentimental, aber sie konnte nicht anders. Es mußte eine andere Lösung geben. Sicherlich hatte ihr Vater etwas im Auge gehabt, als er ausgerechnet ihr den Hof hinterlassen hatte. Aber was?

Fast beneidete sie ihre Geschwister, bei denen offensichtlich alles einfach lief.

Grit hatte ihr Erbteil zuviel Geld gemacht. Bettina war sich sicher, daß sie das nicht getan hätte.

Frieder führte neue Methoden im Weinkontor ein, baute es total um.

Auch hier war sich Bettina sicher, daß sie das nicht getan hätte.

Ihr Bruder Jörg veranstaltete auf dem Chateau spektakuläre Events, statt sich um den Weinanbau zu kümmern.

Das wäre Bettina auch niemals in den Sinn gekommen.

Warum also beklagte sie sich?

Sie hätte nichts von allem haben wollen. Der Fahrenbach-Hof war ein großes Geschenk, zu dem sie uneingeschränkt JA sagen konnte. Es war der Platz, zu dem sie uneingeschränkt ja sagen konnte, mit allem für und wider.

Also mußte sie eine Lösung finden, und es gab eine, sie hatte sie vor Augen, konnte sie nur noch nicht sehen.

Leni brachte ihr das Telefon.

Es war Linde.

»Ich wollte mich nur vergewissern, daß du um zwei auch fertig bist. Mach dich schön, ich finde, wir zwei sollten mal in die feine Welt in Helmbach eintauchen.«

»Lieb von dir, aber ich habe zu tun, und du… du hast doch heute gar nicht deinen freien Tag.«

»Aber ich habe Personal, auf das ich mich verlassen kann, und deine Arbeit ist nicht lebensnotwendig. Du brauchst Abwechslung, ganz dringend sogar. Wir machen Bad Helmbach unsicher und keine Widerrede.«

Ehe Bettina widersprechen konnte, rief Linde ›Bis dann‹, und legte auf.

Unschlüssig starrte Bettina auf den Telefonhörer. Was sollte sie jetzt tun?

Leni nahm ihr den Hörer aus der Hand.

»Natürlich wirst du gehen«, bestimmte sie, »Linde ist sehr nett. Sie wird dich von deinen Sorgen und trüben Gedanken ablenken.«

Das stimmte. Linde hatte sich wirklich, seit sie in Fahrenbach lebte, als wahre Freundin erwiesen. Und außerdem – wie sie Linde kannte, würde diese ohnehin keine Einwände gelten lassen und auch keine Absage akzeptieren. Sie würde solange darauf bestehen, daß sie mitkam, daß Bettina keine andere Wahl hatte, als letztlich mitzukommen.

Sie legte das Schmirgelpapier sowie alle anderen Utensilien in ihre Werkzeugkiste. Lange hätte sie ohnehin nicht mehr arbeiten können. Ihre Hände schmerzten. Ihre Finger waren schon stark angeschwollen, an manchen Stellen, weil sie nicht achtsam genug gewesen war, ziemlich aufgeschorfelt. So richtige Arbeiterhände, dachte Bettina belustigt. Aber das sah sie nicht negativ, im Gegenteil – Arbeit schändet nicht, sagte ein altes Sprichwort, und dem stimmte sie voll und ganz zu.

»Ich mach dir einen kleinen gemischten Salat mit Putenstreifen«, schlug Leni vor, »und du machst dich derweil hübsch. Das Wetter ist so schön, du kannst gleich draußen essen.«

»Klingt wunderbar, Leni, danke«, sagte sie, weil sie ja wegen ihres groben Verhaltens vorhin noch einiges gutzumachen hatte. Und schließlich begann sie sich auf den Nachmittag mit Linde zu freuen.

Linde würde sie auf jeden Fall aufmuntern, und sie hatte auch immer sehr gute, praktische Ideen, wie man Probleme lösen konnte. Sicherlich würde sie ihr den einen oder anderen guten Ratschlag geben können.

*

Ursprünglich war Bad Helmbach auch nichts Anderes gewesen als ein verträumter Marktflecken wie Fahrenbach. Der einzige Unterschied lag darin, daß es in Fahrenbach relativ große traditionsreiche Bauernhöfe und Anwesen gab, während Helmbach von relativ kleinen Höfen besiedelt gewesen war, teilweise sogar Höfen, die nebenberuflich betrieben wurden, weil auf ihnen nicht ertragreich genug gearbeitet werden konnte. Das war auch der Grund gewesen, daß sich die Bauern relativ leicht von ihren Höfen getrennt hatten, als die ganze Gegend um Helmbach zu Bauland erklärt worden war.

Als erstes war der See, längst nicht so groß und schön gelegen wie der Fahrenbach-See, besiedelt worden. Inzwischen war er völlig zugebaut mit Hotels, Villenanwesen, es gab sogar einen kleinen Yachthafen.

Dann weitete es sich immer weiter aus. Es kamen Gästehäuser, Pensionen, Restaurants und viele Geschäfte, Boutiquen. Als schließlich eine Thermalquelle entdeckt worden war, war aus dem Örtchen Helmbach Bad Helmbach geworden.

Mittlerweile wimmelte es nur so vor lauter Fitness-Centern, Beautyfarmen, Wellness-Oasen. Es hatten sich auch Schönheitschirurgen angesiedelt, die das komplette Programm boten, angefangen von Botox-Spritzen über Fettabsaugen bis schließlich zur Rundumerneuerung, bei der man sich im Spiegel selbst nicht mehr erkannte.

Die Nachbarorte hatten nachgezogen, nicht ganz so elegant und teuer, aber doch auch ganz beachtlich, wenn man die finanziellen Vorteile sah. An Lebensqualität hatten all diese Orte, zumindest für Bettinas Empfinden, erheblich eingebüßt, insbesondere Helmbach. Dort war wirklich alles auf Spaß, Sehen und Gesehenwerden, ausgerichtet, und wenn man sich nicht auf dem Golfplatz tummelte, den es selbstverständlich auch gab, tummelte man sich auf den Tennisplätzen, der Squashanlage oder in den pompösen Bädern.

Es war schon ganz erstaunlich, daß sich das nicht so weit entfernte Fahrenbach seine beschauliche Ursprünglichkeit bewahrt hatte. Hoffentlich würde das noch sehr, sehr lange so bleiben. Jetzt, da so viele Wiesen und Äcker und das Land um den See herum zu Bauland erklärt worden waren würde schon eine Veränderung stattfinden. Das sah man ja auch schon an den Häusern, die inzwischen gebaut worden waren.

Aber darüber wollte Bettina jetzt nicht nachdenken. Noch bestand ja auch kein Grund zur Sorge.

Linde und Bettina hatten das Zentrum erreicht und sogar, was gar nicht so einfach war, sofort einen Parkplatz gefunden.

»Was machen wir zuerst?« wollte Linde wissen. »Schaufenster gucken? Das käme mir eigentlich sehr gut aus, denn Martin schwärmt noch immer von meinem Outfit an unserem Grillabend. Vielleicht finde ich ja so einen Fummel, mit dem ich diesen Erfolg wiederholen kann. Aber nur«, schränkte sie sofort ein, »wenn es nicht zu teuer ist. Ich habe nämlich keine Lust, für Klamotten, die ich nur in der Freizeit trage, ein Vermögen auszugeben.«

»Vielleicht solltest du so etwas nicht nur in der Freizeit tragen, du hast nämlich ziemlich super-sexy ausgesehen.«

»Du in deinem heißen Röckchen auch. Und wie oft hast du es getragen, liebe Freundin? Einmal.«

Bettina lachte.

»Vielleicht müssen wir beide etwas ändern.«

Sie hatten die Fußgängerzone erreicht.

»Da drüben der Laden ist neu«, rief Linde, »laß uns gleich da zuerst einmal gucken. Der Name der Boutique klingt doch ganz vielversprechend – GIPSY. Wenn nicht dort, wo sollen wir dann ausgeflippte Sachen finden.«

Sie zerrte Bettina über die Straße zu dem Geschäft, an dessen Schaufenster tatsächlich ein großes Schild NEUERÖFFNUNG angebracht worden war.

Die Schaufensterdekoration war schon mal sehr ansprechend. Alles war in abgestuften Khakitönen und in Weiß gehalten, und die Preise waren auch annehmbar.

Der Laden war nicht sehr groß, aber auch drinnen sehr ansprechend, und die Verkäuferin, sie mochte in ihrem Alter sein, sehr freundlich.

Im Augenblick war sie jedoch mit einer Kundin beschäftigt, die sich für Sachen interessierte, die überhaupt nicht zu ihr paßten, die Frau war klein und rundlich, was sicherlich kein Fehler war, aber in dem weiten langen Rock, den sie in der Hand hielt, würde sie aussehen wie ein Teepüppchen.

»Sie soll den Rock aus der Hand legen«, flüsterte Linde ihrer Freundin zu, »er ist genau das, was ich mir vorstelle.«

Aber die Kundin wollte den Rock unbedingt probieren, und die Verkäuferin hatte viel Mühe, ihr das auszureden.

»Den Rock gibt es leider nur in einer Größe«, sagte sie vorsichtig. »Er fällt sehr klein aus.«

Das war sehr diplomatisch und höflicher, als zu sagen: »Der paßt Ihnen nicht.«

Die Kundin drückte ihr den Rock in die Hand.

»Komische Größen haben Sie hier. Ich seh schon, daß er mir passen würde, aber jetzt habe ich keine Lust mehr.«

»Darf ich Ihnen etwas anderes zeigen?« bot die Verkäuferin an.

»Nein danke. Die anderen Sachen gefallen mir nicht.« Ohne sich zu verabschieden rauschte sie aus dem Laden.

Unglücklich blickte die Verkäuferin ihr nach.

»Er hätte ihr wirklich nicht gepaßt, nicht annähernd«, versuchte sie zu erklären.

»Welch ein Glück«, lachte Linde, »vielleicht paßt er ja mir. Genauso etwas suche ich.«

Während Bettinas Rock aus lauter aneinander genähten Streifen im Materialmix bestand, hatte man diesen Rock aus Karos gefertigt in verschiedenen Anordnungen und aus verschiedenen Stoffen, total hippie-like.

»Wie die Mode aus Positano«, sagte Bettina.

Die junge Frau lachte.

»Der Rock wurde in Positano produziert, in Handarbeit. Nur dort versteht man sich auf die Mode zwischen Nostalgie, Moderne und Stilen.«

Linde konnte es kaum abwarten, den Rock anzuziehen, wenngleich sie befürchtete, daß er bei so viel Vorrede einen entsprechenden Preis haben würde. Aber den wollte sie erst einmal nicht erfahren.

»Das schöne an diesem Rock ist, daß Sie ihn wirklich universell einsetzen können, im Sommer mit Shirt oder Top, leichten Sandalen oder sogar Turnschuhen, im Winter mit Stiefeln und Pullovern oder einer groben Strickjacke, festlich mit einer chicen Bluse. Darf ich Ihnen etwas Passendes dazu zeigen?«

Linde schüttelte den Kopf. Sie wollte endlich den Rock anziehen.

»Danke, im Moment nicht. Ich will erst einmal sehen, ob der Rock überhaupt paßt und wie er mir an mir gefällt.«

Die Verkäuferin führte Linde zur Umkleidekabine.

