Читать книгу Scharade mal drei - Mila Roth - Страница 7
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Außenbezirk von Rheinbach
Gut Tomberg
Donnerstag, 29. März, 20:10 Uhr
»Janna, bist du hier?« Die Seitentür vom Hof zur Küche flog auf und wie ein Wirbelwind stürmte Felicitas Berg, Jannas sieben Jahre jüngere Schwester, herein. Sie warf ihre leuchtend blaue Windjacke über einen der Stühle am großen Familienküchentisch und schüttelte die langen blonden Locken, die vom Nieselregen feucht geworden waren und sich noch mehr ringelten als normalerweise. »Du glaubst nicht, was mir passiert ist.«
Janna, die gerade ein Blech Muffins in den Ofen schob, schaltete rasch Temperatur und Kurzzeitmesser ein, dann drehte sie sich zu Feli um. »Lass mich raten, du hast einen Job für das Magazin Zeitschritte in Köln an Land gezogen.«
»Mist, Mama hat es dir schon erzählt.« Feli lachte und hüpfte vergnügt im Kreis herum. »Ich bin vorgestern der Chefredakteurin über den Weg gelaufen. Absolut zufällig, beim Einkaufen. Stell dir vor, sie hat mich von der Fotoserie erkannt, die ich neulich für den Kölner Stadtanzeiger gemacht habe. Und jetzt will sie, dass ich so was für das Magazin mache. Ich! Felicitas Berg.«
»Du wirst berühmt.« Janna zog ihre Schwester in die Arme und drückte sie fest an sich. »Ich gratuliere dir. Das wird deinem Fotostudio zu grandiosem Erfolg verhelfen. Ganz bestimmt.«
»Im Juli soll es losgehen. Ich bin so aufgeregt!« Feli erwiderte die Umarmung, danach trat sie einen Schritt zurück und musterte Janna eingehend. Mit zwei Fingern zupfte sie an den üppigen kupferroten Locken, die sich knapp bis auf Jannas Schultern ringelten. »Du warst beim Friseur. Die neue Frisur steht dir wirklich besser als die alte.«
»Das erzählst du mir seit Monaten immer wieder. Keine Sorge, ich glaube es dir inzwischen.« Janna lachte. »Dummerweise muss ich jetzt immer alle sechs Wochen zum Nachschneiden fahren.«
»Na und, dafür schauen dir jetzt garantiert noch mehr Männer hinterher als früher schon.«
»Als ob ich es darauf anlegen würde.«
»Na hör mal, welcher Frau gefällt das wohl nicht? Sei ehrlich, Janna!«
»Na ja.« Janna zuckte die Schultern, lächelte dabei aber. »Es ist ein netter Nebeneffekt.«
»Ja, vor allem, nachdem wir ein paar der langweiligen Klamotten aus deinem Schrank verbannt haben. Wir müssen nächste Woche unbedingt noch mal zusammen shoppen gehen. Wenn Mama und Papa mit den Zwillingen im Fichtelgebirge sind, hast du doch Zeit, oder nicht?«
»Jede Menge Zeit.« Janna wurde wieder ernst. »Ich weiß noch gar nicht, was ich mit all der Freizeit anfangen soll.«
»Oh, da fällt mir bestimmt was ein.« Feli öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm eine Flasche Orangensaft.
