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Außenbezirk von Rheinbach

Gut Tomberg

Dienstag, 30. August, 14:30 Uhr

Der nachtschwarze Z3 Roadster stand mit offenem Verdeck auf dem Waldweg, der neben dem alten Gutshof von der Landstraße abzweigte. Markus Neumann trommelte ungeduldig mit den Fingern der linken Hand auf dem Lenkrad und haderte gleichzeitig mit dem Auftrag, den Walter ihm gegeben hatte. Es war ihm alles andere als recht, Janna Berg noch einmal in eine Angelegenheit des Instituts hineinzuziehen. Nachdem er ihr vor etwas mehr als einem Monat auf dem Köln-Bonner Flughafen einen Kurierdienst aufgedrängt hatte und sie beide dadurch in ziemliche Gefahr geraten waren, hatte er gehofft, sie nicht mehr weiter behelligen zu müssen. Sicher, Walter hatte sie in die Kartei für zivile Hilfspersonen des Instituts aufgenommen, doch Markus war sicher, dass weder Walter noch sonst jemand damit gerechnet hatte, Janna tatsächlich noch einmal für den Geheimdienst einspannen zu müssen. Nun saß er hier und musste sich überlegen, wie er sie am besten dazu bewegen konnte, ihnen zu helfen. Gefallen würde es ihr nicht, da war er sich sicher. Wo steckte sie überhaupt? Er wartete schon fast zwei Stunden auf sie. In Urlaub gefahren war sie nicht, so viel hatte Walter bereits herausgefunden. Aber vielleicht machte sie mit den Kindern einen Ausflug. Die Sommerferien waren ja noch nicht vorbei. Genervt warf er einen Blick auf die Uhr und seufzte. Die Ruhe ging ihm auf den Geist. Er war an ständigen Straßenlärm gewöhnt. Hier, etwa zwei Kilometer von der kleinen Stadt Rheinbach entfernt und umringt von Wald und Feldern, herrschte sommerliche Stille mit im leichten Wind raschelnden Zweigen und Vogelgezwitscher. Nur ab und zu durchschnitt ein Motorengeräusch die sommerliche Idylle, wenn ein Auto, Motorrad oder Traktor auf der Landstraße am Gutshof vorbeifuhr.

Im Grunde hatte Markus nichts gegen Natur einzuwenden. Er fand, dass Janna hier sehr hübsch und angenehm lebte. Doch in seinem derzeitigen Gemütszustand machte ihn die beschauliche Szenerie nervös. Hoffentlich musste er nicht bis zum Abend auf sie warten! Er hatte weiß Gott noch anderes zu tun, als hier auf dem Waldweg die Zeit totzuschlagen.

Als in diesem Moment ein Motorengeräusch laut wurde und ein Wagen offenbar auf den Hof einbog, atmete er auf. Rasch stieg er aus und reckte seine hochgewachsene Gestalt von 1,92 m. Dann ging er langsam auf die fast mannshohe Hecke zu, die den hinteren Teil des Gutshofes umgab und nur auf der Straßenseite von der ursprünglichen und vermutlich schon Jahrhunderte alten Bruchsteinmauer mit Tor abgelöst wurde. Das alte Gutshaus wurde von Jannas Eltern bewohnt, sie selbst lebte mit ihren beiden Pflegekindern in einem kleinen ausgebauten Nebengebäude. Markus‘ Einschätzung nach war es wohl einmal das Gesindehaus gewesen: ein hübscher zweistöckiger Bau mit roten Dachziegeln und strahlend weißer Fassade, der man ansah, dass sich darunter eine moderne Wärmedämmung befand. Ringsum blühten rote und weiße Geranien und andere Blumen in Töpfen und Steinkübeln.

Er hörte die Stimmen der Kinder, die offenbar durch die Vordertür ins Haus stürmten. Vorsichtig linste er durch eine Lücke in der Hecke zur Hintertür. Von dort aus führte ein kleiner Flur direkt in die helle Wohnküche. Irgendwie musste er auf sich aufmerksam machen.

