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2 Historiografie – der Stand des Wissens

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Erst in den 1920er, verstärkt dann seit den 1970er Jahren ist der transatlantischen Sklaverei überhaupt wissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt worden, nachdem ihre Bedeutung für die Entstehung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erkannt worden war. Für die Anrainerregionen des Indik fehlen bis heute entsprechend tief und weit gehende wissenschaftliche Untersuchungen, obgleich ein guter Anfang inzwischen gemacht ist. Bemerkenswert an dieser unterschiedlichen Rezeption ist der Umstand, dass sie auf die Konstruktion der Zeitgenossen im Rahmen der Debatte um Abolitionismus und Emanzipation, wie sie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in wenigen westeuropäischen Staaten geführt wurde, zurückgeht, als die damaligen Agitatoren der Sklavenbefreiung aus ideologischen Gründen einen fundamentalen Unterschied zwischen der karibisch-atlantischen und der asiatisch-indischen Sklaverei ausmachten.

In den europäischen Kolonien, sei es in der Karibik, den Amerikas, Afrika, aber auch im Indischen Ozean sowie in Süd- und Südostasien, vermieden es europäische Plantagenbesitzer, Administratoren und Politiker gleichermaßen, Sklaven als Sklaven zu bezeichnen. So wurden beispielsweise erst mit dem »Slave Code« von Virginia des Jahres 1705, der die gültigen Bestimmungen, Gerichtsurteile und Gesetze zur Sklavenhaltung zusammenfasste, die bisherigen Termini »negro« und »servant« und das weit weniger gebräuchliche »slave« zumindest juristisch identisch.28 Allerdings waren, wie zu zeigen sein wird, auch in anderen Kulturkreisen euphemistische Benennungen für Sklaven und vor allem Sklavinnen weithin gebräuchlich, als ob es einerseits einen offenkundigen »Missstand« zu kaschieren galt, andererseits aber durchaus auch, um die familiäre Einbindung als Haushaltsmitglieder anzuzeigen, wenn Sklavinnen als »Tochter« oder Sklaven als »mein Junge« bezeichnet wurden.29

Zu der Zeit, als die Debatte um die Abschaffung der Sklaverei am Ende des 18. Jahrhunderts in Großbritannien und wenigen anderen Ländern des westlichen Europa an Schärfe gewann, bezeichneten Sklavenhalter und ihre parlamentarischen wie außerparlamentarischen Wortführer Sklaven wiederum euphemistisch als »serf«, »siervo«, »captive«, »apprentice«, »servant«, »domestic« oder »dependent«. Dies verwies auf des Sklaven Schicksal oder gab seine Funktion an, nicht aber den eigentlichen Status als frei verfügbares Privateigentum. In jedem Fall zeigen all diese Euphemismen, dass ein Sklave in der Gesellschaft ganz unten platziert war. Umgangen wurde mit solchen Bezeichnungen freilich auch die Tatsache, in einen Handel mit Menschen verwickelt zu sein.30 Wie erwähnt, zeitigte die zeitgenössische Vertuschungsstrategie nachhaltige Wirkung auf die Historiografie, sowohl beim transatlantischen Sklavenhandel und der amerikanischen Sklaverei, vor allem aber bei der Institution der Sklaverei in Süd- und Südostasien.

Die fast ausnahmslos britisch (-indische) Geschichtsschreibung zur Sklaverei in Südasien und im Indik folgte in zweierlei Hinsicht der zeitgenössischen »Wahrnehmung« durch die Kolonialmacht. Zum einen, wie bereits erwähnt, vermieden ihre Vertreter den Begriff Sklaverei weitestgehend. Zum anderen betrachteten sie die Sklaverei in Indien und Arabien als etwas grundlegend Anderes als die in Afrika und Amerika. Diese Differenzkonstruktion basiert auf unterschiedlichen ökonomischen Konzepten. Während »Feldsklaverei«, in den Amerikas überwiegend auf den Zuckerrohr- und Baumwollplantagen, als wirtschaftlich produktiv angesehen war, galt die »Haussklaverei«, wie sie in Indien und den arabischen Ländern vorherrschte, als unproduktiv. Da diese Sklaven, so die europäischen Zeitgenossen, unvergleichlich besser gestellt waren als die amerikanischen Feldsklaven, allein hinsichtlich ihrer physischen Belastung, sahen die Briten sich um so mehr berechtigt, nicht von Sklaverei zu sprechen. Noch 1842 hielt ein anonymer Verfasser für Britisch-Indien fest: »It is an abuse of language to speak of slavery.«31

