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Bonn, Kaiserstraße

Institut für Europäische Meinungsforschung

Walter Bernsteins Büro

Donnerstag, 16. August, 16:00 Uhr

Markus ließ Janna den Vortritt, als sie das Büro von Walter Bernstein betraten, und schloss die Glastür betont langsam hinter sich. Das gab ihm die Gelegenheit, sich zu sammeln und einen professionellen Abstand zu halten. Glücklicherweise schien Janna dem kleinen Vorfall auf dem Mattenboden in der Sporthalle keine weitere Bedeutung beizumessen. Zumindest hatte sie sich mit keinem Wort dazu geäußert und schien auch jetzt nicht weiter darüber nachzudenken. Es gab schließlich auch keinen Grund dazu. Für einen Moment waren seine Hormone mit ihm durchgegangen. Verständlich, immerhin war Janna mit ihrem kupferroten, lockigen Haar, dem ebenmäßigen Gesicht und den graublauen Augen eine ausgesprochen attraktive Frau. – Gut, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als attraktiv. Aber sie war auch seine Freundin. Eine gute Freundin. Die beste Freundin, die er je gehabt hatte. Deshalb hatten seine Hormone in ihrer Gegenwart gefälligst Sendepause. Es kam überhaupt nicht infrage, dass er aus einem spontanen Impuls heraus irgendetwas Unsinniges tat und damit das Vertrauen zerstörte, dass sich zwischen ihnen entwickelt hatte. Also holte er tief Luft, setzte sich in einen der drei blauen Besuchersessel und blickte Walter fragend an. »Hatten Sie nicht vorhin gesagt, dass Sie heute früher Feierabend machen wollten?«

Walter hob mit einem resignierten Lächeln die Schultern. »Ich hätte es wohl nicht beschreien dürfen.« Er wandte sich Janna zu, die sich ebenfalls niedergelassen hatte. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie aus Ihrer Trainingsstunde geholt habe. Ich hoffe, Sie kommen gut voran?«

Janna nickte mit einem kurzen Seitenblick auf Markus. »Ja, ich denke schon. Zumindest hat Melanie sich bisher nicht beschwert, also nehme ich an, dass ich mich ganz passabel anstelle.«

»Janna macht gute Fortschritte.« Markus nickte ihr zu. »Dafür, dass sie erst vor Kurzem mit dem Training angefangen hat, ist sie schon ziemlich wendig.«

»Tatsächlich? Das freut mich zu hören.«

»Na ja.« Janna hüstelte. »Gegen einen Gegner wie Markus komme ich noch nicht an.«

Markus grinste. »Du hast mich von den Füßen geholt. Das schafft noch längst nicht jeder.«

»Ach, hat sie das?« Verblüfft musterte Walter ihn.

»Das war ein Glückstreffer.« Erneut hüstelte Janna. »Und wie du schon gesagt hast, ich hätte weglaufen müssen.«

»Ja, hättest du.« Mit Mühe unterdrückte Markus ein Räuspern. »Beim nächsten Mal weißt du Bescheid.«

»Ja.« Sie wich seinem Blick wie zufällig aus und blickte zu Walter. »Alexa hat gesagt, dass Sie einen Auftrag für uns haben.«

Walter blickte prüfend zwischen ihr und Markus hin und her und nickte schließlich. »Ja, das ist richtig. Es geht um Personenschutz. Die Zielperson ist eine junge Wissenschaftlerin, die ab morgen Nachmittag an der International Metropolitan Operations Conference in Köln teilnehmen wird.« An Janna gewandt erklärte er: »Das ist eine internationale Konferenz zum Thema Kriegs- und Krisenmanagement.«

»Ich weiß.« Janna lächelte leicht. »Im Radio kam heute Morgen ein Bericht darüber.«

»Gut.« Walter lächelte ebenfalls. »Nadine Hochstaden ist Maschinenbauingenieurin und hat außerdem einen Doktortitel in Biochemie. Sie ist erst achtundzwanzig, also noch recht jung für ihren beruflichen Werdegang. Ein Wunderkind, wenn man es salopp ausdrücken möchte. Sie hat ihr Studium mit dreiundzwanzig abgeschlossen und ein knappes Jahr später bereits ihre Dissertation in der Tasche gehabt. Seit vier Jahren arbeitet sie für das Erltal-Labor in Frankfurt an geheimen Regierungsprojekten mit.«