Entschlossen zwängte er sich durch die Hecke. Diesen Weg hatte er schon einmal gewählt. Es war der einzige unauffällige Zugang auf dieser Seite des Grundstücks; das Haupttor konnte er schließlich nicht einfach benutzen. Verdrießlich klopfte er sich Blättchen, Staub und eine kleine Spinne vom Revers seiner kamelfarbenen Anzugjacke. Noch immer war ihm nicht eingefallen, wie er Janna überreden sollte, ihm – vielmehr dem Institut – zu helfen.

Durch die gekippten Fenster im Erdgeschoss vernahm er jetzt deutlich die aufgeregten Stimmen der Kinder und dann Janna, die lachend auf das Geplapper der beiden antwortete.

»Die Schuhe sind sooo cool«, rief das Mädchen. »Ich hab noch nie so coole Wanderschuhe gehabt.«

»Ich auch nicht«, rief der Junge übermütig. »Und die T-Shirts sind auch toll. Aber am besten sind die Gips-Mäuse, Janna. Sie sind so was von super!«

»GPS-Mäuse heißt das«, lachte Janna.

»Weiß ich doch«, antwortete der Junge ebenfalls lachend. »Aber Gips-Mäuse klingt viel besser. Dürfen wir sie Tante Linda zeigen?«

»Und die Schuhe auch?«, warf das Mädchen eifrig ein.

»Natürlich dürft ihr das. Geht nur rüber, bestimmt kriegt ihr auch ein Stück Kuchen und Kakao.«

»Au ja!«

»Aber seid vorsichtig mit den Peilsendern! Nicht, dass ihr sie gleich kaputt macht.«

»Nee, wir passen schon auf.«

Markus vernahm das Getrappel von Füßen und nur Augenblicke später das laute Klappen der Haustür. Entschlossen straffte er die Schultern, strich seine Anzugjacke glatt und trat an die Hintertür. Leise, aber bestimmt klopfte er.

Zunächst tat sich gar nichts, dann bemerkte er, wie sich die Gardine am Fenster rechts neben der Tür bewegte. Augenblicke später öffnete sich die Tür und er blickte geradewegs in ein Paar verblüffte graublaue Augen.

»Guten Tag, Herr Neumann«, begrüßte Janna ihn freundlich, aber mit einem deutlich erkennbaren fragenden Unterton. »Das ist aber eine Überraschung.« Sie blickte kurz über ihre Schulter ins Innere des Hauses. »Möchten Sie hereinkommen?« Ehe er verneinen konnte, setzte sie hinzu: »Die Kinder sind für eine Weile drüben bei meinen Eltern. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, dass jemand Sie sehen könnte.«

Noch immer zögerte er, nickte dann aber. Wortlos drehte sie sich um und ging ihm voraus in die Wohnküche. Er folgte ihr und hatte dabei Gelegenheit, ihre Erscheinung, wenn auch nur von hinten, eingehend zu betrachten. Sie trug ein eng anliegendes, hellgelbes T-Shirt zu einem knielangen Jeansrock und farblich passenden Riemchensandalen. Ihre Arme und Beine waren leicht gebräunt, was dafür sprach, dass sie sich gern und viel an der frischen Luft aufhielt. Dennoch wirkte ihre Haut sehr hell, und sie hatte den für Rothaarige oft typischen porzellanartigen Teint. Ihre weichen, kupferroten Locken waren zu einem einfachen Knoten aufgesteckt; einige Strähnen ringelten sich um ihre Schläfen und im Nacken.

Markus musste zugeben, dass sie die erste Frau in seiner Bekanntschaft war, der dieser natürliche Look gut stand. Ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt – sie war seiner Schätzung nach etwa 1,76 m groß – und ihre langen Beine kamen ausgezeichnet zur Geltung.

Als sie sich umdrehte und ihn irritiert ansah, begriff er, dass er sie angestarrt hatte, und riss sich zusammen.

Sie lächelte wieder. »Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Kaffee?«

»Machen Sie sich keine Umstände!« Abwehrend hob er beide Hände, doch sie stand bereits neben der Kaffeemaschine.

»Ich habe gerade welchen aufgesetzt«, erklärte sie. Aus dem Hängeschrank über der Anrichte nahm sie zwei Tassen und goss in beide von dem dampfenden Gebräu. »Milch oder Zucker?«

»Milch«, antwortete er automatisch.

Sie trug die Tassen zu dem großen, rechteckigen Küchentisch und setzte sich.

