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Die Überlebensfalle

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Mein Rasentyp, Ernie, ist ein gutes Beispiel für jemanden, der in der Überlebensfalle steckt. Wie viele Gärtner im Nordosten der USA verdient er jede Menge Geld damit, Laub zu harken. Des ungeachtet ist Ernie immer auf der Suche nach mehr Umsatz. Diesen Herbst klopfte er an meine Tür und sagte, er habe Laub in meiner Dachrinne gesehen und könnte mir anbieten, sie zu reinigen. Er hat einen unternehmenseigenen Kunden (mich) und kann mir jetzt weitere Dienstleistungen verkaufen. Leicht verdientes Geld. Auf dem Dach fiel ihm auf, dass einige Dachpfannen ausgetauscht werden müssten. Und er bot mir an, das Dach in Ordnung zu bringen. Warum bei der Gelegenheit nicht gleich auch den Schornstein reparieren?


Abbildung 1: Die Überlebensfalle

[39] Klingt wie ein cleverer Typ, richtig? Leider ist er ein Idiot. (Lass mich deutlich sagen: Ernie ist ein großartiger Mensch. Ist er wirklich. Ernie hat große Ziele und Ehrgeiz. Es ist seine Entscheidung, sein Angebot auszudehnen und immer weiter auszudehnen, das völlige Idiotie ist.) Jeder Umsatz fühlt sich an wie guter Umsatz, weil Umsatz uns kurzfristig hilft, aus der Krise zu kommen.

Schau Dir Abbildung 1 an. Ernie ist an Punkt A (der in Wirklichkeit „Krise“ heißt) und möchte zum Punkt B gelangen (der seine Zukunftsvision abbildet). Das Problem ist, dass seine Vision sehr vage ist, wie bei vielen von uns. Anstatt einer klaren Aussage mit Blick auf seine Produkte und Dienstleistungen und die Kunden, für die er arbeiten möchte, hat Ernie vielleicht ein Ziel wie „Ich möchte viel Geld und brauche eine Möglichkeit, Stress abzubauen.“ Die Verbindung zwischen Punkt A und Punkt B ist niemals genauer definiert als „Umsatz, Baby! Verkaufe einfach jedem alles!“ Wenn Du Dir die Abbildung anschaust, kannst Du sehen, dass viele der Entscheidungen, die wir für „einfach mehr Umsatz“ treffen, uns weiter von unserer wahren Vision wegführen. Wenn Ernie mir eine weitere Dienstleistung anbietet, weil er damit schnelles Geld macht, dann hat er nicht darüber nachgedacht, dass dies nichts damit zu tun hat, wie sich sein Unternehmen weiter entwickeln möge oder damit, für wen sein Unternehmen arbeiten solle.

Sehr leicht wird aus dem Mann, der Laub harkt, der Mann, der Schornsteine repariert, weil er die Chance auf „leicht verdientes Geld“ von einem unternehmenseigenen Kunden sieht. Das Geld ist möglicherweise leicht verdient, doch wie sieht die Kostenseite aus? Harken und Laubbläser für die Gartenarbeit helfen nicht weiter, wenn man Dächer und Schornsteine reparieren möchte. Jetzt braucht der Kerl Leitern, Dachwerkzeug, Steine und andere Materialien. Außerdem – das Wichtigste – braucht er die Fähigkeiten, diese Arbeiten durchführen zu können. Das bedeutet, dass er entweder Handwerker einstellen muss, oder er muss zurück auf die Schule fürs Harken, Regenrinnensäubern, Dachdecken und Schornsteinreparieren. Jeder neue „leichte Umsatz“ führte Ernie weiter weg von seiner Vision für sein Laubhark-Unternehmen.

Die Überlebensfalle verspricht schnellen Reichtum, doch wenn wir einmal darin gefangen sind, denken wir selten über die hohen Zusatzkosten nach. Meistens können wir kaum zwischen rentablem Umsatz und schuldengenerierendem Umsatz unterscheiden. Anstatt [40] die Weltbesten in einer Sparte zu werden, anstatt Meister in einem Prozess zu werden und perfekt und supereffizient zu arbeiten, erledigen wir am Ende eine große Anzahl unterschiedlichster Dinge und werden mit jedem Schritt weniger effizient, während unser Unternehmen immer teurer und teurer wird.