»Im Erltal-Labor?« Überrascht hob Janna den Kopf. »Werden dort nicht Waffensysteme hergestellt?«

»Unter anderem«, bestätigte Walter. »Aber das Labor hat auch andere Aufgabenbereiche. Frau Dr. Hochstaden forscht hauptsächlich im Bereich Abwehr und Neutralisierung biologischer und chemischer Kampfstoffe.« Kurz hielt er inne. »Da sie an mehreren bahnbrechenden und natürlich streng geheimen Projekten mitarbeitet, steht sie schon seit Jahren unter besonderer Beobachtung und Bewachung durch die Geheimdienste. Sie geht keinen Schritt in der Öffentlichkeit ohne Personenschutz, seit sie vor einiger Zeit Opfer eines Entführungsversuchs geworden ist. Nun soll sie auf der Konferenz mehrere Vorträge halten, speziell zu den Projekten, an denen sie federführend beteiligt ist. Das Institut ist für die dortigen Sicherheitsvorkehrungen verantwortlich, deshalb möchte ich, dass Sie beide Frau Dr. Hochstaden begleiten und bis einschließlich Sonntag rund um die Uhr an ihrer Seite bleiben.«

»Warum wir?« Markus runzelte die Stirn. »Würde da nicht ein einzelner Personenschützer ausreichen, der ihr nicht von der Seite weicht?«

»Grundsätzlich wäre das die normale Vorgehensweise.« Walter seufzte. »Frau Dr. Hochstaden ist jedoch ... Nun ja, sie mag auf ihrem Fachgebiet ein Genie sein, doch sie ist ... nicht ganz einfach.«

»Nicht ganz einfach?« Skeptisch verzog Markus den Mund. »Wie ist das zu verstehen?«

Walter faltete die Hände auf der Tischplatte. »Sie hat sich selbst einmal scherzhaft als Laborratte bezeichnet. Bedingt durch die intensive Forschungsarbeit im abgeschirmten Erltal-Labor kommt sie nicht oft unter Menschen. Deshalb hat sie nur wenig Gelegenheit, ihre sozialen Fähigkeiten zu schulen.« Er hob die Schultern. »Anfangs hat sie sich strikt geweigert, auch nur einen einzigen Vortrag zu halten. Insbesondere nachdem sie, wie gesagt, bereits einmal fast entführt worden wäre. Sie ist extrem introvertiert und ...« Er zögerte.

»Schüchtern?«, warf Janna ein.

Walter nickte. »Die ständige Präsenz eines Personenschützers macht ihr Angst und hindert sie laut Aussage ihres Therapeuten daran, sich zu konzentrieren.«

»Sie hat einen Therapeuten?« Markus fasste sich an den Kopf.

Walter warf ihm einen strengen Blick zu. »Ja. Daran ist nichts auszusetzen, oder?«

Markus zuckte nur mit den Achseln. »Wenn es ihr hilft.«

»Mich würde es auch kirre machen, wenn mir ein Fremder auf Schritt und Tritt folgen würde.« Janna warf Markus einen kurzen Seitenblick zu. »Ich bin nicht besonders schüchtern, aber ich kann mir schon vorstellen, dass sie Probleme hat, sich auf ihre Arbeit oder die Vorträge zu konzentrieren, wenn ihr ständig jemand im Nacken sitzt oder ihr praktisch ununterbrochen über die Schulter blickt. Wir hatten in der Schule einen Jungen, der war extrem schüchtern, aber ein Mathe-Genie. Aber wenn man ihn bedrängt hat oder wenn er vor Leuten reden musste, also zum Beispiel nach vorne an die Tafel gerufen wurde, um eine Aufgabe zu lösen, ist er regelmäßig zur Salzsäule erstarrt. Das war für ihn immer ganz schrecklich. Er hat sich auch nie selbst im Unterricht gemeldet und wenn unser Lehrer ihn mal drangenommen hat, hat er immer bloß herumgestottert. Später in der Oberstufe wurde es so schlimm, dass er tatsächlich auch eine Therapie gemacht hat. Ich bin ihm vor ein paar Jahren auf einem Klassentreffen wieder begegnet und da hat er mir erzählt, dass ihm diese Therapie wirklich geholfen hat. Sonst hätte er sein Studium niemals durchgestanden. Er ist immer noch ziemlich still und zurückhaltend, aber zumindest stirbt er nicht mehr tausend Tode, wenn er vor Leuten reden muss.« Verlegen räusperte Janna sich. »Entschuldigung. Meine Zunge ist wieder mal mit mir durchgegangen.«