»Er wird Ihnen passen und… er ist wie für Sie gemacht.«

Das fand Bettina auch, und während Linde anprobierte, schlenderte sie durch den Laden. Die Auswahl war nicht sehr groß, aber es handelte sich um sehr spezielle Einzelteile. Sie zog eine schwarze, mit roten Rosen bemalte Jeans hervor.

»Ist die nicht schön?« erkundigte sich die Verkäuferin, die zurückgekommen war.

Das fand Bettina auch, obschon das so gar nicht ihr Stil war.

Sie hielt sie sich vor, und als sie glaubte, sie könne ihr passen, verschwand sie auch in einer Umkleidekabine. Fast gleichzeitig mit Linde kam sie heraus. Und fast gleichzeitig traten sie vor den großen Spiegel, der fast eine halbe Wandbreite einnahm.

»Du siehst traumhaft in dem Rock aus«, rief Bettina.

»Du, die Hose sitzt wie angegossen, wie für dich gemacht«, ließ Linde sich vernehmen.

»Findest du nicht, daß ich etwas verkleidet bin?«

»Wann soll ich diese Hose denn anziehen, sie ist doch überhaupt nicht mein Stil.«

»Wenn Thomas wieder hier sein wird.«

Sofort war Bettinas gute Laune wie weggewischt.

»Wenn er wiederkommt«, sagte sie traurig.

Irritiert blickte Linde ihre Freundin an.

»Sag mal, was redest du denn da für einen Unsinn? Natürlich kommt er wieder, ihr zwei gehört zusammen, auf immer und ewig.«

»Ach, Linde, mir kommt es vor wie ein Traum, den ich mit ihm erlebt habe, eine Liebe so fernab jeder Realität. Ich bin wieder in meinen Alltag eingetaucht, er in seinen, einen gemeinsamen Alltag haben und hatten wir nicht. Eine solche Konstellation ist nicht gut, Träume haben keinen Bestand, nur die Realität zählt, und die hatten wir leider ausgeschaltet.«

»Sei froh, daß ihr losgelöst vom Alltag einander wiederentdecken konntet«, und das sagte ausgerechnet Linde, die Realistische, Praktische, »Ihr mußtet doch erst mal sehen, ob eure Gefühle füreinander noch stimmen, und das tun sie ja wohl. Das, was früher war, werdet ihr noch früh genug voneinander erfahren.«

Sie drehte sich zu der Verkäuferin um, die diskret im Hintergrund gewartet hatte. »Meine Freundin nimmt die Hose, vielleicht haben Sie dazu passend T-Shirts in schwarz, dem zu den Rosen passenden rot und grün, und wenn möglich mit einem Ausschnitt, der ruhig etwas größer sein kann.«

»Sofort«, beeilte sich die Verkäuferin zu sagen.

»Und ich hätte auch passende Oberteile zu dem Rock zur Auswahl, ich bin da flexibel, aber eines kann ruhig… sexy sein.«

Sie blinzelte Bettina zu.

»Ich glaube, wir können nach diesem Einkauf hier unsere Shopping-Tour beenden. Wir gehen dann zum Kaffeetrinken ins Parkhotel. Ich lad dich ein.«

»Ins Parkhotel?«

»Ja, das ist sonst auch nicht mein Fall. Aber sie haben hinten heraus eine wunderbare Terrasse mit Blick auf den See, und der Kuchen da, insbesondere der Nußkuchen, ist einsame Spitzenklasse.«

Die Verkäuferin kam zurück, auf dem Arm mehrere Sachen. Die entsprechenden T-Shirts für Bettina, ein Shirt, eine Bluse, einen leichten Pulli und ein Top für Linde.

Also verschwanden die beiden jungen Frauen wieder in ihren Umkleidekabinen.

Und wenig später zogen sie zufrieden mit ihrer Ausbeute, die sie rasch noch im Kofferraum ihres Autos verstauten, von dannen.

»Ich habe auf einen Schlag für Klamotten noch nie so viel Geld ausgegeben«, sagte Linde, »ich muß verrückt geworden sein.«

»Aber die Sachen sind totchic, du siehst hinreißend aus, und Martin werden die Augen aus dem Kopf fallen.«

Linde schlug den Kofferraumdeckel zu.

»Besser nicht, sonst kann er mich ja nicht sehen.«

*

Die Terrasse des Parkhotels war bereits sehr gut besucht, wahrscheinlich wegen des wirklich schönen Blicks auf den See, auf dem richtig Betrieb war.

Noch während Linde sich suchend umblickte, stand unmittelbar an der Brüstung, die die Terrasse zum Park und dem Seeufer hin abgrenzte, ein älteres Ehepaar auf.

Rasch zog Bettina ihre Freundin an den Tisch, besser konnte man nicht sitzen.

Während Linde bereits wußte, was sie wollte – nämlich ein Kännchen Kaffee und den berühmten Nußkuchen, studierte Bettina, die sich für Tee entschieden hatte, das reichhaltige Angebot an den unterschiedlichsten Teesorten.

Linde griff derweil nach der Weinkarte, um sie zu studieren.

»He, sieh dir das bloß mal an, ein großes Chateau Dorleac Weinangebot«, rief sie überrascht. »Das ist ja unglaublich«, sie begann zu zählen. »Sieben Weine von Chateau Dorlac.«

»Aber nicht mehr lange«, sagte der Kellner, der unbemerkt an den Tisch getreten war.

»Was heißt das… nicht mehr lange?« erkundigte Bettina sich alarmiert.

»Wir werden die Weine aus dem Angebot nehmen.«

»Aber sie sind doch gut.«

»Oh, sie sind sogar sehr gut«, erwiderte der Kellner. »Ganz ausgezeichnete Weine.«

Irritiert blickte Bettina den Mann an.

»Ich verstehe nicht, warum Sie die Weine dann von Ihrer Karte nehmen wollen.«

»Weil der Lieferant sehr unzuverlässig ist. Wir können keine Weine auf der Karte haben, die wir nicht servieren können. Früher war das anders, aber jetzt scheint offensichtlich das Management gewechselt zu haben. Schade für den Wein, aber wir sind unseren Gästen gegenüber verpflichtet.

Er schaute Linde und Bettina an.

»Möchten Sie einen Wein trinken?« erkundigte er sich. »Ich kann Ihnen ganz besonders den…«

Ehe er seine Empfehlung aussprechen konnte, winkte Linde ab.

»Nein, nein danke, für Alkohol ist es ein bißchen zu früh. Ich hätte gern den Nußkuchen und ein Kännchen Kaffee, nein, warten Sie, keinen normalen Kaffee, ich nehme zu dem Kuchen einen großen caffe-latte.«

Der Kellner notierte, machte sich Notizen, ehe er sich Bettina zuwandte. Die war von dem, was sie gerade gehört hatte, vollkommen durcheinander.

»Und Sie meine Dame?«

»Äh, ich… ich nehme auch ein Nußkuchen, und dazu hätte ich gern einen grünen Tee… ich nehme den chinesischen Chun Mee.«

»Sie wissen, daß dieser Tee sehr herb im Geschmack ist?« sagte der Kellner.

Bettina nickte.

»Ja, ich weiß. Er ist aber auch sehr frisch und sehr aromatisch.«

»Das ist richtig«, bestätigte der Kellner. »Was hätten Sie gern? Eine Tasse oder ein Kännchen?«

»Ich nehme ein Kännchen.«

Nachdem der Kellner gegangen war, blickte sie ihre Freundin an, die die Weinkarte wieder an ihren Platz gelegt hatte.

»Hast du das gehört?« rief Bettina.

»Du mußt halt deinen Bruder Jörg anrufen und ihn auf diese Mißstände aufmerksam machen, und er muß sehen, wie er das wieder gerade biegt.«

Bettina schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht Jörgs Schuld. Vom Chateau aus werden nur Großkunden beliefert und Kunden in Frankreich und im Ausland. Der deutsche Markt wird vom Weinkontor aus bearbeitet, dafür ist Frieder zuständig.«

»Dann mußt du halt Frieder anrufen. In der heutigen Zeit ist jeder froh um jeden Kunden, jeden Gast, auch dein Bruder kann es sich nicht erlauben, Kunden zu verlieren, und wenn die hier so viele Weine von euch im Angebot haben, werden es auch ganz ordentliche Abnehmer sein.«

Bettina nickte.

»Sogar sehr gute Abnehmer, mein Vater kennt den Besitzer… nein, kannte den Besitzer… wenn mein Vater wüßte, was mit seiner Firma passiert… was mit allem geschieht…«

»Reg dich deswegen nicht so auf, Bettina. Du bist nicht verantwortlich für deine Geschwister. Ruf Frieder an und blas ihm den Marsch, bei den Weinen ist nicht nur er betroffen, sondern auch dein Bruder Jörg, denn wenn dieser Kunde hier wegfällt, hat auch Jörg wenige Umsatz. Du mußt Frieder klarmachen, daß er auch seinen Bruder schädigt.«

»Wenn er denn auf mich hört, ich komme mir schon vor wie eine Gouvernante, die mit ewig erhobenem Zeigefinger Ermahnungen gibt. Dabei hört doch keiner auf mich.«

»Dann kannst du es auch nicht ändern. Du bist nicht deine Geschwister und hast auch nicht den Auftrag, auf sie aufzupassen. Es gibt eine sehr treffende Indianische Weisheit: Jeder kann nur in seinen eigenen Schuhen stehen.«

Der Kellner kam, servierte Kuchen, Kaffee und Tee.

»Und jetzt reden wir nicht mehr über deine Geschwister«, bestimmte Linde und schob sich ein großes Stück des wirklich ausgezeichneten Kuchens in den Mund.

»Linde«, begann Bettina ganz vorsichtig, nachdem auch sie von dem Kuchen gekostet hatte. »Vielleicht ist das jetzt nicht der richtige Augenblick, aber ich muß mit dir nochmals über den Hof reden. Jetzt, wo der Alltag mich wieder hat, sind natürlich auch alle Sorgen zurückgekommen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Dein Gedanke mit dem Reitstalll war gut, aber ich kann das im Augenblick noch nicht finanzieren, und an den Appartements werkeln wir so herum, das alles ist doch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich komme mir vor wie ein Hamster, der unermüdlich in seinem Rädchen herumstrampelt, um immer wieder an derselben Stelle anzukommen.«

»Hast du denn noch nicht mit Markus geredet… wegen der Bäume.«

»Nein, das habe ich vollkommen vergessen«, gab Bettina kleinlaut zu. »Aber das werde ich gleich morgen tun.«

»Ja, tu das wirklich. Und wenn du willst, kann ich auch mit meinem Banker Kontakt aufnehmen, er ist sehr nett und kann dir vielleicht auch weiterhelfen.«

Bettina erinnerte sich an das Gespräch mit ihrer Bank und winkte sofort ab. Nein, Banken boten einem nur Geld und Regenschirme bei Sonnenschein an. Bei Regen gab es nur lauter Ausflüchte.

»Das bringt mich auch nicht weiter. Banken wollen feste monatliche Einkünfte sehen, und die kann ich nicht vorweisen.«

»Bettina, soll ich dir mal ganz ehrlich sagen, was ich glaube?«

»Ja, bitte, du mußt mir gegenüber sogar ehrlich sein.«

Linde spielte mit ihrer Kuchengabel und widerstand dem Wunsch vorher schnell noch ein kleines Stückchen des Kuchens zu sich zu nehmen.