Er nahm ihr schräg gegenüber Platz. »Weshalb ich hier bin …«, begann er und überlegte wieder fieberhaft, wie er sein Anliegen am besten vorbringen sollte.

»Haben Sie diesen Burayd und die Hintermänner der Söhne der Sonne inzwischen gefasst?«, unterbrach sie ihn.

Überrascht hob er den Kopf. »Äh .. nein, leider noch nicht. Das Institut hat eine Sonderkommission gebildet, die sich jetzt damit befasst.«

»Oh.« Ihre Miene wurde besorgt. »Sind Sie deshalb hier? Besteht noch immer eine Gefahr für mich und meine Familie?«

Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Er schüttelte den Kopf. »Nein, machen Sie sich keine Sorgen. Ich glaube nicht, dass die Terroristen sich weiter für Sie interessieren werden.«

»Sie glauben?« Ihrem Tonfall war eine leichte Schärfe anzuhören.

»Das ist nicht der Grund, weshalb ich hergekommen bin.« Er hielt inne, und als sie ihn nur erwartungsvoll ansah, seufzte er innerlich und fuhr fort. »Walter … Herr Bernstein schickt mich, weil wir … weil das Institut Ihre Hilfe benötigt.«

Auf ihrem Gesicht zeichnete sich Überraschung ab, gepaart mit einem Funken Neugier. »Meine Hilfe? Ich dachte, es wäre vollkommen unwahrscheinlich, dass Sie noch einmal Kontakt mit mir aufnehmen, auch wenn ich in dieser Kartei stehe.«

Er verzog unbehaglich die Lippen, als er sich daran erinnerte, dass er genau das vor einem Monat zu ihr gesagt hatte. »Eher unwahrscheinlich, habe ich gesagt. Aber nicht gänzlich unmöglich. Walter wäre auch gar nicht auf Sie verfallen, wenn wir eine andere Wahl gehabt hätten.«

»Oh, vielen Dank«, sagte sie spitz.

»Verstehen Sie mich nicht falsch …«

»Bestimmt nicht.«

»Es ist leider so, dass wir in einem Fall von Steuerdaten-Diebstahl ermitteln und Sie die einzige Person sind, die unauffällig Kontakt zu unserer Zielperson aufnehmen kann.«

»Ach.« Sie runzelte die Stirn. »Wie das?«

»Sie betreiben doch diesen Büroservice.«

»Ja und?«

»Einer Ihrer Kunden ist der Steuerberater Marius Leitner.«

»Was?« Sie schluckte und starrte ihn so entsetzt an, als habe er ihr ein unmoralisches Angebot gemacht. »Wollen Sie mir etwa erzählen, dass der Geheimdienst gegen Herrn Leitner ermittelt? Das ist ja lächerlich!«

»Nicht im Geringsten, Frau Berg«, widersprach Markus. »Zu seiner Klientel gehören hochkarätige Manager, Politiker und Banker. Er hat Zugang zu all deren sensiblen Steuerdaten und unsere Experten haben eine IP-Adresse abgefangen, die sich zu seiner Kanzlei zurückverfolgen lässt. Leider ist es nicht ganz einfach, ihn festzunageln, denn die IP beweist nur den Zugang, nicht aber das Stehlen der Daten. Wir müssen sehr vorsichtig und vollkommen verdeckt ermitteln, da weder die Öffentlichkeit etwas von unserem Verdacht wissen darf noch die Hintermänner, denen wir schon länger auf der Spur sind.«

»Was für Hintermänner?« Jannas Stimme klang leicht gepresst. Sie schien noch immer kein Wort von dem zu glauben, was er ihr erzählt hatte.

»Wenn wir das wüssten, wären wir schon einen guten Schritt weiter und müssten Sie gar nicht behelligen, Frau Berg«, erklärte er. »Wer auch immer es ist, arbeitet sehr geschickt und mit den neuesten technischen Möglichkeiten, um seine Spuren zu verwischen.«