Infolge der britischen Abolitionisten-Kampagne wurden Sklaverei und Sklavenhandel als Thema der Geschichte in der Historiografie zum Indik bis vor Kurzem kaum beachtet. Die Sklaverei zu Zeiten des Delhi Sultanats fand bislang nur in einem 1989 veröffentlichten Artikel Berücksichtigung,32 dem erst kürzlich ein zweiter Artikel zum Thema folgte.33 Die Zeit des Mogul-Reiches blieb bislang fast ganz ausgespart.34 Ein erstes, moralisch höchst aufgeladenes Buch erschien 1873 und war vor dem Hintergrund der Abschaffung der Sklaverei in den USA geschrieben. In diesem frühen Zeugnis indisch-nationalistischer Literatur stellte der Autor den guten Amerikanern schablonenartig die schlechten Briten gegenüber, deren Regierung in Britisch-Indien die Sklaverei weiterhin zulasse und damit gewissermaßen ein ganzes Volk versklave.35 Eine nicht minder moralisch aufgeladene Monografie, wenngleich immer noch ein Standardwerk, erschien 1933 und war ebenfalls in stark indisch-nationalistischem Ton gegen die imperiale Fremdherrschaft geschrieben.36

Die britische Historiografie zur Sklaverei in Südasien versteifte sich immer stärker auf die Position, dass es Sklaverei im Vergleich mit der amero-karibischen nicht gegeben habe. Diese Geschichtsschreibung folgte damit unkritisch den bürgerlich-liberalen Kolonialbürokraten, die ihr die Materialien zu einer solchen Darstellung lieferten, mit der Folge, dass es generell keine Untersuchungen zur Sklaverei in Britisch-Indien gab.37 Ein Sammelband aus dem Jahr 1985 thematisiert mehr die Formen von erzwungenem Arbeiten als tatsächliche Sklaverei.38 Im Jahr 1999 erschien endlich eine Monografie zur Sklaverei und ihrer juristischen Transformation im kolonialen Bengalen des 18. und 19. Jahrhunderts, die das Thema adäquat bearbeitet und neue Wege in der Sozialgeschichte der Sklaverei aufzeigt.39 Gefolgt wurde das Buch von einem Sammelband, der Formen der Sklaverei in verschiedenen Regionen Südasiens durch die Jahrhunderte in angemessener Weise ins Visier nahm.40 Diverse umfassende Gesamtdarstellungen zum Sklavenhandel an der afrikanischen Ostküste sowie zur Sklaverei in den arabischen Ländern des Osmanischen Reiches erschienen seit den 1970er Jahren. Offensichtlich hatte man als Folge der ersten Ergebnisse zum transatlantischen Sklavenhandel hier ein Forschungsdefizit ausgemacht.41 Den neueren Forschungen ist es auch zu verdanken, dass die afrikanische Sklaverei im afro-arabischen Kulturraum in einer ersten Gesamtdarstellung berücksichtigt wurde.42

Quantitative und qualitative Spezialuntersuchungen zu Sklaverei und Sklavenhandel im Indik sind erst in den vergangenen Jahren entstanden. Der Sklavenhandel an der ostafrikanischen Küste und die Sklavengesellschaften auf Sansibar und den französischen Maskarenen sind hier besonders hervorzuheben. Neben zahlreichen Zeitschriftenartikeln fanden die Forschungsergebnisse in zwei inzwischen einschlägigen Sammelbänden und in einer ebenso einschlägigen Monografie ihren Niederschlag.43 Bis in die Gegenwart ist in der Forschung der ostafrikanische Schwerpunkt zur Sklaverei im Indik zu beobachten. Nahezu unbeleuchtet ist hingegen der Sklavenhandel und die Sklaverei im Hadramaut, in Oman, dem Persischen Golf, im indischen Gujarat und auf Sri Lanka, allesamt Länder und Regionen, die maßgeblich am Sklavenhandel beteiligt waren und in denen Sklaverei herrschte.

