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Freizeitpark Rheinbach

Parkplatz

Donnerstag, 2. August, 11:43 Uhr

Unsicher stieg Janna aus ihrem dunkelblauen Golf V aus und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Hoffentlich beging sie nicht einen riesigen Fehler. Wer wusste schon, ob dieser Peter Schneider wirklich beim BKA angestellt war und woher er das Foto hatte. Lediglich die Tatsache, dass die Bild-E-Mail über den Institutsaccount versendet worden war, deutete darauf hin, dass tatsächlich der Geheimdienst versuchte, heimlich mit ihr Kontakt aufzunehmen. Doch warum wohl, und aus welchem Grund musste es derart kompliziert vor sich gehen?

Da sich Walter Bernstein noch immer nicht gemeldet hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als der vagen Anweisung auf dem Foto zu folgen. Also ging Janna langsam auf das Eingangstor des Freizeitparks zu. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und sie ärgerte sich, dass sie keine Jacke mitgenommen hatte.

Mehrere Familien mit Kindern kamen ihr entgegen, offenbar vom schlechten Wetter vertrieben. Anderen schien die Feuchtigkeit nichts auszumachen. Gelächter und fröhliche Stimmen schallten über das Gelände.

In dem Moment, als sie durch das Tor trat, ging auf ihrem Smartphone eine weitere E-Mail ein. Sie rief sie überrascht auf und erkannte auf einem weiteren Foto das große, runde Kneipp-Becken, allerdings diesmal ohne Zeitangabe. Neugierig sah sie sich um, konnte aber unter den Besuchern niemanden erkennen, der sich verdächtig benahm. Die Parkbesucher schienen allesamt Familien zu sein, die den Ferientag bei Spiel oder Sport verbringen wollten.

Schneider hatte gesagt, sie solle sich unauffällig benehmen, also schlenderte sie betont langsam die Wege entlang, blieb hier und da bei einem Teich stehen oder sah kurz den Kindern auf den Spielplätzen zu, bis sie schließlich den Bereich vor dem Kneipp-Becken erreichte. Sie erkannte das große Gesperrt-Schild, das auch auf dem Foto zu sehen gewesen war. Das Becken wurde gerade saniert und war nicht zugänglich.

Unsicher, was sie als Nächstes tun sollte, blieb Janna stehen. Fast im gleichen Moment wurden hinter ihr Schritte laut sowie zwei Frauenstimmen, die sich angeregt unterhielten.

»Ach, weißt du, wir kommen ja kaum noch raus, seit die Kleine da ist.«

»Na, aber zu meiner Geburtstagsfeier werdet ihr doch wohl da sein, oder etwa nicht? Die Kleine könnt ihr ja mitbringen. Oh, schau mal, ist das nicht Janna? Janna, hallo, Mensch, haben wir uns lange nicht gesehen. Wie geht es dir?«

Verblüfft drehte Janna sich um, denn sie meinte, die Stimmen erkannt zu haben. Eine schlanke, schwarzhaarige Frau in einem roten Sommerkleid schoss auf sie zu und umarmte sie überschwänglich. »Ach, ist das schön, dich zu sehen, Janna!« Die Schwarzhaarige senkte ihre Stimme zu einem Raunen. »Nun freu dich gefälligst auch!« Laut sprach sie weiter. »Wie lange ist das her, zwei Jahre oder drei? Schau mal, Alexa, wie gut Janna aussieht! Sie hat sich kaum verändert.«

Die üppige Blondine in Jeans und mit Blumen bedrucktem T-Shirt, die überraschenderweise einen Kinderwagen vor sich herschob, trat ebenfalls mit einem strahlenden Lächeln auf Janna zu und umarmte sie. »Mensch, du hast recht. Janna, du siehst großartig aus. Wie geht es dir?« Im Gegensatz zu ihrem Eintausend-Watt-Lächeln stand der eindringlich-auffordernde Blick, den sie Janna zuwarf.