Janna reichte ihr ein Glas. »Das glaube ich gern. Aber es ist schon irgendwie komisch. Zwei Wochen ohne die Kinder. So lange waren wir noch nie getrennt.«
»Du brauchst die Auszeit, Janna. Ich finde es toll, dass Mama und Papa mit den beiden in die Ferien fahren. Wenn es einen Mann in deinem Leben gäbe, hättest du sogar sturmfreie Bude. Aber es gibt immer noch keinen, oder?«
Janna schüttelte den Kopf. »Nicht die Spur.« Ihre Gedanken, die unwillkürlich zu einem gewissen Geheimagenten wanderten, unterbrach sie, indem sie den Spieß rasch umdrehte. »Und was ist mit dir? Wie war denn dein Date mit diesem – wie war noch sein Name? Martin? Der Traummann?«
Feli hustete in ihren Saft, dann lachte sie erneut. »Der hat sich bei näherem Hinsehen eher als Albtraummann herausgestellt. Nein, im Ernst. Er war ziemlich langweilig und hat fast ununterbrochen von seiner Arbeit geredet. Na ja, und Banker haben jetzt nicht so einen wahnsinnig abwechslungsreichen Tagesablauf. Außerdem hat ihm offenbar niemand erzählt, dass man beim ersten Kuss seine Zunge bei sich behalten sollte. Zumindest in den ersten drei Nanosekunden.«
»Nein!« Janna kicherte. »So schlimm?«
»Gut küssen geht jedenfalls anders. Und einen Stromanschluss hatte er auch nicht.«
»Einen was?«
Feli grinste. »Erinnerst du dich nicht, dass du mal gesagt hast, man sollte sich fühlen, als ob man unter Strom steht, wenn man einem klasse Typ nahekommt?«
Janna stutzte und runzelte die Stirn. Dann erinnerte sie sich an das Gespräch vom vergangenen Herbst und spürte, wie sich ihre Wangen erwärmten. »Also war da kein Stromstoß zwischen dir und Mr. Küsst nicht gut?«
»Nicht mal eine statische Entladung.«
Sie lachten beide.
»Na, dann wirst du ihn wohl so schnell nicht wiedersehen.«
»Auf keinen Fall. Typen, die mir nur an die Wäsche wollen, noch dazu so plump, können mir gestohlen bleiben. Ist aber egal. Irgendwo wartet er noch auf mich, mein Traumprinz.« Feli zwinkerte Janna zu. »Und auf dich auch.«
»Was soll ich denn mit deinem Traumprinzen anfangen?«
»Pfff, du weißt genau, was ich meine.« Feli stieß ihr spielerisch den Ellenbogen in die Seite. »Und wenn er dir begegnet, wird es dir den Boden unter den Füßen wegziehen.«
»Du schaust dir zu viele romantische Hollywoodstreifen an.«
»Nein, ich lese zu viele Liebesromane.« Feli leerte ihr Glas und stellte es auf der Anrichte ab. »Trotzdem glaube ich daran, dass es die wahre Liebe auch im wirklichen Leben gibt. Du etwa nicht?«
»Würde ich gerne. Aber nach meinen Erfahrungen bin ich sehr vorsichtig geworden.«
»Erik.« Feli wurde ernst und seufzte abgrundtief. »Er war eine Niete im großen Lotterietopf der Liebe. Vergiss ihn. Das ist jetzt sechs Jahre her. Er ist es nicht wert, dass du einen Gedanken an ihn verschwendest.«
»Tu ich nicht.« Janna stellte die Saftflasche zurück in den Kühlschrank und warf routinemäßig einen Blick durch die Backofentür auf die Muffins, die gerade anfingen, die gewünschte Form anzunehmen.
»Hey, Janna, ich wollte dir nicht die Stimmung verderben.« Besorgt legte Feli ihr eine Hand auf den Arm.
Janna lächelte ihr zu. »Hast du nicht. Es ist bloß heute ...«
»O nein.« Feli schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Der Jahrestag! Es tut mir so leid.«
Heute vor sechs Jahren hatte Erik, Jannas langjähriger Freund und Verlobter, mit ihr Schluss gemacht. Dabei hatte er sie nicht nur verletzt, sondern bis ins Mark erschüttert. Und das zu einer Zeit, als sie ihn am meisten gebraucht hätte.
»Das muss es nicht, Feli. Wirklich. Ich habe gelernt, damit zu leben.«
»Du trauerst ihm nicht mehr nach?«
Vehement schüttelte Janna den Kopf. »Nein. Schon lange nicht mehr. Trotzdem kommen die Erinnerungen in schöner Regelmäßigkeit zurück. Daran kann ich nichts ändern.«
»O doch, das ändern wir sofort.« Entschlossen sah Feli sich in der Küche um, offenbar auf der Suche nach etwas, womit sie Jannas Laune aufheitern konnte. Dann grinste sie. Mit wenigen Schritten war sie an einer Schublade und entnahm ihr zwei hölzerne Kochlöffel. Einen davon reichte sie der verdutzten Janna und drehte das leise vor sich hin dudelnde Radio auf volle Lautstärke. »Los, Janna, Gesangseinlage. So wie früher. Weißt du noch?«
Natürlich erinnerte sie sich. Als sie noch jünger gewesen waren, Feli gerade dreizehn oder vierzehn und Janna Anfang zwanzig, hatten sie oft lauthals die Songs im Radio mitgesungen und dabei wilde Tänze aufgeführt.