Für den südostasiatischen Raum fällt der wissenschaftliche Forschungsertrag noch bescheidener aus. Erst in den vergangenen Jahren haben die grundlegenden Arbeiten von James F. Warren für den Bereich des Sulu-Archipels zwischen Borneo und Mindanao zu einer Korrektur des bisherigen Bildes geführt, wonach Sklaverei im Malayisch-Indonesischen Archipel kaum existiert haben soll. In die gleiche Richtung geht auch ein Beitrag von Markus Vink zur Sklaverei und dem Sklavenhandel der holländischen Vereenigden Oostindischen Compagnie (VOC) im 17. Jahrhundert, der ebenfalls zu einer Korrektur der bisher geltenden Ansichten und Vorstellungen beitrug.44 Den kommerziellen Einfluss, den die Aktivitäten der europäischen Handelsgesellschaften in Südostasien auf den Sklavenhandel ausübten, fand erstmals in einem Beitrag aus dem Jahr 2003 Berücksichtigung.45

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich also, dass Sklaverei und Sklavenhandel auch in der afrikanisch-arabisch-asiatischen Weltregion, umspült vom Indischen Ozean, einen immensen ökonomischen und sozialen Faktor darstellten. Ohne Sklaven wären in den dortigen Gesellschaften Wirtschaft, Handel, Militär und Verwaltung kollabiert oder hätten nur mit großen Einschränkungen aufrecht erhalten werden können. Das hätte unabsehbare Folgen für das Mogul-Reich, Britisch-Indien, das Osmanische- und das Safawiden-Reich, aber auch für Gesellschaften in Ostafrika, wie beispielsweise das madegassische Merina-Reich des 19. Jahrhunderts, und für Reiche und Fürstentümer wie Sansibar-Maskat-Oman oder Haiderabad in Zentralindien, in Malaysia sowie auf den indonesischen Inseln gehabt.46 Künftige Forschungen zur Sklaverei im Indik dürften auf diesem Feld zu neuen Erkenntnissen kommen, wenn man die bisherigen Forschungsergebnisse in Betracht zieht.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungslage zur Sklaverei im Atlantischen und im Indischen Ozean während der letzten 500 Jahre hat sich die vorliegende Darstellung vier Ziele gesetzt. Zum Ersten will sie einen Überblick über die neue Forschung geben, sozusagen die Wege der Forschung, die in den letzten beiden Jahrzehnten beschritten worden sind, systematisch nachgehen und sie in einem Ertrag »synthetisieren«. Zum Zweiten ergibt sich mit der Wahl des Indik als Objektraum die Chance, die seit dem 15. Jahrhundert in Schüben fortschreitende Globalisierung auch für und mittels der Sklaverei nachzuzeichnen. Sind bisher Sklaverei und Sklavenhandel eher als lokale oder bestenfalls regionale Phänomene der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostafrikas, Arabiens, Süd- und Südostasiens dargestellt worden, soll hier nun explizit die Transregionalität betont und auf die zunehmende Vernetzung nicht nur des Warenverkehrs, sondern auch des Sklavenhandels als einen integrativen Bestandteil des sich globalisierenden Arbeitsmarktes hingewiesen werden.

Zum Dritten, und sich daran unmittelbar anschließend, soll betont werden, dass die Sklaverei weder ökonomisch noch sozial ein statisches System war, das die Jahrhunderte zwischen 1500 und 1900 unverändert überdauerte. Sklaverei war vielmehr ein dynamischer Bestandteil eines sich permanent verändernden, in globalen Bezügen vernetzenden und zunehmend kapitalistisch ausgerichteten Wirtschaftsystems, innerhalb dessen sie stets eine konstante wie flexible Größe darstellte. Bis zu ihrer Abschaffung war die Sklaverei keinesfalls eine anachronistische Erscheinung, sondern integrativer Teil zeitgemäßer und in allen Weltregionen für modern erachteter Wirtschaftsordnungen. Und schließlich, zum Vierten, soll eine Einführung in einen komplexen Themenbereich gegeben werden, der neben einer studentischen oder allgemein akademischen Leserschaft auch ein breiteres außerakademisches Lesepublikum ansprechen kann.

Um die gegenwärtig gelegentlich geführten Debatten zu Sklaverei zu verstehen, aber auch um den vielfältigen Gebrauch der Wörter Sklave, Sklaverei und Sklavenarbeit nachvollziehen zu können, ist eine historische Verortung notwendig. Am Ende der Ausführungen wird sich nämlich die Frage stellen, ob und wie weit der Begriff »Sklaverei« überhaupt trägt und was er transportiert, aber auch, wie er in der historischen Forschung und in den gegenwärtigen medialen »Nachrichten« gebraucht werden kann, ohne die moralisch höchst aufgeladene Konnotation der afrikanischen Sklaverei in der Karibik und den Amerikas hervorzurufen. Der Ertrag neuerer Forschungen könnte dann auch neue globalhistorische Zusammenhänge aufdecken und zu einem neuen Verständnis von weltweit organisierten Arbeitsverhältnissen beitragen. In diesem Sinne wünsche ich den Lesern und Leserinnen bei der Lektüre des Buches viel Vergnügen.

Sahibs, Sklaven und Soldaten

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