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Unbedarft, aber voller Tatendrang sitze ich hier vor der unglaublich beeindruckenden Akropolis. Fast wie ein ganz normaler Tourist.

GRIECHENLAND

WOHIN ZUERST? Diese Frage erwies sich bei der Planung dieser verrückten Reise als gar nicht so einfach. Ich wusste aber, dass griechische Barbiere einen großen Anteil daran hatten, die Tradition des Barbierens ins moderne Europa zu bringen. Griechenland grenzt an die Türkei, das Tor zum Nahen Osten – durch diesen Filter war das Barbierhandwerk einst gegangen, und ich war sehr neugierig, wie sich die Kultur heute darstellte.

Außerdem war mein Kameramann Mike ein halber Grieche, und seine Tante lebte in Athen, also: auf nach Griechenland! Es war der perfekte Ort für den Anfang. Meinen Kameramann Mike hatte ich übrigens über eine Anzeige auf einer Website für Film-Freiberufler gefunden. Zum Vorstellungsgespräch hatten wir uns um 10 Uhr morgens in einem Café verabredet. Als er auftauchte, hatte er die Nacht durchgemacht und überhaupt noch nicht geschlafen. Aber er war gut drauf; wir fingen gleich an, über Kameras und Filme, die wir beide toll fanden, zu fachsimpeln. Offenbar hatte Mike kein Problem mit Arbeit am frühen Morgen und funktionierte auch bei Schlafmangel: Er war engagiert! Unser Tagesbudget für dieses Reisejahr sollte 20 Pfund pro Person betragen – einschließlich Reisekosten, Essen und Unterkunft! Da war es ideal, dass wir zu Beginn bei Mikes Tante unterkommen konnten.


Panagiotis, stolzer Grieche und Besitzer des »1900«. In seinem Laden fing alles an.

ATHEN

Barbershop »1900«

Vor der Abreise hatte ich nur mit einem Barbierladen in Athen Kontakt aufgenommen. Ein Herr Panagiotis vom Barbershop »1900« hatte uns eingeladen, die erste Episode bei ihm zu drehen. Die Adresse lautete Ipsilantou 35 im Viertel Kolonaki.

Auf dem Weg zu seinem Laden war ich mit den Nerven völlig runter. Worauf hatte ich mich da eingelassen? Ich hatte noch nie zuvor eine Dokumentation gemacht! Am Hauseingang kamen wir uns vor wie vor einer Privatwohnung – wir mussten erst durch eine Sicherheitstür und dann an der Ladentür klingeln. Panagiotis selbst öffnete. Er trug einen schicken cremefarbenen Anzug und hatte das Haar zu einem Männerdutt hochgebunden. Sein langer, präzise gestutzter Bart sah aus wie von einem der Schauspieler im Film »300«. Er begrüßte uns sehr freundlich und bat uns, es uns gemütlich zu machen. Ganz unverkennbar war er auf seine Manieren nicht weniger stolz als auf sein Aussehen. »Whisky anyone?« Es war noch Vormittag, aber wir nahmen beide das Angebot an. Wäre ja sonst unhöflich gewesen, oder?

Der Laden war eine Pracht, eine Schatzkammer voller Erinnerungsstücke und Antiquitäten längst vergangener Zeiten. Offensichtlich wollte er eine Atmosphäre wie in einem Herrenclub schaffen. Jedes Detail war von ausgesuchter Schönheit.

Panagiotis war Grieche, wurde aber in Ägypten geboren, wohin seine Familie im 19. Jahrhundert ausgewandert war. Schon als Kind war er dort gern zum Friseur gegangen, und diese Kultur, verbunden mit seinem persönlichen Stil, wollte er ins Heimatland seiner Familie mitbringen, als er dorthin zurückkehrte.

Das Interview fing kurios an: Wir fragten Panagiotis, warum er einen Barbierladen aufgemacht hatte, und im Gegenzug fragte er uns, welches Format unsere Videos hätten. Das wussten wir allerdings nicht so genau. Alles bei uns war improvisiert; im Vergleich zu einer professionellen Ausrüstung war unsere Kamera ja eher ein billiges Modell. »Keine Ahnung!«, antworteten wir also.

Dieses erste Interview war ein Totalschaden. Ich hatte keinerlei Erfahrung damit, Leute zu interviewen, und unterbrach ihn dauernd, während er noch redete – beim Schnitt der reine Horror. Und als wäre das nicht schon genug, sahen wir, als alles fertig war, dass unser Audiorekorder »Error« anzeigte. Er hatte das gesamte Interview nicht aufgenommen. Das war mega-peinlich, wir mussten Panagiotis bitten, zum Filmen später noch einmal wiederkommen zu dürfen. Wir kreuzten dann am Nachmittag erneut auf, und inzwischen hatte er legerere Kleidung angezogen. Deshalb ist er der Einzige in der ganzen Serie, von dem es kein gefilmtes Interview gibt. Immerhin, diese Lektion hatten wir gelernt!

Dann fragte Panagiotis uns, wo wir sonst noch filmen wollten, und wieder konnten wir ihm keine richtige Antwort geben. Er war dann so nett, uns ein paar Tipps für Barbershops in der Stadt zu geben, die sich von seinem unterschieden. Was gut passte, denn ich wollte Kontraste zeigen, und nach seinem Gentlemen’s Club im Vintage Style konnten wir nun etwas anderes filmen.