Janna brauchte einen Moment, um sich zu fangen, dann lächelte sie ebenfalls. »Hallo, Melanie, hallo Alexa, das ist ja eine Überraschung.« Ihre Stimme kam ihr gestelzt vor, doch sie bemühte sich, das Spiel der beiden Institutsagentinnen mitzuspielen, so gut es ging, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was hier wirklich vor sich ging. »Was macht ihr denn hier?« Ihr Blick wanderte zum Kinderwagen. »Und wer ist das?«

Alexa warf mit einer anmutigen Bewegung die langen blonden Locken in den Nacken. »Das ist meine kleine Jacqueline. Ist sie nicht zauberhaft?«

Fast hätte Janna die Agentin ungläubig angestarrt. Sie riss sich jedoch zusammen und beugte sich über den Kinderwagen. Unter einer dünnen Sommerdecke schlief tatsächlich ein vielleicht sechs Monate altes Mädchen. Unwillkürlich lächelte Janna. »Die ist ja süß. Das ist deine, Alexa?«

Die Agentin nickte enthusiastisch. »Na klar. Du weißt doch, wie sehr ich immer Kinder haben wollte. Peter und ich sind jetzt zwei Jahre verheiratet, da wurde es allmählich Zeit.«

»Peter?« Irritiert hob Janna den Kopf.

»Schluck es einfach«, zischte Melanie, die sich dicht neben sie gestellt hatte und so tat, als wäre das Baby das Interessanteste, was sie je gesehen hatte. »Die Kleine ist die Tochter meiner Schwester.« Laut sagte sie, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte: »Hey, Janna, wie wäre es, wenn wir uns demnächst mal alle treffen. Alexa und Peter wohnen jetzt wieder in der Nähe und ich habe eine Wohnung in Köln. Lass uns unbedingt mal telefonieren und ein Date ausmachen, nur wir drei Mädels, wie in alten Zeiten.«

Janna hätte sich beinahe verschluckt, nickte aber so begeistert, wie sie nur konnte. »Ja, klar, sehr gerne. Wie in alten Zeiten.«

»Gib mir mal deine Telefonnummer durch.« Alexa zückte ein Smartphone und sah Janna auffordernd an.

Obwohl sie noch immer nicht begriff, was vorging, diktierte Janna ihr die Nummer.

»Okay, Augenblick, ich rufe kurz durch, dann hast du auch meine Nummer.« Alexa wählte Jannas Nummer an, woraufhin deren Handy klingelte. »Und jetzt schicke ich dir noch rasch Melanies Nummer. Bitte sehr.« Jannas Handy gab erneut einen Signalton von sich, diesmal jedoch den für den verschlüsselten E-Mail-Account. »Kannst du ja dann nachher in Ruhe bei dir einspeichern.« Alexa lächelte vielsagend. »Jetzt müssen wir aber leider weiter. Wir hätten furchtbar gerne noch weiter mit dir gequatscht, aber wir sind verabredet. Die warten bestimmt schon auf uns.«

Melanie trat auf Janna zu und umarmte sie erneut. »Es war schön, dich wiederzusehen. Ich freue mich, dass es dir gut geht.« Diesmal klang ihre Stimme nicht so gekünstelt wie zuvor. »Lass uns in Verbindung bleiben, okay! Bis bald.« Leise setzte sie hinzu. »Check deine Mails.« Sie trat wieder zurück. »Mach’s gut, Janna.«

»Ja, ihr auch.« Janna lächelte den beiden so zu, als wären sie tatsächlich gute alte Freundinnen.

Alexa hauchte ihr links und rechts einen Luftkuss zu, schnappte sich den Kinderwagen, und gleich darauf zogen die beiden Frauen winkend und fröhlich plaudernd von dannen. Janna sah ihnen mit gemischten Gefühlen nach. Als die Agentinnen um eine Ecke verschwunden waren, ließ sie sich auf dem Rand des Kneipbeckens nieder und nahm sich ihr Smartphone vor. Sie hatte erneut ein Foto erhalten, diesmal von der alten, bunt angemalten Grubenbahn, die weiter hinten im Freizeitpark als Spielplatz diente. Als kleines Mädchen hatte sie darin mit ihrem älteren Bruder und ihrer jüngeren Schwester oft Verstecken gespielt oder so getan, als würden sie eine gekaperte Eisenbahn vor Räubern retten.