»Schon gut.« Walter lächelte ihr zu. »Ihre Schilderung bestärkt mich in meiner Entscheidung, Sie und Markus mit dieser Aufgabe zu betrauen.«

Irritiert runzelte Janna die Stirn. »Weil ich diesen schüchternen Klassenkameraden hatte?«

Walter lachte leise. »Weil Sie eine einfühlsame Person sind. Sicher werden Sie sehr gut mit Frau Dr. Hochstaden auskommen. Sie hat darum gebeten, den Personenschutz so wenig invasiv wie nur möglich zu gestalten. Deshalb wird Markus als Geschäftsmann mit Bundeswehrvergangenheit in die Konferenz eingeschleust. Sie, Janna, treten als seine Assistentin auf. Außerdem werden Sie beide, falls nötig, von Melanie Teubner unterstützt, die als Gasthörerin der Konferenz beiwohnen wird, sowie von Gabriel Riemann, der als Analyst selbst zwei Vorträge hält und ansonsten ebenfalls als Gasthörer auftritt.« Walter reichte Janna und Markus je einen Schnellhefter. »Hier habe ich alle relevanten Informationen zu Frau Dr. Hochstaden, der Konferenz und Ihrer Unterbringung im Hyatt Regency für Sie zusammengestellt. Janna, ich hoffe, für Sie geht dieser kurzfristige Auftrag in Ordnung. Soweit mir bekannt ist, befinden sich Ihre beiden Kinder derzeit in einer Ferienfreizeit, nicht wahr?«

Verblüfft nickte Janna. »Ja, in einem Pfadfindercamp an der Mosel. Sie kommen am Montag zurück. Woher wissen Sie das?«

Walter schmunzelte. »Das Monitoring Ihrer familiären Situation gehört zu meinen Aufgaben, damit ich die Vergabe von Aufträgen koordinieren kann.«

»Aha.« Janna war anzusehen, dass sie nicht ganz sicher war, ob ihr dieses Monitoring gefiel.

»Sie haben Gerlinde kürzlich davon erzählt.« Walter blinzelte ihr zu. »Nicht dass Sie glauben, wir würden Sie jetzt permanent überwachen. Das ist natürlich nicht der Fall.«

»Oh ja, natürlich.« Janna entspannte sich wieder. »Das hatte ich ganz vergessen.«

»Ich hoffe, Sie haben keine anderen Verpflichtungen am Wochenende?«

»Nein.« Zögernd schüttelte Janna den Kopf. »Nur eine Sitzung des Landfrauenvorstandes, aber wenn ich da mal fehle, ist das nicht so schlimm. Es geht nur um die nächsten Termine für die Kochvorführungen unserer Vorsitzenden, da muss ich nicht zwingend mit dabei sein.«

»Warum werde ich eigentlich nie vor einem Einsatz gefragt, ob ich schon etwas vorhabe?« Markus hatte den Hefter bereits aufgeschlagen und die ersten Seiten überflogen.

Walter ging nicht darauf ein. »Die ID-Abteilung arbeitet bereits an Ihren Ausweisen und Lebensläufen. Ein entsprechendes Szenario mit Webseite Ihres Unternehmens und allen erforderlichen Unterlagen wird ebenfalls bis morgen Mittag erstellt sein, Markus. Bevor Sie morgen nach Köln fahren, gibt es noch einmal eine kurze Lagebesprechung drüben im Aquarium.« Walter erhob sich und reckte seine leicht untersetzte Gestalt. Dann nahm er sein graues Jackett von der Stuhllehne und zog es an. »Das wäre es für heute.«

Markus und Janna erhoben sich gleichzeitig. Janna wandte sich noch einmal an Walter. »Wann lernen wir diese Frau Dr. Hochstaden denn kennen? Erst im Hotel?«