»Weißt du, dein Vater hat dir dieses große Anwesen überlassen und, aus welchem Grund auch immer, kein Barvermögen. Aber deine Reserven, dazu noch der Verkauf von Bäumen an Markus, würden doch eine längere Zeit ausreichen. Auf dem Hof ist alles tip-top in Ordnung, es gibt keinen Reparaturstau, Leni und die beiden Männer sind versorgt. Du könntest doch in aller Ruhe Schritt für Schritt gehen. Aber was tust du? Du rödelst wie eine Verrückte herum. Ich glaube, Bettina, du versuchst eine Erwartungshaltung deines verstorbenen Vaters zu erfüllen, von der du nicht einmal weißt, ob er die überhaupt wirklich hatte. Er hat dir den Hof mit allem, was dazu gehört, hinterlassen, aber das hat er ohne irgendwelche Maßgaben und ohne eine Pflicht auf Planerfüllung. Du bist es, die dir diesen Streß macht. Sieh dir doch deine Geschwister an, die machen, was sie wollen und leben, was ich auch nicht gutheiße, in Saus und Braus. Denen ist, was mir auch nicht gefällt, das Erbe wurscht, und sie denken nicht einen Augenblick daran, wie dein Vater es wohl finden, wie er es machen würde.«

»Sie sind anders als ich, ich bin wohl eher wie mein Vater und habe deswegen Probleme mit meinen Geschwistern. Vielleicht hast du ja recht mit dem, was du gesagt hast, Linde, aber irgend etwas muß doch geschehen.«

»Das wird es auch. Die Dinge geschehen, wenn die Zeit reif ist. Restauriere doch erst einmal das Gesindehaus, wie geplant und angefangen. Vermiete, so wie fertiggestellt, Appartement um Appartement und sieh, wie sich das anfühlt. Und dann gehst du den nächsten Schritt. Du willst eine Großbaustelle errichten und in kürzester Zeit aus dem Fahrenbach-Hof ein Erfolgsunternehmen machen. Laß es sich entwickeln, wer weiß, vielleicht kommt es noch ganz anders als du jetzt denkst…«

»Aber ich bin doch verpflichtet…«

Linde unterbrach sie.

»Jeder kann nur tun, was er tun kann. Und was ich jetzt tun werde, das weiß ich ganz genau.« Sie lachte. »Ich bestell mir noch ein zweites Stückchen Nußkuchen, auch auf die Gefahr hin, daß ich in meinen neuerstandenen, teuren Rock hinterher nicht mehr hineinpasse.«

Bettina seufzte. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte auch ein bißchen von Lindes praktischer Art. Nicht, daß sie nicht mitten im Leben gestanden hätte. Sie machte es sich nur manchmal ein bißchen schwer, weil sie wohl zu ernsthaft war.

»Auch noch einen Kuchen?« munterte Linde sie auf. »So schnell kommen wir nicht mehr hierher in diese mondäne Pseudowelt.«

»Also gut, überredet.«

Davon wollte Linde nichts wissen.

»Nicht überredet, meine Liebe«, widersprach sie, »überzeugt.«

*

Wenn Bettina mit ihrem Auto gefahren wäre, hätte sie jetzt noch einen kleinen Abstecher zum See gemacht, um nachzudenken. Vielleicht sah sie ja auch mit Thomas alles falsch, und es bedurfte auch hier einer Korrektur ihrer Gedanken. Aber so hatte Linde sie auf den Hof gefahren, mit rasantem Schwung gewendet, ihr zugewinkt und war ziemlich forsch weggefahren.

Sie hatten wirklich einen schönen Nachmittag miteinander verbracht, trotz des Zwischenfalls wegen des Weines. Sie würde auf jeden Fall Frieder anrufen müssen, ob es dem nun paßte oder nicht.

Bettina schwenkte ihre Einkaufstüte und wollte gerade ins Haus gehen, als Leni über den Hof gelaufen war. Sie hatte ihre Ankunft wohl beobachtet.

»Da bist du ja«, rief sie, »deine Schwester hat schon einige Male angerufen. Sie war völlig… hysterisch.«

»Hat sie gesagt, was sie wollte? Ist etwas passiert? Vielleicht mit den Kindern?«

Leni schüttelte den Kopf.

»Sie wollte es mir nicht sagen, aber ruf sie am besten gleich an, sie war wirklich außer sich.«

»Mach ich, Leni, bis später dann… aber, ehe ich vergesse, es dir zu sagen, heute esse ich nichts mehr. Ich bin vollgestopft mit Kuchen.«

»Aber eigentlich magst du doch Süßes nicht so gern, daß du dich damit vollstopfst.«

»Bis auf deinen Apfelkuchen, da kann ich es auch. Aber ich werde jetzt Grit anrufen.«

Als sie die Haustür öffnete, klingelte drinnen wieder das Telefon, schrill und anhaltend.

»Ich komme später rüber und erzähl dir von dem Nachmittag und zeig dir auch meine neuerstandenen Schätze.«

Sie griff nach dem Telefon und meldete sich.

Es war ihre Schwester.

»Da bist du ja endlich, ich wähle mir die Finger wund«, sagte Grit statt einer Begrüßung.

»Was ist denn passiert? Ist was mit den Kindern oder mit Holger?«

So schrill wie die Stimme ihrer Schwester klang, mußte etwas Schreckliches geschehen sein.

Grit ging auf die Frage nicht ein, sondern erkundigte sich statt dessen.

»Kannst du für eine Woche die Kinder nehmen?«

Bettina schluckte, sie konnte im ersten Momnet überhaupt nichts sagen.

»Bettina, bist du noch dran?«

Grit wollte nichts anderes als für eine Woche ihre Kinder unterbringen. Das war doch nichts, weswegen man hysterisch werden mußte.

»Ja, ja, und natürlich nehme ich die beiden, ich habe Niels und Merit ja schon lange nicht gesehen.«

»Gottseidank, ich weiß nicht, was ich sonst gemacht hätte.«

»Willst du mir nicht der Reihe nach erzählen, was los ist und weswegen die Kinder zu mir sollen?«

»Weil die Schule renoviert wird, hätten die Kinder eigentlich ab morgen für eine Woche schulfrei und sollten alle zusammen eine Schulfahrt machen. Weil aber einige Kinder an einer Darminfeketion erkrankt sind, wurde die Reise abgesagt. Ich habe dem Au pair für diese Zeit frei gegeben, sie ist zu Freunden nach Belgien gefahren.«

»Und Holger und du?«

Grit seufzte theatralisch auf, was anscheinend bekümmert klingen sollte.

»Kein Wort über Holger, der entwickelt sich überhaupt nicht weiter. Wir reden im Augenblick wirklich nur das Notwendigste miteinander, und obschon es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, mir die Kinder abzunehmen, hat er sich geweigert. Er ist Egoist durch und durch.«

»Und du, Grit?«

»Ja, das ist es ja«, ereiferte sie sich. »Darum geht es. Ich habe zusammen mit Mona einen Aufenthalt auf der Beautyfarm in London gebucht, die total typgerechte Cremes für jeden einzelnen Hauttyp anbietet, das heißt, die für mich kreierte Creme ist auch wirklich nur für mich verwendbar. Ist das nicht irre?«

»Ja«, antwortete Bettina, und das aus vollster Überzeugung, aber Grit bemerkte ihren Sarkasmus überhaupt nicht.

»Es ist natürlich ziemlich teuer, wie man sich denken kann, nicht nur die Cremes, auch der ganze Aufenthalt. Aber dafür ist es ja auch etwas Besonderes, wie man sich denken kann. Ich bin froh, daß Mona das herausgefunden hat.«

Bettina glaubte es nicht. Das konnte nicht ihre Schwester sein, die ihr vor nicht allzulanger Zeit vielleicht mit diesem Enthusiasmus erklärt hätte, welch wunderbares neues Rezept es für einen gelungenen Kalbsbraten gab.

Und wegen eines solchen Schwachsinns drehte sie durch und machte alle Welt verrückt.

»Wann soll ich die Kinder holen?«

Grit atmete auf.

»Mußt du nicht, ich bringe sie dir morgen, denn ich habe, nein eigentlich war es ja Mona, nun, wir haben tatsächlich herausgefunden, daß es ganz in deiner Nähe, in Bad Helmbach, einen Laden gibt, der exclusiv für Deutschland Fordani führt.«

»Und was ist Fordani, bitte schön?«

Grit konnte es nicht fassen.

»Das weißt du nicht? Das sind derzeit die besten und angesagtesten Schuhe weltweit. Und selbstverständlich wollen Mona und ich sie mit nach London nehmen, wer weiß, wen wir dort treffen. Es wird schon ein exquisiter Kreis sein.«

Wahrscheinlich so aufgespritzte, exaltierte Wesen wie ihr, oder gar all die Gelifteten, aber laut sagte sie nur: »Vermutlich werden sie auf jeden Fall alle… Fordani-Schuhe an den Füßen haben.«

»Eben«, sagte Grit und bemerkte wieder nicht die Ironie, »deswegen ist es wichtig, daß wir sie auch haben, daß wir eben dazu gehören.«

»Ja, Grit, das ist wirklich ungeheuer wichtig«, sie hatte keine Lust mehr noch länger mit ihrer Schwester zu sprechen, denn lange wäre sie nicht mehr freundlich geblieben. »Wann bringst du die Kinder?«

»Wir fahren früh los, früher Mittag oder schon später Vormittag, so um diesen Dreh werden wir da sein, und danke, Bettina, daß du mir die beiden abnimmst und Verständnis dafür hast, wie wichtig es für mich ist, nach London zu kommen. Aber auf dich kann man sich eben immer verlassen, dann also bis morgen.«

»Dann bis morgen«, sagte Bettina und legte auf.

Die Veränderung, die mit Grit vor sich gegangen war, tat richtig weh. Sie hatte ihre eigentlich bodenständige Identität verlassen und war in die Rolle eines Wesens geschlüpft, das von anderen durch nichts zu unterscheiden war, noch nicht einmal durch die Schuhe.

Fordani, Bettina hatte diesen Namen noch niemals gehört.

Aber sie freute sich auf ihre Nichte und ihren Neffen.

Sie griff nach ihrer Einkaufstüte, um ihre Schätze Leni zu zeigen und ging hinüber in deren Haus.

»Was ist passiert?« Besorgnis klang aus Lenis Stimme.

»Entwarnung«, lachte Bettina, »Grit will uns die Kinder für ein paar Tage bringen, weil sie unbedingt auf eine Schönheitsfarm in England reisen muß, um Cremes angerührt zu bekommen, die speziell für sie zusammengemixt sind.«

»Das ist doch Bauernfängerei«, begehrte Leni auf, »das mußt du ihr ausreden.«

»Geht nicht… kennst du schon die Schuhe von Fordani?«

»Bitte… was?«

Bettina lachte.

»Mußt du dir auch nicht merken. Grit verkehrt in einer anderen Welt, aber ich glaube nicht, daß wir diese kennenlernen müssen.«

Leni stand auf.

»Ich will dann mal die Betten für die Kinder herrichten.«

Bettina winkte ab.

»Das hat Zeit bis morgen früh. Komm, schau dir mal lieber das an, was ich mir gekauft habe, und bitte, ich will deine ehrliche Meinung hören, sonst bringe ich die Sachen nämlich morgen wieder zurück.«

Leni setzte sich erwartungsvoll hin, und Bettina holte die Jeans und die Shirts heraus, um sie Leni vorzuführen, die total begeistert war.