Allmählich wurde ihr wieder flau im Magen. Was in aller Welt führte das Institut im Schilde? Weshalb waren Melanie und Alexa hier? Hatte man sie zu Jannas Schutz abgestellt oder hatten sie eine andere Aufgabe zu erfüllen? Und was würde sie bei der Grubenbahn erwarten? Walter Bernstein vermutlich, der sich noch immer nicht bei ihr gemeldet hatte. Doch wozu diese Schnitzeljagd? Hätte dieser Peter Schneider ihr nicht einfach klipp und klar sagen können, wohin sie gehen sollte? Stattdessen hatte er ihr mit seinem Auftauchen beinahe einen Herzanfall versetzt und sie mit seinem geheimnisvollen Getue und dem Foto vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht. Überhaupt, hätte das Institut nicht einfach einen anderen Agenten zu ihr schicken können? Einen, den sie kannte? Diesen Schneider hatte sie nie zuvor gesehen. Nie zuvor ...

Janna runzelte die Stirn; im nächsten Moment wurde ihr heiß und kalt zugleich. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und für einen Augenblick wurde ihr regelrecht schwindelig. Erneut blickte sie auf das Bild der alten Grubenbahn, dann sah sie sich vorsichtig um und ging los, langsam, zögernd. Sie hoffte, es würde so aussehen, als schlendere sie einfach nur gemütlich durch den Park, vorbei an den Kindern, die trotz des tristen Wetters unter der Aufsicht ihrer Eltern im Bach planschten, auf einer Wiese Frisbee oder Fußball spielten oder auf einem der Klettergerüste herumturnten.

Mütter saßen auf den Bänken am Wegesrand, einige lasen, andere plauderten oder spielten mit ihren Smartphones herum. Väter fingen ihren Nachwuchs auf, wenn dieser rasant eine lange Rutsche hinab gesaust kam, standen in Grüppchen beieinander und fachsimpelten über Autos oder die Vorteile von Gas- gegenüber Holzkohlegrills oder trugen Kleinkinder auf den Schultern, die vor Begeisterung quietschten.

All diese Eindrücke nahm Janna eigentümlich deutlich wahr, doch in ihrem Kopf hatte nur ein Gedanke Platz: Sie hatte diesen Peter Schneider schon einmal gesehen, damals auf dem Rhein bei Bingen. Sie hatte ihn gefilmt, wie er eine Taube hatte fliegen lassen ... von der Yacht aus, die nur wenige Minuten später explodiert war. Er hatte sein Aussehen mit dem Dreitagebart verändert, doch an seiner linken Schläfe befand sich ein ovales Muttermal, das ihn eindeutig identifizierte. Es fiel ihr jetzt erst wieder ein und vielleicht hätte sie es gar nicht bemerkt, wenn sie nicht, nachdem sie im Mai nach der Explosion das Videomaterial im Institut abgegeben hatte, dabei zugesehen hätte, wie der zuständige Agent, Murat Coskun, die Daten vergrößert auf einem Bildschirm bearbeitete.

Nein, das konnte nicht sein. Jannas Herz raste mittlerweile und immer noch überliefen sie abwechselnd kalte und heiße Schauder. Dieser Peter Schneider konnte unmöglich Lennart Bischoff sein, der ehemalige BKA-Mann, der zu der kriminellen Organisation übergelaufen war, die für die Explosion verantwortlich gemacht wurde. Denn wenn er es war, und er noch lebte, würde das bedeuten ...