»Ja.« Walter stand bereits in der Tür. »Aus organisatorischen Gründen geht es leider nicht früher. Sie werden sich beim Einführungsdinner kennenlernen. Die Details erfahren Sie morgen.« Er nickte ihr noch einmal lächelnd zu. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind genau das richtige Team für diesen Auftrag. Wir hoffen, dass Frau Dr. Hochstaden sich von Ihrer Gegenwart weniger beeinträchtigt fühlen wird als vom regulären Personenschutz. Mit etwas Glück freunden Sie sich sogar ein wenig mit ihr an und nehmen ihr die Scheu vor sozialen Interaktionen.«

Janna biss sich auf die Unterlippe. »Da erwarten Sie aber viel von mir.«

»Nicht mehr, als ich Ihnen zutraue.« Walter öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt. »Wir sehen uns morgen Mittag um zwölf im Aquarium.«

Janna blickte in die Richtung des von Glasfenstern umgebenen Konferenzraums. »Da bin ich ja mal gespannt.«

Markus stieß sie leicht mit dem Ellenbogen an. »Wird schon nicht so wild werden. Anscheinend haben sie uns erst mal was Einfaches zum Eingewöhnen herausgesucht.«

»Etwas Einfaches?« Janna knabberte immer noch auf ihrer Unterlippe herum. »Wir haben noch nie zusammen Personenschutz gemacht.«

»Doch, bei Mikolaj und seiner kleinen Schwester«, korrigierte er grinsend. »Das lief doch ganz gut.«

»Ganz gut?« Janna schnaubte. »Wir wurden verfolgt, beschossen ... Das war ganz schön brenzlig.«

»Na, dann kann es doch jetzt nur besser laufen, oder?« Markus berührte Janna leicht am Rücken, während sie nebeneinander zum Aufzug gingen, zog seine Hand jedoch rasch wieder zurück, als sie zu ihm aufsah. »Das Hyatt Regency wird während des gesamten Wochenendes sowieso hermetisch abgeriegelt sein, weil so viele hochrangige Wissenschaftler und Geheimnisträger anwesend sein werden. Und wenn die Zielperson so verpeilt ist, wie es nach Walters Beschreibung den Anschein hat, werden wir uns vermutlich eher die ganze Zeit langweilen und nicht ein einziges Mal außer Atem geraten.«

Als sie in den Aufzug traten, blickte Janna ihn fragend von der Seite an. »Das klingt ja schon fast, als wärst du über den Auftrag enttäuscht.«

»Keineswegs.« Er grinste schief. »Nach meinem letzten großen Einsatz ist es gar nicht so schlecht, mal eine ruhige Kugel zu schieben.«

»Du hattest am Wochenende schon etwas vor, oder?«

Er zögerte und ärgerte sich darüber. »Nur Kino mit Celine.«

»Celine?« Neugierig hob Janna den Kopf. Der Aufzug erreichte gerade das zweite oberirdische Geschoss, in dem sich ihr neues Büro befand. Hintereinander traten sie auf den Gang hinaus. »Etwa die Celine, die dir damals wegen ihres Skilehrers den Laufpass gegeben hat?«

Etwas an ihrem Tonfall gab ihm das Gefühl, sich albern zu benehmen. Es wäre besser gewesen, nicht davon anzufangen. »War wohl nur ein Strohfeuer.«

»Und jetzt ist sie wieder zu dir zurückgekehrt.«

»Wir sind nicht fest zusammen oder so was.« Verärgert schob er seine Hände in die Taschen seiner grauen Anzughose. »Wir gehen nur hin und wieder mal aus ... und so.«

»Und so.« Jannas Miene war zu entnehmen, dass sie genau wusste, was er meinte. »Du musst sie ja sehr gern haben, wenn du ihr den Skilehrer verziehen hast.«

Innerlich wand Markus sich, doch er ließ sich nichts anmerken. »Sie ist ja nicht fremdgegangen oder so, sondern hat Schluss gemacht, bevor sie ...« Er runzelte die Stirn. »Warum reden wir über mein Privatleben?«

»Entschuldige.« Janna lächelte ihm zu. »Ich wollte dir nicht zu nahetreten. Kino könnt ihr ja zum Glück leicht verschieben, oder?«