»Aber warum in aller Welt sollte Herr Leitner sich für so etwas hergeben?«, protestierte Janna. »Er ist ein sehr korrekter Mann und engagiert sich stark für benachteiligte Familien. Er hat diesen günstigen Existenzgründer-Beratungsservice für Leute mit geringem Einkommen oder Arbeitslose gegründet. Für diesen Service betreue ich das Büro, weil er das zeitlich nicht schafft, sich dafür aber keine festen Angestellten leisten will. Das würde sonst seine Honorare wieder erhöhen, und das möchte er vermeiden. Ich finde das sehr ehrenwert. Er hat mir mal gesagt, dass er der Gesellschaft etwas zurückgeben will. Manche Leute berät er sogar kostenlos! Ich meine, das muss man doch anerkennen! Nicht alle Menschen denken so wie er. Vor allem nicht die, die das Geld mit beiden Händen scheffeln. Es ist doch lobenswert, dass er sich so engagiert. Und jetzt kommen Sie mir damit, dass er in irgendwas Illegales verstrickt sein soll. Dabei arbeite ich schon über ein Jahr für ihn, und da müsste mir doch längst aufgefallen sein, wenn etwas mit seiner Firma nicht stimmt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er die Daten seiner Kunden stehlen würde.« Janna atmete tief ein, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme.

Markus schauderte innerlich und hätte beinahe die Augen verdreht. Er hatte vergessen, dass diese Frau es fertigbrachte, in einem Atemzug so viele Wörter zu sagen, dass er nach der Hälfte des Wortschwalls schon Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen. Er versuchte, sich seine Irritation nicht zu sehr anmerken zu lassen, dennoch klang seine Stimme etwas angestrengt, als er erklärte: »Mag sein, dass er sich sozial engagiert. Dennoch führen alle unsere Hinweise zu ihm. Deshalb benötigen wir Ihre Hilfe, Frau Berg.«

»Nein.« Energisch schüttelte sie den Kopf. »Ich schnüffele nicht hinter einem meiner Kunden her. Schon gar nicht wegen eines derart absurden Verdachts.«

»Frau Berg …« Markus seufzte und fuhr sich leicht entnervt mit der rechten Hand durch sein kurzes, dunkelbraunes Haar. Irgendwie hatte er geahnt, dass sie es ihm nicht leicht machen würde. Von ihrer Warte aus war ihre Reaktion wohl auch verständlich. »Wir haben bereits herausgefunden, dass Leitner eine teure Scheidung hinter sich hat.«

»Das ist doch seine Privatangelegenheit.«

»Und er hat Spielschulden.«

»Wie bitte?« Janna riss die Augen auf. Offensichtlich nervös strich sie sich eine Locke hinters Ohr. »Spielschulden?«

»Sechsstellig«, bestätigte Markus.

»Um Gottes willen!«

»Deshalb kann es also durchaus sein, dass er sich an den Steuerdaten vergriffen hat, um sie weiterzuverkaufen.«

»Ich glaube das nicht!«, murmelte Janna sichtlich erschüttert. »Er würde doch niemals …«

»Das – oder jemand setzt ihn unter Druck«, fuhr Markus unbeirrt fort. »Aber ganz gleich, was der Grund sein mag – wir müssen die gestohlenen Daten sicherstellen und vor allen Dingen verhindern, dass sie in die falschen Hände gelangen. Es geht hier nicht nur um Steuerhinterziehung, Frau Berg.«

»Was denn noch?«

»Wir haben Grund zu der Annahme, dass die gestohlenen Daten Aufschluss über illegale Geldströme geben. Wer immer sie jetzt hat, sitzt auf einer Goldgrube. Erpressung«, setzte er hinzu, als er ihre verständnislose Miene sah, »und zwar in den höchsten Kreisen.«

»Sie meinen, aus diesen Daten können Sie ersehen, ob jemand an Korruption beteiligt ist?«, fragte sie.

»Wahrscheinlich.« Er hob die Schultern. »Korrupte Politiker gehören zum Beuteschema diverser illegaler Vereinigungen.«

»Ich fasse es nicht.« Janna schüttelte den Kopf, spielte unruhig mit ihrer Kaffeetasse. Dann hob sie ruckartig den Kopf und blickte ihm ins Gesicht. »Wenn … Also für den Fall, dass ich Ihnen helfe – und ich sage nicht, dass ich das tun werde! – was müsste ich denn machen?«

Markus atmete auf. »Es handelt sich nur um eine Kleinigkeit und ist auch absolut nicht gefährlich.«

»So wie beim letzten Mal, als ich Ihnen einen Gefallen getan habe.«

Markus verdrehte die Augen. »Das Einzige, was Sie tun müssten, wäre, Leitner an einem der kommenden beiden Abende für ein paar Stunden abzulenken.«

»Abzulenken?«, echote sie verständnislos.