Ihr wurde übel. Bischoff war zusammen mit Markus auf diesem Boot ums Leben gekommen. Die Explosion war so heftig gewesen, dass man keine menschlichen Überreste mehr hatte bergen können. Allein der Gedanke ließ ihren Magen schmerzen und die Erinnerung an das Entsetzen wieder in ihr hochsteigen.

Sie musste sich irren. Dieser große, braunhaarige Mann sah Bischoff vielleicht nur zufällig ähnlich. Aber das Muttermal war so ungewöhnlich geformt, so etwas gab es doch nicht zweimal, oder? Außerdem gehörte er zum BKA, das hatte er selbst gesagt. Sein Ausweis hatte echt ausgesehen. Peter Schneider, vielleicht war das nur ein Deckname? So allgemein und sicherlich tausendfach in Deutschland vorkommend. Peter Schneider – Lennart Bischoff. In Jannas Kopf drehten sich die Gedanken wild umeinander. Sie schrak auf, als sie plötzlich vor der Grubenbahn stand. Zwei etwa elf- oder zwölfjährige Jungs turnten auf der rot lackierten und mit Graffiti beschmierten Druckluft-Grubenlok herum, hinter der sich mehrere blau und rot lackierte Waggons anschlossen.

Janna blieb stehen, sah sich suchend um. Außer den zwei Jungen und einer Frau mit zwei Kleinkindern war hier niemand zu entdecken. Langsam setzte Janna sich erneut in Bewegung, unsicher und verstört.

Ein Stück hinter der Grubenbahn gab es einen weiteren Zugang zum Freizeitpark, der in einer unauffälligen Straße mit Einfamilienhäusern lag. Ein einfaches Tor im Zaun, das halb offenstand. Ein heftiger Stich durchfuhr sie; ihr stockte der Atem. Magen und Herz krampften sich beim Anblick der großen, dunkel gekleideten Gestalt zusammen, die hinter dem Tor am Steuer eines silbernen VW Passats nicht allzu neuen Baujahrs saß. Als er sie erblickte, stieg er langsam aus dem Wagen, ging um ihn herum und lehnte sich wie abwartend mit dem Rücken gegen die Beifahrertür.

Die Übelkeit, die sie ergriff, steigerte sich mit jedem Schritt, den sie auf den Mann zu machte. Ihr Atem ging in schweren, angestrengten Zügen, als sie das Tor durchquerte.

Dicht vor ihm blieb sie stehen, starrte ihn ungläubig an. Zorn stieg in ihr auf, ballte sich wie ein Feuerball in ihr zusammen.

»Du Arschloch.« Sie staunte, dass ihre Stimme nicht versagte. Ehe sie nachdenken konnte, hatte sie bereits ausgeholt und schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass sein Kopf zur Seite flog.

***

Markus Neumann war kein Mann, der sich leicht verunsichern ließ. Er war siebenunddreißig Jahre alt, mehr als fünfzehn Jahre davon arbeitete er nun für das Institut, war ein guter Agent, womöglich einer der besten. Er stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen, tat grundsätzlich nur das, was er für richtig hielt, und hatte zeit seines Lebens erfolgreich emotionale Bindungen gemieden. Sein Leben hatte ihm so gefallen, es war einfach gewesen. Einfach perfekt. Bis jetzt.

Vor drei Monaten hatte er zum ersten Mal in seiner Laufbahn etwas tun müssen, womit er nicht einverstanden gewesen war. Nein, schlimmer noch – er verachtete sich für das, was zu tun er gezwungen gewesen war. Wochenlang hatte er sich mit der Frage gequält, ob es nicht einen anderen, weniger hartherzigen, weniger schmerzhaften Weg gegeben hätte. Doch die Entscheidung hatte nicht bei ihm gelegen. Er hatte handeln müssen ... und war gestorben. Zumindest, was die Welt betraf. Die Welt und Janna.

