Читать книгу Andere Länder - andere Bärte - Miguel Gutierrez - Страница 7

Оглавление

Ein Haarschnitt bei Sonnenuntergang auf dem »Sunrise Point« in Göreme, im wunderschönen Kappadokien.

TÜRKEI


Blick von einem Schiff auf die Bosporusbrücke. Sie verbindet den europäischen mit dem asiatischen Teil Istanbuls.

BEI MEINER RECHERCHE VOR DER REISE war die Türkei eines der wenigen Länder, aus denen ich auf YouTube etwas über die Barbierszene gepostet gefunden hatte. Zu sehen, dass dort so viel mehr Wert auf Service gelegt wurde als anderswo, war ein richtiges Aha-Erlebnis für mich. Mit dem zunehmenden Einfluss türkischer Barbiere in Großbritannien hatte ich selbst erleben können, wie wichtig Barbierläden für die türkische Gesellschaft waren. Schon allein deshalb MUSSTE ich auf meiner Reise hin! Ich kannte das Land noch nicht, aber schon bei meiner Recherche merkte ich, dass dort nicht nur die Barbierkultur quer durchs ganze Land außerordentlich lebendig war – die türkische Kultur insgesamt fand ich zutiefst beeindruckend.

ISTANBUL

Wir kamen mit dem Bus in Istanbul an. Die Geräusche und Gerüche dort versetzten mich in eine Erregung, die ich lange nicht mehr gespürt hatte. Unbekannte Orte habe ich auf Reisen schon immer aufregend gefunden, Orte, an denen man das Unerwartete zu erwarten hat und die einen aus der eigenen Komfortzone schubsen.

Wir mieteten uns in der Nähe des Taksim-Platzes ein, lustigerweise in einem von Griechen geführten Hostel. Als wir bei der Ankunft erzählten, dass wir zum ersten Mal in Istanbul seien, sagte der Mann an der Rezeption streng: »Das ist Konstantinopel!« Er war ein Nachfahre der alten Griechen, von denen diese Stadt einst bevölkert war und die heute Istanbul heißt. Er spielte griechische Musik, servierte griechisches Frühstück und traf sich jeden Abend mit seinen griechischen Freunden zum Essen auf der Terrasse. Ich muss gestehen, dass ich von der wechselvollen Geschichte dieser uralten Stadt bis dahin kaum etwas gewusst hatte.

Da wir im Vorfeld mit keinem Barbier Kontakt aufgenommen hatten, versuchten wir auf gut Glück, in einem Laden ein Interview anzufragen, scheiterten aber an der Kommunikation – eines der Hauptprobleme, das uns auf der Reise immer wieder zu schaffen machte. Ohne Hilfe bei der Übersetzung waren wir aufgeschmissen. Der junge Mann, von dem ich mich schließlich rasieren und mir die Haare schneiden ließ, gab mir sehr nett zu verstehen, dass er nicht interviewt werden wollte (wobei ich ziemlich sicher bin, dass er nicht verstand, worauf wir hinauswollten).


Recep und ich in seinem Laden. Einer der freundlichsten und warmherzigsten Barbiere, die ich kennengelernt habe.

Kuaför Recep

Am nächsten Tag durchstreiften wir die Straßen in der Nähe des Großen Basars und schauten, ob uns irgendwo ein Barbierladen besonders auffiel. Schließlich landeten wir in einer kleinen Seitenstraße, wo an einem Haus groß KUAFÖR geschrieben stand. Ein Mann saß davor, und als wir näherkamen, begrüßte er uns freundlich. Er sagte »Hello« und ich »Merhaba«. Ich versuchte ihm mitzuteilen, dass ich selbst ein Barbier sei, und er machte »ohhhh« und klatschte wie zum Beifall in die Hände. Das fand ich recht seltsam, aber nachdem einer seiner Freunde uns mit Google Translate ausgeholfen hatte, stellte sich heraus, dass er mein englisches »barber« für »baba« (Vater) gehalten hatte.