Wegen eines anhaltenden Staus und weil sie auch zu spät weggefahren waren, war es bereits Mittag, als Grit und die Kinder ankamen.

Grit hatte sich ein neues Auto gekauft. Sie fuhr jetzt einen teuren Volvo-Geländewagen mit allen Schikanen, der zu ihr, so wie Grit ja eigentlich war, so wenig paßte wie ein Eskimo auf die Zugspitze. Irgendwie wirkte sie in dem Wagen, der super aussah und auch ein schönes Auto war, vollkommen deplaciert.

Als sie mit ihren hochhackigen Schuhen aus dem hohen Auto mehr oder weniger heraushüpfte, wirkte das geradezu grotesk.

Grit war noch dünner geworden, und sie hatte an ihrem Gesicht auch etwas machen lassen, das war auf jeden Fall mehr als nur Botox.

Als erstes kam Merit auf Bettina zugelaufen. Sie war ein hübsches Mädchen von acht Jahren und glich ihrem Vater.

»Tante Bettina, ich kann jetzt für eine Woche bei dir bleiben. Mama hat gesagt, daß ihr hier Tiere habt, auch einen Hund.«

Wie auf Kommando kam Hektor bellend angesprungen.

Vor Angst klammerte Merit sich an ihre Tante, und Grit schrie hysterisch: »Sperr den Hund weg.«

»Der tut doch nichts«, sagte Leni, die auch hinzugekommen war, »Hektor freut sich nur.«

Leni wollte Grit in den Arm nehmen, aber die wich zurück und streckte nur ihr Gesicht vor, um, wie in der Bussi-Gesellschaft üblich, die angedeuteten Küßchen zu verteilen.

Niels, er war zwölf, war wohl von seiner Mutter infiziert worden. Ihm war anzumerken, daß ihm der Aufenthalt auf dem Lande überhaupt nicht paßte.

Er hatte eine neue Frisur, die man wohl jetzt haben mußte, und seine Kleidung hatte sich auch verändert. Wahrscheinlich hatte seine Mutter alles für ihn gekauft, was teuer war.

»Hi, Tante Bettina«, sagte er, um sich weiter hingebungsvoll mit seinem Computerspiel zu beschäftigen.

»Hi, Niels«, sagte sie auch nur.

Grit seufzte.

»Nimm es ihm nicht übel, er macht gerade eine schwierige Phase durch.«

»Wollt ihr gleich essen?« erkundigte Leni sich. »Es gibt Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln und Gemüse, das mögen doch alle Kinder.«

»Ich mag kein Gemüse«, sagte Niels.

»Macht nichts, dann läßt du es eben auf dem Teller.«

»Ich mag Schnitzel«, sagte Merit. »Gibt es auch Nachtisch?«

»Klar, für Kinder, die aufgegessen haben, gibt es hinterher Eis.«

»Ich will nichts essen«, sagte Grit, »mir wäre es am liebsten, wir führen sofort nach Bad Helmbach. Ich kann es gar nicht erwarten, zu Fordani zu kommen.«

»Ich will aber etwas essen. Außerdem wäre es Leni gegenüber unhöflich. Sie hat sich solche Mühe gegeben.«

Grit wagte nicht zu widersprechen, aber sie stocherte ziemlich lustlos auf ihrem Teller herum und bequemte sich schließlich, etwas von dem Gemüse zu sich zu nehmen.«

Bettina hingegen aß mit gesundem Appetit

»Wenn du weiterhin solche… Sachen hier ißt, wirst du irgendwann richtig dick.«

Bettina lachte.

»Werde ich nicht, Papa war auch zeitlebens schlank, und wenn ich zunehmen sollte, wäre es auch nicht schlimm. Wann fährst du wieder, Grit? Morgen?«

Entsetzt schlug Grit die Hände zusammen, da ihre vielen Ringe aneinanderschlugen und ihre schweren Goldarmbänder rasselten.

»Nein, nein, ich fahre heute noch zurück. Morgen geht es doch schon nach London. Deswegen laß uns aufbrechen, wir können ja noch zusammen einen Kaffee trinken, nachdem wir bei Fordani waren.«

Sie schob ihren Teller beiseite, Bettina tat es ihr nach. Ihre Schwester verbreitete eine solche Unruhe, daß es unmöglich war, sich genüßlich ihrem Essen hinzugeben.

Niels hatte sein Spiel herausgeholt, mit dem er sich jeweils mit vollgestopftem Mund beschäftigte, aber das schien seine Mutter nicht zu stören.

Heute wollte sie noch nichts sagen, aber ab morgen würde es solche Unarten nicht mehr geben, das nahm Bettina sich vor.

Merit war lieb, und am glücklichsten machte sie es, daß Hektor direkt neben ihr saß.

»Er mag mich«, sagte sie ganz glücklich. Bettina wollte ihr die Illusion nicht rauben und ihr sagen, daß Hektor immer in der Nähe desjenigen war, von dem er sich Leckereien erhoffte.

»Ja, er mag dich, meine Kleine«, sagte sie, »du kannst ja nach dem Essen draußen mit ihm spielen.«

Merit schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht, Tante Bettina, nach dem Essen müssen die Leni und ich Waffeln backen, für heute nachmittag.«

»Das ist natürlich sehr wichtig, Merit«, lachte Bettina, dann wandte sie sich an ihre Schwester. »Wir können fahren, aber wir nehmen mein Auto, Grit, das ist kleiner, und mit dem finden wir leichter einen Parkplatz.«

Das ließ Grit sich nicht zweimal sagen.

»Seid lieb«, ermahnte sie ihre Kinder, dann folgte sie ihrer Schwester nach draußen.

*

Das Schuhgeschäft befand sich in unmittelbarer Nähe des Parkhotels, als sie hineinkamen, waren bereits einige Kundinnen im Laden, die in irgendeiner Weise Grit glichen. Auch sie waren dünn gehungert, trugen hochhackige Schuhe, viel Schmuck, ins Haar geklemmte Designer-Sonnenbrillen und auf der Schulter, wie konnte es auch anders sein, natürlich diese angesagte Designertasche mit der langen Wartezeit.

Bettina kam sich vor wie in einem Horrorfilm, als sie sah, mit welcher Gier die Frauen nach den Schuhen griffen.

Grit hatte erst einmal eine Bestell-Liste von Mona abzuarbeiten, ehe sie ihre Auswahl treffen konnte.

Bettina schlenderte durch den Laden. Die Schuhe, meist hochhackig und auffallend, gefielen ihr nicht.

Aber dann entdeckte sie eine flache Sandale, die eigentlich aus zwei schmalen Lederriemen bestand, die mit roten Steinen verziert waren und einem schmalen Riemchen, das den Halt sichern sollte.

Das Ausstellungsstück war ihre Größe, die Sandalen paßten und würden zu ihrem neuen Outfit

hübsch aussehen.

Der Preis von 119,– Euro, wie sie flüchtig festgestellt hatte, gerade noch vertretbar, denn schließlich waren es ja wirklich nur ein paar Lederriemchen, sah man mal von den kleinen roten Steinen ab.

Sie ließ die Sandalen zur Kasse bringen, ehe sie sich an ihre Schwester wandte, die mit hochrotem Gesicht ein Paar Schuhe nach dem anderen probierte.

Neben ihr türmte sich schon ein ansehnlicher Berg.

»Ich könnte mich hier totkaufen«, seufzte sie, »ein Schuh ist schöner als der andere, ich weiß überhaupt nicht, was ich nehmen soll. Was meinst du?«

»Mich mußt du nicht fragen, das hier ist nicht unbedingt mein Stil, obschon ich auch eine ganz hübsche Sandalette gefunden habe.«

»Du hast bei Fordani etwas gefunden?« rief Grit ganz erstaunt, »das hätte ich wirklich nicht gedacht… aber siehst du, diese Schuhe sind so wunderbar, daß selbst ein so vernünftiger Mensch wie du nicht daran vorübergehen kann.«

Bettina konnte zwar nicht verstehen, was das mit Vernunft zu tun hatte, äußerte sich aber nicht.

Endlich hatte Grit sich entschieden. Sie war zufrieden, und die Verkäuferin war es auch, denn sie würde eine stattliche Provision bekommen bei diesem Posten.

Bettina zeigte ihrer Schwester, als sie gemeinsam an die Kasse traten, noch die Schuhe, die sie sich ausgesucht hatte.

»Sie sind hübsch«, sagte Grit, »aber ich finde diese Sandalen im Verhältnis zu den geschlossenen Schuhen überteuert. Außerdem sieht man ihnen auch nicht unbedingt an, daß sie echte Fordani sind. Aber zu dir passen sie, und du legst ja auch nicht einen so großen Wert darauf, daß man erkannt, was du trägst.«

Ihr Gespräch wurde durch die Stimme der Verkäuferin unterbrochen. »Dann hätte ich gern von Ihnen eintausendeinhundertundneunzehn Euro. Wie zahlen Sie? Bar oder mit Karte?«

Bettina glaubte sich verhört zu haben. Die Verkäuferin mußte da etwas verwechselt haben.

»Ich bekomme nur diese Sandalettchen«, sagte sie.

Die Verkäuferin nickte.

»Ich weiß.«

»Und was möchten Sie dafür haben?«

»Eintausendeinhundertundneunzehn Euro«, wiederholte die Verkäuferin.

»Das tut mir leid. Da habe ich mich vorhin auf dem Etikett verlesen. Ich möchte auf den Kauf verzichten… so viel Geld für das bißchen Leder? Nein, das bin ich nicht bereit zu zahlen.«

»Aber die Steine sind echt.«

»Das sind mehr oder weniger Splitter, bei dem Preis müßten ja Brillanten eingearbeitet sein. Tut mir leid, daß ich Ihnen die Mühe gemacht habe, diese Schuhe sind mir schlechthin zu teuer – überteuert.«

Grit schämte sich in Grund und Boden. Ihr war das alles mehr als peinlich.

»Es sind Fordanis«, stöhnte sie.

»Das ist mir doch egal, die Schuhe sind mir zu teuer.«

»Ich schenke sie dir, Bettina«, schlug Grit vor, »ich habe genug Geld, es macht mir nichts, im Gegenteil, es würde mir sogar Freude machen, mich erkenntlich zu zeigen dafür, daß du die Kinder nimmst.«

»Die Kinder nehme ich ohne Gegenleistung, und danke für dein Angebot. Aber ich könnte solche Schuhe überhaupt nicht anziehen, die gehören ja in eine Vitrine gestellt, und für einen solchen Zweck brauche ich keine Schuhe. Nochmals danke, Grit, aber ich möchte sie nicht haben, nicht zu diesem Preis.«

Die Verkäuferin legte den Karton mit den Schuhen beiseite.

»Wie Sie wollen«, sagte sie, ihre Stimme hatte ganz erheblich an Freundlichkeit verloren. »Gnädige Frau, darf ich Ihre Abrechnung machen?«

»Ja, bitte, diese Schuhe hier bitte auf eine separate Rechnung, aber bezahlen werde ich alles zusammen.« Sie holte ihre Platin-Karte aus der Tasche und wedelte damit herum, »ich zahle mit Karte.«

»Ja, selbstverständlich, gnädige Frau«, die Verkäuferin überschlug sich, und Grit genoß es, und Bettina glaubte zu ersticken.