»Damit wir seine Büro- und Privaträume durchsuchen können.«

»Ist das nicht illegal?«, fragte sie und erinnerte ihn dabei an eine Situation, in der sie ihn genau dies schon einmal gefragt hatte. »Brauchen Sie dazu nicht einen Durchsuchungsbefehl?«

»Wenn wir von der Polizei wären, dann ja. Oder wenn wir einen offiziellen Verdacht und Beweise gegen ihn hätten. Beides ist nicht der Fall. Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, aber das Institut hat in dieser Hinsicht«, er zögerte, »ein paar Sonderrechte.« Ihre hochgezogenen Augenbrauen ignorierte er. »Hören Sie, es geht nicht darum, ihm etwas anzuhängen, sondern um die simple Suche nach Hinweisen auf mögliche Hintermänner, anhand derer wir dann wieder die offiziellen Wege beschreiten können – falls es notwendig sein sollte. Leitner ist ein kleiner Fisch, aber durch seine Verbindungen ins Landesparlament so gut wie abgeschirmt. Offiziell ist er über jeden Verdacht erhaben. Wenn sich auch nur das kleinste Gerücht verbreitet, dass wir gegen ihn ermitteln, laufen sehr einflussreiche Personen gegen uns Sturm. Bedenken Sie, dass er alljährlich vielen Leuten eine Menge Geld spart.«

»Sie meinen, er steht sozusagen unter dem Schutz seiner Kunden?« Janna runzelte erneut die Stirn. »Obwohl er vielleicht ihre Steuerdaten gestohlen hat? Das ist doch paradox. Das klingt so …«

»Wie?«, fragte er.

»Nach einem schlechten Film«, antwortete sie. »Ich dachte, so was gibt’s nur im Kino.«

Markus schnaubte. »Sie würden sich wundern, mit was für Machenschaften wir uns tagtäglich herumschlagen müssen, Frau Berg. Bedenken Sie, dass wir nicht wissen, wer sonst noch in die Sache verwickelt ist. Wenn Leitner im Auftrag eines seiner einflussreichen Kunden gehandelt hat, wird die Vertuschungsmaschinerie anlaufen, sobald auch nur der Schatten eines Verdachts auf ihn fällt.« Er hob die Schultern und beschloss, seine Taktik zu ändern. Mit seinem charmantesten Lächeln blickte er ihr in die Augen. »Sie würden uns wirklich enorm bei unseren Ermittlungen helfen, Frau Berg, wenn Sie uns diesen winzigen Gefallen täten.«

Er beobachtete sie genau. Im ersten Moment sah es so aus, als wolle sie erneut rundheraus ablehnen. Dann zögerte sie und knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe. Wieder spielte sie mit ihrer Kaffeetasse herum. Als sie den Kopf hob und ihm ins Gesicht sah, konnte er alle Bedenken, die sie hatte, deutlich in ihrem Blick lesen. Er wollte erneut ansetzen und weitere Argumente vorbringen, als sie unvermittelt nickte.

»Also gut. Ich tue es.«

Erleichtert, aber auch etwas überrascht über ihren plötzlichen Entschluss, stieß er die Luft aus. »Sehr gut«, sagte er. »Das ist wirklich …«

»Wenn Sie mir verraten, wie ich das überhaupt anstellen soll. Ich meine, ich bin nur geschäftlich mit Herrn Leitner bekannt. Privaten Kontakt haben wir nicht.«

»Sie könnten ihn um ein Gespräch wegen Ihrer Steuererklärung bitten«, schlug Markus spontan vor.