Beim Barbier sind Politik und Nachrichten Tagesgespräch.


Das »1900« war eine reine Pracht. Man fühlte sich wie in einem Herrenclub längst vergangener Zeiten.

Don Barber & Groom

Das Don Barber & Groom (Amerikis 23) von Ioannis ähnelte mehr einer Grooming Lounge mit allen möglichen Dienstleistungen im Schönheitssektor, einschließlich Waxing und Maniküre. Zum ersten Mal gingen wir einfach so und ohne Vorbereitung in einen Shop und mussten erklären, was wir machten, warum wir es machten und was das Ganze eigentlich sollte – wie verwirrt die Leute jedes Mal aussahen, wenn wir sie damit überfielen, finde ich immer noch ziemlich lustig.

Ioannis ließ sich auf uns ein. Sein Salon war so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir am Tag zuvor gesehen hatten. Ioannis war Eigentümer, Geschäftsführer und Barbier in einer Person – selbstbewusst, aber vor der Kamera etwas nervös. Das kam nicht selten vor und passierte auch mir selbst immer wieder. Doch das Interview lief gut und brachte uns ein paar schöne Einblicke in seinen USP: Haarschnitt, Bartpflege und Wellness speziell für Männer, und alles aus einer Hand.


Beim Hochzeitstanz auf dieser unglaublichen griechischen Hochzeit unseres neuen Freundes Christos waren wir voll dabei.

Auf einer griechischen Hochzeit

Während wir im Laden waren, rief ein Mann, der sich gerade für seine Hochzeit herrichten ließ, herüber: »Für wen filmt ihr eigentlich?« Mike antwortete cool: »Für die BBC.« Das stimmte nicht – ich hatte nur einmal mit jemandem gesprochen, der das Projekt einem BBC-Redakteur vorstellen wollte. Innerhalb von Minuten waren wir für den Abend zur Hochzeit von Christos eingeladen. So läuft das, ein guter Teil des gesellschaftlichen Lebens spielt sich im Barbershop ab!

Diese Gelegenheit ließen wir uns natürlich nicht entgehen. Wir wurden wie Könige behandelt und schlossen ein paar neue Freundschaften. Die Trauung fand in einer Kirche etwas oberhalb statt, von der aus man einen fantastischen Blick über Athen hatte. Dann ging es zur Feier in ein großes Landhaus mit Pools und einem Wahnsinnsgarten. Ein professionelles Filmteam drehte, Livebands spielten, wir bekamen das so ziemlich beste Essen, das uns auf der ganzen Reise untergekommen ist. Bis zum frühen Morgen hatten wir dann auch einiges intus. Eigentlich Verschwendung, uns ganz am Anfang der Reise gleich so zu verwöhnen … Griechische Hochzeiten sind spektakulär, und ich sage oft zum Spaß: Wenn ich einmal heirate, kann es nur eine Griechin sein – nur, damit ich das noch einmal erleben kann!

Athens Barber’s Shop

Am nächsten Tag gingen wir hinüber zu Athens Barber’s Shop (Filolaou 84–86, Pagrati), wo uns Vasilios begrüßte, ein sehr selbstbewusster, stolzer Mann mit langem Pferdeschwanz in einem schicken weißen Hemd. Sein Friseurladen war mehr von der klassischen Sorte, und er war vor allem stolz auf seine Rasiertechniken sowie darauf, dass er Barbiere ausbildete und bei Friseurwettbewerben mitmachte. Bei ihm fanden wir Schaukästen voller Barbier-Memorabilia, alte Friseursessel und Geschichten über Geschichten. Barbierläden waren, seinen Worten zufolge, früher wie winzige Parlamente, in denen der Barbier die Debatten leitete. Und auch heute noch findet man überall auf der Welt solche Läden, in denen Politik und Nachrichten Tagesgespräch sind. Das kann je nach Kultur oder Land ganz unterschiedlich ablaufen und hängt auch davon ab, was für eine Atmosphäre der Barbier selbst in seinem Laden schafft. Immer aber geht es sehr familiär zu.


Abhängen im Barbershop. Die meisten, die wir ohne Vorankündigung besuchten, waren erst überrascht, empfingen uns aber überaus freundlich.

THESSALONIKI

Nach Athen besuchten wir Thessaloniki, hatten aber Probleme, dort Barbierläden zu finden – und als wir einen aufgetan hatten, wurden wir unglaublich unfreundlich behandelt. Damit hatten wir nicht gerechnet. Wir kamen rein und versuchten etwas unbeholfen, uns vorzustellen, aber der Barbier schaute uns nur verächtlich an und deutete zur Tür. Wir dachten, er hätte uns nur nicht richtig verstanden, und starteten einen neuen Anlauf, aber er blieb abweisend. Das war unsere erste Niederlage bei unserer Dokumentationsserie.

Dass in Athen – und in Griechenland überhaupt – nicht mehr Barbershops zu finden waren, hat mich ziemlich überrascht. Anscheinend wollten zwischenzeitlich kaum noch Leute diesen Beruf ergreifen. Das bedeutete, dass es – infolge des »Barber-Booms« 2012/2013 – entweder vor allem ziemlich neue Geschäfte gab oder die Barbiere schon alt und teilweise im Ruhestand waren. Dieses Thema begegnete mir auf meinen Reisen immer wieder.

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