Wir wurden in den kleinen, bescheidenen Laden eingeladen und von einem Mann begrüßt, den ich heute als Recep kenne. Er war einer der freundlichsten und warmherzigsten Barbiere, denen ich auf meinen Reisen begegnet bin. Er interessierte sich nicht nur für seinen Job, seinen Laden und seine Leute, sondern für Menschen insgesamt. Wir tranken fast schweigend Unmengen von türkischem Tee, der gefühlt alle fünf Minuten von einem Teenager in den Laden gebracht wurde. Wir versuchten ihm klarzumachen, dass wir in seinem Laden filmen wollten. Schließlich schafften wir es irgendwie zu vereinbaren, dass wir am nächsten Tag wiederkommen und ein Interview mit ihm aufnehmen würden, nachdem wir ihm ein paar Beispiele aus unserer griechischen Episode gezeigt hatten.

Wir kannten ein Mädchen, das in Istanbul studierte und ein bisschen Türkisch sprach. Sara war wirklich sehr nett, und wir konnten sie überreden, am Tag darauf mitzukommen und uns auszuhelfen. Trotzdem war es nicht immer einfach, uns verständlich zu machen. Wir konnten nur hoffen, dass seine Antworten auch zu unseren Fragen passten.

Recep erzählte uns, wie die Massage und das Abflammen der Ohrhaare eine Besonderheit von Istanbul seien und dass man in der Türkei Rasuren bekommt, die man in Europa normalerweise nicht findet. Er meinte, dass türkische Barbiere das Rasieren und Massieren quasi mit der Muttermilch aufsaugen und sie deshalb geschickter sind als die Barbiere aller anderen Länder Europas. Keinen Zweifel ließ er daran, dass für einen türkischen Barbier der Kunde und dessen Wohlbefinden immer an allererster Stelle zu stehen hat.

Ein Barbierlehrling beginnt, laut seinen Worten, etwa im Alter von zwölf Jahren, schon nach dem Ende der Grundschule. Er kommt in den Laden, macht sauber, schaut zu und lernt dabei, wie der Laden funktioniert. Heute, sagte Recep, können Barbiere in Schulen ausgebildet werden, aber früher ging es nur, indem man dem Meister zusah und es ihm nachmachte.

Ich glaube, dass das auch heute noch die beste Art ist, um das Handwerk zu lernen. Man muss genau hinschauen und sich auf die Kunden einstellen. Dass schon Kinder mit zwölf sich für diesen Berufsweg entscheiden, finde ich fantastisch. Wahrscheinlich ist auch deshalb die türkische Barbierkultur so stark.

»Manchmal sind wir Barbiere die Einzigen, von denen sich diese Menschen berühren lassen.«


Die berühmte Blaue Moschee in Istanbul. Natürlich ließen wir uns eine Besichtigung nicht entgehen.

ANTALYA

Von Istanbul aus brachte uns ein Nachtbus in die Küstenstadt Antalya, wo wir sehen wollten, ob es Unterschiede gab. In jeder großen Straße waren Schilder mit der Aufschrift »Berber Salonu« (Barbiersalon) zu sehen. Wir entschieden uns für zwei Läden, welche wir uns ansehen wollten: »Kuaför Sedat« und »Kuaför Sevket«. Sie waren nur ein paar Schritte voneinander entfernt.


Sevket und ich in seinem Laden in Antalya. Ein selbstbewusster, glücklicher Barbier, stets mit einem Lächeln unterm Schnurrbart.

Kuaför Sedat

Sedat war ein junger Mann, der schon mit dem Gedanken spielte, den Beruf zu wechseln. Vielen Barbieren geht es so, dass die Liebe zum Beruf mal zu- und mal abnimmt. Ich kann mich an viele Wochen erinnern, in denen ich mit meinem Job unzufrieden war – aber dann gab es wieder einen Sahnetag, und ich war frisch verliebt in meinen Beruf. In der Barbierszene herrscht eine große Fluktuation, die Leute kommen und gehen, und deshalb war es für mich interessant, jemanden kennenzulernen, der über kurz oder lang aufhören wollte.

Sein Problem war der finanzielle Aspekt, er hatte das Gefühl, nicht richtig über die Runden zu kommen. Mit Menschen zu arbeiten und viele verschiedene Leute um sich zu haben, das mochte er dagegen immer noch sehr. Scherzhaft schlug ich ihm vor, sein Partner zu werden und gemeinsam eine Bank auszurauben. Er lachte und war sofort einverstanden. Von all den Leuten, die ich im Verlauf meiner Serie noch treffen sollte, war er tatsächlich der Einzige, der die Branche verlassen wollte. Ich fand das sehr schade, zumal er es nur aus finanziellen Gründen in Erwägung zog. Aber klar, von Idealismus allein wird man nicht satt.