»Du bist ja verrückt.« Janna wollte ihrer Schwester den Löffel zurückgeben. Doch Feli drückte ihn ihr erneut in die Hand. »Keine Widerrede. Ha, wenn man vom Küssen spricht!«
Gerade ertönten die ersten Takte von Chers Shoop Shoop Song.
»Does he love me, I wanna know«, sang Feli fast genauso gut wie Cher selbst.
Janna verdrehte die Augen und fiel mit ein: »How can I tell, if he loves me so?«
Von da an sangen sie immer abwechselnd die Verse des Songs. Janna empfand es anfangs noch als albern, aber schon bald löste sich die düstere Wolke, die über ihr gehangen hatte, wie von Zauberhand auf und sie sang mit Begeisterung weiter. Feli stieß sie mit der Hüfte an und bald tanzten sie ausgelassen durch die Küche, die Kochlöffel als imaginäre Mikrofone nutzend. Bei jedem It’s in his kiss legten sie die Wangen aneinander und grinsten beim Singen wie zwei Teenager.
***
Markus hatte gewartet, bis es dunkel wurde, bevor er nach Rheinbach fuhr und seinen nachtschwarzen Z3 auf einem Wandererparkplatz etwa zweihundert Meter von dem Gut entfernt parkte, auf dem Janna mit ihren Kindern lebte. Das schmiedeeiserne Tor stand weit offen, der Hof, die Büsche und Beete ringsum waren bereits für das anstehende Frühjahr vorbereitet und herausgeputzt. Hier und da blühten Stiefmütterchen und Primeln. Das kleine ehemalige Gesindehaus auf der linken Seite, in dem Janna bis vor Weihnachten mit ihren beiden Pflegekindern gewohnt hatte, lag im Dunkeln. Sie hatte mit ihren Eltern die Wohnungen getauscht, um für sich und die Zwillinge mehr Platz zu haben. Ziemlich gut erinnerte er sich noch daran, dass er im Herbst dabei geholfen hatte, eines der zukünftigen Kinderzimmer zu tapezieren. Eigentlich hatte er nur als Personenschutz für Janna fungiert, doch mit etwas hatte er sich ja beschäftigen müssen.
Das Auto der Eltern stand weder im Hof noch in der offenen Garage, Jannas dunkelblauer Golf V parkte neben dem Eingang zum Gutshaus. Daneben stand ein neuer grasgrüner VW Polo mit den Buchstaben FB auf dem Nummernschild. Der gehörte vermutlich Jannas Schwester, wenn er die Initialen richtig interpretierte.
Vorsichtig schaute er sich um, immer darauf bedacht, dass niemand ihn sah. Als er die Seitentür erreichte, die vom Hof direkt in die Küche führte, drang durch ein gekipptes Fenster plötzlich schreiend laute Musik zu ihm nach draußen. Er erkannte sofort Chers Shoop Shoop Song. Neugierig trat er seitlich an das Fenster und linste hinein. Als er sah, was in der Küche vor sich ging, konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
In einer Stimmlage, die der Chers verblüffend ähnelte, sangen die beiden Schwestern lauthals den Song mit und hüpften ausgelassen in der Küche herum. Beim Refrain übernahm immer Janna das It’s in his kiss und Felicitas den Part That’s where it is. Fast so, als hätten sie das schon hundertmal geübt.
Je länger er zusah, desto merkwürdiger fühlte er sich. Dieser vollkommene Ausdruck von Lebensfreude, der von den beiden Frauen ausging, berührte eine Saite in ihm, die er normalerweise ignorierte. Nicht, dass er keinen Spaß am Leben hatte, aber eine derartige Ausgelassenheit hatte er selbst lange nicht mehr gespürt. Falls überhaupt.