Als er sie langsam, wachsam, argwöhnisch auf sich zukommen sah, wäre er zum ersten Mal in seinem Leben am liebsten weggelaufen. Vor ihr, vor sich selbst – einfach wieder in den Wagen gestiegen und davongebraust. Je näher sie kam, desto deutlicher waren ihre Gesichtszüge zu erkennen – und die Tatsache, dass sie zornig war. Sehr zornig. Sie hatte vermutlich schon irgendwo auf dem Weg zwischen ihrem Zuhause und hier begriffen, welch grausames Spiel das Institut mir ihr gespielt hatte.

Markus konnte ihre Wut nachempfinden. Er hatte ihr vorgemacht, er sei an jenem Tag auf dem Boot gestorben. Dass er in dem Moment keine andere Wahl gehabt hatte, spielte keine Rolle. Er hatte sie belogen, im Stich gelassen. Sie hatte ihm vertraut, und er war sich alles andere als sicher, ob sie das jemals wieder tun würde.

Das ungläubige Entsetzen in ihren Augen, als ihre Blicke sich trafen, verursachte ihm Übelkeit. Er hasste sich für das nichtssagende Lächeln, das er automatisch aufsetzte, doch was in aller Welt sollte er sonst tun? Es gab keine Entschuldigung für das, was er ihr angetan hatte.

Als sie langsam, sichtlich aufgewühlt und schwer atmend durch das halb offene Tor trat und schließlich dicht vor ihm stehen blieb, schwieg er, weil ihm keine passende Begrüßung einfallen wollte. Bloß dieses beschissene Lächeln.

»Du Arschloch.« Die Bewegung, mit der sie ausholte, war so flink, dass er sie beinahe zu spät kommen sah, um sich zu wappnen. Er wich ihr nicht aus. Der Schlag traf ihn hart – und verdient.

Janna ließ die Hand wieder sinken, atmete schwer, starrte ihn immer noch voller Entsetzen an. »Du mieses Arschloch.« Diesmal wankte ihre Stimme leicht. Sie holte erneut aus, doch diesmal fing er ihre Hand ab.

Sie setzte sich zur Wehr, außer sich vor gerechtem Zorn. »Lass mich los, Markus. Du ... hast ... mich ... Du warst tot!«

»Janna ...« Er hatte Mühe, sie davon abzuhalten, ihn erneut zu schlagen. Sie wich zurück, als er sie an der Schulter berühren wollte, riss sich los, lief ein paar Schritte von ihm weg, kehrte um und ging erneut zum Angriff über. Er konnte gerade noch ihre linke Hand abwehren, doch der rechte Schwinger, den sie ihm in den Magen versetzte, traf mit voller Wucht.

»Janna.« Nun sah er sich doch gezwungen, sie gewaltsam zurückzuhalten. »Janna!« Entschlossen umfasste er ihre beiden Handgelenke, suchte ihren Blick. »Janna, hör mir zu.«

»Ich habe gesehen, wie dieses verdammte Boot in die Luft geflogen ist. Ich konnte nicht ... Ich dachte ...« Ihre Stimme zitterte immer mehr. »Tot, Markus. Du warst tot.« Ihre Stimme erstarb; sie stieß einen wimmernden Laut aus, der ihm tief ins Herz schnitt. »Du mieses ...«

»Janna, bitte.« Obwohl sie versuchte, sich erneut loszureißen, hielt er sie fest, bis sie plötzlich in sich zusammensackte. Rasch stützte er sie. »Bitte hör mir zu!«

»Scheiße, Markus.« Sie schluchzte trocken und presste im nächsten Moment ihr Gesicht gegen seine Brust. »Ich habe deinem Vater eine Trauerkarte geschrieben!«

Als er spürte, wie sie von Krämpfen geschüttelt wurde, zog er sie fest in seine Arme. Ihr Weinen bereitete ihm die schlimmsten körperlichen Schmerzen. Er wusste nicht, was er sagen, wie er reagieren, auf welche Weise er sie beruhigen oder ihr Trost spenden sollte. Wenn er sich bis eben möglicherweise noch eingeredet hatte, dass alles, was er für diese Mission zu tun gezwungen war, irgendwie zu erklären, und letztendlich doch entschuldbar wäre, wurde ihm nun klar, dass er weit mehr aufs Spiel gesetzt hatte, als er sich eingestehen gewollt hatte.