»Ich warte draußen«, sagte sie und hörte gerade noch im Herausgehen, wie die Verkäuferin sagte, »dann bekomme ich elftausendsiebenhundertzweiundneunzig Euro von Ihnen.«

Bettina hätte sich am liebsten übergeben. Selbst wenn vier Paar Schuhe davon für Mona waren und Grit das Geld zurückbekommen würde, war es immer noch ein immenser Anteil, der für sie übrigblieb. Und da für ein paar dumme Schuhe, während überall auf der Welt Menschen verhungerten.

Man konnte sich ja schön machen und auch Geld für sich ausgeben, diese Schuhe, der Preis für sie, stand doch in keinem Verhältnis zu dem Gegenwert. Die Schuhe waren hipp, und der Herr Fordani saß bestimmt in einem Palazzo und lachte sich schlapp über die Verrückten, die ein Vermögen für seine Schuhe ausgaben, bloß weil er sie geschickt vermarktete.

Was für eine Welt – traurig war nur, daß ihre Schwester Grit in diese Welt miteingetaucht war, in die sie überhaupt nicht gehörte.

Was war nur mit ihr geschehen? Warum war Grit nur so verblendet? Das Geld, das sie durch den Verkauf der Villa erzielt hatte, konnte es nicht sein. Die Fahrenbachs hatten immer großzügig gelebt, und Grits Mann verdiente auch genug und hatte ihr vorher schon einen großzügigen Lebensstandard geboten.

Es konnte doch nicht Mona sein, ihre durchgeknallte Schwägerin, die diese ›Gehirnwäsche‹ bei Grit vollzogen hatte.

Grit kam heraus, bepackt mit Tüten.

»Was hast du dir dabei gedacht, mich so zu blamieren«, herrschte sie ihre Schwester an.

»Dich zu blamieren?«

»Na ja, dich auch. Was hast du dir dabei gedacht?«

Bettina nahm ihrer Schwester einige der Tüten ab.

»Das kann ich dir sagen, ich habe gedacht, das diese Schuhe 119,– Euro kosten.«

»Doch nicht Fordani«, ächzte Grit.

Bettina blieb stehen.

»Grit, ich kann dieses Wort nicht mehr hören, es gibt mehr auf dieser Welt als diesen Fordani, und außerhalb dieses Kreises, in dem du dich derzeit leider bewegst, kennt ihn auch keiner, und außer diesen Frauen, zu denen du dich derzeit leider zählst, würde auch niemand, wirklich niemand so viel Geld für ein paar Schuhe ausgeben. Wenn ich daran denke, wieviel Geld du gerade verschwendet hast, könnte ich mich übergeben. Aber laß uns davon aufhören, offensichtlich können wir derzeit auf keinen gemeinsamen Nenner kommen, was ich sehr bedaure. Hören wir also auf damit. Am besten bringen wir die Tüten zum Auto, und dann gehen wir Kaffeetrinken. Die Terrasse vom Parkhotel wird dir gefallen und, da bin ich mir sehr sicher, auch deinen Ansprüchen genügen.«

Die letzten Worte waren ironisch gemeint, aber das merkte Grit nicht.

Da sie auch in der Nähe des Parkhotels geparkt hatten, waren die Schuhe schnell verstaut, und nur wenig später saßen sie auf der Terrasse, und auch diesmal hatten sie Glück, einen Platz an der Brüstung zu bekommen. Wohlgefällig schaute Grit sich um.

»Ja, es ist schön hier, und auch das Publikum gefällt mir. Gut, daß du dich hierher zurückziehst, um vernünftige Leute zu sehen, auf dem Hof mußt du ja depressiv werden.«

»Auf dem Hof fühle ich mich sehr, sehr wohl, ich bin sogar glücklich dort, und hier war ich, seit ich in Fahrenbach lebe, nur ein einziges Mal.«

»Bettina, das geht nicht, du lebst doch am Leben vorbei.«

»Oh nein, ganz im Gegenteil. Thomas Sibelius, an den kannst du dich sicherlich erinnern, ist wieder in meinem Leben, und ich bin mit ihm sehr, sehr…«

Sie wurde durch Grit unterbrochen.

»Guck mal, die rothaarige Frau, die gerade auf die Terrasse gekommen ist, hat genau die Tasche, hinter der ich wie wild her bin. Aber du wirst es nicht glauben, man muß fast fünf Monte warten, um sie zu bekommen. Mona versucht gerade mit tausend Tricks, das wir sie doch früher kaufen können.«

Das war nicht Grit, die da sprach, nicht Grit, ihre Schwester!

Früher konnte man sich doch mit ihr unterhalten, und jetzt konnte sie nicht einmal mehr zuhören.

»Wie geht es Holger?« wechselte sie das Thema.

Grit zuckte die Achseln.

»Weiß ich nicht richtig, wir gehen uns aus dem Weg und sind ziemlich genervt voneinander.«

»Das verstehe ich nicht. Ihr habt euch doch früher immer so gut verstanden.«

»Früher war ich auch eine kleine unbedarfte Maus. Ich habe mich neu entdeckt und weiß jetzt, was ich will. Ich will leben, ich will Spaß haben. Aber er ist irgendwo stehengeblieben, hat sich nicht weiter entwickelt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie maßlos enttäuscht ich von ihm bin.«

»Er sicherlich von dir auch, so wie ich Holger kenne, kann er mit dir doch gar nicht mehr umgehen.«

»Ergreifst du seine Partei?«

»Ich ergreife niemandes Partei, sondern sage nur meine Meinung. Und deswegen sage ich dir jetzt auch, daß ich traurig bin über die Entwicklung, die du genommen hast.«

Grit lachte.

»Dein Blick ist durch das Leben auf dem Lande nur getrübt, verkauf den ganzen Krempel und komm zurück in die Stadt.«

»Und was soll ich da machen?«

»Na ja, so ganz richtig war es nicht, daß Frieder sich so rigoros durchgesetzt und dich sofort aus deinem Job gekickt hat. Aber du mußt ihn auch verstehen, nachdem er so viele Jahre von Papa unterdrückt worden war, wollte er sich verwirklichen, und das tut er auch. Du glaubst überhaupt nicht, wie gigantisch er umgebaut hat. Du wirst es bei der Eröffnungsparty sehen. Du erkennst das Bürohaus nicht wieder, auch sein Privathaus ist total umgebaut. Die Feier war allerdings schon, alle waren da.«

»Nur ich nicht«, bemerkte Bettina trocken. Sie war deswegen nicht böse, weil sie wegen einer Feier sicherlich nicht den Fahrenbach-Hof verlassen hätte.

»Tut mir leid, Bettina. Bestimmt haben sie vergessen, dir eine Einladung zu schicken.«

»Das haben sie ganz gewiß nicht, Grit. Sie wollten mich nicht dabei haben, so einfach ist das.«

Das Thema war Grit äußerst unangenehm.

»Nun ja… weißt du… ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Wir haben irgendwie alle in kleines Problem mit dir, weil du dich so sehr gegen alle Neuerungen stellst, statt dich zu freuen und statt jetzt auch ein wenig… sagen wir es einmal drastisch – auf den Putz zu hauen. Du bist wie Papa, erinnerst uns an Papa, und bei dir haben wir das Gefühl, daß du uns blockierst. Jörg wird aus dem Chateau etwas ganz Großes machen, und auch Frieder hat Visionen, wie er das Weinkontor weiterführen will. Zuerst wollte er sich ja mit dem zufrieden geben, was er geerbt hat, aber jetzt wird er alles verändern, er will voll durchstarten.«

Bettina konnte diesem pubertären Gerede nicht mehr zuhören.

»Hier gefällt es dir doch, nicht wahr, Grit?« wollte sie ihre Schwester in die Realität zurückbringen.

»Oh ja, ausnehmend gut.«

»Auf der Weinkarte stehen alle Weine des Chateaus.«

»Oh, das ist wunderbar.«

»Aber nicht mehr lange, liebe Schwester, weil unser gemeinsamer Bruder, dieser… dieser Visionär, schleppend liefert und den Kunden verlieren wird, wenn er nicht sofort handelt.«

»Vielleicht will er ja diese kleineren Restaurants nicht mehr beliefern, aber das geht mich auch nichts an, sprich doch mit ihm, aber vorsichtig, Frieder ist sehr empfindlich. Das bekommt Mona auch zu spüren… in dieser Ehe stimmt längst auch nicht mehr alles. Warum glaubst du denn, haben sie Linius ins Internat gesteckt? Sicherlich auch, damit er eine hervorragende Erziehung bekommt, aber auch, weil die beiden sich dauernd zoffen.«

»Du wirst doch deine Kinder nicht ins Internat stecken?«

»Wie kommst du denn darauf?« empörte Grit sich.

»Ich meine nur, weil eure Ehe doch offensichtlich auch nicht mehr stimmt.«

»Darunter werden meine Kinder nicht leiden.«

Traurig blickte Bettina ihre Schwester an.

»Kinder leiden immer, oder hast du vergessen, was sich bei uns abgespielt hat, als Mama uns verlassen hat?«

Grit schaute auf ihre Uhr. »Ich muß los, schließlich muß ich noch den ganzen Weg zurückfahren.«

»Es ist schade, daß du nicht wenigstens über Nacht bleibst. Ich würde mich gern ein wenig ausgiebiger mit dir unterhalten, Grit.«

»Ach, komm du besser in die Stadt, das Leben hier nervt mich. Ich bin früher schon nicht so gern hierher gekommen.«

Sie winkte den Kellner herbei, bestand darauf zu bezahlen.

»Wenn du Geld brauchst, Bettina, ich helfe dir gern«, sagte sie praktisch im Herausgehen.

»Ich brauche kein Geld, wie kommst du denn darauf?«

»Bettina, mir machst du doch nichts vor. Die Schuhe vorhin waren dir zu teuer, und du warst zu stolz, sie von mir als Geschenk anzunehmen.«

Am liebsten hätte Bettina angefangen zu lachen. Das konnte doch nicht wahr sein.

»Grit, ich wollte die Schuhe nicht, weil sie zu teuer waren, weil sie den Preis nicht wert waren,

weil das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht stimmte, das ist eine Tatsache, die sich auch nicht verändert hätte, wenn sie mir von dir geschenkt worden wären. Aber bitte, Grit, laß uns das Thema jetzt wirklich ein für alle Mal beenden.«

»Ich habe es nur gut gemeint.«

Grit war beleidigt, und Bettina lenkte ein.

»Komm, laß uns jetzt nicht streiten, gleich bist du weg, und man soll niemals im Streit auseinandergehen.

Unsere Meinungen gehen derzeit eben auseinander, und wir sollten alle Themen vermeiden, die Konfrontation bringen.«

Grit hatte überhaupt nicht zugehört.

»Guck mal, dort drüben die Frau hat auch diese Tasche. Vielleicht gibt es hier ein Geschäft, in der man sie kaufen kann. Warte, ich will die Frau rasch fragen.«

Sie raste über die Straße, sprach die Frau an, die beiden unterhielten sich, tauschten Visitenkarten aus.

Grit kam zurück.

»Leider ist sie hier auch nicht zu haben, aber diese Dame ist mit einem Generalagenten befreundet, sie will versuchen, die Tasche für mich zu bekommen, und natürlich auch für Mona.«

»Komm, steig ein«, sagte Bettina, »damit es für dich nicht noch später wird. Schließlich mußt du dich auch noch von deinen Kindern verabschieden.«

Grit begann in ihrer Tasche zu kramen, holte ihr Handy hervor.