Nicht zum ersten Mal empfand er sich als Eindringling in Jannas heile Welt. Manchmal fragte er sich, warum er sich nicht offen dafür aussprach, sie ein für alle Mal von der Liste der zivilen Hilfskräfte zu streichen. Oder warum sie das nicht längst selbst veranlasst hatte. Einmal war sie kurz davor gewesen, das wusste er. Damals, als eine irre Auftragskillerin sie beinahe mit einer Bombe in die Luft gejagt hätte. Doch Janna war erstaunlich widerstandsfähig und kam trotz aller Herausforderungen immer wieder auf die Füße.
Seine Zusammenarbeit mit ihr war einem Zufall entsprungen und hätte eigentlich eine einmalige Sache sein müssen. Inzwischen, so gestand er sich ein, hatte er sich daran gewöhnt, hin und wieder mit ihr gemeinsam in einen Einsatz geschickt zu werden. Sie waren Freunde geworden. Wie genau das vor sich gegangen war, konnte er sich nicht erklären. Es war einfach geschehen.
Als er sie nun so beim Singen und Tanzen mit ihrer Schwester beobachtete, stellte er fest, dass er sie tatsächlich ein ganz kleines bisschen vermisst hatte. Woran er selbst die größte Schuld trug, denn seit ihrem Treffen am zweiten Weihnachtsfeiertag im HellHole, dem gemütlichen Bonner Irish Pub, hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Zunächst, weil er auf einen Auslandseinsatz geschickt worden war. Und dann, weil ... Er schob es darauf, dass sich einfach nicht die richtige Gelegenheit geboten hatte. Seine Arbeit hatte ihn sehr gefordert. Die Wochen waren nur so dahingeflogen. Er hatte einfach zu wenig Zeit, Freundschaften zu pflegen.
Janna sah jedenfalls nicht so aus, als wäre es ihr schlecht ergangen. So gelöst und ein wenig ausgeflippt hatte er sie überhaupt noch nicht erlebt. Sah man einmal von ihrem kleinen Gesangsduett auf der Heimfahrt von dem Einsatz im Schwarzwald im Dezember ab. Aber das war etwas vollkommen anderes gewesen.
Das Lied war inzwischen zu Ende und Jannas Schwester drehte die Lautstärke des Radios wieder auf ein normales Maß zurück. Die beiden Frauen kicherten aber noch immer vergnügt vor sich hin. Markus konnte nicht umhin zu bemerken, wie sehr sie sich trotz der unterschiedlichen Haarfarbe und Kleiderstile ähnelten.
Felicitas trug einen langen, wallenden Rock in diversen Blautönen, dazu schwarze Stiefel und eine knallblaue, sehr knapp sitzende Bluse mit gekrempelten Ärmeln. An ihren Ohren baumelten silberne Kreolen und ihr rechter Arm war dazu passend mit unzähligen Armreifen geschmückt.
Janna hingegen trug hauteng sitzende Jeans, die ein wenig abgeschabt wirkten, und einen engen dunkelbraunen Rollkragenpullover. Um ihren Hals lag ein schmales Silberkettchen mit einem sternförmigen Anhänger.
Beide Frauen waren eine Augenweide, jede auf ihre Weise, das war nicht zu leugnen. Wenn auch überhaupt nicht sein Typ. Also rein äußerlich schon, wobei ihm das leuchtende Kupferrot von Jannas Locken noch mehr zusagte als das satte Blond von Felicitas’ Haarschopf. Vielleicht lag es daran, dass Alexa ebenfalls blond war und ihm zuletzt gehörig auf den Geist gegangen war. Aber vom Typ Frau her war Janna ganz sicher nicht seine Kragenweite. Häuslich, in gewisser Weise mütterlich. Himmel, sie hatte zwei Pflegekinder im Alter von neun Jahren! Nett. Hilfsbereit. Normal.
Ihm fiel keine andere Beschreibung mehr ein, die seinen Gedankengang hätte unterstreichen können, denn seine Aufmerksamkeit wurde auf die Aktivitäten in der Küche gelenkt. Felicitas hatte offenbar eine SMS erhalten und war im Begriff, sich ihre blaue Jacke überzuwerfen.
Eilig verzog Markus sich um die Hausecke, damit sie ihn beim Verlassen des Hauses nicht bemerkte. Deshalb hörte er nur, wie sich die Seitentür öffnete.