»Vermutlich.« Er hob die Schultern, weil er nicht sicher war, ob er überhaupt noch Lust hatte, sich mit Celine zu treffen. Diese Unentschlossenheit, was Dates mit Frauen anging, nervte ihn jetzt schon seit Wochen, wenn nicht Monaten. Vielleicht lag es daran, dass Alexa ihm immer noch zusetzte. Zwar hatte er ihr schon mehrfach klipp und klar gesagt, dass er kein Interesse daran hatte, die Affäre von vor drei Jahren zu wiederholen, doch leider war Alexa in dieser Hinsicht überaus hartnäckig und ließ sich so leicht nicht abwimmeln. Da war es wohl nur natürlich, dass er anderen Frauen gegenüber derzeit zurückhaltend blieb. Er hatte einfach keine Lust auf solche Komplikationen.

Inzwischen hatten sie das Büro erreicht. Markus warf den Schnellhefter auf seinen Schreibtisch, der dem von Janna direkt gegenüberstand, und ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. Während er seinen Computer einschaltete und seine E-Mails abrief, sah er Janna dabei zu, wie sie die silberne Gießkanne vom Regal neben der Tür nahm und hinaus ins Bad eilte. Nur wenig später kam sie wieder herein und begann, die Grünpflanzen auf der Fensterbank und auf den Ecken der Regale zu gießen. Sie hatte nichts mehr weiter gesagt, sodass er sich allmählich wieder entspannte. »Die Zwillinge sind also im Pfadfinder-Camp?«

»Ja, seit gestern. Hatte ich dir das nicht erzählt? Sonst bin ich ja immer als Betreuerin mitgefahren, aber mit der neuen Stelle hier geht das ja leider jetzt nicht mehr so einfach. Da muss ich bei privaten Aktivitäten halt mal zurückstecken.« Sie stellte die Gießkanne an ihren Platz zurück und setzte sich ebenfalls an ihren Schreibtisch.

»Also bereust du es schon, dass du den Job hier angenommen hast?« Er meinte es scherzhaft, doch Janna hob sichtlich irritiert den Kopf.

»Nein, überhaupt nicht. Ich meine, klar, jetzt habe ich weniger Zeit für die Kinder, aber sie kommen ja auch schon in die vierte Klasse. Da ist es wohl okay, wenn ich wieder ein bisschen mehr an mich denke und einen neuen Job annehme. Ab und zu kann ich bestimmt trotzdem noch Ausflüge betreuen oder ein Schulprojekt oder so. Und meine Eltern sind ja auch noch da. Ich will sie zwar nicht allzu sehr mit den Kindern belasten, aber sie wollen halt auch nicht, dass ich wegen der Kinder alles aufgebe, was ich mir früher mal für meine Zukunft vorgenommen hatte. Versteh mich nicht falsch, die Kinder habe ich nach dem Tod meiner Cousine gerne in Pflege genommen. Etwas anderes wäre gar nicht infrage gekommen. Wenn mein Vater bei dem Unfall damals nicht so schwer verletzt worden wäre, hätten meine Eltern sich um die Kinder gekümmert, aber so ... Ich nehme an, es sollte einfach so sein. Und inzwischen kann ich mir ein Leben ohne die beiden Rabauken gar nicht mehr vorstellen. Na ja, und jetzt habe ich ja auch den Job hier ... Damit hätte ich ja auch niemals gerechnet, aber so spielt das Schicksal nun mal und ich ...« Sie seufzte. »Mist, ich tue es schon wieder. Entschuldige.«

»Kein Problem.« Er scrollte durch seine neuesten E-Mails, beschloss, dass keine davon so wichtig war, dass er sie heute noch beantworten musste, und schaltete den Computer wieder aus. »Ich mache mich jetzt vom Acker. Hab noch was vor.«

»Abendessen mit Celine?« Janna hob grinsend den Kopf.