»Mona, gut, daß ich dich erreiche«, rief sie, »ich habe die Schuhe, alle, die du haben wolltest, und stell dir vor, ich habe eine Frau ganz zufällig kennengelernt, die uns die Marssontasche vielleicht besorgen kann.«

Sie plauderte weiter, aber Bettina resignierte. Es hatte keinen Sinn mit Grit, nicht, solange sie so drauf war.

Irgendwann beendete Grit ihr Telefonat, der Rest der Fahrt verlief schweigend, die beiden Schwestern hatten sich nichts zu sagen.

*

Erstaunlicherweise schien die Abreise ihrer Mutter den beiden Kindern überhaupt nichts ausgemacht zu haben.

Merit fühlte sich wie zu Hause, sie spielte mit Hektor, ging mit Toni und Arno zu den Tieren oder sie tummelte sich bei Leni im Haus oder in der Küche.

Manchmal kam sie zu Bettina gelaufen, schlang ihre Ärmchen um deren Hals und rief außer sich vor Freude und ganz glücklich: »Ach, Tante Bettina, ist es schön hier bei dir. Am liebsten möchte ich für immer hier bleiben.«

Niels war irgendwo verstockt. Er hockte eigentlich meist die ganze Zeit draußen auf der Bank und machte irgendwelche Computerspiele.

Bettina hatte schon mehrfach versucht, ihn aus der Reserve zu locken, aber das wollte ihr nicht gelingen.

»Ich finde es ätzend hier, ich wollte ja auch nicht hierher auf diesen doofen Bauernhof.«

»Das ist schade, aber nicht zu ändern, diese Woche wirst du wohl durchhalten müssen«, sagte Bettina und versuchte, ihm irgend etwas schmackhaft zu machen, vergebens, nicht einmal mit einer Bootsfahrt konnte sie ihn locken.

An diesem Vormittag war Merit mit Leni und Arno zum Einkaufen gefahren, Niels hockte, wie üblich, auf der Bank.

Bettina wollte gerade nach draußen gehen, um nochmals mit ihrem Neffen zu reden, als sie an der Tür innehielt.

Toni redete gerade mit Niels.

»Hast ja ganz schön geschickte Finger«, sagte Toni, »wenn ich sehe, wie du stundenlang auf diesem blöden Kasten herumhämmerst. Aber sag mal, findest du das nicht langweilig? Mit diesen Händen könntest du auch etwas anderes machen.«

Niels hörte auf zu spielen, was ja ganz beachtlich war.

»Und was?« erkundigte er sich mit mäßigem Interesse in der Stimme.

»Na ja, ich könnte dich gut gebrauchen, du könntest mir drüben im Haus helfen beim Hobeln, beim Hämmern, bei all den Arbeiten. Ich könnte geschickte Hände wirklich gut gebrauchen.«

»Ich kann so was nicht.«

Toni winkte ab.

»Jemand wie du sagt das? Nö, glaub mir mal, ich verstehe was davon. Jemand wie du kann das.«

Niels’ Interesse war geweckt.

»Glaubst du das in echt?«

»Würde ich es sonst sagen? Ich weiß, daß du es kannst, und wir sollten hier mit dummen Reden keine Zeit verlieren, sondern uns an die Arbeit machen.«

Niels legte sein Spiel beiseite.

»Also gut, wenn du meinst… ich komme mit.«

»Dann solltest du dich aber umziehen«, gab Toni zu bedenken.

»Ich hab’ aber nur so was. Aber weißt du, Toni, das macht nichts, diese Sachen können ruhig schmutzig werden. Ich kann sie sowieso nicht leiden, die Mama findet sie bloß gut.«

»Mal sehen, daß ich noch eine Arbeitsschürze für dich finde, die nicht ganz so groß ist. Also dann komm, Kumpel, ich bin wirklich gespannt darauf zu sehen, wie geschickt du dich anstellst.«

Bettina lugte vorsichtig aus der Tür heraus.

Hand in Hand gingen Toni und Niels zum ehemaligen Gesindehaus und schienen sich ausgesprochen angeregt zu unterhalten.

Es war ja ganz erstaunlich, wie gut Toni mit Kindern umgehen konnte. Das hätte sie wirklich nicht von ihm gedacht. Immerhin war es ihm gelungen, Niels von seinen Computerspielen wegzuholen. Das war vorher niemanden gelungen, ihr auch nicht.

Da beide Kinder gut versorgt waren, beschloß Bettina zu Markus zu fahren und ihn zu fragen, ob er an Bäumen ihres Waldes interessiert war. Linde hatte ja gesagt, das sei überhaupt kein Problem.

Sie griff nach ihrer Tasche, lief hinüber ins Gesindehaus, um Toni Bescheid zu sagen. Der war mittlerweile damit beschäftigt, Niels zu sagen, wie man einen Hobel ansetze.

»Toni, das geht nicht, dazu ist Niels noch viel zu klein«, rief Bettina, als sie das sah.

»Unsinn, der Junge kann das… laß uns mal machen.«

»Also gut, ich sag dann nichts mehr, bis später also.«

Sie drehte sich um, im Hinausgehen hörte sie, wie Toni sagte: »Frauen, was verstehen die schon.«

»Das ist wahr«, kicherte Niels, »aber eigentlich ist die Tante Bettina ganz nett.«

Oh, welch ein Kompliment. Bettina war ganz stolz und hätte sich am liebsten umgedreht, um Niels so ordentlich zu knuddeln. Aber das ließ sie besser sein.

Männer unter sich, das war so etwas, wo man nicht hineinplatzen durfte, schon gar nicht mit einem Gefühlsausbruch.

Lachend lief Bettina über den Hof.

Freudig gesellte Hektor sich zu ihr. Sie kraulte ihn.

»Du kannst leider nicht mit. Paß schön auf den Hof auf.«

Als der Hund begriffen hatte, daß es keinen Spaziergang geben würde und auch sonst nichts zu holen war, wandte er sich beleidigt ab, um sich mitten auf dem Hof in die Sonne zu legen.

*

Markus war sichtlich erfreut, Bettina zu sehen, und wie von Linde vorausgesagt, gab es mit den Bäumen überhaupt keine Probleme. Er war sehr interessiert.

»Dein Vater hat mir auch immer welche verkauft. Es sind sogar noch ziemlich viele da, die dein Vater und ich noch gemeinsam angezeichnet haben. Aber ehe es dann zum Verkauf kam, ist er darüber ja leider verstorben. Wenn du willst, fahren wir gemeinsam in den Wald, und ich zeige dir die Bäume.«

»Nein, danke, Markus, das ist nicht nötig, fällt doch zuerst die Bäume, die mein Vater dafür vorgesehen hat… wann wird das sein?«

»Nun, ich werde mir das alles noch einmal ansehen. Aber so in zwei, drei Wochen können wir damit beginnen.«

Bettina nickte. Sie hätte sich jetzt gern nach der Bezahlung erkundigt, aber glücklicherweise fing Markus davon an.

»Wenn du willst, handhabe ich es mit dem Finanziellen so wie mit deinem Vater. Nachdem ich mir nochmals alles angesehen habe, mache ich dir ein Angebot, und nach dem Fällen erfolgt die Bezahlung.«

Wieder nickte Bettina.

Nachdem alles Geschäftliche besprochen war, sagte Markus: »Ist schon schade, daß der Thomas wegen seiner Eltern so schnell wieder weg mußte, hast ja nicht viel von ihm gehabt.«

Bettina seufzte. »Ja, manchmal gibt es eben Dinge im Leben, die unabänderlich sind.«

Sie hätte Markus gern ein bißchen ausgefragt, insbesondere, was Thomas beruflich machte, wie es in seinem Privatleben aussah. Aber das ließ sie bleiben, zum einen, weil sie es ziemlich blöd fand, daß sie sich über den Mann, den sie liebte, bei einem anderen erkundigen mußte, zum anderen, weil sie irgendwie das Gefühl hatte, und das hatte er an dem Grillabend, wenn auch im leicht angetrunkenen Zustand, zum Ausdruck gebracht, daß seine Gefühle für sie doch ein wenig über das der Freundschaft hinausgingen.

Wenn sie sich freundlich und nett verhielt, wie eine Freundin eben, würde auch Markus nicht die Grenzen überschreiten. Aber das bedeutete auch, daß sie ihn nicht in das mit einbeziehen durfte, was sie am meisten interessierte, nämlich Informationen über Thomas.

»Wie geht es mit deiner neuen Freundin?« erkundigte sie sich leichthin. »Bekommen wir die irgendwann einmal zu sehen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, ist schon vorbei, das war wohl nichts. Sie hat wohl auch etwas anderes erwartet, und als ich gesehen habe, wie gut ihr darauf seid, Linde und du, war mir auch klar, daß ich lieber eine Frau euren Formats hätte. Wie sagt man so schön, wir haben uns im beiderseitigen Einvernehmen getrennt.«

Bettina berührte leicht seinen gebräunten Arm, der auf dem Tisch lag und Kraft und Stärke vermittelte.

»Irgendwann wirst du die Richtige finden, Markus, du bist doch ein gutaussehender, charaktervoller, liebenswerter Mann. Meine Leni würde sagen: Jeder Topf findet einen Deckel, sie hat es ja so mit Sprüchen. Du wirst eine Frau finden, die zu dir paßt.«

Er seufzte.

»Am liebsten hätte ich…«

Das wurde Bettina zu gefährlich. Sie blickte auf ihre Armbanduhr, stand auf.

»Entschuldige, Markus, ich muß weg. Ich habe für eine Woche die beiden Kinder meiner Schwester auf dem Hof. Um die muß ich mich kümmern.«

Er stand auch auf.

»Wenn sie weg sind, können wir zusammen mal ein Bier trinken oder was essen gehen.«

Als sie zögerte, fuhr er fort: »So als Freunde, in allen Ehren, meinetwegen auch bei Linde in der Linde.«

»Das ist eine gute Idee, Markus, gern. Ich ruf dich an, außerdem muß ich mich ja ohnehin bei dir melden, wenn ich dein Angebot habe.«

Einem Impuls, ihm einen freundschaftlichen Kuß auf die Wange zu geben, widerstand sie, schüttelte statt dessen seine Hand.

»Auf bald, Markus, und danke nochmals, daß du mir die Bäume abkaufst.«

»Ich bitte dich, das ist doch mein Geschäft, Bettina… also meld dich, ich freue mich auf ein Bier mit dir.«

»Ich auch, Markus, auf bald.«

Sie winkte ihm nochmals zu, ehe sie sein Büro verließ. Markus war wirklich nicht übel, und wenn es Thomas nicht gäbe, könnte sie es sich sogar vorstellen, ihn näher kennenzulernen, so als Mann, nicht als Freund.

Aber es gab Thomas, und so würde, was auch gut war, Markus immer ein Freund sein. Freunde waren auch sehr, sehr wichtig im Leben, und Markus war ein guter Freund.

Als sie zu ihrem Auto ging, spürte sie seine Blicke in ihrem Rücken.

Rasch stieg sie ein, winkte nochmals kurz zu ihm hinauf, dann brauste sie davon.

Was der Verkauf der Bäume wohl bringen würde? Sie hätte es zu gern gewußt, sie mußte Linde fragen oder die Unterlagen ihres Vaters durchsehen, da würde sie diese Informationen wohl auch bekommen.

Ehe sie auf den Hof zurückfuhr, machte sie einen Abstecher zum See.