Bei der Überlebensfalle geht es nicht darum, dass wir unserer Vision näherkommen. Sie dreht sich darum, dass wir etwas tun, irgendwas, um uns aus der Krise zu bringen. Jede der in Abbildung 1 aufgeführten Aktivitäten bringt uns aus der unmittelbaren Krise. Doch wenn wir die Dinge auf der linken Seite des Kreises tun, kommen wir zwar sicher aus der Krise, aber wir entfernen uns von unserer Vision an Punkt B. Wir nehmen Geld von jedem (und ich meine wirklich von jedem), der gewillt ist, uns zu bezahlen. Geld von schlechten Kunden. Geld für schlechte Projekte. Geld aus unserer eigenen Tasche (falls da noch etwas ist außer zwei Cent, einem Kaugummi und Krümeln). So bleiben wir gefangen in der Achterbahn, die wir Überleben nennen – von der Hand in den Mund, von einer Panik zur nächsten.

Andere Aktionen bringen uns nicht in die entgegengesetzte Richtung, sie liegen aber dennoch quer zu unserem Punkt B. Nur wenn Du innerhalb der gestrichelten horizontalen Linien bleibst, bist Du auf dem Weg, die Vision für Dein Unternehmen zu erreichen.

Zudem ist die Überlebensfalle hinterhältig, weil sie uns weismacht: Wir glauben, dass wir zumindest Zentimeterchen in Richtung unserer Vision unterwegs sind. Wir glauben, dass unser reaktives Verhalten eigentlich „clever“ ist, oder Ausdruck unseres guten Instinkts und dass es uns letztlich ins gelobte Land leiten wird: zu finanzieller Freiheit. Schau Dir die Aktivitäten auf der rechten Seite von Abbildung 1 an. Zum Beispiel wird uns ein „Mach Umsatz“-Herangehen rein zufällig gelegentlich in Richtung auf unsere Vision vorankommen lassen, sodass wir uns leicht im Glauben wiegen, wir gingen in die richtige Richtung. Manchmal treffen wir eine Entscheidung in der Krise, ohne an unsere Vision oder den Pfad dorthin zu denken – und wir treffen die richtige Entscheidung. Es gibt solche Zufälle. Dann sagen wir: „Siehste! Ich bin auf dem richtigen Weg. Es funktioniert. Die Dinge laufen.“ Dabei ist es der reine Zufall, das Ergebnis der Krise, nicht das Ergebnis von Konzentration oder Klarheit – und deshalb ist es falsch. Grad so, als hättest Du mit einem Rubbellos gewonnen und würdest jetzt glauben, dass Gewinnspiele eine großartige [41] Investitionsstrategie sind. Und diese Art zu denken, bringt uns ganz schnell wieder in den Krisenmodus.

Die Überlebensfalle ist eine hässliche Bestie. Du verschaffst Dir etwas Zeit, doch das Monster wächst und wächst. Und dann kommt der Punkt, wo es Dich gnadenlos vernichtet.

Nachhaltige Rentabilität basiert auf Effizienz. In einer Krise kannst Du nicht effizient werden. In der Krise rechtfertigen wir jede Art von Umsatz – unabhängig von den Ausgaben – sofort, selbst wenn wir dafür Steuern hinterziehen oder unsere Seele verkaufen. In der Krise wird die Überlebensfalle zu unserem modus operandi. Bis unsere Überlebensstrategien neue, noch schlimmere Krisen heraufbeschwören, die uns so erschrecken, dass wir künftig ordentlich wirtschaften oder – was häufiger passiert – die Brocken hinwerfen.

Teil des Problems ist das Management by Kontenstand: Du schaust auf das Geld auf Deinem Konto als die Quelle, aus der sich Dein Unternehmen speist, ohne Dich vorrangig um Steuern, Dein eigenes Gehalt oder gar Gewinn zu kümmern. Daraus folgt das „Top Line“-Denken – die Konzentration auf Umsatz vor allem anderen. Diese Art zu denken, wird von der traditionellen Buchführungsmethode noch unterstützt, die größere Unternehmen verwenden müssen und viele kleine Unternehmen freiwillig anwenden: die klassische ordentliche Buchführung.

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