»Mach’s gut Janna. Willst du wirklich nicht mitkommen? Jenny und Inken würden sich freuen, dich mal wiederzusehen.«
Was Janna darauf antwortete, war nicht zu verstehen.
»Na gut.« Felicitas lachte. »Genieß den ruhigen Abend. Bald hast du davon ganz viele am Stück. Aber vergiss nicht, dass wir noch zusammen shoppen gehen müssen. Bis dann. Ich ruf dich an!« Fröhlich summend ging sie zu ihrem Auto und fuhr kurz darauf schwungvoll vom Hof.
***
Während sie die Backutensilien zurück in die Schränke räumte, schmunzelte Janna vor sich hin. Ihre kleine Schwester hatte es schon immer verstanden, sie mit ihren verrückten Ideen zum Lachen zu bringen. Fast bedauerte sie es nun, nicht mit zu den Freundinnen gefahren zu sein. Ein bisschen Gesellschaft hätte ihr vielleicht doch gutgetan. Andererseits waren ihre Eltern mit den Zwillingen heute ins Kino gefahren und danach wollten sie noch zum Pizzaessen, sodass Janna Zeit und Ruhe hatte, alles für die bevorstehende Reise vorzubereiten. Gleich morgen nach der Schule würde es losgehen. Die Muffins sollten in den Proviantkorb.
Es mussten noch Koffer gepackt werden und eine Extratasche mit Büchern und Spielsachen. Auch an Bettwäsche musste sie denken, denn in der Hütte, die ihre Eltern gemietet hatten, gab es die nicht.
Sie seufzte leise. Bestimmt würden die Kinder ein tolles Abenteuer in den Bergen erleben. Einerseits wollte sie gerne dabei sein, andererseits freute sie sich auf die zwei Wochen Urlaub vom Familienstress. Obwohl sie noch nicht recht wusste, was sie so ganz allein mit sich anfangen sollte.
Ein leises Klopfen an der Seitentür riss sie aus ihren Gedanken. Als sie sich umdrehte, machte ihr Herz einen unerwarteten Satz, denn im Türrahmen war die hochgewachsene und breitschultrige Gestalt von Markus Neumann aufgetaucht. Er lächelte ihr derart charmant zu, dass ihr beinahe die Knie weich geworden wären.
»Guten Abend, Janna. Ich nehme an, du bist allein?« Er machte einen Schritt auf sie zu. Hinter ihm fiel die Tür zurück ins Schloss.
»Markus.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, bemüht, das Flattern in ihrer Magengrube zu ignorieren. »Du lebst also noch.«
Überrascht blieb er stehen. »Warum auch nicht?«
Sie zog die Augenbrauen zusammen und ging einen Schritt auf ihn zu. »Keine Ahnung. Hätte ja sein können, dass dich irgendein irrer Terrorist inzwischen gemeuchelt hat.«
»Gemeuchelt?«
»Aber mir würdest du so was ja nicht erzählen.«
Nun runzelte auch er die Stirn. »Wenn ich tot wäre, könnte ich dir nichts mehr erzählen.«
Sie schnaubte nur. »Du weißt genau, was ich meine. Hast du mal in den Kalender geschaut? Drei Monate, Markus. Und kein Lebenszeichen. Was soll ich da bitte denken?«
»Hör mal ...«
»Ich erwarte ja nicht, dass wir täglich in Kontakt stehen. Aber hin und wieder ein Ich lebe noch wäre nett gewesen. Ich dachte, wir wären Freunde.«
»Sind wir ja auch.«
»Mhm. Auf Freunde, die monatelang in der Versenkung verschwinden, noch dazu ohne Vorwarnung, kann ich verzichten.«
»Ich war vier Wochen in Russland.«
»Ach.«
»Wegen eines Austauschs von russischen gegen deutsche Agenten.«
»Und die übrigen Wochen?«
»Arbeit.«
»Und nicht mal Zeit für eine einfache SMS?«
Er fuhr sich mit der für ihn typischen Geste durch die Haare. »Schon gut, schon gut. Krieg dich wieder ein. Es hat sich einfach nicht ergeben.«
»Pfff, einfach nicht ergeben. Lass mich raten, du bist auch heute nur hier, weil du irgendwas von mir willst. Garantiert hat Herr Bernstein dich geschickt, denn von selbst wärst du im Leben nicht hier aufgeschlagen.« Als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, nickte sie grimmig. »Bingo. Aber weißt du was? Jetzt kannst du mir den Buckel runterrutschen.« Demonstrativ wandte sie ihm den Rücken zu und blickte durch die Ofentür auf die köstlich riechenden kleinen Küchlein.