Seit Thomas weg war, war sie nicht mehr dort gewesen, aber heute konnte und wollte sie es.

Sie parkte vor dem Tor und lief dann schnurstracks zum Steg, um sich auf die Bank zu setzen. Ihre Sorge, sie könne schmerzerfüllt zusammenbrechen, weil er nicht mehr da war, weil so vieles ungesagt war, war glücklicherweise unbegründet.

Sie erinnerte sich all der Zärtlichkeiten, spürte seine Nähe, als säße er neben ihr, und sie erinnerte sich all seiner Liebesbeweise.

Sie war eine erwachsene Frau, die liebte, die geliebt wurde. Sie mußte sich freimachen von ihrer pubertären Erwartungshaltung. Was es auch immer in seiner Vergangenheit gegeben hatte, das hatte keinen Einfluß auf ihre Liebe. Das, was sie erlebt hatte, was sie in den letzten zehn Jahren geprägt hatte, machte doch auch nichts aus.

Thomas würde wiederkommen, sie würde ihn vielleicht auch in Amerika besuchen. Vielleicht würde er wieder ganz nach Deutschland kommen. Vielleicht würde sie, auch wenn das im Augenblick unvorstellbar war, zu ihm nach Amerika ziehen.

Sie mußte offen sein, sich dem Fluß des Lebens hingeben, einfach so, ganz vertrauensvoll darauf, daß alles gut würde. Widerstände stauten den Fluß und konnten eine böse, alles verschlingende Sturzflut verursachen.

Sie träumte von Thomas. Sicherlich würde er sie wieder anrufen, und darauf freute sie sich unbändig. Sie würde vorsichtig anfangen von ihrem Alltag zu erzählen, davon, daß Merit und Niels im Augenblick bei ihr waren, vielleicht würde ihn das auch motivieren, von sich etwas zu erzählen.

Bettina hörte Schritte und drehte sich um.

Hand in Hand kam ein junges Pärchen auf den Bootssteg, sie mochte ungefähr so alt sein wie sie und Thomas damals. Sie strahlten vor lauter Glück und Verliebtheit.

»Entschuldigung«, rief das junge Mädchen. »Wir machen hier in der Gegend für ein paar Tage Urlaub und kennen uns nicht aus. Kann man hier an dieser Stelle baden, oder ist das nur privat?«

»Es ist privat«, sagte Bettina.

»Ach, wie schade, aber das dachten wir uns schon, so ein wundervoller Platz muß ja jemandem gehören… wir hätten es uns eigentlich auch denken können, ist ja eingezäunt. Bitte entschuldigen Sie die Störung.«

Sie wandten sich ab, wollten zurückgehen.

»Warten Sie«, hielt Bettina sie zurück. »Es ist privat, aber wenn Sie mir versprechen, daß Sie das Tor immer wieder sorgsam zumachen, können Sie während der Zeit Ihres Aufenthaltes diesen Platz hier nutzen, auch das Ruderboot, wenn Sie damit umgehen können. Es ist wundervoll, damit raus auf den See zu fahren.«

Das junge Mädchen quietschte vor Begeisterung, während der junge Mann, der sich bislang zurückgehalten hatte, fast mißtrauisch fragte: »Warum tun Sie das? Ich meine, warum sind Sie so großzügig. Sie kennen uns doch überhaupt nicht.«

Bettina lächelte.

»Weil ich auch einmal so grenzenlos verliebt und jung war wie sie beide, und weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schön es gerade an diesem Platz hier ist, wenn man verliebt ist.«

»Danke«, sagte das junge Mädchen strahlend. »Ich bin übrigens Babsi, na eigentlich Barbara, aber keiner nennt mich so, und das ist Torsten.«

Bettina lachte.

»Und ich bin Bettina, und der Mann, den ich liebe, heißt Thomas.«

»Der mit dem Sie hier glücklich waren?«

Bettina nickte.

»Und mit dem ich…«, sie zögerte und ließ das ›wieder‹ weg, denn das bedurfte einiger Erklärungen, »glücklich bin.«

Sie stand auf und deutete auf das Herz mit den Initialen T + B.

»Schauen Sie, es ist wie für Sie gemacht. T + B, wenn das kein Vorzeichen ist.«

Babsi war wohl die, die in dieser Verbindung die Initiative ergriff.

»Ich glaube, ja auch an so etwas, und deswegen habe ich Torsten überredet, hier einfach zu fragen…?welch ein Glück, daß ich es getan habe. Danke, Bettina… ich darf Sie doch so nennen?«

»Aber klar, und nun wünsche ich ihnen schöne Tage hier, kommen Sie her, sooft Sie wollen.«

Die beiden bedankten sich nochmals ganz überschwenglich, zufrieden stieg Bettina in ihr Auto und startete es.

Wie sich die Geschichten wiederholten. Sie wünschte diesen beiden jungen Verliebten nur, daß ihre Liebe keine so lange schmerzvolle Unterbrechung erfahren würde.

Thomas und Bettina – Torsten und Babsi

Davon mußte sie Thomas unbedingt erzählen, wenn er sie anrufen würde.

*

Als Bettina gutgelaunt auf den Hof fuhr, kam Merit ihr entgegengehüpft.

»Tante Bettina, guck mal, was ich bekommen habe«, sie hielt ihr eine, für Bettinas Begriffe schreckliche, barbieähnliche Puppe entgegen. »Ich wollte schon immer so eine haben, aber Mama hat sie mir nicht gekauft. Von Leni und Arno habe ich sie aber jetzt bekommen.«

Die Freude der Kleinen war so groß, daß Bettina pflichtschuldig die Puppe bewunderte.

»Ja, sie ist wirklich toll.«

»Und dann habe ich noch eine Radlerhose, eine Bermuda und zwei T-Shirts bekommen, die Leni sagt Sachen, in denen ich mich schmutzig machen kann und die dann sofort in die Waschmaschine kommen. Sie sagt«, Merit kicherte, »auf einem Hof kann man nicht wie ein Zirkuspferd herumlaufen.«

Der Begriff Zirkuspferd schien sie ungemein zu belustigen, sie begann im Kreis zu laufen, die Beine zu heben und zu schnauben wie ein Pferd.

»Und wo ist Niels?«

Merit hielt inne, deutete auf das Gesindehaus. »Der arbeitet mit Toni, und wir dürfen nicht hinein, er sagt, das ist Männerarbeit und kleine Mädchen haben dort nichts zu suchen, den Arno haben sie reingelassen, aber die Leni auch nicht. Geh da bloß nicht hin, da bekommst du bloß Ärger.«

Bettinas Handy klingelte.

Am anderen Ende der Leitung war der junge Herr Stein, den sie mit dem Verkauf ihrer Wohnung beauftragt hatte.

»Endlich erreiche ich Sie, Frau Fahrenbach«, rief er ganz aufgeregt. »Ich habe wunderbare Nachrichten. Es gibt einen Käufer für Ihre Wohnung. Die VARIUS-Werke suchen ein Objekt, in dem sie leitende Angestellte unterbringen, die aus den Filialen kommen und nur vorübergehend im Mutterwerk arbeiten.«

»Das ist ja wunderbar«, rief Bettina begeistert, denn das würde ihre Probleme erheblich reduzieren.

»Einen Wermutstropfen allerdings gibt es«, bekannte der junge Makler. »Sie wollen nicht unseren Preis zahlen.«

»Aber…«

»Andererseits«, fuhr er rasch fort, »sind sie daran interessiert, die Wohnung komplett möbliert zu kaufen, weil sie von Ihrer Einrichtung so begeistert sind, und dafür wiederum sind sie bereit, einen mehr als ordentlichen Betrag zu zahlen. Ich weiß nun allerdings nicht…«

Diesmal war es Bettina, die ihn nicht aussprechen ließ.

»Herr Stein, ich freue mich wirklich sehr, aber ich denke, für die Entscheidung habe ich einige Tage Zeit. Zum Wochenende bringe ich meine Nichte und meinen Neffen zurück, und da können wir uns treffen. Bis dahin weiß ich auch, ob ich möbliert oder nicht möbliert verkaufen werde. Lassen Sie uns über die Modalitäten sprechen, wenn ich da bin, im Moment kann ich nicht so gut reden, ich stehe mitten auf dem Hof. Aber nochmals vielen Dank, hervorragende Arbeit.«

Sie wechselten noch ein paar Worte, dann steckte Bettina ihr Handy wieder weg.

Merit trabte noch immer im Kreis herum, wild schnaubend, so daß Bettina fast Angst bekam, sie könnte hyperventilieren.

Als sie aber merkte, daß ihre Tante das Telefonat beendet hatte, blieb sie stehen, scharrte mit dem Fuß.

»Tante Bettina, warum hast du keine Pferde? Ich meine richtige, auf denen man auch reiten kann.«

Bettina beugte sich zu der Kleinen herunter, hob sie auf den Arm.

»Noch habe ich keine Pferde, aber irgendwann werde ich die auch haben. Komm, ich zeig dir mal was, Pferdeboxen gibt es nämlich schon.«

Merit legte vertrauensvoll ihre Arme um den Hals ihrer Tante und schmiegte sich an sie.

»Ach, Tante Bettina, ich bin so froh, daß ich hier sein kann. Hier gefällt es mir viel besser als zu Hause.«

»Liebes, zu Hause ist es immer am schönsten.«

Merit schüttelte den Kopf.

»Früher war es bei uns auch schön, aber jetzt, seit Mama so komisch geworden ist, ist es nicht mehr schön. Der Papa sagt immer, das liegt nur an dem Geld und weil Mama so viel mit Tante Mona zusammen ist… die Mama und der Papa streiten auch viel, und dann laufe ich immer weg, ich laufe dann immer in mein Zimmer und halte mir die Ohren zu, weil ich Streit überhaupt nicht mag.«

Diese Worte aus dem Mund des Kindes zu hören brachen Bettina fast das Herz.

Normalerweise hielt sie sich aus Streitigkeiten heraus, aber hier beschloß sie einzugreifen. Sie würde mit ihrer Schwester reden, aber auch mit ihrem Schwager und ihnen klarmachen, was sie in den Seelen ihrer Kinder anrichteten.

Sie hatten den ehemaligen Stall erreicht. Bettina zeigte ihrer Nichte die Boxen, die allerdings auch noch hergerichtet werden mußten.

»Tante Bettina, wie wollen wir dein Pferd nennen?«

Glücklicherweise vergaßen Kinder schnell, Pferde waren im Moment für Merit wichtiger als der Streit ihrer Eltern.

»Die meisten Pferde haben Namen, wenn man sie kauft. Die bekommen sie in ihre Papiere eingetragen, genauso wie ein Kind, und auch die Eltern des Pferdes werden eingetragen.«

»Und wenn der Name nicht schön ist?«

»Na ja, man könnte dem Pferd einen Kosenamen geben, aber das tut keiner. Die Reiter halten sich schon an die eingetragenen Namen.«

»Und wer sucht die Namen aus?«

»Die richten sich nach dem Namen des Vaters.«

Bettina merkte, daß die Kleine das nicht nachvollziehen konnte. Sie setzte das Kind auf einen Balken.

