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DAS NEUTRALITÄTS­RECHT

1674, im Niederländisch-Französischen Krieg, erklärt die Tagsatzung die Schweiz erstmals zum «neutralen Staat». Doch im Jahr 1798 erobern französische Truppen das Land. Frankreich zwingt der Helvetischen Republik eine Militärallianz auf und sie muss ihre Neutralität zeitweilig aufgeben.

Nach dem Sieg über Napoleon wird die schweizerische Neutralität am 20. November 1815 im Frieden von Paris von den europäischen Grossmächten, die am Wiener Kongress beteiligt sind, bekräftigt. Österreich, Frankreich, England, Portugal, Preussen, Russland und Schweden gestehen der Schweiz das Recht zu, sich aus bewaffneten Konflikten herauszuhalten, und garantieren ihr die Unversehrtheit ihres Staatsgebiets. Die Mächte anerkennen, «dass die Neutralität und Unversehrtheit der Schweiz und ihre Unabhängigkeit von jeglichem ausländischen Einfluss dem ureigenen Interesse der gesamteuropäischen Politik entspreche.»8

Das Neutralitätsrecht wandelt sich im 19. Jahrhundert zum Gewohnheitsrecht. Es wird in zwei von der Schweiz unterschriebenen Konventionen vom 18. Oktober 1907 an der zweiten Friedenskonferenz von Den Haag teilweise kodifiziert: Das V. Haager Abkommen betrifft die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Fall eines Landkriegs und das XIII. Abkommen die Rechte und Pflichte der Neutralen im Fall eines Seekriegs. Diese nach wie vor geltenden Abkommen geben der Neutralität einen klareren juristischen Rahmen und verhelfen ihr gleichzeitig zu internationaler Anerkennung.

Die Kodifizierung des Neutralitätsrechts garantierte einem Staat, der sich aus einem Krieg heraushalten wollte, seine Souveränität und territoriale Integrität, wenn er sich im Gegenzug zur Achtung des Neutralitätsrechts verpflichtete. Der Krieg galt damals als völlig legitim. Er war «eine blosse Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln».9 Der Begriff der kollektiven Sicherheit war noch unbekannt und das Neutralitätsrecht bedeutete für den Schutz und die Sicherheit (kleiner) nicht kriegführender Länder einen beträchtlichen Fortschritt.

Im Vertrag von Versailles von 1919 wird die schweizerische Neutralität erwähnt10 und 1920 wird sie vom Völkerbund anerkannt.

Heute beteiligt sich die Schweiz an mehreren Organisationen der kollektiven Sicherheit oder kooperiert mit ihnen: 1975 erreichte die Schweiz, dass das Recht der Staaten auf Neutralität in der Schlussakte von Helsinki der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), aus der später die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hervorging, ausdrücklich anerkannt wurde.11 Seit 1996 kooperiert die Schweiz im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden und der Euro-Atlantischen Partnerschaft mit der NATO. Seit 2002 ist sie Mitglied der Vereinten Nationen, nachdem 54,6 Prozent der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 3. März 2002 dem UNO-Beitritt zugestimmt hatten.12 In ihrer Beitrittserklärung hält die Schweiz fest, sie sei «ein neutraler Staat, dessen Status im Völkerrecht verankert ist».13 Sie «bleibt auch als Mitglied der UNO neutral».

Die rechtlichen Grundsätze

Die Spielregeln der Neutralität sind Teil des internationalen öffentlichen Rechts. Die Staaten sind juristisch verpflichtet, sich daran zu halten: «Die Neutralität bezeichnet jenes Prinzip der Aussenpolitik, wonach sich ein Staat verpflichtet, sich nicht militärisch in einen bestimmten zwischenstaatlichen Konflikt (zeitweilige Neutralität) oder in alle künftigen Konflikte (dauerhafte Neutralität) einzumischen, wenn die kriegführenden Parteien dafür die Unversehrtheit seines Territoriums achten.»14

Für die Anwendung des Neutralitätsrechts muss zwingend ein bewaffneter internationaler Konflikt gegeben sein. Das heisst einerseits, dass es sich um einen zwischenstaatlichen und nicht um einen Konflikt zwischen einem Staat und einem nicht staatlichen Akteur handeln muss. (In letzterem Fall würde die Auseinandersetzung als interner Konflikt gelten.) Zudem muss es sich um einen bewaffneten Konflikt handeln. Eine politische Auseinandersetzung genügt nicht, damit das Neutralitätsrecht zur Anwendung kommt.15