Sie hörte ihn geräuschvoll ein- und ausatmen, dann einen Stuhl rücken. »Setz dich bitte, Janna.«
Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Hau ab, Markus.«
»Walter hat einen Auftrag für uns.«
Mit noch immer fest verschränkten Armen drehte sie sich zu ihm um. »Wie kommst du darauf, dass ich daran interessiert sein könnte?«
»Weil du noch immer auf der Liste unserer zivilen Hilfskräfte stehst. Und weil die Sache wirklich wichtig ist. Nun setz dich endlich. Bitte.«
Widerwillig kam sie seiner Aufforderung nach. »Ich bin sauer auf dich.«
Er hob nur die Schultern. »Das merke ich. Aber hier geht es um einen heiklen Fall. Geheimhaltungsstufe eins. Eigentlich nichts für Zivilisten ...«
»Na, danke.« Sie verdrehte die Augen.
Jetzt wurde auch Markus sichtlich genervt. »Walter hat dich aus gutem Grund dafür vorgeschlagen.«
»Und der wäre?«
»Erinnerst du dich an den Katzenfisch?«
Verblüfft merkte sie auf. »Selbstverständlich. Was ist damit?«
»Nichts. Aber wir haben damals gut zusammengearbeitet, du weißt schon, als frisch verheiratetes Ehepaar und so. Das sollen wir noch mal wiederholen.«
»Als Ehepaar?« Die Idee gefiel ihr ganz und gar nicht, denn das konnte nur eins bedeuten. »Etwa wieder irgendwo in einem Hotel?«
»Ein Landhotel im Taunus. Und diesmal nicht als Ehepaar, sondern als Verlobte.«
»In einem Zimmer?«
»Klar, was sonst?«
Ihr wurde unnatürlich warm, doch über diese Empfindung ging sie ebenfalls standhaft hinweg. »Warum Verlobte?«
Markus räusperte sich. Ihm war anzusehen, dass ihm dieser Part selbst nicht gefiel. »Wir ... Ich soll dort Kontakt zu einer Undercover-Agentin aufnehmen, die seit zwei Jahren gegen ein großes Rüstungsunternehmen ermittelt. Wir vermuten, dass dort jemand Staatsgeheimnisse verkauft. Kai, so heißt die Agentin, will sich aus der Sache zurückziehen und ihre Ergebnisse abliefern. Ich soll dafür Sorge tragen, dass alles glattläuft und ihr nichts zustößt.«
Janna bedachte ihn mit einem bezeichnenden Blick. »Warum Verlobte?«
Er hüstelte. »In dem Hotel, das Kai als Treffpunkt ausgewählt hat, findet ein Ehevorbereitungsseminar statt.«
»Was?« Entsetzen und Erheiterung ergriffen sie gleichermaßen. Sie musste das Lachen, das in ihr aufstieg, mit Macht zurückhalten.