»Die mache ich immer selbst und ganz sicher nicht um diese Jahreszeit«, konterte sie. »Außerdem gehöre ich wohl nicht ganz zu seinem Kundenstamm, nicht wahr?«

»Dann denken Sie sich etwas anderes aus«, sagte Markus. »Vielleicht wegen Ihrer Arbeit für seinen Beratungsservice. Oder meinetwegen fragen Sie ihn um einen Rat wegen Ihrer Selbstständigkeit. Bezirzen Sie ihn ein bisschen.«

»Bezirzen?« Janna hob empört die Augenbrauen. »Das gibt‘s ja wohl nicht! Ich soll Herrn Leitner einen Abend lang beschäftigen, und Sie kommen mir mit bezirzen Sie ihn? Etwas Besseres fällt Ihnen nicht ein? Ich dachte, Sie hätten schon einen Plan!«

»Frau Berg, ich habe nicht …«

»Also wirklich. Bezirzen Sie ihn ein bisschen!« Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Sie wissen schon, dass Herr Leitner einen gewissen Ruf hat, was Frauengeschichten angeht.« Sie gestikulierte erregt. »Ich finde ihn ja sehr nett, aber auf privater Ebene möchte ich mich lieber nicht näher mit ihm abgeben. Er wechselt die Frauen so oft wie andere Leute ihre Socken. Ich werde ihn also ganz bestimmt nicht bezirzen. Wie sollte ich das wohl auch Sander erklären?«

»Sander?« Er konnte ihr nicht ganz folgen.

Sie seufzte ungeduldig. »Mein Freund Sander. Erinnern Sie sich?«

Markus nickte vage. »Dann halten Sie die Angelegenheit eben rein geschäftlich. Sobald Sie das Treffen mit ihm vereinbart haben, geben Sie mir bitte telefonisch Bescheid. Sie haben meine Nummer doch noch?«

»Ich habe sie nicht aus dem Handy gelöscht, wenn Sie das meinen.«

»Gut.«

In diesem Moment wurden von irgendwo draußen die Stimmen der Kinder laut. Markus sprang sofort auf und ging Richtung Hinterausgang. Janna nahm die beiden Kaffeetassen und stellte sie in die Spüle, dann folgte sie ihm eilig. An der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Es ist sehr freundlich, dass Sie uns helfen wollen, Frau Berg. Ein Szenario konnten wir uns leider für Ihr Treffen mit Leitner noch nicht überlegen. Wir stehen ein bisschen unter Zeitdruck.«

»Ah ja.« Sie blickte zu ihm auf; in ihren Augen stand noch immer leichter Ärger geschrieben und eine Spur von Spott.

Er zuckte mit den Achseln. »Schaffen Sie das?«

»Mir wird schon was einfallen«, sagte sie. »Vielleicht wegen der Monatsabrechnung oder des Arbeitsplans für September.«

»Sehen Sie, das ist doch ein Ansatz.« Erfreut nickte er. »Sie werden natürlich während der gesamten Zeit Ihres Einsatzes von uns überwacht und erhalten auch ein verstecktes Mikrofon, für den Fall, dass Leitner Ihnen gegenüber etwas erwähnt, was für unsere Ermittlungen hilfreich sein könnte. Auch Ihre Sicherheit ist damit gewährleistet. Gleichzeitig behalten wir ihn im Auge, falls er mit einem Komplizen Kontakt aufnimmt – oder umgekehrt.«

»Einsatz.« Um ihre Mundwinkel zuckte es. »Das klingt so offiziell.«

»Es ist nur eine einfache Handreichung«, wiegelte Markus sofort ab. Er wollte vermeiden, dass sie in der Sache mehr sah und sich einbildete, so etwas wie eine echte Agentin zu sein.

»Die hoffentlich bezahlt wird«, konterte sie. »Herr Bernstein sagte mir, dass die zivilen Helfer des Instituts nach Aufwand entschädigt werden. Immerhin opfere ich Ihnen einen ganzen Abend, den ich auch für meinen Büroservice nutzen könnte.«

»Machen Sie sich keine Sorgen. Walter wird sich schon darum kümmern.« Markus lächelte wieder. »Sehen Sie es als nette Abwechslung.«

Jannas Lippen umspielte ebenfalls ein kleines Lächeln. »Ob es nett wird, muss sich erst noch herausstellen.« Plötzlich wurde sie ernst. »Wehe, wenn er versucht, mir an die Wäsche zu gehen.«

Verblüfft starrte Markus sie an, bis er begriff, dass sie einen Scherz gemacht hatte. Er lächelte verhalten. »Ich glaube nicht, dass Sie sich darüber große Sorgen machen müssen. Sie passen nicht in sein Profil.«

»Wie bitte?« Sie zog die Stirn kraus.