»Also paß mal auf, nehmen wir an, die Mutter heißt Wella und der Vater Weltmeister, dann bekommt das Fohlen, wenn es ein Stutfohlen ist, also ein weibliches Tier, einen Namen, der mit W anfängt, also beispielsweise Wolke. Man sagt ja, die Wolke. Wenn es ein männliches Tier ist, also ein kleiner Hengst, dann würde man, weil es ja auch mit W anfangen muß, beispielsweise…« Bettina überlegte, und Merit sagte strahlend, »den könnte man Wildfang nennen, weil das ja der Wildfang ist. Aber ganz richtig ist das auch nicht, Tante Bettina, der Papa sagt manchmal zu mir, das ich ein richtiger kleiner Wildfang bin, und ich bin doch ein Mädchen.«

Leni kam in den Stall.

»Ach, hier seid ihr, ich habe euch schon überall gesucht. Das Essen ist fertig, hurtig kommt, ehe es kalt wird.«

Merit sprang von dem Balken und rannte auf Leni zu.

»Leni, bald bekommt Tante Bettina Pferde, und weißt du eigentlich, wie die Pferde ihre Namen bekommen?«

Als Leni das verneinte, wurde ihr das in epischer Breite von der Kleinen erklärt.

Lächelnd folgte Bettina ihnen.

Kinder waren etwas Wunderschönes. Sie wollte auf jeden Fall welche haben.

Kinder von Thomas, dem Mann, den sie liebte.

Sie hatten noch nicht über Kinder gesprochen, aber mußte man das? Gehörten Kinder nicht dazu?

Arno, Toni und ein stolzer Niels kamen aus dem Gesindehaus. Den Kleinen mußte man wohl erst in die Badewanne stecken, er war über und über eingestaubt.

Aber er strahlte, so lebendig und glücklich hatte sie ihren Neffen noch niemals erlebt.

»Tante Bettina, du glaubst nicht, was ich alles schon kann, nach dem Essen werde ich es dir zeigen. Du kannst dann nur noch staunen. Toni hat gesagt, daß ich ein Naturtalent bin«, er drehte sich zu Toni um. »Nicht wahr, Toni, das hast du doch gesagt?«

Toni nickte. »Das habe ich gesagt, und dabei bleibe ich.«

Stolz blickte Niels seine Tante an, nichts Frustriertes, Gelangweiltes war mehr an ihm. Er war ein begeisterter Junge, dessen Selbstwertgefühl gestärkt worden war.

»Super, Niels. Ich bin ja so gespannt wie ein Flitzebogen.«

Merit wurde eifersüchtig. Ihr paßte es nicht, daß die Aufmerksamkeit auf einmal ihrem Bruder galt.

»Ich weiß aber, wie die Pferde ihre Namen bekommen«, triumphierte sie.

»Pferde stinken«, sagte Niels.

»Das ist nicht wahr. Tante Bettina, sag ihm, daß es nicht wahr ist.«

»Kinder streitet nicht«, erklang ziemlich autoritär Lenis Stimme dazwischen. »Oder wollt ihr auf den Nachtisch verzichten?«

»Was gibt es denn?« wollte Merit wissen. »Etwa das Supereis, das wir heute gekauft haben?«

»Könnte sein, aber nun marsch, ab ins Haus, Hände waschen und dann an den Tisch.«

Die Kinder stoben davon.

»Sie blühen hier richtig auf«, sagte Leni und schaute den beiden lächelnd hinterher. »Aber sag mal, was hat denn der Toni mit dem Jungen gemacht. Hat er ihn durch die Mangel gedreht?«

Bettina schüttelte den Kopf.

»Nein, er hat nur die richtigen Worte für ihn gefunden.«

»Kinder sind schon etwas Schönes«, sie schaute Bettina an, »wir sollten auch welche haben, Platz genug ist da, und aus dir würde bestimmt eine gute Mutter.«

»Zuerst brauche ich dazu einen Mann.«

»Aber du hast doch Thomas.«

»Liebe Leni, vergiß nicht, daß mein Thomas leider in Amerika lebt.«

»Im Augenblick, aber das wird sich ändern. Ganz gewiß wird sich das ändern.«

Thomas…

Voller Sehnsucht dachte Bettina an ihn. Was er jetzt wohl machte?

Wegen der Zeitverschiebung mußte sie erst immer rechnen, und es machte das telefonieren auch nicht leichter.

Dabei fiel ihr ein, daß sie sich beim nächsten Anruf unbedingt seine Festnetznummer geben lassen mußte. Das hatten sie bisher versäumt, aber das lag bestimmt daran, daß es meistens Thomas war, der anrief.

Solange die Kinder da waren, hatte es sich eingebürgert, daß sie die Mahlzeiten im Haus von Leni und Arno einnahmen.

Als sie jetzt dort in die Diele kamen, sah Bettina das kleine Päckchen auf einer Kommode liegen, maß ihr aber keine Bedeutung bei, wenngleich sie sich wunderte, daß Leni oder Arno ein FedEx-Päckchen bekamen.

Bettina ging rasch ins Badezimmer, wusch sich die Hände, die Kinder saßen bereits lärmend um den Küchentisch herum, Bettina hörte sie lachen.

Auf dem Weg in die Küche fiel ihr Blick wieder auf das Päckchen.

»Ist für dich vorhin abgegeben worden«, sagte Leni, die sich auch die Hände gewaschen hatte.

Als Bettina sich auf das Päckchen stürzen wollte, hielt Leni sie zurück.

»Zuerst wird gegessen. Wie sollen die Kinder denn Benehmen lernen, wenn die Erwachsenen ein schlechtes Beispiel sind.«

»Du kannst mir wenigstens sagen, von wem es ist. Von Thomas?« erkundigte Bettina sich hoffnungsvoll.

Leni schüttelte den Kopf.

»Nein, von irgendeiner Firma, ich weiß nicht genau, irgendetwas mit T… Tiffi…, ach, ich weiß nicht mehr.«

Eigentlich war es auch nicht wichtig. Wenn es nicht von Thomas war, konnte es so bedeutend nicht sein.

»Tante Bettina, ich hab’ dir einen Platz freigehalten«, rief Merit, als sie ihre Tante erblickte.

Niels saß stolz zwischen Arno und Toni auf der Breitseite der Bank. Er fühlte sich sichtlich wohler in dieser Männerrunde.

Da Leni wegen des Einkaufs nicht viel Zeit gehabt hatte, ein aufwendiges Essen vorzubereiten, hatte sie nur einfach Spaghetti Bolognese gemacht. Die Nudeln waren schnell gekocht, die Sauce hatte sie bereits morgens gekocht.

»Juhu, Spaghetti Bolo, die mag ich am liebsten«, quietschte Merit und rieb sich vor lauter Vorfreude den Bauch.

Auch Niels sah man die Freude an, aber da er in der Männerrunde saß, sagte er nichts, sondern blieb ganz cool. Männer zeigten keine Gefühle!

Bettina war glücklich, daß die Kinder ganz offensichtlich soviel Spaß hatten.

Es war eine angeregte Tischrunde, und der Knaller war hinterher das Eis. Bettina wunderte sich, daß nach den vielen Nudeln noch immer soviel Platz in ihnen war, daß sie eine so große Portion Eis vertilgen konnten.

Vielleicht hätte sie aus erzieherischen Gründen eingreifen und Einhalt gebieten sollen, aber das brachte sie irgendwie nicht fertig.

Um keine Schuldgefühle zu bekommen, schob sie es einfach auf Leni, die hatte auch nicht eingegriffen. Ganz im Gegenteil, die hatte den Kindern so gar noch eine zweite Portion gestattet.

Arno und Toni tranken noch einen Kaffee. Das konnten sie nicht einmal genüßlich tun, weil Niels sie drängte, wieder an die Arbeit zu gehen.

Leni hatte der kleinen Merit versprochen, mit ihr aus Stoffresten Kleider für diese gräßliche Puppe zu nähen, wenn sie mit dem Abwasch fertig waren.

Bettina war sich selbst überlassen.

»Ich geh dann mal nach drüben«, sagte sie, »vielleicht lese ich noch etwas.«

»Vergiß nicht, dein Päckchen mitzunehmen«, erinnerte Leni sie. »Zuerst hättest du es am liebsten sofort aufgerissen, und nun interessiert es dich nicht.«

»Ist schon gut, ich nehme es mit… macht euch einen schönen Nachmittag, ihr zwei«, sagte sie und winkte ihnen zu, Merit warf ihr Kußhändchen zu. »Mach dir auch einen schönen Nachmittag, Tante Bettina.«

Bettina griff nach dem Päckchen. Für die Größe des Kartons war es ziemlich leicht.

Sie warf es in die Luft, fing es wieder auf, dann blickte sie auf den Absender: Tiffany, New York…

Na das war ja merkwürdig. Tiffany war ein Schmuckladen mitten in Manhatten. Wer erinnerte sich nicht an den Film mit Audrey Hepburn – Frühstück bei Tiffany. Sie selbst hatte ihn auch mehrfach gesehen und war dahingeschmolzen, einmal wegen der anrührenden Liebesgeschichte, die glücklicherweise ja doch zu einem guten Ende gekommen war und wegen des nicht minder anrührenden Liedes ›Moon river…‹

Und nun hielt sie ein Päckchen von Tiffany in den Händen… Welch ein Unsinn, natürlich nicht von Tiffany, jemand hatte Tiffany beauftragt, ihr etwas zu schicken, und dieser Jemand konnte nur Thomas sein, durchschoß es sie blitzartig.

Sie versuchte, das Päckchen zu öffnen, aber es ging nicht so ohne weiteres, also rannte sie ins Haus, ergriff ein Messer, ritzte die Verpackung ein, um sie dann fast gewaltsam aufzureißen. In wunderschönem türkisem Geschenkpapier, das auch keine Gnade vor ihr fand und achtlos zerrissen wurde, befand sich eine türkise Schachtel, und in dieser türkisen Schachtel, befand sich, nochmals sorgsam verpackt in Seidenpapier, ein wunderschönes Armband aus Sterlingsilber. Es war eines dieser Bettelarmbänder, bestückt mit Herzen, Ovalen, Rechtecken und Quadraten aus Silber. Eingraviert waren Buchstaben, abgesehen von dem T des Firmenemblems von Tiffany drehte sie das Armband so lange hin und her, bis sie die Buchstaben richtig aneinanderreihen konnte.

Tini und Tom – love forever

Sie starrte darauf, immer wieder, versuchte, das Armband anzulegen, aber sie zitterte zu sehr, es wollte ihr nicht gelingen, es zu verschließen. Sie mußte sich erst einmal beruhigen.

Sie raffte die zerrissene Verpackung zusammen, um sie in den Müll zu werfen, und fast hätte sie den Brief übersehen, der auch in dem Päckchen gelegen hatte.

Es war nur eine Büttenkarte mit wenigen Worten, aber die waren inhaltsschwer.

Meine geliebte Tini,

am liebsten würde ich es Dir tausendmal sagen -

Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat,

Jahr für Jahr. Ich möchte es Dir ein Leben lang sagen: Ich liebe Dich!

Dein Tom.

Sie griff nach dem Armband und preßte es zusammen mit dem Brief an ihr Herz.

Wie schaffte Thomas es nur, sie immer wieder zu überraschen. Dafür gab es nur eine Erklärung – weil er sie liebte.

Bettina atmete tief durch, und jetzt gelang es ihr, das Armband anzulegen. Es sah wunderschön aus, wie für sie gemacht. Ihr Herz klopfte wie verrückt – vor Freude und vor allem vor lauter Liebe…

Bettina Fahrenbach Staffel 1 – Liebesroman

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