»Leider werden wir nicht umhinkommen, an dem Blödsinn zumindest zeitweise teilzunehmen. Walter war der Meinung, dass meine Tarnung in dieser Hinsicht mit dir besser gewahrt bleibt als mit Alexa.«
»Alexa?« Nun konnte Janna das Lachen nicht mehr zurückhalten. »Bist du sie etwa noch immer nicht los?«
»Dein Rat hat leider nicht gefruchtet.«
Überrascht hob sie den Kopf. »Welcher Rat?«
»Das klare Nein. Sie akzeptiert es nicht. Hätte ich dir aber gleich sagen können.«
»Dann war das Nein nicht deutlich genug.«
Markus schnaubte sarkastisch. »Noch deutlicher und ich hätte handgreiflich werden müssen.«
»Autsch. Möglicherweise gefällt ihr das ja.«
»Müssen wir über Alexa reden?«
»Du hast doch damit angefangen.« Sie hob die Schultern. »Ich soll also mal wieder als dein Tarnweibchen auftreten.«
»Mein was? Äh, ja, so in etwa.«
»Und wahrscheinlich wirst du als Nächstes behaupten, dass es nicht im Geringsten gefährlich wird.«
Er zuckte zusammen. »Das würde ich gerne, aber diesmal müssen wir davon ausgehen, dass die Sache sehr haarig werden kann. Kai fürchtet, dass ihre Tarnung auffliegen könnte oder es bereits ist. Deshalb will sie den Einsatz beenden. Es kann sein, dass sie in höchster Gefahr schwebt. Vielleicht aber auch nicht.«
»Und trotzdem hat Herr Bernstein mich vorgeschlagen?«
»Er hielt dich für die beste Wahl.«
»Wie schmeichelhaft. Und du?«
»Was ich?«
Sie seufzte ungeduldig. »Hältst du mich auch für die beste Wahl? Immerhin könnte ich mich ja in den letzten drei Monaten in eine Kettensägenmörderin verwandelt haben.«
»Eine Kettensägenwas?« Er stutzte, dann grinste er, weil er sich offenbar daran erinnerte, dass er genau diese Worte früher schon einmal ausgesprochen hatte. »Ja, bist du.«
Irritiert runzelte sie die Stirn. »Eine Mörderin?«
»Die beste Wahl für den Job, Janna.«
Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz bei seinen Worten höherschlug. Doch sie blieb äußerlich vollkommen ungerührt. »Und zwar, weil?«
Er lachte trocken. »Na, weil du mir jetzt schon auf die Nerven gehst, wie es vermutlich nur eine Ehefrau könnte. Oder zukünftige Ehefrau. Wie auch immer. Morgen Nachmittag geht es los.«
»Was?« Sie richtete sich in ihrem Stuhl auf. »Morgen schon?«
»Ich hole dich gegen drei Uhr hier ab. Pack Sachen für drei bis vier Tage ein. Landhotel, vier Sterne. Schick, aber nichts Überwältigendes.«
»Und wenn ich keine Zeit habe?« Ihr Widerwille war noch nicht völlig erloschen, dazu gab sich Markus nach wie vor zu selbstsicher. Wegen seiner arroganten Art hatte sie bereits in der Vergangenheit mehr als einmal Lust verspürt, ihm gegen das Schienbein zu treten. Und auch heute war sie kurz davor.
»Deine Eltern fahren mit den Zwillingen morgen in die Berge.«
»Woher weißt du das?« Sie stand auf, da der Kurzzeitmesser piepste. Rasch zog sie Handschuhe über und holte das Blech aus dem Ofen. »Hast du Feli und mich eben belauscht?« Ihr wurde erneut ganz warm, als sie sich daran erinnerte, wie verrückt sie sich vorhin aufgeführt hatte.
»Nein. Walter hat mich darüber informiert.«
»Walter Bernstein? Woher weiß er denn ...?« Sie winkte ab. »Warum frage ich überhaupt? Ihr wisst ja praktisch alles über mich.«
»Das ist nun mal so, wenn man für einen Geheimdienst arbeitet.«
»Wissen sie über dich auch alles?«
Markus zuckte die Achseln. »Vermutlich. Das meiste.«
»Und das stört dich nicht?«
Wieder hob er nur die Schultern. »Bist du nun dabei oder nicht?«
Sie dachte einen langen Moment darüber nach. Im ersten Impuls hätte sie beinahe abgelehnt, dann aber siegte ihre Neugier. »Es ist sehr wichtig, ja?«
»Für Kai lebenswichtig.«
Sie nickte. »Also gut. Ich mache mit. Aber bilde dir nichts ein. Ich bin noch immer sauer auf dich.«
»Schon klar.« Er lächelte wieder sein steinerweichendes Lächeln. »Ich hab dich auch vermisst.«
»Den Teufel hast du.« Sie seufzte. »Und wir müssen da an irgendwelchen Seminaren zur Ehevorbereitung teilnehmen?«
»Daran führt wohl kein Weg vorbei.«
»Das kann ja ein Spaß werden.«