Wie es dazu gekommen war, wusste er selbst nicht recht, aber Janna war eine gute Freundin für ihn geworden. Seine beste Freundin. In vielerlei Hinsicht seine einzige Freundin. Er war gezwungen gewesen, der Frau, der er am meisten vertraute und die auch ihm vertraut hatte, einen seelischen Schmerz zuzufügen, der vielleicht eine Wunde hinterließ, die nie mehr verheilen würde. Sein Zorn richtete sich gegen seine Vorgesetzten, die ihn zu diesem Vorgehen genötigt hatten, seinen Vater, der die Vorgehensweise gebilligt und unterstützt hatte – aber am meisten gegen sich selbst.

Aus gutem Grund hatte er darauf bestanden, sich persönlich mit Janna zu treffen, anstatt es anderen zu überlassen, ihr die Nachricht zu übermitteln, dass er noch lebte. Er hatte sich schon gedacht, dass sie aufgebracht sein würde. Wütend. Verletzt. Doch die Tränen, die sie nun an seiner Brust vergoss, sprachen eine noch viel deutlichere, unmissverständlichere Sprache.

Er war ein Arschloch. Niemals und unter keinen Umständen hätte er zulassen dürfen, dass seine Freundin – seine Partnerin, verdammt! – einem solchen Schmerz ausgesetzt wurde.

Unfähig, auch nur ein sinnvolles Wort zu sprechen, hielt er sie einfach nur fest, presste seine Lippen auf ihren Scheitel und hoffte, dass sie ihm eines Tages verzeihen können würde.

***

Janna war noch nie zuvor in ihrem Leben so zornig gewesen. In dem Moment, als sie begriff, dass es wirklich Markus war, der lebend, atmend vor ihr stand, hatte sich ein heißer Knoten in ihrer Magengrube gebildet. Ihr Herz wurde wie von einer Faust zusammengepresst; Tränen würgten sie.

Markus lebte. Er stand vor ihr, mit diesem kühlen, nichtssagenden Lächeln, das er gerne aufsetzte, wenn niemand ihm ansehen sollte, was in ihm vorging.

Er lebte, und diese Tatsache hätte aus der Erleichterung tief in ihrem Inneren Freude wachsen lassen sollen. Stattdessen stieg heiße Wut in ihr hoch, die sie nicht kontrollieren konnte. Er hatte sie belogen, auf die schlimmste Weise, die sie sich vorstellen konnte. Ihn dafür zu schlagen, entsprach überhaupt nicht ihrer Natur, und dennoch fühlte es sich richtig an. Wichtig. Sie konnte nicht anders.

Dann gewann doch die Erleichterung die Oberhand. Sie presste ihr Gesicht gegen seine Brust, roch die Mischung aus Aftershave und seinem ureigenen Geruch, der ihr mittlerweile erschreckend vertraut war – auch nach drei Monaten noch. So wenig wie sie ihren Zorn kontrollieren konnte, war es ihr möglich, sich gegen die Weinkrämpfe zu wehren, die sie schüttelten. Sie krallte ihre Hände in sein Hemd, spürte seine langen, kräftigen Arme, mit denen er sie fest an sich gezogen hatte, seine Lippen auf ihrem Scheitel.

Er sprach kein Wort, hielt sie nur fest. Ihr Freund. Ihr bester Freund, den sie verloren geglaubt hatte. Der gestorben war.

Endlich kam ihr eine Frage in den Sinn und sie beruhigte sich ein wenig. »Warum?« Sie brachte es noch nicht fertig, sich von ihm zu lösen. Ihre Stimme klang dumpf, weil sie gegen seine Brust sprach. »Warum hast du das getan?«

Man trifft sich stets zweimal (Teil 2)

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