»Nein, Skat mit Michael und Brian im HellHole.« Schon beim Gedanken an den urigen Irish Pub in der Bonner Altstadt begann sein Magen zu knurren. »Außerdem muss ich meinen neuen Dienstwagen noch Probe fahren.«

Janna lächelte erfreut. »Du hast endlich ein neues Auto?«

»Mhm.« Er war bereits an der Tür. »Irgendwie.«

»Was denn für eins?« Janna erhob sich rasch und griff nach der dünnen cremeweißen Sommerjacke, die über der Rückenlehne ihres Bürostuhls hing. »Weißt du was, ich bin hier sowieso fertig. Dann kannst du mir das Auto auch gleich mal zeigen.«

»Mhm«, wiederholte er und verzog unwillkürlich die Lippen. »Wenn es sein muss.«

»Klar muss das sein.« Fragend sah sie ihn von der Seite an, während sie die Stufen ins Erdgeschoss hinabgingen. »Nun sag schon, was für ein Auto ist es? Wieder ein Sportwagen?«

»Nein.«

»Okay. Dann ein schicker Stadtflitzer? – Auch nicht?« Etwas atemlos hastete sie hinter ihm her und prallte beinahe gegen ihn, als er im Foyer an dem großen ovalen Tresen stehen blieb, an dem heute Sylvia Birkner, eine blonde Mittvierzigerin mit schicker Brille, ihren Dienst tat. »Huch!« Janna wich ihm ein wenig aus und nahm gleichzeitig den mit einem Clip an ihrer Bluse befestigten Dienstausweis ab. »Nun sag schon! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! So schlimm kann das Auto ja wohl nicht sein.«

»Von schlimm war nicht die Rede.« Auch er nahm sein Namensschild ab und reichte es der Empfangsdame.

»Sondern?« Janna lächelte Sylvia Birkner freundlich zu. »Auf Wiedersehen, Frau Birkner. Bis morgen.«

»Auf Wiedersehen, Frau Berg. Und einen schönen Feierabend!«, antwortete sie ebenso freundlich.

Markus grinste nur schief und ging zum Aufzug, der sich rechts vom Empfangstresen in einer Nische unter dem Treppenaufgang befand. »Sagen wir mal so, der Wagen ist nicht ganz mein Stil. Aber einem geschenkten Gaul ...« Er hob die Schultern.

»Jetzt bin ich wirklich neugierig.« Amüsiert lächelnd betrat Janna vor ihm den Aufzug und drückte den Knopf für die Tiefgarage. »Du siehst aus wie ein kleiner Junge, dem man den Lutscher weggenommen hat.«

»Was?« Empört starrte er sie an. »Ich bin kein kleiner Junge.«

Ihr Grinsen verbreiterte sich. »Zweifellos.«

»Und ich benehme mich auch nicht kindisch.«

»Das habe ich ja auch nicht behauptet.« Als der Aufzug anhielt und die Türen sich öffneten, trat sie rasch nach draußen und sah sich suchend in der Tiefgarage um. Als ihr Blick auf den Parkplatz fiel, auf dem Markus immer seinen Z3 abgestellt hatte, stieß sie einen Pfiff aus. »Wow. Das ist jetzt deiner?« Ohne auf seine Antwort zu warten, steuerte sie auf den dunkelsilbernen BMW X3 zu. »Cool.«

»Cool?« Er folgte ihr und blieb neben ihr stehen.

»Entschuldige.« Sie sah ihn neugierig von der Seite an. »Nicht cool? Das ist ein X3, mit ...« Sie blickte durch die Seitenscheibe ins Innere des Wagens. »Mit fast Vollausstattung. Nur keine Vollledersitze, aber das ist eh viel besser. Leder ist im Winter eklig kalt und im Sommer klebt man dauernd daran fest. Teilleder sieht edel aus und ist zehnmal praktischer.«

»Wenn du es sagst.« Seufzend zog er die beiden aneinandergeklippten Wagenschlüssel aus der Hosentasche und betätigte an einem davon die Fernbedienung zum Öffnen der Türen.

Janna umrundete den Wagen und setzte sich, ohne auf eine Aufforderung zu warten, auf den Beifahrersitz. Aufmerksam betrachtete sie das Armaturenbrett und fuhr mit der Spitze ihres Zeigefingers sachte am Rand des Bildschirms in der Mittelkonsole entlang. »Alles auf dem neuesten technischen Stand.« Als er sich hinters Steuer klemmte, sah sie ihn an. »Warum bist du so verschnupft? Das ist doch ein tolles Auto.« Sie zögerte. »Ein bisschen groß vielleicht.«

»Eine Familienkutsche«, brummte er.