Für den Rest des Tages hatten wir einen Guide, Baran. Wir hatten ihn beim Couchsurfing kennengelernt, auch wenn wir am Ende gar nicht bei ihm übernachteten. Ihm gefiel der Gedanke, als Gegenleistung für seine Dolmetscherdienste die Haare geschnitten zu bekommen, was ich am Pier von Antalya dann auch tat. Er war ein Glücksgriff für uns, denn es war das erste Mal, dass jemand für uns übersetzte, der beide Sprachen perfekt beherrschte und wir wirklich genau wussten, was die Barbiere auf unsere Fragen antworteten.

Kuaför Sevket

Baran führte uns hinüber zu Sevket, einem stets lächelnden Mann mit Schurrbart und einer leichten Vokuhila-Frisur in seinem sich lichtenden Haar. Er war das genaue Gegenteil von Sedat. Er war stolz auf seinen Beruf und meinte, er kenne seine Kunden in- und auswendig – besser sogar als deren Frauen. Als Barbier könne er sogar die »Unberührbaren« berühren – Parlamentsabgeordnete zum Beispiel oder andere wichtige Leute, die an sich tabu sind. »Manchmal sind wir die Einzigen, von denen sich diese Menschen berühren lassen.«

An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht. Als er so alt war wie der Lehrling in seinem Geschäft, also etwa zwölf, habe er innerhalb von zwei Wochen gelernt zu rasieren, und nach sechs Monaten konnte er selbstständig Haare schneiden und rasieren. Er sagt, ein Barbier muss intelligent sein: »Barbers are really smart people«, diesen Satz sollte ich auf jeden Fall niederschreiben. Er würde diesen Job wahrscheinlich bis zu seinem Lebensende machen, so glücklich war er damit, sich diesem alten Handwerk verschrieben zu haben (Sinan, 35/1 Gerçek Apt 27, Arık Cd., Muratpaşa/Antalya).


Blick über das Tal aus Tuffsteinfelsen nahe Göreme Die Heißluftballons hier aufsteigen zu sehen war absolut beeindruckend.

KAPPADOKIEN

Tuffsteinfelsen und Heißluftballons

Weiter ging es, wieder mit dem Nachtbus, nach Göreme in Kappadokien. Ich wusste bereits, dass ich einen Haarschnitt vor dem Hintergrund der Felsentäler mit aufsteigenden Heißluftballons machen wollte. Und tatsächlich, das wurde eines der ikonischsten Bilder bis heute.

Wir übernachteten in einem netten Hostel, und dort gab man uns Tipps für die besten Aussichtspunkte der Gegend. Besonders der »Sunrise Point«, den man durch einen kurzen Aufstieg von der Ortsmitte aus erreicht, faszinierte uns – und da filmten wir auch den Scenic Haircut.

Barber Mustafa

Anschließend schlenderten wir noch ein wenig durch Göreme und stießen wie zufällig auf einen Barbierladen, der geschlossen aussah, doch als wir hineinsahen, saß da ein Mann, die Beine über die Armlehne des Friseursessels gelegt. Als er uns bemerkte, sprang er auf. Es war mitten am Tag im Ramadan, und er war müde und hungrig. Offensichtlich irritierte es ihn sehr, dass Ausländer einfach so in seinen Laden schauten, dennoch begrüßte er uns mit einem Lächeln. Auch Mustafa, so hieß er, hatte seine Ausbildung mit zwölf begonnen, näherte sich jetzt aber dem Rentenalter. Seinen kleinen Laden öffnete er nur an einzelnen Tagen in der Woche, und einmal die Woche arbeitete er in einem Hotel im Nachbarort, um ein bisschen was dazuzuverdienen.

Seinen ersten Laden hatte er im zarten Alter von 18 eröffnet – Mustafa freute sich, uns zu erklären zu können, wie anders die Dinge damals gewesen waren. Heute gab es Einmalrasierklingen und elektrische Geräte, damals nur Messer und mit der Hand zu bedienende Haarschneidemaschinen. Er war ein stolzer Mann, der sein Leben lang Barbier gewesen war, was ich wirklich bewunderte. Heute ist er wahrscheinlich im Ruhestand, aber seiner Familie wird er immer noch die Haare schneiden, da bin ich mir sicher.

Andere Länder - andere Bärte

Подняться наверх