»Nach allem, was wir über ihn wissen, sind Sie nicht sein Typ.«

»Ach.« Der Blick, der Markus traf, war alles andere als freundlich. »Dann frage ich mich, weshalb er schon so oft versucht hat, mich zum Essen einzuladen.«

Markus hob die Schultern. »Reflex. Manche Männer sind so.«

»Sprechen Sie da auch für sich selbst?«, fragte sie spitz. Gleich darauf winkte sie ab. »Vergessen Sie es. Ich will es gar nicht wissen. Aber schließen Sie nicht einfach von sich auf andere.«

»Was soll das denn heißen?« Erstaunt musterte er sie und wurde sich in diesem Moment bewusst, wie dicht sie in dem engen Flur beieinanderstanden. Das plötzliche Gefühl von Unwohlsein versuchte er zu ignorieren.

Sie griff an ihm vorbei nach dem Knauf der Hintertür. »Nur, weil ich nicht Ihr Typ bin, muss das ja nicht auf alle Männer zutreffen«, antwortete sie kühl. »Und jetzt beeilen Sie sich besser, sonst entdecken Till und Susanna Sie am Ende doch noch.« Sie hielt ihm die Tür auf. »Auf Wiedersehen, Herr Neumann. Ich melde mich bei Ihnen.«

Er trat nach draußen, und sie schloss die Tür wieder hinter ihm, noch bevor er den Abschiedsgruß erwidern konnte. Kopfschüttelnd blickte er auf das kleine Haus, aus dem sie ihn praktisch hinausgeworfen hatte. Wieder hörte er die Stimmen der Kinder durch das gekippte Fenster schallen. Sie hatte recht – er machte besser, dass er fortkam.

***

Janna lehnte sich für einen Moment gegen die Wand in dem kleinen Flur und atmete tief durch. Gleichzeitig schalt sie sich eine dumme Gans, weil sich doch tatsächlich ihr Pulsschlag beschleunigt hatte. Mit diesem Besucher hatte sie so ganz und gar nicht gerechnet. Beinahe kamen ihr die Ereignisse vom Juli inzwischen regelrecht unwirklich vor. Wenn nicht das neue Smartphone gewesen wäre, das sie tagtäglich an ihr Abenteuer mit diesem unverschämt attraktiven Geheimagenten erinnerte, hätte sie sich einreden können, alles sei nur ein verrückter Traum gewesen.

Und jetzt war Markus Neumann erneut in ihrem Leben aufgetaucht. Sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Was er von ihr verlangt hatte, ging vollkommen gegen ihre Prinzipien. Ihre Kunden vertrauten ihr und erwarteten Diskretion. Einen von ihnen jetzt gewissermaßen hintergehen zu müssen, widerstrebte ihr zutiefst. Und doch hatte sie zugesagt.

Nachdenklich strich Janna sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Den Ausschlag hatten nicht die Argumente des Agenten gegeben, sondern ein plötzliches Gefühl in ihrer Magengrube. Ein merkwürdiges Kribbeln, fast so wie Vorfreude. Es hatte sich ein klein wenig aufregend angefühlt, sich vorzustellen, wie eine Undercover-Agentin mit einem Mikrofon ausgestattet und während ihres Treffens mit Herrn Leitner von Agenten beschattet zu werden. Fast war es ihr peinlich, sich einzugestehen, dass ihr diese Vorstellung gefiel. Außerdem hatte Markus Neumann recht – es war nicht mehr als eine simple Handreichung, für die sie mit etwas Glück eine winzige Aufwandsentschädigung erhalten würde. Bezahlt vom Staat. Sie schüttelte den Kopf über sich, hatte jedoch keine Gelegenheit, weiter über die Sache nachzudenken. Susanna und Till waren inzwischen hereingekommen und nach oben in ihr Zimmer gestürmt. Sie hörte die beiden dort rumoren und beschloss, dass es besser war, nach dem Rechten zu sehen. Man konnte nie wissen, was sie gerade ausheckten. Außerdem wollte sie die beiden Peilsender vorsichtshalber an sich nehmen, sonst bestand die Gefahr, dass mindestens einer davon bis zum Ausflug am kommenden Montag bereits seinen Geist aufgegeben hatte. Seufzend stieß sie sich von der Wand ab und ging zur Treppe.

Von Flöhen und Mäusen

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