Das V. Haager Abkommen von 1907 zählt die Rechte und Pflichten des neutralen Staats auf. Eigentlich braucht man sich aber nicht ständig zu fragen, was die Neutralität verbietet oder erlaubt – ihre Spielregeln gelten ja bloss für den zwischenstaatlichen Kriegsfall und weisen selbst in diesem Bereich sehr wenige Einschränkungen auf: Der neutrale Staat darf nicht militärisch in einen Konflikt zwischen anderen Staaten eingreifen. Es ist ihm namentlich verboten, die Konfliktparteien mit Kriegsmaterial oder Truppen zu unterstützen. Ebenso darf er ihnen sein Territorium mitsamt Luftraum nicht zu militärischen Zwecken zur Verfügung stellen. Zudem muss der neutrale Staat dazu in der Lage sein, sein Hoheitsgebiet mit Waffengewalt zu verteidigen, um zu verhindern, dass es von den Kontrahenten zu militärischen Zwecken genutzt wird, zum Beispiel zur Truppenverschiebung oder für die Einrichtung von militärischen Stützpunkten.

Zeitweilige und dauerhafte Neutralität

Man spricht von zeitweiliger Neutralität, wenn diese in ihrer Dauer oder Anwendung auf einen bestimmten Konflikt beschränkt ist. Von dauerhafter Neutralität ist die Rede, wenn ein Staat sich entschieden hat, in allen internationalen Konflikten neutral zu bleiben. Der Hauptunterschied besteht also darin, dass Letzterer sich zur Neutralität in allen künftigen Konflikten verpflichtet und somit allen möglichen Konfliktparteien eine dauerhafte Sicherheitsgarantie gibt. Dagegen entscheidet ein zeitweilig neutraler Staat von Fall zu Fall, ob er neutral bleiben will oder nicht.

Die Schweiz ist ein dauerhaft neutrales Land.

Die Neutralität wurde als Konzept für Kriegszeiten geschaffen, um Situationen grosser zeitweiliger Spannungen zu meistern. In den beiden Haager Abkommen, die das Neutralitätsrecht kodifizieren, wird die dauerhafte Neutralität, wie sie die Schweiz praktiziert, nicht erwähnt. Auch in keinem anderen internationalen Abkommen wird die dauerhafte Neutralität definiert.

Der Status der dauerhaften Neutralität kann trotzdem als gewohnheitsrechtlich etabliert angesehen werden, denn seit 1815 anerkennen die Grossmächte die dauerhafte Neutralität der Schweiz, und später wird diese vom Völkerbund, von der KSZE und von den Vereinten Nationen bekräftigt.

Obwohl die Neutralitätsabkommen die Rechte und Pflichten eines dauerhaft neutralen Staats nicht explizit ausführen, leiten sich vom Grundsatz von Treu und Glauben und der Vertragstreue doch gewisse Verpflichtungen ab. So kann ein dauerhaft neutrales Land in Friedenszeiten keine Bindung eingehen, die es ihm verunmöglicht, seine Pflichten als neutraler Staat zu erfüllen. Dies schliesst das Verbot ein, ein Militär- oder Verteidigungsbündnis einzugehen oder die Errichtung von Armeestützpunkten auf seinem Staatsgebiet zuzulassen. Doch weil diese Einschränkungen ausschliesslich den militärischen Bereich betreffen, wirken sie sich auf die übrigen Aktivitäten des neutralen Staats nicht aus. Dieser kann demnach eine Aussen- und Sicherheitspolitik gemäss seinen nationalen Interessen führen. Möchte er andererseits seinen aussenpolitischen Handlungsspielraum stärker beschneiden, als vom internationalen Recht verlangt, könnte er auch dies aufgrund von politischen Erwägungen tun, die in seinem eigenen Ermessen liegen.

Zum Schluss noch eine wichtige Präzisierung: Dauerhafte ist nicht zwingend mit immerwährender Neutralität gleichzusetzen. Die freiwillige Verpflichtung des neutralen Staats gilt nicht automatisch bis in alle Ewigkeit. Er kann seinen Status einseitig aufgeben. Doch er soll dies in guten Treuen tun, es öffentlich zu gegebener Zeit bekunden und nicht opportunistisch – das heisst unmittelbar vor oder während eines bewaffneten internationalen Konflikts – entscheiden.

Die Neutralität

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