Sie hielt inne, dann lachte sie auf. »Hast du Angst, dass du damit keine Mädels mehr aufreißen kannst?«

Er ging nicht darauf ein, sondern drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der Motor sprang sofort an und brummte ruhig und zuverlässig. Ruhig und zuverlässig! »Familienkutsche«, murmelte er erneut verdrießlich vor sich hin.

»Immerhin ist die Rückbank schön geräumig.« Janna grinste immer noch. »Genug Platz für ein Schäferstündchen im Grünen. Und mit dem Allradantrieb findest du garantiert ein richtig schönes verschwiegenes Örtchen, wo niemand sonst hinkommt.«

Wider Willen musste auch er lachen. »Halt die Klappe.«

Kurz strich sie mit der Hand über die Mittelkonsole und das Handschuhfach. »Ich würde ja gerne bei der Probefahrt mitkommen, aber ich muss los. Ich bin noch mit Feli verabredet. Sie will mir ihr fertig renoviertes und eingerichtetes Fotostudio zeigen und hinterher gehen wir noch irgendwo in Ahrweiler was essen.«

»Schon gut.« Er winkte ab. »Du wirst noch früh genug das Vergnügen haben, mit der Kiste mitzufahren.«

»Vielleicht lässt du mich ja auch mal ans Steuer.«

»Auf gar keinen Fall!«

Sie kicherte. »Warum nicht? Hast du Angst, dass ich mit diesem Geschoss hier nicht zurechtkomme?«

»Geschoss?« Er hob die Augenbrauen.

»Der Wagen hat doch bestimmt um die zweihundert PS, oder?«

»Rund zweihundertsechzig.«

»Mein Bruder würde jetzt sagen, das ist ein typisches Männerauto.« Sie grinste wieder breit. »Und ich würde ihm dafür eins überbraten. Als ob Frauen nicht auch schöne Autos zu schätzen wüssten.«

»Du findest dieses Auto schön?« Skeptisch sah Markus sich im Inneren des SUVs um. Komfortabel war der Wagen, daran gab es keine Zweifel. Und schnell war er wohl auch.

»Ich würde ihn mit Kusshand gegen meinen Golf eintauschen.« Sie rekelte sich ein wenig im Sitz. »Der Z3 war natürlich auch schön.« Sie zögerte ganz kurz. »Aber eigentlich zu klein für dich. Außerdem ist dieser hier viel praktischer.«

Wieder musste er lachen. »Um Sex auf der Rückbank zu haben?«

Sie hob mit einem schalkhaften Grinsen die Schultern. »Nur eine von vielen Verwendungsmöglichkeiten. Und wenn du den Wagen schon als Familienkutsche bezeichnest, solltest du dir vielleicht mal überlegen, mit der Familiengründung anzufangen.«

Für einen Moment starrte er sie entgeistert an, bis sie laut lachte.

»Du meine Güte, bist du heute ein leichtes Opfer.« Sie wurde wieder ernst. »Jetzt mal Spaß beiseite. Ich finde, der Wagen steht dir. Es ist doch toll, dass das Institut dir so ein Auto gibt und nicht irgendeine rollende Klitsche. Das ist wie eine zusätzliche Beförderung, finde ich.«

»Das Auto steht mir?« Skeptisch schüttelte er den Kopf.

»Zumindest hast du das Mitfahren gerade eben noch als Vergnügen bezeichnet. Also kann es doch nicht so übel sein.« Sie zwinkerte ihm vergnügt zu und stieg wieder aus. »Bis morgen dann! Gute Fahrt!«

»Ja, bis morgen, Janna.« Schweigend sah er ihr zu, wie sie zu ihrem dunkelblauen Golf V ging und nur wenig später winkend davonfuhr. Den winzigen Stich der Enttäuschung, dass er die Probefahrt nun allein machen musste, versuchte er zu ignorieren, und sah sich erneut in seinem neuen Auto um. Seltsamerweise wirkte es längst nicht mehr so schrecklich, und als er wenig später auf der Autobahn das Gaspedal durchtrat und die Kraft der zweihundertsechzig PS ihn einem unbestimmten Ziel entgegentrugen, war er beinahe versöhnt.

Stille Wasser sind auch nass

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